Pädiatrische Notfälle sind eine besondere Herausforderung im Einsatzspektrum der präklinischen Notfallmedizin. Rettungsdienstmitarbeiter und Notärzte verfügen zumeist nur über geringe persönliche Erfahrungen mit pädiatrischen Patienten, da der Anteil dieser Patientengruppe am Gesamtspektrum der Notfälle mit 5–10% [1, 8, 31] gering ist.

Dieser geringen Erfahrung mit pädiatrischen Patienten stehen spezifische anatomische und physiologische Besonderheiten, v. a. im Säuglings- und Kleinkindalter, gegenüber, die eine differenzierte Vorgehensweise in der Notfallversorgung erfordern [3, 12]. Invasive Maßnahmen im Atemwegsmanagement oder bei der Schockbehandlung stellen erhöhte Anforderungen an die notärztlichen Fähigkeiten [3, 13]; logistische Besonderheiten (Medikamentenapplikation nach Körpergewicht, Verwendung altersentsprechender Beatmungsgeräte und Lagerungsmaterialien) müssen berücksichtigt werden [8]. Zusätzlich stellt die eingeschränkte verbale Kommunikationsmöglichkeit gerade mit den jüngsten Notfallpatienten eine besondere Herausforderung für den Notarzt dar [1, 8, 25]. Kindliche Notfälle sind jedoch nicht nur eine Ausnahmesituation für den Patienten und seine Familie, sondern stellen auch für Notarzt und Rettungsdienstmitarbeiter eine hohe emotionale Belastung dar [6, 15, 25].

Arbeiten zur präklinischen Notfallversorgung pädiatrischer Patienten beziehen sich zumeist auf kleinere Kollektive einzelner Zentren des bodengebundenen Rettungsdienstes [5, 7, 11, 16, 17, 21, 22, 23, 33] und der Luftrettung [3, 13, 30, 34, 36]. Daten aus großen Patientenkollektiven wurden bisher nicht vorgestellt.

In der vorliegenden Untersuchung soll daher an 2 großen Patientenkollektiven aus der Luftrettung und dem bodengebundenen Rettungsdienst geklärt werden, welchen Anteil pädiatrische Notfälle an der Gesamtheit der zu versorgenden Patienten haben, welche Krankheitsbilder in den verschiedenen Altersgruppen die wichtigste Rolle spielen, und wie gravierend die Vitalbedrohung der kindlichen Patienten bei den einzelnen Krankheitsbildern ist.

Dabei soll insbesondere untersucht werden, ob es für den Bereich der pädiatrischen Notfälle relevante Unterschiede zwischen der Luftrettung und dem bodengebundenen Rettungsdienst gibt. Aus den Ergebnissen sollen Rückschlüsse auf das Aus- und Weiterbildungskonzept der Mitarbeiter im Rettungsdienst gezogen werden.

Methodik

Patientenkollektiv

In einer retrospektiven Untersuchung wurden über einen Zeitraum von 3 Jahren (01.01.2001–31.12.2003) die Daten von 68.158 Primäreinsätzen des arztbesetzten bodengebundenen Rettungsdienstes im Saarland und 71.726 Primäreinsätzen von Luftrettungsmitteln der ADAC-Luftrettung und des Bundesinnenministerium ausgewertet. Sekundär- und Fehleinsätze fanden in der Auswertung keine Berücksichtigung.

Als Kindernotfall wurden Einsätze gewertet, bei denen der Patient das 18. Lebensjahr (LJ) noch nicht vollendet hatte. Für die Alterssubgruppen erfolgte die Einteilung in Säuglinge (1. LJ), Kleinkinder (2.–6. LJ), Schulkinder (7.–14. LJ) und Jugendliche (15.–18. LJ).

Zur Beurteilung der Verletzungs- bzw. Erkrankungsschwere wurde auf den National Advisory Committee for Aeronautics Score (NACA-Score [35; Tabelle 1) zurückgegriffen.

Tabelle 1 National Advisory Committee for Aeronautics Score. (Nach Tryba et al. [35])

Datenerfassung

Der saarländische Rettungsdienst umfasst 15 bodengebundene Notarztstandorte (14 Notarzteinsatzfahrzeuge [NEFs], 1 Notarztwagen [NAW]) und versorgt damit 1,08 Mio. Einwohner auf einer Fläche von 2570 km2. Die Dokumentation während des Einsatzes erfolgte auf dem jeweils aktuellen Notarzteinsatzprotokoll der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Zum Zeitpunkt der Untersuchung wurde die Version 4.0 [20] verwandt. Nach dem Ende des Einsatzes wurden die Einsatzdaten an jedem Notarztstandort in das Datenerfassungssystem trumed® des Rettungszweckverbandes Saar eingegeben. Dabei ging der Umfang der Dateneingabe über den im Mindestdatensatz Notfallmedizin (MIND; [19]) festgelegten Datensatz hinaus. Die dezentral eingelesenen Daten wurden vom Rettungszweckverband Saar zentral aufgearbeitet und in einer Microsoft-access®-Datenbank zur Verfügung gestellt.

Die an der Untersuchung teilnehmenden 24 Luftrettungszentren der ADAC-Luftrettung und 3 Luftrettungszentren des Bundesinnenministeriums dokumentierten ebenfalls während des Einsatzes mit dem DIVI-Notarzteinsatzprotokoll und übertrugen direkt nach der Rückkehr zum Luftrettungsstandort die Einsatzdaten in das computergestützte Datenerfassungssystem LIKS® (Luftrettungs-, Informations- und Kommunikationssystem, [26]). Auch hier ging der Umfang der Dateneingabe über den im MIND festgelegten Datensatz hinaus [27]. Zentral aufgearbeitet lagen die Einsatzdaten in anonymisierter Form als Microsoft-excel®-Datei vor.

Statistik

Zur statistischen Auswertung des Datenmaterials wurden Chi-Quadrat-Testverfahren (klassischer Test nach Pearson, Linear-mit-Linear-Test) verwendet. Bei niedriger Grundgesamtheit (n≤60) erfolgte zusätzlich eine Yates-Korrektur. Bei den Berechnungen wurde jeweils ein Signifikanzniveau von α=0,01 zugrunde gelegt.

Ergebnisse

Anteil der Kindernotfälle am Einsatzspektrum

Im Untersuchungszeitraum (2001–2003) beträgt der Anteil der pädiatrischen Notfälle in der Luftrettung 12,9% (n=9274). Im bodengebundenen Rettungsdienst des Saarlandes sind im gleichen Zeitraum in 6,4% (n=4344) der Fälle Kinder notärztlich zu versorgen. Im Luftrettungsdienst werden in allen Altersgruppen signifikant mehr Kindernotfälle versorgt als im bodengebundenen Rettungsdienst (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Anteil der Kindernotfälle an den Primäreinsätzen 2001–2003; Luftrettung vs. bodengebundener Rettungsdienst Saarland (*p<0,001)

Verletzungs- und Erkrankungsschwere nach National Advisory Committee for Aeronautics Score

Abbildung 2 zeigt, dass in der Luftrettung über alle Altersgruppen mit Ausnahme des Säuglingsalters signifikant mehr schwere pädiatrische Notfälle der NACA-Stufe IV–VII zu versorgen waren als im Kollektiv des bodengebundenen Rettungsdienstes.

Abb. 2
figure 2

Anteil schwerer Notfälle (NACA IV–VII) an den pädiatrischen Notfällen 2001–2003; Luftrettung vs. bodengebundener Rettungsdienst Saarland (*p<0,001)

In beiden Kollektiven fällt im Säuglingsalter der gegenüber den anderen Altersgruppen deutlich höhere Anteil an Notfallpatienten mit schwer wiegenden Erkrankungen bzw. Verletzungen (NACA IV–VII) auf (p<0,001 in beiden Kollektiven). Vergleicht man die Kindernotfälle insgesamt mit den Primäreinsätzen bei Erwachsenen (>18. LJ), so ist der Anteil schwerer Erkrankungen und Verletzungen (NACA IV–VII) im Kindesalter sowohl in der Luftrettung als auch im bodengebundenen Rettungsdienst signifikant niedriger als bei Erwachsenen (p<0,001).

Notfallspektrum

In Luftrettung und bodengebundenem Rettungsdienst überwiegen im Säuglings- und Kleinkindalter die Erkrankungen, während bei älteren Kindern mit Maximum im Schulkindalter das Trauma dominiert (Abb. 3). Im Schulkindalter sind im Bereich des bodengebundenen Rettungsdienstes mehr als 3-mal so viele Verletze zu versorgen als im Erwachsenenalter. Vergleichend zeigt sich, dass in der Luftrettung in allen Altersgruppen der Anteil der Verletzungen signifikant größer ist als in der entsprechenden Altergruppe im bodengebundenen Rettungsdienst.

Abb. 3
figure 3

Traumaanteil an pädiatrischen Notfällen 2001–2003; Luftrettung vs. bodengebundener Rettungsdienst Saarland (*p<0,001)

Der Anteil polytraumatisierter Kinder an allen pädiatrischen Notfällen ist im Luftrettungsdienst für alle Altersgruppen mit Ausnahme der Säuglinge signifikant höher als im bodengebundenen Rettungsdienst (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Anteil polytraumatisierter Kinder an allen pädiatrischen Notfällen 2001–2003; Luftrettung vs. bodengebundener Rettungsdienst Saarland (*p<0,001)

Verletzungsmuster

Im Säuglingsalter überwiegt das Schädel-Hirn-Trauma (SHT) als führende Verletzungslokalisation und tritt in rund zwei Drittel aller Traumen in dieser Altersgruppe auf. Daneben sind vornehmlich Gesichtsverletzungen und Verbrennungen zu finden; der Anteil an Verbrennungspatienten ist in der Luftrettung fast 3-mal so hoch wie im bodengebundenen Rettungsdienst. Schwere Verletzungen sind in beiden Kollektiven in Verbindung mit SHT und Verbrennungen zu beklagen.

Beim Kleinkind dominiert in Luftrettung (58,0%) und bodengebundenem Rettungsdienst (55,5%) weiterhin das SHT, gefolgt von Gesichtsverletzungen. Gegenüber dem Säuglingsalter nimmt der Anteil an Extremitätentraumen sowie Verletzungen von Thorax und Abdomen (Torsotraumen) zu. Verbrennungen sind weniger häufig zu beklagen als im Säuglingsalter. Als „schwer“ eingestufte Verletzungen finden sich bei SHT sowie bei Verbrennungen und sind häufiger im Luftrettungsdienst zu finden.

Bei Schulkindern geht der Anteil der Verletzungslokalisation SHT in der Luftrettung auf 42,0% und in der bodengebundenen Rettung auf 30,7% zurück. Demgegenüber nimmt der Anteil der Extremitätenverletzungen zu und übersteigt in seiner Summe (obere und untere Extremität) das SHT. Verletzungen des Körperstammes (Thorax und Abdomen) und der Wirbelsäule nehmen ebenfalls zu.

In der Gruppe der Jugendlichen dominieren Extremitätenverletzungen deutlich vor SHTs — insbesondere im bodengebundenen Rettungsdienst. Es folgen Verletzungen von Thorax, Abdomen und Wirbelsäule, die im Luftrettungsdienst häufiger mittelschwer oder schwer ausgeprägt sind und etwa doppelt so häufig zu versorgen sind wie im bodengebundenen Rettungsdienst.

Akute Erkrankungen

Erkrankungen des zentralen Nervensystems

Innerhalb der Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) ist das Krampfleiden über alle Altersgruppen in beiden Kollektiven die mit Abstand führende Diagnose. Bei Kleinkindern ist im bodengebundenen Rettungsdienst bei jedem dritten Notfallpatient ein Krampfanfall zu versorgen. Im Säuglingsalter ist es jeder fünfte Patient (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Anteil von Erkrankungen des zentralen Nervensystems an pädiatrischen Notfällen im bodengebundenen Rettungsdienst des Saarlandes 2001–2003

Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems

Während Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Erwachsenenalter unabhängig vom eingesetzten Rettungsmittel jeweils mehr als ein Drittel der Patienten betreffen, liegt ihr Anteil im Kindesalter bei 4,4% (bodengebundener Rettungsdienst) bzw. 3,6% (Luftrettung). Im Säuglingsalter bestimmen unterschiedliche kardiologische Krankheitsbilder mit jeweils niedriger Fallzahl das Krankheitsspektrum. Bei älteren Kindern dominiert die orthostatische Dysregulation mit 2,9% (Schulkinder) bzw. 4,5% (Jugendliche) aller Notfälle im bodengebundenen Rettungsdienst. Orthostatische Dysregulationen sind bodengebunden signifikant häufiger zu versorgen als im Luftrettungsdienst (p<0,001).

Erkrankungen der Atmungsorgane

Erkrankungen der Atmungsorgane sind im bodengebundenen Rettungsdienst mit 10,3% aller pädiatrischen Notfälle häufiger vertreten als mit 7,6% in der Luftrettung (p<0,001). In den einzelnen Altersgruppen dominieren jeweils typische Krankheitsbilder: Im Säuglingsalter Pneumonie und Aspiration, bei den Kleinkindern die stenosierende Laryngotracheitis (Pseudokrupp), im Schulkindalter und bei Jugendlichen das Asthma bronchiale und die Hyperventilation (Abb. 6). Im Vergleich zur Luftrettung fanden sich unter den vom bodengebundenen Rettungsdienst zu versorgenden Kindern signifikant häufiger Patienten mit Asthma, Hyperventilation und Pseudokrupp (p<0,001).

Abb. 6
figure 6

Anteil von Erkrankungen der Atmungsorgane an pädiatrischen Notfällen im bodengebundenen Rettungsdienst des Saarlandes 2001–2003

Psychiatrische Erkrankungen

Psychiatrische Notfälle und hier insbesondere die Krankheitsbilder „Psychose“, „Erregungszustand“, „Intoxikation mit Alkohol, Drogen oder Medikamenten“ und „Suizidversuche“ sind im bodengebundenen Rettungsdienst signifikant häufiger zu versorgen als in der Luftrettung (p<0,001). Der Altersschwerpunkt liegt jeweils bei den Jugendlichen (Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Anteil von Intoxikationen und psychiatrischen Erkrankungen an pädiatrischen Notfällen im bodengebundenen Rettungsdienst des Saarlandes 2001–2003

Weitere Erkrankungen

Erkrankungen des Abdomens sind im Kindesalter in beiden Rettungsdienstbereichen in weniger als 2% der Fälle zu versorgen. Stoffwechselerkrankungen und gynäkologische Notfälle machen jeweils weniger als 1% der Kindernotfälle aus. Aufgrund dieser geringen Anteile wird auf eine weitere Differenzierung verzichtet.

Diskussion

Methodenkritik

In der Literatur [1, 13, 22, 33] werden zumeist Kinder bis zum 14. LJ als pädiatrische Patienten definiert. In der vorliegenden Arbeit wurden zusätzlich Jugendliche (15.–18. LJ) in das Untersuchungskollektiv aufgenommen, um bestimmte Entwicklungen — etwa bei den Traumanotfällen oder bei Intoxikationen mit Genussmitteln — darstellen zu können. Durch Differenzierung in Untergruppen bleibt die Vergleichbarkeit der Daten mit der Literatur jedoch erhalten.

Diagnosespektrum und Verletzungsmuster beziehen sich in der vorliegenden Arbeit auf die Vorgaben des DIVI-Notarzteinsatzprotokolls. Einige Autoren [22, 33] wählen andere Einteilungskriterien. Dies schränkt die Vergleichbarkeit der Daten ein.

Eine Validierung der präklinischen Diagnose durch klinische Informationen [1, 21, 33] oder die Vorstellung von Outcome-Daten [22, 30] kann mit der gewählten Methodik wegen der Größe des Untersuchungskollektivs von 13.618 Kindernotfällen nicht geleistet werden.

Die Luftrettungsdaten sind Querschnittdaten, die die Alarmierungspolitik einer Vielzahl von Rettungsleitstellen wiedergeben. Die Einsätze im bodengebundenen Rettungsdienst des Saarlandes werden von einer einzigen Rettungsleitstelle disponiert; deswegen könnte ein vom Bundesdurchschnitt abweichendes Dispositionsverhalten dieser Leitstelle direkten Einfluss auf die Ergebnisse der vorliegenden Studie haben. Dagegen spricht, dass die Daten des im Saarland stationierten Rettungshubschraubers nicht wesentlich von den Luftrettungsdaten insgesamt abweichen.

Anteil der Kindernotfälle am Einsatzspektrum

In unserer Arbeit lag der Anteil pädiatrischer Notfälle im bodengebundenen Rettungsdienst bei 4,2% (1.–14. LJ) und entspricht damit den Angaben in der Literatur (5% in [16, 22, 25, 31, 33]). Abweichende Angaben gibt es in Studien aus Köln (8%, [17]), Mainz (7%, [8]) und Berlin (1,7%, [7]). Dies ist möglicherweise durch unterschiedliche Indikationsstellungen für Kindernotfalleinsätze in den jeweiligen Rettungsleitstellen begründet.

In der Luftrettung ist der Anteil pädiatrischer Notfälle mit 9,2% (1.–14. LJ) in unserer Untersuchung, analog zur Literatur [1, 13, 16], mehr als doppelt so hoch wie im bodengebundenen Rettungsdienst. Die im Kindesalter häufigen traumatologischen Notfälle, insbesondere die SHTs oder die im Kleinkindalter vermehrt zu beklagenden Verbrennungen/Verbrühungen, profitieren von den Behandlungsmöglichkeiten überregionaler Zentren, die mit Luftrettungsmitteln schnell erreicht werden können. Daher präferieren die Leitstellen Luftrettungsmittel bei diesen Notfallbildern [2, 28] und damit auch besonders bei pädiatrischen Patienten. So berichten Schmidt et al. [30], dass 83,6% aller in die Medizinische Hochschule, Hannover, eingelieferten Kinder mit gravierenden Traumen (NACA >III) mit Luftrettungsmitteln transportiert wurden.

Analog zu unseren Ergebnissen fanden sich in der Literatur sowohl im bodengebundenen Rettungsdienst [22] als auch in der Luftrettung [1]) Altersschwerpunkte im Kleinkind- und Schulkindalter. Untersuchungen mit hohem Anteil von Traumapatienten [13, 30, 36] zeigen eine noch stärkere Betonung des Schulkindalters, während Stopfkuchen et al. [33] in einer Untersuchung, die das überwiegend nichttraumatologische Notfallspektrum aus der Praxis niedergelassener Pädiater beschreibt, den Alterschwerpunkt im Säuglings- und Kleinkindalter sehen.

Verletzungs- und Erkrankungsschwere

Der hohen emotionalen Anspannung oder gar Angst der Rettungsdienstmitarbeiter vor der Versorgung pädiatrischer Notfälle [6, 15] steht ein geringer Anteil vitalbedrohter Kinder (NACA >IV) in unserer Untersuchung und in der Literatur [22, 33] gegenüber. Oft empfinden Eltern eine harmlose Akutsituation als unmittelbar existenzielle Bedrohung ihres Kindes [22, 33] und setzen eine Notfallmeldung mit entsprechender Reaktion des Rettungsdienstes ab. Der deutlich höhere Anteil vitalbedrohlicher Notfälle in der Luftrettung in unserer Untersuchung wird durch Ergebnisse anderer Arbeiten [1, 13, 36] bestätigt; hierbei steigt in den einzelnen Untersuchungen die Zahl vitalbedrohlicher Notfälle mit dem Traumaanteil an.

Notfallspektrum

Der in unserer Arbeit dokumentierte, im Vergleich zum bodengebundenen Rettungsdienst höhere Anteil traumatologischer Kindernotfälle im Luftrettungsdienst wird durch Angaben aus der Literatur [1, 7, 13, 22, 34, 36] gestützt, ebenso wie die Zunahme des Traumaanteils am Einsatzspektrum mit zunehmendem Lebensalter [1, 4, 7, 13, 22, 30, 33, 35] in beiden Untersuchungskollektiven.

Neben den bereits diskutierten einsatztaktischen Gründen für den bevorzugten Einsatz von Luftrettungsmitteln beim Trauma mag komplementär für den höheren Nichttraumaanteil im bodengebundenen Rettungsdienst eine Rolle spielen, dass eine Reihe häufiger Krankheitsbilder im Kindesalter entweder bevorzugt in den Abend- und Nachtstunden auftritt [22, 33] oder dann erst von den Eltern als gravierend wahrgenommen wird.

Verletzungsmuster

Dominierende Verletzung im Kindesalter ist das SHT. Je jünger die Kinder, desto häufiger sind SHTs zu beklagen. Hierbei fanden sich in unserer Arbeit keine Unterschiede zwischen Patienten der Luftrettung und des bodengebundenen Rettungsdienstes. Andere Studien aus Klinik [18, 24, 30] und Luftrettung [1, 13, 36] bestätigen diese Ergebnisse. Ursache hierfür sind die kindlichen Körperproportionen mit Betonung des im Vergleich großen und schweren Kopfes. Bei Säuglingen und Kleinkindern fanden wir daher häufig auch eine Kombination von SHTs mit Gesichts- und Wirbelsäulenverletzungen. In einer Studie von Helm et al. [13] waren Wirbelsäulenverletzungen die häufigste Begleitverletzung des SHT in der Luftrettung.

Schädel-Hirn-Traumen sind nicht nur häufig, sondern stellen besonders im Luftrettungskollektiv über alle Altersgruppen den größten Anteil an schweren Verletzungen dar [1, 13, 36], die oft über die weitere Prognose des verunfallten Kindes entscheiden [18].

Zweithäufigste, bei Schulkindern und Jugendlichen sogar häufigste Verletzung war in unserer Untersuchung in beiden Untersuchungskollektiven das Extremitätentrauma. Während Extremitätentraumen fast ausschließlich als „leicht“ oder „mittelschwer“ eingeordnet werden, sind Verletzungen von Thorax- und Abdomen oft schwer und treten wegen der engen räumlichen Beziehungen gerade bei kleineren Kindern oft als Kombinationsverletzungen (Torso- oder Rumpftrauma) auf. Diese Ergebnisse werden von anderen Autoren bestätigt [1, 36]. Helm et al. [13], in deren Untersuchung Rumpfverletzungen noch häufiger auftraten als Extremitätentraumen, weisen darauf hin, dass Thoraxverletzungen im Kindesalter zwar signifikant seltener zu beobachten sind als im Erwachsenenalter [24], dass sie jedoch häufig Ausdruck einer schweren Gesamtverletzung des Kindes sind und daher als „Leitverletzung“ für kindliche Polytraumen gelten können.

Verbrennungen und Verbrühungen haben einen deutlichen Altersgipfel im Säuglings- und Kleinkindalter mit hohem Anteil im Luftrettungskollektiv. Gerade Säuglinge und Kleinkinder mit ihrem hohen Erkundungsdrang bei altersbedingter Unfähigkeit zur Einschätzung von Gefahrenpotenzialen sind, insbesondere durch Verbrühungen, stark gefährdet [32].

Der Anteil polytraumatisierter Kinder nimmt mit dem Alter zu und erreicht in unserer Untersuchung bei Jugendlichen mit 9,5%-Anteil aller Kindernotfälle in der Luftrettung einen traurigen Rekord. Der Polytraumaanteil liegt damit in der Luftrettung bei Jugendlichen doppelt so hoch wie im Erwachsenenalter. Die zunehmende Selbstständigkeit und aktive Teilnahme am Straßenverkehr bei gleichzeitig noch nicht sehr umfangreicher Lebenserfahrung lassen die Risikobereitschaft und damit das Unfallrisiko ansteigen.

Akute Erkrankungen

Dominierende notärztlich zu versorgende Erkrankung im Kindesalter ist, unabhängig vom Rettungsmittel, der zerebrale Krampfanfall — in unserer Arbeit und in der Literatur [1, 7, 17, 22, 33, 34, 36]. Insbesondere der erste generalisierte Krampfanfall ihres Kindes beängstigt die Eltern sehr und führt damit häufig zur Alarmierung des Rettungsdienstes.

Zweithäufigste Erkrankungsgruppe in unserer Untersuchung sind analog zur Literatur [7, 22] Erkrankungen der Atmungsorgane — mit Präferenz im bodengebundenen Rettungsdienst. Das Notfallspektrum im Rettungsdienst unterscheidet sich in diesem Punkt vom Spektrum der von einer Kinderarztpraxis zu versorgenden Notfälle. In der Praxis sind deutlich mehr akute Atemwegserkrankungen zu behandeln [33].

Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die im Erwachsenenalter einen Schwerpunkt der Notfälle darstellen, spielen im Kindesalter in unserer Untersuchung und in der Literatur [1, 22] unabhängig vom eingesetzten Rettungsmittel keine größere Rolle.

Erschreckend ist der in unserer Untersuchung gegenüber der Literatur [7, 22] erheblich höhere Anteil von pädiatrischen Intoxikationspatienten im bodengebundenen Rettungsdienst. Hierbei stehen nicht etwa akzidentelle Intoxikationen im Säuglings- und Kleinkindalter im Vordergrund, sondern Alkohol-, Drogen- und Medikamentenintoxikationen bei Schulkindern und Jugendlichen. Bereits 1997 benannten 37% der Jugendlichen in der Shell-Studie [14] Alkohol- und Drogenabusus als Hauptproblem für ihre persönliche Zukunft. Im aktuellen Drogenbericht der Bundesbeauftragten 2005 [10] wird beklagt, dass die 16– bis 19-Jährigen mittlerweile die Altersgruppe innerhalb der Bevölkerung sind, die am häufigsten regelmäßig Alkohol trinkt, den mit 34% höchsten Anteil an „Binge-drinking-Episoden“ (Konsum von mehr als 5 Alkoholgetränken in Folge, „Rauschtrinken“) pro Monat aufweist und auch die höchste Alkoholrauschrate zeigt. Gegenüber den z. T. mehr als 10 Jahre zurückliegenden Literaturangaben scheinen unsere Daten diese aktuelle Verschärfung der Intoxikationsproblematik mit Alkoholmissbrauch durch immer jüngere Konsumenten widerzuspiegeln.

Aus- und Weiterbildung der Notärzte

Möller et al. [21] weisen in einer Arbeit zum Therapiestandard in der notärztlichen Versorgung von Kindernotfällen darauf hin, dass in 25% der untersuchten Fälle bei der Diagnose „multiples Trauma“ in gravierender Form von den Empfehlungen der Fachgesellschaften abgewichen wurde, bei Atemwegserkrankungen waren es gar 50%. Ähnliche Probleme werden aus der angloamerikanischen Literatur [9, 23] für die erste klinische Versorgung durch Nichtpädiater berichtet. Dass dieses Problem von den notärztlichen Kollegen erkannt ist, zeigen nicht nur Untersuchungen wie die von Bartels [6], in der nur 12% der befragten Notärzte mit ihrer eigenen Aus- und Fortbildung im pädiatrischen Bereich zufrieden waren, sondern wird auch durch die vollen Säle bei Fortbildungsveranstaltungen zu Kindernotfällen dokumentiert. Unsere Arbeit zeigt, dass der größte Teil pädiatrischer Notfälle im bodengebundenen Rettungsdienst durch einige Hauptdiagnosen (Krampfanfall, Atemwegserkrankungen, Intoxikationen, mittelschwere Traumen) abgedeckt wird, mit gegenüber dem Erwachsenenalter deutlich niedrigerer Erkrankungs- und Verletzungsschwere. Folgerrichtig sieht das Curriculum zum Fachkundenachweis Rettungsdienst der Bundesärztekammer [9] vor, sich in der notärztlichen Ausbildung neben anatomischen und physiologischen Besonderheiten im Kindesalter und PLS („pediatric life support“) um gezielte Wissensvermittlung zu den oben genannten spezifischen pädiatrischen Krankheitsbildern zu bemühen. Dies muss bei der gegenwärtigen Neuordnung der Ausbildungsinhalte im Zuge des Ersatzes des Fachkundenachweises Rettungsdienst durch die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin beibehalten werden. Bei dieser Neuordnung sollte der Traumaversorgung entsprechend dem hohen Traumaanteil bei pädiatrischen Notfällen eine besondere Beachtung zukommen [8]. Letzteres ist besonders für die in der Luftrettung eingesetzten Notärzte zu fordern, denn hier werden nach den Erkenntnissen unserer Arbeit deutlich mehr, deutlich stärker beeinträchtigte Kinder und deutlich mehr Traumapatienten versorgt als im bodengebundenen Rettungsdienst. Im Gegensatz zum Erwachsenenalter [29] sind im Kindesalter einheitliche Qualitätsanforderungsprofile für die präklinische Versorgung von Notfallpatienten, auf die sich die Aus- und Weiterbildung stützen könnte, bisher rar [5, 21]. Ihre Erarbeitung sollte vorrangiges Ziel pädiatrisch interessierter Notfallmediziner sein.

Fazit für die Praxis

Im bodengebundenen Rettungsdienst sind Kindernotfälle selten. Die Notfallschwere nach NACA-Score ist niedriger als im Erwachsenenalter. Einige wenige Krankheitsbilder (Krampfanfälle, Atemwegserkrankungen, Alkohol- und Drogenintoxikationen, mittelschwere Traumen) bilden den überwiegenden Anteil der zu versorgenden Notfälle. Die Aus- und Weiterbildung der Notärzte sollte dieses Anforderungsspektrum berücksichtigen und neben Kenntnissen zur Stabilisierung der Vitalfunktionen im Kindesalter (PLS inklusive praktischer Übungen) eine gezielte Wissensvermittlung zu oben genannten spezifischen pädiatrischen Krankheitsbildern umfassen.

Im Luftrettungsdienst sind Kindernotfälle deutlich häufiger als im bodengebundenen Rettungsdienst. Die Verletzungs- und Erkrankungsschwere der pädiatrischen Patienten nach NACA-Score ist erheblich höher. Es werden signifikant mehr Traumapatienten versorgt. Pädiatrische Notfälle bilden damit ein spezifisches Arbeitsfeld der Luftrettung. Um dem gerecht werden zu können, müssen die hier eingesetzten Notärzte in ihrer Aus- und Weiterbildung einen besonderen Schwerpunkt auf die Optimierung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten in der Versorgung pädiatrischer Notfallpatienten, insbesondere aus dem Bereich Trauma, legen.