Zusammenfassung
Der Beitrag analysiert aus sozialwissenschaftlicher Perspektive im Sinne einer deskriptiven Ethik kommunikations- und medienethische Fragen der Online-Kommunikation systematisch, ohne selbst Normenkataloge zu begründen (präskriptive Ethik). Nach der Darstellung der ethischen Relevanz verschiedener Formen von Online-Kommunikation werden ethische Grundfragen skizziert und anhand der Forschungsliteratur verschiedene Normsystematiken vorgestellt. Es zeigt sich, dass bekannte Fragen der Kommunikations- und Medienethik in zum Teil veränderter Form in der Online-Kommunikation auftreten. Hinzu kommen veränderte (tele-)kommunikationsethische sowie neue medienethische Problemstellungen, wie zum Beispiel Privacy, Big Data, Algorithmen, Hate Speech oder Fake News. Zur Beschreibung der Komplexität der ethischen Herausforderung dient das Konzept des Hybridmediums. Ein Ausblick auf die kodifizierten Normen und Selbstregulierungsinstitutionen sowie künftige Forschungsfragen der Online-Kommunikation schließen den Beitrag ab.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Notes
- 1.
Das Problem der ‚Entwirklichung‘ bezeichnet die Frage, ob auch in virtuellen Kommunikations- und Spieleumgebungen die Handlungsnormen der ‚realen Welt‘ gelten, bzw. wie virtuell oder gar unverbindlich solche digitalen Umgebungen eigentlich sind.
- 2.
Die vor allem von Rechtswissenschaftlern und Ökonomen geführte Debatte über die grundlegende Legitimität von Urheberrechten im „digitalen Zeitalter“ sowie von neuen Institutionalisierungen (Creative Commons; Open Data und Open Science) ist zwar ethisch relevant, weil hier der Wert Gerechtigkeit mit dem Wert Freiheit abzuwägen ist. Diese Debatte kann hier aber nicht vertieft werden; vgl. hierzu vor allem die Werke von Lawrence Lessig sowie Wirtz 2016.
- 3.
Vereinfacht ausgedrückt geht es darum, dass nicht behauptet werden soll, dass die Norm tatsächlich durchgesetzt (also empirisch „gültig“) wäre, sondern dass der Anspruch auf Geltung wegen ihrer moralischen Richtigkeit aufrechterhalten bleibt.
- 4.
Ohne einen wie auch immer operationalisierten oder relativierten Wahrheitsanspruch kommt Kommunikation nicht aus, auch wenn Wahrheit nur als real nicht erreichbare operative Fiktion gilt.
- 5.
In einem noch nicht rechtskräftigen Urteil (Az. 16 O 341/15) vom Februar 2018 hat das Landgericht Berlin dem Plattformbetreiber Facebook untersagt, die Nutzer zur Verwendung ihres bürgerlichen Namens (Klarnamenpflicht) zu zwingen (vgl. Wieduwilt 2018).
- 6.
Neonazistische, erotische und Gewaltdarstellungen werden sogar innerhalb der ‚westlichen Welt‘ recht unterschiedlich beurteilt: In den USA werden rechtsradikale und gewalthaltige Medieninhalte eher toleriert als in den meisten europäischen Gesellschaften, die wiederum stärker erotische Medieninhalte tolerieren.
- 7.
Vgl. das entsprechende Netzwerk und das seit 2003 erscheinende Journal „Surveillance & Society“.
- 8.
David Lyon (2013, S. 153 übersetzt hier eine Passage von Gandy 2011, S. 176).
- 9.
Vgl. https://www.ccc.de/de/hackerethik. Zugegriffen am 04.01.2017.
- 10.
Vgl. https://www.eff.org/de/cyberspace-independence. Zugegriffen am 04.01.2017.
- 11.
Vgl. http://www.buceriuslab.de/2014/wp-content/uploads/2014/04/charta-email-versand.pdf. Zugegriffen am 07.02.2018.
- 12.
Eine weitere ethische Frage ist, ob eine perfekte Wirksamkeit solcher Filterprogramme überhaupt wünschenswert ist, denn hieraus ergibt sich die Möglichkeit für autoritäre Regime, ihre Informationskontrolle weiter zu perfektionieren und die Kommunikationsfreiheit massiv einzuschränken.
- 13.
Vgl. http://meine-cookies.org/DDOW/. Zugegriffen am 04.01.2017.
Literatur
Bauman, Z., & Lyon, D. (2013). Daten, Drohnen, Disziplin. Ein Gespräch über flüchtige Überwachung. Frankfurt a. M.: suhrkamp.
Beck, K. (2006). Computervermittelte Kommunikation im Internet. München: Oldenbourg.
Beck, K. (2010). Ethik der Online-Kommunikation. In W. Schweiger & K. Beck (Hrsg.), Handbuch Online-Kommunikation (S. 130–155). Wiesbaden: Springer VS.
Beck, K. (2018). Das Mediensystem Deutschlands. Strukturen, Märkte, Regulierung (2. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS.
Bozdag, E. (2013). Bias in algorithmic filtering and personalization. Ethics and Information Technology, 15, 209–227.
Capurro, R. (2003). Ethik im Netz. Wiesbaden: Steiner.
Debatin, B. (1997). Medienethik als Steuerungsinstrument? Zum Verhältnis individueller und korporativer Verantwortung in der Massenkommunikation. In H. Wessler et al. (Hrsg.), Perspektiven der Medienkritik (S. 287–303). Opladen: Westdeutscher Verlag.
Debatin, B. (1998). Ethik und Internet. Überlegungen zur normativen Problematik von hochvernetzter Computerkommunikation. In B. M. Dernbach, M. Rühl & A. M. Theis-Berglmair (Hrsg.), Publizistik im vernetzten Zeitalter. Berufe – Normen – Strukturen (S. 207–221). Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Debatin, B. (1999). Ethik und Internet: Zur normativen Problematik von Online-Kommunikation. In R. Funiok, U. F. Schmälzle & C. H. Werth (Hrsg.), Medienethik – eine Frage der Verantwortung (S. 274–293). Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Debatin, B. (Hrsg.). (2007). Der Karikaturenstreit und die Pressefreiheit. The cartoon debate and the freedom of the press. Münster: Lit.
Debatin, B. (2011). Ethical implications of blogging. In R. S. Fortner & P. M. Fackler (Hrsg.), The handbook of global communication and media ethics (Bd. 1, S. 823–844). Malden: Wiley-Blackwell.
Debatin, B. (2012). Soziale Online-Netzwerke aus medienethischer Perspektive. In P. Grimm & O. Zöllner (Hrsg.), Schöne neue Kommunikationswelt oder Ende der Privatheit? Die Veröffentlichung des Privaten in Social Media und populären Medienformaten (S. 83–96). Stuttgart: Steiner.
Decker, M. (2016). Roboterethik. In J. Heesen (Hrsg.), Handbuch Medien- und Informationsethik (S. 351–357). Stuttgart: J. B. Metzler.
Deleuze, G. (Hrsg.). (1993). Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. In Unterhandlungen 1972–1990 (S. 254–261). Frankfurt a. M.: suhrkamp.
DIVSI Deutsches Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet. (Hrsg.). (2017). Brief oder E-Mail. DIVSI-Studie über die Kommunikation im privat-geschäftlichen Bereich. Hamburg: DIVSI.
Dörr, K., Koberer, N., & Haim, M. (2017). Normative Qualitätsansprüche an algorithmischen Journalismus. In I. Stapf, M. Prinzing & A. Filipović (Hrsg.), Gesellschaft ohne Diskurs? Digitaler Wandel und Journalismus aus ethischer Perspektive (S. 121–133). Baden-Baden: Nomos.
Ess, C. (2017). Digital media ethics. Oxford research encyclopedia of communication. https://doi.org/10.1093/acrefore/9780190228613.013.508.
Filipović, A. (2013). Die Enge der weiten Medienwelt. Bedrohen Algorithmen die Freiheit öffentlicher Kommunikation? Communicatio Socialis, 2(46), 192–208.
Forsa. (2017a). Ergebnisbericht Hate Speech. Studie im Auftrag der LfM. https://www.lfm-nrw.de/.../lfm.../Ergebnisbericht_Hate-Speech_forsa-Mai-2017.pdf. Zugegriffen am 28.02.2018.
Forsa. (2017b). Ergebnisbericht Fake News. Studie im Auftrag der LfM. http://www.lfm-nrw.de/fileadmin/user_upload/Ergebnisbericht_Fake_News.pdf. Zugegriffen am 28.02.2018.
FSM. (2017). Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V. Jahresbericht 2016. Berlin: FSM.
Funiok, R. (2007). Medienethik. Verantwortung in der Mediengesellschaft. Stuttgart: Kohlhammer.
Funiok, R., & Dittrich, A.-M. (2013). Authentizität und Wahrhaftigkeit – zwei Tugenden des öffentlichen Raumes. In M. Emmer et al. (Hrsg.), Echtheit, Wahrheit, Ehrlichkeit. Authentizität in der Online-Kommunikation (S. 40–50). Weinheim/Basel: Beltz Juventa.
Gandy, O. (2011). Consumer Protection in Cyberspace. tripleC, 9(2), 175–189.
Gieseler, C. (2013). Klarnamenpflicht vs. Anonymität im Internet: Das Grundrecht auf Nichtidentifizierung. In M. Emmer et al. (Hrsg.), Echtheit, Wahrheit, Ehrlichkeit. Authentizität in der Online-Kommunikation (S. 62–73). Weinheim/Basel: Beltz Juventa.
Greis, A. (2001). Identität, Authentizität und Verantwortung: die ethischen Herausforderungen der Kommunikation im Internet. München: kopaed.
Habermas, J. (1981). Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Habermas, J. (1992). Erläuterungen zur Diskursethik (2. Aufl.). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Heise, N. (2016). Algorithmen. In J. Heesen (Hrsg.), Handbuch Medien- und Informationsethik (S. 202–209). Stuttgart: J. B. Metzler.
Holderegger, A. (1995). Die ethische Dimension der Medienwirklichkeit. Elemente einer Medienethik. Communicatio Socialis, 28, 378–394.
Jünger, J. (2018). Unklare Öffentlichkeit. Individuen in Situationen zwischen öffentlicher und nichtöffentlicher Kommunikation. Wiesbaden: Springer VS.
Kammerer, D. (2016). Überwachung. In J. Heesen (Hrsg.), Handbuch Medien- und Informationsethik (S. 188–194). Stuttgart: J. B. Metzler.
Katzenbach, C. (2017). Die Regeln digitaler Kommunikation. Governance zwischen Norm, Diskurs und Technik. Wiesbaden: Springer VS.
Kneer, G., Schroer, M., & Schüttpelz, E. (Hrsg.). (2008). Bruno Latours Kollektive. Kontroversen zur Entgrenzung des Sozialen. Frankfurt: Suhrkamp.
Luhmann, N. (1993). Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft (Bd. 3). Frankfurt: Suhrkamp.
MPFS (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest). (2016). KIM-Studie 2016. Kindheit, Internet, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger. Stuttgart: MPFS.
Nagenborg, M., & Sell, S. (2016). Hackerethik. In J. Heesen (Hrsg.), Handbuch Medien- und Informationsethik (S. 344–351). Stuttgart: J. B. Metzler.
O’Neil, C. (2017). Angriff der Algorithmen. Wie sie Wahlen manipulieren, Berufschancen zerstören und unsere Gesundheit gefährden. München: Hanser.
Pariser, E. (2011). The Filter Bubble. What the Internet is Hiding from You. New York: Penguin.
Richter, P. (2016). Big Data. In J. Heesen (Hrsg.), Handbuch Medien- und Informationsethik (S. 210–216). Stuttgart: J. B. Metzler.
Schmidt, J. (2009). Das neue Netz. Merkmale, Praktiken und Folgen des Web 2.0. Konstanz: UVK.
Schmidt, J.-H. (2016). Ethik des Internets. In J. Heesen (Hrsg.), Handbuch Medien- und Informationsethik (S. 284–292). Stuttgart: J. B. Metzler.
Schweiger, W. (2017). Der (des)informierte Bürger im Netz. Wie soziale Medien die Meinungsbildung verändern. Wiesbaden: Springer VS.
Schwenk, J. (2002). Cyberethik. Ethische Problemstellungen des Internets und Regulierungsansätze aus Sicht der Online-Nutzer. München: Reinhard Fischer.
Simon, J. (2016). Values in design. In J. Heesen (Hrsg.), Handbuch Medien- und Informationsethik (S. 357–364). Stuttgart: J. B. Metzler.
Thummes, K. (2013). Die Notwendigkeit schützender Täuschung in der Online-Kommunikation. In M. Emmer et al. (Hrsg.), Echtheit, Wahrheit, Ehrlichkeit. Authentizität in der Online-Kommunikation (S. 121–134). Weinheim/Basel: Beltz Juventa.
Utz, S., & Krämer, N. C. (2009). The privacy paradox on social network sites revisited: The role of individual characteristics and group norms. Cyberpsychology: Journal of Psychosocial Research in Cyberspace (online), 3(2). https://cyberpsychology.eu/article/view/4223/3265. Zugegriffen am 26.02.2018.
Vowe, G. (1999). Medienpolitik zwischen Freiheit, Gleichheit und Sicherheit. Publizistik, 44, 395–415.
Wieduwilt, H. (2018). Können sich Facebook-Nutzer bald Mickymaus nennen? Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.02.2018, S. 24.
Wirtz, H. (2016). Geistiges Eigentum. In J. Heesen (Hrsg.), Handbuch Medien- und Informationsethik (S. 241–247). Stuttgart: J. B. Metzler.
Wolf, O. J. (2007). Kommunikationsethik des Internets. Eine anthropologisch-theologische Grundlegung. Hamburg: Kovac.
Zwitter, A. (2014). Big data ethics. Big Data & Society, July–December 2014, S. 1–6.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2019 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Beck, K. (2019). Ethik der Online-Kommunikation. In: Schweiger, W., Beck, K. (eds) Handbuch Online-Kommunikation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-18016-4_7
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-18016-4_7
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-18015-7
Online ISBN: 978-3-658-18016-4
eBook Packages: Social Science and Law (German Language)