Hintergrund und Fragestellung

Die Beschichtung von Knieprothesen für Patienten mit einer Metallallergie muss außer der durch verminderte Ionenabgabe allergiereduzierenden Wirksamkeit auch weitere Anforderungen erfüllen. Sie soll im Vergleich mit einer unbeschichteten Prothese keine Nachteile (z. B. erhöhter Verschleiß) aufweisen und es muss gewährleistet sein, dass die Verbindung der Beschichtung mit dem Implantat so dauerhaft ist, dass ein Abplatzen der Beschichtung während der Tragedauer des Implantats ausgeschlossen ist. Diese Anforderungen wurden für ein neuartiges keramisches Beschichtungssystem in einer präklinischen Versuchsreihe getestet.

In den letzten Jahrzehnten hat sich der totale Kniegelenkersatz (TKE) als erfolgreiches Operationsverfahren mit guten klinischen und radiologischen Langzeitergebnissen etabliert [2, 16, 18]. Die eingesetzten Implantatmaterialien sind dabei in der Regel sehr gut bioverträglich [19, 26, 27]. Mögliche Komplikationen sind neben häufigeren Auslösern wie Infekten oder biomechanischen Ursachen auch allergische Reaktionen [19, 26, 27, 29]. Diese sind als Wundheilungsstörungen, Schmerzen, Schwellungen, Urtikaria, Ekzeme, Fistelbildungen, beeinträchtigte Knochenheilung bis hin zu aseptischen Implantatlockerungen beschrieben [8, 10, 13, 24, 26, 27, 33].

Auslöser einer Allergie im Zusammenhang mit Implantaten sind meistens Metalle wie Nickel, Kobalt oder Chrom, seltener auch Bestandteile des Knochenzements [8, 10, 23, 25, 28, 29]. Implantatallergien scheinen im Gegensatz zu der häufig vorkommenden kutanen Metallallergie [7, 22] selten zu sein [4, 5, 21], große epidemiologische Übersichtsarbeiten dazu fehlen jedoch bislang [27]. In einer Übersichtsarbeit fassten Hallab et al. [10] etliche Artikel aus den 70er bis 90er Jahren zum Thema „Metallsensibilisierung“ zusammen. Für die Allgemeinbevölkerung betrug der Anteil der Betroffenen 10%. Für Patienten mit guter Implantatfunktion fanden sie eine mittlere „Metallsensibilisierung“ von 25% (3%–43%), während bei unzureichender Funktion der Gelenkimplantate eine erhöhte Rate von ca. 60% (13%–71%) berichtet wurde. Der Begriff „Metallsensibilisierung“ fußt dabei auf unterschiedlichen In-vitro-Lymphozytenstimulationsassays und In-vivo-Allergietests. Die anhand von Epikutantests in einer süddeutschen Allgemeinbevölkerung gesehenen mittleren Kontaktallergieraten liegen bei etwa 13% für Nickel, 2% für Kobalt und etwa 1% für Chrom [22]. Bislang ist unbekannt, welche Konstellationen eine periimplantäre Überempfindlichkeitsreaktion bei bestehender kutaner Metallallergie auslösen [27, 29].

Um die Ionenabgabe an das periimplantäre Gewebe zu vermindern, werden bei Vorliegen einer Metallallergie zunehmend Femur- und Tibiakomponenten aus CoCrMo oder Titanlegierung eingesetzt, die mit einer PVD-Schicht (physical vapour deposition) aus Titannitrid oder Titanniobnitrid eingekapselt sind (Oberflächenmaskierung; [1, 11, 31]). Diese keramischen Beschichtungen zeichnen sich durch große Härte und gute Verschleißbeständigkeit aus, zeigen aber in seltenen Fällen den nachteiligen Effekt, von dem weicheren Grundmaterial abzuplatzen [17, 30]. Um das Risiko einer Schichtermüdung infolge eines großen Härteunterschieds und Eigenspannungsgradienten weiter zu minimieren, besteht ein neuer Ansatz darin, ein mehrlagiges PVD-Beschichtungssystem auf die Implantate aus CoCrMo aufzubringen, welches an den jeweiligen Schichtgrenzen nur eine geringe Härtedifferenz und zusätzlich geringe Zugspannungen in der Schicht aufweist.

In präklinischen Untersuchungen werden für dieses neuartige keramische Beschichtungssystem die denkbaren klinischen Versagensmechanismen wie unzureichende Schichthaftung, Verschleißeigenschaften in Artikulation mit Polyethylen, Schichtermüdung durch Dreikörpereinfluss und Barrierefunktion zur Reduktion der Ionenabgabe im Vergleich zu unbeschichteten Implantaten aus CoCrMo geprüft.

Material und Methode

Zur Reduktion der Ionenfreisetzung von Knieimplantaten aus CoCr29Mo6-Legierung wurde ein neuartiges Multilagenschichtsystem entwickelt, welches aus einer dünnen Haftschicht aus Chrom, 5 alternierenden Zwischenlagen aus Chromnitrid- (CrN-)/Chromcarbonitrid (-CrCN) und einer abschließenden Deckschicht aus Zirkonnitrid (ZrN) besteht (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Zirkonnitridbeschichtete Knieimplantate (links) und Aufbau des Multilagenschichtsystems als Schnitt im Rasterelektronenmikroskop (Mitte) und als Ausschnitt eines Kalottenschliffs (rechts), in dem die einzelnen Schichten zu erkennen sind

Das 7-lagige Schichtsystem wird mittels physikalischer Gasphasenabscheidung (PVD) auf die Knieimplantate aus CoCrMo aufgebracht, wobei die Gesamtdicke ca. 3,5–5,0 µm beträgt. Die gradiert aufgebrachten CrN-CrCN-Schichten überbrücken das Härte- und Eigenspannungsgefälle zwischen dem weicheren Grundwerkstoff CoCrMo und der sehr harten ZrN-Deckschicht und gewährleisten so die mechanische Integrität des Systems. Die Grenzflächen zwischen den Lagen stellen eine zusätzliche Diffusionsbarriere für Ionen aus dem Grundwerkstoff dar. Die finale keramische ZrN-Schicht versiegelt das System und weist eine hohe Biokompatibilität auf.

Die Haftfestigkeit der Beschichtung wurde über einen standardisierten Dorneindruckversuch gemäß VDI-Richtlinie 3198 ermittelt. Analog zur Härteprüfung wird hier in einem Rockwell-C-Test (HRC) die Schichthaftung auf der Implantatkomponente aus CoCrMo-Legierung untersucht und qualitativ eine Bewertung eines möglichen Schichtversagens vorgenommen. Als Eindringkörper wurde ein Diamantkegel mit 120° Spitzenwinkel verwendet, welcher zur Eliminierung von Oberflächeneffekten zunächst mit einer Vorkraft von 10 N beaufschlagt wird und anschließend mit einer maximalen Prüfkraft von 1471 N in das Schichtsystem eindringt. Der Übergang zwischen Schichtoberfläche und kegelförmigem Eindringkrater wurde entgegen dem Standard nicht bei 100facher Vergrößerung unter lichtmikroskopischer Betrachtung, sondern im Rasterelektronenmikroskop (REM) unter 250facher Vergrößerung auf denkbare Abplatzer und Rissbildungen hin untersucht.

Zur Charakterisierung der Abriebeigenschaften erfolgte in vitro eine Verschleißsimulation gemäß ISO 14243-1:2002(E) im direkten Vergleich von beschichteten und unbeschichteten Knieimplantaten. Auf einem servohydraulischen 4-Stationen-Kniesimulator (Endolab GmbH, Thansau/Rosenheim) wurde das ebene Gehen entsprechend des ISO Protokolls mit 0–58° Flexion abgebildet. Während des Gangzyklus wirkt hierbei in der Standbeinphase bei 15° Flexion die maximale Axialkraft von 2600 N von distal auf das Tibiaplateau mit einem medialen Offset von 7%. Um die designspezifische tibiofemorale Kinematik abzubilden, wurden die Versuche kraftgeregelt mit einer A/P-Kraft von +110 N (anterior) und −265 N (posterior) sowie einem I/E-Rotationsmoment von +6 Nm (intern) und −1 Nm (extern) durchgeführt. Zur Simulation der umgebenden Band- und Weichteilstrukturen wirkt ein paarweise angeordnetes Federsystem mit einer Steifigkeit von 30 N/mm der A/P-Bewegung und mit 0,6 Nm/° der I/E-Rotation entgegen.

Für die Implantatkonfiguration des Columbus®-CR-Kniesystems (Aesculap AG, Tuttlingen) wurden je 4 unbeschichtete (Proben U0–U3) und beschichtete (Proben B0–B3) Knieprothesen mit Epoxidharz in die Simulatoraufnahmen eingebettet. Getestet wurde über 5 Mio. Zyklen bei einer Frequenz von 1 Hz. Zur Reduzierung von Messfehlern durch Absorption des Synovialflüssigkeitsersatzes bei der gravimetrischen Bestimmung der Verschleißmenge wurden die Gleitflächen aus UHMWPE für 30 Tage (Sättigungszustand) in Serum basiertem Testmedium ausgelagert. Zur näherungsweisen Abbildung der Schmierverhältnisse nach künstlichem Gelenkersatz wurde ein Testmedium bestehend aus Kälberserum und deionisiertem Wasser mit einem definierten Proteingehalt von 30 g/l verwendet. Das Medium wird auf 37°C temperiert, mittels EDTA pH-stabilisiert und in Intervallen von 0,5 Mio. Zyklen ausgetauscht. Bei jedem Messintervall (0,5; 1; 2; 3; 4; 5 Mio. Zyklen) wurden die Gleitflächen anhand einer standardisierten Vorgehensweise [ISO 14243-2:2002(E)] gereinigt und die Verschleißmenge der Meniskuskomponenten gravimetrisch bestimmt.

Nach Abschluss des ISO-Versuchs (5 Mio. Zyklen) wurde im Sinne einer Testung unter Extrembedingungen eine massive Kontamination der Probenkammer mit kortikalen Knochenspänen und Knochenzementpartikeln (Palacos® R, Heraeus Medical, Wehrheim) vorgenommen (Abb. 2) und die Verschleißsimulation jeweils weitere 500.000 Zyklen fortgeführt. Insbesondere die harten keramischen Partikel des im Zement enthaltenen Röntgenkontrastmittels (Zirkondioxid) können in vivo zu starken Kratzern auf polierten CoCrMo-Oberflächen von Knieimplantaten und Hüftköpfen führen [3, 12].

Abb. 2
figure 2

Mit Partikeln aus kortikalem Knochen (oben) und Knochenzement (unten) massiv kontaminierte Probenkammern zur Verschleißsimulation des Multilagenschichtsystems unter extrem abrasiven Bedingungen

Zur Messung der Konzentration von Metallionen im Serum wurde bei jedem Messintervall Testmedium entnommen und die Einzelproben der Simulatorstationen U1–U3 (unbeschichtet) und B1–B3 (beschichtet) wurden zu je einer Serumprobe IKU1–3 und IKB1–3 zusammengefügt. Mittels induktiv gekoppelter Plasma-Atom-Emissionsspektroskopie (ICPAES) wurden die Ionenkonzentrationen von Molybdän (Mo), Nickel (Ni), Kobalt (Co) und Chrom (Σ CrIII+CrVI) für die Serumproben IKU1–3 und IKB1–3 gemäß ISO 11885 bestimmt. Die Nachweisgrenze dieses Analyseverfahrens liegt bei 1 µg/l (1 ppb). Die Serumanalysen der nur axial belasteten Referenzproben (IKU0, IKB0) – Stationen U0, B0 ohne Relativbewegung in der tibiofemoralen Artikulation – dienen dabei als Vergleichsbasis.

Ergebnisse

Bei der qualitativen Bewertung der Schichthaftung im Dorneindrückversuch konnten am Übergang zwischen Schichtoberfläche und kegelförmigem Eindringkrater keine Abplatzer oder Rissbildungen detektiert werden (Abb. 3). Das Multilagenschichtsystem weist damit eine ausgezeichnete Haftfestigkeit auf den Implantatkomponenten aus CoCrMo-Legierung auf.

Abb. 3
figure 3

Eindruck des Prüfdorns in 250facher Vergrößerung. Es sind am Rand des Kraters keine Abplatzer oder Einrisse zu erkennen; ein Nachweis für ausgezeichnete Schichthaftung. Die vereinzelt sichtbaren weißen Partikel sind lediglich Staubpartikel, die nicht komplett entfernt werden konnten

Im Verschleißversuch nach ISO 14243-1:2002(E) ergibt sich für die Polyethylengleitflächen in Artikulation mit unbeschichteten Femur- und Tibiakomponenten (U1–U3) eine durchschnittliche Verschleißrate von 8,8 ±2,85 mg/Mio. Zyklen. Die ZrN-Beschichtung auf den Knieimplantaten (B1–B3) führt zu einer deutlichen Verschleißreduktion der Gleitflächen auf 3,5 ±0,18 mg/Mio. Zyklen (Abb. 4). Insbesondere die geringe Streubreite bei den beschichteten Knieprothesen ist ein eindeutiges Indiz für die hohe Oberflächenqualität, das gute Benetzungsverhalten und die hohe Beständigkeit gegen Kratzer der keramischen ZrN-Schicht. Die Polyethylengleitflächen weisen in beiden Gruppen prinzipiell vergleichbare Verschleißmuster auf, die durch polierte Stellen mit leichten Kratzern, matte und wellige Oberflächen und Bereiche mit Riffelmustern charakterisiert werden können. Die Oberflächen der ZrN-beschichteten Femurkomponenten zeigen nach 5 Mio. Zyklen keine wesentliche Veränderung gegenüber dem Ausgangszustand. Die zu beobachtende leichte Aufhellung der artikulierenden Kondylenbereiche ist lediglich ein Kennzeichen für eine weitere Politur der ZrN-Beschichtung (Abb. 5).

Abb. 4
figure 4

Verschleißrate der Polyethylengleitflächen bei den unbeschichteten (U1–3) und den ZrN beschichteten (B1–3) Kniesystemen nach ISO 14243-2:2002(E)

Abb. 5
figure 5

Oberflächenanalyse der ZrN-beschichteten Femurkomponente (B2) mit dem Mikroskop nach 5 Mio. Zyklen in 4 verschiedenen Kondylenbereichen (abcd). *Der weiße Spot (s. Pfeil) ist auf eine Reflexion der Beleuchtungseinrichtung bei der Aufnahme zurückzuführen

Die optische Analyse der ZrN-beschichteten Femurkomponenten offenbart eine vergleichbare Schichtstruktur in Bereichen außerhalb der Artikulation zum UHMWPE (Region A) und den artikulierenden Kondylenflächen (Region B, C und D). Auch die Zugabe von kortikalen Knochenspänen (5,0–5,5 Mio. Zyklen) und Knochenzementpartikeln (5,5–6,0 Mio. Zyklen) führt zu keinen sichtbaren Kratzern oder Schichtzerrüttungen (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Oberflächenanalyse der ZrN-beschichteten Femurkomponente (B3) mit dem Mikroskop nach Zugabe von kortikalen Spänen und Knochenzementpartikeln (6 Mio. Zyklen). *Die schwarzen Spots (s. Pfeile) sind auf eine Reflexion der Beleuchtungseinrichtung bei der Aufnahme zurückzuführen

Dies belegt die hohe mechanische Integrität des Multilagenschichtsystems auch unter tribologisch äußerst ungünstigen Rahmenbedingungen.

Die Metallionenkonzentration im Serum der beschichteten Implantate liegt für den Gehalt an Nickel und Molybdän im Bereich der Nachweisgrenze (1 µg/l, bzw. 1 ppb), während für die unbeschichteten Komponenten aus CoCr29Mo6 die Nickelkonzentration 20fach und die Molybdänkonzentration 10fach erhöht ist (Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Ionenkonzentrationen im Serum für Molybdän, Nickel, Kobalt und Chrom für die unbeschichteten (U1–U3) und die beschichteten (B1–B3) Kniesysteme am Ende der Einlaufphase im Verschleißversuch (1 Mio. Zyklen). Die Konzentrationen der lediglich axial belasteten beschichteten Probe B0 dienen hierbei als Referenz

Die Serumkonzentrationen von Kobalt- und Chromionen (ΣCrIII+CrVI) liegen für die ZrN-beschichteten Knieimplantate (Proben B1–B3) wenig oberhalb der Nachweisgrenze, wohingegen die Konzentrationen für die unbeschichteten Kniesysteme um annähernd zwei Größenordnungen erhöht sind. Die Ionenkonzentrationen im Serum der nur axial belasteten ZrN-beschichteten Referenzprobe (B0) sind praktisch auf einem identischen Niveau wie die Seren der ZrN-beschichteten Kniekomponenten unter Verschleißsimulation. Dies ist ein Nachweis für die sichere Barrierefunktion des Multilagenschichtsystems gegenüber Diffusion von Metallionen aus dem CrCrMo-Grundwerkstoff auch unter extrem abrasiven Beanspruchungen im Verschleißsimulator.

Diskussion

Für Patienten mit Verdacht auf periimplantäre Metallionenhypersensitivität wurde für Knieimplantate ein neuartiges keramisches Multilagenbeschichtungssystem mit der Zielsetzung entwickelt, die Freisetzung von Nickel-, Kobalt-, Molybdän- und Chromionen in das periprothetische Umgebungsgewebe zu minimieren. Die grundlegende Idee war hierbei, die Vorteile konventioneller metallischer Knieimplantate aus CoCrMo wie beispielsweise hohe Bruchzähigkeit mit den Vorteilen der Keramik wie hohe Härte, Kratzfestigkeit und gute Benetzbarkeit zu kombinieren. Die allergiepräventive Wirkung dieses keramischen Multilagenschichtsystems beruht auf einer Diffusionsbarriere der einzelnen Schichten für Metallionen aus dem Grundwerkstoff und einer hohen Biokompatibilität der finalen, keramisch inerten ZrN-Schicht.

In der vorliegenden Studie wurden für das keramische Beschichtungssystem denkbare klinische Versagensmechanismen wie unzureichende Schichthaftung, Schichtermüdung durch abrasiven Dreikörpereinfluss, Abriebeigenschaften in Artikulation mit Polyethylen und Barrierefunktion im Vergleich zu unbeschichteten Implantaten aus CoCrMo präklinisch untersucht.

Die Haftfestigkeit des keramischen Beschichtungssystems auf dem CoCrMo-Implantat wurde mit Hilfe eines Dorneindruckversuchs gemäß VDI-Richtlinie 3198 überprüft. Das Ergebnis des Eindrückversuchs auf der beschichteten Prothese entspricht der obersten Haftfestigkeitsklasse HF1, womit die sehr gute Haftfestigkeit des Schichtsystems bestätigt werden konnte. Die ausgezeichnete Haftfestigkeit zeigt sich deutlich in den rasterelektronenmikroskopischen Aufnahmen am Übergang des Kraters, den der Diamantkegel im Eindrückversuch hinterlässt, der völlig frei von Rissbildungen und Abplatzern ist. Somit ist ein Versagen des Beschichtungssystems auf dem Implantat in vivo auch langfristig nicht zu erwarten. Das Risiko von Abplatzern herkömmlicher Monolayerschichten [17, 30] aufgrund von initialen Beschädigungen (z. B. während der Implantation) oder aufgrund langfristiger Ermüdung der dünnen und sehr harten Deckschicht (vgl. Eierschale auf gekochtem Ei) ist somit für das mehrlagige Beschichtungssystem nahezu ausgeschlossen.

Bei der Charakterisierung der Abriebeigenschaften für die Polyethylengleitflächen ergibt sich für die unbeschichteten Implantate aus CoCrMo eine Verschleißrate von 8,8 mg/Mio. Zyklen, während in Artikulation mit den beschichteten Implantaten eine Verschleißrate von 3,5 mg/Mio. Zyklen aufgezeichnet wurde. Diese Ergebnisse stimmen sehr gut mit vergleichbaren Verschleißuntersuchungen an verschiedenen Knieprothesen in der Literatur überein, wo für konventionelles Polyethylen im Durchschnitt 15,4 (3,1–38,3) mg/Mio. Zyklen und für hochvernetztes Polyethylen 8,2 (2,8–12,1) mg/Mio. Zyklen berichtet werden [9]. Für die Multilayer ZrN-beschichteten Knieimplantate konnte eine Verschleißreduktion gegenüber CoCrMo um ca. 60% nachgewiesen werden. Diese Verschleißreduktion zeichnet die ZrN-beschichteten Knieimplantate auch gegenüber „Allergielösungen“ aus Titan oder Titanlegierungen aus, die teilweise sehr hohe Verschleißraten aufweisen [14, 15].

White et al. [32] konnten für geschmiedete Implantate aus Zirkonium-Niob-Legierung mit einer durch Oxidation hergestellten keramischen Oberfläche (ZrO2) einen deutlich geringeren Polyethylenverschleiß im Vergleich zu denselben Komponenten aus CoCrMo nachweisen und führten dies auf eine bessere Benetzbarkeit (Reduktion der Adhäsion) sowie der höheren Härte (erhöhte Widerstandskraft gegen Kratzer) der keramischen Oberfläche zurück. Diese Ergebnisse wurden durch Ezzet et al. [6] in einer neueren Studie mit einer Verschleißreduktion von 42% der ZrO2-Implantate gegenüber CoCrMo im Kniesimulator bestätigt.

Ries et al. [20] haben die Verschleißeigenschaften von CoCrMo- und ZrO2-Implantaten unter erschwerten abrasiven Bedingungen im direkten Vergleich getestet mit dem Ergebnis, dass der erhöhte Widerstand gegen ein Aufrauen bzw. Verkratzen der Oberfläche durch harte Partikel bei den ZrO2-Implantaten den Vorteil des reduzierten Polyethylenverschleißes noch einmal deutlich erhöht.

In den vorliegenden Versuchen zu ZrN-beschichteten Knieimplantaten war selbst nach Zugabe von kortikalen Knochenspänen und Knochenzementpartikeln keinerlei Schädigung (Kratzer, Abplatzer, o. ä.) auf den Kondylenflächen zu erkennen. Dies spricht für die ausgezeichnete Verschleißbeständigkeit und Langlebigkeit des Multilayerbeschichtungssystems.

Die Ionenabgabe der ZrN-beschichteten Implantate ins Serum der Verschleißversuche ist für Nickel und Molybdän soweit reduziert, dass Spuren dieser Elemente lediglich im Bereich der Nachweisgrenze auftreten. Für Kobalt und Chrom konnten minimale Anteile im Serum nachgewiesen werden, die jedoch um Größenordnungen unter denen der unbeschichteten Vergleichsimplantate aus CoCrMo liegen. Hierbei kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass diese minimalen Anteile aus Verunreinigungen aus dem Serum herrühren, die durch die Verwendung von metallenen Gefäßen, o. ä. bei Herstellung, Lagerung oder beim Umgießen des Serums entstanden sein könnten. Die Tatsache, dass im Serum der unbelasteten Referenzprobe B0 annähernd dieselben Kobalt- und Chromkonzentration gemessen wurden (s. Abb. 7), weist in diese Richtung. In diesem Fall wäre von den ZrN-beschichteten Implantaten in Artikulation keine zusätzlichen Kobalt- oder Chromionen ins Serum abgegeben worden.

Die absolute Ionenkonzentration, ab der eine periimplantäre Überempfindlichkeitsreaktion auf Metallionen auftreten kann, wurde bislang nicht eindeutig bestimmt. Es ist davon auszugehen, dass diese von Patient zu Patient individuell sehr unterschiedlich sein kann. Daher war die Zielsetzung für die neuentwickelte Multilayerbeschichtung, die Abgabe ggf. allergieauslösender Ionen auf die Nachweisgrenze zu minimieren. Nur so wird das Risiko einer allergischen Reaktion auf ZrN-beschichtete Implantate auf ein absolutes Minimum reduziert.

Die Ergebnisse der durchgeführten Versuche zeigen, dass das vorgestellte Multilayerbeschichtungssystem die gestellten Anforderungen bezüglich Schichthaftung, Verschleißreduktion der Polyethylengleitfläche, dauerhafte Resistenz gegen abrasive Schichtzerrüttung und hohe Ionenbarrierewirkung präklinisch voll erfüllt. Klinische Studien werden zukünftig zeigen müssen, ob sich diese guten präklinischen Resultate auch im klinischen Langzeitverlauf bestätigen lassen.

Fazit für die Praxis

Bei Patienten mit dem Risiko einer Metallallergiebedingten Überempfindlichkeitsreaktion auf eine Knieendoprothese aus CoCrMo bietet es sich an, diese mit einem speziellen „Allergikerimplantat“ zu versorgen. Die Probleme der „Allergikerimplantate“ der ersten Generationen mit erhöhtem Verschleiß bei den eingesetzten Titanlegierungen und Ermüdung keramischer Monoschichten sind durch ein neuartiges mehrlagiges Schichtsystem heute gelöst.

Nachdem in einer Reihe präklinischer Versuche die hohe Ermüdungsfestigkeit, das vorteilhafte Versschleißverhalten und die Barrierewirkung des Multilayerschichtsystems gegen Ionenfreisetzung gezeigt werden konnte, muss nun im Langzeitverlauf die klinische Wirksamkeit nachgewiesen werden.