1 Einleitung

Die Gründung von Bildungsverbünden prosperiert. Bildungsakteur:innen verschiedener Bereiche vernetzen sich, um gemeinsam die Steuerungsstrukturen und damit die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen in ihrer Region zu verbessern. Ein solches Netzwerk zählt als lokale Steuerungsform. Einzelne Institutionen bleiben dabei erhalten, jedoch findet auf Steuerungsebene eine Handlungsabstimmung mit anderen Bildungsakteur:innen des Verbunds statt. Dahinter steckt die Idee, dass lokale Akteur:innen die Bedarfe am besten kennen, sich über Organisationsgrenzen und Zuständigkeitsbereiche hinweg austauschen und auf diese Weise von den jeweiligen Expertisen wechselseitig profitieren (vgl. Schmachtel 2017, S. 179). Um eine solche Zusammenarbeit zu gewährleisten, bedarf es einer funktionierenden Kommunikation zwischen den involvierten Bildungsakteur:innen (vgl. Bleckmann 2011, S. 94) und der Klärung von Beteiligungsstrukturen sowie Verfügungsrechten über die vorhandenen Ressourcen (vgl. Kussau and Brüsemeister 2007, S. 33). Die Ressourcen werden von den Akteur:innen in die Zusammenarbeit eingebracht. Sie sind jeweils unterschiedlich mit finanziellen Mitteln, Personal, politischem Rückhalt etc. ausgestattet. Diese Unterschiede zwischen den Beteiligten sowie die Regelung von Zugriffsrechten bergen großes Konfliktpotenzial (vgl. Ansell et al. 2022; Huxham et al. 2000; Vangen and Huxham 2003). Eine Klärung kann in einem Netzwerk hierarchisch unabhängiger Akteur:innen nicht über Weisung erfolgen, sondern bedarf der kooperativen Verhandlung (vgl. Altrichter and Maag Merki 2016, S. 12). Diese basiert auf den Beziehungen der Beteiligten. Vertrauen spielt dabei eine zentrale Rolle, denn Vertrauen gilt aufgrund der weitgehend freiwilligen und gleichberechtigten Zusammenarbeit in Netzwerken als zentraler Mechanismus der Interaktion, da es hilft Unsicherheit durch fehlende Kontrollmechanismen zu reduzieren (vgl. Wald and Jansen 2007, S. 98).

Dennoch handelt es sich bei Bildungsverbünden nicht um reine, vertrauensbasierte Netzwerke, sondern um eine Hybridstruktur, in der zwar gemeinschaftliche Entscheidungsprozesse angestrebt werden, das Netzwerk als Ganzes jedoch in die hierarchischen Strukturen des staatlichen Bildungssystems eingebettet ist. Damit sind sie eine Sonderform sozialer Netzwerke, die auf „hierarchieentlastende Entscheidungsprozesse“ ausgelegt sind (vgl. Preuß 2012, S. 120).

Die Marginalisierung von Hierarchie als Modus Operandi bedeutet nicht, dass auch Machtpositionen in einem Bildungsnetzwerk außenvor bleiben (können). Vielmehr ist Macht Teil jeder Beziehung und sollte daher stets bei der Untersuchung sozialer (Vertrauens‑)Beziehungen berücksichtigt werden (Cook et al. 2007, S. 40).

Dabei geht es im vorliegenden Beitrag nicht nur um hierarchieimmanente Macht, sondern auch um netzwerkrelevante Ressourcen, die jenseits systembedingter Weisungsbefugnis Machtasymmetrien bedingen.

Verschiedene Untersuchungen haben sich bereits mit der Verschiebung von Machtverhältnissen in Bildungsverbünden durch veränderte Steuerungskonstellationen und Entscheidungsbefugnisse beschäftigt (vgl. Kolleck 2015; Kolleck und Brix 2016; Koranyi 2021). Andere Studien haben das interpersonale sowie organisationale Vertrauen von Akteur:innen in (Bildungs‑)Netzwerken adressiert (vgl. Getha-Taylor 2012; Kappauf and Kolleck 2018b; Lee et al. 2012; Tschannen-Moran 2016), jedoch fehlen bisher Untersuchungen, die sich differenziert mit dem Wechselverhältnis beider Phänomene zueinander befassen und ihre Interdependenz in Netzwerken aufzeigen. Eine solche Analyse ist von besonderer Bedeutung, da es sich bei beiden Phänomenen um essenzielle Koordinationsmechanismen handelt sowie um verbindende Faktoren zwischen den Akteur:innen (vgl. Kolleck and Bormann 2014, p. 11).

Der vorliegende Beitrag leistet mit einer Interdependenzanalyse von Machtverhältnissen und Vertrauensbeziehungen im Bildungsverbund einen Beitrag zum Steuerungsverständnis und zur aktuellen wissenschaftlichen Fachdebatte.

Für ein gemeinsames Verständnis wird zunächst ein theoretischer Rahmen vorgestellt. Hierfür werden grundlegende Theorien und empirische Befunde zum interpersonalen, organisationalen sowie netzwerkspezifischen Vertrauen vorgestellt. Daran anschließend folgt eine Darlegung der Machtdefinitionen und -konzepte, die in diesem Beitrag Anwendung finden. Ein Abschnitt zum aktuellen Forschungsstand rundet das Kapitel ab.

Im Methodenkapitel wird der Bildungsverbund vorgestellt, der für diesen Beitrag untersucht wurde, die Stichprobenauswahl sowie die Interviewaufbereitung und -auswertung nach den Regeln der Grounded Theory erläutert.

Es folgt die Darlegung der generierten Ergebnisse. Es wird aufgezeigt, welche Machtverhältnisse innerhalb der Vertrauensbeziehungen der Akteur:innen des Bildungsverbundes offenbar werden und in welchem Wechselverhältnis Vertrauen und Macht dabei stehen. Diese Ergebnisse werden im Anschluss in theoretische Schemata überführt und vor dem Hintergrund eingangs dargelegter theoretischer Grundlagen und Forschungserkenntnisse diskutiert. Abschließend folgt ein Fazit und die Limitationen der Untersuchung werden aufgezeigt.

2 Theoretischer Rahmen

Um der Frage nach dem Wechselverhältnis von Macht und Vertrauen nachgehen zu können, werden in diesem Kapitel zunächst Theorien, Konzepte und der aktuelle Forschungsstand zu beiden Phänomenen vorgestellt.

2.1 Vertrauen

Interpersonales Vertrauen ist ein Mechanismus zur Reduktion von Unsicherheiten in der sozialen Interaktion. Es bezeichnet den Glauben, dass die eigenen positiven Erwartungen an das Verhalten eines Gegenübers erfüllt werden (vgl. Bormann 2012, S. 813). Es mindert Komplexität, indem es fehlendes Wissen überbrückt und Kontrolle ersetzen kann. Damit reduziert es Transaktionskosten (der Aufwand den es kostet, Wissen anzueignen, Kontrollmechanismen zu schaffen, Kontrolle auszuüben u. v. m.). Vertrauen entwickelt sich mit der Zeit sowie mit damit einhergehenden positiven Erfahrungen (vgl. Kassebaum 2004, S. 12) und beruht auf einer reziproken Beziehung (vgl. Möllering 2013, S. 84). Gleichzeitig wird durch Vertrauen ein Risiko in Kauf genommen, dass das Gegenüber die eigenen Erwartungen enttäuscht (vgl. Luhmann 2009). In Kooperationen fungiert Vertrauen als verbindender Faktor (vgl. Bormann and John 2014, S. 2), der die Beziehungen zwischen den Akteur:innen stärkt (vgl. Gamper 2020, S. 53) und den Transfer von Informationen und Wissen fördert (vgl. Burt 1992; Kolleck und Bormann 2014; Moolenaar und Sleegers 2010). Insbesondere in Netzwerken dienen netzwerkspezifische Heurisiken zur Vertrauensentwicklungen einer unkomplizierten Ausweitung von Vertrauensbeziehungen unter den Akteur:innen. McEvily et al. (2021) leiteten hierzu die netzwerkspezifischen Vertrauensformen des Secondhand Trust und des Prototrust her. Second Hand Trust zeichnet sich durch eine Vertrauensvergabe über eine Mittelsperson aus. Zwei Personen, die einander zwar nicht kennen, aber der gleichen dritten Person vertrauen, vertrauen sehr wahrscheinlich auch einander. Prototrust entwickelt sich insbesondere in assortativen Netzwerken, in denen Akteur:innen mit den gleichen Interessen und/oder Eigenschaften vertreten sind. Durch diese bewusste Ähnlichkeit begegnen sich viele Akteur:innen bereits mit einem Vertrauensvorschuss. Neben den Funktionen von Vertrauen und den eingangs genannten Merkmalen Zeit, Reziprozität und Risiko wird Vertrauen auch über personale Faktoren definiert. Diese verfügen über kognitive, affektive sowie behaviorale Aspekte (vgl. Schweer 1997, S. 3). Da spielt zum einen die Risikobereitschaft einer Person eine Rolle, die je nach Situation und Gegenüber variieren kann (vgl. Mayer et al. 1995) sowie die individuelle Vertrauenstendenz, die ausschlaggebend dafür ist, inwieweit Vertrauensbeziehungen in verschiedenen Settings für eine Person überhaupt infrage kommen. Außerdem die implizite Vertrauenstheorie, in der „normative(n) Erwartungen an das Verhalten anderer Personen im Hinblick auf die Förderung eines positiven Vertrauensverhältnisses zueinander“ sowie „Vorstellungen darüber, wie man sich ‚solchen‘ Personen gegenüber zu verhalten hat“ enthalten sind (vgl. Schweer 1997, S. 6). Neben den personenbezogenen Faktoren spielen auch immer die situativen Faktoren einer Interaktion (Erstkontakt, relative Beziehungsdauer, Grad der Möglichkeit zur offenen Kommunikation, Grad der Freiwilligkeit der Beziehung, (A)Symmetrie der Beziehungsstruktur) für die Vertrauensentwicklung eine Rolle (Schweer 1997, S. 8). Aus Schweers differentieller Vertrauenstheorie lässt sich bereits ableiten, dass Vertrauen nicht universal ist. Jemandem zu vertrauen bedeutet nicht, einer Person in allen Belangen zu vertrauen. Insbesondere im organisationalen Kontext ist Vertrauen zwischen Akteur:innen sehr spezifisch, wie Mayer et al. (1995) mit ihrem integrativen Modell organisationalen Vertrauens darlegen. Sie nehmen in ihrer Theorie nicht nur die vertrauende Person in den Blick, sondern auch die Person, der das Vertrauen entgegengebracht wird. Aus dieser Perspektive ist die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit des Gegenübers von besonderer Bedeutung für die Vertrauensentwicklung, die in die drei Facetten Kompetenz, Integrität und Wohlwollen aufgeteilt wird. Dieses Modell organisationalen Vertrauens ist in wissenschaftlichen Untersuchungen am weitesten verbreitet (McEvily und Tortoriello 2011) und findet auch in diesem Beitrag Anwendung, da es sich für jede Ebene der organisationalen Zusammenarbeit eignet (vgl. Schoorman et al. 2007, S. 345).

2.2 Macht

Bei der Analyse von Machtverhältnissen gilt es zwischen den Machtpositionen von Akteur:innen zu unterscheiden, also ihrem Machtpotenzial, ihrer Machtquelle sowie dem Machtmittel, mit dem sie Macht ausüben könnten, als auch der tatsächlichen Handlung, die Machtausübung. Über Machtpotenzial zu verfügen, bedeutet nicht, diese Macht auch auszuüben. Zur Operationalisierung des Machtbegriffs und der Identifikation von Machtmitteln in Abhängigskeitserzählungen wurde die Machtdefinition von Emerson (vgl. 1962) angewendet. Demnach basiert Macht auf dem Grad der jeweiligen Abhängigkeit der Akteur:innen voneinander. Machtmittel kann entsprechend alles sein, wovon ein Gegenüber bzw. das Netzwerk abhängig ist. Die identifizierten Machtmittel werden im Rahmen der Ergebnisinterpretation Machtquellen zugeordnet, die ihrerseits nach dem Machtkonzept von Kolleck (2013), angelehnt an Fuchs und Lederer (2007) sowie Lukes (2005) in strukturell, relational und diskursiv unterteilt werden. Strukturelle Machtquellen basieren auf einer privilegierten Position innerhalb des Netzwerks, welche sich durch finanzielle Mittel und die Hoheit über deren Vergabe auszeichnet. Außerdem entstehen sie durch Hierarchien, die bspw. von außen in das Netzwerk hineingetragen werden, dort weiter bestehen und deren Machtmittel die Weisung ist (Kappauf und Kolleck 2018a). An relationale Machtmittel gelangen Akteur:innen, wenn sie über viele und/oder einflussreiche, für das Netzwerk nützliche Kontakte verfügen. Diese Machtform entspricht dem Bourdieuschen Sozialkapital, welches von Bourdieu (2012) ebenfalls als Machtmittel bezeichnet wurde. Diskursive Machtquellen bezeichnen die Möglichkeit von Akteur:innen die Wünsche und Ziele der anderen Beteiligten im eigenen Interesse zu beeinflussen. Damit können offene Konflikte vermieden und in vermeintlichem Einvernehmen gehandelt werden. Konieczny (2014, S. 51, 54) beschreibt diese Form der Machterzeugung als zweiteiligen Prozess, bei dem Akteur:innen zum einen die „Möglichkeit zur aktiven Teilnahme […] an einer Debatte“ gegeben sein muss und sie zum anderen von Dritten wahrgenommen und positiv bewertet werden müssen. Die Unterteilung der Machtformen ist eine analytische. In der Realität sind diese Machtformen eng miteinander verschränkt und insbesondere diskursives Machtpotenzial kann durch Reichweite (relationale Macht) oder strukturelle Machtpositionen Nährboden gewinnen (Kappauf und Kolleck 2018a). Individuelle Akteur:innen sind im Kontext des Netzwerks immer auch Repräsentant:innen ihrer Organisationen und als solche nicht unabhängig von dieser zu betrachten.

2.3 Aktueller Forschungsstand

Das Zusammenwirken von Macht und Vertrauen im Bildungsverbund ist wenig untersucht. Es gibt jedoch Erkenntnisse zum Wechselverhältnis außerhalb netzwerkähnlicher Zusammenschlüsse. Hier fokussiert sich die Forschung insbesondere auf strukturelle Machtasymmetrien und das Vertrauen der weniger Machtvollen in die Machtvolleren. Je weniger Akteur:innen von anderen abhängig sind, umso leichter fällt es ihnen sich aus einer Beziehung zu lösen. Am Interesse der Akteur:innen am Erhalt der Beziehung bemisst sich ihre Notwendigkeit vertrauensvoll zu handeln. Das Risiko, das mit einem einfachen Rückzug aus der Beziehung für die weniger Machtvollen einhergeht, schmälert ihre Vertrauensbereitschaft (vgl. Öberg und Svensson 2010; Oskarsson et al. 2009). Das Vertrauen auf beiden Seiten einer asymmetrischen Beziehung ist tendenziell gering, was auf einen wahrgenommenen Interessenkonflikt zwischen den Beteiligten zurückgeführt wird (vgl. Du Plessis et al. 2023, S. 584). Durch das Teilen von Machtmitteln kann die Vertrauensentwicklung zwischen den Akteur:innen jedoch gefördert werden (vgl. Ran und Qi 2019, S. 625), denn zwischen Akteur:innen mit ähnlich viel Macht besteht besonders großes Vertrauen (vgl. Du Plessis et al. 2023, S. 584).

Eine Vielzahl von Fachbeiträgen befasst sich mit der Wirkung diskursiver Macht und schreibt dieser zu, eine sanktionierende Macht zu entfalten (vgl. Truschkat 2017, S. 137), aus der Legitimation entsteht (vgl. Fuchs and Lederer 2007, S. 10). Dies geschieht unter der Bedingung einer positiven Bewertung derer mit Machtpotenzial (vgl. Konieczny 2014, S. 65). Die positive Bewertung basiert auf dem Vertrauen in die Validität der Aussagen sowie in die Fähigkeiten entsprechend handeln zu können. Auf diese Weise generiert Vertrauen diskursives Machtpotenzial. Und umgekehrt wird durch die diskursiv hergestellte Übereinstimmung von Werten, Normen und Wahrnehmungen auch die wechselseitige Wahrnehmung als wohlwollend und integer gefördert (vgl. Ran und Qi 2019, S. 627).

Für die zukünftige Forschung zu Bildungsverbünden bedeutet eine Verknüpfung der beiden untersuchten Phänomene eine ganzheitlichere Betrachtung interpersoneller Beziehungen und struktureller Zusammenhänge. Damit einher geht eine differenziertere Analyse der Beziehungsqualität, welche als bedeutender Faktor für die Handlungskoordination betrachtet werden kann.

2.4 Vorannahmen

Die Auswertungen, die diesem Beitrag zugrunde liegen, basieren auf einer zuvor durchgeführten Analyse zu Vertrauensdimensionen im Bildungsverbund (vgl. Kappauf und Kolleck 2018b). Hierbei wurden fünf Dimensionen interpersonalen Vertrauens identifiziert – Zeit und individuelle Einstellung als allgemeine, grundlegende Dimensionen, Macht und fachlich-organisationale Nähe, als verbundspezifisch sowie Multiplexität als vornehmlich regionalspezifisch. Während die Untersuchung den Erfahrungsraum der Macht innerhalb interpersonaler Vertrauensbeziehungen zunächst nur identifizierte und ertse Hinweise auf ein Wechselverhältnis brachte, hat der vorliegende Beitrag das Ziel dieses Verhältnis genauer zu untersuchen. Aus der vorangegangenen Analyse resultiert die Vorannahme, dass zwischen Vertrauen und Macht ein Wechselverhältnis besteht.

3 Methode

Im Folgenden werden die Auswahl der Stichprobe, die Erhebung sowie die Auswertung dargelegt.

3.1 Stichprobe

Diesem Beitrag liegt die Analyse eines Bildungsverbunds zugrunde, der exemplarisch ist für die vielfach ins Leben gerufenen Zusammenschlüsse von Bildungsakteur:innen aus verschiedenen Teilbereichen des Bildungssystems und der im Rahmen einer Fallanalyse untersucht wird. Der Verbund bezeichnet sich selbst als Initiative verschiedener Stakeholder aus dem Bildungsbereich in einer deutschen Metropolregion und wurde 2013 von der finanzierenden Stiftung ins Leben gerufen. 2015, zum Zeitpunkt der Datenerhebung waren zwei Landesministerien, fünf Kommunen, fünf Hochschulen sowie eine koordinierende Geschäftsstelle an der Verbundsteuerung beteiligt.

Die Handlungsfelder des Verbundes wurden gemeinschaftlich definiert und decken den Bildungsweg junger Menschen von der frühkindlichen Bildung, über Schule bis zur Hochschule ab. Über die Altersstufen hinweg erstreckten sich die Handlungsfelder der Sprachbildung und des Bildungsmonitorings. Ziel ist die nachhaltige Optimierung des regionalen Bildungssystems zur Förderung von Chancengleichheit. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die regionale, kommunen- und hochschulübergreifende Abstimmung der Bildungsgestaltung sowie das Erzielen von Synergieeffekten.

Für die Untersuchung der Forschungsfrage wurde auf leitfadengestützte Expert:inneninterviews mit 21 Akteur:innen des Bildungsverbunds zurückgegriffen. Die Auswahl erfolgte entsprechend dem Selektiven Sampling nach vorab festgelegten Kriterien. Diese dienten dazu sicherzustellen, dass aus jedem Organisationstypus mindestens eine Person interviewt wurde. Die konkreten Personen wurden anhand der Nominationstechnik ausgewählt, Voraussetzung war ihre aktive Einbindung in das Netzwerk in der Annahme, dass dadurch relevante Vertrauensbeziehungen und informelle Machtstrukturen entstanden sein könnten.

Die Interviews dauerten im Schnitt 80 min, wurden in den Arbeitsräumen der Interviewten durchgeführt sowie auditiv aufgezeichnet. Die vollständige Transkription erfolgte nach den Regeln von Dresing und Pehl (2015, S. 20 ff.).

3.2 Erhebung

Erhoben wurden halbstandardisierte Expert:inneninterviews, an denen die Autorin nicht mitwirkte. Der Leitfaden wurde in einem dialogischen Verfahren zwischen den Projektmitgliedern entlang von netzwerktheoretischen Überlegungen sowie Erkenntnissen aus der Vertrauensforschung entwickelt. Neben der Rolle der Befragten im Bildungswesen und den aktuellen Herausforderungen fragt er nach Netzwerkkontakten, Beziehungsqualitäten sowie der Zuschreibung von Einfluss und Beteiligungsmotiven und fokussiert damit die Netzwerkbeschaffenheit des Verbunds. Insbesondere die Vertrauensbeziehungen der Interviewten zu ihren Netzwerkpartner:innen sind für den vorliegenden Beitrag von Bedeutung. Dabei wurden zunächst allgemeine Fragen zur Beziehungsqualität gestellt, bevor im Anschluss die allgemeine Rolle von Vertrauen im Arbeitsalltag, die Rolle des Vertrauens innerhalb des Netzwerks sowie netzwerkinterne, interpersonale Vertrauensbeziehungen thematisiert wurden. Als zusätzlichen Erzählstimulus zeichneten die Interviewten ihre Verbundkontakte in ego-zentrierte Netzwerkkarten ein. Je näher die Kontakte zum Ego im Zentrum der Karte eingetragen wurden, umso wichtiger wurden sie von den Interviewten wahrgenommen. Das Ausfüllen der Netzwerkkarte wurde von Erzählungen zu den jeweiligen Kontakten begleitet. Die Ausführungen zum Themenkomplex des Vertrauens sowie zu den Netzwerkkarten bilden den zentralen Datenkern für die Auswertungen, da sie von einer hohen Erzähldichte mit Bezug zur Fragestellung geprägt sind. Aussagen der Interviewten wurden aber auch stets kontextualisiert betrachtet und die Interviews nach weiteren Hinweisen zur Beantwortung der Fragestellung untersucht.

3.3 Auswertung

Die Auswertung der Interviews erfolgte nach der vollständigen Erhebung und Transkription des qualitativen Datenmaterials in Anlehnung an die Grounded Theory von Strauss und Corbin (1996) unter Anwendung der Analysesoftware MAXQDA.

Die Interviews wurden zunächst offen kodiert. Das bedeutet, dass die Interviews im Detail und ohne thematischen Fokus aufgeschlüsselt werden. Im Rahmen dieses Kodierprozesses konnten verschiedene Kategorien mit Bezug zum Forschungsthema des interpersonalen Vertrauens im Bildungsverbund gebildet werden. Diese umfassten das jeweils allgemeine und berufsspezifische Vertrauensverständnis der Interviewten, die Bedingungen für die Entstehung von Vertrauen sowie die Vor- und Nachteile von Vertrauensbeziehungen. Im nächsten Analyseschritt, dem axialen Kodieren, wurden Vertrauenskategorien noch einmal mit Blick auf die Fragestellung rekodiert. Dabei wurde der Fokus auf die Identifikation von Machtmitteln sowie Machtausübung innerhalb der Vertrauenserzählungen gelegt. Auf diese Weise wurde es möglich potenzielle Zusammenhänge zwischen Macht und Vertrauen in interpersonalen Beziehungen des Bildungsverbundes herauszuarbeiten. Im Sinne des selektiven Kodierens wurde im Anschluss noch einmal das gesamte Datenmaterial hinsichtlich dieser Zusammenhänge untersucht.

Im Rahmen der Interpretation der Ergebnisse erfolgte eine Zuordnung der Machtmittel zu den Machtquellen strukturell, relational und diskursiv (vgl. Kolleck 2013) sowie eine Rückbindung an die Facetten von Vertrauenswürdigkeit (vgl. Mayer et al. 1995).

Für den vorliegenden Beitrag wurden einzelne Zitate aus den Interviews ausgewählt. Sie sind nicht alleinige Interpretationsgrundlage, sondern dienen Illustrationszwecken und wurden sprachlich geglättet.

4 Ergebnisse

Im Folgenden wird nachgezeichnet, welchen Modus der Zusammenarbeit die Akteur:innen des untersuchten Bildungsverbundes für sich beanspruchen und in welchem Wechselverhältnis Vertrauen und Macht in diesem Kontext stehen. Dabei wird die organisationale Zugehörigkeit der individuellen Akteur:innen berücksichtigt.

4.1 Machtbalance

Ein bedeutender Anteil der Narrative in den Interviews bezog sich auf den partnerschaftlichen Austausch innerhalb des Netzwerks. Die Auswertungen geben Hinweise darauf, dass das Vertrauen zwischen den Akteur:innen besonders in solchen Beziehungen stark ausgeprägt ist, in denen ein Machtgleichgewicht wahrgenommen wird. Ein Beispiel ist die Steuerungsgruppe, der viele der Interviewten angehören. Hier finden Entscheidungstragende aus verschiedenen Bildungsbereichen zusammen. Innerhalb ihrer jeweiligen Organisationen haben die Akteur:innen alle eine ähnliche hierarchische Position (bspw. Abteilungsleitung). Das Machtverhältnis innerhalb der Steuerungsgruppe ist in dieser Hinsicht, nach Wahrnehmung der Interviewten, weitgehend ausgeglichen. Interviewpassagen legen nahe, dass ein wahrgenommenes Machtgleichgewicht für ein partnerschaftliches Vertrauensverhältnis förderlich ist.

„[…] (Akteur:innen) die die gleiche Rolle tragen wie ich, sage ich mal […] Also es ist auf persönlicher Ebene. […] mit denen bin ich alle per Du.“

Der Gedanke einer gleichberechtigten Zusammenarbeit im Verbund ist Teil des deklarierten Arbeitsgrundsatzes der multiprofessionellen Kooperation. Einer partizipativen und hierarchiefreien Zusammenarbeit steht Machtausübung entgegen, dennoch wird von den Beteiligten bewusst und unbewusst mit unterschiedlichen Machtmitteln Macht ausgeübt. Die Wahrnehmung von Abhängigkeit bezieht sich dabei häufig auf eine bilaterale statt strukturelle Ebene. Es wird wiederholt auf die Abhängigkeit von den guten Absichten der anderen hingewiesen, wie das folgende Zitat zeigt.

„Wenn Vertrauen da ist und man auch mal jemand davon überzeugen kann ‚Ich bin intrinsisch motiviert und will gar nichts Böses, wir wollen eigentlich alle das Gleiche und Sie können mir vertrauen, also was Sie mir sagen, das gebe ich nicht weiter und das werde ich auch nicht gegen Sie verwenden.‘ Das ist sehr wichtig.“

Das exemplarische Zitat verdeutlicht eine wahrgenommene Abhängigkeit, die ein Machtpotenzial impliziert. An diese Abhängigkeit wird auch das Vertrauen gekoppelt, dass dieses Machtpotenzial nicht ausgespielt oder missbraucht wird.

4.2 Macht und Vertrauen der Akteur:innen

Trotz der deklarierten gleichberechtigten Zusammenarbeit konnten in den Interviews Machtdifferenzen zwischen Akteur:innen rekonstruiert werden, in denen sich das Vertrauen und die Machtpositionen wechselseitig zu beeinflussen scheinen. Diese Machtdifferenzen resultieren teils aus dem Design der Kooperation selbst, teils scheinen sie sich im Verlauf der Etablierung des Verbunds herausgebildet und verfestigt zu haben. Während der Analyse stellte sich heraus, dass die Organisationszugehörigkeit der Akteur:innen und die jeweilige Position der Organisationen im Netzwerk auch für die interpersonalen Beziehungen relevant ist, weswegen im Folgenden insbesondere auf die drei Organisationen eingegangen wird, die sich in den Interviews als besonders bedeutsam herausgestellt haben.

4.2.1 Stiftungsmitglieder

Bei dieser Akteursgruppe handelt es sich um Mitglieder einer Stiftung, die den analysierten Bildungsverbund initiiert hat und finanziert. Als Fördernde ist ihre Rolle ähnlich einer Vorgesetzten, denn die Geförderten müssen über die Verwendung der Gelder Rechenschaft ablegen.

„Es ist eine Instanz, der man ständig Rechenschaft ablegen muss, […] wo es potenziell gefährlich sein kann, weil die entscheiden […].“

Von einem guten Verlauf der Förderzeit hängen auch zukünftige Fördervereinbarungen ab. Das Datenmaterial illustriert, dass diese Form der Abhängigkeit und die Verpflichtung zur Rechenschaft das Vertrauen zwischen den „Geförderten“ und den Mitarbeiter:innen in der Stiftung hemmen. Auch der Umgang mit stiftungsintern getroffenen Entscheidungen scheint ausschlaggebend für die Vertrauensentwicklung der Geförderten zu sein. Hier wird insbesondere darauf hingewiesen, dass Entscheidungen für oder gegen bestimmte Förderungen teils nicht nachvollziehbar erscheinen. Es gibt Hinweise, dass der Transparenzgrad in positivem Zusammenhang mit dem entgegengebrachten Vertrauen steht.

Der konkrete Umgang der Stiftungsmitarbeitenden mit der Fördervergabe und dem Mitteleinsatz durch die Geförderten scheint ausschlaggebend für eine Relativierung des Vorgesetztenverhältnisses zu sein. Zeigen die Geförderten ein subjektives Gefühl relativer Autonomie in der Verwendung der Mittel und Ausgestaltung des geförderten Projektes, nehmen sie dies als Machtabgabe seitens der Stiftung wahr. Eine solche Machtabgabe signalisiert Vertrauen in die Geförderten und steigert im Gegenzug auch das Vertrauen der Geförderten in die Stiftung und deren Repräsentant:innen.

„Also solange das Gefühl da war ‚die Stiftung will uns hier steuern‘, haben die alles Tun von uns wirklich mit großem Misstrauen betrachtet. Und erst nachdem das erste halbe Jahr gelaufen war hat (Name) dann gesagt ‚Wir sehen schon, dass Sie sich anders aufstellen wollen.‘ Und da hatten wir das Gefühl da haben wir einen kritischen Punkt überschritten.“

Seitens der Stiftungsmitarbeitenden basiert das Vertrauen in die Geförderten vornehmlich auf deren zufriedenstellender Leistungen.

„(die Geschäftsstelle) als Beispiel hat sich als Förderpartner […], als sehr vertrauenswürdig erwiesen, weil sie einfach ihre Arbeit gut machen.“

An dieser Stelle ist unklar, ob es sich um Organisationsvertrauen handelt, oder ob mit der Bezeichnung der Geschäftsstelle stellvertretend die Mitarbeitenden gemeint sind.

Die Stiftung ist wiederum darauf angewiesen vertrauenswürdig zu sein, da sie ohne Vertrauen der Geförderten nicht die Möglichkeit hätte, Projekte zu fördern. Die Geförderten vertrauen darauf, dass ihre Organisationsinteressen bei einer Förderung berücksichtigt werden sowie eine gemeinsames Ziel verfolgt wird.

Es zeigt sich, dass die finanziellen Möglichkeiten der Stiftung zugleich stärkend auf die Beziehungen wirken.

„Es (ist) wirklich eine sehr sehr enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit (Stiftungsakteur), die da eine Rolle spielt. Weil das ist sein Kind hier, diese Initiative.“

Dieses Zitat bezieht sich auf die besondere Vertrauensbeziehung zu einem Stiftungsakteur, der auch als Ideengeber den inhaltlichen Diskurs beeinflusst. Insbesondere in Bezug auf jene Stiftungsmitglieder, die für die Initiierung des Verbundes mitverantwortlich sind, wird das Vertrauen als besonders groß angegeben. Das Vertrauen wird dabei auf die geteilten Projektziele bezogen und ist stark an eine persönliche Wertschätzung geknüpft. Die Möglichkeit zur Einflussnahme seitens der Stiftung ist auch darin zu sehen, dass sie ihre Mitglieder in den verschiedenen Gremien platziert, obwohl sie dort keine Entscheidungsbefugnis besitzt.

4.2.2 Mitarbeiter:innen der Landesministerien

Wie bereits dargelegt wurde, handelt es sich beim untersuchten Bildungsverbund um eine hybride Governanceform. Hierarchische Strukturen, die außerhalb des Netzwerkes bestehen, werden in Teilen auch auf das Netzwerk übertragen. Dies zeigt sich auch in den Analysen. Die Interviews legen nahe, dass die Machtausübung im Rahmen des Netzwerks durch kontrollierte Informationsweitergabe und Sanktionsandrohungen eines Ministeriums einer Vertrauensbeziehung zur Organisation und ihren Repräsentant:innen entgegensteht.

„Mittlerweile gibt es auch hier (im Rahmen des Verbunds) Treffen, wo man dasitzt und denkt ‚Äh, Moment, hier läuft gerade irgendwas/‘. […] letztens war ich in eine Landeseinrichtung eingeladen, wo man mir ein Papier vorgelegt hat und sagte ‚Zu Ihrem eigenen Schutz, gucken Sie das jetzt nur mal an und nehmen Sie es nicht mit. Wenn das nämlich an die Presse kommt, wir wissen genau, wer es gesehen hat.‘“

Das Zitat illustriert, wie Strukturen und Beziehungen, die vornehmlich nur außerhalb des Netzwerks relevant sind, im Netzwerk wirken. Dennoch basieren die dargestellten Beziehungen zu einzelnen Ministeriumsmitarbeiter:innen auf Vertrauen und beinhalten einen partnerschaftlichen Austausch. Darüber hinaus geben die Interviews Hinweise darauf, dass das Orientierungswissen einer Person für einen Austausch bedeutend ist. Die hierarchisch übergeordnete Organisationszugehörigkeit, die tendenziell vertrauenshemmend wirken kann, wird von einer persönlichen Vertrauensbeziehung relativiert. Letztere ermöglicht Einflussnahme, indem die hierarchisch übergeordnete Person um Rat gefragt wird.

„(Name) ist einfach so für mich auch so jemand, mit dem ich sehr viele strategische Dinge bespreche. Also der eine unheimlich langjährige Erfahrung hat […].“

Ob sich das interpersonale Vertrauen in ein Organisationsvertrauen umwandelt, bleibt unklar.

4.2.3 Mitglieder der Geschäftsstelle

Die Geschäftsstelle ist eine zentrale Institution innerhalb des Bildungsverbunds. Sie verfügt nicht über Entscheidungsmacht, koordiniert und organisiert jedoch die Zusammenarbeit im Verbund. Darüber hinaus initiiert sie gelegentlich neue Vorhaben und übernimmt die Außenkommunikation sowie -werbung für das Verbundvorhaben. Diese Aufgaben definieren sie als kommunikativen Knotenpunkt. Die Geschäftsstelle und ihre Mitglieder werden besonders häufig als Vertrauenskontakte angegeben.

Auf der Leitungsebene werden speziell Personen eingesetzt, die über ein hohes soziales Kapital verfügen, dessen Einsatz zu einer Stärkung des Gesamtverbunds führen soll.

„(Name) hat einen bestimmten Kontakt zum (Ministerium) […] und tritt dann heran und sagt ‚Wir haben hier ein Projekt, können wir da mal unseren Entwurf des Konzeptes schicken?‘, dann wird der durchgelesen […] es (ist) immer eine zentrale Aufgabe, […] dass man auch entsprechend die Personen, die da an den Schnittstellen sitzen für […] für die Initiative gewinnt.“

Den Interviews zufolge wird den Mitgliedern der Geschäftsstelle insbesondere dadurch vertraut, dass ihr soziales Kapital für Netzwerkziele eingesetzt wird: Einflussreiche Kontakte außerhalb des Netzwerks werden genutzt, um auf Entscheidungsebene für die Akzeptanz und Unterstützung des Vorhabens zu werben.

Die Geschäftsstelle und ihre Mitglieder werden von den Befragten für ihre Initiative geschätzt. Das Vertrauen und die Zustimmung der Netzwerkmitglieder in das Handeln der Geschäftsstelle stärken die Aufmerksamkeit in Bezuf auf ihr Handeln. Ihre Impulse finden Gehör. Das ermöglicht es der Geschäftsstelle Prozesse zu beeinflussen.

4.2.4 Einzelaktuer:innen

Die eingangs beschriebene konzeptuell angestrebte Machtbalance und das Ziel einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit ohne Machtausübung Einzelner beziehen sich primär auf die Entscheidungsebenen. Gefördert wird das durch eine weitgehend funktions-homogene Zusammensetzung der Akteur:innen auf den jeweiligen Ebenen. Verschiedene Akteur:innen der Entscheidungsebenen werden als Kontakt des Vertrauens angeben und dabei als besonders visionär und engagiert für die gemeinsamen Interessen hervorgehoben.

„Gerade jemand […] wie (Name), der mit seinem Gestaltungswillen da unheimlich viel voranbringen kann.“

Das Vertrauen in die Person führt dazu, dass ihr ein besonderer Raum gegeben wird, den Verbund mitzugestalten. Darüber hinaus führt das Engagement einer Einzelperson, die vielfach als Vertrauensperson sowie als „Treiberin“ mit hoher Projektidentifikation bezeichnet wird, offenbar auch zu einem Zuwachs an Raum und Aufmerksamkeit für ihre Organisation bzw. die ganze Akteursgruppe.

„Die Hochschulen haben sich sehr stark eingebracht. Das hat aber auch ganz stark mit der Person von (Name) zu tun […]“

Informationen und Wissen sind im Kontext des untersuchten Verbunds ein immer wiederkehrendes Thema. Die Vermutung liegt nahe, dass Sie ein wichtiges Machtmittel darstellen und der Umgang mit ihnen auch mit der interpersonalen Vertrauensbeziehung im Wechselverhältnis steht. Ist das Wissen netzwerkrelevant und der Umgang vertrauenswürdig, werden sowohl das Machtpotenzial als auch der Vertrauensprozess reproduziert.

Akteur:innen mit vielen und/oder nützlichen Kontakten sind eine Schnittstelle zwischen ihren Kontakten und dem Verbund und dadurch ein Knotenpunkt für Informationen und Wissen.

„Wir hatten zum Beispiel letzte Woche so eine Konfliktsituation, die dann, wie sich herausgestellt hat, auch zum Teil auf einem mangelnden Transport an Informationen beruhte. Aber da es da so ein Grundvertrauen gibt, ließ die sich auch auflösen. Also das heißt dann gehen die Akteure auch hin und legen ihre Karten auf den Tisch.“

Das Gefühl, dass Informationen offen geteilt werden, steht in positivem Zusammenhang mit dem Vertrauensverhältnis. Haben Akteur:innen hingegen den Eindruck, Informationen würden nur teilweise und auf Grundlage strategischer Überlegungen weitergegeben werden, wirkt sich dies negativ auf das Vertrauensverhältnis aus.

„(Name) ist mir (…) manchmal zu politisch (…) unterwegs im Sinne von bedarfsorientiertem Agieren, Hauptsache er kriegt was er will.“

Die Interviews geben Hinweise darauf, dass ein vertrauensvolles Verhältnis den Akteur:innen zu sozialen Ressourcen verhilft. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Akteur:innen gezielt den Kontakt zu anderen Akteur:innen suchen, um von deren Wissen zu profitieren.

„Denen vertraue ich (…) vor allen Dingen was das Urteil anbelangt, also wenn es um bestimmte Projektideen oder auch um bestimmte Personen dann eben geht.“

Eine Verknüpfung von Machtmitteln und Vertrauen stellt auch das folgende Zitat her.

„Wenn man weitere Menschen empfiehlt, weiß man auch, also es gibt ja dann auch immer die Botschaft ‚Ruf doch mal den an.‘ und eigentlich indirekt auch noch mal mit dem Nebensatz ‚Kann was. Ist gut.‘“

Die zugrundeliegende Vertrauensbeziehung ermöglicht die Vermittlung von Kontakten – sozialem Kapital.

5 Interpretation und theoretische Schemata

Im Folgenden werden die generierten Ergebnisse interpretiert und an die Facetten von Vertrauenswürdigkeit (vgl. Mayer et al. 1995) sowie die Machtquellen strukturell, relational und diskursiv (vgl. Kolleck 2013) rückgebunden. Die Interpretationen werden in ein theoretisches Schema gegossen, welches den Modus der Zusammenarbeit im Bildungsverbund entlang der Vertrauensbeziehungen und Machtverhältnisse nachzeichnet, wie im Folgenden ausführlich dargelegt wird.

Die Erzählungen zu einer gleichberechtigt angelegten Zusammenarbeit im Verbund in Verbindung mit den Erkenntnissen zu Vertrauensbeziehungen und Machtstrukturen bildet einen Kreislauf der Machtbalance und Vertrauensentwicklung (s. Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Kreislauf der Machtbalance und Vertrauensentwicklung

Am Anfang stehen die vereinzelten Akteur:innen mit ihrem jeweiligen Machtpotenzial. Es folgt der gemeinsame Beschluss einer machtbalancierten Zusammenarbeit, eines Verzichts auf Machtausübung, was eine offene Kommunikation ermöglicht. Die Beteiligten vertrauen darauf, dass alle auf die Ausübung ihres Machtpotenzials verzichten. Durch die Wahrnehmung eines solchen Verzichts wird das Vertrauen gestärkt. Eine daraus resultierende vertrauensvolle Zusammenarbeit bedeutet, dass die Beteiligten offen bzgl. ihrer jeweiligen Wahrnehmungen und Ansichten sowie der eigenen Organisationsinteressen kommunizieren und ihre Machtmittel teilen können, ohne Nachteile für sich selbst oder das gemeinsame Vorhaben befürchten zu müssen. Eine solche Offenheit macht die Beteiligten abhängig vom wohlwollenden und integren Umgang der anderen Akteur:innen mit diesen Machtmitteln. Abhängigkeit bedeutet wiederum potenzielle Macht. Sofern sich jedoch alle an den Machtverzicht und eine damit einhergehende Offenheit halten, kann die gewünschte Machtbalance innerhalb des „Raums“ Netzwerk entstehen.

Die Vorstellung einer gleichberechtigten Zusammenarbeit ohne Machtdifferenzen ist in einem Bildungsverbund, wie dem untersuchten, nicht umsetzbar. Es handelt sich bei dem Bildungsverbund um einen Strukturhybrid (vgl. Preuß 2012, S. 120). Die Stiftung und die Ministerien verfügen über privilegierte Positionen im Netzwerk – basierend auf unterschiedlichen strukturellen Machtmitteln (wie bspw. Geld, Hierarchie). Neben strukturellen Machtquellen entstehen auch relationale und diskursive Machtpotenziale, die das Macht(un)gleichgewicht beeinflussen können, wie die Schnittstellenfunktion der Geschäftsstelle und der Raum zur Einflussnahme, der einzelnen Akteur:innen gegeben wird. Inwieweit die verschiedenen Machtformen mit Vertrauen im Wechselverhältnis stehen, wird in Abb. 2 unter Bezugnahme auf die Faktoren wahrgenommener Vertrauenswürdigkeit verdeutlicht (vgl. Mayer et al. 1995).

Abb. 2
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Wechselverhältnis von Macht und Vertrauen

Eine strukturelle Machtposition im Bildungsverbund wird über die Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen sowie über eine hierarchisch übergeordnete Funktion von Akteur:innen, die von außen ins Netzwerk hineinwirkt, definiert (vgl. Kappauf und Kolleck 2018a, S. 203). Akteur:innen in einer strukturellen Machtposition sind primär von der Kompetenz der strukturell weniger Privilegierten abhängig, da diese für die Durchführung von Entscheidungen und den Einsatz der bewilligten Mittel zuständig sind. Letztere wiederum sind davon abhängig, dass ihnen Mittel anvertraut und die Durchführung von Entscheidungen zugetraut werden. Sie sind also abhängig vom Vertrauen derer in strukturellen Machtpositionen. Zwar können zentrale Interaktionen durch Formalia reguliert werden, dennoch entstehen zwischenmenschliche Unsicherheiten, die durch Vertrauen überbrückt werden können. Vertrauensfördernd wirkt hierbei transparente Kommunikation von beiden Seiten sowie Autonomieförderung der strukturell weniger Privilegierten. Dies wird möglich durch die Aufgabe von Machtpotenzial seitens der strukturell Machtvolleren. Das Vertrauen der Machtvolleren bezieht sich demnach primär auf die Kompetenz der Geförderten. Umgekehrt basiert das Vertrauen auf dem wahrgenommenen Wohlwollen der strukturell Machtvolleren, dass sie ihre Macht verantwortungsvoll und fair ausüben. Im vorliegenden Bildungsverbund spielt das Vertrauen in Akteur:innen in strukturellen Machtpositionen eine bedeutende Rolle, weil die Zusammenarbeit mit diesen weitgehend auf Freiwilligkeit basiert. Gäbe es kein Vertrauen, gäbe es auch keinen Grund für die Zusammenarbeit.

Eine relationale Machtposition von Akteur:innen wird über deren Verfügbarkeit netzwerkrelevanter Kontakte sowie einen damit einhergehenden Informationsvorsprung definiert (Kappauf und Kolleck 2018a). Die Bündelung dieser Art von Ressourcen bei einigen wenigen Akteur:innen macht die anderen Beteiligten abhängig von einem gemeinwohlorientierten Einsatz dieser Ressourcen. Gemeinwohlorientiert bedeutet in diesem Zusammenhang, im Sinne der Zielorientierung des Bildungsverbundes zu handeln. Daher basiert die Abhängigkeit auf der Integrität derer in relationalen Machtpositionen. Bei der Vermittlung von Kontakten spielt außerdem die Kompetenz und beim Anwerben von Teilnehmenden auch das Wohlwollen der Vermittelnden eine entscheidende Rolle. Um also eine relationale Machtposition zu erlangen, sind betreffende Akteur:innen vom Vertrauen der anderen Beteiligten in ihre Kompetenz, ihre Integrität und ihr Wohlwollen abhängig. Denn ohne dieses Vertrauen wären ihre sozialen Ressourcen nicht gefragt und damit ohne Wert. Im Erfahrungsraum relationaler Machtpositionen zeichnen sich beidseitige Abhängigkeiten ab. Eine Vertrauensvergabe scheint nur einseitig zu bestehen.

Diskursives Machtpotenzial entsteht zu einem großen Teil aus der Zuschreibung anderer. Eine diskursive Machtposition ergibt sich aus der Kombination aus Aufmerksamkeit und Zustimmung und der daraus resultierenden Möglichkeit die Ideen und Vorstellungen der Verbundbeteiligten mitzuformen (vgl. Kolleck und Bormann 2014, S. 12; Konieczny 2014, S. 54). Zustimmung beinhaltet im vorliegenden Fall das Vertrauen in die Integrität der Akteur:innen, dass sie im Sinne des Verbundes handeln sowie das Vertrauen in deren Wohlwollen; dass sie auch die Interessen aller Beteiligten berücksichtigen. Auch das Vertrauen in die Kompetenz zielführende, innovative oder kreative Ideen zur Umsetzung und Weiterentwicklung des Verbundvorhabens zu haben, ist von Bedeutung für die Zuschreibung einer diskursiven Machtposition. Damit sind Akteur:innen in einer solchen Position, ebenso wie jene in relationalen Machtpositionen abhängig vom Vertrauen der anderen Beteiligten. Im Erfahrungsraum dieser Machtposition ist die Abhängigkeit der weniger Machtvollen weniger zentral und tendenziell diffus. Eine Abhängigkeit entsteht dadurch, dass sich die weniger Machtvollen gezielt von der diskursiven Gestaltung abhängig machen. Umgekehrt ist die Abhängigkeit jener in einer Machposition vom Vertrauen der anderen sehr deutlich. Auch im Erfahrungsraum diskursiver Machtpositionen scheint eine Vertrauensvergabe nur einseitig zu bestehen.

6 Fazit und Limitationen

Die Auswertungen haben gezeigt, dass es wichtig ist, den Machtbegriff zu differenzieren, denn während strukturelle Macht tendenziell vertrauenshemmend wirkt, scheinen sowohl relationale als auch diskursive Macht vergleichsweise vertrauensfördernd zu wirken und basieren eher auf den affektiven Facetten von Vertrauenswürdigkeit (vgl. Esch et al. 2019, S. 1278). Diese Erkenntnis stützt die Annahmen einer vertrauensfördernden Wirkung diskursiver Macht (vgl. Fuchs und Lederer 2007; Konieczny 2014). Ausschlaggebend ist für jede Machtform jedoch die wahrgenommene Vertrauenswürdigkeit – inwieweit das Handeln als ein Handeln im Verbundinteresse wahrgenommen wird. Durch die Analyse der wechselseitigen Abhängigkeiten (vgl. Emerson), wird offenbar, dass auch diejenigen mit größerem Machtpotenzial abhängig sind von denjenigen mit geringerem Machtpotenzial. Häufig basiert die Abhängigkeit der Akteur:innen auf dem ihnen entgegengebrachten Vertrauen, wodurch das Vertrauen im Verbund selbst zur sozialen Ressource wird und damit zu einem Machtmittel (vgl. Bourdieu 2012). Vertrauen als Machtmittel kann sowohl individuellen Akteur:innen zu Machtpotenzial verhelfen, als auch dem Netzwerk insgesamt, sofern dieses durch ein hohes Maß an Vertrauensbeziehungen zu einer bedeutsamen Netzwerkdichte gelangt. Diese fördert die Möglichkeit einer offenen Kommunikation (vgl. Schweer 1997) und infolge dessen den intensiveren Austausch von Informationen (vgl. Burt 1992; Kolleck und Bormann 2014; Moolenaar und Sleegers 2010).

Besonders bedeutsam ist jedoch auch die machtrelativierende Eigenschaft von Vertrauen, die zu einer Ermächtigung der vermeintlich Abhängigeren führt. Der vorliegende Beitrag verdeutlicht zudem die Relevanz affektiver sowie behavioraler Vertrauensaspekte (Wohlwollen und Integrität als wahrgenommenes vertrauenswürdiges Handeln) in Verbindung mit der Entstehung und Reproduktion informeller Machtformen und -potenziale für die Netzwerkzusammenarbeit. Er erweitert den Blick auf das Macht-Vertrauensverhältnis um das Vertrauen der Machtvolleren in diejenigen mit weniger Machtpotenzial sowie den Einfluss von Vertrauen auf Macht und legt dabei den Fokus auf eine netzwerkspezifische Zusammenarbeit im Bildungsverbund. Das Format der Fallanalyse ermöglicht hierbei einen vertieften Einblick in die spezifischen Beziehungsstrukturen und erste theoretische Schemata zum Modus der Zusammenarbeit bzgl. der Macht- und Vertrauensverhältnisse, deren Übertragbarkeit jedoch noch zu überprüfen wären. Da die Netzwerk-Sonderform mit ihrer hierarchischen Einbettung für Bildungsverbünde charakteristisch ist, und damit von einer ähnlichen Grundstruktur ausgegangen werden kann, ist auch eine Übertragbarkeit der Erkenntnisse dieser Arbeit anzunehmen.

Die explizite Abfrage von Vertrauensbeziehungen ist zugleich Chance wie auch Limitation. Zum einen ermöglicht sie die Rekonstruktion eines individuellen Vertrauensverständnisses, zum anderen können nicht-reflexive Vertrauensbeziehungen dadurch u. U. nicht in den Erzählungen erfasst werden. Außerdem birgt es die gesteigerte Gefahr einer Färbung der Antworten im Sinne der sozialen Erwünschtheit – dies insbesondere vor dem Hintergrund der Programmatik einer vertrauensvollen Zusammenarbeit.

Der Beitrag stellt einen ersten Schritt zur differenzierten Betrachtung des Wechselverhältnisses zwischen Macht und Vertrauen dar. Für anschließende Arbeiten bietet sich an, den Blick auf verschiedene Netzwerkkonstellationen zu weiten und beide Phänomene nicht-reflexiv operationalisiert zu untersuchen.