Der präklinisch tätige Notarzt ist seit mehr als 25 Jahren ein fixer Bestandteil in der Akutversorgung von Notfallpatienten [18]. Bedingt durch die Erfordernis an kurzen Anfahrtszeiten ergibt sich eine relativ große Dichte an installierten Notarztsystemen, die in der Folge eine Verdünnung der Einsatzfrequenz für den einzelnen Notarzt ergibt. Die präklinische Anwendung von lebensrettenden diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen erfordert vom Notarzt aber neben einer soliden Ausbildung auch ein ständiges Training und entsprechende Erfahrung. Vorliegende Untersuchung soll die Frage beantworten, ob die erforderlichen Häufigkeiten durch den Notarztdienst allein erbracht werden können oder nicht und stellt auch einen Lösungsvorschlag zur Qualitätssicherung vor.

Notärztliche Einsätze im Grazer Rettungshubschrauber

Der Grazer Rettungshubschrauber wird seit 20 Jahren traditionell vom Universitätsklinikum Graz interdisziplinär besetzt [19]. Die Notärzte sind in ihrer Haupttätigkeit Anästhesisten, Chirurgen, Unfallchirurgen oder Internisten und absolvieren den Hubschrauberdienst teilweise als Dienstzuteilung (Regelarbeitszeit) bzw. in ihrer Freizeit. An 3 Tagen/Woche sind Anästhesisten tätig, während an den verbleibenden 4 Wochentagen Chirurgen, Unfallchirurgen und Internisten als Notärzte fungieren. Alle Notärzte sind Fachärzte ihrer Disziplin und verfügen über eine mehrjährige klinische Erfahrung sowie über eine 3-jährige Vorbildung als Notarzt im bodengebundenen Notarztsystem. Alle Anästhesisten sind der Ausbildungsordnung entsprechend auch Fachärzte für Intensivmedizin, die diensttuenden Internisten und Chirurgen verfügen auch über das Zusatzfach Intensivmedizin. Von den 9 Chirurgen sind 2 in der Herz-, 3 in der Transplantations-, 3 in der Unfall- und einer in der Thoraxchirurgie tätig. Sowohl die Internisten als auch die Anästhesisten sind außerhalb des Hubschrauberdienstes regelmäßig auf einer Intensivstation im Einsatz.

Das Einzugsgebiet des Notarztsystems umfasst einen Umkreis von etwa 140 km Luftlinie und eine Bevölkerungszahl von etwa 800.000 Einwohnern. Es werden sowohl Primäreinsätze als auch Sekundärtransporte von Intensivpatienten durchgeführt, die zusätzlich zu den üblichen präklinischen Versorgungsmustern fast immer auch mit invasiver Druckmessung, Katecholamintherapie u. Ä. versorgt werden müssen.

Methode

Sollvorgaben und Kennzahldefintionen

Im Jahr 2004 wurde am Stützpunkt der Beschluss gefasst, Kennzahlen dazu zu definieren, wie oft die wichtigsten präklinischen Maßnahmen von einem einzelnen Notarzt pro Jahr angewandt werden sollen, um von adäquater Erfahrung und von angemessener Übung sprechen zu können. Es wurden insgesamt 10 Maßnahmen und die vorgesehene Anzahl pro Notarzt und Jahr als Soll definiert (Tab. 1). Die Auswahl dieser Interventionen erfolgte einerseits auf der Basis vorhandener Empfehlungen [17] bzw. nach mehrjähriger Datenauswertung aus der Datenbank (NACA-X; [26]), sodass für jede Maßnahme bereits Durchschnittswerte bekannt waren. Im Konsens mit der medizinischen Crew-Leitung wurden die Sollwerte im oberen Bereich angesiedelt und aufgerundet.

Tab. 1 Anzahl der erwünschten Maßnahmen pro Notarzt und Jahr

Notärztliche Einsätze im Vergleich zu den Sollwerten

Am Ende des Jahres wurden die tatsächlich durchgeführten Maßnahmen eines Notarztes aus dem Datenbanksystem (NACA-X) [26] extrahiert und mit den Sollwerten verglichen. Gezählt wurden sowohl Primäreinsätze als auch Sekundärverlegungen; hierbei konnte retrospektiv nicht mehr zwischen „selbst durchgeführt“ und „bereits vorhanden“ unterschieden werden. Diese Werte werden danach in den Fertigkeitsnachweis jedes Notarztes übertragen, mit dem Auftrag die fehlenden Tätigkeiten im Krankenhaus nachweislich nachzuholen. Für jene Kollegen, die auch in bodengebundenen Notarztsystemen tätig waren, wurden auch die Tätigkeiten aus diesen Einsätzen mitgezählt.

Ergebnisse

Im Beobachtungszeitraum eines Jahres vom 01.01.–31.12.2005 wurden mit dem Rettungshubschrauber Graz 977 Einsätze absolviert. Davon waren 809 Primäreinsätze (82,8%) und 168 Sekundärtransporte (17,2%). Die Sekundärtransporte von Neugeborenen (n=21) wurden von Kinderärzten durchgeführt. Somit verblieben zur Auswertung insgesamt 956 Versorgungen durch Notärzte des Rettungshubschraubers. Pro Notarzt wurden im Durchschnitt 39,7 Einsätze durchgeführt. Die Verteilung ist in Abb. 1 dargestellt; der Durchschnittswert liegt bei 3,9. Der seit Jahrzehnten bekannte NACA-Score [23] wird auch an unserem System zur Evaluierung der Schwere des Notfallgeschehens angewandt. Die Anzahl der vermutlich interventionsbedürftigen Notfallpatienten (NACA-Kategorien 4–6) bzw. der Reanimationen betrug im Beobachtungszeitraum 521 (54,5%). Das ergibt einen Durchschnitt von 25,6 Einsätzen/Notarzt und Jahr. Der Anteil der lebensbedrohlich erkrankten/verletzten Patienten (NACA-Klassen 5 und 6) liegt sogar unter 20% (Abb. 2).

Abb. 1
figure 1

Auflistung der Einsätze pro Notarzt. Notärzte sind von 1–20 nummeriert (Mittelwert 39,7, Spannweite von 18–80)

Abb. 2
figure 2

Verteilung der Notarzteinsätze nach der NACA-Einstufung

In der Abb. 3 sind die Häufigkeiten der definierten präklinischen Tätigkeiten dargestellt (Mittelwerte, Minimum und Maximum). Wie daraus ersichtlich, werden im Durchschnitt die primären Zielwerte um 32,3% unterschritten (von 5,0–76,7%). Lediglich in den Bereichen „Schienung und Lagerung“ erreicht der Mittelwert das erwünschte Soll. Die Verteilung über alle Notärzte ist aber relativ gleich. Das zeigt auch die Tatsache, dass nur ein Kollege bei der arteriellen Druckmessung den Sollwert von 5 invasiven Druckmessungen/Jahr erreicht.

Abb. 3
figure 3

Darstellung des Verhältnisses zwischen den erwünschten Häufigkeiten präklinischer Maßnahmen und den tatsächlichen Häufigkeiten (Mittelwerte, minimale und maximale Werte)

Diskussion

Die im Rahmen des Qualitätsmanagements vorgegebenen Sollwerte für die erforderlichen notfallmedizinischen Techniken für den Notarzt können im Notarztdienst am Rettungshubschrauber allein nicht erreicht werden. Um wirklich von Erfahrung und laufendem Training sprechen zu können, besteht ein zu großes Missverhältnis zwischen der Anzahl der absoluten Notfalleinsätze und der Zahl an Notärzten. Außerdem ist der Anteil an interventionsbedürftigen Notfallpatienten (NACA-Kategorien 4–6) mit 54% sehr gering und sinkt auch zunehmend im Verlauf der letzten Jahre. Dies begründet sich auch durch die steigende Installierung bodengebundener Notarztsysteme, die zwar im Vergleich zur Anflugzeit des Hubschraubers keine wesentlich kürzere Anfahrtszeit aufweisen, jedoch im Gegensatz zu diesem 24 h/Tag zur Verfügung stehen. Aufgrund der derzeitigen dezentralen Leitstellenstruktur mit ca. 40 verschiedenen Stützpunkten, wird nicht nur nachts, sondern eben auch am Tag oft der örtlich nächstgelegene bodengebundene Notarzt entsandt [11].

In den meisten bodengebundenen Notarztsystemen unseres Bundeslandes liegt der Anteil der relativen Fehleinsätze (NACA-Kategorie 3 und kleiner) bei mehr als 50% [11] und damit sogar noch über den Werten am Rettungshubschrauber. Es ist derzeit zur Kenntnis zu nehmen, dass die Mehrzahl der Notarzteinsätze keine Notfall-, sondern maximal ärztlich zu betreuende Patienten sind. Dies ist ein Faktum, das sich in den Effektivitätsanalysen der Notfallmedizin keineswegs positiv niederschlägt.

Ähnliche Ergebnisse wurden auch im Jahr 2005 von Gries et al. [7] publiziert. Darin erreichen die notfallmedizinischen Fertigkeiten ähnlich niedrige Frequenzen wie in unserer Auswertung.

Ein Schwachpunkt unserer Untersuchung ist, dass nicht zwischen „vom Hubschrauberarzt selbst“ vs. „von bodengebunden tätigen Notärzten“ versorgten Patienten unterschieden werden kann. Bei manchen Interventionstechniken (Beatmung, Kontrolle der Tubuslage, Management einer invasiven Druckmessung usw.) ist aber nicht die selbstständige Tätigkeit allein, sondern auch das Management von Komplikationen relevant. Andererseits hat die vorliegende Untersuchung ergeben, dass die vorgegebenen Frequenzen ohnehin unter-, in keinem Fall wirklich überschritten werden, sodass die Nachschulung auf jeden Fall die logische Konsequenz bleibt.

Es ist mehrfach beschrieben worden, dass der präklinische Behandlungserfolg in großem Maß von der Erfahrung in der Anwendung abhängt [1, 6, 9, 20, 21]. Man muss allerdings zu bedenken geben, dass in der Notfallmedizin kaum strenge Empfehlungen zu bestimmten Akutinterventionen existieren. Ebenso werden auch die Indikationen sehr unterschiedlich bewertet [2, 13, 14, 22, 24, 25]. Als Beispiel der notfallmedizinischen Problematik soll die orotracheale Intubation herausgehoben werden. Sie gilt innerklinisch als „state of the art“ beim Notfall und wird im Routinebetrieb eines operativen Bereiches täglich mit einer Erfolgsquote von >90% praktiziert. Präklinisch wird sie als „wichtige und schwierige Intervention“ und „ungewöhnliches Ereignis“ [29] gehandelt. Die Mehrheit der Studien spricht sogar gegen die Frühintubation, sowohl bei traumatischen [4, 12, 22] als auch nichttraumatischen Notfällen und auch bei der Reanimation [14, 29]. Kritische Untersuchungen bringen jedoch inadäquate Zeitverluste [25, 28], hohe Fehlintubationsraten [10, 27, 29], die nicht erkannt werden, inadäquate Beatmung und Sedierung ans Tageslicht [3]. All diese Faktoren lassen sich direkt als Erfahrungs- und Trainingsmangel werten. Die aktuellen Guidelines des ERC (European Resuscitation Council) nehmen auf diese Problematik Rücksicht und empfehlen die Intubation nur dem geübten Anwender [17].

Die positiven notfallmedizinischen Studien, wie kürzlich von Fischer et al. (Reanimation; [5]), von Helm et al. (adäquate Beatmung mit Kapnometrie; [8]) oder auch die frühzeitige Diagnostik und das adäquate Management eines Myokardinfarkts [12, 16] sind Hinweise, dass medizinische Erfahrung und Qualität sehr wohl auch das Outcome beeinflussen [15]. In diesen europäischen Studien wird dieses Training durch die innerklinischen Tätigkeiten des Notarztes sichergestellt [5].

Ein Lösungsansatz wäre sicherlich, die Zahl der Notärzte zu reduzieren. Dies führt primär zu einer Steigerung der Interventionsfrequenz/Notarzt. Ob damit insgesamt die Erfahrung der Anwender steigt, ist fraglich, da ein weiteres Problem des Notarztdienstes, die hohe Fluktuation der Ärzte, nicht behoben würde. Solange derart hohe Fehleinsatzraten an der Tagesordnung stehen und der Notarzt als Ersatz für fehlende medizinische Infrastrukturen einspringen muss, kann man nicht erwarten, dass qualifizierte Notfall- und Intensivmediziner jahrelang begeistert Notarztdienst absolvieren. Außerdem führt dies zur stärkeren Konkurrenz mit den Dienstpflichten im Krankenhaus und zur Einengung der fachlichen Breite. Der „Endpunkt“ dieser Reduktionsüberlegungen ist dann der „Rettungsarzt“ als ausnahmslos im Notarztdienst tätig – ein Modell, das in manchen Notarztsystemen bereits praktiziert wird. Das erfordert aber auch den Aufbau diverser Einrichtungen zur Aus- und Fortbildung in den Rettungsorganisationen sowie zur Qualitätskontrolle – Strukturen, die im Krankenhaus bereits vorhanden sind.

Die Anwendung alternativer Schulungskonzepte wie „Mega-Code Training“, Übungen am Anästhesiesimulator, EKG-Beispiele und Computersimulation sind sicherlich ein zukunftweisender Weg, fehlende Fähigkeiten zu erwerben und zu erhalten. Einige entscheidende Parameter beruhen jedoch trotz allem auf subjektiven Einschätzungen (Zentralisation, Beatmungswiderstand, Blutverlust usw.), die sich wiederum nur durch die Tätigkeit am Patienten erwerben lassen.

Zusammengefasst gibt es zwei mit geringem Aufwand durchführbare Lösungen:

  • Reduktion der Anzahl der Notärzte und

  • ergänzende Tätigkeit im angebundenen Krankenhaus.

Die Konsequenz dieser Untersuchung sieht nun in unserem Haus ein spezielles Trainingsprogramm vor. Für jeden Notarzt wurden die entsprechenden Zutritte zu den anästhesiologischen oder chirurgischen Arbeitsplätzen, zur Erstaufnahme, zur Intensivstation und zu den Ambulanzen geregelt. Er ist nun aufgefordert, anhand einer Checkliste die fehlenden Techniken im Krankenhaus innerhalb von 3 Monaten nachweislich zu absolvieren. Dieses System des Qualitätsmanagements erfordert lediglich eine Standarddatenanalyse zur Auflistung der durchgeführten Maßnahmen und dann die Bereitschaft des Notarztes sein Defizit zu beheben.

Zusammenfassung

Die Untersuchung zeigt deutlich, dass akute Interventionen im Hubschrauberrettungsdienst sehr selten geworden sind. Kein einziger Notarzt erreichte die Minimalerfordernisse des Qualitätszirkels, der im Vorfeld eine gewisse Anwendungsfrequenz als Voraussetzung für die Qualitätssicherung definierte. Der Notarztdienst allein ist bei den derzeit vorhandenen Strukturen und der aktuellen Logistik nicht geeignet, in den notfallmedizinisch relevanten Techniken ausreichend geübt zu bleiben. Der derzeit noch am einfachsten gangbare Weg ist die Anbindung an ein Akutkrankenhaus, in dem die fehlende Anzahl an notfallmedizinischen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung einer gewissen Erfahrung intrahospital nachgeholt werden kann.

Fazit für die Praxis

Das Anforderungsprofil eines Notfallpatienten erfordert vom Notarzt ein rasches gezieltes Handeln unter Berücksichtigung der oft suboptimalen Arbeits- und Umgebungsbedingungen. Aus diesem Grund sind eine ausreichende Ausbildung und Erfahrung durch kontinuierliche Tätigkeit die Grundvoraussetzung für eine Versorgungsqualität. Bedingt durch die berechtigte Forderung nach flächendeckender Notfallversorgung mit kurzen Hilfsfristen sind Notfälle, die eine akute Intervention erfordern, auch im regulären Notarztdienst Seltenheit geworden. Damit ist es nicht möglich, durch die Notarzttätigkeit allein, eine notfallmedizinische Prozessqualität zu garantieren. Das Modell Graz ist ein Ansatz, in dem dieses Problem durch Anbindung eines Notarztsystems an ein Krankenhaus, gemeinsam mit einem gezielten Qualitätsmanagement und Controlling, gelöst werden kann.