Zusammenfassung
Hintergrund und Fragestellung
Pädiatrische Notfallsituationen machen in Deutschland lediglich 2–9% der Notarzteinsätze aus. Dies bedeutet, dass jeder Notarzt durchschnittlich nur alle 1,1 bis 1,3 Monate mit einem pädiatrischen Notfall konfrontiert wird. Bislang gibt es nur wenige Untersuchungen über das Ausmaß „invasiver“ Techniken und Maßnahmen (z. B. vaskulärer Zugang, endotracheale Intubation, Anlage einer Thoraxdrainage) bei pädiatrischen Notfallpatienten in deutschen Notarztsystemen. Ziel der vorgestellten Studie ist es, exemplarisch die diesbezügliche „Einsatzrealität“ aus dem Bereich des Luftrettungsdienstes aufzuzeigen.
Methode
Über einen Zeitraum von 4 Jahren wurden retrospektiv die pädiatrischen Einsätze (Patienten jünger als 18 Lebensjahre) der Rettungshubschrauberstation ausgewertet.
Ergebnisse
Im Beobachtungszeitraum wurden insgesamt 5826 Einsätze durchgeführt, mit einem Anteil pädiatrischer Notfälle von 11,0%. Am häufigsten betroffen waren Kinder in der Altersgruppe vom ersten bis fünften Lebensjahr (29,2%) sowie vom vierzehnten bis siebzehnten Lebensjahr (25,8%). Der Anteil an Patienten mit Schweregrad IV–VII im National Advisory Committee of Aeronautics (NACA) Score betrug 59,3%. Bezogen auf das pädiatrische Gesamtkollektiv dominierte der traumatologische Notfall (57,9%). Unter Berücksichtigung der Altersgruppen zeigte sich allerdings, dass die Häufigkeit des Traumas mit zunehmendem Alter anstieg. Bezüglich der etablierten Überwachungsmaßnahmen ergab sich ebenso ein altersabhängiges Bild: Mit zunehmenden Alter stieg der Unfang des Monitorings. Ein Gefäßzugang wurde in 81,5% der Fälle etabliert (davon 2,5% intraossäre Punktionen). Eine endotracheale Intubation wurde in 20,7% der prädiatrischen Notfallpatienten durchgeführt (davon in 92,5% mit medikamentöser Narkoseinduktion). Die Anlage einer Thoraxdrainage war im Beobachtungszeitraum lediglich bei 1,2% der Kinder notwendig.
Schlussfolgerung
Pädiatrische Patienten in der Luftrettung zeichnen sich durch eine hohe Erkrankungs- bzw. Verletzungsschwere aus. Dabei sind in einem hohen Prozentsatz invasive Maßnahmen durchzuführen. Ein speziell auf dieses Kollektiv abgestimmtes Angebot einer notärztlichen Zusatzausbildung erscheint sinnvoll.
Abstract
Background
In Germany only 2–9% of rescue missions performed by emergency physicians are pediatric emergencies. Therefore, an emergency physician has to deal with a pediatric emergency on average every 1.1–1.3 months. There are only a few studies in the literature evaluating the frequency of “invasive” techniques and procedures (e.g. vascular access, endotracheal intubation, alternative airway techniques and insertion of chest tube) in pediatric patients in the prehospital setting performed by German emergency physicians. The purpose of this study was to evaluate the frequency of these kinds of procedures in pediatric emergencies in the field of the Helicopter Emergency Medical Service (HEMS).
Methods
Evaluation of pediatric emergencies (defined as <18 years of age) over a 4 year period at the Helicopter Emergency Medical Service (HEMS) was carried out retrospectively.
Results
During the study period 5,826 rescue missions (4,778 primary rescue missions, 571 inter-hospital transfers and 461 others) were completed. A total of 643 (11%) pediatric emergency patients were treated by the HEMS team. Out of this pediatric study group 16.3% had an initial Glasgow Coma Score (GCS) <9 and 59.3% were rated IV–VII on the National Advisory Committee of Aeronautics (NACA) scale. Within the pediatric study group children 1–5 years of age and children 14–17 years of age were predominant (29.2% and 25.8%, respectively). Regarding the whole pediatric study group trauma was predominant (57.9%). In children <1 year of age and children 1–4 years of age, non-traumatic emergencies were predominant (84.2% and 56.9%, respectively), whereas in children 6–9 years of age, 10–13 years of age and 14–17 years of age, traumatic injuries were predominant (64.2%, 74.8% and 72.3%, respectively). Non-invasive standard monitoring by ECG (electrocardiogram), blood pressure (RR) and pulse oximetry (SpO2) was established in more than 75% of the pediatric patients (ECG: 77.0%, RR: 81.5%, SpO2: 96.7%) and the older the children the more monitoring was established (children <1 year of age: ECG: 47.4%, RR: 36.8%, SpO2: 93.0% vs. children 14–17 years of age: ECG: 89.8%, RR: 98.2%, SpO2: 100.0%). Regarding the whole pediatric study group, vascular access was established in 81.5% of the cases and in 2.5% of the cases as intraosseous infusion. Out of a total of 16 intraosseous infusions performed within the study period 14 (87.4%) were performed in children <6 years of age. In 20.7% of the cases an endotracheal intubation was performed and in 92.5% of these cases induction of anaesthesia was necessary. The insertion of a chest tube within the study period was only necessary in 1.2% of the cases.
Conclusions
Compared to the results of other studies the number of pediatric emergency patients with a NACA score IV–VII in this study is very high. Furthermore, the percentages of non-invasive monitoring procedures applied to the patients as well as invasive therapeutic procedures performed by the HEMS team were also high. Therefore, a special pediatric training course for emergency physicians seems to be necessary.
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Obwohl nahezu 20% der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland Kinder und Jugendliche sind, beträgt ihr Anteil an den Notarzteinsätzen lediglich 2–9% [4, 7, 9, 19, 25]. Demzufolge ist die persönliche Erfahrung des Notarztes in der präklinischen Behandlung dieser Patientengruppe in aller Regel begrenzt.
Hintergrund und Fragestellung
Nach einer Analyse, in der 82.000 bodengebundene Notarzteinsätze in Baden-Württemberg und 47.000 Einsätze der ADAC-Luftrettung berücksichtigt sind, wird jeder Notarzt durchschnittlich nur alle 1,3 Monate (Boden-) bzw. alle 1,1 Monate (Luftrettung) mit einer pädiatrischen Notfallsituation konfrontiert [12]. Aggraviert wird diese Situation dadurch, dass die physiologischen und anatomischen Besonderheiten dieser Altersgruppe spezielle Kenntnisse und manuelle Fähigkeiten erfordern [5, 22]. Um diese speziellen Fertigkeiten aufrechtzuerhalten, reicht die alleinige Tätigkeit im Notarztdienst aber nicht aus, wie Untersuchungen zur Optimierung der notärztlichen Kompetenz ergeben haben [24]. Zudem wird die pädiatrische Notfallsituation, insbesondere beim Säugling und Kleinkind, vom rettungsdienstlichen Personal häufig emotional als sehr belastend empfunden [29]. So fühlen sich mehr als zwei Drittel der Notärzte bei pädiatrischen Notfällen „unsicher“ und verhalten sich deshalb in der Mehrzahl der Fälle an der Notfallstelle „eher passiv“ [11].
Das Ziel der vorliegenden retrospektiven Analyse der Einsatzdaten einer Rettungshubschrauber (RTH-)Station über einen 4-jährigen Zeitraum ist es, exemplarisch die „Einsatzrealität“ hinsichtlich Art und Häufigkeit „invasiver“ Maßnahmen (z. B. periphervenöser oder intraossärer Zugang, endotracheale Intubation, Narkoseführung, Thoraxdrainage) bei pädiatrischen Notfallpatienten aufzuzeigen.
Material und Methode
Retrospektiv wurden die Einsätze der RTH-Station „Christoph 22“/Ulm über einen 4-jährigen Zeitraum (Januar 2004 bis Dezember 2007) unter besonderer Berücksichtigung des pädiatrischen Patientenkollektivs ausgewertet. Dabei wurde in Anlehnung an Literaturdaten [25] für diese Auswertung das pädiatrische Patientenkollektiv als Patienten der Altersgruppe vom Säugling bis einschließlich des siebzehnten Lebensjahrs definiert. Weiterhin erfolgte eine Differenzierung dieses Kollektivs in 5 Subgruppen:
-
Säuglinge (<1 Lebensjahr),
-
Kleinkinder (erstes bis fünftes Lebensjahr),
-
jüngere Schulkinder (sechstes bis neuntes Lebensjahr),
-
ältere Schulkinder (zehntes bis dreizehntes Lebensjahr) und
-
Adoleszente (vierzehntes bis siebzehntes Lebensjahr).
Als Datengrundlage diente die Notarzteinsatzdokumentation auf Basis des bundeseinheitlichen Minimalen Notarztdatensatzes 2 (MIND2) der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI; [21]), die an der RTH-Station „Christoph 22“ als Routinedokumentation etabliert ist. Die Auswertung des Patientenkollektivs erfolgte im Untersuchungszeitraum hinsichtlich der demografischen Daten, des Einsatzspektrums, der Erkrankungs- bzw. Verletzungsursache sowie des Verletzungsmusters, des Schweregrads der Erkrankung bzw. Verletzung entsprechend der Einstufung im National Advisory Committee of Aeronautics System (NACA; [25]) sowie einer detaillierten Auswertung des Monitorings und der notärztlichen Maßnahmen. Die analysierten Parameter wurden in anonymisierter Form elektronisch in Excel übertragen (Microsoft® Excel 2003, Microsoft Deutschland) und mithilfe SPSS (Version 11.5.1, SPSS Inc., Chicago, IL, USA) ausgewertet.
Der Einsatzbereich der RTH-Station „Christoph 22“/Ulm umfasst ein überwiegend ländlich strukturiertes Gebiet von etwa 20.000 km2, mit einem Radius von etwa 80 km um den Standort des RTH. Aktuell beträgt das Einsatzaufkommen etwa 1500 Einsätze/Jahr. Aufgrund der ländlichen Struktur und der geringen Zahl neonatologisch-pädiatrischer Zentren bzw. überregionalen Traumazentren erfolgen längere Anflug- und Transportzeiten, insbesondere für neonatologisch-pädiatrische Notfall- bzw. Traumapatienten.
Der Standort des RTH „Christoph 22“ ist das Bundeswehrkrankenhaus Ulm. Der Luftrettungsstützpunkt bildet eine zivilmilitärische Kooperation zwischen der ADAC-Luftrettung GmbH und der Bundeswehr. Dabei stellt die ADAC-Luftrettung GmbH den Rettungshubschrauber und die Piloten, während das Bundeswehrkrankenhaus Ulm für die (notfall-)medizinische Besetzung des RTH verantwortlich zeichnet. Sämtliche Notärzte und Rettungsassistenten werden von der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin gestellt. Die Zahl der beteiligten Notärzte und Rettungsassistenten wird aus Qualitätsgründen bewusst gering gehalten. Als Mindestqualifikation werden bei den Notärzten neben der obligaten Zusatzbezeichnung Notfallmedizin die Facharztqualifikation und diverse Zusatzausbildungen (insbesondere auch: DIVI-Intensivtransportkurs, „Notfallmedizinisches Curriculum Kinderheilkunde“ gemäß der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, ATLS®, Leitender Notarzt) gefordert. Die Rettungsassistenten haben neben ihrer Qualifikation „Rettungsassistent“ zudem die Ausbildung zum Fachpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin; des Weiteren verfügen sie über die Ausbildung zum Helicopter Emergency Medical Service (HEMS) Crew Member sowie zum Organisatorischen Leiter Rettungsdienst (OrgL) und Lehrrettungsassistenten.
Ergebnisse
Demografische Daten
Im Beobachtungszeitraum wurden insgesamt 5826 Einsätze durchgeführt, davon entfielen 4778 auf Primäreinsätze (82,0%) und 571 auf Sekundäreinsätze (9,9%) und 461 auf Fehleinsätze (7,9%) bzw. 10 auf sog. Sondereinsätze (0,2%; z.B. Transport von Blutkonserven bzw. OP-Teams). Insgesamt wurden hierbei 643 pädiatrische Notfallpatienten (11,0% der Gesamteinsätze bzw. 13,5% der Primäreinsätze) behandelt. Eine detaillierte Aufgliederung des pädiatrischen Patientenkollektivs (n=643, 100%) hinsichtlich des Anteils der verschiedenen Altersgruppen und der Geschlechterverteilung ist in Abb. 1 dargestellt.
Präklinische Einschätzung der Vitalbedrohung
Bezogen auf das pädiatrische Gesamtkollektiv betrug der Anteil der Patienten mit einer hohen Erkrankungs- bzw. Verletzungsschwere (NACA-Score IV–VII) 59,3%. Eine Aufschlüsselung dieses schwer erkrankten bzw. verletzten Patientenkollektivs hinsichtlich der unterschiedlichen Altersgruppen ist in Abb. 2 dargestellt. Eine schwerwiegende Bewusstseinsstörung [Glasgow Coma Sclae (GCS)<9] lag, bezogen auf alle Patienten jünger als 18 Jahre, bei 16,3% der pädiatrischen Patienten vor.
Erkrankungen und Verletzungen
Eine detaillierte Aufgliederung des pädiatrischen Studienkollektivs hinsichtlich traumatologischer und nichttraumatologischer Notfälle (internistisch, neurologisch, sonstige Notfälle) und differenziert nach unterschiedlichen Altersgruppen ist in Abb. 3 dargestellt. Innerhalb des traumatologischen Patientenkollektivs dominierte das Schädel-Hirn-Trauma, gefolgt von der Extremitätenverletzung, dem Wirbelsäulentrauma und dem Thoraxtrauma (Tab. 1).
Monitoring
Die Ergebnisse hinsichtlich der präklinisch etablierten Maßnahmen zur Patientenüberwachung sind in Tab. 2 zusammengefasst. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass mit zunehmendem Alter der Kinder auch die Überwachungsmaßnahmen zunahmen.
Notärztliche Maßnahmen
Eine detaillierte Darstellung der therapeutischen Maßnahmen ist aus Tab. 2 ersichtlich. Bezogen auf das pädiatrische Gesamtkollektiv war bei 81,2% der Kinder die notfallmäßige Etablierung eines Zugangs zum Gefäßsystem notwendig. Hierbei handelte es sich in 78,7% der Fälle um einen periphervenösen und in 2,5% der Fälle um einen intraossären Zugang. Von den insgesamt 16 intraossären Punktionen, die im Beobachtungszeitraum durchgeführt werden mussten, entfielen 14 (87,4%) auf die Gruppe der bis 6-jährigen Kinder. Die 2 weiteren intraossären Zugänge mussten bei einem Kind der Altersgruppe sechstes bis neuntes Lebensjahr bzw. bei einem Jugendlichen der Gruppe der 14- bis 17-Jährigen durchgeführt werden. In beiden Fällen handelte es sich um schwerst polytraumatisierte Patienten mit bestehendem Herzkreislaufstillstand. Sämtliche intraossäre Punktionen wurden mithilfe eines halbautomatischen Punktionssystems (EZ-IO, Vidacare) an der proximalen Tibia durchgeführt.
Die Applikation von Sauerstoff erfolgte bei 76% des pädiatrischen Gesamtkollektivs. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Altersgruppen zeigt sich, dass mit zunehmendem Patientenalter der Anteil der Sauerstoffapplikation deutlich anstieg (Tab. 2). Bezogen auf das pädiatrische Gesamtkollektiv betrug der Anteil der Kinder, die präklinisch endotracheal intubiert und beatmet werden mussten 20,7% (Tab. 2). Bei der Mehrzahl dieser Kinder (92,5%) erfolgte zur endotrachealen Intubation eine medikamentöse Narkoseinduktion. Die Etablierung eines „alternativen Atemwegs“ in Form einer supraglottischen Atemwegshilfe oder gar die Etablierung eines chirurgischen Atemwegs (Koniotomie) war bei keinem Patienten im Untersuchungszeitraum notwendig.
Die Anlage einer Thoraxdrainage bzw. die notfallmäßige Entlastung eines Spannungspneumothorax war nur bei 8 Kindern (1,2%) notwendig und betraf sämtliche Altersgruppen mit Ausnahme der Säuglinge (Tab. 2). Repositions- und/oder Immobilisierungsmaßnahmen bei Extremitätenverletzungen, die Anlage einer Zervikalstütze und die Immobilisierung mithilfe der Vakuummatratze bei Wirbelsäulenverletzung waren bei 87,2% der Patienten notwendig (Tab. 2). Die Applikation von Medikamenten wurde bei 79,9% der Kinder durchgeführt. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Altersgruppen bleibt festzuhalten, dass mit zunehmendem Patientenalter die Medikamentenapplikation deutlich ansteigt.
Diskussion
Häufigkeit pädiatrischer Notfälle
Die Frage nach der Häufigkeit pädiatrischer Notfallsituationen bedarf einer differenzierten Betrachtung: Zum einen wird in der Literatur das pädiatrische Patientenkollektiv hinsichtlich der oberen Altersgrenze uneinheitlich definiert (obere Altersgrenze zwischen 12 und 18 Jahren), sodass allein hierdurch die Häufigkeitsangaben variieren können. Zum anderen bestehen Unterschiede zwischen dem bodengebundenen und luftgestützten Rettungsdienst: Für bodengebundene Notarztsysteme wird die Häufigkeit pädiatrischer Notfallsituationen mit etwa 3–6% angegeben, für den luftgestützten Rettungsdienst mit rund 11–13% [9, 10, 12, 16, 18, 25]. In diesem Zusammenhang ist insbesondere eine multizentrische Studie, die Daten sämtlicher Luftrettungsstützpunkte des ADAC sowie des Bundesinnenministeriums beinhaltet und somit einen annähernd bundesweiten Überblick erlaubt, erwähnenswert [25]: Der Anteil pädiatrischer Notfälle lag in dieser Untersuchung bei 12,9% (Erfassungszeitraum 2001 bis 2003). Demnach kann das Ergebnis der aktuellen Analyse hinsichtlich der Häufigkeit von Kindernotfällen <18 Jahren von 13,5% als repräsentativ für den Luftrettungsdienst in Deutschland angesehen werden. Ein Vergleich mit diesbezüglichen Daten aus zurückliegenden Erhebungen an der RTH-Station „Christoph 22“ zeigt zudem, dass der pädiatrische Notfall an Bedeutung gewonnen hat: So wurde in einer Analyse, die den Zeitraum 1993 bis 1997 umfasste, der Anteil pädiatrischer Notfallsituationen lediglich mit 10,9% angegeben [18].
Demografische Daten des pädiatrischen Kollektivs
Bei Betrachtung des pädiatrischen Gesamtkollektivs findet sich die für die präklinische Notfallmedizin typische Geschlechterverteilung männlich zu weiblich von 2:1. Eine detaillierte Betrachtung unter Berücksichtigung der verschiedenen Altersgruppen zeichnet allerdings ein differenzierteres Bild: Hierbei hebt sich besonders die Gruppe der Säuglinge mit einer Geschlechterverteilung von nahezu 1:1 von den übrigen Altersgruppen ab. Erst im zunehmenden Alter der Kinder verschiebt sich die Geschlechterverteilung zu dem endgültigen Verhältnis 2:1. Die Ursache hierfür dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit in den vorherrschenden Notfallsituationen für die jeweiligen Altersgruppen zu finden sein. So überwiegen bei den Säuglingen und Kleinkindern ganz eindeutig Erkrankungen, die in den meist Fällen dem internistisch-neurologischen Formenkreis zuzuordnen sind (Abb. 3). Nicht selten liegt diesen Notfällen auch eine geschlechtsspezifische Disposition zugrunde. Mit zunehmendem Alter der Kinder gewinnt jedoch das Trauma als Notfallursache an Bedeutung. Die Zunahme des männlichen Geschlechts in Relation zum weiblichen Geschlecht kann dabei mitunter auch als Folge des „rollenspezifischen“ Verhaltens gewertet werden. Ebenso wie bei der Frage nach der Geschlechterverteilung sollte die Frage nach dem Alter der pädiatrischen Notfallpatienten differenziert betrachtet werden: Das Durchschnittsalter von 8,8 Jahren, bezogen auf das pädiatrische Gesamtkollektiv, gibt nur eine unvollständige Antwort: Unter Berücksichtigung der verschiedenen Altersgruppen zeigt sich, dass die Gruppe der 1- bis 5-Jährigen sowie die 14- bis 17-jährigen Kinder eindeutig die stärksten Gruppen darstellen und zusammen mehr als die Hälfte des gesamten pädiatrischen Kollektivs bilden, wohingegen die Säuglinge erwartungsgemäß die kleinste Gruppe ausmachen (Abb. 1). Es finden sich damit absolut vergleichbare Ergebnisse zu anderen Luftrettungsstandorten [25]. Einschränkend muss an dieser Stelle konstatiert werden, dass quantitativ zwar die Säuglinge mit 8,9% die kleinste Gruppe bilden mögen, doch wurden im Beobachtungszeitraum ein Drittel aller Reanimationen und ein Viertel aller intraossären Zugänge in dieser Altersgruppe durchgeführt. Gerade Reanimationsmaßnahmen und die notfallmäßige Gefäßpunktion in dieser Altersgruppe stellen eine ganz besondere notärztliche Herausforderung dar [4, 15, 22].
Einsatzspektrum
Bezogen auf das Gesamteinsatzaufkommen einer RTH-Station hat im Verlauf des letzten Jahrzehnts bundesweit der „nichttraumatologische“ Notfall das Trauma als führende Einsatzindikation abgelöst. Dies gilt jedoch nicht für das pädiatrische Notfallkollektiv: In Übereinstimmung mit den Ergebnissen anderer Autoren [25] stellte auch in dieser aktuellen Analyse das „Trauma“, bezogen auf das pädiatrische Gesamtkollektiv, nach wie vor die führende Einsatzindikation dar. Zudem zeigt ein Vergleich mit vorangegangenen Analysen der RTH-Station „Christoph 22“ aus den Zeiträumen von 1993 bis 1997 und 1996 bis 2005, dass der Anteil an „traumatologischen“ Notfällen stabil geblieben ist (61 bzw. 54%; [16, 18]). Unter Berücksichtigung der verschiedenen Altersgruppen spielt der traumatologische Notfall bei Säuglingen eine untergeordnete Rolle. Dies scheint den Autoren insbesondere im Hinblick auf die zu ergreifenden notärztlichen Maßnahmen von wesentlicher Bedeutung zu sein. In dieser Altersgruppe dominieren eindeutig internistische (z. B. Pseudokrupp) und neurologische (z. B. Fieberkrampf) Notfallsituationen. Wiederum in Übereinstimmung mit der Literatur [10, 18, 25] gewinnt das „Trauma“ jedoch mit zunehmendem Alter der Kinder an Bedeutung und stellt ab einem Alter von 6 Jahren die führende Einsatzindikation dar, während die „nichttraumatologischen“ Notfallursachen mit zunehmendem Alter kontinuierlich an Bedeutung verlieren.
Erkrankungs- und Verletzungsschwere
In der Literatur wird der Anteil schwer erkrankter bzw. verletzter Kinder für den Bereich des Luftrettungsdienstes mit etwa 30% angegeben [1, 10, 25]. Damit sind im Luftrettungsdienst signifikant häufiger schwer kranke bzw. schwer verletzte Kinder zu versorgen als im bodengebundenen Notarztdienst [4]. Mit einer Häufigkeit von 59% derart schwer erkrankter bzw. schwer verletzter Kinder, bezogen auf das pädiatrische Gesamtkollektiv, weicht das Ergebnis der vorgestellten Studie allerdings deutlich von den bislang aus dem Bereich des Luftrettungsdienstes publizierten Ergebnissen ab. Eine Interpretation dieses Ergebnisses ist schwierig und letztendlich nicht eindeutig möglich, da eine Vielzahl von Einflussfaktoren dafür verantwortlich gemacht werden kann. Da sämtliche Altersgruppen des pädiatrischen Kollektivs gleichermaßen betroffen sind, kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass auch eine notärztliche „Überschätzung“ des Erkrankungs- bzw. Verletzungsschwergrades zugrunde liegt.
Traumapatienten
In der vorgestellten Untersuchung stellt das Trauma mit 57% die führende Einsatzindikation dar; hierbei sind nicht alle Altersgruppen gleichermaßen, sondern hauptsächlich die Altersgruppen ab dem sechsten Lebensjahr beteiligt. Insofern sind diese Ergebnisse durchaus als repräsentativ für den Luftrettungsdienst zu werten, wie insbesondere ein Vergleich mit den Ergebnissen einer bundesweiten multizentrischen Studie belegt [25]. Dies gilt in gleicher Weise für die Verletzungslokalisationen bzw. beteiligten Körperregionen: Führend im Kindesalter ist das Schädel-Hirn-Trauma, gefolgt von der Extremitäten- sowie der Wirbelsäulenverletzung und dem Thoraxtrauma [1, 10, 18, 23, 25]. Auch hier findet sich in der Häufigkeit eine Abhängigkeit von der Altersgruppe: So nimmt die Häufigkeit einer Verletzung des Kopfbereiches mit zunehmendem Alter der Kinder ab, während beispielsweise die Extremitätenverletzung mit höherem Alter der Kinder zunimmt. Auch diesbezüglich sind die Ergebnisse dieser Analyse in Übereinstimmung mit denen anderer Autoren aus dem Bereich der Luftrettung [1, 18, 25].
Notärztliche Maßnahmen
Der Umfang der notärztlich etablierten Monitoringverfahren (Elektrokardiogramm, Blutdruckmessung, Pulsoxymetrie) zeigt eine deutliche Altersabhängigkeit: So steigt mit zunehmendem Alter der Kinder auch der Umfang des Monitorings. Hinsichtlich der eingesetzten Monitoringverfahren dominiert hierbei in allen Altersgruppen eindeutig die Pulsoxymetrie als ebenso rasch wie einfach etablierbares, nichtinvasives und kontinuierliches Messverfahren, das die Überwachung von Oxygenation und Kreislauf kombiniert.
Mit Ausnahme der Gruppe der Säuglinge (jünger als 1 Jahr) ist der Umfang der getroffenen notärztlichen Maßnahmen (z. B. Gefäßzugang, Medikamentengabe, Sauerstoffapplikation, endotracheale Intubation/Beatmung) hoch. Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang „invasive“ Notfalltechniken, wie beispielsweise Gefäßzugang, Atemwegssicherung und Anlage einer Thoraxdrainage.
Mit nahezu 80% liegt die Häufigkeit des Gefäßzugangs bei allen pädiatrischen Notfallpatienten in der vorgestellten Studie im oberen Bereich dessen, was diesbezüglich in der Literatur für den Luftrettungsdienst angegeben wird [1, 25]. Interessanterweise war insgesamt keine Zunahme der Zahl an intraossären Punktionen als Alternative zum periphervenösen Zugang im Vergleich zu vorausgegangenen Beobachtungszeiträumen zu verzeichnen (2,5 aktuell vs. 2,6% im Beobachtungszeitraum von 1996 bis 2005; [16]). Auch zeigt die differenzierte Betrachtung unter Berücksichtigung der Altersgruppen, dass die intraossäre Punktion nach wie vor mit nahezu 90% bei Kindern im Alter jünger als 6 Jahre und damit überwiegend bei der von verschiedenen Fachgesellschaften empfohlenen „klassischen“ Zielgruppe angewendet wurde [6, 15, 17, 20]. Dies könnte einerseits darauf zurückgeführt werden, dass sämtliche Notärzte in der (notfallmäßigen) Anlage eines periphervenösen Zugangs auch in den Altersgruppen der jüngsten und jungen Patienten adäquat ausgebildet und trainiert sind und andererseits in der Einhaltung des an der RTH-Station „Christoph 22“ seit vielen Jahren etablierten Algorithmus hinsichtlich des „schwierigen Gefäßzugangs“ geschult wurden. Dieser Algorithmus ist inhaltlich eng an der Indikationsstellung für die intraossäre Punktion der im Jahr 2005 publizierten Empfehlungen des European Resuscitation Council (ERC; [6, 23]) angelehnt.
Mit nahezu 21% liegt die Häufigkeit der endotrachealen Intubation in der Gesamtgruppe der pädiatrischen Notfallpatienten ebenfalls im oberen Bereich dessen, was diesbezüglich in der Literatur für den Luftrettungsdienst angegeben wird [1, 26, 27]. Von wesentlicher Bedeutung erscheint hierbei, dass bei nahezu 93% der Patienten, die einer endotrachealen Intubation bedurften, hierzu auch eine medikamentöse Narkoseinduktion und -aufrechterhaltung notwendig war. Die Etablierung eines „alternativen“ Atemwegs, wie beispielsweise der Einsatz einer supraglottischen Atemwegshilfe oder gar die Durchführung eines chirurgischen Atemwegs (Koniotomie), war im Studienzeitraum nicht notwendig. In Übereinstimmung mit Eich et al. [9] kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die endotracheale Intubation auch bei pädiatrischen Notfallpatienten durch ein adäquat ausgebildetes und trainiertes notfallmedizinisches Team mit einer hohen Erfolgsquote sicher durchgeführt werden kann.
Thoraxverletzungen stellen im pädiatrischen Patientenkollektiv die zweithäufigste Todesursache dar. Als häufigste signifikante intrathorakale Verletzungen werden hierbei die Lungenkontusion und der Pneumothorax genannt. Vor diesem Hintergrund kommt der indizierten präklinischen Anlage einer Thoraxdrainage grundsätzlich eine hohe Bedeutung zu. Allerdings wird ein Notarzt in Deutschland durchschnittlich lediglich alle 6 Monate (Luftrettung) bzw. 6 Jahre (Bodenrettung) mit der Notwendigkeit der Durchführung dieser „invasiven“ Maßnahme konfrontiert [12]. Auch in dem hier untersuchten Kollektiv war die Anlage einer Thoraxdrainage lediglich bei 8 pädiatrischen Patienten (2,2% des pädiatrischen Traumakollektivs) aller Altergruppen mit Ausnahme von Säuglingen notwendig.
Fazit für die Praxis
Der pädiatrische Notfallpatient stellt in vielerlei Hinsicht eine notfallmedizinische Herausforderung dar. Im Vergleich zum bodengebundenen Notarztdienst ist die Inzidenz von pädiatrischen Notfallsituationen im Luftrettungsdienst höher. Dabei zeichnet sich das pädiatrische Patientenkollektiv durch einen hohen Erkrankungs- bzw. Verletzungsschweregrad aus. Im Gegensatz zum adulten Notfallkollektiv dominiert als Notfallursache eindeutig das Trauma. „Invasive“ Maßnahmen durch den Notarzt sind in allen Altersgruppen der pädiatrischen Notfallpatienten in einem hohen Maß durchzuführen. Trotzdem ist die Häufigkeit dieser Maßnahmen, bezogen auf den einzelnen Notarzt, selbst im Luftrettungsdienst eher gering, sodass die dafür erforderliche Routine nicht durch die ausschließliche Teilnahme am Notarztdienst erworben bzw. aufrechterhalten werden kann. Neben einer formalen Qualifikation erscheinen deshalb praxisrelevante Kurse notwendig. Hierbei sollte ein Schwerpunkt in der Vermittlung von relevanten invasiven Notfalltechniken (z. B. intraossäre Punktion, Koniotomie, Anlage einer Thoraxdrainage) und der Notfallsimulation liegen [8]. Beispielhaft werden in diesem Zusammenhang das Heidelberger Seminar „Invasive Notfalltechniken“ [3], der Kurs European Pediatric Life Support (EPLS) sowie die Konzepte European Trauma Course (ETC) und Advanced Trauma Life Support (ATLS) genannt [14]. Zudem sollte das notärztliche Personal für den Luftrettungsdienst idealerweise aus klinischen Bereichen gewonnen werden, in denen regelhaft schwer erkrankte bzw. verletzte Kinder behandelt werden.
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Helm, M., Biehn, G., Lampl, L. et al. Pädiatrischer Notfallpatient im Luftrettungsdienst. Anaesthesist 59, 896–903 (2010). https://doi.org/10.1007/s00101-010-1759-x
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