1 Einleitung

Die „krisenhaft wahrgenommenen Transformationsprozesse, (…) denen die Demokratien des Westens unterworfen sind“ (Buchstein 1996, S. 297), heute noch mehr denn je (Ercan und Gagnon 2014; Merkel 2014), lenken den Fokus auf einen erhöhten Legitimationsbedarf der Demokratie und die Frage nach den Voraussetzungen von Demokratie. In Europa erhält die Diskussion um Legitimität politischer Systeme auf EU-Ebene zum einen durch die anhaltenden Vorwürfe des Demokratiedefizits der EU (Majone 1998; Schäfer 2006) zusätzliche Brisanz. Zum anderen birgt das europäische Mehrebenensystem in der Frage nach Legitimität Besonderheiten, da die Herrschaftsbeziehungen zweistufig zwischen Union, Mitgliedsstaaten und Bürgern über den Umweg über die Mitgliedsstaaten verlaufen (Scharpf 2009). Diese Komplexität birgt zudem die Gefahr nicht zutreffender Verantwortungszuschreibungen für nationale Probleme und nachfolgend Legitimitätsprobleme.

Neben institutionellen Arrangements und Bürgerrechten verweisen normative Demokratietheorien immer wieder auf bestimmte Qualifikationen bzw. Kompetenzen der Bürger, deren eine funktionierende Demokratie bedarf. Buchstein (1996, S. 302) fasst diese als kognitive und prozedurale Kompetenzen zur Herausbildung (strategischer) politischer Präferenzen auf der Wissensdimension und habitueller Dispositionen, innerhalb des Diskurses über Bürgertugenden, zusammen. Während letztere im Kontext der politischen Einstellungs- und Partizipationsforschung tiefgehend untersucht wurden und werden, gibt es weit weniger Arbeiten, die sich mit dem politischen Wissen der Bürger an sich beschäftigen (Oberle 2012), obwohl dem politischen Wissen im Kontext der kognitiven und prozeduralen Kompetenzen eine so bedeutende Rolle zukommt.

Die Mehrheit der Untersuchungen, die sich bisher den Konsequenzen von mehr oder weniger politischem Wissen auf Einstellungen und Verhalten gewidmet haben (Delli Carpini und Keeter 1996; Sinnott 2000; Galston 2001; Gilens 2001; Karp und Bowler 2003; Westle 2009; Westle und Johann 2010), zielt vor allem auf den Einfluss von politischem Wissen auf Partizipation oder Wahlverhalten, also den beobachtbaren Teil der habituellen Dispositionen.Footnote 1 Weitgehend nicht erforscht ist der Zusammenhang von politischem Wissen und Legitimität, also den Einstellungen gegenüber dem politischen System, die neben anderen Faktoren zu mehr oder weniger Partizipation und zu bestimmtem Wahlverhalten führen. Legitimität soll in dem nachfolgenden Beitrag als die Übereinstimmung der normativen Standards der Bürgerinnen und Bürger mit der wahrgenommenen Herrschaftsordnung (Easton 1965), bzw. als Übereinstimmung von views „as normative yardsticks“ und evaluations (Ferrín und Kriesi 2016, S. 10) verstanden werden.Footnote 2 Unter Wissen soll nach Oberle (2012) die Kenntnis der Fakten des politischen Systems verstanden werden.

Aus der Literatur zum Einfluss von politischem Wissen auf politische Einstellungen lassen sich sowohl ein positiver als auch ein negativer Einfluss ableiten (Sinnott 2000; Karp und Bowler 2003; Oberle und Forstmann 2015). Vor dem Hintergrund dieser Literatur sollen im Ergebnis des nachfolgenden Beitrags Hypothesen zum Einfluss EU-spezifischen politischen Wissens auf die Legitimitätswahrnehmung der EU formuliert werden. Der geplante Beitrag möchte dieses Forschungsfeld explorativ weiterentwickeln, in dem erstens mittels der vorliegenden Vorstudie Hypothesen formuliert werden, um zukünftigen Forschungsbedarf aufzuzeigen. Mittels Repertory Grid soll zweitens in diesem Beitrag nicht nur ein Methodenvorschlag zur Erhebung von Legitimitätswahrnehmung im Allgemeinen gemacht werden, sondern ein quasi-experimentelles Design zur Erhebung des Einflusses von EU-spezifischem Wissen auf Einstellungen im Besonderen vorgeschlagen werden. In dieser Schwerpunktsetzung sollen weniger methodische Herausforderungen der empirischen Legitimitätsforschung (Osterberg-Kaufmann 2014 und i.E. voraussichtlich 2019) im Zentrum stehen, sondern die Frage nach dem Zusammenhang von EU-spezifischem politischem Wissen und der Legitimitätswahrnehmung der Europäischen Union.

Aus diesen Zielsetzungen leitet sich nachfolgende Struktur des Beitrages ab. Der Einleitung folgt die Aufarbeitung des Forschungsstands zur Relevanz politischen Wissens und des Zusammenhangs von politischem Wissen und Einstellungen. Nachfolgend sollen methodische Herausforderungen des Forschungsstands diskutiert werden und in einem quasi-experimentellen Design mit Repertory Grid Hinweise auf mögliche Einflüsse EU-spezifischen Wissens auf die Legitimitätswahrnehmung der EU gesammelt werden.

2 Forschungsstand

2.1 Politisches Wissen in den normativen Demokratietheorien

Unterschiedliche Regimetypen haben unterschiedliche Anforderungen an ihre Bürgerinnen und Bürger (Galston 2001). Die idealtypische Demokratie zeichnet sich laut Dahl (1971) durch fünf Merkmale aus: wirksame Partizipation, gleiches Wahlrecht, ein aufgeklärtes Verständnis, finale Kontrolle der Agenda und Inklusion aller Erwachsenen, und verweist damit explizit auf die Notwendigkeit politischen Wissens für die Funktionsfähigkeit der Demokratie – auch wenn Dahl (1971) diesen Merkmalen mit der PolyarchieFootnote 3 eine real existierende Demokratie gegenüberstellt. Schon Jefferson (nach McDonald 2012) hat neben dem Recht auf Eigentum das Recht auf Wissen als eine Voraussetzung formuliert, um die politischen Rechte einer Demokratie und damit auch die Pflichten in einer Demokratie wahrnehmen zu können. Rational Choice Theorien à la Schumpeter (1987) setzen die Fähigkeit zu strategischen Wahlentscheidungen voraus, was wiederum Wissen über politische Strukturen, Prozesse und Akteure voraussetzt. Auch jüngst diskutierte deliberative Ansätze setzen implizit mit der Anforderung der Präferenzbildung politisches Wissen voraus, indem dieser Fähigkeit zur Präferenzbildung die Anforderungen der Informiertheit und der Idee logischer und konsistenter Präferenzlisten (Buchstein 1996, S. 315) zu Grunde liegen. Zusammengefasst lässt sich mit Oberle (2012, S. 19) konstatieren, dass die Demokratie der Partizipation ihrer Bürger und Bürgerinnen bedarf, was zumindest einen Grundstock an Rationalität in der Vertretung eigener Interessen und Werte voraussetzt, was wiederum nicht ohne politisches Wissen möglich ist.

2.2 Politisches Wissen und Einstellungen

In der angelsächsischen Literatur existieren unterschiedliche Definitionen von und Bezeichnungen für politisches Wissen, denen wiederum die unterschiedlichsten Operationalisierungen nachfolgen (Rapeli 2014, S. 1 ff; Barabas et al. 2017). Während es im angelsächsischen Raum hierzu zahlreiche wissenschaftliche Kontroversen gibt (exemplarisch Delli Carpini und Keeter 1996; Sinnot 2000; Galston 2001; Gilens 2001; Karp und Bowler 2003; Karp 2006; Hobolt 2007; Green et al. 2011; Luskin und Bullock 2011; Rapeli 2014; Barabas et al. 2017; Pannico 2017), ist die deutschsprachige Auseinandersetzung mit politischem Wissen recht übersichtlich (Maier 2000; Westle 2005, 2009; Westle und Johann 2010; Vollmar 2012; Oberle 2012; Maier und Bathelt 2013). Unter politischem Wissen wird in der deutschsprachigen Literatur meistens (Maier 2000; Vollmar 2012) nach Delli Carpini und Keeter (1996, S. 10) „the range of factual information about politics that is stored in long-term memory“ verstanden oder allgemeiner formuliert die Kenntnis der Fakten des politischen Systems (Oberle 2012, S. 49). Diese Art von politischem Wissen, Wissen also, über das ein Individuum tatsächlich verfügt, wird auch als objektives politisches Wissen bezeichnet. Die Art von Wissen hingegen, über die ein Individuum glaubt zu verfügen, im Sinne von Perzeption der Wirklichkeit, bezeichnet die Literatur als subjektives politisches Wissen (Maier 2000).

Die Operationalisierung dieser unterschiedlichen Wissensarten erfolgt in der Literatur sehr unterschiedlich. In einer Studie zum Wissen der Europäer über die EU greifen Westle und Johann (2010) auf wissensbasierte Items des Eurobarometer zurück, wo beispielsweise die Anzahl der Mitgliedsländer abgefragt wird, die letzten Wahlen zum Europäischen Parlament oder die Rotation des Kommissionspräsidenten, aber auch Fragen zum EU-Haushalt oder zur EU-Verfassung. Ebenso greifen Maier und Bathelt (2013) auf Eurobarometerdaten zurück, um der Verteilung von europapolitischen Kenntnissen nachzugehen. Diese Beispiele sollen exemplarisch für eine Vielzahl an Arbeiten zum politischen Wissen stehen, in denen zumeist lediglich einer oder sehr wenige Indikatoren heran gezogen werden (Maier 2000; Karp 2006; Huber et al. 2009) oder aber einer Vielzahl von Operationalisierungen, die jedoch kaum reflektiert oder diskutiert werden, sondern es scheint, als würden Forscher vor allem die Daten verwenden, die verfügbar sind (Zaller 1992; Vollmar 2012). Gemessen wird politisches Wissen dann schließlich, indem einerseits die korrekten Antworten zusammengezählt und als politisches Wissen erfasst werden und die falschen Antworten andererseits zusammengezählt und als Nicht-Wissen erfasst werden. Einige Studien (Westle 2005, 2015; Westle und Johann 2010) berechnen zudem noch das Netto-Wissen, welches sich aus den korrekten abzüglich der falschen Antworten zusammensetzt.Footnote 4

Die empirischen Befunde zum politischen Wissen, beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland (Maier 2000) oder den USA (Delli Carpini und Keeter 1996), stehen in einem scharfen Kontrast zu dem Bild des gut informierten, mündigen Bürgers, das in westlichen Demokratievorstellungen dominiert. Insbesondere die partizipatorischen normativen Demokratietheorien gehen davon aus, dass Demokratien nur lebensfähig sind, wenn sie von den Bürgern und Bürgerinnen selbst auch verstanden werden (Sartori 1997). Jedoch scheinen die westlichen Demokratien nicht in der Lage zu sein, solche Bürger und Bürgerinnen auch hervorzubringen. Ebenso fehlt es bei dem Großteil der Wähler und Wählerinnen an Interesse an der Politik (Maier 2000).

Während der Zusammenhang von politischem Wissen und Legitimität kaum Gegenstand politikwissenschaftlicher Forschung ist, setzen sich Forscher und Forscherinnen im Kontext der politischen Kulturforschung mit dem Einfluss von politischem Wissen auf politische Einstellungen, Partizipation und Wahlentscheidungen auseinander. So belegen empirische Studien, dass die Abwesenheit von politischem Interesse zum Beispiel die Bereitschaft, an Wahlen zu partizipieren, reduziert (Lazarsfeld und Henry 1968, S. 45). Ebenso führt wenig politisches Wissen zu Wahlenthaltungen (Westle 2005; Delli Carpini und Keeter 1996). Darüber hinaus ist politisches Wissen eine Voraussetzung dafür, dass Menschen überhaupt öffentliche politische Debatten verfolgen können und überhaupt eine politische Meinung haben. Ist politisches Wissen vorhanden, führt es zu mehr Toleranz und Unterstützung für demokratische Werte insgesamt, zu mehr Vertrauen in das politische System, zu größerer Stabilität politischer Einstellungen und ideologischer Konsistenz sowie zu einer größeren Bedeutung politisch relevanter Kriterien für die Wahlentscheidung statt der Bedeutung der Persönlichkeitsmerkmale der Kandidaten. Die erfolgte Stimmabgabe entspricht darüber hinaus im stärkeren Ausmaße den eigenen Wertvorstellungen, über je mehr politisches Wissen der Wähler verfügt (Galston 2001, S. 223 ff.; Oberle 2012, S. 20 ff.).

2.3 Politisches Wissen und Legitimität

Bezüglich des Einflusses von EU-spezifischem politischen Wissen auf EU-Einstellungen wird von einigen Autoren bzw. Autorinnen (Sinnott 2000; Oberle und Forstmann 2015) von einer positiven Wirkung ausgegangen und davon, dass dagegen ein „subjektiv empfundener Mangel an EU-Verständnis Skepsis gegenüber dem europäischen Einigungsprozess befördert“ (Oberle und Forstmann 2015, S. 69). Die steigende Neigung zur Wahlenthaltung bei defizitärem politischem Wissen hat sich auch auf EU-Ebene zeigen lassen können (Wagner 2003, S. 327 ff.). Gehen Wählerinnen und Wähler mit defizitärem politischem Wissen dennoch zur Wahl, neigen sie dazu, ihren Wahlentscheidungen HeuristikenFootnote 5 und shortcuts, zum Beispiel analog den Positionen nationaler ElitenFootnote 6, zu Grunde zu legen, wie Hobolt (2007) für die Referenden zur Verfassung der Europäischen Union hat zeigen können. Insbesondere aus der Logik von Urteilen oder Entscheidungen auf der Basis von Heuristiken lässt sich für den Zusammenhang von politischem Wissen und Einstellungen oder auch Legitimitätswahrnehmung die Annahme formulieren, dass Bürger verstärkt auf vertraute Kriterien für ihre Urteilsbildung zurückgreifen, je weniger Wissen sie über den jeweiligen Gegenstand (hier die EU) zur Verfügung haben. Solche vertrauten Kriterien können beispielsweise die nationalen Institutionen sein, mit denen die europäischen Institutionen verglichen werden, um zu einem Urteil über deren Legitimität zu gelangen.

Nach der Demokratiedefizit-These kann aber im Gegenteil auch erwartet werden, dass die Zufriedenheitswerte und damit möglicherweise auch Legitimitätszuschreibungen unter den besser informierten Bürgern eher abnehmen (Pickel und Pickel 2006, S. 92 ff.). So zeigen politisch informierte Bürger möglicherweise größere Bedenken gegenüber Fragen der accountability und responsiveness, wie von EU-Kritikern öfter erhoben wird (Karp und Bowler 2003).Footnote 7 Inwieweit Wissen tatsächlich auf die Einstellung zur EU wirkt, ist bisher empirisch unzureichend erforscht (Oberle 2012) und soll nachfolgend auf explorative Weise mittels einer quasi-experimentellen Studie mit Repertory Grid erfolgen.

3 Quasi-experimentelle Designs mit Repertory Grid

3.1 Forschungsdesign

Ziel experimenteller Designs ist es, orientiert an einer gerichteten Hypothese, zu testen, ob sich eine unabhängige Variable X kausal auf die abhängige Variable Y auswirkt. Unter Kontrolle von Störfaktoren wird die unabhängige Variable, von der ein Einfluss erwartet wird, manipuliert (Stimulus oder Treatment), und anschließend beobachtet, ob bei der Abhängigen Variable eine Veränderung eintritt. Die Kontrolle von Störfaktoren stellt in den Sozialwissenschaften eine weitaus größere Herausforderung dar als bei Experimenten unter Laborbedingungen in den Naturwissenschaften. Die Sozialwissenschaften behelfen sich durch die Einteilung der Probanden in eine Test- bzw. Experimentalgruppe und in eine Kontrollgruppe (s. Tab. 1). Während die Experimentalgruppe ein Treatment X erhält, erhält die Kontrollgruppe dieses Treatment nicht. Hierin sollte im Idealfall die einzige Unterscheidung zwischen beiden Gruppen liegen, damit die Störfaktoren, die in der Zeit vor dem Treatment t1 und der Zeit nach dem Treatment t3 auf beide Gruppen wirken, möglichst konstant sind (Jäckle 2015).

Tab. 1 Experimentelle Designs in den Sozialwissenschaften

Die Verteilung der Probanden auf die Experimentalgruppe und die Kontrollgruppe erfolgt entsprechend der Ausprägung angenommener Störfaktoren, die auf beide Gruppen randomisiert verteilt werden (matching). Genau diese randomisierte Verteilung ist bei Quasi-Experimenten nicht möglich, da die Zuteilung zur Kontroll- oder Experimentalgruppe zum Beispiel durch die Untersuchungseinheit selbst erfolgt, vom Experimentator festgelegt ist oder durch natürliche Einteilung zum Beispiel in Schulklassen oder Seminargruppen erfolgt (Shadish et al. 2001). Die interne Validität quasi-experimenteller Designs ist vor diesem Kontext begrenzt, da Veränderungen in der Abhängigen Variable nicht eindeutig auf Veränderungen in der Unabhängigen Variable zurückgeführt werden können. Ob die Veränderungen in der Abhängigen Variable auf das Treatment oder auf systematisch unterschiedliche Drittvariablen wie Intelligenz, Vorwissen oder spezifische Erfahrungen zurückzuführen ist, kann nicht mit Gewissheit gesagt werden (Jäckle 2015). Die Kontrollgruppe dient also lediglich der Kontrolle von Zeiteinflüssen und nicht dem Beweis der Wirksamkeit des Treatments.

In der vorliegenden Studie wurden Studierende von Lehrveranstaltungen mit EU-spezifischen Inhalten zu zwei Zeitpunkten, einmal zu Beginn des Semesters (t1) und einmal zum Ende des Semesters (t3) mittels Repertory Grid befragt. Dieser EU-Gruppe (Studierende von Lehrveranstaltungen mit EU-spezifischen Inhalten) wurde eine Kontrollgruppe gegenüber gestellt, die eine Einführungsveranstaltung besuchte, in der keinerlei EU-Themen diskutiert wurden.Footnote 8 Beide Gruppen waren Studierende des Major Politikwissenschaft der Leuphana Universität Lüneburg.Footnote 9 Die Gruppen unterschieden sich lediglich in ihren Fachsemestern.Footnote 10 Demzufolge liegt mit dieser Anordnung ein quasi-experimentelles Design vor, da die Zuordnung zur Experimentalgruppe (EU-spezifisch) und zur Kontrollgruppe nicht randomisiert erfolgen konnte, sondern nach Lehrinhalt der jeweiligen Veranstaltung, ähnlich wie bei Green et al. (2011). Die Befragungen fanden im Oktober 2014 und im Januar 2015 statt.Footnote 11 Mit diesem quasi-experimentellen Zeitreihendesign wird das politische Wissen (UV) nicht direkt gemessen, sondern in der Logik eines Experiments fand zwischen Zeitpunkt t1 und t3 zum Zeitpunkt t2 die Vermittlung EU-spezifischen Wissens als Treatment (X) statt und im Fall der Kontrollgruppe fand dieses Treatment nicht statt. Gemessen wurde mittels des Repertory Grid Verfahrens lediglich, wie sich zwischen Zeitpunkt t1 und Zeitpunkt t3 die Wahrnehmung der Legitimität der EU (AV) verändert hat.

3.2 Erhebung der Legitimitätswahrnehmung mit Repertory Grid

Legitimität soll, wie bereits einleitend erwähnt, im Weber’schen Sinne (1992) als Legitimitätswahrnehmung verstanden werden und nach Ferrín und Kriesi (2016, S. 10) über den Vergleich zwischen den (demokratischen) Idealen und dem tatsächlichen Funktionieren der Demokratie bzw. des politischen Systems generell gemessen werden. Über diesen Vergleich, den es zu erheben gilt, fällt das Individuum ein Urteil über die Legitimität des zu untersuchenden Objekts (beispielsweise Demokratie, EU oder politisches System). Repertory Grid ermöglicht die Analyse der Übereinstimmung von normativen Standards der Bürgerinnen und Bürger und deren Bewertung des politischen Systems, gemessen an den jeweils eigenen Standards, ohne einen Umweg über öffentliche Kommunikation (Zürn 2013) oder die interpretierende Forscherin (Patberg 2013) zu machen. Repertory Grid arbeitet mit den Worten der Befragten selbst, um deren subjektive Konstrukte, den Forschungsgegenstand betreffend, zu messen. Die philosophische Annahme hinter der Methode ist, dass Menschen die Realität (re)konstruieren, um mit der Welt interagieren zu können. Dabei antizipieren Menschen Ereignisse, indem sie ihre eigenen individuellen Erfahrungen miteinander verbinden. Die Ergebnisse ihres Handelns evaluieren Menschen schließlich mit den persönlichen Konstrukten, die ihnen aus ihrer Erfahrung heraus zur Verfügung stehen und passen ihr Verhalten, diesen persönlichen Konstrukten folgend, an die Anforderungen der Umwelt an (Jankowicz 2004).

In der Vorbereitungsphase eines Forschungsprojekts mit Repertory Grid definiert die Forscherin acht bis zwölf Begriffe oder Beispiele (Elemente), die mit dem jeweiligen Forschungsgegenstand in einem Zusammenhang stehen beziehungsweise für den Interviewee in diesem Kontext eine relevante Sache, Situation oder Ereignis darstellen (Kelly 1955). Für die Erforschung der Legitimität der EU wurden für die nachfolgende Studie zentrale nationale (Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht) und europäische (Europäisches Parlament, Europäische Kommission, Europäischer Gerichtshof, Europäische Zentralbank) Institutionen sowie Expertengremien und der Legitimste Herrschaftsträger zur Abbildung der normativen Standards von Legitimität (Ideal), festgelegt. Diese Elemente werden im Interview, wie nachfolgend genauer dargestellt werden wird, mit dem normativen Standard von Legitimität (Ideal) sowie miteinander verglichen. Die Aufteilung der Elemente in die nationale und die europäische Ebene geht auf die Besonderheiten für die Legitimität im europäischen Mehrebenensystem zurück. Den Überlegungen Scharpfs (2009) folgend, sind die Herrschaftsbeziehungen im europäischen Mehrebenensystem zweistufig. Sowohl die Legitimitätswahrnehmung (bei Scharpf Folgebereitschaft), als auch die Legitimation (also jene Aktivitäten um Folgebereitschaft herzustellen) nehmen den Umweg von der Union zu den Bürgern und vice versa über die Mitgliedsstaaten (Scharpf 2009, S. 252). Die Herrschaftsbeziehung zwischen EU und Bürgern ist also auf der Ebene der Mitgliedstaaten unterbrochen. Auch wenn durchaus streitbar ist, inwiefern parallel zu den unterbrochenen Herrschaftsbeziehungen nicht auch eine direkte Herrschaftsbeziehung existiert, zum Beispiel durch die Wahl des Europäischen Parlaments und damit zumindest 2014 auch indirekt die Wahl des Kommissionspräsidenten, ist hier auf jeden Fall festzuhalten, dass in Fragen der Legitimität der EU sowohl die europäische als auch die nationale Ebene berücksichtigt werden müssen.

Die Festlegung dieser Elemente ist der einzige Zeitpunkt, an dem die Forscherin aktiv in den Forschungsprozess eingreift, da Repertory Grid Interviews nicht mit vorbereiteten Fragen, wie die standardisierte Umfrage, und auch nicht mit strukturierten Interviewleitfäden, wie qualitative Interviews, arbeitet. Diese Elemente werden dann während des Interviews von den Befragten mit Hilfe persönlicher Konstrukte verglichen und gemäß der Eigenschaften, die die Befragten den Elementen zusprechen, in ein Verhältnis zueinander gebracht. Unter Konstrukten wird nach Kelly (1955) eine dichotome Dimension wie gewählt versus ernannt oder transparent versus undurchsichtig verstanden. Mit Hilfe solcher Konstrukte werden alle Elemente des Interviews bewertet und auf der Basis ihrer Ähnlichkeit in Gruppen zugeordnet. Jedes einzelne Element wird dabei mit jedem einzelnen Konstrukt bewertet (Jankowicz 2004), wie Abb. 1 illustriert.

Abb. 1
figure 1

Interviewprozess mit Repertory Grid (Quelle: Osterberg-Kaufmann 2014, S. 159) a Schritt 1, b Schritt 2, c Schritt 3, d Schritt 4

Im ersten Schritt des Repertory Grid Interviews entscheidet die Befragte, welche zwei der insgesamt drei zufällig ausgewählten Elemente einander ähneln und sich gleichzeitig vom Dritten unterscheiden. Im oben aufgeführten Beispiel handelt es sich bei den drei zufällig ausgewählten Elementen um das Europäische Parlament (EP), die Europäische Zentralbank (EZB) und die Europäische Kommission (EK). In diesem Beispiel wurden die EZB und die Europäische Kommission von der befragten Person als ähnlich wahrgenommen, während sich das Europäische Parlament von ihnen unterschied. Im zweiten Schritt definiert die befragte Person die Ähnlichkeit der zwei Elemente mit ihren eigenen Worten in Form eines Adjektivs (Konstrukt 1), ebenso wie die Unähnlichkeit des dritten Elements (Konstrukt 2). Im oben aufgeführten Beispiel wurden die EZB und die Europäische Kommission als ernannt (Konstrukt 1) beschrieben, während das Europäische Parlament dagegen als gewählt (Konstrukt 2) wahrgenommen wurde. Diese beiden Konstrukte stellen das erste individuelle Konstruktpaar zur Evaluation aller Elemente des Interviews dar. Im dritten Schritt des Interviews positioniert die befragte Person alle Interviewelemente auf der erstellten Konstruktskala (zwischen Konstrukt 1 und 2). Da die Evaluation der Elemente in einem Tetralemmafeld stattfindet, haben die Befragten neben der Skala zwischen Konstrukt 1 und 2 auch die Möglichkeit, die Optionen beides trifft auf das Element zu oder keines von beiden trifft zu, auszuwählen. Über die Positionierung des Elements Legitimster Entscheidungsträger (Ideal) näher am Konstrukt gewählt oder näher am Konstrukt ernannt definieren die Befragten ihren normativen Standard von Legitimität.Footnote 12

Durch die Einteilung in „einander ähnlich“ und „voneinander verschieden“ sortieren die Befragten mit Hilfe ihrer Konstrukte einzelne Ereignisse einzelnen Kategorien zu und kreieren beziehungsweise sortieren damit ihre Wirklichkeit. Damit ermöglicht Repertory Grid der Forscherin eine Art „mental map“ (Jankowicz 2004, S. 14), wie sich die Befragten die Welt (beziehungsweise den Forschungsgegenstand) vorstellen. Auf der Grundlage des gegebenen Elementesets stellen die Befragten der Forscherin qualitative (aktiv formulierte) Konstrukte zur Verfügung und übersetzen diese subjektiven Wahrnehmungen in ein quantitatives Grid.

Die Interviewdaten können mit Hilfe qualitativer und quantitativer Verfahren analysiert werden. Für die manuelle Analyse werden die Elemente und Konstrukte in ein Grid übertragen, wo die Zuordnung der Elemente in den jeweiligen Konstruktskalen tabellarisch ablesbar ist. Einfache Zusammenhänge zwischen den Elementen sowie zwischen den Konstrukten können über Clusteranalysen oder Hauptkomponentenanalysen abgelesen werden (Jankovicz 2004).Footnote 13

Interessanter als die Analyse von Einzelgrids ist jedoch die Analyse größerer Interviewsets. Um die Interviewdaten von einer größeren Anzahl von Befragten zu erheben und zu analysieren, stehen zahlreiche Softwarelösungen zur Verfügung,Footnote 14 deren Datensätze dann wiederum in gängige Statistikprogramme importiert werden können. Wie bei standardisierten Umfragen ist es damit möglich, die Individualdaten zu aggregieren und die Ergebnisse miteinander zu vergleichen. Während in der Literatur über Einschränkungen der Generalisierbarkeit von Repertory Grid-Daten gestritten wird, gelten Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit der Ergebnisse von einem Sample auf eine größere Gruppe als gesichert (LeCompte und Goetz 1982).

4 Ergebnisse: EU-spezifisches politisches Wissen und die Legitimitätswahrnehmung der EU

Die nachfolgenden Daten wurden gesammelt, um den Einfluss von politischem Wissen auf die Wahrnehmung der Legitimität der EU zu analysieren. Die Daten auf der Basis einer studentischen Befragung zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten, einmal zu Beginn des Semesters (t1) ohne spezifisches EU-Wissen und einmal zum Ende des Semesters (t3) mit mehr EU-spezifischem Wissen (X), führten zu folgenden Ergebnissen. Erstens konnte mit Repertory Grid der normative Standard von Legitimität der Befragten sichtbar gemacht werden. Ebenso konnte gezeigt werden, dass der normative Standard von Legitimität mit einer Zunahme EU-spezifischen Wissens zunehmend an repräsentativ-demokratischen Normen und Werten orientiert ist. Zweitens sank die Legitimität der EU in der Wahrnehmung der Befragten mit zunehmendem EU-spezifischen politischen Wissen – entgegen der Annahme, dass politisches Wissen zu positiveren Einstellungen gegenüber der EU führe (Sinnott 2000; Oberle und Forstmann 2015). Drittens weisen die erhobenen Daten gleichzeitig aber auch, in Übereinstimmung mit dem empirischen Befund, dass besser informierte Bürgerinnen und Bürger der EU ein größeres Demokratiedefizit attestieren und mit der Demokratie in der EU weniger zufrieden sind (Maier und Bathelt 2013; Wiesner i.E.), auf ein differenzierteres Bild hin. Mit zunehmendem EU-spezifischen Wissen stieg nämlich die Bedeutung der demokratisch legitimierten Kerninstitutionen (Europäische Parlament und Europäische Kommission) in der Wahrnehmung der Befragten gegenüber anderen Institutionen (Europäischer Gerichtshof, Expertengremien) an, wenn auch insgesamt alle Institutionen (nationale und europäische) mit zunehmendem politischen Wissen an Legitimität verloren. Dieses Ergebnis gibt in der Folge Grund zur Annahme, dass über je weniger (EU-spezifisches) politisches Wissen die Befragten verfügen, sie nicht-majoritären Institutionen eine größere Legitimität zusprechen. Die demokratisch legitimierten Institutionen bekamen dagegen mit steigendem politischem Wissen, im Gegensatz zu beispielsweise den Zentralbanken und Gerichten, mehr Legitimität zugesprochen.

Um Legitimitätswahrnehmung nach Ferrín und Kriesi (2016, S. 10) über den Vergleich zwischen den (demokratischen) Idealen und dem tatsächlichen Funktionieren des politischen Systems zu messen, gilt es zunächst, den normativen Standard, also die Idealvorstellungen der Befragten von legitimer Regierung/Herrschaft, zu erheben. Dargestellt werden kann diese Idealvorstellung von Legitimität zu beiden Zeitpunkten der Untersuchung mit dem sogenannten semantischen Korridor. Um den normativen Standard von Legitimität und dessen Veränderung über Zeit zu visualisieren, werden jene Konstrukte mit dem größten Einfluss auf die Positionierung des Elements Legitimster HerrschaftsträgerFootnote 15 im dreidimensionalen Raum miteinander verglichen, jene Konstrukte also, die für die Befragten in diesem Kontext die größte Relevanz aufweisen.

Der Analyse des semantischen Korridors um den Legitimsten Herrschaftsträger soll jedoch eine grundlegende Erläuterung und die dahinterliegende Logik der Übertragung der Interviewdaten in den dreidimensionalen Raum vorweggeschickt werden. Die gesammelten Daten werden in eine Elemente und Konstrukte Matrix (das Grid) übertragen. Mit Hilfe statistischer Analyseverfahren können die Beziehungen und Abhängigkeiten der Elemente und Konstrukte berechnet werden. Damit können Aussagen darüber gemacht werden, wie die Befragten die jeweiligen Elemente definieren und welche Konzepte dahinter stehen, und zwar mit den Worten der Befragten selbst. Die zahlreichen Dimensionen, die durch die individuellen ratings der Elemente entstehen, können durch die Hauptkomponentenanalyse im dreidimensionalen Raum reduziert werden. Dort sind ihre Beziehungen zueinander numerisch oder visuell ablesbar (Abb. 456 und 7). Die drei signifikantesten Komponenten der Beziehung zwischen Elementen und Konstrukten sowie den Konstrukten selbst werden in eine dreidimensionale Matrix übertragen und die Zahlenwerte der Matrix werden für jedes Element und jedes Konstrukt in Koordinaten des dreidimensionalen Raums übersetzt.

Der semantische Korridor, um zum normativen Standard von Legitimität zurück zu kommen, hebt Elemente und Konstrukte in einem vordefinierten Winkel hervor, um Ähnlichkeiten zu anderen Elementen darzustellen und wie diese durch Konstrukte charakterisiert werden (s. Abb. 2). Je besser ein Konstrukt das ausgewählte Element beschreibt, desto enger ist der Winkel zwischen Konstrukt und Element. Winkel kleiner als 45° beschreiben ein semantisches Cluster. Um die Anzahl der beschreibenden Konstrukte zu reduzieren, wurde der Winkel für die nachfolgende Analyse des normativen Standards von Legitimität auf 25° für das Element Legitimster Herrschaftsträger (Ideal) reduziert.

Abb. 2
figure 2

Normativer Standard von Legitimität. a „EU-Gruppe“ Zeitpunkt t1, b „Kontrollgruppe“ Zeitpunkt t1. (Quelle: Eigene Darstellung)

Abb. 2
figure 3

Normativer Standard von Legitimität. c „EU-Gruppe“ Zeitpunkt t3, d „Kontrollgruppe“ Zeitpunkt t3. (Quelle: Eigene Darstellung)

Die vergleichende Analyse der ausschlaggebenden Konstrukte, die das Element Legitimster Herrschaftsträger beschreiben, zeigt in beiden Befragtengruppen zum Zeitpunkt t1 Unterschiede hinsichtlich des Legitimitätsverständnisses. Während die EU-Gruppe den Legitimsten Entscheidungsträger, als Idealvorstellung von Legitimität, als bürokratisch, vielfältig, gerecht, transparent, Generalist und charismatisch charakterisiert, beschreibt die Kontrollgruppe den Legitimsten Entscheidungsträger als verbindlich, neutral und utilitaristisch.

Keines der anderen Elemente der Studie weist große Ähnlichkeit zur Idealvorstellung von Legitimität (Legitimster Entscheidungsträger) auf. Über Winkelmaße > 45° lassen sich Ähnlichkeiten ablesen. Weder in der EU-Gruppe noch in der Kontrollgruppe lagen andere Elemente innerhalb des 45° Grad Winkels zum Legitimsten Entscheidungsträger (hier abgebildet 25° Winkel).

Zum Zeitpunkt t3, also nach dem Treatment, beschreibt die EU-Gruppe den Legitimisten Entscheidungsträger als transparent, wie bereits zum Zeitpunkt t1, alle anderen beschreibenden Konstrukte weichen ab. Der Legitimste Entscheidungsträger wird nun als vertrauenswürdig, gewählt, rechtmäßig, volksvertretend und volksnah beschrieben. Damit gewinnen nach dem Treatment mit gewählt und volksvertretend Bestandteile der repräsentativen Demokratie Bedeutung für das Legitimitätsverständnis. In der Kontrollgruppe gewinnen auch plötzlich vertrauenswürdig, transparent und rechtmäßig an Relevanz für die Beschreibung des Legitimsten Entscheidungsträgers, außerdem effizient und rechtschaffen. Konstrukte, die für repräsentative Demokratie stehen, vergleichbar mit der EU-Gruppe, sind nicht anzutreffen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass der Bedeutungszugewinn der repräsentativ-demokratischen Konstrukte gewählt und volksvertretend nicht auf Störfaktoren, sondern wahrscheinlich tatsächlich auf das Treatment zurückzuführen ist. Die beschreibenden Konstrukte vertrauenswürdig und rechtmäßig, hingegen gewinnen in beiden Gruppen zum Zeitpunkt t3 an Bedeutung und deuten damit auf den Einfluss eines Störfaktors hin.

Die vergleichende Analyse der ausschlaggebenden Konstrukte, die das Element Legitimster Herrschaftsträger beschreiben, zeigt, als erstes Ergebnis der explorativen Studie, mit zunehmendem EU-spezifischem politischen Wissen eine Zunahme repräsentativ-demokratischer Normen und Werte.

Allerdings haben sich nicht bloß die normativen Standards zu Legitimität zwischen den beiden Befragungszeitpunkten verändert. Die Analyse des Elements Europäisches Parlament soll beispielhaft für die Entwicklung der Wahrnehmungen der anderen Elemente des Interviews stehen (s. Abb. 3). Die EU-Gruppe beschrieb das Europäische Parlament während des ersten Befragungszeitpunktes vor allem als charismatisch, gewählt, langsam, rechtens, vertretend und proportional. Für die Kontrollgruppe waren zum Zeitpunkt t1 die Vorstellungen des Europäischen Parlaments als vertrauenswürdig, Generalisten, gewählt und transparent ausschlaggebend. Für die zweite Befragungsrunde (t3) erwiesen sich in der EU-Gruppe im Vergleich mit t1 lediglich: charismatisch, gewählt und proportional als stabil. Darüber hinaus veränderte sich zum Zeitpunkt t3 die Wahrnehmung des Europäischen Parlaments hin zu rechtmäßig, direkt, offen, transparent, gesetzgebend, demokratisch und Generalist. In der Kontrollgruppe wurden zum Zeitpunkt t3 lediglich noch gewählt und transparent zur Beschreibung des Europäischen Parlaments herangezogen. Stattdessen erwiesen sich zum Zeitpunkt t3 die Eigenschaften willkürlich, unvorhersagbar, parteigebunden und ineffektiv als am ausschlaggebendsten. Dieser Trend zu Negativbeschreibungen findet sich nicht in der EU-Gruppe, ganz im Gegenteil. Teilte das Europäische Parlament zum Zeitpunkt t1 mit dem Legitimisten Entscheidungsträger zum gleichen Zeitpunkt lediglich die Eigenschaft charismatisch, hatten beide Elemente zum Zeitpunkt t3 die Eigenschaften rechtmäßig, transparent und gewählt gemeinsam. In der Kontrollgruppe erwies sich lediglich zu t3 eine Gemeinsamkeit in der Eigenschaft transparent. Möglicherweise ist das Konstrukt transparent, das in der EU-Gruppe erstmalig zum Zeitpunkt t3 auftaucht und in der Kontrollgruppe mit gewählt die einzige (positive) Konstante bei gleichzeitig zunehmender negativer Beschreibungen ist, auf externe Störfaktoren (Wahl des EU-Kommissionspräsidenten) zurückzuführen.

Abb. 3
figure 4

Wahrnehmung des Europäischen Parlaments. a „EU-Gruppe“ Zeitpunkt t1, b „Kontrollgruppe“ Zeitpunkt t1. (Quelle: Eigene Darstellung)

Abb. 3
figure 5

Wahrnehmung des Europäischen Parlaments. c „EU-Gruppe“ Zeitpunkt t3, d „Kontrollgruppe“ Zeitpunkt t3. (Quelle: Eigene Darstellung)

Die Wahrnehmung des Europäischen Parlaments hat sich für die EU-Gruppe nach dem Treatment verändert. Diese veränderte Wahrnehmung betrifft jedoch nicht die grundsätzliche Bewertung des Europäischen Parlaments. Doch differenzierte sich der Blick auf das Europäische Parlament mit zunehmendem EU-spezifischen politischen Wissen zunehmend aus. Die generelle Bewertung des Europäischen Parlaments blieb positiv, jedoch verdoppelten sich die ausschlaggebenden Konstrukte innerhalb des Winkels von 25° nahezu. Die verfügbaren Daten verweisen darauf, wie Delli Carpini und Keeter (1996) für das politische Wissen von US-Bürgerinnen und Bürger und den Einfluss auf politische Einstellungen haben zeigen können, dass es eine Verbindung zwischen politischem Wissen und zunehmender Komplexität und Differenziertheit politischer Einstellungen gibt. Zunehmendes politisches Wissen löst Veränderungen in der Wahrnehmung von Institutionen aus, ebenso wie die normativen Standards von Legitimität.

Wie oben beschrieben, können über das aggregierte kollektive Grid die Daten aller Befragten miteinander verglichen werden. Durch die Übersetzung der Daten in die dreidimensionale Matrix und die Übertragung aller Elemente und Konstrukte in Koordinaten, können all jene Elemente gruppiert werden, die in einem engen (räumlichen und inhaltlichen) Bezug zueinander stehen, also ähnlich wahrgenommen werden. Über die euklidischen Distanzen können Nähe und Entfernung (in der Wahrnehmung der Befragten) der Elemente zueinander dargestellt werden. Je näher die Elemente zueinander gruppiert sind, desto geringer sind die euklidischen Distanzen zwischen den Elementen und desto größer ist in den Augen der Befragten ihre Ähnlichkeit zueinander. Der Grad der Übereinstimmung der nationalen und europäischen Institutionen mit den normativen Standards von Legitimität lässt sich an deren Nähe oder Entfernung zum Legitimisten Entscheidungsträger ablesen und gibt Auskunft über die Legitimitätswahrnehmung. Je geringer die Abstände zum Legitimsten Entscheidungsträger sind, desto legitimier wird die entsprechende Institution wahrgenommen. Die euklidischen Distanzen, wie sie in den Abb. 456 und 7 dargestellt sind, können in den Tab. 234 und 5 auch anhand der numerischen Werte abgelesen werden.

Abb. 4
figure 6

Grid der Elemente und Konstrukte im dreidimensionalen Raum EU-Gruppe, Zeitpunkt t1 (Quelle: Eigene Erhebung, dargestellt mit sci:vesco)

Abb. 5
figure 7

Grid der Elemente und Konstrukte im dreidimensionalen Raum Kontrollgruppe, Zeitpunkt t1 (Quelle: Eigene Erhebung, dargestellt mit sci:vesco)

Abb. 6
figure 8

Grid der Elemente und Konstrukte im dreidimensionalen Raum EU-Gruppe, Zeitpunkt t3 (Quelle: Eigene Erhebung, dargestellt mit sci:vesco)

Abb. 7
figure 9

Grid der Elemente und Konstrukte im dreidimensionalen Raum, Kontrollgruppe, Zeitpunkt t3 (Quelle: Eigene Erhebung, dargestellt mit sci:vesco)

Tab. 2 Euklidische Distanzen der Elemente EU-Gruppe, Zeitpunkt t1
Tab. 3 Euklidische Distanzen der Elemente Kontrollgruppe, Zeitpunkt t1
Tab. 4 Euklidische Distanzen der Elemente EU-Gruppe, Zeitpunkt t3
Tab. 5 Euklidische Distanzen der Elemente Kontrollgruppe, Zeitpunkt t3

Die Daten zeigen, wie in vorausgegangenen Repertory Grid-Studien (Osterberg-Kaufmann 2014), dass weder die nationalen noch die europäischen Institutionen den normativen Standards der Befragten von Legitimität entsprechen. Erneut erweisen sich die nationalen Institutionen in der Wahrnehmung der Befragten als legitimer als die europäischen Institutionen. Diese Befunde stehen in einem Widerspruch zu den Eurobarometer-Daten, nach denen beispielsweise dem Europäischen Parlament mehr Vertrauen entgegen gebracht wird als den nationalen Parlamenten. Jedoch wird in der Literatur dieser hohe Vertrauenszuspruch für das Europäische Parlament durchaus als überraschend diskutiert, da es im Vergleich zu den nationalen Parlamenten erhebliche Kompetenzen entbehrt (Schmitt 2003). Die Ergebnisse der Repertory Grid Studien sind also durchaus mehr im Einklang mit den politikwissenschaftlichen Debatten als der Vertrauensbefund für das Europäische Parlament in den Eurobarometer-Umfragen.

Die Tab. 234 und 5 und die Abb. 456 und 7 veranschaulichen die Distanzen, die zeigen, dass keines der Elemente zu keinem Zeitpunkt im Einklang mit den normativen Standards von Legitimität (Legitimster Herrschaftsträger) stand. Der Vergleich zwischen beiden Zeitpunkten zeigt außerdem, dass alle Elemente an Legitimität verloren haben. Es scheint, dass die Legitimität, die den einzelnen Elementen zugeschrieben wird, als zweites Ergebnis der explorativen Studie, mit zunehmendem EU-spezifischen Wissen sinkt. Dieser Legitimitätsverlust ist in der EU-Gruppe dramatisch, auch wenn die Elemente zu einem unterschiedlichen Grad an Legitimität verlieren (Abb. 6). Am geringsten ist der Legitimitätsverlust in der Wahrnehmung der Befragten für das Europäische Parlament, die Bundesregierung, den Bundesrat und die Europäische Kommission. Am höchsten fällt der Verlust für die Europäische Zentralbank, den Bundestag, den Europäischen Gerichtshof, das Bundesverfassungsgericht und insbesondere für die Expertengremien aus. Dabei haben bei den Befragten der EU-Gruppe insbesondere jene Institutionen stärker an Legitimität eingebüßt (mit Ausnahme des Bundestags), die unabhängig vom Wählerwillen und damit jenseits demokratischer Kontrolle sind. Damit widersprechen, als dritte Erkenntnis, die Repertory Grid-Ergebnisse der These vom Legitimitätszugewinn nicht-majoritärer Institutionen, die in der Literatur diskutiert wird (Zürn 2011a, S. 60). Dieser Aspekt wird nach dem Legitimitätsranking aller Elemente zu beiden Zeitpunkten noch einmal aufgegriffen (Abb. 8). Auch in der Kontrollgruppe büßten alle Elemente an Legitimität ein, möglicherweise haben also Störfaktoren den Legitimitätsverlust in der EU-Gruppe noch zusätzlich zum Effekt des Treatments verstärkt.

Abb. 8
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Legitimitätsranking Zeitpunkt t1 und t3. a „EU-Gruppe“, b Kontrollgruppe. (Quelle: Eigene Darstellung)

Der Legitimitätsverlust aller Elemente war dabei dramatisch zwischen den beiden Befragungszeitpunkten. Bei dem beobachteten Trend des Legitimitätsverlusts zwischen t1 und t3 haben jedoch nicht alle Elemente im gleichen Maße Legitimität verloren. Die Befragten der EU-Gruppe haben geringfügige Änderungen im Legitimitätsranking aller Elemente vorgenommen. Der Deutsche Bundestag und das Europäische Parlament tauschten zugunsten des Europäischen Parlaments die Plätze zwei und drei. Der Europäische Gerichtshof und die Europäische Kommission tauschten zugunsten der Europäischen Kommission die Plätze sechs und sieben. Und die Expertengremien und die Europäische Zentralbank tauschten zugunsten der Europäischen Zentralbank die Plätze sieben und acht.

Weniger dramatisch, aber noch immer bedeutend, waren die Legitimitätsverluste der Elemente bei den Befragten der Kontrollgruppe. Dabei war der Grad des Legitimitätsverlusts, wie die Abb. 7 und 8 zeigen, für die jeweiligen Elemente recht unterschiedlich. Während die Bundesregierung, der Bundestag, der Bundesrat und das Europäischen Parlament am wenigsten Legitimität in der Wahrnehmung der Kontrollgruppe einzubüßen hatten, war der Legitimitätsverlust für den Europäischen Gerichtshof, die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank und das Bundesverfassungsgericht höher und am höchsten für die Expertengremien. Die Kontrollgruppe hat insbesondere die Gerichte abgewertet. Jene Institutionen hingegen, die vom Wählerwillen abhängig sind, wie beispielsweise der Bundestag, die Bundesregierung und der Bundesrat, wurden aufgewertetFootnote 16. Dieser Trend spiegelt sich bei der EU-Gruppe weniger. Dort büßten die europäischen Institutionen im Trend weniger Legitimität ein als andere, was möglicherweise auf einen Zusammenhang mit dem Treatment deutet.

Die demokratisch legitimierten Kerninstitutionen haben im Vergleich zu allen anderen weniger an Legitimität verloren und damit insgesamt an Bedeutung gewonnen. Jedoch haben alle Elemente an Legitimität in der Wahrnehmung der Befragten verloren, wie die zunehmende (räumliche und numerische) Entfernung zwischen dem Legitimsten Herrschaftsträger (Ideal) und den anderen Elementen als wachsende Unähnlichkeit zwischen der idealen Vorstellung eines legitimen Herrschaftsträgers und allen anderen ausweist. Diese Ergebnisse zeigen einerseits möglicherweise einen Trend der wachsenden Unterstützung für demokratische Normen und Werte, der durch Störfaktoren begünstigt wurde, da er sich in der EU-Gruppe, stärker aber noch in der Kontrollgruppe, zeigt. Der andere beobachtete Trend, nämlich der grundsätzliche Legitimitätsverlust, hat sich jedoch in der EU-Gruppe durch das Treatment Vermittlung EU-spezifischen Wissens verstärkt und wurde durch eine gleichzeitig kritischere Bewertung des politischen Systems begleitet. Der Legitimitätsverlust hat sich in der EU-Gruppe dramatischer dargestellt als in der Kontrollgruppe.

5 Fazit

Eingangs wurde angesichts des erhöhten Legitimationsbedarfs der Demokratie und insbesondere der Legitimität (der Demokratie) der Europäischen Union die Frage formuliert, welchen Einfluss EU-spezifisches politisches Wissen auf die Legitimitätswahrnehmung der EU hat. Politisches Wissen gilt insbesondere in den normativen Demokratietheorien als eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit der Demokratie. Mit Überlegungen zu mehr Bürgerbeteiligung nimmt diese Bedeutung nochmals zu. Auch Legitimität, im Kontext von Systemzufriedenheit und -unterstützung stellt eine Voraussetzung für das Überleben von (demokratischen) politischen Systemen dar (Pickel und Pickel 2006). Legitimität wurde in diesem Beitrag als die Übereinstimmung normativer Standards mit der tatsächlich wahrgenommenen Herrschaftsordnung definiert (Easton 1965).

Da es sich bei der Untersuchung vom Zusammenhang von EU-spezifischem politischen Wissen und Legitimität um ein kaum erforschtes Feld handelt, wurden in diesem Beitrag erste Hypothesen zur weiteren empirischen Überprüfung mittels einer explorativen Studie mit Repertory Grid entwickelt. In einem quasi-experimentellen Design, in dem zwei Gruppen von Studierenden zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten (t1 und t3) zu ihrer Wahrnehmung der Legitimität der EU befragt wurden, hat dieser Beitrag den Einfluss von EU-spezifischem politischen Wissen auf die Legitimitätswahrnehmung der EU in einer Vorstudie getestet. Eine Gruppe Studierender mit Lehrveranstaltungen mit explizitem EU-Bezug (X) wurden zu Beginn (t1) und zum Ende (t3) der Vorlesungszeit befragt. Dieser Gruppe wurde eine Kontrollgruppe gegenübergestellt, die in dem Semester ausschließlich eine Einführungsveranstaltung in die Politikwissenschaft besuchte, in der die EU zudem nicht thematisiert wurde. Das politische Wissen als unabhängige Variable wurde nicht direkt gemessen, sondern in der Logik eines Experiments fand zwischen Zeitpunkt t1 und t3 die Vermittlung EU-spezifischen Wissens statt bzw. im Fall der Kontrollgruppe fand diese nicht statt. Gemessen wurde mittels des Repertory Grid-Verfahrens lediglich, wie sich zwischen Zeitpunkt t1 und Zeitpunkt t3 die Wahrnehmung der Legitimität der EU, als Abhängige Variable, verändert hat (O). Die Kontrollgruppe diente der Kontrolle von Störfaktoren.

Folgende Ergebnisse lassen sich aus den Beobachtungen (O) zu beiden Befragungszeitpunkten ableiten, die in Form von Hypothesen in künftiger Forschung überprüft werden sollten:

  1. 1.

    Mit zunehmendem EU-spezifischen politischen Wissen (X) sank die Legitimitätswahrnehmung der EU. Dieser Negativzusammenhang zeigte sich aber nicht nur für die europäischen, sondern auch für die nationalen Institutionen.

  2. 2.

    Mit der angenommenen Zunahme von EU-spezifischem Wissen durch das Treatment (X) stieg die Bedeutung der demokratisch legitimierten Kerninstitutionen in der Wahrnehmung der Befragten (O) gegenüber allen anderen Institutionen an. Außerdem wurde Legitimität nach dem Treatment (X) explizit mit repräsentativ-demokratischen Attributen in Verbindung gebracht.

Entgegen der Annahme, dass politisches Wissen zu positiveren Einstellungen gegenüber der EU führe (Sinnot 2000; Oberle und Forstmann 2015), hat die vorliegende Studie keine Hinweise auf einen positiven Effekt gefunden. Stattdessen haben sich jene Hinweise verstärkt, dass EU-spezifisches politisches Wissen vielmehr einen negativen Einfluss auf die Legitimitätswahrnehmung der EU zu haben scheint. Allerdings handelt es sich dabei nicht um einen für demokratische Systeme normativ unerwünschten Effekt. Denn analog den Überlegungen zu critical citizens (Norris 1999) oder Euroskeptizismus (Weßels 2009) hat sich insbesondere in den Daten zu den euklidischen Distanzen (Abb. 456 und 7 und Tab. 234 und 5) gezeigt, dass die Bedeutung der demokratisch legitimierten Kerninstitutionen zugenommen hat. Innerhalb des Negativtrends haben nämlich jene Institutionen, die dem Wählerwillen unterliegen, weniger Legitimität in der Wahrnehmung der Befragten eingebüßt, als die nicht-majoritären Institutionen. Die Analyse des normativen Standards von Legitimität (Abb. 2) hat darüber hinaus deutlich gemacht, dass mit zunehmendem EU-spezifischem politischem Wissen diese Standards stärker durch repräsentativ-demokratische Werte und Normen geprägt sind. Und diesen verstärkt durch demokratische Werte und Normen geprägten Vorstellungen von legitimer Herrschaft haben weder das politische System der Bundesrepublik Deutschland und noch viel weniger die Europäische Union mit zunehmendem EU-spezifischem politischem Wissen standhalten können. Mehr EU-spezifisches politisches Wissen scheint also durchaus die Skepsis oder sogar Kritik der Befragten an der EU zu befördern, gleichzeitig wird jedoch, so scheint es, die generelle Unterstützung für die Demokratie an sich gestärkt. Außerdem gibt es in der Kontrollgruppe Hinweise dafür, dass politisches (nicht notwendigerweise EU-spezifisches) Wissen zu einer klareren Differenzierung zwischen der nationalen und der europäischen Ebene befähigt. Inwiefern mit weniger EU-spezifischem politischem Wissen tatsächlich von einem Rückgriff auf nationale Heuristiken zur Beurteilung der Legitimität der EU ausgegangen werden kann, der mit zunehmendem EU-spezifischem politischen Wissen abnimmt, muss jedoch in zukünftiger Forschung untersucht werden.

Grenzen des vorliegenden quasi-experimentellen Untersuchungsdesigns liegen in der Problematik, Einfluss- bzw. Störfaktoren jenseits der Seminare kontrollieren zu können. Die interne Validität quasi-experimenteller Designs ist eingeschränkt dadurch, dass nicht alle Störfaktoren kontrolliert werden können und Veränderungen in der Abhängigen Variable nicht ausschließlich auf das Treatment der Unabhängigen Variable zurückzuführen sind (Jäckle 2015, S. 22). Es ist zum einen nicht auszuschließen, dass sich die Befragten der Kontrollgruppe mit Studienbeginn, jenseits der Lehrveranstaltung, verstärkt mit EU-Themen beschäftigt haben. Zum anderen ist es auch nicht möglich, den Einfluss von politischen Ereignissen während des Untersuchungszeitraums auf die Wahrnehmung der Befragten zu isolieren. Die Ergebnisse geben jedoch Hinweise für zukünftige Forschung mit beispielsweise einem klassischen experimentellen Design. Auch externe Validität und damit die Generalisierbarkeit der Ergebnisse ist mit der vorliegenden Studie nicht gegeben, da die Auswahl der Probanden nicht repräsentativ ist und die Probandenzahl zu gering. Das quasi-experimentelle Design der Studie mit Studierenden der Politikwissenschaft könnte in einer zukünftigen experimentellen Studie auf andere Studierendengruppen übertragen werden oder sogar mit einer repräsentativen Stichprobe der Gesamtbevölkerung durchgeführt werden.

Mit Hilfe von Repertory Grid ist es möglich, gemäß dem Anspruch der empirischen Legitimitätsforschung, Legitimität nicht bloß im Sinne von Herrschaftsanerkennung zu messen, sondern zu beurteilen, inwiefern eine Übereinstimmung der normativen Standards der Bürger (durch die Bürger selbst) mit der vorliegenden politischen Ordnung besteht (Ferrín und Kriesi 2016). Über die Charakterisierung des Legitimsten Entscheidungsträgers (Ideal) macht Repertory Grid die Idealvorstellungen von Legitimität, also die normativen Standards der Befragten, zugänglich. Dass die vorliegende Studie dank Repertory Grid die normativen Standards von Legitimität, die die Befragten anlegen, sichtbar macht, ist ein klarer Vorteil gegenüber klassischen Surveyfragen. Durch die Anordnung der Institutionen auf der Basis dieser normativen Standards drücken die Befragten den Grad der Übereinstimmung der vorliegenden politischen Ordnung mit ihren Idealvorstellungen von Legitimität aus. Da das Interview unmittelbar in den Bewertungskontext der Befragten eingebettet ist und damit Einsicht in die Komplexität der individuellen Bewertungssysteme der Befragten möglich wird und die subjektiven Bewertungen der Befragten auf jeweils ihren eigenen Evaluations- bzw. Ranking-Konstrukten basieren, kann mit Repertory Grid dem grundsätzlichen Zweifel, ob es überhaupt möglich ist, abstrakte Konzepte wie Legitimität so zu konzeptualisieren und zu operationalisieren, dass die Ergebnisse sowohl statistisch als auch qualitativ robust sind (Gilley 2006, S. 500)Footnote 17 eine methodisch innovative Lösung entgegenstellt werden.

Grenzen setzt der Repertory-Grid Methode allgemein ein relativ hoher Zeit- und Kostenaufwand, verglichen mit standardisierten Verfahren. Onlineanwendungen des Befragungstools bieten hier möglicherweise einen Ausweg. Die Analyse von wenigen besonderen Fällen wäre jedoch auf jeden Fall denkbar. In der Logik eines nested-analysis-Ansatzes (Liebermann 2005) böten sich beispielsweise die Untersuchung eines Einzelfalls, ein Vergleich von typischen Fällen einer Large-N Analyse und Ausreißern oder die Untersuchung einzelner Befragtengruppen aus einer Large-N Analyse von besonderer Relevanz in Bezug auf die jeweilige Forschungsfrage, z. B. die politischen Eliten eines oder mehrerer Länder, an.

Über die Ähnlichkeits- und Differenzassoziationen im Repertory Grid-Interview können Wissen und kognitive Kompetenzen der Befragten möglicherweise genauer erhoben werden als mit der direkten Abfrage von (politischem) Wissen, da Repertory Grid durch sein spezielles Design beispielsweise echte „weiß nicht“-Antworten, Antwortverweigerung und das Erraten der Antworten minimiert und insbesondere durch seinen assoziativen Charakter auch verstecktes Wissen der Befragten anspricht. Die Anwendung von Repertory Grid zur Erhebung von politischem Wissen als Abhängige Variable ist ein vielversprechender Versuch für zukünftige Forschung (Hemmecke 2012).