Hintergrund

Die Behandlungsstrategie traumatischer Berstungsfrakturen des thorakolumbalen Übergangs (TLÜ) und der mittleren Lendenwirbelsäule (LWS) insbesondere im Falle inkompletter Berstungsfrakturen wird kontrovers diskutiert [14]. Weitestgehend herrscht Einigkeit darüber, dass bei instabilen Frakturformen mit begleitender B-Komponente bzw. instabiler Frakturmorphologie eine operative Versorgung indiziert ist [57]. Primär steht dabei die dorsale kurzstreckige Stabilisierung im Vordergrund, wodurch eine gute Frakturreposition erzielt werden kann [8, 9]. McCormack et al. [5] führten 1994 die Load-sharing-Klassifikation ein, durch welche die Stabilität der ventralen Säule beschrieben wird. Höhergradige Instabilitäten führten dabei zum Versagen einer isoliert dorsalen kurzstreckigen Versorgung. Als weitere Faktoren, die eine additive ventrale Versorgung indizieren, gelten relevante unfallbedingte Bandscheibenschäden sowie relevante Repositionsverluste [10].

Die Autoren führen dementsprechend 2 und 6 Wochen nach dorsaler Stabilisierung konventionell radiologische Verlaufskontrollen im Stehen durch und veranlassen eine Magnetresonanztomographie (MRT) nach 6 Wochen zur Beurteilung der frakturangrenzenden Bandscheiben. Die Indikation zur additiv ventralen Versorgung besteht bei einem relevanten Repositionsverlust, welcher ab 5° definiert wurde, bzw. nachweisbaren Bandscheibenschäden Typ 3–5 nach Pfirrmann [11] im Bereich des betroffenen Segments bei unauffälliger Bandscheibensituation auf den benachbarten Höhen.

Unklar ist jedoch, ob durch eine zeitverzögerte Versorgungsstrategie das initiale Repositionsergebnis gefährdet wird. Dementsprechend ist es das Ziel dieser Arbeit, den kurzfristigen Repositionsverlust nach dorsaler Stabilisierung instabiler Wirbelkörperfrakturen des TLÜ und der mittleren LWS in Abhängigkeit von der Frakturmorphologie und der Versorgungstechnik zu untersuchen. Die Autoren stellten folgende Hypothese auf: Nach alleiniger dorsaler Stabilisierung instabiler Wirbelkörperfrakturen des TLÜ und der mittleren LWS ist kein relevanter Repositionsverlust innerhalb der ersten Wochen zu erwarten, sodass das Konzept einer zeitverzögerten Indikation zur additiv ventralen Versorgung sinnvoll erscheint.

Patienten und Methodik

Patientenkollektiv

Zwischen April 2013 und September 2014 wurden 59 Patienten aufgrund akuter traumatischer Wirbelkörperfrakturen initial rein dorsal stabilisiert. Eine additive ventrale Versorgung war bei diesen Patienten zeitverzögert in Abhängigkeit vom radiologischen Verlauf entschieden worden. Zugrundeliegend waren instabile Wirbelkörperfrakturen im Bereich des TLÜ oder der mittleren LWS (BWK11–LWK3) nach adäquatem Trauma (Tab. 1). Ausgeschlossen wurden Patienten mit osteoporotischen Wirbelköperfrakturen des TLÜ und der mittleren LWS (n = 71), Patienten mit subakuten bzw. älteren Frakturen in diesem Bereich (n = 32), Patienten, die in dieser Region längerstreckig versorgt wurden (> 2 Bewegungssegmente; n = 18), Patienten die geplant zeitnah additiv von ventral versorgt wurden (n = 11) sowie Patienten, die sich aufgrund der Entfernung auswärtig weiterversorgen ließen (n = 6). Die Mehrzahl der Patienten zog sich dabei inkomplette Berstungsfrakturen bzw. Berstungsspaltfrakturen zu.

Tab. 1 Patientenkollektiv

Die Fraktureinteilung erfolgte nach dem AO Spine Injury Classification System und der Load-sharing-Klassifikation“ [5, 12]. Bei allen Patienten erfolgte die dorsale Stabilisierung innerhalb von 3 Tagen nach adäquatem Unfallereignis. Die Ein- und Ausschlusskriterien sind in Tab. 2 zusammengefasst.

Tab. 2 Ein- und Ausschlusskriterien

Die Mehrzahl der Patienten wurde offen mit einem monoaxialen System (USS 2, SynthesDepuy, USA) versorgt (n = 50). Bei 9 Patienten wurden polyaxiale Implantate verwendet. Bei 8 Patienten erfolgte dies offen (Expedium, n = 4 bzw. Viper, n = 4, SynthesDepuy, USA), bei einem Patienten perkutan (Matrix, n = 1, SynthesDepuy, USA). Die Indikation zum perkutanen Vorgehen wurde dann gestellt, wenn eine Typ-B/C-Frakturkomponente sicher ausgeschlossen werden konnte und im Rahmen der intraoperativen Lagerung im Durchhang eine anatomische Aufrichtung der Fraktur erreicht werden konnte. Achtundfünfzig Patienten wurden dorsal bisegmental stabilisiert. Ein Patient wurde monosegmental instrumentiert. Bei 15 Patienten wurden zusätzlich die Pedikel des frakturierten Wirbelkörpers mitbesetzt, die sogenannten Indexschrauben. Von den 21 Patienten, bei denen die Pedikelschrauben augmentiert eingebracht wurden, waren 5 älter als 50 Jahre und die übrigen 16 älter als 60 Jahre.

Die Indikation zur Zementaugmentation bestand bei bekannter Osteoporose sowie subjektiv reduzierter intraoperativer Knochenqualität. Eine Laminektomie auf Höhe der Fraktur wurde bei 6 Patienten durchgeführt. Bei 3 Patienten ließen sich präoperativ Kribbelparästhesien unterhalb des Frakturlevels nachweisen. Die anderen 3 Patienten waren bei Ankunft intubiert, sodass eine sichere neurologische Evaluation nicht möglich war. Bei allen 6 Patienten ließ sich eine relevante frakturbedingte Spinalkanalstenose nachweisen (≥ 30 %). Die Operationstechnik (Indexschraube, Zementaugmentation, Laminektomie, verwendete Implantate) oblag dem jeweiligen Operateur. Sieben erfahrene Wirbelsäulenchirurgen führten die Operationen durch.

Postoperative Therapie

Mit der frühfunktionellen Mobilisation ohne Gips oder Korsett wurde am 1. postoperativen Tag begonnen. Zusätzlich erfolgte am 1. oder 2. postoperativen Tag die konventionelle radiologische Kontrolle. Bei reizfreien und trockenen Wundverhältnissen und bei Erreichen einer problemlosen Mobilisation wurden die Patienten entlassen (3 bis 8 Tage postoperativ). Konventionelle radiologische Kontrollen wurden nach 2 und 6 Wochen empfohlen. Alle konventionellen Röntgenaufnahmen erfolgten standardisiert im Stehen mit Zentrierung der Röntgenstrahlen auf das Frakturniveau. Eine Wiedervorstellung zur klinischen und radiologischen Kontrolle wurde nach 6 Wochen geplant mit aktuellem MRT des frakturierten Wirbelsäulenbereichs zur Beurteilung der angrenzenden Bandscheiben. Im Falle eines Repositionsverlusts nach 2 Wochen bzw. bei zunehmenden Beschwerden wurde eine frühzeitige Wiedervorstellung empfohlen.

Dokumentation

Die Definition der Frakturmorphologie und -einteilung erfolgte anhand der posttraumatischen Computertomographie (CT) sowie der intraoperativen Befunde (B-Verletzungen). Die Datenakquisition wurde anhand der postoperativen konventionellen Bildgebung und der konventionellen Bildgebung im Verlauf durchgeführt. Die Evaluation der bisegmentalen Grunddeckplattenwinkel (GDW) erfolgte analog zu Reinhold et al. [13]. Lordotische GDW wurden dabei negativ dokumentiert. Der Repositionsverlust wurde aus der Differenz zwischen dem GDW im Verlauf und dem posttraumatischen GDW definiert. Zusätzlich wurde die Anzahl der Tage zwischen der postoperativen radiologischen Kontrolle und dem Verlaufsröntgenbild registriert. Bei der Mehrzahl der Patienten (75 %) fand die Verlaufskontrolle nach ca. 6 Wochen (± 10 Tage) statt. Bei 6 Patienten zeigte sich bereits nach der ersten Verlaufskontrolle ein relevanter Repositionsverlust, sodass diese frühzeitig additiv ventral operiert wurden (10 bis 20 Tage postoperativ). Weitere 8 Patienten erschienen deutlich verspätet trotz Ambulanztermin nach 6 Wochen (3 bis 12 Monate postoperativ) zur klinischen und radiologischen Kontrolle. Zusätzlich wurden die Operationstechnik (Indexschraube, Zementaugmentation, Implantate, Laminektomie), das Patientenalter, die ASA-Werte (American Society of Anesthesiologists) und die Frakturhöhe dokumentiert.

Statistik

Die statistische Auswertung erfolgte mittels standardisierter Software SPSS 17.0 (SPSS®, Inc., Chicago, USA). Die statistische Auswertung wurde anhand des ungepaarten t-Tests bei normal verteilten Daten sowie bei fehlender Normalverteilung mittels Mann-Whitney-U-Test durchgeführt. Zudem wurden etwaige Einflüsse der gemessenen Parameter auf den Repositionsverlust mithilfe des Pearson-Korrelationskoeffizienten (normal verteilt) oder des Kendalls-Tau-Korrelationskoeffizienten (nicht normal verteilt) errechnet. Das Signifikanzniveau wurde mit p < 0,05 definiert.

Ergebnisse

Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 51 Jahre (18 bis 84 Jahre, Tab. 1). Das Patientenkollektiv bestand aus 23 weiblichen und 36 männlichen Patienten. Frakturen des 12. BWK (29 %) und des 1. LWK (46 %) überwogen. Bezüglich der Frakturmorphologie handelte es sich mehrheitlich um inkomplette Berstungsfrakturen (51 %) bzw. Berstungsspaltfrakturen (34 %), überwiegend mit einem Load-shearing-Index von mindestens 6 (76 % der Patienten) [5]. Eine B-Verletzung ließ sich bei 15 Patienten (25 %) nachweisen (Tab. 1).

Repositionsverlust

Der durchschnittliche Repositionsverlust betrug 5,1° (± 5,2°) nach durchschnittlich 60 Tagen (± 56 Tage). In Tab. 3 sind die Repositionsverluste zusammengefasst. Keine signifikanten Korrelationen zeigten sich zwischen dem Repositionsverlust und der Frakturmorphologie (AO-Klassifikation, McCormack) bzw. der Frakturhöhe. Im gesamten Patientenkollektiv waren signifikant höhere Repositionsverluste nach der Verwendung polyaxialer Implantate (10,8° vs. 4,0°; p < 0,001) nachweisbar (Abb. 1). Zudem stellten sich signifikant höhere Repositionsverluste ein, falls eine Laminektomie durchgeführt wurde (11,3° vs. 4,3°, p = 0,01; Abb. 2). Bei 3 Patienten zeigte sich bereits nach der ersten radiologischen Verlaufskontrolle nach 14 Tagen (10 bis 18 Tagen) ein relevanter Repositionsverlust (Durchschnitt 14,7°; 11–20°), sodass diese Patienten zeitnah ohne eine MRT-Untersuchung additiv ventral versorgt wurden. Bei allen 3 Patienten war ein polyaxiales Implantat verwendet worden. Dabei erfolgte bei allen Patienten, die trotz Lagerung im Durchhang eine relevante Fehlstellung mit bisegmentaler Kyphose von > 5° aufwiesen, eine dorsoventrale Korrektur (n = 1).

Abb. 1
figure 1

Boxplot, der den Repositionsverlust innerhalb der ersten Wochen nach isolierter dorsaler Stabilisierung in Abhängigkeit von den verwendeten Implantaten monoaxial vs. polyaxial darstellt. Dabei sind in a alle Patienten des Kollektivs mit eingeschlossen und beinhalten dementsprechend 3 negative Ausreißer in der monoaxial versorgten Patientengruppe. Dennoch war der Unterschied zwischen beiden Patientengruppen statistisch signifikant (p < 0,001). Demgegenüber sind in b die Patienten, bei denen eine Laminektomie durchgeführt wurde, ausgeschlossen worden. Somit wurden die 3 negativen Ausreißer nicht erfasst

Abb. 2
figure 2

Boxplot, der den Repositionsverlust innerhalb der ersten Wochen nach isolierter dorsaler Stabilisierung (ausschließlich monoaxiale Implantate) in Abhängigkeit von einer additiven intraoperativen Laminektomie darstellt. Nach Laminektomie zeigte sich ein statistisch signifikant höherer Repositionsverlust (p = 0,01)

Tab. 3 Repositionsverlust in Abhängigkeit von der Versorgungsstrategie

Durch das Einbringen von Indexschrauben (4,5° vs. 5,3°) bzw. durch eine zementaugmentierte Pedikelschraubenimplantation (3,9° vs. 5,8°) konnte keine signifikanten Reduktion des Repositionsverlusts erzielt werden. Im Gegensatz dazu ließen sich bei den Patienten ab dem 60. Lebensjahr (n = 21) signifikant geringere Repositionsverluste nach Zementaugmentation der Pedikelschrauben (n = 16) nachweisen (3,9° vs. 11,3°; p = 0,02, Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Boxplot, der den Repositionsverlust innerhalb der ersten Wochen nach isolierter dorsaler Stabilisierung bei Patienten ab dem 60. Lebensjahr darstellt. Dabei ließen sich nach zementaugmentierter Schraubenimplantation signifikant niedrigere Repositionsverluste nachweisen als dies ohne Zementaugmentation der Pedikelschrauben der Fall war (p = 0,02)

Der durchschnittliche Repositionsverlust nach dorsaler Stabilisierung mit monoaxialem System, ohne Laminektomie und zementaugmentierter Schraubenimplantation ab dem 60. Lebensjahr (n = 39) betrug lediglich 2,8° (± 2,5°). In keinem Fall war ein Repositionsverlust von über 10° nachweisbar. Bei 5 Patienten (13 %) betrug der Repositionsverlust mehr als 5°. Bei 2 dieser Patienten wurde intraoperativ eine Überdistraktion der LWK1-Fraktur mit postoperativen bisegmentalen Lordosewinkeln von jeweils 14° durchgeführt. In beiden Fällen persistierte eine bisegmentale Lordose von 5° bzw. 7°. Ein Patient mit zusätzlicher B-Verletzungs-Komponente erschien erstmals nach 5 Monaten zur postoperativen Kontrolle. Hier zeigte sich ein Repositionsverlust von 6°. Bei fehlender Klinik wurden keine weiteren Maßnahmen durchgeführt. Bei den anderen beiden Patienten im Alter von 56 bzw. 57 Jahren ließ sich ein beginnendes „cut-out“ der Schrauben mit Repositionsverlusten von 9° bzw. 7° nachweisen. In beiden Fällen waren die Schrauben unzementiert implantiert worden. Ein additiv ventrales Vorgehen wurde bei beiden Patienten durchgeführt.

Insgesamt erfolgte die Indikationsstellung zum zeitverzögerten additiv ventralen Vorgehen bei 45 Patienten (76 %), während bei 24 % der Patienten auf eine additiv ventrale Versorgung verzichtet wurde. Dabei wurde die Indikation zum ventralen Vorgehen aufgrund des Repositionsverlusts von mindestens 5° bei 21 Patienten gestellt (Abb. 4). Bei 24 Patienten ließ sich im MRT 6 Wochen nach dorsaler Versorgung ein relevanter Bandscheibenschaden vom Grad 3–5 nach Pfirrmann [11] feststellen. Bei den restlichen 14 Patienten wurde bei fehlender relevanter Nachsinterung sowie entweder unauffälliger Bandscheibensituation im MRT nach 6 Wochen (n = 12; Pfirrmann Grad 1–2; Abb. 5) oder bei strikter Ablehnung eines weiteren operativen Eingriffs ohne MRT auf eine additiv ventrale Versorgung verzichtet. Betrachtet man lediglich die 39 Patienten, die mit einem monoaxialen System versorgt wurden, ohne Notwendigkeit einer Laminektomie und zementaugmentierter Schraubenplatzierung ab dem 60. Lebensjahr, konnte in 36 % der Fälle (n = 14) auf die additiv ventrale Versorgung verzichtet werden.

Abb. 4
figure 4

Inkomplette Berstungsfraktur LWK1 (Typ 5 nach McCormack) in Folge eines Sturzes vom Pferd (a). Am Folgetag erfolgte die dorsale bisegmentale Stabilisierung mit Indexschraube unter Verwendung eines polyaxialen Systems, wodurch eine korrekte Reposition erzielt werden konnte (b). Nach 6 Wochen stellte sich ein Repositionsverlust von 10° ein (c), sodass die Indikation zur additiv ventralen monosegmentalen Stabilisierung gestellt wurde. Durch die ventrale Versorgung konnte eine suffiziente Wiederaufrichtung erzielt werden (d)

Abb. 5
figure 5

Inkomplette Berstungsfraktur LWK2 (Typ 6 nach McCormack) in Folge eines Sturzes aus 2,5 m Höhe (a). Durch die zeitnahe dorsale kurzstreckige Stabilisierung unter Verwendung eines monoaxialen Systems konnte eine physiologische Wiederherstellung des Alignments erzielt werden (b). Die MRT-Untersuchung nach 6 Wochen zeigte keinen relevanten Bandscheibenschaden (c), sodass bei fehlender Klinik auf eine additiv ventrale Versorgung verzichtet wurde. In der letztmaligen Kontrolle 6 Monate nach dem Unfall zeigte sich eine annähernd identische Frakturstellung bei persistierender bisegmentaler Lordose von 6° (d) Der Patient ist beschwerdefrei. Die Materialentfernung des einliegenden Fixateur interne ist nach einem Jahr geplant

Diskussion

Die wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie sind die relevanten Repositionsverluste, die sich in den ersten Wochen nach rein dorsaler kurzstreckiger Stabilisierung instabiler Wirbelkörperfrakturen des TLÜ und der mittleren LWS nach Versorgung mit einem polyaxialen System und in den Fällen, bei denen eine Laminektomie notwendig war, einstellen. Zusätzlich lassen sich bei Patienten ab dem 60. Lebensjahr höhere Repositionsverluste nachweisen, falls die Instrumentierung nicht zementaugmentiert erfolgt war. In diesen Fällen scheint zur Vermeidung eines relevanten Repositionsverlustes eine zeitnahe additiv ventrale Versorgung empfehlenswert zu sein. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass kein relevanter Repositionsverlust innerhalb der ersten 6 Wochen nach rein dorsaler kurzstreckiger Stabilisierung instabiler Wirbelkörperfrakturen zu erwarten ist, falls die dorsale Stabilisierung monoaxial erfolgt, zementaugmentiert ab dem 60. Lebensjahr, und auf eine Laminektomie verzichtet werden kann. Im zeitverzögertem MRT nach 6 Wochen ließen sich bei diesen Patienten trotz instabiler Berstungsfrakturen Typ McCormack ≥ 5 bzw. mit begleitender B-Komponente lediglich in 64 % der Fälle ein Bandscheibenschaden Typ 3–5 nach Pfirrmann [11] nachweisen, sodass bei den restlichen Patienten (36 %) auf einen additiv ventralen Eingriff verzichtet werden konnte.

Bisegmentaler Repositionsverlust

Der durchschnittliche bisegmentale Repositionsverlust von 2,8° nach durchschnittlich 60 Tagen postoperativ nach monoaxialer Versorgung, zementaugmentiert ab dem 60. Lebensjahr und ohne Berücksichtigung der Patienten mit Laminektomie, ist sehr gering, wenn man dies mit den Ergebnissen aus der Literatur vergleicht. So konnten Reinhold et al. [3] in der Multicenterstudie der AG Wirbelsäule nach durchschnittlich 15 Monaten einen mittleren bisegmentalen Repositionsverlust von 4,9° nach dorsoventraler Versorgung und 6,6° nach rein dorsaler Stabilisierung von Wirbelkörperfrakturen des TLÜ nachweisen. Die Nachuntersuchungszeit ist selbstverständlich deutlich länger. Dennoch kann nach 6 Wochen von einer beginnenden Konsolidierung ausgegangen werden, falls kein relevanter Bandscheibenschaden vorliegt. Wesentliche Repositionsverluste wären demzufolge nach diesem Zeitraum unwahrscheinlich. Zusätzlich erfolgte in der Multicenterstudie keine strikte Selektierung hinsichtlich der Frakturmorphologie, sodass auch stabilere Frakturformen mit eingeschlossen und operativ versorgt wurden [3].

Daneben beschrieben Spiegl et al. [4] einen bisegmentalen Repositionsverlust von durchschnittlich 6,2° 6 Jahre nach inkompletter instabiler Berstungsfraktur am TLÜ und dorsoventraler Versorgung, wobei der Hauptanteil des Repositionsverlusts innerhalb des ersten Jahres auftrat. Insgesamt ist zu beachten, dass in dieser Studie das monoaxiale System ausschließlich offen angewendet wurde. Somit können keine Aussagen bzgl. des Nachsinterungsverhaltens nach perkutaner Versorgung getätigt werden.

Additiv ventraler Eingriff

Insgesamt wird die Notwendigkeit eines additiv ventralen Eingriffs im Falle von Berstungsfrakturen der thorakolumbalen Wirbelsäule kontrovers diskutiert [3, 10, 14]. Insbesondere im deutschsprachigem Raum wurde eine Zunahme der Häufigkeit dorsoventraler Versorgungen registriert [13]. Eine klare Notwendigkeit zur additiv ventralen Versorgung ergibt sich bei relevanten Repositionsverlusten bzw. einer erhöhten Gefahr von Repositionsverlusten nach initial dorsaler Versorgung [6, 10]. Zusätzlich konnten McCormack et al. [5] ein häufiges Auftreten von Materialversagen nach kurzstreckiger rein dorsaler Stabilisierung bei ausgeprägter Verletzung der ventralen Säule, insbesondere bei Läsionen Typ > 6 nach McCormack nachweisen. Daneben sehen viele Autoren bei einem begleitenden Bandscheibenschaden eine Indikation zur additiv ventrale Spondylodese [10, 15, 16].

In vielen Fällen erfolgt bereits frühzeitig eine additiv ventrale Versorgung, da aufgrund der ausgeprägten Berstungssituation ein begleitender Bandscheibenschaden wahrscheinlich ist und weil Repositionsverluste innerhalb der ersten Wochen nicht sicher auszuschließen sind [3, 13].

Nach den Daten unserer Studie scheinen eine nicht optimale Knochenqualität mit Schraubenimplantation ohne Zementaugmentation, eine zusätzliche Schwächung der Gesamtstabilität nach Laminektomie und die Verwendung polyaxialer Implantate, häufig Repositionsverluste auch im kurzen Intervall zu verursachen. Dementsprechend sollte in diesen Fällen eine frühzeitige additiv ventrale Stabilisierung angestrebt werden. Darüber hinaus muss auch die Möglichkeit einer posterolateralen Fusion, insbesondere beim dorsalen offenen Vorgehen, angesprochen werden. Dadurch kann die Notwendigkeit eines additiv ventralen Eingriffs vermieden werden. Nichtsdestotrotz streben die Autoren nach Frakturkonsolidierung die Materialentfernung des dorsalen Fixateurs zur Freigabe der überbrückten Bewegungssegmente an und versuchen somit auf eine primäre Fusion zu verzichten.

Zementaugmentation

Bezüglich der Indikationsstellung zur Zementaugmentation stellt sich die Frage, ab welchem Alter die Knochensubstanz aufgrund der hohen Beanspruchung nach isoliert dorsalem kurzstreckigen Vorgehen, verursacht durch die hohe Kraftübertragung auf die Pedikelschrauben, kein suffizientes Widerlager bietet, sodass eine Zementaugmentation indiziert ist. Eine Knochendichtebestimmung ist in den meisten Fällen vor der dorsalen Stabilisierung einer traumatischen Wirbelkörperfraktur nicht zu erhalten. Einige Autoren führen generell eine zementaugmentierte Stabilisierung ab dem 60. Lebensjahr durch [17, 18]. Diese Empfehlung kann von den Autoren des vorliegenden Artikels bestätigt werden. Zusätzlich wiesen 2 Patienten dieses Patientenkollektivs knapp unter 60 Jahren (56 bzw. 57 Jahren) ohne Laminektomie und mit monoaxialem System versorgt, einen relevanten Repositionsverlust von 7° und 9° auf. Dementsprechend könnte argumentiert werden, schon ab dem 55. Lebensjahr standardisiert an eine zementaugmentierte Schraubenimplantation zu denken.

Auf der anderen Seite war bei den restlichen 3 Patienten zwischen dem 55. und 60. Lebensjahr kein Repositionsverlust nachweisbar. Darüber hinaus kann der intraoperative Befund zusätzlich Aufschluss über die Knochensubstanz geben [19]. Somit haben die Autoren ihr Konzept dahingehend abgeändert, Patienten ab dem 60. Lebensjahr zementaugmentiert zu instrumentieren und ab dem 50. Lebensjahr eine Zementaugmentation bei subjektiv reduzierter Knochenqualität durchzuführen. Zusätzlich wird für alle nicht zementaugmentiert instrumentierten Patienten ab dem 50. Lebensjahr eine Wiedervorstellung in unserer Ambulanz nach 10 bis 14 Tagen zur klinischen und radiologischen Kontrolle empfohlen.

Laminektomie

Eine Laminektomie bei instabiler Berstungsfraktur im Bereich des TLÜ und der mittleren LWS scheint eine derartige Abnahme der Wirbelkörperstabilität zu generieren, dass durch ein dorsales, kurzstreckiges Implantat alleine keine ausreichende Stabilität gewährleistet werden kann. Demzufolge wäre in diesen Fällen eine additiv ventrale Versorgung notwendig. Auf Basis dieser Überlegungen sollte dementsprechend auch bei Berstungsfrakturen mit relevanter Beteiligung der dorsalen Säule aufgrund der ähnlichen biomechanischen Voraussetzungen eine additiv ventrale Versorgung empfohlen werden.

Indexschrauben

Keine statistisch relevante Reduktion des Repositionsverlusts konnte durch die zusätzliche Einbringung von Indexschrauben nachgewiesen werden. Im Gegensatz dazu gibt es in der Literatur biomechanische Arbeiten, die einen positiven Einfluss der Indexschrauben nachgewiesen haben [20]. Da diesbezüglich keine Poweranalyse durchgeführt wurde, kann nicht gewährleistet werden, dass das Patientenkollektiv eine ausreichende Größe aufwies. Daneben kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Einfluss der Indexschraube erst im längerfristigen Verlauf nachweisbar ist. Somit besitzen die Indexschrauben weiterhin ihren Stellenwert in der Frakturbehandlung.

Studienlimitationen

Insgesamt weist diese Studie mehrere Limitationen auf. Zum einen handelt es sich um eine retrospektive und nicht randomisierte Studie, sodass eine entsprechende Bias nicht ausgeschlossen werden kann. Nichtsdestotrotz kam es in Folge einer Zusammenlegung zweier Kliniken dazu, dass zunächst unterschiedliche Implantate bei der Behandlung instabiler Wirbelkörperfrakturen verwendet wurden. Da diese Patienten im Normalfall am Aufnahmetag bzw. am Folgetag operativ versorgt wurden, war die Implantatauswahl (mono- vs. polyaxial) vom diensthabenden Wirbelsäulenchirurgen abhängig. Die Frakturversorgung erfolgte dabei durch die Verwendung des dem Operateur vertrauten Implantats unabhängig von der Frakturmorpholgie.

Daneben ist die Auswertung konventioneller Röntgenbilder mit einer Messungenauigkeit behaftet. Zur Minimierung dieser erfolgten die radiologischen Kontrollen standardisiert im Stehen mit orthograder Zentrierung der Röntgenstrahlen auf den frakturierten Wirbelkörper. Zudem wurden keine klinischen Daten in dieser Studie erhoben. Dementsprechend können keine Aussagen über die klinischen Auswirkungen etwaiger Fehlstellungen getätigt werden. Laut Literatur scheint das Wirbelsäulenprofil den weiteren Krankheitsverlauf wesentlich zu beeinflussen [21].

Darüber hinaus war die Patientenzahl für manche Fragestellungen zu klein. Dies trifft für die Beantwortung der Altersgrenze, ab wann eine Zementaugmentation zu fordern ist, und für den Einfluss der Indexschraube zu. Bezüglich der Altersfrage konnten die Empfehlungen, eine Zementaugmentation ab dem 60. Lebensjahr durchzuführen, bestätigt werden. Ob bereits frühzeitig eine Zementaugmentation zu empfehlen ist, kann nur vermutet werden. Zusätzlich wurden negative Auswirkungen der Zementaugmentation nicht mituntersucht, die selbstverständlich immer in Erwägung gezogen werden müssen.

Zu guter Letzt kann die Frage nicht beantwortet werden, ob die Patienten durch unsere zeitverzögerte Indikationsstellung zur additiv ventralen Versorgung profitieren, da weder eine Vergleichsgruppe noch längere Verlaufskontrollen vorliegen. Interessant wäre es, den weiteren Verlauf insbesondere derer Patienten zu verfolgen, bei denen bei ausbleibendem Repositionsverlust und fehlender relevanter Bandscheibenläsion auf eine additiv ventrale Versorgung verzichtet werden konnte.

Zusammenfassend ist diese nach dem aktuellen Kenntnisstand der Autoren die erste Studie, die sich mit dem kurzzeitigen Repositionsverlust nach rein dorsaler Versorgung bei instabilen Wirbelköperfrakturen des TLÜ und der mittleren LWS beschäftigt und unterschiedliche Versorgungsstrategien vergleicht. Da im kurzfristigen Verlauf nach dorsaler Stabilisierung mit monoaxialen Systemen und ohne Laminektomie, zementaugmentiert ab dem 60. Lebensjahr, kein relevanter Repositionsverlust zu erwarten ist, könnte sich das Konzept der zeitverzögerten Indikationsstellung zur additiv ventralen Versorgung bei persistierenden Beschwerden, relevantem Repositionsverlust bzw. begleitender traumatischer Bandscheibenläsion 6 Wochen nach Trauma, als sinnvoll erweisen. In unserem Patientenkollektiv konnte somit bei 36 % der Patienten auf den ventralen Eingriff verzichtet werden.

Fazit für die Praxis

  • Eine zeitverzögerte additiv ventrale Versorgung nach dorsal stabilisierter Wirbelkörperfraktur der thorakolumbalen Wirbelsäule geht ohne relevante Nachsinterungen einher, falls ein monoaxiales Implantat verwendet wird.

  • Dagegen sind im Falle einer Laminektomie eine zeitnahe additiv ventrale Versorgung bzw. eine engmaschige radiologische Verlaufskontrolle empfehlenswert, da das Auftreten relevanter Repositionsverluste wahrscheinlich ist.

  • Zusätzlich sollte zur Minimierung der Nachsinterung ab dem 60. Lebensjahr die Indikation für die zementaugmentierte Schraubenimplantation großzügig gestellt werden.