1 Einleitung

Vor gut zwei Jahrzehnten wurden in Deutschland die Weichen für den flächendeckenden Auf- und Ausbau der Ganztagsschule gestellt. Während zuvor die Ganztagsschule in den 16 Bundesländern eher eine Ausnahme darstellte, die lediglich an ausgewählten Modellstandorten zu finden war, so sind heute bereits mehr als 70 % aller schulischen Verwaltungseinheiten als Ganztagsschule zu bezeichnen, wobei etwa knapp die Hälfte (48,3 %) aller Schüler:innen bundesweit im Ganztagsbetrieb angemeldet ist (KMK 2023). Im Sinne der KMK (2023) bietet eine Ganztagsschule „an mindestens drei Tagen in der Woche ein ganztägiges Angebot […], das täglich mindestens sieben Zeitstunden umfasst“ (S. 4), wobei die Schüler:innen an diesen Tagen Mittagessen erhalten. Weiterhin soll der Ganztagsbetrieb auf einem Konzept basieren und die Schulleitung hat mindestens eine ‚Mitverantwortung‘ für den Ganztagsbetrieb, wie es in der Definition der KMK (2023) heißt. Zur Umsetzung des Ganztagsbetriebs werden teils Lehrkräfte in der außerunterrichtlichen Zeit für Ganztagsangebote eingesetzt; aber insbesondere kommen diverse pädagogisch tätige Personen im Ganztag zum Einsatz und teilweise kooperieren Schulen auch hinsichtlich der Durchführung von Ganztagsangeboten und Betreuung mit externen Institutionen (StEG-Konsortium 2019). Es lässt sich entsprechend feststellen, dass für die Umsetzung des Ganztagsbetriebs Personen mit unterschiedlichen Qualifikationen, beruflichen Hintergründen bzw. Erfahrungen und institutionellen Anbindungen eingesetzt werden.

Neben der Ganztagsschulreform stellt Inklusion die zweite weitreichende Bildungsreform innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte in Deutschland dar. Während vormals Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Deutschland vordergründig in Sonderschulen (später: Förderschulen) beschult wurden, wird – insbesondere ausgehend von der Ratifizierung der sog. ‚UN-Behindertenrechtskonvention‘ – zunehmend dazu übergegangen, dass Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die nächstgelegene Regelschule gehen können. Knapp die Hälfte der Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind bereits an Regelschulen (KMK 2022). Inklusion in einem breiten Verständnis meint „the right of all children to access, presence, participation and success in their local regular school“ (Slee 2018, S. 8). In Deutschland wird Inklusion – in einem ‚engeren‘ Sinne – vor allem auch dahingehend verstanden, dass Schüler:innen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf gemeinsam eine Regelschule besuchen (kritisch diskutiert etwa in Grosche 2015). Hinsichtlich der Umsetzung von Inklusion im schulischen Bereich gibt es teils Unterschiede zwischen den Bundesländern; so setzen einige Bundesländer sehr deutlich auf Inklusion in der Regelschule, während in anderen Bundesländern der Regelbeschulung kein Vorrang gegenüber der separaten Beschulung von Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Förderschulen eingeräumt wird (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018).

Bei der Umsetzung von Inklusion kommen Förderschulpädagog:innen zum Einsatz (vgl. Arndt 2018). Gemeint sind Förderschullehrer:innen, Förderschulpädagog:innen, Lehrkräfte für (Heil- und) Sonderpädagogik, Sonderpädagog:innen, Sonderschullehrer:innen, etc. Im vorliegenden Beitrag wird der Begriff Förderschulpädagog:in kohärent für alle Personen verwendet, die eine sonder- bzw. förderschulpädagogische (Aus‑)Bildung aufweisen und im Kontext schulischer Inklusion arbeiten. Auch sind bspw. Schulbegleiter:innen (Teilhabeassistenzen, Integrationshelfer, o. ä.; Meyer et al. 2018) an der Umsetzung von Inklusion beteiligt. Entsprechend lässt sich feststellen, dass für die Umsetzung von Inklusion Personen mit unterschiedlichen Qualifikationen, beruflichen Hintergründen bzw. Erfahrungen und institutionellen Anbindungen an Regelschulen eingesetzt werden.

Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass vormals an Regelschulen hauptsächlich Regelschullehrkräfte tätig waren, an Sonder‑/Förderschulen vor allem Sonder- bzw. Förderschullehrkräfte und sozialpädagogisches sowie weiteres pädagogisch tätiges Personal fand sich speziell in außerschulischen Kontexten. Dies ändert sich zunehmend: Die Einführung der Ganztagsschule und die Umsetzung der Inklusion führen u. a. dazu, dass diese unterschiedlichen Personen in ihrer pädagogischen Arbeit im Kontext der ‚inklusiven Ganztagsschule‘ (Demmer und Hopmann 2020; Kielblock et al. 2017) zusammentreffen. In der Forschung wird betont, dass Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Kontext der Regelschule besonders dann unterstützt und gefördert werden können, wenn die unterschiedlichen beteiligten ‚Professionen‘ gut zusammenarbeiten (Meyer et al. 2018; te Poel 2019; Widmer-Wolf 2016). Ähnlich wird im Ganztagsschuldiskurs betont, dass multiprofessionelle Teams durch gute Zusammenarbeit bestmöglich die Schüler:innen individuell unterstützen können und sinnvolle Bezüge zwischen dem Unterricht und den außerunterrichtlichen Angeboten herstellen können (Böhm-Kasper et al. 2017; Speck 2020). Dies wird als multiprofessionelle Kooperation bezeichnet. In einem allgemeinen Verständnis wird darunter eine Spezialform des professionellen Handelns aufgefasst, bei dem arbeitsteilig soziale Dienstleistungen erbracht werden (Bauer 2018). Spezifischer meint multiprofessionelle Kooperation, dass unterschiedliche Berufsgruppen, die einen gewissen Grad an Spezialisierung aufweisen, dergestalt zusammenarbeiten, dass sie ihre Handlungsvollzüge koordinieren und sich fachlich austauschen (Olk et al. 2011, S. 185 f.).

Entsprechend der bisherigen Ausführungen spielt die Zusammenarbeit unterschiedlicher pädagogisch tätiger Personen besonders an inklusiv arbeitenden Ganztagsschulen eine große Rolle, da hier Personen mit verschiedenen schulpädagogischen, sozialpädagogischen und sonderpädagogischen Hintergründen mit den Schüler:innen (die inklusiv beschult werden) im Unterricht und im Ganztagsbetrieb arbeiten. Dezidierte empirische Forschung zur Frage, wie multiprofessionelle Kooperation an inklusiven Ganztagsschulen gestaltet ist, findet sich kaum, wie Demmer und Hopmann (2020) in ihrem Literaturüberblick herausarbeiten. Der vorliegende Beitrag soll diese Forschungslücke aufgreifen, indem multiprofessionelle Kooperationsbeziehungen von Förderschulpädagog:innen an einem exemplarischen Ganztagsgrundschulstandort analysiert werden.

2 Forschungsstand und Fragestellung

2.1 Theoretische Einbettung

Theoretisch ist die vorliegende Studie eingebettet in das Qualitätstableau zur Gestaltung von Ganztagsschulen (Holtappels 2009). Entsprechend des Modells wird davon ausgegangen, dass Schule mit anderen Einrichtungen zur Bereitstellung verschiedener pädagogischer Angebote kooperiert (sog. (inter-)institutionelle Kooperation) und dass im Rahmen der pädagogischen Arbeit die verschiedenen pädagogisch tätigen Personen kooperieren und durch ihr Zusammenwirken Lernarrangements und -settings mit möglichst hoher Qualität für die Schüler:innen bereitstellen. In hochwertigen Settings nehmen – gemäß des Modells von Holtappels (2009) – die Lernprozesse und Entwicklungen der Schüler:innen einen günstigen Verlauf, was meint, dass die Schüler:innen schulerfolgsrelevante Lernhaltungen und -strategien aufbauen, dass sie fachliche Kompetenzen erwerben und in den Bereichen psychosozialer Dispositionen sowie Sozialkompetenzen gestärkt werden.

Im genannten Modell ist die multiprofessionelle Kooperation ein Gestaltungsmerkmal pädagogischer Arbeit und entsprechend eng mit der Ausgestaltung der Lernsettings verknüpft. Multiprofessionelle Kooperation kann insofern die pädagogische Arbeit unterstützen, als dass die Expertisen der unterschiedlichen pädagogisch Tätigen eine breitere, vielschichtigere Perspektive auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler:innen ermöglichen (Arndt und Werning 2016). Zudem können Unterricht und Angebote verzahnt werden, was zu einer verbesserten Koordinierung der Umsetzung von Fördermaßnahmen führt (Haenisch 2009), und zudem können in (multi-)professionellen Lerngemeinschaften pädagogische Handlungskompetenzen entwickelt werden (Lave und Wenger 1991).

Um die Facetten der multiprofessionellen Kooperation abzubilden, wird das Modell der Einflussfaktoren kooperativer Interaktion (Böttcher et al. 2014) zugrunde gelegt. Dieses Modell unterscheidet Rahmenbedingungen und die konkrete Ausgestaltung der multiprofessionellen Kooperation. Zu beiden Aspekten wird im Folgenden der empirische Forschungsstand – fokussiert auf den schulischen Bereich in Deutschland – präsentiert.

2.2 Rahmenbedingungen der multiprofessionellen Kooperation

In Übersichtsarbeiten werden vielfältige ‚Gelingensbedingungen‘ hinsichtlich der Rahmenbedingungen der multiprofessionellen Kooperation genannt – wie etwa Räume und Zeiten für Kooperation, die Einbindung des Personals in Konferenzen und in die Gestaltung des Unterrichts sowie auch gemeinsame Weiterbildungsmöglichkeiten und festgelegte Kooperationsziele (vgl. bspw. Schüpbach et al. 2012). Die einschlägigen Reviews der empirischen Studien zum Thema (Hochfeld und Rothland 2022; Kielblock und Rinck 2021) legen nahe, dass der Faktor ‚Zeit‘ eine besondere Rolle zu spielen scheint. Im Rahmen der Ganztagsschule zeigt sich, dass es Zeitslots für Kooperation und entsprechende Arbeitsverträge, die Zeit für Kooperation mit beinhalten, braucht (Beher et al. 2007; Fussangel 2013; Meyer 2020; Steiner 2010; Tillmann und Rollett 2014). Auch im Kontext von Inklusion findet sich eine vergleichbare Befundlage: Schulbegleiter:innen bspw. werden teils nicht zu wichtigen Besprechungen und Konferenzen eingeladen, was die Kooperation erschwert, da ihnen keine Zeiten für Kooperation zur Verfügung gestellt werden (Meyer et al. 2018). Ähnliches wird auch bzgl. inner- und außerschulischer Akteure berichtet, die Schüler:innen mit schweren und mehrfachen Behinderungen betreuen (Janz 2007): Es fehlt an geregelten Besprechungszeiten (Neumann 2019; te Poel 2019; Volk et al. 2018) sowie einer Vergütung für die Kooperationszeit (Neumann 2020). Gleichwohl es verschiedene relevante Rahmenbedingungen gibt, so scheint – gemäß des Forschungsstands – Zeit für multiprofessionelle Kooperation eine in besonderer Weise wichtige Rahmenbedingung zu sein.

2.3 Ausgestaltung der multiprofessionellen Kooperation

Hinsichtlich der Art und Weise, wie kooperiert wird, wird gängiger Weise – orientiert an Forschungen zur Lehrkräftekooperation – zwischen wechselseitiger Information, Arbeitsteilung und Kokonstruktion unterschieden (Gräsel et al. 2006). An Ganztagsschulen findet sich vordergründig der Informationsaustausch, wie Studien belegen (Böhm-Kasper et al. 2013; Dizinger et al. 2011; Niehoff et al. 2019, 2014; Tillmann und Rollett 2018). Die Intensität der Kooperation scheint aber davon abzuhängen, inwiefern die pädagogisch Tätigen strukturell eingebunden sind (Tillmann und Rollett 2011). Thematisch dreht sich die Kooperation vor allem um einzelne Schüler:innen – Kooperation hinsichtlich der Gestaltung von Lernsettings oder -inhalten ist eher selten (Gröhlich et al. 2015; Tillmann und Rollett 2018). Im Kontext von Inklusion finden sich enge Kooperationen – bspw. zwischen unterschiedlichen Professionen bei Schüler:innen mit schweren und mehrfachen Behinderungen (Janz 2007) – sowie auch häufige Kooperationen, wobei es aber auch hier hauptsächlich um den Austausch von Informationen geht (Meyer 2017).

Die Rollen, Zuständigkeiten und Positionierungen der einzelnen Beteiligten ist ebenfalls Gegenstand verschiedener Studien. Diesbezüglich zeigt sich im Ganztagsschuldiskurs, dass sich Zuständigkeiten vermischen (Fabel-Lamla et al. 2019; Kunze 2015; Silkenbeumer et al. 2018) und dass sich Hierarchien – insbesondere zugunsten der Lehrkräfte – finden (Buchna et al. 2016; Bührmann und Büker 2015; Olk et al. 2011; Spies und Wolter 2018). Die unterschiedlichen Professionen bleiben in ihrer alltäglichen Arbeit weitgehend unter sich (Böttcher et al. 2011; Steiner 2018; Tillmann und Rollett 2018), was u. a. mit der Wahrung der professionellen Autonomie in Zusammenhang gebracht worden ist (Breuer 2011; Breuer und Reh 2010; Bührmann und Büker 2015). Im Inklusionsdiskurs zeigt sich häufig folgende Konstellation: Während die Regelschullehrkraft für den Unterricht zuständig ist, ist die Förderschulpädagog:in für ein bestimmtes Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf zuständig (Blasse et al. 2019; Köpfer 2018). Die Vorstellungen hinsichtlich der Rollen variieren aber durchaus (Arndt 2018; te Poel 2019), insbesondere, wenn auch (Schul‑)Sozialarbeiter:innen sich mit für Inklusion zuständig fühlen (Fabel-Lamla und Haude 2016; Kunze und Silkenbeumer 2018; Silkenbeumer et al. 2018).

2.4 Fragestellungen

Vielen der zuvor referierten Studien liegen offene oder schriftlich-standardisierte Befragungen zugrunde, bei denen die befragten Personen zu der multiprofessionellen Kooperation zu Wort kamen. Hierbei wurden die Kooperationskonstellationen vor Ort aber nicht erfasst und es konnte daher nicht differenziert betrachtet werden, auf welche Konstellation(en) sich bestimmte Aussagen nun genau beziehen. Einige andere Studien mit ethnografischem Zugang bieten Facetten der Praktiken in ausgewählten Kooperationskonstellationen – hier kommt aber das Gesamtnetzwerk aller Kooperierenden am jeweiligen Standort nicht umfassend in den Blick. Teils wurde daher betont, dass bei der empirischen Erforschung der multiprofessionellen Kooperation „strukturale[n] Analyseperspektiven auf soziale Beziehungskonstellationen […] [und] gleichzeitig der Binnensicht von interviewten Akteur:innen“ (Fabel-Lamla und Haude 2016, S. 95, Hervorhebung hinzugefügt; ähnlich auch Kielblock 2022) in künftigen Forschungen ein stärkeres Gewicht gegeben werden müssen. Speziell mit Blick auf die Rolle von Förderschulpädagog:innen in inklusiven Settings stellt Köpfer (2018) fest, „dass die Rolle von Sonderpädagog:innen nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern [dass] sie innerhalb ihrer als sonderpädagogisch klassifizierten Tätigkeit in Kooperation bzw. in Aushandlung mit der Regellehrperson konstruiert wird“ (Köpfer 2018, S. 406). Auffällig ist weiterhin, dass Studien entweder dem Diskurs zur Ganztagsschule oder dem Diskurs zu Inklusion entstammen. Empirische Studien, die beide Perspektiven verbinden, scheint es keine zu geben; entsprechend betonen Demmer und Hopmann (2020) die Notwendigkeit, „zukünftig auch den Anschluss an die Inklusionsdiskurse herzustellen, die bislang kein originärer Teil der Diskussionen um Ganztagsbildung waren bzw. sind“ (S. 1474).

In der vorliegenden explorativen Studie sollen daher zwei explorative Fragestellungen bearbeitet werden, die die triangulierende Analyse des Gesamtnetzwerks an einem Schulstandort und der individuellen Perspektiven der beteiligten pädagogisch Tätigen nötig macht. Wie aufgezeigt, kommt den Förderschulpädagog:innen an inklusiven Ganztagsschulen eine wichtige Rolle zu. Mit folgenden zwei Fragestellungen wird dem nachgegangen:

  1. 1.

    Wie sind Förderschulpädagog:innen im Kooperationsnetzwerk an einem Ganztagsgrundschulstandort eingebunden?

  2. 2.

    Wie sieht die Einbindung und Arbeit der Förderschulpädagog:innen im Kooperationsnetzwerk aus Sicht der verschiedenen Beteiligten aus?

Mit Blick auf die theoretische Rahmung sowie den empirischen Forschungsstand zielt Frage 1 eher auf Facetten der Rahmenbedingungen und der Organisation der Kooperation, während Frage 2 eher auf die konkrete Ausgestaltung und Umsetzung der Kooperation zielt.

3 Methode

Die vorliegende Auswertung basiert auf Daten des Projekts StEG-Kooperation (2016–2019; gefördert vom BMBF).

3.1 Untersuchungsdesign

Die Fragestellung bezieht sich auf die Position der Förderschulpädagog:innen im Netzwerk aus kooperierenden Individuen an einer Ganztagsschule. Entsprechend ist es nötig, das Kooperationsnetzwerk an einem ausgewählten Ganztagsschulstandort vollständig abzubilden, um die einzelnen Förderschulpädagog:innen im Gesamtnetzwerk lokalisieren zu können. Kooperationsnetzwerke bestehen aus einem Geflecht einzelner Kooperationsbeziehungen von Individuen, die mit der sozialen Netzwerkanalyse dargestellt und analysiert werden können (Mejeh und Hascher 2021). Die Netzwerkanalyse basiert auf Daten, die von den einzelnen Individuen des Netzwerks erhoben werden, indem sie angeben, wie sich um sie selbst (‚Ego‘) herum das persönliche Netzwerk aufspannt (Jansen 2003). Diese Daten werden erhoben mit sog. Netzwerkkarten, bei denen das ‚Ego‘ in der Mitte steht und bei denen es vorgegebene Elemente der Visualisierung gibt, mit denen das Individuum die eigenen Kooperationsbeziehungen darstellen soll (Hollstein und Pfeffer 2010). Die Daten von allen Individuen zusammengenommen bieten dann das Potenzial für eine vertiefende Analyse des Gesamtnetzwerks (Mejeh und Hascher 2021; Straus 2013). Die Lokalisierung im Kooperationsnetzwerk sagt aber eher wenig über die Einbindung und Arbeit der Kooperierenden aus. Die individuelle Sichtweise der Förderschulpädagog:innen sowie der anderen Kooperierenden wird daher hinzugezogen, um die Kooperationspraxis herausarbeiten zu können. Im Untersuchungsdesign wurde entsprechend das Ausfüllen der Netzwerkkarten flankiert mit leitfadengestützten Interviews (Witzel und Reiter 2012).

3.2 Auswahl des Fallstudienstandorts

Mit Blick auf die Fragestellung sollte der Fallstudienstandort eine inklusiv arbeitende Ganztagsschule im Primarbereich sein. Das heißt: Neben dem schulisch-unterrichtlichen Teil sollte es einen schulischen Ganztagsbetrieb geben, möglichst auch kooperierende, außerschulische Institutionen sowie auch sonderpädagogische Förderung vor Ort. Der Schulstandort wurde gemäß diesen Kriterien gemeinsam mit der zuständigen Schulverwaltung sowie im Einvernehmen mit der Schule (Bestätigung durch die Leitung sowie die Schulkonferenz) ausgewählt. Die Ganztagsgrundschule ist im urbanen Raum einer kreisfreien Stadt lokalisiert. Arbeitslosenquote, -dichte, SGB II-Anteil, Staatsangehörigkeit, usw. (als Indikatoren der sozialen Lage des Schulstandorts) liegen im betrachteten Stadtteil – im Vergleich zu den anderen Stadtteilen der Stadt – etwa im Mittelfeld. Die Ganztagsgrundschule hat zwischen 150 und 200 Schüler:innen. Je nach Jahrgangsstärke ist sie zwei- oder dreizügig. Ihrem Konzept gemäß handelt es sich um eine inklusiv arbeitende Ganztagsschule im Primarbereich. Neben dem Unterricht gibt es einen schulischen Ganztagsbetrieb, der Mittagessen und Angebote bis 14:30 Uhr umfasst. In Kooperation mit zwei Horten wird eine Betreuung bis 17:00 Uhr sichergestellt. Die Horte liegen in unmittelbarer Nähe zum Schulgebäude. Der Ganztagsbetrieb ist offen organisiert – Unterricht findet vormittags statt und der Ganztagsbetrieb findet im Anschluss für jene Schüler:innen statt, die angemeldet sind. Ein sonderpädagogisches Beratungs- und Förderzentrum (im Folgenden ‚BFZ‘ abgekürzt) ist ebenfalls ein Kooperationspartner der Schule, das eine wichtige Rolle bei der Umsetzung von Inklusion spielt.

3.3 Datenerhebung und -aufbereitung

Am ausgewählten Ganztagsgrundschulstandort wurde versucht, all jene zu befragen, die pädagogisch mit den Kindern arbeiten. Sofern das Einverständnis dieser Personen vorlag, wurden im Frühjahr 2018 leitfadengestützte Interviews (Witzel und Reiter 2012) durchgeführt. Schwerpunkte waren das Verständnis von multiprofessioneller Kooperation, die Kooperation im Arbeitsalltag und Medien der Kommunikation. Im Laufe des Gesprächs wurde zudem den Interviewten je eine ausgedruckte ‚Zielscheibe‘ vorgelegt, deren Zentrum die interviewte Person (‚Ego‘) symbolisierte. Personen, mit der die interviewte Person enger im pädagogischen Alltag kooperiert, sollten näher am Zentrum, und Personen, mit der die interviewte Person weniger intensiv kooperiert, sollten eher in den Außenbereichen der Zielscheibe eingetragen werden. Bei dieser Aktivität wurden die Interviewten ermuntert, laut zu denken (Willis 2005) und es wurden seitens der Interviewer:in Nachfragen zu den einzelnen Kooperationsverbindungen hinsichtlich der Ausgestaltung der Kooperation gestellt. Von 28 Personen (Ausschöpfung: 68 %) liegen entsprechende Daten vor.

Die Audiomitschnitte der Interviews wurden transkribiert und alle Daten wurden vollständig pseudonymisiert – d. h. alle im vorliegenden Beitrag verwendeten Namen sind Pseudonyme. Die Daten wurden für die Netzwerkanalyse aufbereitet (vgl. Kielblock 2022 für weitere Details). Anhand der Audiomitschnitte des ‚laut-Denkens‘ wurden die schriftlichen Einträge auf der Zielscheibe zunächst verifiziert. Im Anschluss wurden die Daten für die Netzwerkanalyse anhand der Einträge auf den Zielscheiben generiert: Die Kanten (= Kooperationsverbindungen) wurden gerichtet modelliert und die Ringe der Zielscheibe wurden als Gewicht (1,0 = innerer Kreis; 0,6 = mittlerer Kreis; 0,3 = äußerer Bereich) der Kooperationsbeziehungen angenommen. Das Netzwerk soll konkrete, miteinander kooperierende Personen repräsentieren: Entsprechend wurden ausschließlich die Kooperationen mit konkreten Personen modelliert; unspezifische Nennungen („die Lehrkräfte“, „das BFZ“, o. ä.) wurden nicht in die Netzwerkanalyse einbezogen.

3.4 Analysemethode

Die Analyse des gesamten Kooperationsnetzwerks am vorliegenden Ganztagsgrundschulstandorts erfolgte in Gephi (v0.9.2). Für die Visualisierung wurde der Layout-Algorithmus Force-Atlas 2 verwendet, wobei der Eingangsgrad die Knotengröße und das Gewicht die Kantendicke bestimmte. Die Modularität des Netzwerks wurde mit der Louvain Methode (Resolution: 1,0) berechnet und das Ergebnis wurde genutzt, um spezifische Gruppen im Netzwerk einzugrenzen (vgl. gestrichelte Linien in Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Verortung der Förderschulpädagog:innen im Gesamtnetzwerk. (Punkte entsprechen Personen; Pfeile entsprechen Kooperationsverbindungen – dicke Pfeile deuten enge Kooperationen an und dünne Pfeile eher schwache Kooperationen; gestrichelte Linien kennzeichnen Gruppen bzw. Teilnetzwerke von Personen; die Abbildung des Netzwerks ist in anderer Form zuerst publiziert in Kielblock (2022).)

Die Auswertung erfolgte schrittweise im Modus der Fallstudienanalyse (Stake 1995): Zunächst wurde die jeweilige Position im Gesamtnetzwerk und die Kooperationsverbindungen der Förderschulpädagog:innen im visualisierten Kooperationsnetzwerk des Fallstudienstandorts analysiert und interpretiert. Die Personennummern im Text (dargestellt als „(#_)“) entsprechen dabei stets den Individuen in Abb. 1, sodass ihre jeweilige Position im Netzwerk nachvollzogen werden kann.

Die Interviews der beteiligten Förderschulpädagog:innen (Frau Schubert #9; ‚41–50 Jahre‘ und Frau Werner #10; ‚51–60 Jahre‘) wurden vertiefend ausgewertet. Um die Position und Arbeit der Förderschulpädagog:innen – in der Wahrnehmung der am Netzwerk beteiligten Individuen – weiter zu vertiefen, wurden zudem die Interviews, in denen die Förderschulpädagog:innen bzw. das BFZ erwähnt wurden, herangezogen. Dies waren Lehrerinnen, die eine Förderschulpädagog:in als Kooperationspartner:in nennen (#6 Frau Lindemann ‚über 60 Jahre‘; #21 Frau Kaiser ‚31–40 Jahre‘), Lehrerinnen, die das BFZ allgemein nennen, aber keine konkreten Namen (#3 Frau Fuchs ‚41–50 Jahre‘; #18 Frau Friedrich ‚bis 30 Jahre‘; #20 Frau Hofmann ‚41–50 Jahre‘; #22 Frau Krause ‚51–60 Jahre‘) und pädagogische Mitarbeiter:innen aus dem Ganztag, die das BFZ erwähnen (#13 Frau Huber ‚bis 30 Jahre‘; #15 Frau Sahini ‚bis 30 Jahre‘; #16 Frau Schulze ‚41–50 Jahre‘).

Als Auswertungsstrategie diente die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse (Kuckartz 2012). Aufgrund der Datenlage ergeben sich zwei Möglichkeiten der Triangulation (Flick 2011), die im Rahmen der Analyse ausgeschöpft werden: Erstens die Position im Kooperationsnetzwerk und die Aussagen der Förderschulpädagoginnen zur eigenen Position; und zweitens die Aussagen der Förderschulpädagoginnen zu ihrer eigenen Arbeit und die Aussagen ihrer Kooperationspartner:innen zur Wahrnehmung der Arbeit der Förderschulpädagoginnen. Im Ergebnisteil werden Zitate aus den original Interviewtranskripten herangezogen (in Anführungszeichen und kursiv; auf Zeilen- und Detailangaben zu jedem Zitat wird zugunsten besserer Lesbarkeit verzichtet).

3.5 Zugrundeliegendes Netzwerk

Das Netzwerk des ausgewählten Ganztagsgrundschulstandorts umfasst 41 Knoten (= Individuen). Drei Viertel der Individuen sind weiblich. Knapp die Hälfte ordnen sich der Grundschule zu, gut ein Drittel sind den beiden Horten zuzuordnen, 15 % geben an, zum ‚Ganztag‘ zu gehören und fünf Prozent sind dem BFZ zuzuordnen. Das Netzwerk zählt 116 Kanten (= Kooperationsverbindungen). Die meisten (zwei Drittel) der Verbindungen sind ‚stark‘ (sprich: dicht am ‚Ego‘ eingezeichnet), ein Viertel sind ‚mittel‘ und weniger als zehn Prozent sind ‚schwach‘. Die grafische Repräsentation des Netzwerks (vgl. Abb. 1) verdeutlicht, dass das Gesamtnetzwerk aus drei Strukturen besteht: Die zwei kleinen Teilnetzwerke (rechts in Abb. 1) repräsentieren trennscharf die beiden Horte, innerhalb derer intern eng kooperiert wird, aber kaum übergreifend. Die große Struktur umfasst die Grundschule, den schulischen Ganztag sowie die Mitarbeiter:innen des BFZ. Eine vertiefende Modularitätsanalyse zeigt, dass die große Struktur – obwohl sie visuell recht kompakt wirkt – selbst noch einmal in zwei Unterstrukturen aufgegliedert werden kann: Einerseits findet sich eine Gruppe, die ausschließlich aus Lehrkräften der Grundschule besteht (ganz links in Abb. 1). Und andererseits eine andere Gruppe, die Personen aus der Grundschule, dem Ganztag und dem BFZ umfasst (mittig in Abb. 1). Weitere Details zum Gesamtnetzwerk finden sich in Kielblock (2022). Im nachfolgenden Ergebnisteil finden sich die Ergebnisse der neuen, vertiefenden Analysen.

4 Ergebnisse

4.1 Verortung der Förderschulpädagoginnen im Netzwerk

An welchen Positionen im gesamten Kooperationsnetzwerk sich die Förderschulpädagog:innen befinden, lässt sich anhand des Kooperationsnetzwerks des Ganztagsschulstandorts (Abb. 1) analysieren. Beide Förderschulpädagoginnen – Frau Schubert (#9) und Frau Werner (#10) – befinden sich am Rande der Gruppe, in der Personen aus der Grundschule, dem Ganztag und dem BFZ gemeinsam sind. Beide sind an der Schnittstelle zu der Gruppe lokalisiert, die ausschließlich aus Lehrkräften (#1 bis #8) besteht. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass lediglich Frau Schubert (#9) zwei Verbindungen zu dieser Gruppe hat – Frau Werner (#10) jedoch nicht. Eine Verbindung der beiden Förderschulpädagog:innen zu Personen, die dem Ganztag zuzuordnen sind (#11 bis #16), besteht nur mit einer schwachen Verbindung zwischen Frau Schubert (#9) und Frau Huber (#13). Eine direkte Verbindung zu Mitarbeiter:innen aus den Horten besteht nicht.

Frau Schubert (#9) gibt enge Kooperationsverbindungen mit den Lehrerinnen Frau Lindemann (#6) und Frau Beck (#2) an. Nach eigenen Angaben kooperiert sie zudem mit der Ganztagskoordination Frau Huber (#13) und der Schulleitung Frau Wiedemann (#26) – auch wenn diese Verbindungen eher schwach ausgeprägt sind. Frau Schubert (#9) wird von Frau Lindemann (#6) und einer weiteren Klassenlehrerin Frau Kaiser (#21) als Kooperationspartnerin genannt. Auch die BFZ-Kollegin Frau Werner (#10) nennt Frau Schubert (#9) als Kooperationspartnerin und auch Frau Wiedemann (#26) die Schulleitung. Beide Verbindungen sind aber eher schwach. Frau Werner (#10) nennt den Klassenlehrer Herrn Lange als engen Kooperationspartner.

4.2 Vernetzung

Die Analyse des Kooperationsnetzwerks ergab, dass die beiden Förderschulpädagog:innen am Rande eines Teilnetzwerks verortet sind und starke Verbindungen vordergründig mit den Lehrkräften haben, die Klassenlehrer:in in einer Klasse sind, in der auch ein Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist. Die Sicht der unterschiedlichen Beteiligten auf die Förderschulpädagoginnen und/oder das BFZ bestätigt dies: Eine Lehrerin sagt beispielsweise, dass sie mit dem BFZ kooperiert, „weil ich ein Kind in der Klasse habe, das inklusiv beschult wird“ (#6). Insbesondere auch diejenigen, die ein Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder in sog. ‚vorbeugenden Maßnahmen‘ in der Klasse haben, gaben im Interview detailliert Auskunft über die Zusammenarbeit mit den Förderschulpädagog:innen. Die Aussagen zur Zusammenarbeit waren hier grundsätzlich positiv. Die Kooperation „läuft eigentlich auch ganz gut“ (#21) wird beispielsweise gesagt. Eine andere Lehrerin drückt es so aus: „Das ist für mich wirklich eine wahre Kooperation“ (#18).

Das Kooperationsnetzwerk zeigte zudem, dass die Förderschulpädagog:innen zum Ganztag inkl. der beiden Horte praktisch keine Verbindung haben. Dieser Befund wurde auch durch die Interviews mit allen Beteiligten gestützt: Personen, die weniger direkten Arbeitskontakt mit den Förderpädagog:innen hatten, konnten auch wenig konkrete Aussagen treffen. Hierunter waren auch Personen aus dem Ganztag, die praktisch nichts Konkretes zur Arbeit der Förderschulpädagog:innen zu berichten hatten. Eine pädagogische Mitarbeiterin sagt bspw. lediglich, dass „die im gleichen Haus sind“ (#16). Im Interview mit Frau Schubert (#9) wurde deutlich, dass versucht wurde, die Arbeit des BFZs den beiden Horten vorzustellen – hieraus ist aber keine weitere Kooperation hervorgegangen. Sie (#9) berichtet zudem, dass es keine zeitliche Überschneidung gibt und dass unklar ist, wer für welches Kind im Ganztag eigentlich zuständig ist, sodass unklar ist, wen man prinzipiell ansprechen müsste, um sich zu bestimmten Schüler:innen abzustimmen.

Aus den Interviews mit den Förderschulpädagoginnen (#9; #10) wurde zudem deutlich, dass beide mit der Schulleitung der Regelschule im zwei-/dreiwöchigen Austausch stehen. Hier werden Informationen über die inklusiv beschulten Kinder sowie über die vorbeugenden Maßnahmen ausgetauscht.

4.3 Ansprechbarkeit

Die Sicht der unterschiedlichen Beteiligten auf die Förderschulpädagoginnen und/oder das BFZ belegt, dass die Förderschulpädagog:innen als immer ansprechbar (vor Ort und auch per Mail) wahrgenommen werden. Dies drückt sich beispielsweise darin aus, dass eine Lehrerin sagt, dass Frau Schubert (#9) stets ansprechbar ist und wenn „was ganz Dringliches [ist], dann kann man ihr eine Mail schreiben“ (#21). Eine andere Lehrerin sagt, dass die Kolleg:innen vom BFZ „täglich da und ansprechbar“ sind und, dass man „auch sagen [kann]: Wann hast du Zeit? Kann ich mit dir sprechen?“ (#3). Die Interviews mit den Förderschulpädagoginnen bestätigen dies. Insbesondere Frau Schubert stellt den guten und intensiven Kontakt zu den Lehrkräften heraus, indem sie beispielsweise betont, was „wirklich ganz gut klappt, ist der persönliche Kontakt zum Kollegium“ (#9). Sie berichtet, dass sie (#9) an vier Tagen in der ersten Pause im ‚Lehrerzimmer‘ sitzt, um dort potenziell für alle Lehrkräfte ansprechbar zu sein.

4.4 Sonderpädagogische Aufgaben

Hinsichtlich der pädagogischen Arbeit mit dem Kind legen die beiden Förderschulpädagoginnen unterschiedliche Schwerpunkte. Zwar arbeitet Frau Schubert auch mit dem Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf und nimmt es auch zur Einzelförderung aus dem Klassenverband heraus, aber sie betont besonders, dass es wichtig ist, dass die Regelschullehrkräfte von ihr so umfassend beraten werden, dass diese auch klarkommen, wenn sie selbst nicht vor Ort ist. In ihren Worten sagt sie, dass ihre Aufgabe auch darin besteht, „die Kollegen [zu] beraten, wie sie in den Stunden, wo ich nicht mit dabei bin, klarkommen“ (#9). Frau Werner hingegen legt eher einen Schwerpunkt auf die Arbeit mit dem Kind, weil sie betont, dass Personen mit sonderpädagogischer Profession Entwicklungsschritte bei Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in besonderer Weise ermöglichen können. Sie sagt unter anderem dazu, „ich investiere so viel Zeit, wie ich habe, in den Schüler, dass der davon profitiert“ (#10). Frau Werner betont, dass insbesondere die sog. ‚Lernzeit‘ gut für die Förderung genutzt werden kann, in der alle „Mathe, Deutsch, oder vielleicht auch Sachunterricht [üben], um eben noch mal Stoff zu vertiefen. […] Und in der Zeit lerne oder übe ich halt mit dem Schüler mit Förderbedarf auch in bestimmten Fächern, in Deutsch oder in Mathe“.

Hinsichtlich der halbjährlich zu erstellenden/fortzuschreibenden Förderpläne stellt Frau Schubert (#9) heraus, dass dies die Aufgabe der Lehrkräfte der Regelschule ist und dass ihre eigene Aufgabe darin besteht, zu beraten. Die Erwartung der Klassenlehrkräfte sei zwar teilweise, dass sie – als Förderschulpädagogin – dies erledige; die Rollen versucht sie aber nicht zu vermischen. Dass sie in die Rolle hineingedrängt wird, auf Fristen hinzuweisen, findet sie nicht optimal – hier sieht sie eher die Schulleitung in der Verantwortung. Frau Schubert betont: Für „Förderpläne [gibt es] Zeiten und Fristen“ und es gibt „für die Inklusionskinder bestimmte gesetzliche Regelungen mit Nachteilsausgleich“. „Da bin ich immer hinterher und muss das ansprechen und muss die jeweiligen Personen wirklich auch schieben, was mir ganz unangenehm ist, dass ich in so eine Rolle komme“ (#9). Bei Frau Werner (#10) wird dieses Konfliktfeld auch deutlich. Sie scheint sich aber stärker darauf einzulassen, den Förderplan selbst aktiv mitzugestalten.

5 Diskussion

5.1 Interpretation der Ergebnisse

Die erste Frage, wie die Förderschulpädagog:innen im Kooperationsnetzwerk eines Ganztagsgrundschulstandorts eingebunden sind, zielt auf die Rahmenbedingungen der multiprofessionellen Kooperation. Die Ergebnisse zeigen zunächst einmal, dass die Förderschulpädagoginnen am Fallstudienstandort speziell mit Klassenlehrer:innen in einer engeren Kooperationsbeziehung stehen, die ein Kind mit identifiziertem sonderpädagogischen Förderbedarf in der Klasse haben, oder die ein Kind in der Klasse haben, das in sog. vorbeugenden (sonderpädagogischen) Maßnahmen ist. Damit ist verbunden, dass sich die Zeit, welche die beiden Förderschulpädagog:innen für sonderpädagogische Beratung und für Förderung im Unterricht haben, am identifizierten oder vermuteten sonderpädagogischen Förderbedarf bemisst. Dies unterstreicht, dass in der vorliegenden Fallstudie die Zeit für Kooperation zumindest bei den Förderschulpädagoginnen explizit vorgesehen ist, was – laut Forschungsstand – eine wichtige Voraussetzung für Kooperation darstellt.

Geregelte Besprechungszeiten scheinen gemäß des Forschungsstands häufig nicht hinreichend etabliert zu sein (Neumann 2019; te Poel 2019; Volk et al. 2018). Auch an der vorliegenden Fallstudie gibt es keine festen Besprechungszeiten der beiden Förderschulpädagoginnen. Vielmehr scheinen sie in Teilen des Kollegiums als stets in (sonder-)pädagogischen Fragen ansprechbar erlebt zu werden. Eine interessante Ausnahme bildet das regelmäßige Treffen mit der Schulleitung, die nicht die Vorgesetzte der beiden Förderschulpädagog:innen ist. Eine Interpretation könnte sein, dass dies den hohen Stellenwert, den Inklusion am Standort unterstreicht.

Die Fallstudie zeigte zudem, dass eine Kontaktaufnahme seitens der Förderschulpädagog:innen mit den kooperierenden Horten erfolgte. Aus der Forschung ist bekannt, dass Inklusion häufig nicht bis in den Ganztag am Nachmittag hineinreicht. Dies ist u. a. bereits von Lütje-Klose und Urban (2014) formuliert worden, dass „die in der Regel knappen Förderressourcen und Doppelbesetzungen […] fast ausschließlich im Unterricht eingesetzt [werden] und nicht in den Nachmittagsangeboten“ (S. 120). Aus der Fallstudie wird deutlich, warum eine engere Kooperation in diesem Fall nicht etabliert werden konnte: Es fehlte einerseits an zeitlichen Überschneidungen – ein Problem, das wiederum den Forschungsstand hinsichtlich der Bedeutung des Faktors Zeit unterstreicht. Und andererseits wurde von Unklarheiten hinsichtlich der Zuständigkeiten für bestimmte Kinder berichtet. Zuständigkeitsproblematiken im Sinne des Forschungsstands beziehen sich eigentlich auf die Aufgabenverteilung (siehe weiter unten). Zuständigkeit meint hier – und mit Blick auf die Fallstudie – aber offenbar auch, dass es in den Horten keine „Klassenlehrer:in“ in dem Sinne gibt, dass für ein bestimmtes Kind vor allem eine ganz bestimmte Hortmitarbeiter:in zuständig ist. Das Fehlen einer solchen spezifischen Ansprechpartner:in, scheint die Koordinierung derart zu erschweren, dass die Kooperation der Förderschulpädagog:innen mit den kooperierenden Horten – zumindest in der betrachteten Fallstudie – nicht zustande kam. Dies verweist ggf. auf die Notwendigkeit weiterer Forschungen in diesem Bereich, um besser die Dynamiken zu verstehen und um Hemmnisse daraufhin abbauen zu können, damit Inklusion auch im vollen Umfang im Ganztag stattfinden kann.

Die zweite Frage, wie die Arbeit der Förderschulpädagog:innen im Kooperationsnetzwerk konkret aussieht, adressierte die Ausgestaltung der multiprofessionellen Kooperation am analysierten Fallstudienstandort. Ein erster Punkt betrifft die Zuständigkeiten hinsichtlich bestimmter Aufgaben. Unklarheit, wer für was zuständig ist, erweist sich nicht nur im Forschungsstand als ein Hemmnis bzw. eine Herausforderung der multiprofessionellen Kooperationspraxis, sondern auch in der Fallstudie: Ein besonders hervorstechender Punkt ist die Erstellung der Förderpläne für die Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Dies erweist sich als Konfliktfeld, da es hier offenbar differente Sichtweisen gibt, wer die Förderplanung genau übernehmen soll: Die Klassenlehrer:in oder die Förderschulpädagog:in? Angesprochen wurde auch die Sichtweise, dass die Schulleitung sich stärker in der Pflicht sehen sollte, auf bestimmte Abläufe und Prozesse hinsichtlich der Förderplanung zu achten und positiv auf eine reibungslose und fristgerechte Erledigung hinzuwirken. Hierin spiegelt sich die „diffuse All- und zugleich Teilzuständigkeit pädagogischer Berufe“ (Silkenbeumer et al. 2018, S. 153) wider, wie sie auch in anderen Studien gefunden wurde. Gleichzeitig deuten die artikulierten Erwartungen an die Schulleitung an, dass die nötigen Aushandlungen ggf. nicht nur auf Ebene von Dyaden pädagogisch Tätiger stattfinden sollten, sondern dass die Schulleitung explizit mit einbezogen werden sollte.

Hinsichtlich der sonderpädagogischen Arbeit zeigt die hier vorgestellte Analyse, dass sich die beiden Förderschulpädagoginnen unterscheiden. Die eine Förderschulpädagogin (#9) adressiert explizit die jeweilige Lehrkraft als Kooperationspartner:in – sowohl hinsichtlich der Arbeit mit dem Kind (sie berät, sodass die Lehrkraft auch dann mit dem Kind ‚klarkommt‘, wenn sie selbst nicht vor Ort ist) als auch hinsichtlich der Erstellung der Förderpläne (sie berät und distanziert sich möglichst von der Erstellung der Förderpläne). Sie leistet in ihrer kooperativen Arbeit – im ‚Modus der Beratung‘ – mehr und etwas anderes, als „sich wechselseitig über berufliche Inhalte und Gegebenheiten zu informieren und mit Material zu versorgen“ (Gräsel et al. 2006, S. 209; gängiges Verständnis von Austausch). Beratung und die Ansprechbarkeit in (sonder-)pädagogischen Fragen könnte in diesem Sinne als ein Ausdruck von Professionalität und eine Form der Professionalisierung verstanden werden. Die andere Förderschulpädagogin (#10) berichtet, sich vordergründig direkt dem Kind und direkt auch der Erstellung der Förderpläne zu widmen. Sie wendet sich im ‚Modus der Förderung‘ vordergründig dem Kind und den Förderplänen zu. Die Professionalität und Professionalisierung kommt bei ihr stärker in ihrer unmittelbaren Arbeit am Kind zum Ausdruck, während der Austausch mit der Klassenlehrkraft eher der raum-zeitlichen Koordinierung dient.

Beide Modi beschreiben Handlungsweisen und Orientierungen der Förderschulpädagog:innen, die sich in der hier vorgelegten Analyse vergleichsweise klar jeweils bei einer der beiden Förderschulpädagoginnen gezeigt haben. Es ist möglich, dass sich eine Person in bestimmten Situationen in dem einen oder dem anderen Modus befindet, sodass die Ergebnisse hier kein Entweder-Oder suggerieren sollen, sondern vielmehr als eine erste Annäherung an die Einbindung und Arbeit von Förderschulpädagog:innen im Kooperationsnetzwerk eines Ganztagsgrundschulstandorts zu verstehen sind.

5.2 Limitationen

Die vorliegenden Ergebnisse basieren auf der Analyse eines Schulstandorts in einem Bundesland, sodass unklar ist, inwiefern die Ergebnisse auch auf andere Standorte und Bundesländer übertragen werden können. Hinsichtlich der Datenerhebung ist einschränkend zu betonen, dass die Ergebnisse auf Selbstberichten der Beteiligten basieren. Es lässt sich mit der Datenlage nicht prüfen, wie sich die berichteten Konstellationen und die berichtete Kooperationspraxis darstellen würden, wenn man beispielsweise vor Ort die Kooperationsbeziehung (längerfristig) beobachten würde. Es kommt hinzu, dass allgemeine Angaben (bspw. eine Kooperation mit „den Lehrkräften“, oder „dem Hort“) begründet nicht mit ausgewertet wurden. Im Rahmen der Datenerhebung gab es keine Möglichkeit, der genauen Bedeutung dieser allgemeinen Angaben nachzugehen. Ein letzter Punkt betrifft die Netzwerkanalyse als Methode. Den verschiedenen Vorteilen der Netzwerkanalyse (u. a. Aufdecken einer komplexen Kooperationskonstellation; ‚Verortung‘ der einzelnen Person im Netzwerk) ist gegenüberzustellen, dass es sich hier um eine Momentaufnahme handelt, die Dynamiken und Veränderungen der Kooperationskonstellationen über die Zeit nicht abbilden kann. Auch lässt sich aus diesem Abbild nicht ablesen, inwiefern die pädagogische Arbeit in verschiedenen Kooperationskonstellationen geeignet ist, die Schüler:innen ‚tatsächlich‘ bestmöglich zu fördern; dies genauer zu erforschen würde ein deutlich erweitertes Forschungsdesign erfordern.

5.3 Konklusion

Die vorliegende Analyse zeigt, dass sich in der Fallstudie die Kooperationszeit am identifizierten oder am mutmaßlichen sonderpädagogischen Förderbedarf bemisst und dass die Kooperation ausschließlich zwischen Förderschulpädagog:innen und Klassenlehrer:innen als eng zu bezeichnen ist. Weiterhin sind regelmäßige Besprechungen mit der Schulleitung etabliert. Im Ganztagsbetrieb kommt die Beratung bzw. die Förderung – in der analysierten Fallstudie – aber nicht in aller Gänze an. Das Aufgabenspektrum und die Zuständigkeiten der Förderschulpädagog:innen werden teils unterschiedlich wahrgenommen, was zu Irritationen führt. Die beiden analysierten Förderschulpädagoginnen zeigen zudem, wie unterschiedlich sonderpädagogisch gearbeitet werden kann: Einerseits im Modus der Beratung und andererseits im Modus der Förderung.

Zusammengenommen beschreibt die vorliegende Analyse die komplexen Konstellationen und Herausforderungen bei der multiprofessionellen Kooperation im Zusammenhang mit Inklusion und Ganztag im (grund-)schulischen Kontext. Damit wird ein erster empirischer Beitrag geleistet, die Forschungslücke in diesem Bereich zu bearbeiten. Die netzwerkanalytische Vorgehensweise, die Kombination mit – in das Netzwerk ‚eingebetteten‘ – Interviews und die sich dadurch ergebenen Möglichkeiten der Triangulation scheinen vielversprechend. Somit konnten vertiefende Einblicke in Teilnetzwerke und einzelne Kooperationskonstellation gewonnen werden, die über die Bewertung „der“ Kooperation am Standort deutlich hinausgehen. Für weitere Forschungen haben sich im Rahmen der Diskussion einige Anknüpfungspunkte ergeben. Künftige Kooperationsforschung sollte daher Inklusion und Ganztag im schulischen Bereich tiefergehend erschließen.