Aufgrund der Aktualität immer wieder gestellter Fragen zur manualmedizinischen Behandlung an der Halswirbelsäule wird hier umfänglich aus einem Urteil vom 04.07.2014 (AZ 2 O 161/11 LG Baden-Baden) zitiert, das ausführliche Darlegungen und juristische Erörterungen zu diesen Fragestellungen bietet. Die Ausführungen geben auch Einblick in die verschiedenen Facetten der gerichtlichen Auseinandersetzung.

Urteil

Im Rechtsstreit … wegen Arzthaftung hat das Landgericht Baden-Baden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 06.06.2014 für Recht erkannt:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

Chiropraktische Behandlung … bei 47-jähriger Hausfrau … nach Autounfall, wobei die Patientin (P) sich eine Schulterprellung links, eine Beckenprellung links und ein HWS-Schleudertrauma zugezogen hat. Am Unfalltag wurde eine Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt, aus welcher u. a. eine Protrusion im Bereich der Halswirbelkörper (HWK) 3/4 zu erkennen war. Am 29.06. begab sich die P erstmals wegen pochend-bohrender, anfallsartiger Kopfschmerzen in der linken Kopfhälfte in Richtung des Nackens, pulsierendem Tinnitus und Schlafstörungen zum Arzt.

Der jetzt beklagte Arzt empfahl zur Linderung der Beschwerden manualmedizinische Maßnahmen, um den neuromonitorischen Funktionskreislauf wiederherzustellen. Die Therapie sollte in eine rumpfstabilisierende Krankengymnastik münden. Sowohl am 29.06. als auch am 02.07. und 05.07. wurden jeweils manualmedizinische Maßnahmen durchgeführt … Eine Blockade an der rechten Seite der HWS wurde gelöst, die Blockaden an der linken Seite behandelt und vereist. Am 02.07. zeigte sich zunächst keine Verbesserung des Gesundheitszustandes der P. Am 05.07. war dagegen eine deutliche Besserung der Beschwerden zu verzeichnen. Beim weiteren Termin am 15.07. teilte die P mit, dass es ihr besser ginge. Es wurde u. a. eine weitere Impulsbehandlung (Atlasbehandlung) der Kopfgelenke durchgeführt und die P nach Hause entlassen. In der Folgezeit traten starke gesundheitliche Beschwerden auf, beginnend mit Kopfschmerzen und Schwindel. Am 19.07. wurde die P nochmals beim Arzt vorstellig. Dieser diagnostizierte eine Blockade der Kopfgelenke, löste diese mittels einer nochmaligen Impulsbehandlung und schickte die P zur Weiterbehandlung zu ihrem Hausarzt. Der Gesundheitszustand der P verschlechterte sich in der Folgezeit zusehends. Wegen persistierender Schmerzen war die P am 27.07., 02.08. und 03.08. wiederholt bei ihrem Hausarzt in Behandlung. Ein Antidepressivum wurde verschrieben. Am 18.08. wurde eine MRT durchgeführt. Anhand des MRT-Befundes wurde durch den behandelnden Arzt ein medianer Bandscheibenvorfall im Segment HWK 3/4 mit deutlicher Kompression des Rückenmarks diagnostiziert. Am 24.08. wurde die Klägerin stationär im Universitätsklinikum aufgenommen, wo am 25.08. eine Bandscheibenoperation durchgeführt wurde. Die P wurde am 30.08. aus der stationären Behandlung entlassen, anschließend unterzog sie sich einer Rehabilitationsbehandlung in einer Klinik. Sie leidet auch nach 3 Jahren noch unter erheblichen Schmerzen und befindet sich in schmerztherapeutischer und krankengymnastischer Behandlung.

Behauptung der Klägerin

Eine chiropraktische Behandlung sei bei dem vorhandenen Beschwerdebild kontraindiziert gewesen. Eine manualmedizinische Maßnahme, die Behandlung der Blockaden an der Wirbelsäule, das Vereisen der linken Seite der HWS und das Einrenken der rechten Seite der HWS, um Blockaden zu lösen, seien bei ihr kontraindiziert gewesen. Nach dem erlittenen Unfalltrauma wäre es angezeigt gewesen, 6 Monate zu warten, bevor chiropraktische medizinische Maßnahmen durchgeführt werden.

Die chiropraktische Behandlung sei überdies fehlerhaft gewesen. Das Prinzip der Probemobilisation, d. h. eine langsame mobilisierende Bewegung in Richtung des vorgesehenen Impulses, sei von dem Beklagten bei seiner Behandlung am 15.07. nicht beachtet worden. Der Arzt habe vielmehr ein überraschendes und unangekündigtes Einrenkmanöver auf der linken Seite der HWS durchgeführt, was als grob behandlungsfehlerhaft anzusehen sei. Der bei ihr diagnostizierte mediane Bandscheibenvorfall im Segment HWK 3/4 sei durch die Behandlung des Beklagten am 15.07. ausgelöst worden.

Vor der weiteren Behandlung am 19.07. hätte seitens des Beklagten ein Röntgenbild, ein MRT oder ein Computertomogramm (CT) angefertigt werden müssen, um sich angesichts der vorhandenen Beschwerden zu vergewissern, dass ein Bandscheibenvorfall nicht besteht. Bei dem am 19.07. bestehenden Gesundheitszustand sei es kontraindiziert gewesen, die behauptete vorhandene Blockade der Kopfgelenke mit einer weiteren Impulsbehandlung zu lösen. Der Beklagte habe hierdurch ihren gesundheitlichen Zustand weiter verschlechtert.

Schließlich sei sie im Vorfeld der Behandlung nicht über die mit Manipulationen an der Wirbelsäule verbundenen Risiken aufgeklärt worden. Aufgrund der mit der fehlerhaften Behandlung einhergehenden Schmerzen – sie leide seither unter einem chronischen Zervikalsyndrom und einem chronischen Schmerzsyndrom – sei der Beklagte zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von mindestens 25.000 EUR verpflichtet. Ferner könne sie seit der Behandlung in der Praxis des Beklagten ihrer Berufstätigkeit nicht mehr nachgehen und sei in ihrer Haushaltsführung erheblich eingeschränkt …

Behauptung des Beklagten

Der Beklagte behauptet, sämtliche Manipulationen an der Wirbelsäule seien korrekt durchgeführt worden.

Von einer Kontraindikation könne angesichts der Beschwerdesituation der Klägerin keine Rede sein. Die Behandlung seitens des Beklagten habe im Gegenteil entscheidende Erfolge erbracht. Die Klägerin sei keine akute Unfallpatientin gewesen, sondern habe ein chronisches Krankheitsbild gezeigt. Auf dem MRT, das nach dem Unfall der Klägerin am 06.05. erstellt wurde, sei auch keinerlei Bandscheibenvorfall erkennbar gewesen, welcher zu einer Kontraindikation der manualmedizinischen Behandlung hätte führen können. Zudem sei am 29.06. nicht jede internistische bzw. neurologische Differenzialdiagnose abschätzbar gewesen. Am 15.07. seien noch deutliche Verspannungen in der Schulter- und Nackenregion sowie eine Asymmetrie der Kopfgelenke vorhanden gewesen, weswegen der Beklagte nochmals eine Impulsbehandlung vorgenommen habe. Die am 15.07. durchgeführte Behandlung sei für den später diagnostizierten Bandscheibenvorfall im Segment C3/4 nicht ursächlich.

Am 19.07. habe auch keine Veranlassung zu einer weitergehenden Diagnostik bestanden, da zum Zeitpunkt des Besuchs der Klägerin in der Praxis des Beklagten neurologische Befunde nicht nachweisbar waren und eine Hypotonie der Klägerin und andere Begleitsymptome im Vordergrund standen. Die am 19.07. durchgeführte Impulsbehandlung sei nicht behandlungsfehlerhaft gewesen. Im Allgemeinen bestehe kein Zusammenhang zwischen der Behandlung des Beklagten und dem später bei der Klägerin diagnostizierten Bandscheibenvorfall. Das Prinzip der Probemobilisation, d. h. das Austesten des freien Gelenkspiels, sei zu jedem Zeitpunkt beachtet worden. Schließlich habe der Beklagte am 29.06. ein sehr ausführliches Anamnesegespräch mit der Klägerin geführt und dabei die gesamte Beschwerdesymptomatik und den Ablauf der Behandlung besprochen. Dies habe er auch in seiner Karteikarte entsprechend dokumentiert. Der Klägerin stünden daher die geltend gemachten Ansprüche nicht zu.

Entscheidung und Begründung

Dem Beklagten ist weder ein Behandlungs- noch ein Aufklärungsfehler anzulasten. Jedenfalls sind die Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin nicht kausal auf die chiropraktische Behandlung des Beklagten zurückzuführen. Für die mit der Klage geltend gemachten materiellen Schadensersatzansprüche gilt Entsprechendes.

1. Ein Behandlungsfehler des Beklagten konnte im Rahmen der durchgeführten Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung der Kammer nachgewiesen werden. Die chiropraktische Behandlung war indiziert und wurde entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt. Ein Fehler in der Befunderhebung ist dem Beklagten nicht vorzuwerfen.

a) … ist ein Arzt im Rahmen der von ihm vorgenommenen Heilbehandlung verpflichtet, nach den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst vorzugehen, d. h. den medizinischen Standard des jeweiligen Fachgebiets einzuhalten. Der Arzt muss dazu, bei der ihm im Rahmen der Heilbehandlung obliegenden Sorgfaltspflicht, diejenigen Maßnahmen ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs vorausgesetzt und erwartet werden. Ob ein Arzt seine berufsspezifische Sorgfaltspflicht verletzt hat, ist in erster Linie eine Frage, die sich nach objektiven medizinischen Maßstäben richtet und mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens zu klären ist...

Die Voraussetzungen eines Behandlungsfehlers und dessen Ursächlichkeit für den geltend gemachten Gesundheitsschaden muss grundsätzlich der Patient darlegen und beweisen (BGH VersR 2003, 1256). Eine Beweislastumkehr kommt lediglich bei groben Behandlungsfehlern in Betracht. Ein solcher liegt vor, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH, NJW 1983, 2080; NJW 1988, 2303; NJW 1992, 754).

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Vorgehen des Beklagten nicht als behandlungsfehlerhaft zu qualifizieren. Denn nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die chiropraktische Behandlung am 29.06., 02.07., 03.07. und 15.07 notwendig war und lege artis, d. h. entsprechend den anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wurde...

Im Hinblick auf die Problematik der Indikation der durchgeführten chiropraktischen Behandlung als solcher kommt der Sachverständige … zu dem überzeugenden Schluss, dass diese sowohl hinsichtlich der Behandlung der Blockaden, dem Vereisen der linken Seite der Halswirbelsäule als auch dem Einrenken der rechten Halswirbelsäule nicht kontraindiziert war. Nach mehr als 7 Wochen nach dem Verkehrsunfall vom 06.05. sei nicht mehr von einer akuten Traumafolge, sondern einem chronischen Erkrankungsgeschehen auszugehen … ergänzend, dass im Rahmen der im Anschluss an das Unfallereignis am 06.05. angefertigten CT-Aufnahme keine frische strukturelle Schädigung der Halswirbelsäule nachzuweisen war. Es sei lediglich zu einer Zerrung der Halswirbelsäule ohne diskoligamentäre Verletzung gekommen, sodass nicht von einer Kontraindikation gesprochen werden könne. Die Ausführungen des Sachverständigen sind überzeugend und nachvollziehbar …

c) Eine Haftung des Beklagten lässt sich auch nicht unter Rückgriff auf einen sog. Befunderhebungsfehler herleiten. Ein solcher liegt nicht vor.

Von einem Befunderhebungsfehler ist immer dann auszugehen, wenn die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen wird. Im Unterschied dazu liegt ein Diagnoseirrtum vor, wenn der Arzt erhobene oder sonst vorliegende Befunde falsch interpretiert und deshalb nicht die aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs gebotenen – therapeutischen oder diagnostischen – Maßnahmen ergreift (BGH NJW 2011, 1672; NJW 2008, 1381). Ein Verstoß gegen die Befunderhebungspflicht kann im Einzelfall zu Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislastumkehr zu Gunsten des Patienten führen (vgl. BGH NJW 1996, 1589).

Vorliegend wirft die Klägerin dem Beklagten einen Befunderhebungsfehler dahingehend vor, im Vorfeld der weiteren Behandlung am 19.07.2010 kein Röntgenbild, MRT oder CT angefertigt zu haben. Diese Behauptung der Klägerin wird jedoch vom Sachverständigen im Rahmen seines Gutachtens ebenfalls überzeugend widerlegt … war die Anfertigung eines Röntgenbildes, einer MRT- oder einer CT-Untersuchung im Vorfeld der Behandlung vom 19.07. nicht erforderlich. Eine wesentliche Befundänderung im Vergleich zu den Vorbefunden vom Unfalltag habe nicht vorgelegen. Die klinische Symptomatik sei nicht typisch für einen Bandscheibenvorfall gewesen. Wegweisende Symptome im Sinne einer Schmerzausstrahlung in die Arme oder sensible oder motorische Ausfälle an Armen und Beinen hätten sich nicht gezeigt. Auch wegen des neu aufgetretenen Schwindels und der Nackenschmerzen sei keine weiterführende Diagnostik angezeigt gewesen. Es handle sich insoweit... um reine Alltagsbeschwerden. Sog. Kardinalsymptome (z. B. Blasenschwäche), welche eine weitere Diagnostik notwendig machen, seien demgegenüber am 19.07. nicht vorhanden gewesen.

Im Übrigen stellt der Sachverständige in seinem Gutachten in diesem Zusammenhang fest, dass auch die weitere Impulsbehandlung am 19.07. trotz der vorhandenen Beschwerden auf Seiten der Klägerin nicht kontraindiziert war, da keine Änderung der Symptomatik vorlag. Die Wiederholung einer derartigen Manipulation an der Wirbelsäule sei … bei gleichbleibender Symptomatik nicht als behandlungsfehlerhaft zu bewerten. Auch die weitere Behandlung nach dem 15.07. wurde lege artis durchgeführt.

d) Des Weiteren liegt ein Behandlungsfehler auch nicht deshalb vor, weil bei der Behandlung am 15.07. von dem Beklagten das sog. Prinzip der Probemobilisation, d. h. eine langsame mobilisierende Bewegung in Richtung des vorgesehenen Impulses, nicht beachtet worden ist. Der Nachweis eines Behandlungsfehlers konnte auch insoweit nicht zur Überzeugung der Kammer geführt werden.

Am 15.07. hat der Beklagte unstreitig eine weitere Impulsbehandlung (Atlasbehandlung) der Kopfgelenke durchgeführt. Die Parteien machten im Rahmen der informatorischen Anhörung … widersprüchliche Angaben zum Ablauf der Behandlung am 15.07. Während der Beklagte angab, einen Probezug durchgeführt zu haben, da ohne eine solche Vorspannung eine Manipulation an der Wirbelsäule nicht möglich sei, äußerte sich die Klägerin dahingehend, dass der Beklagte die Impulsbehandlung „richtig überfallartig“ an ihr durchgeführt habe. Sie sei davon völlig überrascht gewesen.

Eine Dokumentation einer ProbemobilisationFootnote 1 hat unstreitig nicht stattgefunden. Auch der Sachverständige kommt … zu dem Ergebnis, dass sich den Patientenunterlagen eine solche nicht entnehmen lässt. Eine genaue Bezeichnung des chirotherapeutischen Verfahrens sei nicht dokumentiert. Nichtsdestotrotz lässt sich aus der unterbliebenen Dokumentation im vorliegenden Fall nach Auffassung der Kammer nicht auf einen Behandlungsfehler des Beklagten rückschließen.

Wird die Dokumentationspflicht verletzt, so wirkt sich dies vor allem beweisrechtlich aus. Eine unvollständige oder lückenhafte Dokumentation bildet keine eigenständige Anspruchsgrundlage. Ist ein Vorgang, den man hätte aufzeichnen müssen, in der Patientendokumentation nicht enthalten, so spricht dies dafür, dass er nicht vorgenommen worden ist. Beweiserleichterungen wegen einer mangelhaften Dokumentation setzen zunächst voraus, dass die Behandlungsseite eine Dokumentation versäumt hat, die aus medizinischer Sicht erforderlich gewesen wäre. Die Dokumentationspflicht dient nämlich der Sicherstellung wesentlicher medizinischer Daten und Fakten für den weiteren Behandlungsverlauf und nicht der Sicherung von Beweisen für einen späteren Haftungsprozess. Eine Dokumentation, die aus medizinischer Sicht nicht erforderlich ist, ist auch aus Rechtsgründen nicht geboten … Aus diesem Grund ist eine Maßnahme nur dann in den Krankenunterlagen zu vermerken, wenn dies erforderlich ist, um Ärzte und Pflegepersonal über den Verlauf der Krankheit und die bisherige Behandlung für ihre künftigen Entscheidungen ausreichend zu informieren. Es kommt maßgeblich auf den therapeutischen Nutzen der Aufzeichnung, nicht hingegen auf die Nachvollziehbarkeit der von dem Arzt vorgenommenen Handlungen an. Die Wiedergabe von medizinischen Selbstverständlichkeiten ist nicht geboten, da sich in der Regel schon aus dem Schweigen der Dokumentation zu den üblichen, doch medizinisch unwesentlichen Zwischenschritten, ergibt, dass diese unter Beachtung der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt worden sind (OLG Koblenz NJW-RR 2007, 405; OLG Naumburg NJW-RR 2009, 32).

Für den hier zur Entscheidung stehenden Fall bedeutet dies, dass ein Verstoß gegen die Dokumentationspflicht nicht gegeben ist. Der Sachverständige stellt … glaubhaft klar, dass ihm trotz intensiver Recherchen keine Unterlagen bekannt seien, aus welchen sich ergibt, dass ein Probezug separat zu dokumentieren ist … Der Behandlungsablauf sei für einen etwaigen Nachbehandler nachvollziehbar. Es müsse nicht jeder einzelne Handgriff explizit aufgezeichnet werden... Die Manipulation an der Wirbelsäule und der Probezug stünden in einem inneren Zusammenhang. Beides werde gemeinsam gemacht. Für einen Nachbehandler sei es uninteressant, ob eine Probemobilisation gemacht wurde oder nicht. Ein Erkenntnisgewinn sei damit nicht verbunden.

Zusammenfassend ist somit festzuhalten,

  • dass kein Dokumentationsfehler vorliegt. Die chiropraktische Manipulation an der Wirbelsäule ist dokumentiert. Das sog. Prinzip der Probemobilisation ist nicht separat dokumentationspflichtig, da die Information hierüber für einen etwaigen Nachbehandler ohne therapeutischen Nutzen ist …

2. Davon abgesehen scheidet eine Haftung des Beklagten wegen eines Behandlungsfehlers im vorliegenden Fall deshalb aus, weil der auch in dieser Hinsicht vollumfänglich darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen den behaupteten Behandlungsfehlern und der geltend gemachten Gesundheitsschädigung (haftungsbegründende Kausalität) nicht gelungen ist. Denn der Sachverständige kommt … bei seinen Ausführungen … zu dem nachvollziehbaren Schluss, dass sich der neuen CT-Aufnahme vom 18.08. keine frischen Verletzungen in Form von Einblutungen oder Ödembildungen entnehmen lassen. Ein traumatischer, durch die Manipulation hervorgerufener Bandscheibenvorfall sei nicht nachweisbar. Letzterer hätte sich vielmehr auch ohne die streitgegenständliche Behandlung aufgrund einer beliebigen Gelegenheitsursache (z. B. bloßes Husten) entwickeln können. Die Auslösung eines Bandscheibenvorfalls durch eine chiropraktische Behandlung sei bislang in keinem einzigen Fall nachgewiesen worden. Es handle sich insgesamt um einen schicksalshaften Geschehensablauf. Die Behandlung des Beklagten sei nicht ursächlich für den Bandscheibenvorfall, da man ansonsten in der MRT-Aufnahme vom 18.08. frische Verletzungen hätte erkennen können …

3. Darüber hinaus kann die Klägerin ihre Ansprüche auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie Ersatz der materiellen Schäden auch nicht auf eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht stützen … Eine Aufklärungspflichtverletzung ist nicht gegeben. Ferner fehlt es an der Kausalität zwischenbehaupteter Aufklärungspflichtverletzung und der eingetretenen Gesundheitsschädigung.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt aus dem Selbstbestimmungsrecht und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Patienten der Grundsatz, dass ärztliche Heileingriffe grundsätzlich nur dann rechtmäßig sind, wenn der Patient in die Heilbehandlung eingewilligt hat. Eine solche Einwilligung kann nur dann wirksam erteilt werden, wenn der Patient über den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche Behandlungsalternativen mit wesentlich anderen Belastungen, Chancen und Gefahren im Großen und Ganzen aufgeklärt worden ist (BGH NJW 1959, 811; NJW 1989, 1533; NJW 2006.2108). Art und Umfang der Aufklärung sind am Empfängerhorizont des Patienten und nicht an demjenigen eines Mediziners auszurichten. Es kommt darauf an, dem Patienten einen zutreffenden allgemeinen Eindruck von der Schwere des Eingriffs und der Art der Belastungen zu vermitteln. die sich für seine Gesundheit und Lebensführung aus dem Eingriff ergeben können. Nicht erforderlich ist die exakte medizinische Beschreibung der in Betracht kommenden Risiken. Dem Patienten muss aber eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren vermittelt werden (BGH NJW 1984, 1397; NJW 2006, 2108 m.w.N.). Die Darlegungs- und Beweislast für die Durchführung der erforderlichen Aufklärung obliegt dabei, auch im Rahmen der vertraglichen Haftung nach § 280 BGB, dem behandelnden Arzt. An den Nachweis der Aufklärung dürfen dabei keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden (BGH NJW 1985, 1399).

b) Nach dem Ergebnis der durchge führten Beweisaufnahme und unter Zugrundelegung der vorstehenden Erwägungen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin im Vorfeld hinreichend über die Risiken der streitgegenständlichen Behandlung aufgeklärt wurde.

Der Beklagte schilderte in seiner informatorischen Anhörung … glaubhaft, dass über Risiken gesprochen worden sei. Am 29.06. habe ein 40-minütiges Anamnesegespräch stattgefunden, in dessen Verlauf er über die Art, die Vorgehensweise und die Intention der Behandlung aufgeklärt habe. Er habe mit der Klägerin insbesondere über die reflektorischen Folgen, z. B. eine länger anhaltende Übelkeit, gesprochen. Das Anamnesegespräch sei in der Behandlungsdokumentation … mit der Ziffer 34 vermerkt worden. Auch habe der Beklagte die Klägerin darüber aufgeklärt, dass die Halsschlagader infolge einer Anomalie einen Schaden erleiden kann. Über die Gefahr eines Bandscheibenvorfalls sei nicht gesprochen worden, da keine Manipulationen an der mittleren Halswirbelsäule geplant gewesen seien.

Die Klägerin erklärte in ihrer informatorischen Anhörung ebenfalls, dass im Vorfeld der ersten Behandlung ein ausführliches Anamnesegespräch stattgefunden hat. Dabei sei nicht über Risiken gesprochen worden. Über das Risiko eines Bandscheibenvorfalls sei nicht gesprochen worden. Nicht ausschließen könne sie, dass über Kopfschmerzen und Übelkeit gesprochen wurde. Weitere Risiken, etwa die Gefahr eines Schlaganfalls, seien nicht thematisiert worden. Über die Anzahl der geplanten Behandlungen sei nicht gesprochen worden.

Unter Würdigung der wechselseitigen Schilderungen der Parteien kommt die Kammer zu der Überzeugung, dass eine hinreichende Aufklärung über die Risiken der Behandlung stattgefunden hat. Die Angaben des Beklagten sind glaubhaft und nachvollziehbar. Der Beklagte räumt insbesondere unumwunden ein, dass über die Gefahr eines Bandscheibenvorfalls nicht aufgeklärt wurde. Auch decken sich die Äußerungen des Beklagten in wesentlichen Punkten (Stichwort Anamnesegespräch, Aufklärung über Übelkeit etc.) mit denjenigen der Klägerin. Schon anhand der übereinstimmenden Angaben der Parteien steht damit fest, dass es jedenfalls ein Anamnesegespräch gegeben hat, bei welchem über mögliche Risiken gesprochen worden ist...

… Einer expliziten Aufklärung über die Gefahr eines Bandscheibenvorfalls bedurfte es dabei nicht. Denn der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass noch nie ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer chiropraktischen Manipulation an der Halswirbelsäule und einem Bandscheibenvorfall nachgewiesen werden konnte. Es wird auf obige Ausführungen unter 1. d) verwiesen. Infolgedessen handelt es sich bei der behaupteten Gefahr eines Bandscheibenvorfalls auch nicht um ein aufklärungspflichtiges Risiko, sodass es einer Aufklärung darüber nicht bedurfte.