Die Autoren dieses Beitrags beabsichtigen nicht, die Diskussion um die Ursachen von Komplikationen durch Chirotherapie valide zu ergänzen. Das Problem der möglicherweise verursachten Gefäßläsionen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) wurde insbesondere in dieser Zeitschrift schon vor über 20 Jahren diskutiert [6, 11, 16, 22, 25,26,27, 29, 30, 32, 35]. Diese Diskussion ist nicht beendet und flammt auch durch Beiträge in öffentlichen Medien [31], aber auch durch Beiträge von ärztlicher Seite [12, 18] immer wieder auf. Ähnlich verhält es sich bei der Frage von Bandscheibenschädigungen durch Chirotherapie [8, 33, 36]. Die Absicht ist vielmehr eine Bestandsaufnahme aus dem Material der Gutachterkommission Nordrhein und der Rechtsprechung mit Hinweisen zur Bedeutung und Beachtung der Leitlinien [34], gerade in Hinblick auf die Dokumentation und Risikoaufklärung.

Bereits 2004 waren die Bescheide der Gutachterkommission Nordrhein aus den Jahren 1976 bis 2003 erstmals zu diesem Thema ausgewertet worden [17]. Die in 16 von 57 Verfahren vorliegenden Behandlungsfehler und die in 5 von 10 Verfahren bestätigten Aufklärungsrügen wurden analysiert. Dabei wurde in keinem Fall festgestellt, dass ein später diagnostizierter Bandscheibenschaden (n = 20) der chirotherapeutischen Maßnahme kausal zuzuordnen oder als Kontraindikation anzusehen gewesen wäre. Viermal wurde fehlerhaft keine Röntgenuntersuchung durchgeführt und einmal bestand keine Indikation zur Chirotherapie. In einem von 9 Fällen mit Auftreten von zerebralen Durchblutungsstörungen bzw. Gefäßdissektionen sah der Gutachter als Ursache eine zu brüske Manipulation. Dreimal waren die Gefäßläsionen vorwerfbar nicht erkannt worden. In einem von 9 Fällen mit festgestellten Frakturen war die Chirotherapie bei schwerer Osteoporose kontraindiziert gewesen. In 3 Fällen war eine vorbestehende Fraktur nicht erkannt worden, wodurch die Patienten jedoch keinen Nachteil erlitten. Zwei Behandlungsfehler wurden bei Patienten ohne Besserung der Symptomatik festgestellt, da einmal eine Röntgenuntersuchung zuvor unterblieben und einmal die Chirotherapie bei einem Grisel-Syndrom (Torticollis atlantoepistrophealis) kontraindiziert gewesen war.

2002 wurde auch ein ähnlicher Bericht der Schlichtungsstelle der norddeutschen Ärztekammern [15] mit Falldarstellungen vorgelegt.

Methodik

Grundlage dieses Beitrags ist eine aktuelle Auswertung der Jahre 2004 bis 2017 (Tab. 1). Insgesamt waren 91 Vorwürfe zu einer Chirotherapie zur gutachtlichen Überprüfung gelangt (Anteil 0,4 %). Im Zusammenhang mit der Manipulation wurden 11-mal vorwerfbare Behandlungsfehler und 10-mal Risikoaufklärungsfehler bei einer überproportional hohen Rate an Aufklärungsrügen (n = 41) festgestellt, darunter 2‑mal bei verneintem Behandlungsfehler. Die Sachverhaltsaufklärungen und die Beurteilung der Risikoaufklärung waren vielfach dadurch erschwert, dass nur eine spärliche Dokumentation durch die Ärzte erfolgt war, was für sich genommen aber noch keinen Behandlungsfehler darstellt. Auffallend war auch, dass die durchgeführten Maßnahmen in ihrer Ausführung öfter strittig blieben. Auf die Mobilisation zurückzuführende eigenständige Folgen wurden 6‑mal festgestellt, darunter 3‑mal kurzzeitige Beschwerden, ein schwerer passagerer sowie ein mittelschwerer und ein schwerer Dauerschaden (Tab. 2).

Tab. 1 Verfahren mit Vorwürfen zur Chirotherapie seit Bestehen der Gutachterkommission Nordrhein 1976
Tab. 2 Festgestellte Behandlungsfehler und Folgen nach Chirotherapie

Zusammenfassend wurden in 3 von 28 Verfahren mit dem Vorwurf, einen bestehenden Bandscheibenprolaps nicht erkannt oder durch die Mobilisation ausgelöst zu haben, Behandlungsfehler festgestellt: Einmal wurde ein Bandscheibenprolaps als Kontraindikation zur Mobilisation nicht erkannt (Fall 1), einmal hätten bestehende „Parästhesien/eine Deltoideusparese“ eine sorgfältigere Untersuchung und Abklärung erfordert (Fall 2) und einmal wurde keine Probemobilisation zum Ausschluss einer Kontraindikation durchgeführt (Fall 3).

Weiterhin erfolgten in 2 von 13 Fällen mit Frakturen bei anamnestischem Frakturverdacht eines Wirbelkörpers kontraindizierte Wirbelsäulenmobilisationen (Fall 4). Eine von 13 vorgeworfenen Gefäßdissektionen wurde gutachterlich auf die fehlerhafte Mobilisation zurückgeführt, da ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang und die Beschreibung des Patienten („ruckvoller Rotationsimpuls“) dies nahelegten (Fall 5). Bei einem anderen Patienten wurde eine – vermutlich seit dem Vortag sich entwickelnde – Gefäßdissektion fehlerhaft nicht erkannt und somit eine kontraindizierte Mobilisation vorgenommen.

Behandlungsfehler fanden sich auch bei weiteren 4 von 37 Patienten mit anderen Vorwürfen: Beispielsweise erfolgten bei einem 12-Jährigen behandlungsfehlerhaft über 6 Monate mindestens 3 Mobilisationen, obwohl bereits die erste Röntgenuntersuchung eine – vom Arzt nicht erkannte – aneurysmatische Knochenzyste am Dornfortsatz des 6. Halswirbelkörpers aufzeigte. Hierdurch kam es zu einer Therapieverzögerung um 10 Monate mit traumatischem Erleben bei passagerem Querschnitt bis zur erfolgreichen operativen Sanierung. Bei 2 Patienten, einmal bei HWS-Syndrom nach rezidivierenden Infekten der oberen Luftwege und einmal bei Herpes zoster mit Rückenschmerzen, verneinte der Gutachter die Indikation zur Mobilisation der Wirbelsäule. Die Mobilisation erfolgte in einem Fall zudem fehlerhaft ohne Risikoaufklärung, um „den Überraschungsmoment“ auszunutzen, wie der Arzt in seiner Stellungnahme schrieb. Bei einem Patienten mit rechtsbetonten Blockaden der Brustwirbelsäule (BWS) bei bekannter Osteoporose mit Zustand nach Keilwirbelbildung des Brustwirbelkörpers (BWK) 12 und bestehendem Bronchialkarzinom hätte zuvor ein Röntgenbild zum Abwägen der Indikation erfolgen müssen.

Fallbeispiele mit festgestelltem Fehler

Nichterkannter Bandscheibenprolaps

Ein 43-Jähriger stellte sich am 4. Juni 2013 bei dem ihm seit 2002 bekannten belasteten Orthopäden erneut mit seit Februar rezidivierenden Zervikobrachialgien (so die Diagnose des belasteten Arztes) vor, die unter hausärztlicher Analgetikatherapie bisher gut rückläufig gewesen waren. Bis 2007 waren hier bereits mehrmals Chirotherapien erfolgt. Der Patient beschreibt für diesen Tag ein „mehrfaches Hin- und Herreißen des Kopfes in sitzender Stellung, erneut bei verstärkten Beschwerden am 5. Juni“, nachdem der Arzt „Blockierungen der Rippen, der HWS, der Kopfgelenke und der Brustwirbelsäule“ festgestellt hatte (nun unter der Diagnose „Schulter-HWS-Syndrom“). Der Arzt legte keine Darstellung des Behandlungsverlaufs vor. In der Krankenakte wird nur „Chirotherapie“ aufgeführt. Gutachterlich wurde davon ausgegangen, dass bei der Behandlung eine Rotationskomponente zur Anwendung kam, die der Patient durchaus so empfinden konnte. Es lagen ältere HWS-Aufnahmen aus den Jahren 2006 und 2002 vor, die bereits eine Osteochondrose C4/5 und zusätzlich einen kyphotischen Knick zeigten. Durch einen am 6. Juni aufgesuchten nichtbeschuldigten Orthopäden wurde bei zunehmender Taubheit im linken Arm eine Magnetresonanztomographie (MRT) veranlasst, die zwei Bandscheibenvorfälle in Höhe C4/5 und C5/6 aufzeigten, die am 18. Juli operiert wurden.

Festgestellter Fehler

Keine aktuelle Röntgenaufnahme bei neuerlicher Symptomatik und 7 Jahre alter Bildgebung (einfacher Befunderhebungsfehler). Kein Gesundheitsschaden, da gutachterlich davon ausgegangen wurde, dass eine Chirotherapie nicht in der Lage ist, in 2 Etagen einen (operationspflichtigen) Bandscheibenvorfall auszulösen. Die Symptomatik der vorbestehenden Bandscheibenvorfälle wurde aber vom Arzt nicht erkannt. Keine mündliche Risikoaufklärung trotz Erfordernis dokumentiert, da der Zeitraum zur letzten Chirotherapie von 6 Jahren als zu lang angesehen wurde.

Nichtindizierte Chirotherapie bei Armhebeschwäche und Parästhesien

Ein 77-Jähriger beklagt, dass der Allgemeinarzt, den er wegen Schmerzen auf der linken Halsseite am 7. Februar 2012 aufgesucht habe, „seinen Kopf ohne jegliche Voruntersuchung nach links und rechts gedreht“ habe. Schon am Abend seien ihm beim Kleidungswechsel Probleme aufgefallen, am Folgetag habe er vom Arzt lediglich „Spezialvitamine“ verschrieben bekommen. In der Karteikarte des Arztes wird für den 7. Februar festgehalten: „K: Parästhesie B Armhebeschwäche Parästhesie Schmerzexacerbation HWS Schulter li. hatte schwere Platten gehoben C6 re. Mob. BWK 2/3 para di. i. m.“. Am Folgetag: „B weiter Beschwerden. BWK 2/3 Mob. para C7 Di. im V. a. Rotatorenmanschetten einrefl“. Am 09. Februar erfolgte eine Überweisung zur MRT der HWS und Schulter links. Am 14. Februar wurde ein „Schulterarmsyndrom links“ vermerkt, Piroxicam-Tabletten wurden verordnet, als Befund ist eine „Rotatorenmanschettendegeneration“ aufgeführt.

In seiner Stellungnahme berichtete der Arzt über eine „akute Bewegungseinschränkung“, die am 7. Februar vorgelegen habe, die er jedoch nicht dokumentierte. In der MRT vom 10. Februar zeigten sich eine hochgradige Osteochondrose bei HWK 6/7 mit jeweils breitbasiger dorsolateraler Protrusion, eine begleitende Foramenstenose bei Unkarthrose links mehr als rechts und geringere Veränderungen bei HWK 4/5 mit medialer Protrusion mit leichter Einengung des Spinalkanals. Daraufhin wurde am 12. März Keltican verordnet und am 15. März über Operationsrisiken aufgeklärt und dokumentiert „will keine Operation“, nachdem sich der Patient bereits am 8. März einem Neurochirurgen vorgestellt hatte, der bei „schwerst betroffener Funktion der Nervenwurzel C5“ (es wurde eine Deltoideusparese 1/5 beschrieben) eine ventrale Diskektomie HWK 4/5 empfahl, jedoch den Patienten noch an einen Neurologen überwies mit dem Ergebnis, dass neben einer möglicherweise radikulären Läsion auch an einen Plexusschaden zu denken sei.

Festgestellter Fehler

Keine neurologische Untersuchung trotz Feststellung einer akuten Bewegungseinschränkung und Parästhesie, daher keine segmentale Einordnung. Bei unklarer Diagnose war ein Bandscheibenvorfall nicht ausgeschlossen. Keine aktuelle Röntgenuntersuchung, die bei einem 77-Jährigen vor der Chirotherapie zum Ausschluss knöcherner Destruktionen gefordert wird (einfacher Befunderhebungsfehler). Kein Gesundheitsschaden abgrenzbar, da der Patient den vorgeschlagenen Eingriff nicht durchführen ließ.

Keine Probemobilisation vor Chirotherapie

Eine 34-jährige Erzieherin stellte sich am 17. Februar 2014 nach zuvor im November erlittener Handgelenkzerrung durch Heben eines Kindes mit einer „Dysästhesie über dem Handrücken und dem Zeige- und Mittelfinger“ wieder vor. Ursächlich wurde eine „Blockierung der HWS in Höhe C5/6“ angenommen und chirotherapeutisch behandelt sowie Ibuprofen 600 verordnet. Am 24. Februar erfolgte eine MRT der HWS, die laut Akteneintrag „eine Bandscheibenprotrusion bei C6/7 und zwei Bandscheibenvorfälle bei C4/5 und führend bei C5/6“ ergeben habe. Gutachterlich handelte es sich allenfalls um Protrusionen; es lagen keine Veränderungen vor, die durch Verletzungen im Rahmen eines chirotherapeutischen Eingriffs hervorgerufen sein könnten.

Festgestellter Fehler

Keine Probemobilisation vor dem manipulativen Impuls der chirotherapeutischen Behandlung in Höhe C5/6, da nicht dokumentiert. Es wurde kein Gesundheitsschaden festgestellt, da die Bandscheibenprotrusionen als vorbestehend aufgrund degenerativer Veränderungen angesehen wurden.

Allerdings urteilte das LG Baden-Baden 2014 (s. Rechtsprechung), dass ein Probezug nicht gesondert dokumentiert werden müsse, sodass dieser Fall aus heutiger Sicht anders beurteilt werden würde.

Nichterkannte vorbestehende Wirbelkörperfraktur

Eine 61-Jährige beschreibt, dass „der Arzt sie ohne weitere Untersuchung und Befragung aufgrund der geklagten Beschwerden mit Injektionen habe behandeln wollen, die sie aber verweigert habe. Daraufhin habe er sie stehend aufgefordert, die Hände über Kreuz auf ihre Schultern zu legen. Er habe sie dann mit einem Ruck nach unten gestaucht, wobei sie ein lautes Knacken vernommen habe verbunden mit einem immensen Schmerz, sodass sie laut habe schreien müssen.“ Bei Fortbestehen der Schmerzen stellte sie sich am darauf folgenden Montag noch einmal vor und es „sei eine zweite Chirotherapie“ erfolgt.

Der Notfall‑/Vertretungsschein weist für den 29.10.2015 aus: „Seit einiger Zeit Schmerz BWS, tw. atemabhängig. U: Deutliche Seitneigungsstörung BWS mit div. Blockierungen, Th4/5 gelöst, Rp: Novaminsulfon Tr. N1, AU bis morgen. 2.11. Keine Änderung der Beschwerden. U: Blockierung Th7/8 gelöst. Rp. Tilidin und Teramidin, 2. AU bis 4.11. Anruf Orthopädin, BWK-8 durch Verdrehen/Anheben Matratze → MRT.“ Andernorts wurde nachfolgend eine Osteoporose und am 6.11. in der MRT ein frischer Deckplatteneinbruch bei BWK 7 mit ventraler Höhenminderung festgestellt.

In der Stellungnahme gibt der Arzt an, er habe eine „Manipulation der Blockade Th4/5 mittels Retroflexionsimpuls im vorgenannten Segment mit Fixierung Th5 in Zweifingertechnik in Rückenlage durchgeführt“. Am 2.11. habe sich „bei gleicher Befundkonstellation eine Störung im BWS/thorakolumbalen Übergang Th7/8“ ergeben, die er mit „ungezielter traktorischer Mobilisation“ behandelt habe.

Festgestellter Fehler

Keine ordnungsgemäße Anamnese- und keine manualtherapeutische Befund- und Therapiedokumentation, selbst unter Zugrundelegung der Leseabschriften bei in wesentlichen Teilen unleserlichen Eintragungen, sodass die immer wieder geforderte Befundsicherung zur Indikation und Ausschluss von Kontraindikationen als nicht erfolgt zu beurteilen war (einfacher Befunderhebungsfehler). Zudem liegen sich widersprechende Angaben zur durchgeführten Behandlung („Zweifingertechnik in Rückenlage“ versus „Behandlung im Stehen“) vor.

Gutachterlich wird davon ausgegangen, dass die vorliegende BWK-7-Fraktur bereits durch ein andernorts dokumentiertes (dafür typisches) Verhebetrauma eingetreten war, da die vermutlich angewandten Techniken der Chirotherapie nicht geeignet sind, eine Deckplattenimpressionsfraktur bei Th7 zu bewirken. Daher kommt eine Beweislastumkehr für den Befunderhebungsfehler hier nicht zum Tragen. Allenfalls vermehrte Beschwerden durch den Behandlungsfehler bei nichterkannter Wirbelkörperfraktur mit zusätzlich belastender Chirotherapie.

Ausgelöste Gefäßdissektion der A. carotis interna

Ein 60-Jähriger stellte einen Antrag auf Begutachtung. Er sei vom HNO-Arzt wegen Schulter- und Nackenschmerzen mit wiederkehrendem Taubheitsgefühl der Finger rechts am 12. Mai zur Duplexsonographie der Halsgefäße mit unauffälligem Ergebnis und am 17. Mai zur HWS-Computertomographie bei „Neuropathia vestibularis und V. a. Bandscheibenprolaps im Rahmen von Tätigkeiten über Kopf“ andernorts vorgestellt worden. Laut Befund fand sich eine Osteochondrose und Unkarthrose C5/6 mit geringfügiger Protrusion und Tangieren der Nervenwurzel C6.

Am 18. Mai suchte der Patient den belasteten Orthopäde auf, der laut seiner Stellungnahme nur eine orthopädische Ganzkörperuntersuchung im Stand, in Bauch- und Rückenlage sowie eine orientierende neurologische Untersuchung durchführte, aber keine Behandlung. Auch die Dokumentation deutet auf eine detaillierte klinische und chirodiagnostische Untersuchung nach dem Facharztstandard hin. Dokumentiert wurde zudem eine ausführliche Beratung zu den gefundenen Funktionsstörungen und deren Ursachen. Verordnet wurde „Krankengymnastik zur Detonisierung“.

Demgegenüber schildert der Patient, dass die Untersuchung „sitzend, stehend und dann im Liegen unfreundlich bis aggressiv stattgefunden“ habe, sein Kopf sei „kraftvoll und ruckartig hin- und herbewegt“ worden mit deutlicher Gewalt, sodass seine Brille von der Nase gefallen sei, und die Untersuchung sei von „starken Schmerzen“ begleitet gewesen, sodass er „Aufhören gefordert“ habe. Im Anschluss habe eine „bis dahin nicht bekannte Gangstörung“ bestanden, sodass er beim Aufstehen von der Liege mit „dem rechten Bein weggeknickt“ sei. Die „Beschwerden hätten fortbestanden und nach 2 Tagen wäre er morgens mit einer Rechtsseitenlähmung erwacht“.

Andernorts wurde am 20. Mai eine „im zeitlichen Zusammenhang mit einer wegen Nackenschmerzen durchgeführten chiropraktischen Behandlung“ eingetretene Dissektion der A. carotis interna mit Mediainfarkt festgestellt.

Festgestellter Fehler

Nach Auffassung des Gutachters kann durch eine fehlerhafte, viel zu kräftige Mobilisation der HWS eine Dissektion der A. carotis interna durchaus ausgelöst werden. Während der Patient eine „ruckartige, kraftvolle Mobilisation der HWS in verschiedenen Richtungen“ beschreibt, gibt der Arzt an, er habe den Patienten „nur untersucht, nicht mobilisiert“. Eineschriftliche Einwilligung in eine vorgesehene Mobilisierung sei zuvor am Tresen“ unterschrieben worden. Niedergelegt ist, dass bereits zuvor „eine Gang- und Standunsicherheit – ataktisch – unsicher, mit Quadrizepsschwäche“ bestanden habe. Der Patient bestreitet dies. Hätten diese – wie der Arzt vorgibt – tatsächlich vorgelegen, hätte auf jeden Fall eine Kontraindikation zur Manipulation bestanden. Erforderlich wäre auch eine sofortige Überweisung zur weiteren neurologischen Diagnostik gewesen. Die Angaben des Patienten zur „neu aufgetretene Gangunsicherheit“ sprechen aus Sicht des Gutachters dafür, dass doch ein Rotationsimpuls der HWS gegeben wurde und zur Gefäßschädigung – möglicherweise bei Vorschädigung – geführt hat. Der linkshemisphärische Mediainfarkt mit den Folgen ist daher vom Orthopäden zu verantworten.

Typische Fehler

In den hier beschriebenen 5 exemplarischen Fällen sind folgende Fehler typisch:

  • Ungenügende Anamnese- und Befunderhebung und -dokumentation

  • Zu lange zurückliegende oder fehlende Aufklärung

  • Keine Röntgenkontrolle bei alten Patienten

  • Zu brüskes Vorgehen

Rechtsprechung

Von den schon im Beitrag von 2004 erwähnten 9 Gerichtsurteilen (seit 1976), die sich mit chiropraktischen Behandlungen befassten, galten allein 5 einer unzureichenden Risikoaufklärung [17]. Daran hat sich nichts geändert.

  • Auch bei äußerster Sorgfalt sei bei Manipulationen an der HWS eine Gefäßverletzung möglich, weshalb darüber aufgeklärt sein müsse, so OLG Düsseldorf 2001Footnote 1. Ein nach Chiropraxis aufgetretener Schlaganfall lasse nicht zwingend den Schluss auf ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen zu.

  • Wenn nach einem Test nach de Kleyn eine Komplikation durch Gefäßverletzung auftrete, so belege dies nach Auffassung des OLG Köln 2001Footnote 2 einen fehlerhaft durchgeführten Test. (Anmerkung: Die Testuntersuchung nach de Kleyn ist nicht mehr üblich, da gleichzeitige Extension und Rotation gemieden werden sollten [14]).

  • Eine Chiropraxis bei nicht ausgeschlossenem Bandscheibenvorfall könne ein grober Behandlungsfehler sein, die zum Ausschluss erforderliche Untersuchung müsse als durchgeführt in der Dokumentation belegt sein, so OLG Hamm am 24.10.2001Footnote 3

  • Welches Ausmaß eine Aufklärung haben müsse, war 2008 Inhalt eines Urteils des OLG OldenburgFootnote 4: Im „Großen und Ganzen“ könne auch unzureichend sein. Fehle die notwendige Risikoaufklärung über spezielle Risiken, fehle auch die Einwilligung und der Eingriff sei rechtswidrig.

  • Es bestünde nach einem Urteil des LG Baden-Baden in 2014Footnote 5 keine separate Dokumentationspflicht für eine Probemobilisation, weil deren Dokumentation nicht mit einem Erkenntnisgewinn für einen Nachbehandler verbunden sei.

  • Das OLG Dresden urteilte 2016Footnote 6, dass eine Aufklärung nicht nur belegt, sondern auch genügend zeitnah erfolgen müsse. Der Patient müsse sie in „voller Erinnerung“ haben.

Schlussfolgerungen aus der Auswertung aller Fälle 2004–2017

Typischerweise vermuten die Patienten seit jeher Bandscheibenschädigungen sowie Frakturen und Gefäßdissektionen in Zusammenhang mit der manuellen Therapie. Das Auslösen solcher Veränderungen durch eine sachgerechte Vorgehensweise ist nach Auffassung der Gutachter ausgeschlossen, wenn der Arzt zuvor ausreichend untersucht und mögliche Kontraindikationen ausgeschlossen hat.

Würde man allein die Behandlungsdokumentationen der ausgewerteten Fälle zugrunde legen, müsste verallgemeinernd gefolgert werden, dass die im klinischen Alltag sehr häufig bei Schmerzpatienten durchgeführten chirotherapeutischen Manipulationen teilweise zu beiläufig vorbereitet und vom Arzt bezüglich der Indikation, Durchführung und Einwilligung nicht ausreichend dokumentiert werden.

Über diese Erfahrungen berichtete auch die Schlichtungsstelle der norddeutschen Ärztekammern unter Benennung von 4 exemplarischen Falldarstellungen [15].

Mögliche Risiken und Komplikationen wurden 2014 in „Stellungnahmen und Empfehlungen zu den Leitlinien zur Aus- und Weiterbildung“ durch von Heymann und Terrier [19] unter einer ausführlichen Sichtung der Literatur erörtert. Demnach bleibt es ein Problem, Situationen zu erkennen, in denen sich die zufällige und nicht vorhersehbare Dissektion einer Vertebralarterie gerade anbahnt. Nach Rothwell [28] ist eine Voraussage durch die Untersuchung kaum möglich. Ob dieses Risiko zu erleben, unter einer fachgerecht erfolgten Chirotherapie nun 1:400.000 oder 1:1.000.000 beträgt (z. B. [24]), bleibt irrelevant. Zuletzt belegte Bekele [1] in einer retrospektiven Analyse von 40 Fällen von Dissektionen der Halsgefäße deren tatsächliche Ursachen – in keinem Fall war eine Chirotherapie vorausgegangen.

Voraussetzungen für die Indikationsstellung zu einer Chirotherapie sind neben einer differenzierten Anamneseerhebung zu aktuellen und vorbestehenden Erkrankungen eine allgemeine sowie manualmedizinisch-neurologische Untersuchung, um mögliche Kontraindikationen vor der Therapie zu erkennen. Dabei ist zu klären, ob eine Röntgenuntersuchung des betroffenen Wirbelsäulenabschnitts erforderlich ist [2, 20, 21, 23].

Ein Risikoaufklärungsgespräch mit dem Patienten und dessen Einwilligung in die für erforderlich gehaltene chirotherapeutische Maßnahme sind unabdingbar und sollten ebenso dokumentiert werden [34] wie die Art und Weise der vorgenommenen Behandlung, die für einen anderen Arzt nachvollziehbar sein muss. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass es bei vorbestehenden Bandscheibenschäden durch die manualmedizinische Behandlung zur Auslösung einer radikulären Symptomatik und extrem selten auch unter der Therapie zu einer Gefäßschädigung mit bleibenden Hirnschäden kommen kann. All dies ist bereits seit vielen Jahren bekannt und immer wieder in der einschlägigen Literatur und auch in dieser Zeitschrift behandelt worden, so bei Böhni et al. [9, 10], Bischoff [3,4,5,6,7] und weiteren Autoren [13]. Die Problematik findet auch in den Leitlinien zur Ausbildung in manueller Medizin Berücksichtigung [19]. Abschließend ließe sich die gleiche Feststellung treffen wie im Jahr 2004, dass sich alle Behandlungsfehler bei einem Vorgehen nach den Bingener Empfehlungen [13] hätten vermeiden lassen.

Im Patientenrechtegesetz heißt es in § 630 Abs. 2 BGB u. a.:

Der Behandelnde ist verpflichtet, sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die

  • Anamnese,

  • Diagnosen,

  • Untersuchungen,

  • Untersuchungsergebnisse,

  • Befunde,

  • Therapien und ihre Wirkungen,

  • Eingriffe und ihre Wirkungen,

  • Einwilligungen und

  • Aufklärung

In dieser Aufzählung (siehe auch [37]), die für alle ärztlichen Handlungen gilt, ist festgehalten, was es zu beachten und zu dokumentieren gilt. Dies lässt sich auch bereits den Bingener Empfehlungen entnehmen. Dort hieß es schon 1995: „Die Dokumentation muss zeitnah, ausreichend, nachvollziehbar bezüglich einzelner Vorgänge und für andere Ärzte verständlich sein.“ Im damaligen Text wurde bereits eine kritische Anmerkung zur diagnostischen Probemanipulation (Probezug) gemacht, weil es „derzeit eine kontroverse Diskussion über die Notwendigkeit und Aussagekraft des de Kleijn’schen Testes“ gab. Auf diesen Test wird inzwischen verzichtet; die Probemanipulation (z. B. in der Form des Probezugs) wird als eine medizinische Selbstverständlichkeit angesehen, die nicht dokumentationspflichtig ist und auch fast immer negativ ausfällt.