Die folgenden Empfehlungen zur Versorgung von Frakturen der Brust- (BWS) und der Lendenwirbelsäule (LWS) beruhen auf der Erfahrung der beteiligten Wirbelsäulenchirurgen der Arbeitsgemeinschaft „Wirbelsäule“ der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie unter Berücksichtigung der aktuellen Literatur.Es sollen Hilfen zur Beurteilung von Frakturen gegeben und Möglichkeiten der Therapie aufgezeigt werden.

Die Empfehlungen beziehen sich auf frische traumatische Frakturen eines ansonsten gesunden Patienten ohne wesentliche osteoporotische Veränderungen der Knochenqualität. Es wird von einem Monotrauma der Wirbelsäule ausgegangen. Im Falle eines mehrfachverletzten Patienten sind die Diagnostik und Therapie entsprechend der Begleitverletzungen anzupassen.

Ein entscheidender Punkt für die Therapieentscheidung ist die Stabilität der Fraktur. Die objektive biomechanische Stabilität ist jedoch schwer zu beurteilen und noch schwerer zu klassifizieren. Es wird deshalb definiert, dass eine Fraktur als stabil anzusehen ist, wenn keine neurologische Verschlechterung und keine relevante Änderung der Stellung im Rahmen der funktionellen Therapie zu erwarten sind. Eine Fraktur ist als hochgradig instabil zu bezeichnen, wenn durch Mobilisation eine neurologische Verschlechterung droht. Die Therapieentscheidung für die stabilen und die hochgradigen instabilen Frakturen ist meist leicht zu treffen. Bei der großen Zahl der Frakturen im Bereich zwischen stabil und hochgradig instabil ist die Therapieentscheidung wesentlich schwieriger. Die Therapieentscheidung ist stark von der persönlichen Erfahrung des Operateurs abhängig und der Übergang von konservativer zur operativen Therapie ist fließend. Besonders auf diesen Bereich der Frakturen zwischen hochgradig instabil und stabil zielen die nachfolgenden Empfehlungen ab.

Morphologische Kriterien

Entscheidend für die optimale Therapie ist die präzise Beurteilung einer Fraktur. Um dies zu erleichtern und zu vereinheitlichen werden im Folgenden 5 morphologische Kriterien dargestellt, welche von konventionellen Röntgenbildern und dem CT ableitbar sind. Durch diese Kriterien lassen sich Aussagen über die Stabilität der Fraktur und die möglichen Therapieoptionen ableiten.

Kontinuitätsunterbrechungen der Wirbelsäule

Berücksichtigt und beschrieben werden eine axiale Dissoziation, eine Translation und/oder eine Rotation der Wirbelsäule. Jede dieser Kontinuitätsunterbrechungen fordert die operative Versorgung. Eine weitere Spezifizierung der Abweichungen beeinflusst die Therapieentscheidung nicht. Das Ausmaß der Kontinuitätsunterbrechung kann jedoch Hinweise auf das zu erwartende klinische Ergebnis geben.

Abweichung vom physiologischen Profil der Wirbelsäule

Frakturen können das physiologische Profil der Wirbelsäule sowohl in der sagittalen Ebene (Kyphose/Lordose) als auch in der frontalen Ebene (Skoliose) beeinflussen. Zur Beschreibung dieser Abweichung werden in der sagittalen Ebene der monosegmentale und der bisegmentale Grund-Deckplatten-Winkel verwendet (GDW). Zur Beschreibung in der frontalen Ebene dient der monosegmentale und bisegmentale Skoliosewinkel.

Der monosegmentale GDW wird in der sagittalen Projektion durch eine Gerade durch die Bodenplatte des verletzten Wirbelkörpers und durch die Deckplatte des darüber liegenden unverletzten Wirbelkörpers gebildet (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Monosegmentaler GDW

Ist die Grundplatte des verletzten Wirbelkörpers mitbeteiligt wird der bisegmentale Grund-Deckplatten-Winkel (bGDW) verwendet. Dieser Winkel wird durch eine Gerade durch die Bodenplatte des Wirbelkörpers unterhalb des verletzten Wirbelkörpers und durch die Deckplatte des Wirbelkörpers oberhalb des verletzten Wirbels gebildet (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Bisegmentaler GDW

Entsprechend wird zur Beschreibung von Veränderungen in der frontalen Ebene der monosegmentale Skoliosewinkel verwendet. Dieser Winkel wird durch eine Gerade durch die Bodenplatte des verletzten Wirbelkörpers und durch die Deckplatte des Wirbelkörpers oberhalb des verletzten Wirbels gebildet (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Monosegmentaler Skoliosewinkel

Ist die Grundplatte des verletzten Wirbelkörpers mitbeteiligt sollte der bisegmentale Skoliosewinkel verwendet werden. Dieser Winkel wird durch eine Gerade durch die Bodenplatte des Wirbelkörpers unterhalb des verletzten Wirbelkörpers und durch die Deckplatte des Wirbelkörpers oberhalb des verletzten Wirbels gebildet.

Entscheidend ist die Abweichung vom individuellen sagittalen Profil der Wirbelsäule

Entscheidend für die Therapie ist nicht allein der gemessenen Winkel, sondern die Abweichung vom individuellen sagittalen Profil der Wirbelsäule. Aus diesem Grund wird die Differenz des physiologischen Krümmungswinkels der Wirbelsäule und dem gemessenen GDW bzw. bGDW als δ-GDW bzw. δ-bGDW angegeben.

Zu berücksichtigen ist, dass sich der GDW bei Aufnahmen im Stehen und Liegen stark unterscheiden kann. Wann immer möglich sollten die Aufnahmen im Stehen durchgeführt werden. Bei dem Verdacht auf eine hochgradig instabile Fraktur verbieten sich initiale Aufnahmen im Stehen.

Durch den δ-GDW bei Therapiebeginn lassen sich Aussagen über die Therapieoptionen treffen. Liegt bei Therapiebeginn ein δ-GDW<15°–20° vor, so ist bei funktioneller Therapie keine Zunahme der Abweichung vom individuellen sagittalen Profil auf korrekturbedürftige Werte zu erwarten. Die funktionelle Therapie kann somit eine Therapieoption sein.

Liegt bei Therapiebeginn ein δ-GDW>15°–20° vor, so ist bei funktioneller Therapie eine weitere Zunahme der Abweichung vom individuellen sagittalen Profil auf korrekturbedürftige Werte zu erwarten. Ein δ-GDW>15°–20° kann auch für eine Läsion der dorsalen Bandstrukturen sprechen. Die operative Versorgung sollte angestrebt werden.

Liegt bei Therapiebeginn ein Skoliosewinkel <10° vor, so ist bei funktioneller Therapie keine Zunahme der Abweichung vom individuellen Profil der Wirbelsäule auf korrekturbedürftige Werte zu erwarten. Die funktionelle Therapie kann somit eine Therapieoption sein.

Liegt bei Therapiebeginn ein Skoliosewinkel >10° vor, so ist bei funktioneller Therapie eine weitere Zunahme der Abweichung vom individuellen Profil der Wirbelsäule auf korrekturbedürftige Werte zu erwarten. Die operative Versorgung sollte angestrebt werden.

Zerstörung des Wirbelkörpers

Die Entscheidung zur operativen Therapie und v. a. zur ventralen Rekonstruktion wird maßgeblich anhand der Zerstörung des Wirbelkörpers getroffen. Hierbei sind das zerstörte Volumen des Wirbelkörpers und die Frakturdislokation bedeutend. Dies wird in Anlehnung an die Load-sharing-Klassifikation nach McCormack beschrieben.

Zur Beurteilung des zerstörten Volumens des Wirbelkörpers wird dieser in 3 gleich große, horizontal verlaufende Drittel eingeteilt. Ein kraniales, ein mittleres und ein kaudales Drittel werden unterschieden. Es wird beschrieben, in welchem Ausmaß das Volumen des Wirbelkörpers durch die Fraktur betroffen ist (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Zerstörung der Wirbelkörper

Ein weiteres morphologisches Kriterium ist die Dislokation der Fragmente. Es wird unterschieden zwischen nicht dislozierten, <2 mm dislozierten und >2 mm dislozierten Fragmenten. Auch wird differenziert, in welchem Teil des Wirbelkörpers sich die Dislokation befindet. Die Dislokation der Fragmente im Endplattenbereich ist ein Hinweis auf den zu erwartenden Schaden der angrenzenden Bandscheibe.

Einengung des Spinalkanals

Entscheidend für die Einengung des Spinalkanals durch knöcherne Fragmente oder Protrusion der Wirbelkörperhinterkante ist die am stärksten eingeengte Fläche im axialen Schnitt des Spinalkanals im betroffenen Segment. Die Spinalkanalquerschnittsfläche wird in einem horizontalen CT-Schnitt geschätzt, in Relation zum oberen und unteren Nachbarsegment in Prozent angegeben (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Einengung des Spinalkanals

Wirbelkörperhinterkantenhöhe

Eine Minderung der Höhe der Wirbelkörperhinterkante kann ein Instabilitätskriterium sowie ein Hinweis auf eine Einengung des Spinalkanals sein. Die Höhenminderung der Wirbelkörperhinterkante des frakturierten Wirbelkörpers wird in Prozent im Vergleich zu den Höhen der Hinterkanten der benachbarten unverletzten Wirbelkörper angegeben. Indirekt wird diese auch durch den GDW und die Zerstörung des Wirbelkörpers beschrieben.

Klassifikation

Die Klassifikation der Frakturen erfolgt anhand der AO-/Magerl-Klassifikation. Entsprechend erfolgt die Unterteilung in 3 Hauptgruppen. Anhand des Verletzungsmechanismus werden Kompressions- (A-), Distraktions- (B-) und Rotations- (C-)Verletzungen unterschieden. Der neurologische Status wird entsprechend dem modifizierten Frankel-/ASIA-Score klassifiziert (Tab. 1, Tab. 2).

Tab. 1 Modifizierter Frankle-/ASIA-Score
Tab. 2 Magerl-Klassifikation. (Mod. nach [16])

Diagnostik

Am Anfang der Diagnostik steht die Anamnese und körperliche Untersuchung.

Eine orientierende neurologische Untersuchung ist unerlässlich.

Im Rahmen der Anamnese sollte der Unfallhergang möglichst genau erfragt werden, um Information über Stärke und Richtung der einwirkenden Energie (z. B. Sturz aus welcher Höhe, Aufprall auf welchem Untergrund) und das Vorliegen eines Stauchungs-, Flexions- und/oder Hyperextensionsmechanismus zu erhalten. Bei der klinischen Untersuchung ist neben der orientierenden Untersuchung im Sinne eines „body checks“ v. a. auf äußere Verletzungen (z. B. Prellmarken), lokale Klopf-/Druckschmerzhaftigkeit, tastbare Stufenbildung in der Dornfortsatzreihe und Achsabweichungen der Wirbelsäule zu achten. Die möglichst genaue Erhebung des neurologischen Befunds sollte im Idealfall am Unfallort, vor einer etwaigen Analgosedierung, erfolgen. Überprüft werden sollten die periphere Sensibilität und Motorik im Seitenvergleich und ggf. die Läsionshöhe bestimmt werden. Nach Eintreffen im Krankenhaus hat eine Reevaluierung des neurologischen Befunds zu erfolgen. Es sollten alle sensiblen und motorischen Ausfälle erfasst werden. Auf mögliche Blasen- und/oder Mastdarmfunktionsstörungen, sowie sakrale Aussparungen sollte untersucht werden. Entsprechend des neurologischen Befundes haben Verlaufskontrollen während der weiteren Diagnostik zu erfolgen.

Jede frische traumatische Verletzung an der BWS und LWS erfordert prinzipiell die konventionelle Röntgendiagnostik in 2 Ebenen und wenn eine Instabilität der Verletzung sowie eine Einengung des Spinalkanals nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann ein CT.

Bei Verdacht auf eine hochgradig instabile Fraktur hat die primäre Röntgendiagnostik im Liegen zu erfolgen. Wird initial ein Spiral-CT mit multiplanarer Rekonstruktion (z. B. im Rahmen der Polytraumadiagnostik) angefertigt, kann von den Röntgenaufnahmen abgesehen werden. Von den Röntgenbildern sollte gefordert werden, dass der verletzte Wirbel im Zentralstrahl liegt und die beiden darüber und darunter liegenden Wirbel mit abgebildet werden. Im CT (Computertomogramm) sollten ebenfalls mindestens die beiden darüber und darunter liegenden Wirbel, sowie die kompletten Dornfortsätze abgebildet werden. Im Ausnahmefall, wenn kein Anhalt für eine Beteiligung der Wirbelkörperhinterkante, sowie kein klinischer Verdacht auf eine Läsion der dorsalen Bandstrukturen bestehen, kann auf ein initiales CT verzichtet werden. Der Patient muss in diesem Fall spontan mobilisierbar sein und eine konventionelle Röntgenkontrolle im Stehen ist nach Mobilisation notwendig.

Sollte es Hinweise auf eine Einengung des Spinalkanals oder das Vorliegen einer instabilen Fraktur geben oder handelt es sich um einen bewusstlosen und somit nicht adäquat untersuchbaren Patienten, ist die Indikation zur CT-Diagnostik großzügig zu stellen.

Eine Magnetresonanztomographie (MRT) zur weiteren Diagnostik ist bei der frischen traumatischen Verletzung optional. Zur Abklärung von neurologischen Symptomen, welche durch andere bildgebende Verfahren nicht erklärbar sind, muss es gegebenenfalls auch notfallmäßig eingesetzt werden. Die Entscheidung zum Einsatz der Diskographie, der Myelographie, des Myelo-CT, des Funktions-CT, des Funktions-MRT und der Angiographie, sowie der Angio-CT sollte individuell getroffen werden und bleibt dem behandelnden Arzt vorbehalten.

Grundprinzipien bei der Behandlung von Frakturen der Wirbelsäule

Prinzipiell erfordert jeder wirbelsäulenverletzte Patient ein auf ihn angepasstes Therapieschema. Im Folgenden sollen jedoch allgemeine Grundprinzipien der Behandlung von Frakturen der Wirbelsäule dargestellt werden. Das biologische Alter, die Knochenqualität, sowie das Aktivitätslevel und der individuelle Anspruch des Patienten müssen mit in die Entscheidung über das therapeutische Vorgehen eingehen.

Funktionelle Therapie

Besteht die Indikation zur funktionellen Therapie, ist nach einer kurzen Ruhephase und adäquater Schmerztherapie die frühe Mobilisierung erforderlich. Entscheidend für den Erfolg der funktionellen Therapie ist die Zusammenarbeit von Patient, Physiotherapeut, Pflegepersonal und Arzt. Bis zur Ausheilung der Fraktur sind regelmäßige klinische und radiologische Kontrollen erforderlich.

Die Röntgenkontrollen müssen im Stehen erfolgen, da nur so Fehlstellungen sicher erkannt werden können.

Entsprechend des Ergebnisses der Röntgenkontrollen und der Klinik sind weitere Verlaufskontrollen bzw. CT/MRT durchzuführen. Die Ergebnisse der Verlaufskontrollen können bei entsprechender Verschlechterung eine Operationsindikation nach sich ziehen.

Im Falle einer funktionellen Behandlung sollte beim Monotrauma der Wirbelsäule spätestens nach einer Woche die Mobilisierung möglich sein. Ist dies nicht der Fall, ist eine weiterführende Diagnostik notwendig, welche eine Operationsindikation nach sich ziehen kann.

Operative Therapie/Operationszeitpunkt

Besteht die Indikation zur operativen Therapie sind die Ziele die möglichst anatomische Rekonstruktion sowie ein besseres klinisches und radiologisches Langzeitergebnis gegenüber der funktionellen Therapie.

Im Folgenden werden die Begriffe Instrumentierung, Spondylodese und ventrale Rekonstruktion verwendet. Mit Instrumentierung wird das Einbringen eines Systems zur Stabilisierung der Fraktur von dorsal und/oder ventral ohne die definitive Fusion eines Bewegungssegments bezeichnet. Als Spondylodese wird die definitive Fusion eines Bewegungssegments bezeichnet. Diese kann von dorsal und/oder ventral erfolgen. Zu den Techniken der Fusion zählen dabei die Entknorpelung der Wirbelgelenke, Anlagerung von autogenem oder allogenem Knochen, sowie die Verwendung von konduktiven und/oder induktiven Knochenersatzstoffen. Die ventrale Rekonstruktion wird als Wiederherstellung der ventralen Säule verstanden. Hierfür können Implantate (z. B. Cages, Wirbelkörperersatzimplantate, ventrale Instrumentation), Transplantate (z. B. Knochenspäne) oder weitere Materialien (z. B. Wachstumsfaktoren) verwendet werden. Die ventrale Rekonstruktion kann auch über einen dorsalen Zugang erfolgen (z. B. posteriore lumbale interkorporelle Fusion, PLIF).

Für den besten Zeitpunkt zum operativen Vorgehen bestehen keine klaren Richtlinien oder Empfehlungen auf Basis der internationalen Literatur. Dies gilt auch für neurologische Zusatzverletzungen. Die anerkannt höchste Dringlichkeit für eine Dekompression besteht bei eindeutig zunehmendem neurologischem Defizit mit Spinalkanaleinengung.

Wir erachten folgende Operationsindikationen als dringlich und das notfallmäßige Vorgehen für sinnvoll:

  1. a)

    Offene Wirbelsäulenverletzung durch äußere Gewalteinwirkung (Schuss-, Hieb-, Stichverletzung) und/oder grobe Dislokation.

  2. b)

    neurologisches Defizit mit relevanter Spinalkanaleinengung. Da ein spinaler Schock bei klinisch kompletter Querschnittsläsion innerhalb der ersten 48 h nicht auszuschließen ist, gilt diese Indikation unabhängig von der Schwere des neurologischen Defizits. Das Gleiche gilt bei unbekanntem neurologischen Status (z. B. intubierter Patient), wenn ein neurologisches Defizit anhand der Morphologie der Verletzung wahrscheinlich erscheint.

  3. c)

    Stabilisierung von hochgradig instabilen Wirbelsäulenverletzungen im Rahmen der Behandlung polytraumatisierter oder mehrfachverletzter Patienten im Sinne einer Primärstabilisierung nach dem Konzept des „damage control orthopaedics“.

  4. d)

    Stabilisierung von hochgradig instabilen Wirbelsäulenverletzungen mit drohendem neurologischen Defizit (s. oben), wie beispielsweise Patienten mit Verletzung einer vorbestehend ankylosierten Wirbelsäule.

Bei der Beurteilung der Spinalkanaleinengung sind die Lokalisation der Verletzung, der neurologische Status und der spinale Reserveraum zu berücksichtigen. Im operativen Vorgehen sind die direkte, chirurgische Dekompression mit Eröffnung des Spinalkanals und die indirekte Dekompression durch Reposition in Abhängigkeit von der Morphologie der Verletzung zu erwägen.

Zu berücksichtigen ist dabei, dass die optimalen Voraussetzungen mit entsprechender technischer und personeller Ausstattung gegeben sein sollten. Die geschlossene Reposition mit anschließendem Ausschluss einer verbliebenen Myelonkompression ist als alternative Notfallmaßnahme bei neurologischem Defizit und begleitender Spinalkanaleinengung zu erwägen. Liegt kein neurologisches Defizit vor, so besteht allenfalls eine relative Indikation zur Dekompression bei höhergradiger Einengung des Spinalkanals.

Der angenommene Bandscheibenschaden ist bei der Auswahl des Stabilisierungsverfahrens zu berücksichtigen. Ein nicht verletztes Bewegungssegment, das durch eine dorsale Instrumentation überbrückt werden musste, sollte nach knöcherner Konsolidierung der Wirbelkörperfraktur möglichst bald durch eine frühzeitige Entfernung der dorsalen Instrumentierung wieder freigegeben werden.

An der BWS (oberhalb BWK 10) sollten dorsal eher langstreckige Instrumentierungen durchgeführt werden. Unabhängig von der Höhenlokalisation können entsprechend des verwendeten Implantats Querverbinder zur Erhöhung der Stabilität der dorsalen Instrumentierung eingesetzt werden.

Die Zementaugmentation mit PMMA-Zement wird bei jungen, knochengesunden Patienten nicht empfohlen.

Korsettbehandlung

Es existieren keine evidenzbasierten Empfehlungen oder Richtlinien zugunsten einer äußeren Ruhigstellung mit Mieder oder Korsett nach operativer Therapie oder im Rahmen der funktionellen Behandlung innerhalb der oben genannten Kriterien und Indikationen. Die Verwendung der äußeren Ruhigstellung bleibt daher als ergänzende Maßnahme optional. Die konservative Therapie von Verletzungen des thorakalen Übergangs und der LWS mit äußerer Ruhigstellung kann erwogen werden für diejenigen Patienten, bei denen kein neurologisches Defizit und eine klare Operationsindikation nach oben genannten Kriterien besteht, die aber gleichzeitig durch anderer Gründe (Patient nicht narkosefähig, Patient lehnt Operation ab) keiner operativen Therapie zuzuführen sind.

Kortison-Gabe

Die Hochdosis-Kortison-Gabe (NASCIS II) bei Querschnittssymptomatik ist unabhängig von der gewählten Therapieform nicht mehr generell zu empfehlen. Es besteht eine bessere Evidenz für die Nebenwirkungen als für die postulierten Wirkungen. Respiratorische Komplikationen und gastrointestinale Blutungen sind häufig. Kontraindikationen sind polytraumatisierte oder mehrfachverletze Patienten, sowie Patienten höheren Alters und/oder mit wesentlicher Komorbidität.

Ein entscheidender Faktor für den Erfolg der operativen Therapie wie auch der funktionellen Therapie ist eine konsequente physiotherapeutische Behandlung und adäquate Schmerztherapie. Die enge Zusammenarbeit von Physiotherapeuten, Pflegepersonal und Ärzten ist unerlässlich.

Empfohlenes Vorgehen bei Wirbelfrakturen

A1. Impaktionsbrüche

A1.1. Deckplattenimpression

Therapie der Wahl ist die frühfunktionelle Mobilisierung mit adäquater Schmerztherapie und Physiotherapie.

A1.2. Keilbruch

Ist δ-GDW bei Therapiebeginn <15°–20° ist die funktionelle Therapie möglich, ist δ-GDW >15°–20° ist die operative Therapie zu empfehlen. Im Falle der operativen Therapie sollte mindestens die monosegmentale dorsale Instrumentierung erfolgen.

A1.3. Impaktionsbruch

Therapie der Wahl ist die frühfunktionelle Mobilisierung mit adäquater Schmerztherapie und Physiotherapie.

Der Impaktionsbruch ist die typische osteoporotischen Fraktur des alten Menschen und kommt beim knochengesunden in der Regel nicht vor. Die Ausnahme bilden hierbei Kinder, die in diesem Fall frühfunktionell behandelt werden.

A2. Spaltbrüche

A2.1. Sagittaler Spaltbruch

Therapie der Wahl ist die frühfunktionelle Mobilisierung mit adäquater Schmerztherapie und Physiotherapie

A2.2. Frontaler Spaltbruch

Therapie der Wahl ist die frühfunktionelle Mobilisierung mit adäquater Schmerztherapie und Physiotherapie.

A2.3. Kneifzangenbruch

Die Therapie ist in Abhängigkeit von δ-GDW und Separation der Fragmente zu wählen. Aufgrund der Frakturmorphologie ist der bisegmentale δ-GDW anzuwenden.

Ist δ-bGDW bei Therapiebeginn <15°–20° und besteht eine geringe Separation der Fragmente ist die funktionelle Therapie möglich.

Ist δ-bGDW>15°–20° und/oder besteht eine deutliche Separation der Fragmente ist die operative Therapie zu empfehlen. Im Falle der operativen Therapie sollte mindestens die bisegmentale dorsale Instrumentierung erfolgen.

A3. Berstungsbrüche

A3.1. Inkompletter Berstungsbruch

Die Therapie ist in Abhängigkeit von δ-GDW und des Skoliosewinkels zu wählen. Ist δ-GDW bei Therapiebeginn <15°–20° und die Skoliose <10° ist die funktionelle Therapie möglich.

Ist δ-GDW bei Therapiebeginn >15°–20° und/oder die Skoliose >10° ist die operative Therapie zu empfehlen. Im Falle der operativen Therapie sollte mindestens die monosegmentale dorsale Instrumentierung erfolgen. Eine monosegmentale dorsale Spondylodese ist zu erwägen. Die ventrale Rekonstruktion sollte in Abhängigkeit von δ-GDW und der Zerstörung des Wirbelkörpers durchgeführt werden.

Im Falle einer Zerstörung des Wirbelkörpers <1/3 ist die ventrale Rekonstruktion optional. Im Falle einer Zerstörung des Wirbelkörpers 1/3 bis 2/3 ist die monosegmentale ventrale Rekonstruktion zu empfehlen. Je größer die Separation der Fragmente, desto eher ist die Operationsindikation gegeben. Eine deutliche Separation der Fragmente spricht für die ventrale Rekonstruktion. Bei guter Knochenqualität ist die alleinige dorsale oder alleinige ventrale Rekonstruktion möglich. Im Falle einer alleinigen ventralen Rekonstruktion müssen B- und C-Verletzungen ausgeschlossen sein.

A3.2. Berstungsspaltbruch

Die Therapie des Berstungsspaltbruches ohne Dislokation des Frakturspalts erfolgt entsprechend der Versorgung des inkompletten Berstungsbruches (A3.1).

Die Therapie des Berstungsspaltbruches mit Dislokation des Frakturspalts erfolgt entsprechend der Versorgung des kompletten Berstungsbruches (A3.3).

A3.3. Kompletter Berstungsbruch

Die Therapie ist in Abhängigkeit von δ-GDW und des Skoliosewinkels zu wählen. Ist δ-GDW bei Therapiebeginn <15°–20 und die Skoliose <10° ist die funktionelle Therapie möglich.

Ist δ-GDW bei Therapiebeginn >15°–20° und/oder die Skoliose >10° ist die operative Therapie zu empfehlen.

Aufgrund der Frakturmorphologie besteht die Möglichkeit der deutlichen Fragmentdislokation ohne ausgeprägte Änderung des δ-GDW. Aus diesem Grund ist die Fragmentdislokation und die Einengung des Spinalkanals mit entscheidend für die Operationsindikation.

Je größer die Separation der Fragmente und je stärker die Einengung des Spinalkanals, desto eher ist die Operationsindikation gegeben. Die dorsale Instrumentierung sollte bisegmental erfolgen. Eine mono- oder bisegmentale dorsale Spondylodese ist zu erwägen.

Aufgrund der kompletten Zerstörung des Wirbelkörpers ist im Falle der ventralen Rekonstruktion das bisegmentale Vorgehen notwendig. Eine deutliche Separation der Fragmente spricht für die ventrale Rekonstruktion.

Bei guter Reposition und Knochenqualität ist auch eine alleinige ventrale Stabilisierung möglich. Im Falle einer alleinigen ventralen Rekonstruktion müssen B- und C-Verletzungen ausgeschlossen sein. Die konservative Therapie bleibt wenigen Ausnahmefällen vorbehalten.

B1. Transligamentäre Flexions-Distraktions-Verletzung

B1.1. Transligamentäre Flexions-Distraktions-Verletzung mit Diskuszerreißung

Die Therapie besteht in der Reposition und dorsalen Instrumentierung mit Spondylodese. Die zusätzliche monosegmentale ventrale Rekonstruktion ist optional im thorakolumbalen und lumbalen Bereich.

B1.2. Transligamentäre Flexions-Distraktions-Verletzung mit Korpusfraktur

Die Therapie besteht in der Reposition und dorsalen Instrumentierung mit Spondylodese. Die zusätzliche ventrale Rekonstruktion erfolgt entsprechend der korrespondierenden A-Fraktur

B2. Transossäre Flexions-Distraktions-Verletzung

B2.1. Horizontale Wirbelzerreißung (Chance-Fracture)

Die Therapie besteht in der Reposition und bisegmentaler dorsaler Instrumentierung.

B2.2. Flexionsspondylolyse mit Bandscheibenzerreißung

Die Therapie besteht in der Reposition und mindestens monosegmentaler dorsaler Instrumentierung mit Spondylodese. Die zusätzliche monosegmentale ventrale Rekonstruktion ist optional im thorakolumbalen und lumbalen Bereich.

B2.3. Flexionsspondylolyse mit Korpusfraktur

Die Therapie besteht in der Reposition und dorsaler Instrumentierung mit Spondylodese. Im Falle einer Frakturierung der Pedikel (B2.3.1) ist die bisegmentale Instrumentierung erforderlich. Die zusätzliche ventrale Rekonstruktion erfolgt entsprechend der korrespondierenden A-Fraktur.

B3. Hyperextensions-Scher-Verletzungen

B3.1. Hyperextensionssubluxation

Die Therapie besteht in der Reposition und mindestens dorsaler monosegmentaler Instrumentierung. Die zusätzliche monosegmentale ventrale Rekonstruktion ist optional im thorakolumbalen und lumbalen Bereich.

B3.2. Hyperextensionsspondylolyse

Die Therapie besteht in der Reposition und mindestens dorsaler monosegmentaler Instrumentierung. Die zusätzliche monosegmentale ventrale Rekonstruktion ist optional im thorakolumbalen und lumbalen Bereich.

B3.3. Hintere Luxation

Die Therapie besteht in der Reposition und mindestens dorsaler monosegmentaler Instrumentierung und Spondylodese. Die zusätzliche monosegmentale ventrale Rekonstruktion ist optional im thorakolumbalen und lumbalen Bereich.

C1. Rotations-/Kompressionsverletzungen

C1.1. Rotationskeilbruch

Die Therapie besteht in der Reposition und mindestens dorsaler Instrumentierung mit Querverbinder und monosegmentaler Spondylodese. Die zusätzliche ventrale Rekonstruktion erfolgt entsprechend der korrespondierenden A-Fraktur.

C1.2. Rotationsspaltbruch

Die Therapie besteht in der Reposition und mindestens bisegmentaler dorsaler Instrumentierung mit Querverbinder und Spondylodese. Die zusätzliche ventrale Rekonstruktion erfolgt entsprechend der korrespondierenden A-Fraktur.

C1.3. Rotationsberstungsbruch

Die Therapie besteht in der Reposition und mindestens bisegmentaler dorsaler Instrumentierung mit Querverbinder und Spondylodese. Die zusätzliche ventrale Rekonstruktion erfolgt entsprechend der korrespondierenden A-Fraktur.

C2. Rotations-/Distraktionsverletzung

C2.1. Rotation mit B1-Verletzung

Die Therapie besteht in der Reposition und mindestens bisegmentaler dorsaler Instrumentierung mit Querverbinder und monosegmentaler Spondylodese. Die zusätzliche ventrale Rekonstruktion erfolgt entsprechend der korrespondierenden A-Fraktur.

C2.2. Rotation mit B2-Verletzung

Die Therapie besteht in der Reposition und mindestens bisegmentaler dorsaler Instrumentierung mit Querverbinder. Die zusätzliche ventrale Rekonstruktion erfolgt entsprechend der korrespondierenden A-Fraktur.

C2.3. Rotation mit B3-Verletzung

Die Therapie besteht in der Reposition und mindestens bisegmentaler dorsaler Instrumentierung mit Querverbinder und monosegmentaler Spondylodese. Die zusätzliche ventrale Rekonstruktion erfolgt entsprechend der korrespondierenden A-Fraktur.

C3. Rotations-/Scherverletzungen

C3.1. Slice-Fraktur

Die Therapie besteht in der Reposition und mindestens bisegmentaler dorsaler Instrumentierung mit Querverbinder.

C3.2. Rotationsschrägbruch

Die Therapie besteht in der Reposition und mehrsegmentaler dorsaler Instrumentierung mit Querverbinder. Die zusätzliche ventrale Rekonstruktion erfolgt entsprechend der korrespondierenden A-Fraktur.

Fazit für die Praxis

  • Die erfolgreiche Therapie von Frakturen der Brust- und Lendenwirbelsäule beginnt mit der präzisen Diagnostik und Beurteilung der Fraktur. Grundlage der Frakturbestimmung ist die Einteilung nach der Magerl-/AO-Klassifikation.

  • Weitere erforderliche Parameter zur Therapieentscheidung sind die Abweichung vom individuellen physiologischen Profil der Wirbelsäule, der Grad der Zerstörung des Wirbelkörpers, die Wirbelkörperhinterkantenhöhe, die Einengung des Spinalkanals und der neurologische Status.

  • Eine exakte Begriffsdefinition der einzelnen Therapieverfahren ist erforderlich, um Therapieempfehlungen aussprechen zu können.