Einleitung

Patellare Instabilität ist ein vielschichtiges Krankheitsbild, sowohl beim Erwachsenen als auch beim jugendlichen Patienten. Die große Heterogenität des Krankheitsbildes sowie ein initial mangelndes Verständnis der zugrundeliegenden Pathophysiologie hat eine unüberschaubare Anzahl an publizierten Therapieansätzen hervorgebracht [9]. Durch neuere klinische Studien und biomechanische Analysen konnte das Verständnis der patellaren Instabilität in den letzten Jahren jedoch enorm vertieft werden. Die Identifikation individueller Risikofaktoren ermöglichte es, Patienten mit erhöhter Wahrscheinlichkeit für eine Rezidivluxation zu erkennen, das Risiko anhand eines Scores (Patellar-Instability-Severity[PIS]-Score, s. Tab. 1) abzuschätzen und bei entsprechender Indikation eine operative Stabilisierung durchzuführen [4].

Tab. 1 Patellar-Instability-Severity-Score (PIS-Score). (Mod. nach Balcarek et al. [4])

Trotz einer insgesamt umfangreichen Datenlage existieren bislang nur wenige randomisiert-kontrollierte Studien zur Patellaluxation speziell im Kindesalter [52]. Viele der aktuellen Erkenntnisse stammen größtenteils aus Studien, in welche Kinder und Jugendliche als Teil eines Gesamtkollektivs eingeschlossen wurden. Dezidierte Analysen ausschließlich an Kollektiven Heranwachsender existieren bislang nur wenige. Dieser Beitrag stellt die Besonderheiten der kindlichen Patellaluxation dar und bindet die verfügbaren Daten in klinisch umsetzbare Therapiekonzepte ein.

Epidemiologie

Die Patellaluxation ist mit einer Inzidenz von bis zu 43/100.000 eine häufige Knieverletzung, von der hauptsächlich Heranwachsende und junge Erwachsene betroffen sind [18]. Etwa 60–70 % der Patellaluxationen stehen im Zusammenhang mit sportlicher Aktivität. Jedoch liegt in den wenigsten Fällen eine physiologische Konfiguration des patellofemoralen Gelenks vor, sodass die Luxation nicht allein ursächlich auf das Trauma zurückgeführt werden kann [24]. Das Risiko für eine Erstluxation ist im Alter zwischen 10 und 17 Jahren am höchsten und nimmt mit zunehmendem Alter ab. Ebenso ist das Risiko für eine Reluxation bei Patienten mit offenen Epiphysenfugen höher als bei ausgewachsenen Patienten [24].

Biomechanik und Risikofaktoren

Der Lauf der Patella im patellofemoralen Gleitlager sowie die Stabilisierung der Kniescheibe in Streckstellung wird durch ein komplexes Zusammenspiel von aktiven und passiven Stabilisatoren gesichert. In Streckstellung bis zu einer Flexion von 30° ist das mediale patellofemorale Ligament (MPFL) der wichtigste passive Stabilisator. Das flächige Band bringt zwischen 50 und 80 % der Stabilität gegen laterale Luxation auf [13]. Bei der weiteren Beugung des Kniegelenks taucht die Kniescheibe in die femorale Gleitrinne (Trochlea) ein und wird knöchern stabilisiert. Der Zusammenhang zwischen einer Trochleadysplasie und der patellaren Instabilität wurde von diversen Autoren belegt. Ab einer Flexion von 60° wird die Patella auch durch den M. vastus medialis obliquus stabilisiert [16, 22].

Die Identifikation des MPFL als wichtigster passiver Stabilisator in Streckstellung hat zu einem erheblichen Fortschritt im Verständnis der Patellaluxation geführt [22, 51]. Aus dieser Erkenntnis haben sich vielversprechende Ansätze zur Therapie abgeleitet, sowohl für Erwachsene als auch Jugendliche und Kinder. Das Band ist bei Streckung im Kniegelenk angespannt und erschlafft während des Beugevorgangs, sobald die Führung der Patella durch die Trochlea übernommen wird [50]. Nelitz et al. sowie auch Kepler et al. konnten zeigen, dass die femorale Insertion des MPFL im wachsenden Skelett etwa 5 mm distal der Epiphysenfuge lokalisiert ist [26, 34]. Dies ist bei der Rekonstruktion des MPFL bei Kindern und Jugendlichen von entscheidender Bedeutung, da es bei Insertion der Plastik proximal zur Epiphysenfuge durch das weitere Wachstum des Patienten zu einer ungewollten Straffung bei Flexion im Kniegelenk und dadurch zu erheblichen Beschwerden kommen kann [34]. Bei der Erstluxation der Patella kommt es bei Kindern und Jugendlichen in bis zu 94 % der Fälle zu einer Verletzung des MPFL [17]. Es konnten altersabhängige Unterschiede in Bezug auf die Lokalisation der Ruptur nachgewiesen werden. So kommt es bei Patienten im Wachstumsalter im Vergleich zum reifen Skelett häufiger zu patellanahen Verletzungen des MPFL (Avulsionsfraktur, „sleeve fracture“) [17]. Verschiedene Autoren konnten einen Zusammenhang zwischen einer Verletzung des MPFL und einer persistierenden Instabilität mit Rezidivluxationen zeigen [37, 48].

Trochleadysplasie

Zwischen 10° und 30° Flexion im Kniegelenk taucht die Kniescheibe in die Trochlea ein, die bei physiologischen Verhältnissen eine sichere knöcherne Stabilisierung gegen die laterale Luxation bietet. Die Trochleadysplasie stellt einen erheblichen Risikofaktor für primäre und Rezidivluxationen dar [24]. Jaquith et al. ermittelten ein Risiko von 69 % für eine Reluxation für Kinder und Jugendliche mit dysplastischer Trochlea. Zwischen 29 und 96 % aller Patienten mit patellofemoraler Instabilität zeigen eine Dysplasie mit abgeflachtem Sulkuswinkel [2, 5]. Die gängige Einteilung der Trochleadysplasie ist die Klassifikation nach Dejour, mit einer Einteilung in die Grade A–D (Abb. 1; [31]). Grad A stellt hierbei eine milde Form mit lediglich abgeflachtem (vergrößertem) Sulkuswinkel dar, die Grade B–D beschreiben schwerere Ausprägungen mit flacher oder konvexer Trochlea (B), hypoplastischer medialer Kondyle (C) und Klippenbildung (D). Die Einteilung erfolgt nach der ursprünglichen Publikation anhand von streng seitlichen Röntgenbildern. Heutzutage ist zur Beurteilung allerdings eine MRT zu fordern, da bei Patienten unter 18 Jahren das patellofemorale Gleitlager aufgrund der unterschiedlichen Dicke des Gelenkknorpels in der Trochlea und den Femurkondylen weniger flach ist, als die darunterliegende knöcherne Struktur (Abb. 2).

Abb. 1
figure 1

Klassifikation der Trochleadysplasie nach Dejour der Grade A–D. (Aus [25])

Abb. 2
figure 2

Magnetresonanztomographische Bildgebung nach Patellaluxation bei Trochleadysplasie Typ A nach Dejour. Pathognomonisches Knochenmarksödem am lateralen Femur als sicheres Zeichen einer stattgehabten Luxation

Die in der CT und auch im Röntgenbild (Merchant-View) dargestellte Knochensubstanz kann somit zu einer fehlerhaften Beurteilung führen [30, 49]. Dieser Umstand wurde von Düppe et al. anhand von MRT-Bildern bestätigt, die bei Kindern mit patellarer Instabilität im Vergleich zum Vergleichskollektiv gesunder Kinder größere Sulkuswinkel fanden, die jedoch im Vergleich zu Erwachsenkollektiven deutlich kleiner waren (generell tiefere Trochlea bei Kindern) [15]. Somit muss die Beurteilung der Trochleadysplasie bei Kindern und Jugendlichen immer unter Berücksichtigung des Alters erfolgen [32]. Im Erwachsenenalter lassen sich höhergradige Trochleadysplasien offen oder arthroskopisch korrigieren, was über die näherungsweise Herstellung einer physiologischen Gleitrinne zu sehr guten klinischen Ergebnissen führt (Abb. 3a, b; [44]). In Bezug auf Trochleaplastiken bei Kindern und Jugendlichen lieferte die Literaturrecherche ein uneinheitliches Bild. Während Camathias et al. und die meisten anderen Autoren die Durchführung einer Trochleaplastik bei offenen Wachstumsfugen ablehnen, haben Blond et al. in einer prospektiven Studie zur kombinierten Trochleaplastik-MPFL-Augmentation auch eine kleine Zahl an Kindern mit offenen Wachstumsfugen eingeschlossen [7, 8]. Im durchschnittlichen Follow-up von 29 Monaten sind keine Wachstumsstörungen beobachtet worden. Nelitz und Kollegen stellten durch eine Analyse von fehlgeschlagenen Stabilisierungsoperationen fest, dass ein häufiger Grund für Rezidivluxationen eine nichtadressierte Trochleadysplasie ist [35]. Unabhängig davon ist die Mehrheit der Arbeitsgruppen der Ansicht, dass die Korrektur einer Dysplasie aufgrund der dünnen Datenlage zur Trochleaplastik bei Kindern und Jugendlichen nur in Ausnahmefällen vor dem Verschluss der Wachstumsfugen erfolgen sollte [52].

Abb. 3
figure 3

a Schwere Trochleadysplasie vom Typ D nach Dejour – Präoperative Magnetresonanztomographie (MRT). b Postoperative MRT-Bildgebung 4 Monate postoperativ nach Trochleaplastik bei gleichem Patienten

TT-TG-Abstand

Der Abstand zwischen dem am weitesten anterior gelegenen Teil der Tuberositas tibiae (TT) und dem tiefsten der Trochlea (TG, „trochlea groove“) nahe des proximalen Eingangs in der axialen Bildgebung wird als TT-TG-Abstand bezeichnet, wie von Schoettle et al. beschrieben [3, 43]. Sowohl für Erwachsene als auch für pädiatrische Patienten, stellt ein vergrößerter TT-TG-Abstand einen Risikofaktor für eine Patellaluxation dar. In einer 245 Patienten umfassenden Studie konnten Balcarek et al. [3] zeigen, dass entsprechend den Erkenntnissen bei Erwachsenen, der TT-TG-Abstand bei Kindern und Jugendlichen mit Patellaluxation sowohl absolut als auch relativ zur Femurbreite signifikant und unabhängig vom Alter erhöht ist [3]. In einer 608 pädiatrische Patienten umfassenden Studie von Dickens et al. aus dem Jahre 2014 konnte ebenfalls die positive Korrelation zwischen patellarer Instabilität und einem erhöhten TT-TG-Abstand nachgewiesen werden, die Unabhängigkeit des TT-TG-Abstands vom Alter wurde aber nicht nachgewiesen. Dickens et al. zeigten, dass mit zunehmendem Alter die gemessenen Werte die von Erwachsenen erreichten. Es darf der gemessene Wert jedoch nicht als Absolute gesehen werden, sondern muss mit dem Normwert der entsprechenden Altersgruppe verglichen werden. Ferner ist bei der Messung des TT-TG-Abstands bei Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen, dass das chronologische Alter keinen sicheren Rückschluss auf das Entwicklungsalter des Skeletts zulässt [14]. Die Kollektive der beiden Studien unterschieden sich darin, dass Balcarek et al. überwiegend ältere Jugendliche nahe dem Erwachsenenalter und Dickens et al. einen höheren Anteil von Patienten unter 13 Jahren eingeschlossen hatten. Zusammenfassend lässt sich aber konstatieren, dass mit zunehmendem Alter der TT-TG-Abstand bei Jugendlichen wie beim Erwachsenen zu bewerten ist. Bei extrem jungen Patienten mit patellarer Instabilität ist die Aussagekraft des TT-TG-Abstand aufgrund mangelnder Datenlage kritisch zu hinterfragen und sollte in Zusammenschau mit anderen Parametern im Einzelfall bewertet werden.

Aufgrund teilweise bestehender Schwierigkeiten, den tiefsten Punkt der Trochlea bei erheblicher Dysplasie zu bestimmen, wurde von Seitlinger et al. eine alternative Messung mit Referenzierung anhand des hinteren Kreuzbandes vorgeschlagen [46]. Diese Methode beinhaltet außerdem die Möglichkeit, eine Lateralisierung der Tuberositas tibiae auch bei dysplastischer Trochlea und unabhängig von der Rotation im Kniegelenk zu bestimmen. Ob die Erkenntnisse von Seitlinger et al. für klinische oder wissenschaftliche Anwendungen in Zukunft eine Rolle spielen werden, ist bislang noch unklar [11].

Patella alta

Eine hochstehende Patella stellt einen weiteren Risikofaktor für patellare Instabilität bei Kindern und Jugendlichen dar. Durch den Hochstand der Kniescheibe taucht diese erst spät während der Beugung im Kniegelenk in die Trochlea ein. Es wurden verschiedene Messverfahren zur Bestimmung einer Patella alta beschrieben und etabliert, die gebräuchlichsten sind die nach Caton-Deschamps sowie Insall-Salvati (Abb. 4). Jaquith et al. beschrieben für einen erhöhten Caton-Deschamps-Index >1,45 ein 52,3%iges Risiko für eine Rezidivluxation. Lewallen et al. kamen zu ähnlichen Ergebnissen [24, 28]. Der Effekt der Patella alta auf das Risiko einer Rezidivluxation scheint mit zunehmendem Patientenalter anzusteigen [2, 12]. Bei der Betrachtung der Patella alta bei Kindern und Jugendlichen ist allerdings zu beachten, dass im Vergleich zu Erwachsenen der Cut-off zur instabilen Patella etwas höher liegt [15]. Dies lässt sich teilweise dadurch erklären, dass die Ossifikation der Patella von proximal nach distal verläuft und bei der Messung am Röntgenbild ein höherer Indexwert ermittelt wird [24].

Abb. 4
figure 4

Übersicht der gängigen Messmethoden zur Quantifizierung eines Patellahochstands. a Insall-Salvati; b Insall-Salvati modifiziert; c Caton-Deschamps; d Blackburne-Peel; e Knie triangulär. (Aus [33])

Weitere Risikofaktoren

Weitere Risikofaktoren für eine patellare Instabilität stellen ein Genu valgum sowie tibiale und femorale Rotationsfehler dar. Es konnte gezeigt werden, dass die Risikofaktoren der kindlichen Patellaluxation im Wesentlichen denen der Erwachsenen entspricht [3].

Therapie

Die überwiegende Mehrheit der luxierten Kniescheiben reponieren sich spontan selbst [5]. Präsentiert sich ein Patient mit bestehender Luxation, ist bei der Reposition auf eine ausreichende Analgesie sowie auf eine manuelle Stabilisierung der Patella von medial zu achten, um bei Reposition unter Einnahme der Streckstellung ein unkontrolliertes Zurückspringen der Patella zu verhindern. Die initiale Therapie nach akuter Patellaluxation war lange Zeit meist konservativ. Dieses jahrzehntelang praktizierte Vorgehen begründet sich aber nicht auf harter Evidenz. Durch die Identifikation von Risikofaktoren und u. a. der Etablierung des PIS-Scores ist eine individuelle Betrachtung des Einzelfalls mit Risikoabschätzung für eine Rezidivluxation möglich. Der PIS-Score ist ein Instrument für die Abschätzung der Gefahr einer Rezidivluxation, mit welchem anhand der bekannten Risikofaktoren das durchschnittliche prozentuale Risiko für eine Rezidivluxation ermittelt werden kann (Tab. 1; [4]). Das Konzept, nach Patellaerstluxation beim Heranwachsenden zunächst konservativ zu behandeln, wird inzwischen zunehmend in Frage gestellt. Nwachukwu et al. konnten in einer 2016 veröffentlichten Metaanalyse zeigen, dass nach Patellaerstluxationen bei Kindern und Jugendlichen ein operatives Therapiekonzept mit geringeren Raten an Reluxationen, verbesserter Lebensqualität sowie einer erhöhten Rate an Wiederaufnahme sportlicher Aktivität verbunden ist [39]. Bei Vorliegen eines deutlichen Risikoprofils kann somit auch die operative Stabilisierung nach Erstluxation indiziert sein [4].

Ist nach individueller Abschätzung der Risikofaktoren eine konservative Therapie indiziert, so ist eine übliche, wenn auch nicht evidenzbasierte Verfahrensweise, das Kniegelenk in einer ROM-Schiene für einen Zeitraum von 4–6 Wochen in leichter Flexionsstellung in seiner Extension zu limitieren [40].

Eine absolute Operationsindikation wird von der Mehrzahl der Chirurgen bei osteochondralen Läsionen gesehen (Abb. 5). Die Indikation zur Arthroskopie und Flake-Refixation besteht insbesondere dann, wenn das Fragment größer als 5 mm2 ist oder die Läsion in der Belastungszone lokalisiert ist (Abb. 6a, b; [40, 42, 52]).

Abb. 5
figure 5

Radiologische Darstellung eines osteochondralen Fragmentes aus der medialen Gelenkfläche der Patella nach Luxation

Abb. 6
figure 6

a Arthroskopische Bergung eines ausgesprengten osteochondralen Fragmentes; b Erfolgreiche Refixation mit resorbierbaren Implantaten (Polylactid)

In den vergangenen Jahrzehnten sind über 100 operative Prozeduren zur operativen Stabilisierung der Patella beschrieben worden, was zeigt, dass bisher keine signifikante Überlegenheit eines bestimmten Verfahrens bewiesen werden konnte. Die Schwierigkeit bei der Wahl der geeignetsten operativen Herangehensweise besteht darin, dass bei den Patienten meist unterschiedliche Risikofaktoren in verschiedenen Kombinationen und Ausprägungen vorliegen können. Bei Kindern und Jugendlichen erschweren die Besonderheiten des wachsenden Skeletts die Therapie zusätzlich.

Über Jahrzehnte war das Realignment des Streckapparates in unterschiedlichsten Techniken die favorisierte Methode zur Behandlung der kindlichen Patellaluxation. Die Ergebnisse sind jedoch aufgrund gravierender Unterschiede im Patientenkollektiv und Studiendesign nur sehr eingeschränkt vergleichbar [9]. Während Techniken zur Augmentation des MPFL zunehmend an Bedeutung gewonnen haben, distanzieren sich verschiedene Autoren von Maßnahmen wie primärer Bandnaht, medialer Raffung oder lateralem Release. Palmu et al. konnten in einer vergleichsweise großen kontrolliert-randomisierten Studie keinen Nutzen einer primären Naht gerissener medialer Kapsel-Band-Strukturen mit lateralem Release ohne Rekonstruktion des MPFL nachweisen [40]. Durch biomechanische Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass das über viele Jahre praktizierte laterale Release eine multidirektionale Instabilität der Patella verursachen kann, wenn es als einzige operative Maßnahme durchgeführt wird [10]. Ein laterales Release als Einzelmaßnahme ist wenigen, speziellen Indikationen vorbehalten und auch dann nur in modifizierter Technik (verlängernde Z‑Plastik) durchzuführen [19].

In den letzten Jahren rückt das MPFL zunehmend in den Fokus wissenschaftlichen Interesses. Verschiedene andere Arbeitsgruppen und auch das Autorenteam dieses Reviews sehen die Rekonstruktion und Augmentation des MPFL als Basis einer erfolgreichen Stabilisierung beim erwachsenen Patienten an [6, 20]. Für Kinder und Jugendliche mit offenen Wachstumsfugen wurden eine Reihe von fugenschonenden Operationsverfahren beschrieben, die eine Rekonstruktion des MPFL beim wachsenden Skelett möglich machen. Die publizierten Verfahren unterscheiden sich teilweise erheblich in Bezug auf die verwendeten Grafts und die technische Durchführung. Als Grafts für die Rekonstruktion des MPFL kommen prinzipiell die Quadrizepssehne und die Patellarsehne sowie die Hamstring-Sehnen in unterschiedlichen Techniken in Betracht [1, 27]. Goyal et al. propagieren, dass die Quadrizepssehne als flächige Sehne eher der Struktur des natürlichen MPFL entspricht und somit den rundlich-ovalen Hamstring-Sehnen überlegen ist [21]. Die Verwendung der Quadrizeps- bzw. der Patellarsehne hat den grundlegenden Vorteil, dass diese bereits an der Patella fixiert sind und keine Anker oder Bohrkanäle die knöcherne Integrität der Kniescheibe gefährden und somit das Risiko für eine Patellafraktur nicht erhöht wird. Vorteile der Hamstring-Plastiken liegen in der unverletzten Integrität des Streckapparates, einem unveränderten Alignement sowie der Möglichkeit einer anatomischen Rekonstruktion entlang des natürlichen Verlaufs des ursprünglichen MPFL [32]. Zur Vermeidung von Komplikationen ist bei der MPFL-Augmentation mit Hamstring-Sehne allerdings strikt auf die Respektierung anatomischer Landmarken (Schöttle-Punkt) und die korrekte Positionierung der patellaren Bohrkanäle zu achten (Abb. 7a, b; [41, 45]).

Abb. 7
figure 7

a Aufsuchen des Schöttle-Punkts distal der Wachstumsfuge – in der seitlichen Ansicht scheint der Bohrpunkt proximal der Fuge zu liegen. b Der Eintrittspunkt des Bohrers ist im Vergleich zu a nicht geändert. Dieser liegt weiterhin streng im Schöttle-Punkt. In der a.-p.-Projektion wird das fugenschonende Bohren des Sacklochs für die femorale Fixierung des Transplantats nach Ausrichtung der Bohrrichtung nach distal kontrolliert

Die Verwendung von Allografts wurde als erfolgreiches Verfahren beschrieben, wobei allerdings einschränkend erwähnt werden muss, dass es sich um Jugendliche nahe dem Erwachsenenalter handelte (mittleres Patientenalter 16 ± 2 Jahre) [23]. Die Meinung über die optimale Technik zur femoralseitigen Fixierung des Grafts zeigt ebenfalls ein uneinheitliches Bild. Aus Sorge vor einer Verletzung der Wachstumsfuge bevorzugen verschiedene Autoren eine weichteilige Fixierung des Grafts oder Lösungen wie den Transfer eines Teils der Adductor-magnus-Sehne zur Patella [47]. Dabei wird eine von der physiologischen Anatomie abweichende Rekonstruktion durchgeführt und eine veränderte Biomechanik in Kauf genommen. Lind et al. publizierten 2016 in einer prospektiven Studie zweifach erhöhte Reluxationsraten bei weichteiliger Fixierung im Vergleich zu knöcherner Fixierung wie von Nelitz et al. beschrieben. Um von einer generell niedrigeren Stabilität weichteiliger Verankerungen der MPFL-Augmentation zu sprechen fehlt jedoch bislang die Evidenz [29, 36]. Derzeit hat sich keines der etablierten Verfahren durchgesetzt, größere vergleichende Studien existieren bislang nicht.

Die Ergebnisse der MPFL-Augmentation bei Kindern und Jugendlichen, gleich welcher Technik, sind vielversprechend. Es fehlen derzeit aber noch Langzeitergebnisse. Nomura et al. fanden im Langzeit-Follow-up am Erwachsenenkollektiv mit MPFL-Augmentation erheblich geringere Raten an Patellofemoralarthrosen als bei den früher favorisierten Realignementprozeduren. Ob die Ergebnisse aber auch auf das wachsende Skelett übertragbar sind, bleibt unklar [38].

Bestehen beim Erwachsenen anatomische Pathologien wie ein deutlich erhöhter TT-TG-Abstand oder eine höhergradige Trochleadysplasie, können diese bei entsprechender Indikation zusätzlich zur MPFL-Plastik adressiert werden. Beim wachsenden Skelett ist ein knöcherner Tuberositas-tibiae-Versatz problematisch, ebenso wie eine ausgedehnte Vertiefung der Trochlea. Dennoch sind operative Ansätze zur Korrektur einer Trochleadysplasie auch für Patienten mit offenen Wachstumsfugen beschrieben worden [7]. Auch stehen Verfahren für eine weichteilige Medialisierung des Patellarsehnenansatzes zur Verfügung [42].

Fazit für die Praxis

  • Die patellare Instabilität ist ein Krankheitsbild, welches überwiegend Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene betrifft.

  • Mit zunehmendem biomechanischem Verständnis sind verschiedene Risikofaktoren für (Rezidiv‑)Luxationen identifiziert worden und ermöglichen auch beim wachsenden Skelett eine individuelle Risikoanalyse und Therapieplanung.

  • Aufgrund guter Vorhersagbarkeit von Rezidivluxationen und besseren Ergebnissen nach primärer operativer Therapie, wird das konservative Behandlungsregime nach Erstluxation zunehmend verlassen und bei entsprechendem Risikoprofil primär eine operative Stabilisierung der Patella durchgeführt.

  • Die über Jahrzehnte favorisierten Realignementprozeduren treten gegenüber den, bei Erwachsenen bereits fest etablierten, Augmentationen des MPFL (mediales patellofemorales Ligament) verstärkt in den Hintergrund.

  • Obwohl die Ergebnisse von fugenschonenden MPFL-Augmentationen bei Kindern vielversprechend sind, fehlen aber noch sowohl Langzeitergebnisse als auch kontrollierte randomisierte Studien zur Bestimmung des optimalen Operationsverfahrens.

  • Der Stellenwert der Trochleaplastik im Wachstumsalter ist aktuell noch unklar.