1 Umrisse der „neuen Arbeitswelt“

Es gibt inzwischen ausreichend empirische Evidenz für die Annahme, dass sich – zumindest für bestimmte Beschäftigtengruppen – die Grundstrukturen unseres Arbeitsmarktes gerade in einem tiefgreifenden Wandel befinden. Das wirtschaftliche, politische und soziale Umfeld von Organisationen hat für diese seine stabilisierende, Kontinuität stiftende Funktion eingebüßt. Wir leben in einer Welt, die von großer Ungewissheit und Unberechenbarkeit, von überraschenden, vielfach disruptiven Brüchen gekennzeichnet ist. Um diese neue Qualität von Instabilität zu bezeichnen, spricht man heute gerne von den „VUKA-Welten“ (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität) oder gar schon von einem neuen gesellschaftlichen Paradigma, der „next society“ (Drucker 2001; Baecker 2007; Wimmer 2012c).

Diese Entwicklung wird von verschiedenen parallel laufenden Entwicklungssträngen in der organisationalen Umwelt (vgl. Abb. 1) vorangetrieben:

  • Steigende Komplexität und wachsende Dynamik der globalen Märkte üben massiven Innovationsdruck auf die Unternehmen aus und erfordern eine immer höhere Flexibilität zur Anpassung der organisationalen Strukturen und Prozesse, um mit den immer schnelleren Veränderungen im Umfeld Schritt halten zu können. Infolge dessen wird Arbeit in immer stärkerem Maße projektförmig erbracht.

  • Digitale Medien dienen nicht mehr nur – wie vor Jahrzehnten – der effizienteren Gestaltung ansonsten weitgehend unveränderter Arbeitsprozesse, sondern ermöglichen ganz neue Formen der Kommunikation und führen so zu einer fundamentalen Veränderung sozialer Beziehungen, gesellschaftlicher Strukturen und damit auch intraorganisationaler Kooperationsformen (Schlick 2015). Digitalisierung meint, dass alles, was heute an werthaltigen Informationen in Produkten und Dienstleistungen steckt, künftig in Internetlösungen auf eine ganz neue Weise kombiniert, transformiert und für die Kunden in einen überraschenden Nutzen umgewandelt wird. So stellt gerade die Verlagerung des „point of sale“ ins Netz den Handel auf den Kopf. Die Printmedien sehen ihre Existenzgrundlage durch die neuen Medien dahinschmelzen. Ganz neue Geschäftsmodelle transformieren das Verlagswesen, Banken und Versicherungen stehen vor den größten Veränderungen ihrer Geschichte. Die Industrie 4.0 wird das Produktionsgeschehen in unseren Fabriken auf eine gänzlich neue Grundlage stellen. Wir sind mitten in “the second machine age”, dessen Ergebnis eine radikal geänderte Arbeitswelt sein wird (Brynjolfsson und McAfee 2014).

  • Automatisierungsprozesse haben dazu geführt, dass der Anteil körperlicher Arbeit mit niedrigen Qualifikationsanforderungen stetig zurückgeht. Auf der anderen Seite ist Wissensarbeit auf dem Vormarsch: Die Bruttowertschöpfung in wissensintensiven Wirtschaftszweigen entwickelt sich deutlich dynamischer als in den nicht wissensintensiven Wirtschaftszweigen, der Anteil von im Bereich der wissensintensiven Dienstleistungen Beschäftigten steigt kontinuierlich (Cordes und Gehrke 2012).

  • Bevölkerungsrückgang, Fachkräftemangel und (zumindest in den deutschsprachigen Ländern) positive konjunkturelle Entwicklung haben jetzt in vielen Bereichen schon aus dem Arbeitgebermarkt einen Arbeitnehmermarkt gemacht, mit entsprechenden Machtverschiebungen und Notwendigkeiten, sich als Arbeitgeber attraktiv zu machen.

  • Daher und aufgrund des schwankenden Personalbedarfs sich immer wieder neu erfindender Organisationen diversifizieren sich die Berufsbiografien. Zu der viel diskutierten ‚Erosion des Normalarbeitsverhältnisses‘ gehört nicht nur der zunehmende Anteil von atypischen Beschäftigungsverhältnissen, sondern auch der sowohl bei Mitarbeiter/innen als auch bei Organisationen erkennbare Trend, weniger langfristige gegenseitige Bindungen einzugehen (ausführlicher dazu Wimmer (2012b)).

  • Sich wandelnde gesellschaftliche Ansprüche und Lebensentwürfe verändern die Erwartungen, die sich an Arbeit richten. Dieser Wertewandel, der einerseits von der „Generation Y“, andererseits von einer zunehmend diverseren und selbstreflexiveren Gesellschaft getragen wird, manifestiert sich in veränderten Ansprüchen an den Sinngehalt der Arbeit und an die Qualität des Zusammenarbeitens, aber auch in steigenden gesellschaftlichen und gesetzgeberischen Forderungen im Hinblick auf eine ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltigere Praxis des unternehmerischen Handelns.

Abb. 1
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Treiber der neuen Arbeitswelt (eigene Darstellung)

Für diese Art von Umwelt ist der klassische Organisationstyp (ob als Industriebetrieb oder als staatliche Bürokratie) in seiner inneren Verfasstheit nicht gerüstet. Organisationen müssen in der Zwischenzeit so gebaut sein, dass sie angesichts dieser neuen Qualität an Veränderungsdynamik ihrer relevanten Umwelten antwortfähig bleiben. Dafür sorgen neue Formen der Strukturierung der organisationsinternen Verhältnisse, alternative Organisationsdesigns, eine Abflachung der Hierarchien, netzwerkförmige, auf Flexibilität und Agilität ausgelegte Kooperationsformen. Einher geht damit auch eine veränderte Führungspraxis, die in der Lage ist, jene wesentlich anspruchsvolleren Führungsleistungen zur Verfügung zu stellen, die diesen neuen Herausforderungen gerecht werden. Um die erforderliche „Responsiveness“ immer wieder zu erneuern, steigern Organisationen also unvermeidlicherweise ihre Eigenkomplexität (dem „law of requisite variety“ von W. R. Ashby folgend). Diese sich selbst stimulierende, evolutionäre Eigendynamik im Wandel von Organisationen, in den Formen ihrer Binnenfinanzierung, im Aufbau neuer Steuerungsmechanismen und in ihrer Einbettung in Kooperationsnetzwerke verschiedenster Art hat durch den aktuellen Prozess der Digitalisierung und Globalisierung noch erheblich an Fahrt gewonnen.

Noch ist die beschriebene neue Arbeitswelt keineswegs in allen Bereichen angekommen. Natürlich spielen die Unternehmen mit dem größten und kurzfristigsten Veränderungsdruck eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung der beschriebenen Veränderungen, während z. B. Verwaltungen bislang nur punktuell betroffen sind. Auf der anderen Seite ist der beschriebene organisationale Wandel keineswegs auf die Großen der IT-Branche beschränkt: Auch zahlreiche Industrieunternehmen sowie mittelständische Unternehmen experimentieren mit neuen Organisationsprinzipien.

2 Ein neues Verhältnis von Mitarbeitenden und Organisation?

In der neuen Arbeitswelt ändert sich das Verhältnis zwischen Organisation und den in ihr arbeitenden Menschen – und damit auch der psychologische Vertrag. Im klassischen Organisationsverständnis stellte sich das Verhältnis von Mensch und Organisation, von Arbeitnehmer und Arbeitgeber, wie folgt dar: Die in einer Stelle gebündelten Leistungserwartungen definierten sich ausschließlich aus der Logik organisationaler Anforderungen. Im Aufgabenspektrum der einzelnen Stelle spiegelte sich das Organisationsdesign der Gesamtorganisation in der Vielfalt seiner Subeinheiten und deren hierarchiebetonten Verknüpfungen. Die Beschäftigten wurden danach ausgesucht und bewertet, ob und wie sie diesen vordefinierten Anforderungen im Alltag gerecht werden. Der Anpassungsdruck lag hier unzweifelhaft auf der Seite des Individuums. Diese klare Machtasymmetrie bestimmte die Grundprinzipien des „psychologischen Vertrages“, also die Austauschbeziehungen, das Geben und Nehmen von Organisation und Mitarbeiter/-innen.

Ein Grundpfeiler dieses klassischen Organisationsverständnisses ist die Differenz von Mensch und Organisation. Dass Menschen (Mitarbeiter) nicht Bestandteil der Organisation sind, sondern zu ihrer Umwelt gehören, zählt zu den Grundprämissen der modernen Organisationstheorie (z. B. Luhmann 1984, 2000). Organisationsmitglieder sind danach nie vollständig in die Organisation inkludiert, sondern nur über ihre Mitgliedschaftsrolle an die Organisation gebunden, und sie sind gehalten, den organisationalen Erwartungen im Rahmen ihrer Indifferenzzone soweit Folge zu leisten, als dies zur Erhaltung ihrer Mitgliedschaft erforderlich ist. Das deutsche Arbeitsrecht entspricht dieser Unterscheidung, indem es die Erbringung einer Leistung „mittlerer Art und Güte“ im Rahmen der vertraglich festgelegten Haupt- und Nebenleistungspflichten (insbes. der im Arbeitsvertrag vorgesehenen Arbeitszeit) fordert, d. h. der Arbeitnehmer muss keine Spitzenleistung erbringen, darf aber eben auch nicht deutlich unter dem Durchschnitt liegen.

Die Folgen, die der aktuelle Wandel in der Arbeitswelt für dieses Verhältnis von Organisation und Mitarbeiter/innen mit sich bringt, sind gravierend: Zur Bewältigung der dargestellten organisationalen Veränderungen wird das menschliche Leistungsvermögen auf eine ganz neue Weise und vor allem in einem ganz neuen Umfang benötigt. Die „zone of indifference“ schmilzt, in vielen Fällen verschwindet sie zur Gänze. Durch die beschriebene Steigerung ihrer Binnenkomplexität ist die Leistungsfähigkeit von Organisationen heutigen Zuschnitts in einem noch nie dagewesenen Ausmaß davon abhängig geworden, dass Beschäftigte nicht nur ihre festgelegte und vorprogrammierte Arbeit erledigen, sondern dass sie in jedem Augenblick mit hoher Aufmerksamkeit das Geschehen (intern wie extern) verfolgen, mit großer Urteilskraft das je anzutreffende Situationspotenzial einschätzen und, wenn erforderlich, eigenverantwortlich die notwendigen Entscheidungen für das, was ansteht, herbeiführen. Unter Bedingungen hoher Komplexität und einer zunehmenden Wissensbasiertheit des Aufgabenprofils werden Organisationen in ihrer Problemlösungsfähigkeit total davon abhängig, dass ein immer größer werdender Teil ihrer Beschäftigten ständig mitdenkt, sich ein eigenständiges Urteil über die Problemdimensionen der jeweiligen Situation bildet und im wohlverstandenen Interesse der Organisation aus eigener Verantwortung heraus (d. h. ohne sich hundertfach bei Vorgesetzten abzusichern) die erforderlichen Schritte in die Wege leitet. Klaus von Rottkay (2015, S. 249), CEO von Microsoft Deutschland, bringt diese neue Erwartung auf den Punkt: „Früher haben wir Mitarbeiter gebraucht, die machen, was wir sagen. Heute brauchen wir Mitarbeiter, die machen, was wir Ihnen nicht sagen“. Auch Matthias Müller, der neue VW-Chef, stößt in dieses Horn und will damit in seinem Konzern einen radikalen Wandel in der Führungskultur in Gang setzen: „Wir brauchen keine Ja-Sager, sondern Manager und Techniker, die mit guten Argumenten für ihre Überzeugungen und ihre Projekte kämpfen – die unternehmerisch denken und agieren“ (Müller 2015, S. 17).

Dieses innerliche Engagiertsein an der erfolgreichen Bewältigung herausfordernder und immer wieder überraschend neuer Aufgabenstellungen lässt sich nicht befehlen, ist nicht das Ergebnis hierarchischer Anweisungen bzw. das Befolgen von Stellenbeschreibungen. Im Gegenteil handelt es sich um „nicht-intendierbare Zustände“ im Sinne von Jon Elster (vgl. Ortmann 2012), d. h. um Zustände, die nicht willentlich hervorgerufen werden können bzw. die gerade durch den Versuch, sie herbeizuführen, notwendig verfehlt werden (weitere Beispiele sind Vertrauen, Spontaneität oder Kreativität). Während die klassisch-hierarchisch strukturierte Organisation den Mitarbeiter/innen Leistung in einer Art Tauschhandel abkaufen oder notfalls unter Einsatz von Sanktionsmacht erzwingen konnte, sind Organisationen in der neuen Arbeitswelt gerade von diesen nicht instruierbaren und damit nicht steuerbaren Beiträgen ihrer Mitglieder abhängig – darin besteht eine ihrer zentralen Paradoxien und Herausforderungen. Wenn Unternehmen in zunehmenden Maße mit neuen, hierarchieärmeren Führungskonzepten experimentieren, ist dies nicht nur dem ‚Zeitgeist‘ geschuldet, sondern auch Ausdruck einer funktionalen notwendigen Neuakzentuierung im Umgang mit dem altbekannten Transformationsproblem (wie lässt sich Arbeitskraft in Arbeitsleistung verwandeln?).

Diese veränderten Erwartungshaltungen der Organisation gegenüber ihren Mitarbeitern bieten diesen auf der einen Seite Chancen für eine Selbstentfaltung, die in tradierten Organisationsformen kaum Raum finden konnte. Diesen Chancen stehen jedoch auch Risiken entgegen, die in Abschn. 8 besprochen werden sollen.

3 Die „Generation Y“

Dieser veränderte Bedarf auf der Seite der Organisationen, die spezifisch menschliche Leistungsfähigkeit sehr viel umfassender und ganzheitlicher zu nutzen als dies früher in der klassischen Organisationswelt der Fall war, trifft auf eine nachrückende Generation, aufgewachsen in technikaffinen, gutsituierten und häufig sehr bildungsnahen Verhältnissen, die offensichtlich mit sehr dezidierten Erwartungen an ihre Arbeitgeber herantritt. Was kennzeichnet diese sogenannte Generation Y (der in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre Geborenen) im Unterschied zu den Vorgängergenerationen? Diese Frage ist nicht so ganz einfach zu beantworten. Die Bildung von Stereotypen für eine ganz bestimmte Generation ist sicherlich nicht unproblematisch. Die diesbezüglichen Forschungen kommen auch zu keinem einheitlichen Bild (vgl. etwa die Arbeit von Lancaster und Stillmann (2002) oder von Twenge (2010) für die USA bzw. von Hurrelmann und Albrecht (2014) für Deutschland). Die Zuschreibungen über die spezifische persönliche Verfasstheit der heutigen Berufseinsteiger (im Auge hat man da in der Tendenz eher die Höherqualifizierten) sind daher mehr eine Konstruktion der professionellen Beobachter des Feldes als das Ergebnis eingehender empirischer Befunde. Einige offenkundliche Charakterisierungen und Gemeinsamkeiten dieser Generation sind allerdings schon bemerkenswert. Es handelt sich durchgängig um „Digital Natives“. Sie sind von klein auf mit dem Internet und seinen Kommunikationsmöglichkeiten aufgewachsen. Der Umgang damit ist für sie selbstverständlich. Sie sind Pioniere in der offensiven Nutzung der immer leistungsstärker werdenden Technologien des Internets sowie in der Ausprägung der damit verbundenen Lebensstile und kulturellen Ausdrucksformen. Sie sind quasi immer online, ständig in Kommunikation in ihren sozialen Netzwerken, total heimisch im Gebrauch der digitalen Medien, während Printmedien, Fernsehen und Radio kaum mehr eine Rolle spielen.

Diese Generation wurde und wird laufend mit schweren gesellschaftlichen Erschütterungen konfrontiert (das Platzen der E‑Commerce-Blase 2000/2001, 9/11 und seine katastrophalen kriegerischen Folgen, die Finanzmarktkrise und ihre bis heute andauernden weltwirtschaftlichen Erschütterungen, der Klimawandel und das damit verbundene ökologische Bedrohungsszenario, die aktuelle Migrations- und Flüchtlingsbewegung etc.). Hier konnte keine ungetrübte Zukunftszuversicht wachsen. Bei der Generation Y haben wir es durchweg mit jungen Menschen zu tun, die ganz bestimmte lebenspraktische Erfahrungen machen konnten, eingebettet zumeist in ein spezifisches familiäres Milieu. In der Erziehung wurde Wert auf ein selbstbestimmtes „den eigenen Weg finden“ gelegt (dies gilt für Frauen und Männer gleichermaßen). Investments in die eigene Bildung besitzen einen hohen Stellenwert, frühe Auslandserfahrungen und gute Sprachkenntnisse zählen zum normalen Repertoire (dies alles gilt natürlich nur für die Höherqualifizierten dieser Generation, die man mit der Bezeichnung „Y“ allerdings eher im Blick hat).

So findet man in den einschlägigen Publikationen für diese Generation gerne Merkmalszuschreibungen wie: selbstbewusst, freiheitsliebend, anspruchsvoll, breit qualifiziert, kreativ, kooperationsbereit und an Teamwork interessiert, global denkend, interkulturell anschlussfähig. Quasi als problematische Kehrseite dazu wird häufig hervorgehoben: erfolgsverwöhnt, frech, selbstverliebt, sich selbst überschätzend (bis größenwahnsinnig), mangelndes Durchhaltevermögen, geringe Frustrationstoleranz bei Misserfolgen und Scheiternserfahrungen.

Was sind nun die spezifischen Erwartungen dieser Generation an ihre Arbeit und ihr Arbeitsumfeld? Die Arbeit selbst besitzt als solche eine hohe Attraktivität (d. h. man kann sich damit identifizieren, ihr einen Sinn abgewinnen, sie bietet persönliche Lern- und Entwicklungschancen). Arbeit ist jedoch nicht der alleinige sinnstiftende Aspekt im Leben dieser Generation. Es gibt noch andere Dimensionen. Deshalb wird auf familienfreundliche Arbeitsbedingungen, eine praktikable Work-Life-Balance Wert gelegt. Die jungen Leute suchen heute ein selbstständiges Arbeiten in flachen Hierarchien, ein gutes Zusammenspiel in Teams, viel Anerkennung für erbrachte Leistungen, ein klares und zeitnahes Feedback auf die eigene Performance und persönliche Entwicklung (vor allem von den Führungsverantwortlichen). Man will als Mensch mit seinen spezifischen Besonderheiten gesehen werden. Die heutigen Berufseinsteiger entwickeln keine besondere Loyalität zu ihren Arbeitgebern. Sie zeigen eine erhöhte Wechselbereitschaft, wenn sich in zentralen Punkten ihres Erwartungsniveaus bessere Alternativen auftun. Sie sind besonders empfindsam und verletzlich, wenn sie sich von ihren Führungsverantwortlichen unangemessen (was immer das im Einzelfall heißt) behandelt fühlen. Man kann davon ausgehen, dass das gemeinsame Führen unterschiedlicher Generationen in Hinkunft deutlich anspruchsvoller werden wird (vgl. Eberhardt 2016).

4 Die „Organisation Y“

Wenn die Generation Y entsprechende kollektive Dispositionen mitbringt, mag dies für das organisational erwartete umfassende Sicheinbringen und Sichzurverfügungstellen hilfreich, vielleicht sogar notwendig sein. Doch hohe Motivation allein ist nicht hinreichend für hohe Leistung – sie braucht organisationsinterne Rahmenbedingungen, über die Organisationen nicht so ganz selbstverständlich verfügen (vgl. Abschn. 9). Eine aktuelle Untersuchung der Universität Witten/Herdecke (Pfeiffer 2015) zeigt, dass die Personalverantwortlichen in einem Großteil der befragten Unternehmen die Besonderheiten der Generation Y schon sehr dezidiert auf ihrer Agenda haben und dass sie in ihrer eigenen Wahrnehmung die genannten Zuschreibungen weitestgehend auch bestätigen können. Bemerkenswert an dieser Studie ist vor allem der Umstand, dass die Unternehmen bereits begonnen haben, sich in Teilbereichen auf die Erwartungen dieser neuen Generation an Beschäftigten einzustellen. Das betrifft vor allem bestimmte Arbeitszeitmodelle, Heimarbeitsplätze, aber auch gezielte Personalentwicklungsmaßnahmen, die speziell die persönliche Entwicklung der Berufseinsteiger zum Gegenstand haben. Vor dem Hintergrund des deutlich gestiegenen Problembewusstseins der Unternehmen für die sich ändernde Arbeitsmarktsituation ist es nicht überraschend, dass sich die Rekrutierungspraktiken ändern, dass auf ein gezieltes „Employer Branding“ sehr viel mehr Wert gelegt wird, als dies früher der Fall war. Insgesamt kann man sagen, dass die eigene Reputation als Arbeitgeber als hochrelevanter Wettbewerbsfaktor erkannt ist. Der Umbau der organisationsinternen Prozesse und Strukturen, die Verinnerlichung der genannten Dimensionen in der alltäglichen Führungspraxis ist jedoch ein langwieriger Prozess mit vielen Aufs und Abs. Man darf dabei nicht vergessen, dass viele begabte junge Menschen der Generation Y in die berufliche Selbstständigkeit gehen, ihre eigenen Unternehmen gründen oder sich den jungen Unternehmen der Internetbranche anschließen. Dort trifft man vielfach auf Arbeitsbedingungen, die geradezu maßgeschneidert für den spezifischen Erwartungshorizont dieser Generation erscheinen. Dass auch dort ein erhebliches Enttäuschungspotenzial bereitsteht, ist Teil des Lernprogramms, dem sich die jungen Leute heute unterziehen.

Besondere Mitttubereitschaft und das damit verbundene Verantwortungsgefühl wachsen und stabilisieren sich auf der Grundlage einer spezifischen Führungs- und Kooperationspraxis, die ihrerseits in einer diese Praxis stützende Organisationskultur wurzelt (Bruch et al. 2010).

Daher sehen sich die Personal nachfragenden Organisationen (speziell solche in der Wirtschaft) veranlasst, über die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse ernsthaft aus der Perspektive derjenigen nachzudenken, die man für eine Beschäftigung gewinnen bzw. längerfristig halten will. Das heißt, in bestimmten Verwendungsgruppen gewinnen die persönlichen Erwartungen der Beschäftigten an den Inhalt ihrer Arbeit bzw. an die Bedingungen der Aufgabenerledigung Einfluss auf die Art und Weise, wie Organisationen Arbeit verstehen und organisieren, in welcher Führungs- und Kooperationspraxis Arbeit stattfindet, schließlich auch in welche Organisationskultur diese Prozesse eingebettet sind. Diese Bereitschaft in Organisationen, bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen die Erwartungen der Organisationsmitglieder miteinzubeziehen, ist historisch gesehen eher noch ein ganz junges Phänomen.

Dennoch nimmt die Zahl der Unternehmen deutlich zu, die bereit sind, ihre Arbeitsbedingungen, ihre Strukturen und Prozesse, letztlich auch ihre Führungs- und Organisationskultur in dem besprochenen Sinne weiterzuentwickeln, um für ihre intrinsisch motivierten Leistungsträger attraktiv zu bleiben und darüber hinaus ihre Anziehungskraft für begabte junge Leute noch zu steigern.

5 Hierarchie als organisationaler Koordinierungsmechanismus tritt in den Hintergrund

Ein wesentliches Element ist dabei die Auflösung bisheriger fester Kopplungen in den Rahmenbedingungen der Leistungserbringung, Aufbau- und Ablauforganisation. Starre hierarchische Strukturen werden durch Organisationsformen ersetzt, die Selbstorganisation der Organisation als Sozialkörper fördern und fordern. Aktuell diskutierte Beispiele wie z. B. Haufe-umantis, wo die Mitarbeiter ihre Führungskräfte turnusmäßig wählen, oder der belgische Keksfabrikant Poult, wo Führungskräfte ihre Vorgesetztenfunktion verloren haben und nun als nicht-weisungsbefugte Entwicklungscoaches fungieren, oder der kalifornische Tomatenmarkproduzent Morningstar, der alles in teamförmigen Prozessen abwickelt und konsequent auf die Etablierung von Hierarchieebenen verzichtet, gehen dabei weit über die schon seit längerem propagierte Abflachung der Hierarchien hinaus, die lediglich das alte hierarchische Modell, wenngleich in schlankerer Form, perpetuiert.

Studien zeigen übereinstimmend, dass das tradierte Verständnis von hierarchischer Führung als nicht mehr zeitgemäß betrachtet wird und zunehmende Unzufriedenheit auslöst. Eine Studie der Initiative Neue Qualität der Arbeit ergab, dass drei von vier der befragten 400 Führungskräften (137 Vorstandsmitglieder, 116 Bereichsleiter/innen, 102 Abteilungsleiter/innen, 33 Teamleiter/innen) glaubten, dass sich der Führungsstil in deutschen Unternehmen ändern muss, damit diese in der VUKA-Welt bestehen können (INQA 2014, S. 9). Diese Entwicklung hat schon Veränderungen mit sich gebracht. So sind 81 % der 300 von osb international befragten Führungskräfte der Überzeugung, dass sich die Art und Weise, wie Führung in Unternehmen gelebt wird, in den letzten Jahren stark verändert hat (Oswald und Lieckweg 2013).

Weiterhin wird die klassische Linienorganisation zunehmend abgelöst durch projektförmige Strukturen, in denen die Mitarbeiter/innen frei wählen können, an welchem Projekt sie gerne arbeiten möchten (wie z. B. bei Gore, wenn es um Innovationsvorhaben geht), um dann ihre Arbeitsleistung auf dem internen Markt anzubieten.

6 Arbeit löst sich von raumzeitlichen Bindungen

In vielen Organisationen wird Arbeit als grundsätzlich ortsungebunden gedacht. Ein zunehmender Anteil von Arbeit wird im Home-Office erbracht, die Anwesenheitspflicht wird aufgehoben, der feste Arbeitsplatz wird ersetzt durch shared space, in dem die Mitarbeiter/innen sich einen freien Gemeinschaftsarbeitsplatz suchen und dort ihr Notebook aufklappen. Überhaupt wandelt sich das Konzept von Raum: Die klassische Büroarbeitswelt differenziert sich aus in Ruhezonen, Kreativzonen mit spielerischem Ambiente, Meetingzonen mit Virtual-Reality-Konferenztechnik usw. Auch die Bindung an eine fixe Arbeitszeit wird immer häufiger aufgegeben und durch Vertrauensarbeitszeit ersetzt: Wann, wo und wie der Mitarbeiter das vereinbarte Ergebnis erbringt, ist in seine Selbstverantwortung gestellt. Diese Flexibilisierung kommt angesichts der Individualisierung der Lebensentwürfe einem beträchtlichen Teil der Arbeitnehmer/innen entgegen: So meinen 79 % der Befragten einer Studie des Branchenverbandes BITKOM, durch Arbeit von zu Hause aus ließen sich Beruf und Familie besser vereinbaren, 56 % finden, Arbeit von zu Hause aus mache zufriedenerFootnote 1 (BITKOM 2013). In einer Umfrage des Institutes der deutschen Wirtschaft (2015) geben immerhin 42 % der Befragten an, im Home-Office produktiver arbeiten zu können als im BüroFootnote 2.

7 Das Marktprinzip dehnt sich auf die Binnenverhältnisse der Organisation aus

Die „Responsiveness“ und Agilität zukünftiger Organisationen lassen sich nur steigern, wenn auch die Mitarbeiter in wesentlich höherem Maße Eigenverantwortung übernehmen. Wo starre hierarchische Strukturen durch Selbstorganisation abgelöst werden sollen, ist die Attitüde des typischen „Bediensteten“, der erst auf Anweisung tätig wird, hinderlich. Sattelberger (2015a, S. 13) sieht hier auch die Notwendigkeit, ein über lange Zeit hinweg ansozialisiertes Selbstverständnis zu verändern: „Unternehmensführungen, Personalmanager und Betriebsräte haben die Menschen viel zu lange in einer angelernten Unmündigkeit gehalten. […] Hier ist Verlernen und Neu-Lernen angesagt.“ Das neue Idealbild des Mitarbeiters ist der sich und seine Arbeitsweise ständig selbst optimierende Arbeitskraftunternehmer (Voß und Pongratz 1998; Bröckling 2007 spricht vom „unternehmerischen Selbst“). Im Ergebnis kopiert die Organisation die Logik ihrer Abnehmermärkte in ihre Binnenverhältnisse hinein – auf diese Weise können „Organisationen im Prozess ihrer Vermarktlichung die Kontingenz des Marktes in organisationale Zurechnungsbeziehungen überführen“ (Voswinkel (2005, S. 292); zitiert nach Minssen (2012, S. 27)). Das bedeutet: „Nicht mehr Mühe und Aufwand zählen, sondern Anerkennung kann nur der beanspruchen, der Erfolg hat“ (Minssen 2012, S. 130).

8 Humanisierung der Arbeitswelt oder digitaler Taylorismus?

Die beschriebenen Veränderungen eröffnen sowohl Organisationen als auch den in ihnen arbeitenden Menschen zahlreiche Chancen, bergen aber auch Herausforderungen, Risiken und Nachteile. Dieselben Entwicklungen, die auf der einen Seite zu einer Humanisierung der Arbeitswelt beitragen können, können auf der anderen Seite in einen neuen „digitalen Taylorismus“ (Sattelberger 2015a, S. 15) münden.

Die Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort geht mit einer Entgrenzung der Arbeit einher: Ebenso wie ein Mitarbeiter mit Vertrauensarbeitszeit am Vormittag an der Feier in der KiTa seiner Tochter teilnehmen kann, wird es zur Selbstverständlichkeit, dass die Mutter sich nach dem Abendessen aus dem Familienleben ausklinkt, um die Präsentation für den nächsten Tag vorzubereiten. Die Allgegenwärtigkeit mobiler Kommunikation schafft vielfach die Erwartung einer permanenten Erreichbarkeit. Entsprechende Versuche großer Unternehmen, die berufliche Kommunikation außerhalb der regulären Arbeitszeiten durch Abschalten der Server einzuhegen, dürfen im Wesentlichen als gescheitert betrachtet werden.

Gleichzeitig ist in den letzten Jahren ein deutlicher Anstieg psychischer Erkrankungen (insbes. Depression, Anpassungsstörungen, Burnout) konstatiert worden. Die DAK berichtet in ihrem Gesundheitsreport 2013 (DAK 2013), dass von 1997–2012 die durch psychische Erkrankungen verursachten Arbeitsunfähigkeitstage unter ihren Versicherten um 155,2 % zugenommen haben, während die Anzahl der AU-Tage im selben Zeitraum insgesamt ‚nur‘ um 18,4 stieg. Während sich dieser Anstieg teilweise durch andere Faktoren erklären lässt (z. B. einen Zuwachs an diagnostischer Kompetenz der Hausärzte, teilweise Ersetzung somatischer Diagnosen durch F‑Diagnosen), kann der Zusammenhang mit Veränderungen der Arbeitswelt als gesichert gelten. Die DAK-Studie erfasste beispielsweise das Ausmaß der Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit (Lesen dienstlicher E‑Mails, dienstliche Telefonate) und die dabei empfundene Belastung. Dabei zeigte sich, dass die Prävalenz psychischer Erkrankungen in der Gruppe mit hoher und sehr hoher Erreichbarkeit doppelt so hoch war wie in der Gruppe, die angab, selten oder nie privat erreichbar zu sein (DAK 2013, S. 95 ff.). Die Autoren kommen zu dem Fazit: „Schon ein mittleres Ausmaß an Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit ist mit einem erhöhten Risiko verbunden, unter einer Psychischen Störung zu leiden“ (ebd., S. 97).

Zwar gibt nur ein Drittel der Befragten an, das Lesen dienstlicher E‑Mails außerhalb der Arbeitszeit belaste sie sehr (4,3 %) oder etwas (31,8 %), doch kehrt sich dieses Verhältnis bei der Frage nach Anrufen von Kollegen und Vorgesetzten um: Hier sind es nur 36,5 % der Befragten, die dies nicht als belastend erleben, 51,9 % finden solche Anrufe in der Freizeit als etwas belastend, 11,5 % sogar als sehr belastend. Vermutlich hängt dies damit zusammen, dass der Abruf von E‑Mails im Gegensatz zu eingehenden Telefonaten weitestgehend selbstbestimmt gesteuert werden kann.

Dafür spricht auch eine Untersuchung von Chevalier und Kalutza (2015) mit 1728 Befragten, nach der flexible Arbeitszeiten, Selbstbestimmung in der Arbeitsgestaltung signifikant mit gesundheitsgefährdendem Verhalten (z. B. Arbeit trotz Krankheit, Überschreiten der Leistungsgrenzen) und Burnout korrelieren, während Handlungsspielräume (z. B. Einfluss auf Arbeitszeiten, Inhalt und Umfang der Arbeit) das Auftreten gesundheitsgefährdenden Verhaltens abschwächen. Auch der Fehlzeitenreport 2012 der AOK (Badura et al. 2012) belegt einen Zusammenhang zwischen entgrenzter Arbeit und Beschwerden wie Erschöpfung oder Verlust der Fähigkeit, in der Freizeit abschalten zu können.

Den bedeutsamsten Risikofaktor der Studie von Chevalier und Kalutza stellt die Steuerung über immer höhere Ziele (‚Zielspirale‘) dar. Beschleunigung ist, wie Hartmut Rosa (2013) analysiert hat, ein zentrales Charakteristikum der Spätmoderne, das sich auch in der Arbeitswelt manifestiert: „Immer schneller, immer mehr“ (Junghanns und Morschhäuser 2013) ist das zentrale Erleben vieler Arbeitnehmer/innen. Starker Termindruck, schneller Arbeitsrhythmus und Arbeiten an der Grenze der eigenen Leistungsfähigkeit werden auch von den über 17.500 Befragten des Stress-Reports Deutschland 2012 (Lohmann-Haislah 2012) als belastendste Merkmale des Arbeitslebens benannt (neben Unterbrechungen bei der Arbeit, starren Vorgaben und Multitasking, vgl. Abb. 2). Inwieweit Verdichtung und Entgrenzung der Arbeit zu einem Anstieg von Überstunden führen, ist angesichts einer lückenhaften und nicht eindeutigen Datenlage umstritten. Brautzsch et al. (2010) kommen aber bei der Auswertung von Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu dem Ergebnis, „dass der gesamtwirtschaftliche Arbeitseinsatz infolge der Nichtberücksichtigung der unbezahlten Überstunden erheblich unterschätzt wird“ (S. 315), die größte Anzahl liegt dabei im Dienstleistungsbereich sowie bei höher qualifizierten Tätigkeiten und Führungsaufgaben, also dort, wo die Flexibilisierung der Arbeitszeit am weitesten vorangeschritten ist.

Allerdings zeigt sich auch, dass sich die im Stress-Report erfassten Belastungen in den sechs Jahren seit der Vorbefragung im subjektiven Erleben nicht verschlimmert haben (für einen Überblick und eine Diskussion des Forschungsstandes vgl. Eichhorst und Tobsch 2015)

Abb. 2
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Anforderungen aus Arbeitsinhalt und -organisation und daraus resultierende Belastung (aus Lohmann-Haislah 2012, S. 35)

Der in den letzten Jahren zu verzeichnende Boom von Maßnahmen im Bereich Gesundheitsmanagement/Resilienzförderung lässt sich vor diesem Hintergrund nicht nur als Ausdruck einer wachsender Führungsfürsorge für die (alternden) Belegschaften interpretieren, sondern auch durchaus kritisch als Programm zur Sicherung einer möglichst hohen Arbeitsleistung, das die Symptome einzugrenzen sucht, ohne die Ursachen, nämlich immer stärker belastende Arbeitsbedingungen, zu beseitigen.

Von dieser Perspektive aus betrachtet, birgt die neue Arbeitswelt nicht nur Chancen für ein selbstbestimmteres Arbeiten, sondern auch eine Reihe von Zumutungen.

Die wichtigste dieser Zumutungen besteht im Aufbau einer ganz neuen Qualität an Grenzmanagement im Verhältnis von Individuum und Organisation. Führungskräfte haben die Belastungsgrenzen ihrer Beschäftigten heute sehr viel sorgfältiger in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit zu rücken, weil sie nicht unterstellen können, dass die betroffenen Individuen angesichts des grenzenlos gewordenen Zugriffs auf ihr Leistungsvermögen über die erforderlichen Selbstschutzmechanismen verfügen. Gleichzeitig gilt es heute mehr denn je, ganz explizit die Selbstachtsamkeit der Beschäftigten mit Blick auf ihre eigene Selbstausbeutungsbereitschaft, ihre eigenen Überforderungstendenzen etc. (vgl. zu diesen Tendenzen und ihren gesellschaftlichen Ursachen Ehrenberg (2008)) zu fördern, und zwar als unverzichtbares Qualifikationsmerkmal, das die Organisationsmitglieder in der Verantwortung für sich selbst, ihre Gesundheit, ihr Wohlbefinden und ihre Regenerationsfähigkeit stärkt. Nur in dieser Steigerung an Achtsamkeit auf beiden Seiten werden die in die heutigen Arbeitsverhältnisse eingebauten Risikopotenziale beherrschbar werden. Für diese anstehenden Lernprozesse ist es weder hilfreich, die Illusion hierarchiefreier Organisationen ohne Manager und Führungskräfte zu befördern (so Hamel 2011), noch hilft uns die gesellschaftskritische Diagnose weiter, der Kapitalismus habe sich inzwischen bereits so weitreichend in der Psyche der Menschen festgesetzt bis hin zu einer „spirituellen Vereinnahmung“ (Sattelberger 2015b, S. 49), dass sich die Individuen aus eigenem Antrieb bis zur Selbstzerstörung verausgaben. In beiden Fällen handelt es sich um realitätsunangemessene Vereinfachungen, die sich allerdings gerade aktuell wieder einer wachsenden Beliebtheit erfreuen.

9 Konsequenzen für Arbeit, Management, Führung und Beratung

Wie dieser Beitrag gezeigt hat, enthält die neue Arbeitswelt gleichermaßen Chancen und Risiken. Ob im konkreten Fall Chancen oder Risiken überwiegen, hängt von der Ausgestaltung durch die Organisation und von den Kompetenzen der einzelnen Mitarbeitenden ab. In vielen Fällen wird ein Paradigmenwechsel unumgänglich sein, um in der VUKA-Welt erfolgreich zu sein und sich für die Potenzialträger/-innen der Generation Y attraktiv zu machen. Einige Organisationen werden sowohl nach innen als nach außen hin flexibler werden müssen. Dies setzt eine neue, egalitärere Führungskultur und eine Schaffung von Strukturen voraus, die eigenverantwortliches Handeln fördern. Für viele Unternehmen würde dies nicht nur einen radikalen Kulturbruch, sondern auch massive Friktionen mit den aktuellen Geschäftsstrukturen bedeuten. Andere Organisationen mit weniger volatilen Umwelten werden (noch) nicht betroffen sein – in diesen Organisationen wird es sehr viel schwerer und auch nicht notwendig sein, Veränderungsenergie für die Entwicklung in Richtung der ‚Organisation Y‘ aufzubauen.

Neue Formen des Organisierens, wie sie in Abschn. 5 beschrieben sind, sind zurzeit noch im Erprobungsstadium – hier ist ein gesamtwirtschaftlicher Lernprozess im Gange, der keine Blaupausen und Handlungsanweisungen für die Umgestaltung von Organisationen im Einzelfall bereithält. Insofern stellt der Weg in eine neue, flexiblere Organisationswelt für Management, Führungskräfte und Berater/innen immer ein Experiment mit offenem Ausgang dar. Dieser Prozess stellt nicht nur ein Betätigungsfeld für eine innovationsfreudige und organisationstheoretisch informierte und ethisch aufgeklärte Beratung (Wimmer 2012a; Wimmer et al. 2015; Heintel et al. 2006) sowie ein spannendes Feld für die Beratungsforschung dar, sondern vor allem ein gemeinsames Lernfeld für Unternehmen, Beratungspraxis und Beratungswissenschaft. Dabei kann nicht zuletzt die interne Beratung als mögliche Schaltstelle für die unterschiedliche Steuerungslogiken der Veränderung und als Herzstück der organisationalen Selbststeuerungsfähigkeit eine größere Bedeutung gewinnen (Ameln 2015).

Um Neuauflagen tayloristischer Prinzipien zu vermeiden, wird es essentiell sein, mit der Eröffnung von Freiräumen durch die Einführung von Vertrauensarbeitszeit, die Umgestaltung des Workspace etc. nicht in erster Linie auf eine quantitative Leistungssteigerung, sondern vor allem auf eine qualitative Weiterentwicklung in Richtung einer salutogenen Arbeitskultur (Haubl 2013) abzuzielen. Mit der neuen Arbeitswelt verbindet sich die Chance für eine Humanisierung der Arbeitswelt auf dem Weg zu einer neuen Qualität guter (im Sinne von sinnstiftender) Arbeit (INQA 2014). In vielen Bereichen wird der traditionelle psychologische Vertrag – Sicherheit und Kalkulierbarkeit (in Bezug auf den Arbeitsplatz, die beruflichen Perspektiven oder den zu erwartenden Arbeitsaufwand) gegen Engagement und langfristige Bindung an den Arbeitgeber – umgeschrieben werden müssen. Wenn die ‚neue Arbeitswelt‘, wie in Abschn. 1 skizziert, vielfach mit einem Wegfall von Sicherheiten einhergeht, löst dies nicht nur materielle, sondern auch psychologische Unsicherheiten aus, denn Arbeit ist ein konstitutiver Teil der eigenen Identität (vgl. die Beiträge von Gergen und Keupp in diesem Band). Bei der Neugestaltung des psychologischen Vertrages zwischen Organisation und Mitarbeiter geht es daher nicht (nur) um neue Arbeitszeit- und Entlohnungsmodelle. Vielmehr wird eine Herausforderung darin bestehen, trotz wachsender Kontingenzen, steigender Wettbewerbsorientierung innerhalb der Organisation (Abschn. 7) usw. den Mitarbeiter/innen eine ‚emotionale Heimat‘ zu vermitteln. Diese ist mit einem vordergründig verstandenen Employer Branding nicht zu erreichen, sondern muss für die Mitarbeiter/innen sinnstiftend, vertrauenswürdig und trotz aller Veränderungsdynamik emotional verlässlich sein. Arbeitszufriedenheit und Verbundenheit mit dem Unternehmen sind zentrale Stützpfeiler des psychologischen Vertrages (Raeder und Grote 2012) und werden es auch in der neuen Arbeitswelt bleibenFootnote 3.

Dies wird für viele Unternehmen auch eine Arbeit an Werten und Organisationskultur bedingen, innerhalb dessen nicht nur der formale Rahmen der Leistungserbringung verändert, sondern auch die latenten, ungeschriebenen Regeln (Ameln und Zech 2011) in den Blick genommen werden müssen.

Auch bei guten organisationalen Rahmenbedingungen verlangt die Flexibilisierung der Arbeit den Mitarbeitenden ein hohes Maß an selbstbezogenen und sozialen Kompetenzen ab. Man muss eigene Präferenzen und Grenzen erkennen, Interessenkonflikte zwischen Arbeit und Privatleben abwägen, die eigene Position gegenüber Kolleg/innen und Vorgesetzten vertreten die Perspektiven eigener Standpunkt/Team/Organisation trotz Widersprüchen zusammen denken können. Hier liegt eine große Aufgabe für Coaching und Supervision, die die Beteiligten im Umgang mit diesen Reflexionslasten und den mit der neuen Arbeitswelt verbundenen Paradoxien unterstützen können.