Die Suche nach der besten Behandlung für Frakturen der Brust- und Lendenwirbelsäule dauert an. Wirbelsäulenverletzungen sind vergleichsweise selten. In der Literatur wird oft nur von kleinen, inhomogenen Patientenkollektiven und Fallserien berichtet. Ergebnisse werden anhand retrospektiver Analysen oder in Form von Metaanalysen präsentiert. Es besteht weiterhin Uneinigkeit darüber, welche Behandlungsmethoden für welche Verletzungsformen günstig sind.

Die Ergebnisse der ersten Multicenter-Studie (MCS I) der Arbeitsgemeinschaft Wirbelsäule der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (AG WS) sowie Ergebnisse anderer Autoren konnten zeigen, dass bei Verletzungen mit Beeinträchtigung der ventralen Säule Grenzen für rein dorsale Verfahren existieren [16, 17, 18]. Gleichzeitig wurde der höhere Aufwand der technisch aufwendigeren, kombinierten Verfahren festgestellt. Eindeutige Behandlungsempfehlungen ließen sich aus der MCS I nicht ableiten. Im Laufe der vergangenen 10 Jahre haben sich die Operationsmethoden geändert: Endoskopische Operationstechniken, Wirbelkörperersatzimplantate oder computerassistierte Operationsverfahren seien stellvertretend genannt. Ein gemeinsames Ziel der Veränderungen ist die Verringerung der Morbidität durch den Eingriff und die Erhöhung der Effektivität der Maßnahmen [5, 11, 28].

Aufgrund des Wandels der operativen Technik und weiter bestehender Unklarheit über die Indikation zu den verschiedenen operativen und nichtoperativen Behandlungsmethoden wurde eine zweite multizentrische Sammelstudie „Multicenterstudie II“ (MCS II) von der AG WS initiiert. Im Unterschied zur ersten Sammelstudie sollten alle operativ behandelten Verletzungen der gesamten Brust- und Lendenwirbelsäule erfasst werden. Gleichzeitig wurden relevante, nichtoperativ behandelte Verletzungen sowie die neu entwickelten Verfahren der Kypho- und Vertebroplastie eingeschlossen.

Aufgrund der Erfahrung der MCS I wurde ein neues Studiendesign mit einer internetbasierten Datenbank entwickelt [20]. Die Ergebnisse der Studie werden in 3 Teilen präsentiert: Epidemiologie (Teil I), Operation und röntgenologischer Verlauf (Teil II) und Nachuntersuchung (Teil III).

Ziele

Ziele dieser Studie waren die Analyse der operativen Behandlung von frischen Verletzungen der gesamten Brust- und Lendenwirbelsäule von Th1 bis L5. Im Einzelnen wurden folgende Inhalte dokumentiert und analysiert:

  • Epidemiologische Daten zu Häufigkeit der Wirbelsäulen- und Begleitverletzungen sowie ihrer Entstehung

  • Häufigkeit der verschiedenen operativen Behandlungskonzepte

  • Vor- und Nachteile verschiedener Zugangswege, Implantate und Operationstechniken

  • Komplikationen unterschiedlicher Operationsverfahren

  • Analyse des röntgenologischen und klinischen Verlaufes mit subjektivem Behandlungsergebnis

  • Dauer der Behandlung, Rehabilitation und Arbeitsunfähigkeit

Patienten und Methoden

Der Erfassungszeitraum zur prospektiven Datensammlung betrug 24 Monate (01.01.2002 bis 31.12.2003). Insgesamt steuerten 8 Kliniken aus Deutschland und Österreich Patientendaten von 865 Patienten bei.

Einschlusskriterien

Die im Vergleich zur ersten Sammelstudie erweiterten Einschlusskriterien umfassten alle Patienten mit:

  • frischen (<3 Wochen nach Unfall), traumatischen Verletzungen von Th1 bis L5, die operativ behandelt wurden (Gruppe „OP“),

  • konservativ behandelten, frischen (<3 Wochen nach Unfall), traumatischen Verletzungen von Th1 bis L5, sofern ein Kneifzangenbruch (A 2.3) oder schwerer vorlag (Gruppe „KONS“),

  • einer Wirbelsäulenverletzung, die mittels Kypho- oder Vertebroplastie behandelt wurde (Gruppe „PLASTIE“).

Ausschlusskriterien

Ausgeschlossen wurden kindliche Frakturen (Patientenalter <16 Jahre). Aufgrund eines Beschlusses der Arbeitsgemeinschaft wurden Patientendaten von Kliniken mit einer Nachuntersuchungsrate von weniger als 50% in der Ergebnisanalyse nicht berücksichtigt.

Nachuntersuchungskriterien

Die Nachuntersuchung sollte frühestens 6 Monate nach der Implantatentfernung oder mindestens 1 Jahr nach der ersten Operation durchgeführt werden, sofern keine Implantatentfernung erfolgte. Neben objektiven Untersuchungsbefunden (Röntgen/CT und körperliche Untersuchung) wurde auch das subjektive Empfinden mit Hilfe von psychometrischen Fragebögen sowie Daten zur Reintegration in das soziale Umfeld und Berufsleben abgefragt.

Datenbank

Ein vom Institut für evaluative Forschung in orthopädischer Chirurgie der Universität Bern (ehemals Maurice-E.-Müller-Stiftung, Abteilung für Dokumentation und Evaluation) entwickeltes Datenbanksystem wurde zur zentralen Datenerfassung genutzt. Das sog. MEMdoc-System (http://www.memdoc.org) basiert auf dem Prinzip des Application Service Providers (ASP), das eine von einem zentralen Rechner gesteuerte Applikation bezeichnet, die den teilnehmenden Kliniken über das Internet zur Verfügung gestellt wird. Die unterschiedlichen Studienfragebögen werden direkt am Bildschirm verfügbar gemacht und sind als ausfüllbare Dokumente konstruiert, die ggf. durch entsprechende Subformulare ergänzt werden. Der gesamte Behandlungsverlauf war dadurch abgebildet:

  • Aufnahme und Patientendaten

    • Aufnahmedatum, Unfalldatum, Operationsdatum, Unfallart, Neurologie bei Aufnahme (Frankel-/ASIA-Score), VAS vor Unfall

  • Schwere der Verletzung

    • Abbreviated Injury Scale (AIS) und Injury Severity Score (ISS); Begleitverletzungen wurden mit einer anatomischen Schadensskala, der abgekürzten Verletzungsskala (AIS) erfasst und der Schwere nach von 0, gleichbedeutend mit „keiner Verletzung“ bis 5 „kritisch, Überleben unsicher“ eingeteilt

  • Diagnose

    • Art der Läsion, Lokalisation, Ausdehnung

  • Verletzungstyp und Klassifikation (AO-/Magerl-Klassifikation)

  • Radiologische Parameter präoperativ

    • Wirbelkörper-(WK-)Höhenmessung: Wirbelkörpervorderwand und -hinterwand des am schwersten Verletzten WK, Bestimmung des sagittalen Index (SI) als Quotient aus Höhe der Vorderwand durch die der Hinterwand, Hinterkantenhöhe des kranialen und kaudalen WK [mm]

    • Grunddeckplattenwinkel (GDW) monosegmental [°]

    • GDW bisegmental [°]

    • Skoliosewinkel (SKW) bisegmental [°]

    • Sagittal-/Seitverschiebung [%], relativ zur sagittalen/queren Ausdehnung des Wirbelkörpers

    • Einengung des Spinalkanals (CT/MRT) [%], relativ zur Gesamtfläche des Spinalkanals in der axialen Schicht

    • Befund Myelon und Bandscheibe deskriptiv

  • Behandlungsdetails

    • Art der Behandlung

    • Operationsdaten: Datum, Operationszeit, intraoperative Durchleuchtungszeit, Blutverlust, Einzelheiten und Angaben zu den verwendeten Implantaten, Knochentransplantaten, Wirbelkörperersatzimplantaten; zur Verwendung endoskopischer/minimal-invasiver Technik, Pedikelschraubenimplantation, Navigation, Vertebro-/Kyphoplastie

    • Komplikationen

  • Entlassung

    • Entlassungsdatum, postoperative Komplikationen, Angaben zu Revisionsoperationen, neurologischer Status bei Entlassung (Frankel-/ASIA-Score)

  • Radiologische Parameter postoperativ

    • Wirbelkörper- (WK-)Höhenmessung: Wirbelkörpervorderwand und -hinterwand des am schwersten Verletzten WK, Hinterkantenhöhe des kranialen und kaudalen WK [mm]

    • GDW monosegmental [°]

    • GDW bisegmental [°]

    • SKW bisegmental [°]

    • Sagittal-/Seitverschiebung [%]

    • Einengung des Spinalkanals (CT/MRT) [%]

    • Befund Myelon und Bandscheibe

Das Datenbanksystem bot die Möglichkeit, NU-Parameter auch mehrfach zu unterschiedlichen Nachuntersuchungszeitpunkten zu dokumentieren. Die folgenden Daten sollten jedoch mindestens einmal komplett abgefragt werden:

  • Nachuntersuchung (NU)

    • Datum der NU, Patientenstatus, Alkohol-/Nikotinabusus

  • Postoperativer Verlauf

    • Dauer der Erstversorgung, Finger-Boden-Abstand, Reha-/physiotherapeutische Maßnahmen und deren Dauer, Arbeitsunfähigkeit/Rente, Details zum Nachuntersuchungsergebnis (Freizeit/Beruf/Rückenfunktion/Zugangsmorbidität)

    • Komplikationen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus

  • Radiologische Parameter bei NU

    • GDW monosegmental [°]

    • GDW bisegmental [°]

    • SKW bisegmental [°]

    • Beurteilung des knöchernen Durchbaus (Spondylodese)

Das Datenbankkonzept sah vor, dass alle Formulare und Subformulare von Zugangsberechtigten zu unterschiedlichen Zeitpunkten und von jedem Ort mit verfügbarem Internetanschluss, z. B. innerhalb der Klinik (Station, Operationssaal, Poliklinik) ausgefüllt werden konnten, um eine zeitnahe Dokumentation zu gewährleisten.

Die Datensicherheit war durch Zugangskontrolle zum System, routinemäßige Backups, Doppelserver und gesicherte Serverräume gegeben. Um den gesetzlichen Vorschriften zum Schutz sensibler Daten, wie zum Beispiel dem Online-Banking, Rechnung zu tragen, wurde eine 128-Bit-Verschlüsselungstechnik angewendet. Eine detailliertere Beschreibung des Systems ist der Publikation von Knop et al. [20] zu entnehmen.

Vor dem Studienbeginn wurde das Studienprotokoll der MCSII vom Studienadministrator der Ethikkommission der Medizinischen Universität Innsbruck zur Prüfung vorgelegt und genehmigt. Teilnehmende Zentren holten entsprechend dieses ersten Antrags Genehmigungen von den Ethikkommissionen ihres Zuständigkeitsbereichs ein. Patienten wurden individuell über die Studie aufgeklärt und deren Einwilligung zur Teilnahme übereinstimmend mit geltenden Richtlinien der Ethikkommissionen schriftlich dokumentiert. Sensible Daten, wie zum Beispiel Name des Patienten und des behandelnden Arztes, wurden anonymisiert ausgewertet.

Der umfassende Datensatz der MCSII ist geistiges Eigentum der Arbeitsgemeinschaft Wirbelsäule der DGU. Auswertungen oder Publikation des umfassenden Datensatzes bedürfen der Zustimmung der AG WS. Dagegen stehen die eigenen Datensätze der beigetragenen Fälle jeder Klinik jederzeit zur freien Verfügung und können in Bern angefordert werden.

Statistische Auswertung

Das Datenmanagement und die statistische Auswertung der Ergebnisse erfolgten mit STATA (Version 9, STATA Inc.) und SPSS (Version 13, SPSS Inc.) für Windows. Statistische Tests wurden verwendet, um die Zusammenhänge von demographischen Basisparameter (z. B. Patientenalter und Unfallart) und den vorgefundenen Verletzungsmustern zu untersuchen. Für die statistischen Berechnungen wurden standardisierte Tests (T-, Wilcoxon-, Mann-Whitney-Test, χ2–Test, Varianz- und Regressionsanalyse) verwendet.

Ergebnisse

In der Datenbank dokumentierten 18 Kliniken insgesamt Primärdaten von 1830 Patienten [20]. Durch die Anwendung der im Studienprotokoll definierten Ein- und Ausschlusskriterien auf diesen Datenpool verblieben 865 Patienten aus 8 Kliniken für das eigentliche Studienkollektiv (Tab. 1).

Tab. 1 Anzahl der beigetragenen Fälle und Kliniken in alphabetischer Reihenfolge

Des Weiteren wurde das Gesamtkollektiv (n=865) zunächst in die drei oben genannten Behandlungssubgruppen aufgeteilt: Gruppe der operativ behandelten Patienten „OP“ (n=733), der nichtoperativ behandelten Patienten „KONS“ (n=52) und die mit Kypho-/Vertebroplastie behandelten (ohne zusätzliche Stabilisierung mit Implantaten) „PLASTIE“ (n=69) (Sonstige Behandlung n=7).

Die 7 unter „sonstige Behandlung“ subsumierten Fällen wurden keiner Behandlungsgruppe eindeutig zugeordnet, da ursprünglich vorgesehene Behandlungsformen nicht angewendet werden konnten oder abgebrochen wurden (z. B. weil der Patient auf der Intensivstation vor der geplanten Operation verstarb).

Demographie

Das gesamte Patientenkollektiv umfasste 542 (62,7%) Männer und 323 (37,3%) Frauen. Das Durchschnittsalter zum Zeitpunkt des Unfalls aller Patienten betrug 44 Jahre (16–95 Jahre) und unterschied sich im Mittel um 5 Jahre zwischen Männern 42 Jahren (16–85 Jahre) und Frauen 47 Jahren (16–95 Jahre) (Tab. 2).

Tab. 2 Altersverteilung des Patientenkollektivs (n=865)

Durchschnittsalter und Geschlechterverhältnisse (w.:m.) lagen in den Behandlungsgruppen OP bei 41 Jahren (1:1,9), KONS bei 53 Jahren (1:1,1) und PLASTIE bei 69 Jahren (1:0,4).

Unfalldaten

Die Unfallursachen für die Wirbelsäulenverletzungen (Abb. 1) waren in absteigender Häufigkeit: „Sturz aus der Höhe“ (n=276), Verkehrsunfälle (n=224) und „banaler Sturz“ (n=194).

Abb. 1
figure 1

Häufigkeit der verschiedenen Unfallursachen (n=865) und Zusammenhang von Unfallursache und Altersgruppe

Die Unfallursache „banaler Sturz“ machte in der Behandlungsgruppe OP einen Anteil von 15,8% aus. In den Gruppen KONS und PLASTIE betrug dieser Anteil 55,8% und 66,7%. Dagegen waren „Verkehrsunfälle“ (OP 27,1%; KONS 25%; PLASTIE 14,5%) und „Sturz aus der Höhe“ (OP 34,8%; KONS 13,5%; PLASTIE 14,5%) als Unfallursache in der Behandlungsgruppe OP häufiger.

Ein signifikanter Zusammenhang bestand zwischen der Unfallursache und dem Verletzungstyp nach der AO-/Magerl-Klassifikation (p<0,001; χ2-Test). Das relative Risiko (RR) eine Typ-A-Fraktur im Rahmen eines banalen Sturzes zu erleiden, war statistisch signifikant (p<0,001) 1,6-mal höher als das Risiko Kompressionsbrüche durch andere Unfallmechanismen zu erleiden. Gleichzeitig war das relative Risiko (RR) für Typ B/C-Verletzungen als Folge eines Hoch-Energie-Traumas, wie z. B. eines Sturzes aus der Höhe oder Kfz-/Motorradunfalls, 3,7-mal (p<0,001) höher als dies im Rahmen eines banalen Sturzes zu erwarten war.

Es gab statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen der Unfallursache und dem Patientenalter (p<0,001, ANOVA): Die durch einen banalen Sturz verunfallten Patienten waren durchschnittlich 58 Jahre (16–95 Jahre) alt. Das Durchschnittsalter dieser Patientengruppe war somit deutlich höher als das derer, die durch Verkehrsunfälle (36 Jahre [17–79 Jahre]), Stürze aus der Höhe (45 Jahre [16–83 Jahre]) oder aus anderer/unbekannter Ursache (36 Jahre [16–78 Jahre]) verunfallten.

Klassifikation und Lokalisation

Der am schwersten verletzte Wirbelkörper bzw. das betroffene Bewegungssegment wurde mit Hilfe der 1994 von Magerl et al. [22] eingeführten Klassifikation für Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule beurteilt: 548-mal (63.3%) wurde eine Wirbelsäulenverletzung vom Typ A, 181-mal (20,9%) vom Typ B und 136-mal (15,7%) vom Typ C diagnostiziert.

Das Balkendiagramm (Abb. 2) zeigt die Häufigkeit (n) der Verletzungstypen und differenzierte die Verletzungen anhand der nächsten Ebene des Klassifikationsschemas (A1–C3). Berstungsbrüche (A3) wurden als häufigste Kompressionsverletzungen identifiziert und kamen 429-mal (82.7%) vor. Unter den Distraktionsverletzungen dominierten (n=88; 57.5%) ligamentäre, dorsale Zerreißungen durch die Intervertebralgelenke (Typ B1) und schließlich in der Gruppe der Typ-C-Verletzungen Kombinationen aus Rotationsverletzungen mit einer Wirbelfraktur vom Typ A (n=76; 64.6%).

Abb. 2
figure 2

Häufigkeiten der verschiedenen Verletzungstypen (n=865): Klassifiziert wurde das jeweils am schwersten verletzte Wirbelsegment anhand der Magerl-/AO-Klassifikation für Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule. n/a: 77-mal wurde keine Untergruppe für die Verletzung angegeben

A-, B- und C-Verletzungen waren in den drei Behandlungsgruppen unterschiedlich oft vertreten. Die Behandlungsgruppe PLASTIE enthält n=28 (40,6%) Impressionsfrakturen (Typ A1), die in der Behandlungsgruppe KONS nicht vorkommen. B- und C-Verletzungen wurden bis auf wenige Ausnahmen operativ versorgt (Tab. 3).

Tab. 3 Häufigkeiten der Frakturtypen in Abhängig von der Behandlungsgruppe (ohne Sonstige)

Abb. 3 zeigt die Häufigkeit und Lokalisation des jeweils am schwersten verletzten Wirbelkörpers. Die Verteilung der Frakturlokalisation auf die drei funktionellen Abschnitte Brustwirbelsäule (BWS, T1-T10), thorakolumbaler Übergang (TLÜ, T11–L2) und Lendenwirbelsäule (LWS, L3-L5), folgte einem typischen Muster, bei dem der TLÜ 595-mal (68,8%) und am häufigsten betroffen war, gefolgt von 158 (18,3%) Verletzungen der BWS und 112 (12,9%) der LWS.

Abb. 3
figure 3

Lokalisation der Wirbelsäulenverletzungen (n=865)

Der thorakolumbale Übergang war in allen drei Behandlungsgruppen in 67–84% der Fälle am häufigsten von Verletzungen betroffen (Tab. 4).

Tab. 4 Häufigkeit der Frakturlokalisation in Abhängigkeit von der Behandlungsgruppe (ohne Sonstige)

Es wurden unterschiedliche Häufigkeiten von A-, B- und C-Läsionen in den verschiedenen Wirbelsäulenabschnitten beobachtet. An der BWS fanden sich lediglich in 28,5% A-Verletzungen, gegenüber 70,9% am TLÜ und 72,3% an der LWS. Entsprechend höher war der Anteil der B- und C-Verletzungen an der BWS:

  • BWS: A (28,5%), B (36,7%), C (34,8%)

  • TLÜ: A (70,9%, B (18,2%), C (10,9%)

  • LWS: A (72,3%), B (13,4%), C (14,3%)

Um das Ausmaß der Verletzung zu erfassen, waren auch zusätzliche Wirbelfrakturen anzugeben: Demnach erlitten 750 Patienten (86,7%) mono- oder bisegmentale Wirbelsäulenverletzungen. In 66 Fällen (7,6%) waren Patienten durch Verletzungen von mehr als zwei benachbarten Bewegungssegmenten betroffen oder hatten in weiteren 49 weiteren Fällen (5,7%) Mehretagenverletzungen, d. h. es lagen unverletzte Segmente zwischen den betroffenen Bewegungssegmenten oder Wirbelkörpern. Im Gesamtkollektiv befanden sich 274 (31%) Fälle, die eine oder mehrere zusätzliche (Spannweite 1–8) Wirbelfrakturen aufwiesen.

Es gab statistisch signifikante Unterschiede zwischen den Frakturtypen nach AO/Magerl und der Verletzungsausdehnung (p<0,001; χ2–Test). Die relative Häufigkeit von Mehrsegment- und Mehretagenverletzungen stieg im Zusammenhang mit dem Verletzungstyp A (5% Mehrsegmentverletzungen, 3% Mehretagenverletzung), Typ B (12% Mehrsegmentverletzungen, 9% Mehretagenverletzung) und Verletzungstyp C (15% Mehrsegmentverletzungen, 12% Mehretagenverletzung) kontinuierlich an. Genauso korrelierte eine steigende Anzahl zusätzlicher Wirbelkörperfrakturen in Verbindung mit Verletzungen vom Typ A bis C (p<0,01; Spearman-Rho).

Das durchschnittliche Patientenalter von Patienten mit Typ A (47,2 Jahre; 16–95 Jahre), Typ B (39,2 Jahre; 16–84 Jahre) und Typ C Verletzungen (37,2 Jahre; 16–80 Jahre) unterschied sich signifikant (p<0,001; ANOVA). Somit war das relative Risiko der unter 40-jährigen Patienten eine schwerwiegendere Verletzungen des Typs B oder C zu erleiden gegenüber dem der über 40-jährigen Patienten 1,8-mal höher (p<0,001, χ2–Test) (Tab. 5).

Tab. 5 Erwartete und tatsächliche Häufigkeiten für Verletzungstyp (Magerl A/B/C) und Patientenalter

Neurologischer Befund bei stationärer Aufnahme

Zur Klassifikation der Querschnittslähmungen wurde die modifizierte Schadensskala nach Frankel/ASIA [2, 10] verwendet (Tab. 6). 69 (8%) Patienten wiesen bei ihrer Aufnahme eine komplette Querschnittsläsion (Frankel/ASIA A) auf. 130 (15%) Patienten erlitten inkomplette Querschnittslähmungen (Frankel/ASIA B–D) oder blieben in 666 (77%) Fällen ohne neurologische Ausfälle (Frankel/ASIA E).

Tab. 6 Schadensskala zur Erfassung von motorischen und sensiblen Funktionsstörungen. (Mod. nach Frankel el al. [10])

Entsprechend einer unterschiedlichen Verteilung der Verletzungsschwere nach der AO-/Magerl-Klassifikation in den drei Wirbelsäulenabschnitten, unterschied sich auch die Häufigkeit und Schwere der neurologischen Begleitverletzung: 36,7% aller Fraktur der BWS gingen mit neurologischen Defiziten (ASIS A–D) einher. Dieser Anteil war damit fast doppelt so hoch wie der im Bereich des TLÜ mit 19,5% oder der LWS mit 19,6% (p<0,001; χ2-Test). Komplette Querschnittslähmung (Frankel/ASIA A) wurden an der BWS deutlich häufiger beobachtet. Dies gilt für A- (n=4, 8,9%), B- (n=11, 18.9%) und C-Verletzungen (n=21, 38.2%). Am thorakolumbalen Übergang traten komplette Querschnittslähmungen (Frankel/ASIA A) nach A- (n=4; 0,9%), B- (n=8; 7,4%) und C-Verletzungen (n=19; 29,2%) seltener ein (Tab. 7).

Tab. 7 Zusammenhang von Frakturtyp, -lokalisation und neurologischen Ausfällen

Der Schweregrad (Frankel/ASIA A–E) neurologischer Ausfallserscheinungen korrelierte signifikant (p<0,01; Spearman-Rho) mit der Frakturklassifikation nach MAGERL (A-C). Dies zeigte sich deutlich daran, dass sowohl die relative Häufigkeit von Patienten mit kompletten Querschnittslähmungen (Frankel/ASIA A) in den Patientengruppen mit Typ-A- (2%), B- (11%) und C-Frakturen (30%) als auch die Häufigkeit inkompletter QS-Läsionen (Frankel/ASIA B–D) mit A- (10%), B- (21%) und C-Verletzungen (27%) anstiegen. Umgekehrt nahm die relative Häufigkeit von Patienten ohne neurologische Ausfälle (AISA E) in den Frakturgruppen A (89%), B (68%) und C (43%) ab.

Anzahl und relative Häufigkeit von kompletten QS-Läsionen (Frankel/ASIA A), inkompletten QS (Frankel/ASIA B-D) und Patienten ohne neurologische Ausfälle (Frankel/ASIA E) in der unterschiedlichen Behandlungsgruppen OP, KONS, PLASTIE sind in Tab. 8 zusammengefasst.

Tab. 8 Anzahl und relative Häufigkeiten von kompletten und inkompletten QS-Läsionen sowie von Patienten ohne neurologische Ausfälle

Der prozentuale Anteil aller operierten Patienten mit inkompletten und kompletten QS-Läsionen war in der Subgruppe kombiniert versorgter Fälle mit 31,3% am größten (Tab. 9).

Tab. 9 Neurologischer Status bei stationärer Aufnahme nach Unfall und Operationstechnik

Begleitverletzungen

Begleitverletzungen und Begleitverletzungsschwere wurden mit Hilfe des Abbreviated Injury Scale (AIS) dokumentiert. Ausgenommen der Rubriken BWS/Thorax und LWS/Abdomen_Beckenorgane, waren insgesamt 49,1% aller Patienten von mindestens einer der 825 mit dem AIS registrierten Begleitverletzungen betroffen. Die Verletzungen wurden nach Schweregrad und Körperregion in Tab. 10 aufgelistet. Am häufigsten (n=275; 31,8%) waren gleichzeitig die Extremitäten und/oder der Beckenring verletzt. Schwere- und schwerste Begleitverletzungen mit unsicherer Überlebenschance wurden gehäuft durch begleitende Verletzungen der Regionen Kopf/Hals/HWS verursacht.

Tab. 10 Begleitverletzungen und Begleitverletzungssschwere anhand des Abbreviated Injury Score (AIS)

206 (23,8%) Patienten erlitten mindestens eine der oben genannten Begleitverletzungen. 100 (11,6%) Patienten erlitten gleichzeitig zwei und 109 (13,8%) Patienten 3–4 Begleitverletzungen unterschiedlichen Ausmaßes.

Einfache Kompressionsbrüche (Typ A) wurden 327-mal (74,3%) als isolierte Wirbelsäulenverletzung ohne jegliche Begleitverletzung registriert. Dieser Anteil beträgt bei Patienten mit einer Wirbelsäulenläsion vom Typ C nur noch 10% (n=44). Die Begleitverletzungsrate (≥2) stieg bei Typ-A-Läsionen (16,1%), Typ B (33,7%) bis Typ C (47,7%). Dieser Zusammenhang war statistisch signifikant (p<0,01 Spearman-Rho). Obwohl kein kausaler Zusammenhang zwischen Frakturtyp nach Magerl und der Anzahl der Begleitverletzung bestand, betrug das relative Risiko für das Auftreten von einer oder mehr Begleitverletzungen bei B-/C-Verletzungen 1,7 gegenüber dem für A-Verletzungen.

Zur numerischen Beschreibung der Verletzungsschwere wurde zusätzlich der Injury Severity Score (ISS) (0 bis 75 Punkte) berechnet [4]. Höhere Punktwerte im ISS bedeuten schwerere Verletzungen. In der Behandlungsgruppe OP und deren Untergruppen betrug der ISS im Mittel 14,6 (1–57 Punkte) und lag in den Subgruppen bei durchschnittlich „Dorsal“ 14,2 Punkten, „Ventral“ 11,4 Punkten und „Kombiniert“ 13,8 Punkten. Geringere Punktwerte wurden für die Behandlungsgruppen KONS (11,9 Punkte) und PLASTIE (6.8 Punkte) gefunden. Signifikante Zusammenhänge (p<0,001) bestanden für die Verletzungsschwere nach ISS und neurologischen Begleitverletzungen bei der stationären Aufnahme. Patienten mit Neurologie hatten einen ISS von durchschnittlich 18,0 (4–75) Punkte vs. 13 (1–57) Punkte bei Patienten ohne Neurologie. Für die drei Verletzungstypen nach AO/Magerl errechneten sich jeweils ISS-Mittelwerte von Typ A: 11 Punkten, Typ B: 17 Punkten und Typ C: 21 Punkten.

VAS Wirbelsäulenscore vor Unfall

Zur Erfassung des subjektiven Empfindens von Rückenschmerzen und anderen Funktionsbeeinträchtigungen von Seiten der Wirbelsäule wurde ein individueller „Ausgangswert“ für die Zeit vor dem Unfall mit Hilfen des validierten VAS-Wirbelsäulenscores erhoben [19]. Dieser Ausgangswert wurde 654-mal (75,6%) bestimmt und lag für das Gesamtkollektiv bei 80 (Median 92) von 100 möglichen Punkten. Größere Punktwerte bedeuten weniger Beschwerden.

Die Mittelwerte lagen in den Behandlungsgruppen OP bei 80 (Median 94), KONS 75 (Median 80) und PLASTIE 72 Punkten (Median 76). Innerhalb der Behandlungsgruppe OP fanden wir in den Subgruppen folgende durchschnittliche Scores als Ausgangswert: Dorsal 86 (Median 96), Ventral 79 (Median 85) und Kombiniert 75 (Median 91) Punkte.

Mit zunehmendem Alter sank der Ausgangswert im VAS-Wirbelsäulenscore (p<0,01 Spearman-Rho). Der Median der bis zu 20-jährigen Patienten lag bei 99 Punkten und in der Altersgruppe 21–40 Jahre bei 95 Punkten. Er betrug 90 in der Altersgruppe 41–60 Jahre und fiel auf einen Ausgangswert von 75 Punkte in der Altersgruppe der über 60-jährigen (p<0,001; Kruskal-Wallis).

Diskussion

Anhand epidemiologischer Daten können Inzidenzanalysen für Wirbelsäulenverletzungen erstellt werden. Die Erhebungen sind hilfreich bei der Identifikation von Risikogruppen und ermöglichen das Abschätzen der Effektivität unterschiedlicher Behandlungsmethoden [26].

Die Inzidenz von Wirbelfrakturen in der Gesamtbevölkerung beträgt 64 pro 100.000 Einwohner [14]. Wirbelsäulenverletzungen bilden zum Beispiel einen relativ konstanten Anteil von 4–4,5% aller von der sozialen Unfallversicherung (AUVA, Österreich) jährlich erfassten und anerkannten Arbeitsunfälle von über 4,5 Mio. Versicherten (Erwerbstätige, Schüler und Studenten) [3].

Während der vergangenen 10 Jahre haben sich die operativen Behandlungsmethoden für Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule weiterentwickelt. Neue Zugangswege, verbesserte Operationsverfahren und neue Implantatdesigns haben das Spektrum der therapeutischen Möglichkeiten nicht nur für traumatologische Anwendungen kontinuierlich erweitert. Diese Entwicklung spiegelt sich in den Zahlen einer aktuellen Analyse des europäischen Marktes für Wirbelsäulenimplantate mit prognostizierten jährlichen Wachstumsraten in der Größenordnung von 5,5–8% wider. Für den Zeitraum 2003 bis 2009 entspricht dieses Marktvolumen der Größenordnung von jährlich US-$ 250.000.000 bis US-$ 360.000.000 [24].

Als Konsequenz dieser Sachverhalte und aus der Zielsetzung der AG WS ergab sich die Notwendigkeit einer Neuauflage der ersten multizentrischen Sammelstudie aus den Jahren 1994–1996 (MCS I) [16, 17, 18] in modifizierter Form. Die zweite, internetbasierte Multicenterstudie MCS II sollte dem Wandel der Zeit und den Veränderungen der traumatologischen Wirbelsäulenchirurgie der letzten 10 Jahre Rechnung tragen.

Das Studienziel dieser zweiten Multicenter Studie der Arbeitsgemeinschaft Wirbelsäule der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie war es, ein repräsentatives und aktualisiertes Bild des „State of the art“ der traumatologischen Wirbelsäulenchirurgie im deutschsprachigen Raum zu zeichnen.

Zur Datenerfassung und deren Verwaltung wurde ein neues, zentrales, internetbasiertes Datenbanksystem genutzt. Die MCS II sollte dem Entwickler (Institut für evaluative Forschung in der orthopädischen Chirurgie (IEFO – Universität Bern)) gleichzeitig als Pilotstudie zur Erprobung und Testung des Systems in Bezug auf seine „Alltagstauglichkeit“ dienen. Über die Systemkomponenten und das Datenbankkonzept wurde bereits im Detail berichtet [20].

Während des Erfassungszeitraums und der Nachuntersuchungsphase wurden regelmäßige Arbeitstreffen der AG WS dazu genutzt, um die gesammelten Erfahrungen der Anwender mit der Datenbank im klinischen Alltag auszutauschen. Trotz permanenter Verfügbarkeit der Online-Datenbank, gestaltete sich die Dateneingabe zeitaufwendig. Der Rückfluss von Primärdaten bereits eingepflegter und erfasster Patienten für Zwischenanalysen war anfänglich fehlerhaft und hatte wiederholte zeitaufwendige Datenbankabfragen zur Folge.

Trotzdem gelang es, ein umfangreiches Datenmaterial zu Unfallhergang, Befund bei stationärer Aufnahme und der primären Behandlung aus immerhin 18 unfallchirurgischen Kliniken von über 1800 Patienten zusammengetragen. Im Laufe des Erfassungszeitraums konnten 865 Patienten aus 8 Kliniken in die Studie eingeschlossen werden. Grund für den Ausschluss waren ungenügende Nachuntersuchungsraten von <50%. Im Vergleich zur ersten Sammelstudie entspricht diese Fallzahl dennoch einer Steigerung um 27% während eines etwas kürzeren Erfassungszeitraums. Die geforderte Nachuntersuchungsquote von mindestens 50% konnte aus personellen und/oder zeitlichen Gründen von 10 aller ursprünglich beteiligten Kliniken nicht erbracht werden. Nichtsdestotrotz schien diese durch mehrheitlichen Beschluss gefasste Forderung unabdingbar, um eine aussagekräftige Datenqualität zu gewährleisten.

Bis heute wurden nur zwei umfassende prospektive multizentrische Sammelstudien zur Behandlung von Verletzungen der thorakolumbalen Wirbelsäule publiziert [12, 16, 17, 18]. Dies mag daran liegen, dass einerseits die Planung und Durchführung solcher Gemeinschaftsprojekte logistisch aufwendiger ist. Andererseits ist das Gelingen von einer intakten Arbeitsgruppe abhängig, die einen regelmäßigen Austausch über den Studienverlauf mit kontinuierlichem Monitoring erlaubt.

Für den Mehraufwand prospektiver Multicenterstudien spricht, dass im Vergleich zu individuellen Fallserien oder aufwendig angelegten retrospektiven Metaanalysen [8, 34] in relativ kurzer Zeit repräsentative Patientenzahlen unter kontrollierten Bedingungen rekrutiert werden können, die von einzelnen Institutionen nicht erreichbar sind. Als Alternative steht nur ein sehr langer Studienzeitraum zur Verfügung, der dann wiederum von wechselnden Behandlungsmethoden über die Zeit geprägt wäre. Besonders auf die Aktualität der Daten müsste dabei verzichtet werden [27].

Obwohl internetbasierte Datenbanksysteme prinzipiell gut zur Studiendurchführung dieser Art geeignet sind [20], bestand bei dem evaluierten System nach Ansicht der Autoren Verbesserungspotenzial. Ausgereiftere Programmroutinen zur Kontrolle und Vermeidung von Eingabefehlern wären wünschenswert. Ein ausführlicherer und automatisierter Datenabgleich oder Gegenproben mit bereits eingepflegten Daten könnte die Fehlerhäufigkeit reduzieren helfen. Die Effizienz des Datenbanksystems könnte so noch verbessert und zeitaufwendige, manuelle Fehlersuchen reduziert werden.

Aus der laufend aktualisierten medizinischen Statistik der Schweizerischen Sammelstelle für die Statistik der Unfallversicherungen (SSUV) können repräsentative Zahlen von Unfallursachen und Berufskrankheiten, medizinischen Diagnosen, therapeutischen Maßnahmen und Struktur der Heilkosten für Wirbelsäulenverletzte entnommen werden [29]. Die Sammelstelle erfasst laufend die Unfallgeschehen von rund 3,5 Mio. der obligatorisch unfallversicherten Beschäftigten in der Schweiz [30]. Aus der Statistik ging hervor, dass in den Jahren 1996 bis 2000 jährlich durchschnittlich 2637 Unfälle mit Wirbelsäulenverletzungen ohne Rückenmarkschädigung (ICD-9 Code 805) vorkamen. Davon betroffen waren überwiegend männliche Patienten (65%) mit einem Durchschnittsalter von 39,8 Jahren. Die durchschnittlichen Heilkosten betrugen in diesen Fällen in den ersten 5 Jahren nach dem Unfall 11.300 €. Die Behandlungskosten der jährlich 131 Fälle von Verletzungen der Wirbelsäule mit Rückenmarkschädigung (ICD-9 Code 806) (Ø Alter 37,5 Jahre) waren ungleich höher und betrugen 110.742 € in den ersten 5 Jahren nach dem Unfall [29].

Ebenfalls mit Hilfe einer Versicherungsdatenbank (MHSIP) identifizierten Hu et al. [14] während eines Erfassungszeitraums über 36 Monate 944 Patienten mit Wirbelsäulenverletzungen, die einer stationären Behandlung bedurften. Das Geschlechterverhältnis w.:m. betrug 60:40 und bestand überwiegend aus jungen männlichen (2.–3. Lebensjahrzehnt) und älteren weiblichen Patienten (6.–7. Lebensjahrzehnt). Wirbelfrakturen betrafen in 30% der Fälle die Brustwirbelsäule und in 43% der Fälle den thorakolumbalen Übergang [14].

Übereinstimmend mit den epidemiologischen Angaben relevanter Literatur bestehen die Patientenkollektive zwischen 60–70% aus männlichen Patienten zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr [12, 16, 34]. Aufgrund der typischen Verteilung von Alter, Geschlecht und Frakturlokalisation operierter Patienten der vorliegenden Studie, konnte deshalb von einem repräsentativen Patientenkollektiv ausgegangen werden, das sich von der Struktur eines Kollektivs mit degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen oder osteoporotischen Frakturen deutlich unterscheidet [9].

Eine Zunahme des durchschnittlichen Patientenalters (MCS I: 39 Jahre, MCS II: 44 Jahre) kann in der Literatur [15] und anhand anderer Datenbanken [31] gut nachvollzogen werden. Für die Jahre 1982–1989 wurde das Durchschnittsalter noch mit 33,5 Jahren [7] und 1973–1977 sogar mit 28,6 Jahren angegeben. Pickett et al. [26] fanden in einer kanadischen Population der Jahre 1997–2001 nicht nur eine Zunahme des Durchschnittsalters der Patienten mit traumatischen Rückenmarkverletzungen von 42 Jahren. Sie konnten außerdem eine bimodale Verteilung der Alterskurve mit einer höheren altersangepassten Inzidenz für Patienten >65 Jahre feststellen, die eine zweite Häufung neben dem „typischen“ Altersgipfel zwischen 20–40 Jahren überwiegend junger männlicher Erwachsener [23, 32] bedeutet. Sie konnten auf diese Weise die zweite Risikogruppe der über 60-Jährigen mit höherer Mortalität, Komplikationsrate und verzögerter Rehabilitation identifizieren.

Die zwei „klassischen“ in der Literatur am häufigsten beschriebenen Verletzungsursachen sind ein Sturz aus der Höhe (40–60%) und Verkehrsunfälle (25–40%), also Hochenergie oder Rasanztraumata [6, 12, 15, 16, 25]. Diese Unfallmechanismen ziehen bekanntermaßen einen höheren Anteil von B- und C-Verletzungen nach sich [22].

Neuere Literaturangaben [26] und die Ergebnisse der vorliegenden Studie deuten dagegen darauf hin, dass zukünftig „banale Stürze“ in Bodennähe vermehrt als Unfallursache für traumatische Wirbelsäulenverletzungen zu beobachten sein werden. In den vergangenen 30 Jahren hatte die Rate banaler Stürze als Ursache von Wirbelsäulenverletzungen mit neurologischen Ausfällen von 16,5% in den 1970er Jahren bis auf 23,8% zwischen 2000 und 2003 zugenommen [15]. Geeignete Maßnahmen zur Sturzprophylaxe älterer Patienten werden deshalb an Bedeutung gewinnen [21].

Aufgrund des Studienprotokolls waren die „leichten“ A1-Verletzungen (Deckplattenimpaktionsbrüche) in unserem Patientenkollektiv unterrepräsentiert, da sie überwiegend nichtoperativ behandelt werden, Patienten in der Gruppe „KONS“ jedoch erst ab einer Verletzungsschwere A 2.3 inkludiert wurden. Anzahl, Häufigkeit und Lokalisation der drei Verletzungstypen (Typ A, B und C) entsprachen der bekannten Verteilung mit einer Häufung am thorakolumbalen Übergang und an der mittleren Brustwirbelsäule (T5–T7) [12, 16, 22] Abb. 3.

Der Anteil der Patienten mit neurologischer Zusatzverletzung bei einer Verletzung am thorakolumbalen Übergang betrug etwa 20%. Diese Rate ist vergleichbar mit den publizierten Daten der MCS I von etwa 21% [16].

49,1% aller Patienten erlitten Begleitverletzungen unterschiedlichen Ausmaßes. Folgt man der Definition des Polytraumas als eine Mehrfachverletzung mit gleichzeitigem Vorliegen von Verletzungen mehrerer Körperregionen oder Organsystemen, die jede für sich oder in ihrer Kombination lebensbedrohlich sind, zählten wir 101 (11,7%) Patienten in unserer Studie und liegen damit im unteren Bereich der hierfür in der Literatur angegeben Häufigkeit von 13–34% [13, 33, 35]. Kopf, Extremitäten und Thoraxverletzungen werden im Zusammenhang mit Wirbelsäulenverletzungen am häufigsten beobachtet [14, 16, 33].

Die Analyse der epidemiologischen Daten konnte im Hinblick auf die Verletzungsursachen, die Patientenzusammensetzung der Behandlungsgruppen, die Verletzungsarten und beobachtete Begleitverletzungsmuster keine grundlegenden Änderungen feststellen.

Eine Analyse der aktuell angewendeten Operationstechniken, der verwendeten Implantate, die Auswertung der radiologischen Parameter und Auflistung registrierter Komplikationen folgt in Teil II dieser Arbeit.

Fazit für die Praxis

Die zweite internetbasierte multizentrische Sammelstudie (MCS II) der Arbeitsgemeinschaft Wirbelsäule der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie ist eine repräsentative, umfassende Zusammenstellung eines Patientengutes mit frischen, traumatischen Verletzungen der gesamten Brust- und Lendenwirbelsäule. Die MCS II ergänzt die Ergebnisse 12 Jahre nach der ersten Sammelstudie der AG WS.

Die epidemiologischen Daten dieses ersten Teils sind die Grundlage der in zwei Teilen zusammengefassten und folgenden Ergebnisse von Operation und radiologischer Auswertung (Teil II) sowie der Nachuntersuchung (Teil III). Sie sind deshalb ein wesentlicher Bestandteil und unverzichtbar zum Verständnis der Ergebnisanalyse unterschiedlicher Behandlungs- und Operationskonzepte von komplexen Läsionen des Achsenskeletts und seiner Begleitverletzungen.