Zusammenfassung
Die intraossäre Punktion ist inzwischen fester Bestandteil der pädiatrischen, aber auch der adulten Notfallmedizin geworden. Die intraossäre Punktion ist eine ebenso einfache wie sichere und schnelle Alternative in Situationen, bei denen dringlich ein Gefäßzugang geschaffen werden muss, aber konventionell nicht oder nur zeitverzögert etabliert werden kann. Der klassische Zugang erfolgt über die proximale Tibia mit Hilfe spezieller intraossärer Punktionskanülen. Hierbei können sämtliche in der Notfallmedizin intravenös verabreichten Medikamente und Infusionen nahezu uneingeschränkt intraossär appliziert werden. Dosierung sowie Anschlagzeit derartig verabreichter Medikamente unterscheiden sich nicht von der intravenösen Gabe. Mit Ausnahme von Frakturen nahe der Punktionsstelle bestehen keine absoluten Kontraindikationen. Bei korrekter Anwendung und Handhabung, sind Komplikationen selten und stehen in keinem Verhältnis zu den Vorteilen der intraossären Punktionstechnik beim vital bedrohten Patienten.
Abstract
Intraosseous infusion has become a cornerstone in pediatric as well as in adult emergency medicine. Intraosseous infusion is a save and fast alternative in situations, in which a vascular access must be established timely, but it is impossible to establish a conventional vascular access or the conventional vascular access cannot be established timely. The preferred sites are the medial aspect of the proximal end of the tibia, just below the tibial tuberositas. All drugs and fluids used in prehospital emergency medicine can be used by the intraosseus access almost without any restrictions and in similar dosage and efficiency as by the intravenous route. There are no absolute contraindications, except fractures nearby the site of intraosseous infusion. The complication rate is very low.
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Die Etablierung eines Gefäßzugangs bei der notfallmedizinischen Erstversorgung kritisch kranker oder verletzter Säuglinge und Kleinkinder ist oftmals von zentraler Bedeutung. Die Platzierung erfolgt dabei häufig unter enormem Zeitdruck, bei gleichzeitig meist schwierigen äußeren Bedingungen und kann selbst den Erfahrenen vor unüberwindbare Schwierigkeiten stellen. Als eine sichere Alternative zum konventionellen Gefäßzugang wurde Anfang der 80er-Jahre die Technik der intraossären Punktion (IO) wiederentdeckt und weltweit innerhalb kürzester Zeit in die (prä)klinische Routine eingeführt [1, 2, 10, 14]. Dabei wurde die ursprünglich strenge Anwendungsbeschränkung auf die Altersgruppe der unter 6-Jährigen zwischenzeitlich auf Notfallpatienten jeglichen Alters ausgedehnt [26]. Das Verfahren ist schnell sowie problemlos erlernbar und ebenso einfach wie sicher und komplikationsarm durchführbar – der erreichte Leistungsstandard kann mit einem geringen Trainingsaufwand aufrechterhalten werden. Zudem ist die Erfolgsquote als sehr hoch einzustufen [6, 8, 28].
Anatomische und physiologische Grundlagen
Bei der intraossären Injektion bzw. Infusion handelt es sich im Grunde um eine Injektion bzw. Infusion in den intramedullären Blutgefäßraum des roten Knochenmarks [7, 26]. Aus dem Markraum gelangen die Medikamente bzw. Infusionen über venöse Sinusoide in den Zentralvenenkanal des Knochenmarks und von dort über nutritive und emissäre Venen in den großen venösen Kreislauf (Abb. 1).
Punktionsstellen
Die Ausweitung der primär streng auf die Altersgruppe der unter 6-Jährigen beschränkten Anwendungsempfehlungen für die intraossäre Punktion auch auf ältere Kinder sowie Erwachsene, in Verbindung mit der Entwicklung verschiedener neuer intraossärer Punktionssysteme durch die Industrie, hat dazu geführt, dass zu den klassischen Punktionsstellen weitere hinzu gekommen sind. Zudem lassen bestimmte, auf dem Markt befindliche Systeme eine Punktion ausschließlich an bestimmten Knochenlokalisationen zu [z. B. F.A.S.T. („First Access for Shock and Trauma“) ausschließlich am Sternum]. In Tab. 1 wird dennoch versucht, die aktuell empfohlenen intraossären Punktionsstellen hinsichtlich ihrer Wertigkeit unter Berücksichtigung der verschiedenen Altersgruppen systematisch darzustellen.
Praktische Bedeutung für sämtliche Altersgruppen, aber ganz besonders für Kinder bis zum 6. Lebensjahr, haben als Punktionsstellen im Wesentlichen Tibia und Femur. Andere Punktionsstellen gelten für diese Patientengruppe unter Notfallbedingungen als ungeeignet bzw. sehr risikobehaftet. Insbesondere das Sternum ist für diese Altersgruppe als Punktionsort aufgrund der unregelmäßigen Verteilung des Knochenmarks sowie des geringen Volumens [15] ungeeignet und wegen des Risikos einer Mediastinalpunktion mit der Gefahr einer Verletzung großer Gefäße bzw. des Herzens obsolet [16].
Beim Kind ist die intraossäre Punktion am Sternum obsolet
Bei Kindern unter 6 Lebensjahren hat sich als Punktionsstelle der 1. Wahl die proximale Tibia etabliert [9, 21]. Alternativ hierzu kann die Punktion an der distalen Tibia sowie am distalen Femur durchgeführt werden [11]. Dies gilt grundsätzlich auch für die intraossäre Punktion beim Erwachsenen – allerdings gibt es für diese Altersgruppe zwei weitere alternative Punktionsstellen, nämlich den proximalen Humerus sowie das Sternum.
Punktion an der proximalen Tibia
Der Punktionsort befindet sich 1–2 cm distal der Tuberositas tibiae an der planen anteromedialen Knochenfläche (Abb. 2). Die Punktion selbst wird entweder senkrecht zur Haut- bzw. Knochenoberfläche oder leicht nach kaudal durchgeführt, um eine Verletzung der Epiphysenfuge zu vermeiden.
Beim Erwachsenen wird abweichend hiervon auf Höhe der Tuberositas tibiae bzw. 1 cm oberhalb davon punktiert, da in diesem Bereich (beim Erwachsenen) der Knochenkortex wesentlich dünner ist als im diaphysären Bereich und damit die Punktion einfacher durchgeführt werden kann.
Punktion an der distalen Tibia
Als primäre Alternative zur Punktion an der proximalen Tibia, kann die Punktion an der distalen Tibia durchgeführt werden. Die Punktionsstelle befindet sich 4–6 cm proximal des Malleolus medialis an der medialen planen Knochenfläche (Abb. 2). Die Punktion selbst wird entweder senkrecht zur Haut- bzw. Knochenoberfläche oder leicht nach kranial durchgeführt, um eine Verletzung der Epiphysenfuge zu vermeiden. Bei Verwendung von manuellen Intraossärnadeln kann die Punktion an dieser Stelle bei Kindern über 6 Lebensjahren sowie bei Erwachsenen allerdings leichter sein, als an der proximalen Tibia, weshalb für diese Altersgruppen (bei Verwendung manueller IO-Nadeln) diese Punktionsstelle von einigen Autoren bevorzugt wird [12, 18].
Punktion am distalen Femur
Als weitere Alternative zur Punktion an der proximalen sowie distalen Tibia, kommt die Punktion am distalen Femur in Frage (Abb. 2). Die Punktionsstelle befindet sich 3–4 cm proximal der Femurkondylen (1–2 cm oberhalb der Patella) in der Mittellinie der Vorderfläche. Die Punktion selbst wird entweder senkrecht zur Haut- bzw. Knochenfläche oder leicht nach kranial durchgeführt, um eine Verletzung der Epiphysenfuge zu vermeiden. Im Gegensatz zur Punktion an der Tibia, ist die knöcherne Punktion an dieser Stelle durch zahlreiche Faktoren erschwert: So ist die Lokalisation der knöchernen Punktionsstelle durch einen dicken Weichteilmantel deutlich erschwert – als Folge davon sind die Längen- bzw. Tiefenmarkierungen der IO-Nadeln zur Orientierung ungeeignet sowie gewisse Nadeltypen. Zudem ist die Gefahr der Verletzung von Nachbarstrukturen durch das Abrutschen der IO-Nadel nicht unerheblich [5]. Durch Flexion bzw. Extension des M. quadriceps – durch den an dieser Stelle punktiert werden muss – ist zudem die Gefahr einer Nadeldislokation gegeben [25].
Punktion am proximalen Humerus
Als eine mögliche Alternative zu den klassischen Punktionsstellen wird in der Literatur – allerdings ausschließlich für die Gruppe der Erwachsenen – der proximale Humerus angegeben. Wie auch sämtliche anderen Alternativen, hat dieser Punktionsort bislang jedoch keine größere Bedeutung erlangt. Denkbar ist die Punktion an dieser Stelle, bei vorliegenden Kontraindikationen für eine Punktion an den klassischen Stellen, bei größeren Verletzungen des Becken bzw. Abdomens mit beeinträchtigtem venösen Rückfluss subdiaphragmal sowie situationsbedingt, beispielsweise in Einklemmungssituationen.
Punktion am Sternum
Mit der Entwicklung spezieller IO-Systeme mit begrenzter Eindringtiefe der Nadel (z. B. F.A.S.T.), wird in jüngster Zeit diese Punktionsstelle ausschließlich beim Erwachsenen wieder propagiert [13]. Die Vorteile dieser Punktionsstelle liegen in der leichten Zugänglichkeit, der dünnen Kompakta, welche eine einfache Punktion erlaubt, sowie die gute Flüssigkeitsaufnahme, welche die Infusion auch größere Flüssigkeitsmengen pro Zeiteinheit erlauben [26].
Intraossäre Punktionssysteme
Seit den ersten Beschreibungen der intraossären Punktion in den 20er-Jahren, sind eine Vielzahl von Nadeln bzw. Systemen speziell für die intraossäre Punktion entwickelt und in die (notfall-)medizinische Routine eingeführt worden. Mit Ausweitung der Anwendungsempfehlungen auch auf ältere Kinder und Erwachsene sowie die jüngsten Erfahrungen aus dem militärmedizinischen Bereich, haben dazu geführt, dass das Angebot spezieller IO-Systeme deutlich zugenommen hat. Grundsätzlich kann man drei unterschiedliche Systeme voneinander abgrenzen:
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1.
Manuelle Systeme (Abb. 3), bei denen eine spezielle intraossäre Nadel manuell in das Knochenmark eingebracht wird.
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2.
Automatische Systeme (Abb. 4), bei denen (i.d.R. durch Federkraft, ähnlich dem Prinzip des Bolzenschussapparates) eine spezielle Intraossärnadel automatisch in das Knochenmark eingebracht wird.
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3.
Halbautomatische Systeme (Abb. 5), bei denen mit Hilfe einer kleinen Bohrmaschine spezielle Intraossärnadeln in das Knochenmark eingebracht werden. Sie stellen die neueste Entwicklung auf dem Markt der IO-Systeme dar.
Weiterführende Informationen zu den unterschiedlichen kommerziell auf dem Markt befindlichen intraossären Punktionssystemen können den Websites der Hersteller entnommen werden – eine Zusammenstellung der diesbezüglich wichtigsten Internetadressen findet sich in Infobox 1. Zudem sei an dieser Stelle auf die Zusammenstellung der wichtigsten auf dem Markt befindlichen Systeme in dem Übersichtsartikel von Weiss et al. [26] hingewiesen.
Unkompliziertheit des Verfahrens – Schnelligkeit der Anlage
In der Literatur wird einhellig die einfache und schnelle Anwendung des Verfahrens unter Notfallbedingungen betont. So wird die primäre Erfolgsquote mit durchschnittlich 80–90% angegeben [3, 19, 27]. Neuere Untersuchungen, welche diesbezüglich halbautomatische und manuelle Systeme miteinander vergleichen, kommen zum Schluss, dass nicht nur die primäre, sondern auch die endgültige Erfolgsquote bei Verwendung von halbautomatischen Systemen signifikant höher ist (97,8% vs. 79,5%; p<0,01 bzw. 100,0% vs. 87,2%; p<0,01) [3]. Die Dauer bis zur erfolgreichen IO-Kanülenanlage wird in der Literatur mit unter 1 min angegeben [3, 6, 8].
Technik der intraossären Punktion
Am weitesten verbreitet sind nach wie vor manuelle intraossäre Punktionssysteme, weshalb nachfolgend detailliert die Technik der intraossären Punktion für die klassische Punktionsstelle (proximale Tibia) bei der Hauptanwendungsgruppe (Kinder unter 6 Lebensjahren) mit einem sehr weit verbreiteten IO-Nadeltyp, nämlich der Cook 16-G-Intraossär-Nadel mit Diekmann-Modifikation, beschrieben wird:
Lagerung der unteren Extremität: Zunächst muss unter dem Kniegelenk ein festes Widerlager geschaffen werden – zum einen, um das Bein zu fixieren, und zum anderen, um die Frakturgefahr zu minimieren. Hierzu können zusammengerollte Tücher oder ähnliches verwendet werden (Abb. 6). Alternativ hierzu kann auch der Unterschenkel von dorsal mit einer Hand umfasst und so fixiert werden.
Großzügige Desinfektion der Punktionsstelle und der umgebenden Hautareale durch Sprüh- bzw. Wischdesinfektion sowie sterile Abdeckung mit einem (durchsichtigen) Lochtuch.
Falls notwendig, Durchführung einer Lokalanästhesie der Haut und des Periosts im Bereich der Punktionsstelle.
Korrekte Handhabung der intraossären Kanüle: Nadelschaft mit Daumen und Zeigefinger oberhalb der Tiefenmarkierung fassen und führen, dabei mit dem Thenar Druck auf den Handgriff ausüben. Die Kanüle wird an der Punktionsstelle (1–2 cm distal der Tuberositas tibiae an der anteromedialen Knochenfläche) aufgesetzt und die darunter liegende Haut durch Daumen und Zeigefinger der anderen Hand zwischen der anterioren und der medialen Tibiakante gespannt und fixiert gehalten. Der Einstichwinkel sollte entweder senkrecht zur Hautoberfläche oder 80° nach kaudal (von der Epiphysenfuge weg) sein.
Die IO-Kanüle wird bis zu einem deutlichen Widerstandsverlust durch die Substantia compacta gebohrt
Eigentliche Punktion des Knochenmarkraums: Durch Links-Rechts-Drehbewegungen und gleichzeitigem konstantem axialen Druck wird die IO-Kanüle durch die Substantia compacta gebohrt, bis ein plötzlicher deutlich spürbarer Widerstandsverlust – ein sog. „loss of resistance“ – auftritt und damit das Erreichen der Markhöhle anzeigt. Dieses Manöver kann vereinfacht werden, indem man an der Punktionsstelle zuvor eine Stichinzision der Haut (Skalpell Nr. 11) bis auf das Periost vornimmt – so umgeht man das Durchbohren der Haut mit der relativ stumpfen IO-Kanüle und kann diese direkt auf dem Knochen aufsetzen.
Entfernung des Trokars: Nach Erreichen der Markhöhle wird die IO-Kanüle mit einer Hand festgehalten und der Trokar mit der anderen Hand aus dem Schaftgewinde herausgedreht.
Im Anschluss daran erfolgt die Überprüfung der korrekten Lage der IO-Kanüle:
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Nach Auftreten des Widerstandsverlusts sollte die Kanüle federnd im Knochen fixiert sein.
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Über eine an der Kanüle aufgesetzten Spritze kann Blut/Knochenmark aspiriert werden – dies muss aber nicht zwingend der Fall sein [6, 8]. Kann kein Knochenmark aspiriert werden, nicht sofort die Nadel entfernen, sondern zunächst eine Injektionsprobe durchführen!
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Bei der anschließenden Injektionsprobe, sollte physiologische Kochsalzlösung leicht injizierbar sein.
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Es sollte keine Extravasatbildung im Punktionsbereich auftreten.
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Ist eine korrekte Platzierung der IO-Kanüle nicht möglich, sollten weitere Punktionsversuche am gleichen Knochen zur Vermeidung von Komplikationen unterbleiben. Bei derartigen Fällen sollte die Punktion an der Tibia des anderen Beines durchgeführt oder ein Alternativzugang gewählt werden.
Anschluss der Infusionsleitung: Empfehlenswert ist es, die Infusionsleitung nicht direkt an der IO-Kanüle anzuschließen, sondern zunächst eine flexible Verbindungsleitung anzuschließen, die wiederum über einen Dreiwegehahn mit der eigentlichen Infusionsleitung verbunden ist. Auf diese Weise können Medikamente ohne direkte Manipulationen an der IO-Kanüle über den Dreiwegehahn appliziert werden – die Gefahr einer Kanülendislokation lässt sich somit minimieren.
Sicherung der IO-Kanüle und der Infusionsleitung: Sowohl IO-Kanüle, als auch Infusionsleitung sollten sicher fixiert werden – mittels Polsterung der IO-Kanüle mit Hilfe von Schlitzkompressen, Fixierung mit einer Kohäsivbinde am Bein und Fixierung der Infusionsleitung am Unterschenkel; falls notwendig, zusätzliche Immobilisierung des Beines bzw. Unterschenkels mit Hilfe eines SamSplints™.
Die Applikation von Notfallmedikamenten kann über den beschriebenen Dreiwegehahn problemlos vorgenommen werden. Zur schnelleren Einschwemmung folgt auf jede Medikamentenapplikation eine Bolusgabe von isotoner Kochsalzlösung bzw. der angeschlossenen Infusionslösung, was über den Dreiwegehahn schnell und unkompliziert möglich ist [6, 7, 8]. Vielfach wird die Anlage einer Druckinfusion mit Hilfe eines Druckinfusionsbeutels bzw. Perfusors empfohlen, um einerseits einen kontinuierlichen Flow aufrecht zu erhalten und andererseits die Infusionsmenge zu erhöhen. So kann durch Druckinfusion die Infusionsmenge um den Faktor 4 (von 10 ml/min bei Schwerkraftinfusion auf 41 ml/min bei Druckinfusion) gesteigert werden [20]. Alternativ hat sich an unserer Rettungshubschrauber-Station (RTH-) die Bolusapplikation von Infusionslösung (10–50 ml) über eine am Dreiwegehahn angeschlossene Spritze bewährt – damit ist auch eine wesentlich exaktere Dosierung der applizierten Infusionsmenge möglich [8].
Steriles Vorgehen: Der gesamte Punktionsvorgang erfolgt unter sterilen Kautelen.
Rascher innerklinischer Austausch der IO-Kanüle durch einen konventionellen peripher- oder zentralvenösen Gefäßzugang, um insbesondere die Gefahr von Spätkomplikationen zu minimieren. Empfohlen wird die Kanülenentfernung innerhalb von 12–24 h nach Anlage. Die Punktionsstelle sollte im Anschluss für etwa 48 h steril abgedeckt werden.
Medikamente und Infusionen
In einer Vielzahl von Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass eine große Anzahl von Medikamenten und Infusion erfolgreich und problemlos über einen intraossären Zugang appliziert werden können [17, 23, 24]. Grundsätzlich gilt, dass sämtliche Medikamente und Infusionen, die im Rahmen der präklinischen Notfallbehandlung intravenös verabreicht werden, (nahezu) uneingeschränkt auch intraossär appliziert werden können.
Sämtliche Notfallmedikamente können auch intraossär appliziert werden
Diese Einschränkung betrifft ausschließlich hypertone Infusionslösungen, welche bei intraossärer Applikation, grundsätzlich verdünnt appliziert werden sollten. Wie bereits beschrieben sollte – insbesondere bei Kreislaufstillstand – nach Gabe von Medikamenten mit 5–10 ml physiologischer Kochsalzlösung bzw. Ringer-Laktat nachgespült werden, um den Medikamentenabfluss in den zentralen Kreislauf zu beschleunigen. Hinsichtlich Dosierung und Anschlagzeit sowie Wirkdauer intraossär applizierter Medikamente bestehen keine Unterschiede zur intravenösen Gabe.
Indikationen und Kontraindikationen
Indikationen für die intraossäre Punktion umfassen sämtliche Notfallsituationen insbesondere bei Kindern bis zum 6. Lebensjahr, in denen dringlich ein Gefäßzugang benötigt wird, ein konventioneller Gefäßzugang aber nicht oder nur zeitverzögert (>90–120 s) etabliert werden kann. Dabei gilt:
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In Situationen mit absoluter zeitlicher Dringlichkeit bei gleichzeitig offensichtlich schwierigen Venenverhältnissen – insbesondere bei Herz-Kreislauf-Stillstand sowie ausgeprägtem hämorrhagischem Schockzustand – sollte primär ein intraossärer Gefäßzugang geschaffen werden.
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In allen anderen Situationen sollte nach maximal drei frustranen periphervenösen Punktionsversuchen bzw. nach maximal 90–120 s die Indikation zur intraossären Punktion gestellt werden.
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Im Zweifel gilt dabei der Grundsatz:
Je dringlicher der Gefäßzugang und je jünger das Kind, umso großzügiger und frühzeitiger die Indikationsstellung zur intraossären Punktion.
Bei älteren Kindern sowie bei Erwachsenen ist zwar die Notwendigkeit eines intraossären Zugangs insgesamt seltener gegeben, es gelten jedoch grundsätzlich die gleichen Anwendungsprinzipien, wie für die Gruppe der unter 6-Jährigen. Dabei wird die Durchführung der intraossären Punktion durch die Verwendung speziell auf diese Altersgruppe abgestimmter IO-Punktionssysteme (z. B. EZ-IO™, B.I.G.™) wesentlich erleichtert.
Kontraindikationen
Grundsätzlich existieren keine absoluten Kontraindikationen für die intraossäre Punktion. Allerdings gibt es einige wenige Situationen, welche den Erfolg einer intraossären Infusion in Frage stellen – man spricht hierbei von sog. lokoregionalen absoluten Kontraindikationen. Hierzu zählt die Knochenfraktur an der zu punktierenden Extremität. Hierbei kann die intraossäre Applikation von Medikamenten bzw. Infusionen an der frakturierten Extremität zu einer erheblichen Extravasation in das Gewebe führen und damit u. a. zu einer Effektivitätsminderung. Dies gilt ebenso für erneute intraossäre Punktionen an Knochenabschnitten, an denen bereits innerhalb von 48 h einmal punktiert und die Nadel wieder entfernt wurde (z. B. aufgrund Fehlpunktion oder Kanülendislokation). Gefäßverletzungen proximal einer intraossären Punktionsstelle können ebenfalls die Effektivität der applizierten Medikamente in Frage stellen – wie in den beiden voraus genannten Fällen, sollte hierbei entweder auf die klassischen Punktionsstellen des anderen Beines oder ggf. auf Alternativen an der oberen Extremität ausgewichen werden.
Es gibt keine absoluten Kontraindikationen für die intraossäre Punktion
In der Literatur finden sich eine ganze Reihe von relativen Kontraindikationen für die intraossäre Punktion – beispielhaft seien die Osteogenesis imperfecta und Osteoporose genannt [26].
Komplikationen
Die Risiken und Komplikationen einer intraossären Punktion werden insgesamt als äußerst gering eingestuft [26]. Die meisten Berichte über Komplikationen stammen aus einer Zeit, in der beispielsweise noch routinemäßig Bluttransfusionen intraossär vorgenommen wurden und die Liegezeiten der IO-Kanülen beträchtlich waren (>24 h). Aus diesem Grund sind ältere Berichte über Komplikationen nur bedingt auf die heutige Situation übertragbar. Grundsätzlich gilt: Mögliche Risiken bzw. Komplikationen durch eine intraossäre Punktion stehen in keinem Verhältnis zu den Vorteilen beim akut vital bedrohten Patienten. Sämtlichen schwerwiegenden Komplikationen mit Todesfolge, die bisher bei intraossären Punktionen beschrieben wurden, standen in Zusammenhang mit Punktionen des Sternums (Verletzung des Herzens oder der großen Gefäße, Mediastinitis etc.) – eine Situation, die heute der Vergangenheit angehört, da die Punktion des Sternums heute für pädiatrische (Notfall-)Patienten obsolet ist!
Die häufigsten Komplikationen ergeben sich aus falscher Anwendung der Technik sowie falscher Handhabung des Materials. Das Verbiegen der IO-Kanüle ist hierbei mit bis zu 15% relativ häufig [3]. In diesem Zusammenhang scheinen – insbesondere bei der Anwendung beim adulten Patienten – halbautomatische IO-Systeme den manuellen IO-Systemen deutlich überlegen zu sein [3]. Die nicht korrekt gewählte Punktionsstelle wird als ein weiterer häufiger Grund für erfolglose intraossäre Punktionsversuche beschrieben [26]. Extravasation von Flüssigkeit aus dem Punktionskanal bei liegender IO-Kanüle wird ebenso als häufige Komplikation angegeben. Sie wird begünstigt durch
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starkes Wippen beim Einbringen der Kanüle,
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durch häufige Manipulationen sowie
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durch längere Liegedauer der IO-Nadel [26].
In kleinerem Ausmaß sind derartige Extravasationen unproblematisch – bei größeren Mengen sind Gewebenekrosen und in extrem seltenen Fällen sogar ein Kompartmentsyndrom beschrieben. Als weitere Frühkomplikation wird in der Literatur vereinzelt über Knochenfrakturen sowie die Punktion der Wachstumsfuge berichtet [26].
Die Osteomyelitis ist mit einer Häufigkeit von 0,6% eine zwar seltene, aber sehr ernst zu nehmende Spätkomplikation in Zusammenhang mit der intraossären Punktion [22]. Sie tritt meist in Zusammenhang mit
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einer sehr langen Kanülenverweildauer,
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vorbestehender Bakteriämie sowie
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der (unverdünnten) Applikation hypertoner Lösungen
auf. Kurze Liegezeiten der IO-Kanüle mit einem raschen innerklinischen Austausch gegen einen konventionellen peripher- oder zentralvenösen Zugang minimieren die Gefahr des Auftretens dieser Spätkomplikation effektiv.
Fazit für die Praxis
Die intraossäre Punktion stellt eine ebenso einfache und praktikable wie schnelle und sichere Methode mit hoher Erfolgsquote bei schwierigem oder gar unmöglichem konventionellem Gefäßzugang dar. Dabei hat sich die Methode in den letzten 20 Jahren nicht nur zu einem Standardzugang in der pädiatrischen sondern auch in der adulten Notfallmedizin entwickelt. Die Hauptanwendungsgruppe bleibt nach wie vor das Kollektiv der unter 6-jährigen Notfallpatienten. Sämtliche in der Notfallmedizin gebräuchlichen Medikamente können (nahezu) uneingeschränkt über die IO-Kanüle appliziert werden. Bei akuter Vitalbedrohung gibt es keine absoluten Kontraindikationen. Das Komplikationsrisiko ist – bei korrekter Technik und adäquatem Punktionsmaterial – als äußerst gering einzustufen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der überwältigenden Vorteile in der akuten Notfallsituation.
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Helm, M., Fischer, S., Hauke, J. et al. Invasive Techniken in der Notfallmedizin. Notfall Rettungsmed 11, 317–324 (2008). https://doi.org/10.1007/s10049-008-1039-3
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