Im Jahr 2008 waren in Deutschland nach Daten des Labor Force Survey rund 16 % der Erwerbsbevölkerung geringqualifiziert (Lyly-Yrjänäinen 2008). Europaweit waren es rund 26 % der Erwerbsbevölkerung, und 58 % der europäischen Männer bzw. 44 % der Frauen führten einfache Tätigkeiten zumeist im produzierenden Gewerbe, im Groß- und Einzelhandel, in der Forstwirtschaft und im Baugewerbe aus (ebd.). Als Geringqualifiziert werden hier solche Personen bezeichnet, die einen geringen Bildungsstand haben (ISCED 0-2, max. 10 Jahre Schulbildung („Mittlere Reife“)) sowie Erwerbstätige, die einfache Tätigkeiten (ISCO 5-9) verrichten und die damit in den meisten Fällen auch nur ein geringes Einkommen erzielen (Lyly-Yrjänäinen 2008). Das durchschnittliche Bruttoeinkommen von Geringqualifizierten betrug 2009 in Deutschland durchschnittlich 26.000 € (Statistisches Bundesamt 2009) und das Armutsrisiko ist im vergangenen Jahrzehnt für Geringqualifizierte deutlich angestiegen (Lampert und Kroll 2010).

Geringqualifizierte arbeiten häufig in kulturell diversen Belegschaften, da fast jeder zweite (47 %) der 6,6 Mio. Erwerbsfähigen ohne berufsqualifizierenden Abschluss in Deutschland einen Migrationshintergrund hat (Statistisches Bundesamt 2011). Hierbei handelt es sich um Personen mit Migrationshintergrund im weiteren Sinne, nämlich alle „nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder in Deutschland geborenen Elternteil“ (Statistisches Bundesamt 2012). Etwa 40 % der Erwerbstätigen mit Migrationshintergrund arbeiten in Deutschland als Arbeiter und damit fast doppelt so häufig wie Erwerbstätige ohne Migrationshintergrund (Statistisches Bundesamt 2011). Innerhalb der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland stammen die größten Gruppen aus der Türkei (16 %), aus Polen (7,5 %) und Russland (6,7 %) (Ehling und Sommer 2010).

Angehörige der unteren sozialen Schichten, zu denen die Geringqualifizierten zählen, tragen nicht nur in Deutschland, sondern weltweit ein deutlich erhöhtes Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko als Personen mit höherem sozioökonomischen Status (Borrell et al. 2004; Klein 2008; Lampert et al. 2010). Der aktuelle Forschungsstand deutet daraufhin, dass im Hinblick auf das soziale Gesundheitsgefälle psychosoziale Stressprozesse die größte Bedeutung haben (Lampert und Kroll 2010; Steptoe und Marmot 2002; Wege et al. 2008): Materiell und sozial benachteiligte Personen sind häufiger psychosozialen Belastungen ausgesetzt, die eine gesundheitsförderliche Lebensweise erschweren (Lampert und Kroll 2010). Psychosoziale Belastungen resultieren nicht zuletzt aus den größeren arbeitsbezogenen Problemen und ungünstigeren Arbeitsbedingungen der Geringqualifizierten (Borrell et al. 2004; Kawachi und Marmot 1998; Marmot et al. 1997).

Trotz ihrer erheblichen Belastungen findet die Beschäftigtengruppe der Geringqualifizierten bisher wenig Beachtung in der arbeitswissenschaftlichen Forschung. Auch wird die häufig anzutreffende kulturelle Diversität dieser Belegschaften kaum thematisiert. Allenfalls werden Gesundheit und Arbeit von Geringqualifizierten einerseits und von Beschäftigten mit Migrationshintergrund andererseits behandelt, obwohl Erwerbstätige mit Migrationshintergrund eine gesellschaftlich äußerst heterogene Gruppe darstellen (Schenk et al. 2008), die sowohl geringqualifizierte, als auch qualifizierte und hochqualifizierte Beschäftigte umfasst. In diesem Beitrag werden daher die Ergebnisse einer eigenen Studie zur Arbeitssituation, gesundheitlichen Lage sowie zum psychischen Befinden von geringqualifizierten Beschäftigten in kulturell diversen Belegschaften dargestellt und in Bezug zu den bisherigen Forschungsergebnissen diskutiert. Zunächst soll jedoch ein Überblick über den Stand der Forschung zu den Arbeitsbedingungen und zur gesundheitlichen Lage von geringqualifizierten Beschäftigten sowie von Beschäftigten mit Migrationshintergrund gegeben werden.

1 Gesundheitliche Lage

1.1 Die gesundheitliche Lage von geringqualifizierten Beschäftigten

Personen mit geringem Sozialstatus schätzen ihren allgemeinen Gesundheitszustand und ihr psychisches Befinden schlechter ein als Personen mit höherem Sozialstatus (Borrell et al. 2004) und berichten mehr psychosomatische Symptome und Schmerzen (Eurofound 2012). Sie haben unabhängig von Alter, Geschlecht, Nikotin- und Alkoholkonsum einen höheren Blutdruck (Steptoe et al. 2003), zeigen häufiger das metabolische Syndrom (Chandola et al. 2006; Marmot et al. 1991) und erkranken häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Lebererkrankungen, Diabetes mellitus, chronischer Bronchitis, Osteoporose, Arthrose und Depression (Lampert und Kroll 2010). Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass auch das Risiko, an Lungen-, Magen- und Darmkrebs zu erkranken, mit dem sozialen Status korreliert (Geyer 2008). Das Risiko, vor dem 65. Lebensjahr zu sterben, ist für Personen in der niedrigsten Einkommensgruppe im Vergleich zur höchsten mehr als doppelt so hoch (Lampert et al. 2010). Die Lebenserwartung von Männern und Frauen in der untersten Einkommensgruppe ist zum Zeitpunkt der Geburt im Vergleich zur höchsten um 11 bzw. 8 Jahre geringer.

1.2 Die gesundheitliche Lage von Beschäftigten mit Migrationshintergrund

Da Personen mit Migrationshintergrund häufig einen geringeren Bildungsstand bzw. keine anerkannten Bildungsabschlüsse haben (Statistisches Bundesamt 2012), haben sie oft vergleichsweise schlechtere Aussichten auf dem Arbeitsmarkt und geringere Einkommenschancen. Aus diesem Grund sind sie im Vergleich zur einheimische Bevölkerung häufiger den Belastungen und Risiken ausgesetzt, die ein niedriger Sozialstatus mit sich bringt (Gerken et al. 2008; Robert Koch-Institut 2005). Darüber hinaus wirken häufig das Ereignis der Migration selbst und der migrationsbedingte Akkulturationsprozess als Belastung (Berry 2006; Carta et al. 2005). Unterschiedliche Wertesysteme, Sprachbarrieren, direkte bzw. indirekte Diskriminierung und nicht zuletzt schlechtere Arbeitsbedingungen stellen weitere Belastungen dar (Brzoska et al. 2010). Bezüglich des arbeitsbezogenen psychischen Befindens von Migranten gibt es bisher jedoch nur wenige Untersuchungen (siehe Vowinkel et al. (o.J.) in diesem Themenheft). Daten des Sozioökonomischen Panels zeigen, dass Personen mit Migrationshintergrund häufiger in ihrer Gesundheit beeinträchtigt sind als Personen ohne Migrationshintergrund (Lampert et al. 2010). Sie berichten z. B. häufiger von muskulo-skelettalen Erkrankungen bzw. Schmerzen und psychischen oder psychosomatischen Beschwerden (Oldenburg et al. 2010). Gleichzeitig zeigen Statistiken, dass ausländische und insbesondere türkische Beschäftigte häufiger von Arbeitsunfällen betroffen sind als deutsche Beschäftigte (Brzoska et al. 2010). Sie weisen auch die meisten Krankheitstage auf (ebd.). Ausländische Beschäftigte und insbesondere Personen türkischer Herkunft werden zudem häufiger als andere wegen Berufskrankheiten frühberentet, die in Zusammenhang mit schädlichen Arbeitsbedingungen stehen (Lampert et al. 2010).

Bei der Bewertung globaler Statistiken muss beachtet werden, dass Migranten eine höchst heterogene Gruppe darstellen, innerhalb der die Krankheitsrisiken je nach Sozialstatus, Herkunftsland, Geschlecht, Alter, Aufenthaltsdauer bzw. Einwanderergeneration ungleich verteilt sind (Schenk et al. 2008). Da Migranten mit höherer Wahrscheinlichkeit als die einheimische Bevölkerung einen geringen Sozialstatus haben, bleibt unklar, inwiefern die auf Basis repräsentativer Statistiken berichteten Unterschiede zwischen Migranten und Nicht-Migranten auf den Migrationshintergrund oder den Sozialstatus bzw. die berufliche Tätigkeit zurückzuführen sind.

2 Gesundheitsverhalten

Häufig werden ungünstige Lebensgewohnheiten von Personen mit geringem sozioökonomischem Status als Ursache für die ungleichen Gesundheitschancen betrachtet, die das Risiko für viele chronische Erkrankungen und Gesundheitsprobleme erhöhen (Lampert und Kroll 2010): Sie haben häufiger Übergewicht, rauchen öfter, treiben weniger Sport, ernähren sich ungesünder, konsumieren mehr Alkohol und nehmen seltener an gesundheitlichen Präventionsmaßnahmen teil (Lampert und Kroll 2010; Marmot et al. 1991; Robert Koch-Institut 2005; Steptoe und Marmot 2002). Das Gesundheitsverhalten erklärt jedoch nur einen begrenzten Teil der unterschiedlichen Gesundheitschancen (Marmot et al. 1997; Steptoe und Marmot 2002). Geringqualifizierte Arbeiter haben auch nach Kontrolle von verhaltensabhängigen Gesundheitsfaktoren wie Rauchen, körperlicher Aktivität und Body-Mass-Index noch doppelt so viele Krankheitstage wie höher qualifizierte Beschäftigte (Hanebuth et al. 2006). Zudem zeigen Studien, dass das Gesundheitsverhalten auch im Zusammenhang mit Arbeitsbelastungen steht: Rauchen, ungünstige Ernährung bzw. Übergewicht, Bewegungsmangel und Alkoholkonsum gehen mit belastenden Arbeitsbedingungen einher (Belkić und Nedic 2007; Lundberg 1999) und können auch als Reaktion auf belastende Arbeitsbedingungen in Form eines passiven Bewältigungsstils verstanden werden (Lundberg 1999). Ein ungünstiges Gesundheitsverhalten kann in Kombination mit hohen körperlichen Arbeitsbelastungen vor allem bei geringqualifizierten Beschäftigten die Wahrscheinlichkeit von Langzeiterkrankungen (von mindestens 8 Wochen Dauer) um bis zu 40 % erhöhen (Christensen et al. 2008).

3 Arbeitssituation

3.1 Die Arbeitssituation von Geringqualifizierten

Geringqualifizierte Arbeitnehmer haben häufig besonders ungünstige Arbeitsbedingungen, die zu chronischem Stress führen können. Dabei führen dem arbeitspsychologischen Stressmodell zufolge arbeitsbezogene Stressoren zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen, während Ressourcen gesundheitsförderlich und soziale und kognitive Anforderungen entwicklungsförderlich wirken (Bamberg et al. 2003; Zapf und Semmer 2004). Insbesondere die Kombination von hohen Belastungen und geringen Ressourcen kann zu psychischen und auch gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen (De Jonge et al. 2010; Doef und Maes 1998).

Geringqualifizierte haben häufiger als qualifizierte Beschäftigte befristete Arbeitsverträge und erfahren eine größere Arbeitsplatzunsicherheit (Borrell et al. 2004; Lyly-Yrjänäinen 2008). Sie haben in Deutschland das höchste Arbeitslosigkeitsrisiko und die höchste Arbeitslosenquote (Reinberg und Hummel 2003). Ihre Tätigkeiten sind im Vergleich zu anderen gekennzeichnet durch höhere körperliche Belastungen (Borrell et al. 2004; Hanebuth et al. 2006; Lyly-Yrjänäinen 2008; Niedhammer et al. 2008; Schreuder et al. 2008) und Umgebungsbelastungen (Borrell et al. 2004; Lyly-Yrjanainen 2008). Dazu kommen psychosoziale Belastungen wie hohe Konzentrationsanforderungen und Zeitdruck (Schreuder et al. 2008) sowie ein durch Maschinen vorgegebener Arbeitstakt (Lyly-Yrjänäinen 2008).

Diese Belastungen treten meist in Kombination mit geringen Ressourcen wie Kontrolle, sozialer Unterstützung oder geringen Gratifikationen durch die Arbeit auf (Borrell et al. 2004; Niedhammer et al. 2008; Rydstedt et al. 2007). Auch das Verhalten der Führungskräfte kann als arbeitsbezogene Ressource betrachtet werden. Un- und angelernte Beschäftigte in multikulturellen Belegschaften nannten im Rahmen einer Interviewstudie als wichtige führungsbezogene Ressourcen Interesse und Präsenz der Führungskraft, wertschätzendes Feedback, die regelmäßige, rechtzeitige und ausreichende Weitergabe von Informationen und die Beteiligung der Mitarbeiter an Entscheidungen (Winkler (o.J.) in diesem Themenheft). Gleichzeitig gaben die befragten Mitarbeiter zu verstehen, dass es insbesondere an Wertschätzung und Partizipation mangele (ebd.).

Insgesamt verrichten Beschäftigte mit geringen Qualifikationen häufig monotone Tätigkeiten mit geringer Variabilität und Komplexität (Borrell et al. 2004; Lyly-Yrjänäinen 2008). Ihre Arbeitstätigkeiten bieten nur wenig Möglichkeiten, Neues zu Lernen und damit nur geringe Entwicklungschancen (Lyly-Yrjänäinen 2008). Darüber hinaus nehmen sie auch seltener als andere Beschäftigte an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen teil (ebd.)

3.2 Die Arbeitssituation von Beschäftigten mit Migrationshintergrund

Vergleichende Studien zwischen Beschäftigten mit und ohne Migrationshintergrund zeigen, dass Migranten auf dem Arbeitsmarkt häufig benachteiligt sind. Migranten haben eine geringere Beschäftigungsquote als Nicht-Migranten, arbeiten häufiger schlecht bezahlt in einfachen Tätigkeiten und atypischen Beschäftigungsverhältnissen und sind öfter von Arbeitslosigkeit betroffen (Brinkmann et al. 2006; Eurofound 2007). Ihr höheres Erwerbsrisiko leitet sich v. a. aus Sprachproblemen, geringer Bildung bzw. fehlender Anerkennung von Bildungsabschlüssen und (indirekter) Diskriminierung ab (Brinkmann et al. 2006; Kirkcaldy et al. 2006). Besonders stark repräsentiert sind Migranten im produzierenden Gewerbe, im Baugewerbe, in Hotels und Gaststätten sowie im Gesundheits- und Pflege-Sektor (Eurofound 2007). Innerhalb dieser Sektoren verrichten häufig Ausländer die stark belastenden und gefahrvollen Arbeiten. Rund 20 % der Migranten erster Generation sind für ihre Tätigkeiten überqualifiziert, während dies nur für 10 % der Einheimischen gilt (Eurofound 2007). Eine repräsentative Untersuchung über verschiedene Berufsgruppen hinweg zeigt, dass Beschäftigte mit Migrationshintergrund häufiger als Beschäftigte ohne Migrationshintergrund körperlichen Belastungen und Umgebungsbelastungen ausgesetzt sind (Grofmeyer 2010; Oldenburg et al. 2010). Im Bereich der psychischen Anforderungen überwiegen bei den Migranten monotone und taktgebundene Arbeiten mit geringer Komplexität (Oldenburg et al. 2010). Gleichzeitig berichten sie seltener als deutsche Beschäftige ohne Migrationshintergrund von psychischen Belastungen durch Zeitdruck, Arbeitsunterbrechungen oder von Konfrontationen mit neuen Aufgaben. Sie sind jedoch – anders als die einheimische Mehrheit – in Gefahr, Opfer von Diskriminierung am Arbeitsplatz durch Kollegen, aber auch durch Vorgesetzte zu werden (De Castro et al. 2006; Wadsworth et al. 2007). Auch berichten Beschäftigte mit Migrationshintergrund häufiger von psychosozialen Belastungen durch belastendes Vorgesetztenverhalten (Grofmeyer 2010) bzw. mehr sozialen Stressoren (Hoppe 2011).

Die höheren Belastungen der Migranten werden im Vergleich seltener als bei Beschäftigten ohne Migrationshintergrund durch arbeitsbezogene Ressourcen abgefangen (Oldenburg et al. 2010).

Es wird deutlich, dass geringqualifizierte Beschäftigte und Migranten im Hinblick auf ihre Gesundheitschancen und auch bezüglich ihrer Arbeitssituation deutlich benachteiligt sind.

In der Literatur finden sich Studien, die ‚die Arbeitsbedingungen und die Gesundheit von Beschäftigten unterschiedlichen sozioökonomischen Status‘ oder von Beschäftigten mit und ohne Migrationshintergrund untersuchen, jedoch kaum Studien, die die Situation von geringqualifizierten Migranten und Nicht-Migranten in kulturell diversen Belegschaften betrachten. Die im Folgenden vorgestellte Studie beschreibt soll dazu beitragen, diese Lücke zu schließen, in dem sie die Arbeitssituation und die gesundheitliche Lage von geringqualifizierten Beschäftigten mit und ohne Migrationshintergrund in drei deutschen Betrieben beschreibt. Ausgehend von der verfügbaren Literatur wird davon ausgegangen, dass a) die Arbeitssituation der geringqualifizierten Beschäftigten insgesamt von hohen Stressoren und geringen Ressourcen geprägt ist, b) die Beschäftigten ein ungünstiges Gesundheitsverhalten haben und c) in ihrer Gesundheit beeinträchtigt sind. Bei der Darstellung der Ergebnisse wird auch auf Unterschiede zwischen Beschäftigten mit und ohne Migrationshintergrund eingegangen. Da bisher zur Arbeitssituation und differenziellen Gesundheit von Migranten und Nicht-Migranten derselben sozioökonomischen Statusgruppe kaum Ergebnisse vorliegen, werden hierzu keine Hypothesen formuliert.

4 Methodik

4.1 Erhebungsmethode

Die UntersuchungFootnote 1 umfasste einen Fragebogen zur Arbeitssituation und zum psychischen Befinden sowie eine kurze physiologische Untersuchung mit Interview. Die physiologische Untersuchung beinhaltete Blutdruckmessungen sowie die Bestimmung des Body-Mass-Index. Die Teilnahme an den Untersuchungen war freiwillig.

Der Fragebogen wurde den Studienteilnehmern in einer Pause an ihrer Arbeitsstätte vorgelegt. Eventuelle Fragen wurden von Projektmitarbeitern vor Ort beantwortet. Wenn die schriftsprachlichen Möglichkeiten der Teilnehmer es erforderten, wurden die Fragebögen vorgelesen. Der Fragebogen beinhaltete sprachlich vereinfachte und angepasste Skalen in Deutsch und jeweils einer weiteren Sprache, die unter den Befragten weit verbreitet war (Türkisch, Russisch und Polnisch). Der Fragebogen wurde vor den Übersetzungen in kognitiven Interviews (Willis 1994) in zwei Stufen mit 12 bzw. 10 repräsentativen Beschäftigten getestet und entsprechend der Anmerkungen der Interviewpartner modifiziert (Weech-Maldonado et al. 2001). Die Übersetzungen und Rückübersetzungen wurden von Muttersprachlern bzw. professionellen Übersetzern vorgenommen.

Die Arbeitsmerkmale wurden auf Basis einer qualitativen Interviewstudie mit geringqualifizierten Beschäftigten zu Belastungsfaktoren und Ressourcen bei der Arbeit ausgewählt. Der Fragebogen zur Arbeitssituation beinhaltete sprachlich vereinfachte und gekürzte Skalen bzw. Items des ISTA (Semmer et al. 1999) zu Zeitdruck, Umgebungsbelastungen und Handlungsspielraum sowie ein Item zu körperlicher Anstrengung bei der Arbeit aus dem ReSuM-Projekt (Busch et al. 2009a), (α = 0,59–0,71). Darüber hinaus waren ebenfalls sprachlich vereinfachte und gekürzte Skalen zu sozialen Stressoren unter Kollegen (Frese und Zapf 1987) (α = 0,62) sowie sozialer Unterstützung durch den Vorgesetzten (Frese 1989) (α = 0,82) enthalten. Die Antwortskalen waren jeweils vierstufig. Für die Ergebnisdarstellung wurden die Skalen- bzw. Itemmittelwerte am Trennwert 2,5 dichotomisiert.

Das psychische Befinden wurde durch die Skalen Irritation (Mohr et al. 2005), Psychosomatische Beschwerden (Mohr und Müller 2010), Emotionale Erschöpfung aus dem Maslach-Burnout-Inventory (Büssing und Perrar 1992) und Arbeitszufriedenheit aus dem COPSOQ (Nübling et al. 2005) erhoben (α = 0,70–0,85). Zusätzlich kam eine Skala zu arbeitsbezogenem Wohlbefinden zum Einsatz, die auf Basis von Interviewmaterial aus einer qualitativen Vorstudie (Vowinkel et al. (o.J.) in diesem Themenheft) sowie angepassten Items des WHO-5 (Brähler et al. 2007) entwickelt wurde (α = 0,82). Die Antwortskalen waren jeweils vierstufig. Auch hier wurden für die Ergebnisdarstellung die Skalenmittelwerte am Trennwert 2,5 dichotomisiert.

Die physiologischen Untersuchungen fanden während der Arbeitszeit in einem separaten Untersuchungsraum oder in einer abgeschirmten, ruhigen Ecke an der Arbeitsstätte statt. Vor der Blutdruckmessung wurden die Teilnehmer von Projektmitarbeitern zum gesundheitlichen Zustand und zur Medikamenteneinnahme befragt.

4.2 Stichprobenbeschribung

Die Stichprobe bestand aus 650 Beschäftigten in un- und angelernten Tätigkeiten aus drei mittelständischen Betrieben mit kulturell diversen Belegschaften. Dabei handelte es sich um die Arbeiter einer Großküche (N = 165), gewerbliche Beschäftigte eines Service-Dienstleisters (N = 103) sowie Arbeiter eines Kfz-Ersatzteil-Herstellers (N = 382). Der Rücklauf betrug 74 %. In die Analysen gingen 454 vollständig ausgefüllte Fragebögen ein. Blutdruckdaten lagen von 442 Beschäftigten vor.

Von den Befragten waren 48 % Frauen. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer betrug 41 ± 11 Jahre. Die durchschnittliche Dauer des Schulbesuchs wurde mit 10 Jahren angegeben. Rund 33 % hatten keine Berufsausbildung, 61 % hatten eine kurzzeitige Ausbildung oder Lehre abgeschlossen und 6 % hatten ein abgeschlossenes Studium.

Fünfzig Prozent der Teilnehmer hatten einen Migrationshintergrund. Der Migrationshintergrund wurde in dieser Studie in Anlehnung an die Definition des Statistischen Bundesamtes im weiteren Sinne definiert (Statistisches Bundesamt 2012). Auch unter den Beschäftigten mit Migrationshintergrund waren die Geschlechter gleichmäßig verteilt (52 % Frauen). Rund 78 % waren Migranten erster Generation und 22 % Migranten zweiter Generation. Die größten Migrantengruppen stammten aus ehemaligen Sowjetrepubliken (34 %), der Türkei (20 %), Polen (10 %), Italien (7 %) und Griechenland (4 %).

Die Beschäftigten mit Migrationshintergrund waren mit 41 Jahren durchschnittlich älter als Ihre Kollegen mit Migrationshintergrund (40 Jahre) und waren kürzer zur Schule gegangen. Sie hatten häufiger keinen Berufsabschluss (30 vs. 36 %) und seltener eine abgeschlossene Lehre (53 vs. 69 %), aber häufiger ein abgeschlossenes Studium (9 vs. 2 %) als Ihre Kollegen ohne Migrationshintergrund. Die mittlere Dauer der Betriebszugehörigkeit variierte sehr stark und betrug 8 ± 9 Jahre. Die soziodemografischen Merkmale der Stichprobe sind in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Soziodemografische Merkmale der Beschäftigten

4.3 Statistische Analysen

Die Statistischen Analysen wurden mit IBM SPSS Statistics 20.0.0 (IBM Corporations, New York, US) ausgeführt. Mittelwertsvergleiche wurden mit T-Tests gerechnet. Für die Berechnung von Häufigkeitsunterschieden wurden Chi-Quadrat-Tests gerechnet.

5 Ergebnisse

Die Ergebnisse zur Arbeitssituation der Geringqualifizierten sind in Tab. 2 dargestellt. Etwa jeder dritte Befragte hatte einen befristeten Arbeitsvertrag und 72 % arbeiteten im Schichtdienst, davon mehr als die Hälfte (52 %) auch in der Nachtschicht. Die Befragten arbeiteten im Durchschnitt 39,3 h pro Woche inklusive Überstunden, wobei hier Voll- und Teilzeitarbeitende zusammengefasst wurden. Die Beschäftigten in Teilzeit arbeiteten im Durchschnitt 25 h, während die Vollzeit-Beschäftigten im Mittel 41 h arbeiteten. Rund 45 % arbeiteten zwischen 30 und 40 h pro Woche und jeder zweite mehr als 50 h pro Woche. Von hohen körperlichen Anstrengungen bei der Arbeit waren 55 % betroffen, 69 % von Umgebungsbelastungen und 82 % von Zeitdruck. Soziale Stressoren seitens der Kollegen erlebten 10 %. Handlungsspielraum bei der Arbeit haben 19 % der Befragten und 53 % erfahren soziale Unterstützung durch die Vorgesetzten.

Tab. 2 Arbeitsmerkmale der Geringqualifizierten mit und ohne Migrationshintergrund

Schichtdienst

326 (72)

163 (72)

163 (72)

n.s.

Arbeitszeit > 30 Std./Woche

22 (5)

14 (6)

8 (4)

n.s.

Arbeitszeit 30–40 Std./Woche

206 (45)

102 (45)

104 (45)

n.s.

Arbeitszeit > 40 Std./Woche

226 (50)

111 (49)

115 (51)

n.s.

Körperl. Anstrengung

250 (55)

129 (57)

121 (53)

n.s.

Umgebungsbelastungen

311 (69)

164 (72)

147 (65)

n.s.

Zeitdruck

372 (82)

193 (85)

179 (79)

n.s.

Soziale Stressoren

47 (10)

26 (12)

21 (9)

n.s.

Handlungsspielraum

86 (19)

45 (20)

41 (18)

n.s.

Soziale Unterstützung/VG

240 (53)

117 (52)

123 (54)

n.s.

Zwischen den Beschäftigten mit und ohne Migrationshintergrund zeigten sich keine Unterschiede hinsichtlich der Arbeitssituation. Dies gilt auch für den Vergleich von Beschäftigten ohne Migrationshintergrund und Migranten der ersten und zweiten Generation (Werte nicht dargestellt).

Die Daten zu Gesundheit und psychischem Befinden sind in Tab. 3 dargestellt. Die Beschäftigten haben im Durchschnitt einen BMI von 27 ± 5. Rund 37 % sind normalgewichtig, 36 % haben Übergewicht und 26 % sind adipös (WHO 2008). Während 44 % der Untersuchungsteilnehmer ohne Migrationshintergrund normalgewichtig und 25 % übergewichtig waren, waren unter den Kollegen mit Migrationshintergrund nur 29 % normalgewichtig, aber 43 % hatten Übergewicht.

Etwa die Hälfte der Befragten waren Raucher, wobei die Beschäftigten ohne Migrationshintergrund mit 57 % häufiger rauchten als ihre Kollegen mit Migrationshintergrund.

Tab. 3 Gesundheit und psychisches Befinden der Geringqualifizierten mit und ohne Migrationshintergrund

Siebzehn Prozent der Befragten, gaben an, eine medizinisch diagnostizierte Hypertonie zu haben und 12 % nahmen regelmäßig blutdrucksenkende Medikamente ein. Der mittlere systolische Blutdruck lag bei 133 ± 16 mmHg, der diastolische bei 86 ± 11 mmHg. Ein Viertel der Untersuchungsteilnehmer, die keine blutdrucksenkenden Medikamente einnahmen, hatte den ermittelten Blutdruckwerten zufolge eine Hypertonie. In Bezug auf den Blutdruck liegen keine geschlechts- oder migrationsspezifischen Unterschiede vor.

Fünf Prozent der Befragten fühlten sich psychisch gestresst bzw. irritiert/gereizt und 44 % fühlten sich emotional erschöpft. Von psychosomatischen Beschwerden waren 24 % betroffen. Zufrieden mit ihrer Arbeit waren 86 und 74 % fühlten sich wohl bei der Arbeit. Die Untersuchungsteilnehmer mit Migrationshintergrund berichteten ein höheres arbeitsbezogenes Wohlbefinden als ihre Kollegen ohne Migrationshintergrund.

6 Diskussion

Die Ergebnisse stützen frühere Befunde, die nahelegen, dass die Arbeitssituation von Geringqualifizierten in kulturell diversen Belegschaften durch hohe Belastungen und geringe Ressourcen geprägt ist. Vergleicht man die Befragungsdaten mit den Ergebnissen des fünften European Working Conditions Survey (EWCS) (Eurofound 2012) zeigt sich, dass die Beschäftigten in dieser Studie deutlich häufiger einen befristeten Arbeitsvertrag und damit ein höheres Erwerbsrisiko hatten, als die deutsche Erwerbsbevölkerung insgesamt (37 vs. 10 %). Während in Deutschland nur 16 % der Erwerbstätigen Schichtarbeit verrichten, taten dies 72 % der Geringqualifizierten in dieser Studie. Dabei arbeiteten die Studienteilnehmer auch länger als die deutsche Erwerbsbevölkerung: In Deutschland arbeiten laut EWCS 80 % der Erwerbstätigen bis zu 40 h pro Woche und nur 20 % mehr als 40 h pro Woche, während von den Studienteilnehmern 50 % mehr als 40 h pro Woche arbeiteten.

Wie erwartet, hatten die Geringqualifizierten häufiger körperlich belastende Arbeitstätigkeiten (55 vs. 48 %) und waren deutlich häufiger Umgebungsbelastungen ausgesetzt (69 vs. 30 %) (Eurofound 2012). Sie erlebten häufiger Zeitdruck (82 vs. 73 %) und deutlich weniger Handlungsspielraum als der Durchschnitt der Erwerbsbevölkerung (19 vs. 57 %). Die soziale Unterstützung durch die Vorgesetzten scheint bei den Geringqualifizierten nicht unterdurchschnittlich ausgeprägt zu sein (53 vs. 47 %). Etwa jeder zweite Befragte fühlt sich demnach durch seinen Vorgesetzten sozial unterstützt.

Die Befragten dieser Studie berichteten auch etwa genauso häufig wie die deutsche Erwerbsbevölkerung von sozialen Stressoren (10 vs. 12 %). Zwar gibt es bisher auch in der Literatur keine Hinweise darauf, dass Geringqualifizierte mehr soziale Stressoren als qualifizierte Erwerbstätige erleben. Dennoch ist dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund einer kulturell diversen Belegschaft, in der Menschen mit unterschiedlichen, kulturell geprägten Wertvorstellungen und Verhaltensstandards zusammenarbeiten, bemerkenswert. Eine mögliche Erklärung für dieses Ergebnis mag die Arbeitsorganisation in den von uns untersuchten Betrieben sein: Die Arbeitsorganisation sah keine interdependenten Aufgaben vor, die kooperativ zu erledigen waren, so dass die Beschäftigten für die Ausführung ihrer Tätigkeiten kaum interagieren mussten. Auch gab es während des Arbeitsprozesses relativ wenige Möglichkeiten zur Kommunikation. Somit fehlten auch die grundlegenden Voraussetzungen für die Entstehung von Konflikten bzw. sozialen Stressoren bei der Arbeit (Putnam und Poole 1987). Auch die kulturelle Zusammensetzung der Arbeitsgruppen in unserer Stichprobe mag zu diesem Ergebnis beigetragen haben. Die Arbeitsgruppen waren zwar hinsichtlich der Herkunft ihrer Mitglieder äußerst heterogen. Die Beschäftigten mit Migrationshintergrund stammten jedoch größtenteils aus kollektivistisch geprägten Kulturkreisen (z. B. Süd-/Osteuropa, Türkei), was den Zusammenhalt innerhalb der Gruppen gestärkt, sowie auch das Konfliktverhalten innerhalb der Arbeitsgruppen beeinflusst haben mag (Hofstede und Hofstede 2005).

Interessanter Weise zeigen sich in dieser Studie insgesamt zwischen den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten mit und ohne Migrationshintergrund keine Unterschiede. Die verfügbare Literatur legt den Schluss nahe, dass Beschäftigte mit Migrationshintergrund gegenüber ihren einheimischen Kollegen hinsichtlich ihrer Arbeitssituation schlechter gestellt sind. In der Mehrheit werden in den zitierten Studien jedoch Beschäftigte und Migranten aller sozioökonomischen Statusgruppen in unterschiedlichen Tätigkeiten verglichen. Da Migranten jedoch aufgrund diverser Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt häufiger als Geringqualifizierte arbeiten und daher häufiger in den sozioökonomisch benachteiligten Gruppen vertreten sind (Statistisches Bundesamt 2012), bilden die repräsentativen Vergleichsstudien zwischen Migranten und Nicht-Migranten vermutlich zu einem erheblichen Teil qualifikationsbedingte Unterschiede der Arbeitssituation von höher- und geringqualifizierten Beschäftigten ab.

Die wenigen verfügbaren Studien, die homogene Gruppen von geringqualifizierten Beschäftigten mit und ohne Migrationshintergrund untersuchten (Hoppe et al. 2010; Hoppe 2011), kommen jedoch zu dem gleichen Ergebnis wie unsere Studie und berichten in Bezug auf aufgabenbezogene Stressoren und Ressourcen keine Unterschiede zwischen Migranten und Nicht-Migranten. In den Untersuchungen von Hoppe und Kollegen werden jedoch Unterschiede bezüglich sozialer Stressoren berichtet, die in dieser Studie nicht zu Tage treten. Eine mögliche Erklärung mag in den unterschiedlichen Operationalisierungen von sozialen Stressoren liegen: Während in unserer Studie ausschließlich nach sozialen Stressoren unter Kollegen gefragt wurde, beziehen sich die sozialen Stressoren bei Hoppe sowohl auf Kollegen als auch auf Vorgesetzte. Soziale Stressoren aufgrund des Vorgesetztenverhaltens wurden in unserer Studie jedoch nicht untersucht.

In Übereinstimmung mit der Literatur zeigten die Teilnehmer dieser Studie im Vergleich zur deutschen Gesamtbevölkerung ein ungünstigeres Gesundheitsverhalten. Die Untersuchungsteilnehmer waren seltener normalgewichtig (37 vs. 46 %), genauso häufig übergewichtig (36 %) und häufiger adipös (26 vs. 16 %) als die deutsche Gesamtbevölkerung (Robert Koch-Institut 2010). Dabei waren Migranten häufiger übergewichtig als die Beschäftigten ohne Migrationshintergrund. Da der BMI mit zunehmendem Alter steigt (Robert Koch-Institut 2012), könnte eine Erklärung für diesen Unterschied das höhere Durchschnittsalter der Migranten sein. Weitere Erklärungsansätze sind evtl. in unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten von Migranten und Einheimischen zu finden, die bisher vor allem für Kinder und Jugendliche belegt sind (Robert Koch-Institut 2008a; Winkler 2003). Eine geschlechts- und migrationsspezifische Analyse der Adipositasverteilung in der Stichprobe zeigt, dass Frauen mit Migrationshintergrund und Männer ohne Migrationshintergrund häufiger adipös sind. Die häufigere Adipositasprävalenz von Frauen mit Migrationshintergrund wird durch die Daten des Bundesgesundheitssurveys gestützt (Lampert et al. 2010; Robert Koch-Institut 2008b).

Die Raucherquote war wie erwartet unter den Untersuchungsteilnehmern höher als in der Gesamtbevölkerung: Während 2010 in Deutschland 37 % der Männer und 28 % der Frauen rauchten (Robert Koch-Institut 2010), waren es unter den Befragten 49 % der Männer und 48 % der Frauen. Dabei rauchten die Migranten insgesamt seltener als die Nicht-Migranten (40 vs. 57 %). Geschlechtsspezifische Analysen zeigen jedoch, dass die Unterschiede zwischen Migranten und Nicht-Migranten auf die geringere Raucherquote unter den Frauen mit Migrationshintergrund zurückzuführen ist (65 vs. 36 %). Insofern werden die Ergebnisse dieser Studie in Bezug auf die Frauen von den Daten des Mikrozensus gestützt (Robert Koch-Institut 2008b).

Bezüglich der Häufigkeit chronischer Erkrankungen sowie der Häufigkeit von Bluthochdruck unterscheiden sich die Teilnehmer dieser Studie nicht von der deutschen Gesamtbevölkerung. Der Prozentsatz von Beschäftigten mit chronischen Erkrankungen in der Stichprobe dieser Untersuchung entspricht nach Daten des EU-SILC (European Union Statistics on Income and Living Conditions) dem in der deutschen Bevölkerung (38 vs. 37 %) (Statistisches Bundesamt 2010). Nach Daten des Bundesgesundheitssurveys 2006 hatten 9 % der Frauen und 11 % der Männer unter 40 Jahren Bluthochdruck, bei den Männern zwischen 40 und 65 Jahren waren es 32 % und bei den Frauen derselben Altersgruppe 29 % (Robert Koch-Institut 2010). Im Vergleich hierzu ist die Prävalenz in dieser Studie in beiden Altersgruppen etwas geringer (18–39 Jahre: 6 % der Männer, 10 % der Frauen; 40–65 Jahre: 23 % der Männer, 27 % der Frauen) und es gibt keine Unterschiede zwischen Migranten und Nicht-Migranten. Neben den Personen, die eine medizinisch gesicherte Hypertonie angaben, hatte jedoch jeder Vierte bei den Messungen erhöhte Blutdruckwerte, die auf eine behandlungswürdige Hypertonie hinweisen können und eine weitere Absicherung ratsam erscheinen lassen. Untersuchungen zeigen, dass auch in Deutschland die Inanspruchnahme von Präventionsleistungen und fachärztlicher Behandlung durch sozial Benachteiligte gering ist. Zuzahlungen und Praxisgebühr wirken dabei als finanzielle Hindernisse (vgl. Steinhausen et al. 2008). Die recht geringe Häufigkeit von diagnostiziertem Bluthochdruck in dieser Stichprobe in Verbindung mit dem recht hohen Anteil von Blutdruckwerten im hypertonen Bereich können Hinweise darauf sein, dass eine möglicherweise bestehende Hypertonie unter den Geringqualifizierten wegen seltener Arztbesuche häufig nicht oder erst recht spät diagnostiziert wird.

Im Unterschied zu den zitierten repräsentativen Erhebungen (Lampert et al. 2010; Oldenburg et al. 2010) finden sich in dieser Studie keine Unterschiede bezüglich der gesundheitlichen Lage von Migranten und Nicht-Migranten. Dies kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass sich in den Ergebnissen von repräsentativen, vergleichenden Studien soziale Statusunterschiede abbilden, die mit dem Migrantenstatus konfundiert sind.

Bezüglich psychischer Befindensbeeinträchtigungen ergibt sich in unserer Stichprobe ein uneinheitliches Bild. Während sich nur fünf Prozent psychisch irritiert/gereizt fühlten, gab fast jeder Zweite an, emotional erschöpft zu sein und jeder Vierte litt unter psychosomatischen Beschwerden. Mangels Normwerten ist bezüglich dieser Daten kein Vergleich mit anderen Stichproben möglich. Die Daten legen jedoch nahe, dass Erschöpfungszustände und psychosomatische Beschwerden unter den Befragten relativ häufig sind, während eine über die Arbeitszeit andauernde kognitive Beschäftigung mit der Arbeit oder irritierte Stimmungen nur bei einem geringen Teil der Beschäftigten auftreten. In Kenntnis der recht monotonen und kognitiv wenig fordernden Tätigkeiten in Kombination mit Schichtarbeit erscheint dieser Befund durchaus plausibel.

Trotz belastender Arbeitsbedingungen waren die Beschäftigten genauso zufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen wie die durchschnittliche deutsche Erwerbsbevölkerung (86 vs. 88 %) (Eurofound 2012), wobei hier unklar ist, ob es sich nicht auch um eine resignative Zufriedenheit handelt (vgl. Bruggemann 1974). Fast dreiviertel der Befragten fühlten sich psychisch wohl bei der Arbeit. Dabei gaben die Migranten ein höheres Wohlbefinden an als die Nicht-Migranten, obwohl sie den hier berichteten Ergebnissen zufolge die gleiche Arbeitssituation vorfanden. Dieses Ergebnis widerspricht den bisherigen Befunden zur gesundheitlichen Lage von Migranten in Deutschland aus repräsentativen Untersuchungen (Lampert et al. 2010; Oldenburg et al. 2010), wird jedoch von vergleichenden Studien mit Geringqualifizierten gestützt. Die von Hoppe et al. (2010) untersuchten Lagerarbeiter mit Migrationshintergrund zeigten ein besseres Wohlbefinden als die Kollegen ohne Migrationshintergrund, obwohl sie sich nicht hinsichtlich ihrer psychosozialen Arbeitsbedingungen unterschieden. Eine mögliche Erklärung für das bessere psychische Wohlbefinden der Migranten ist der „Healthy Migrant Effect“, demzufolge mit erhöhter Wahrscheinlichkeit psychisch und physisch belastbare Personen emigrieren, die zunächst trotz ihrer erschwerten Lebensumstände ein besseres Wohlbefinden als die einheimische Bevölkerung haben (Hoppe et al. 2010; Kirkcaldy et al. 2006). Mit der Zeit geht dieser Gesundheitsvorsprung jedoch verloren, was u.a. auf enttäuschte Erwartungen, Anpassungsprozesse und hohe, migrationsbezogene und sozioökonomische Belastungen zurück zu führen ist (Kirkcaldy et al. 2006). Neben einem „Healthy Migrant Effect“ zu Beginn des Aufenthalts im Zielland kann zu einem späteren Zeitpunkt auch eine Kumulation von Gesundheitsrisiken aus dem Herkunfts- und dem Zielland auftreten (Schenk et al. 2008). Eine alternative Erklärung bieten weit verbreitete finanzielle Motive der Migranten: Eine im Vergleich zum Herkunftsland höhere wirtschaftliche Stabilität des Ankunftslandes kann einen Schutzfaktor darstellen (Carta et al. 2005). Zudem zeigten Diener et al. (2003), dass sich das subjektive Wohlbefinden bei niedrigem Einkommen schon bei geringen finanziellen Verbesserungen erhöht.

Bei der Bewertung der Studienergebnisse muss beachtet werden, dass die Daten auf Selbstberichten der Beschäftigten beruhen. Insbesondere bei Befragungen zur Gesundheit in kulturell diversen Stichproben ist zu berücksichtigen, dass Unterschiede zwischen Befragten unterschiedlicher kultureller Herkunft teilweise auf ein unterschiedliches Fragenverständnis oder kulturell bedingte Antworttendenzen zurück zu führen sind (Owens et al. 2001). Obwohl die Konstruktion und Anpassung der Instrumente durch kognitive Interviews mit repräsentativen Vertretern der Stichprobe mit großer Sorgfalt durchgeführt wurde und die Befragten größtenteils die Möglichkeit hatten, die Fragen in ihrer Muttersprache zu beantworten bzw. sich bei Bedarf die Fragen vorlesen zu lassen, können kulturbedingte Verzerrungen nicht ausgeschlossen werden. Insbesondere Personen aus Herkunftsländern mit relativ großer Machtdistanz (z. B. Osteuropa, Türkei), die in unserer Stichprobe stark vertreten sind, weisen z. B. eher extreme Antworttendenzen auf, als Personen mit geringer Machtdistanz (z. B. Deutsche) (Johnson et al. 2005).

Die Ergebnisse der explorativen, vergleichenden Analysen zwischen Migranten und Nicht-Migranten müssen zudem vor dem Hintergrund der in dieser Studie gewählten, groben Operationalisierung von kultureller Diversität bewertet werden. Der Migrationshintergrund im weiteren Sinne (Statistisches Bundesamt 2012) ist nur eine Definition von vielen möglichen und umfasst in sich eine äußerst diverse Gruppe von Personen mit sowohl deutscher als auch nicht-deutscher Staatsbürgerschaft, mit und ohne eigene Migrationserfahrung, unterschiedlichem Alter und unterschiedlicher Geschlechtszugehörigkeit. Vergleichende Analysen, die die Zuwanderungsgeneration der Beschäftigten in unserer Stichprobe berücksichtigten, ließen keine generationsbedingten Unterscheide erkennen. Vergleiche zwischen Beschäftigten aus verschiedenen Herkunftsländern waren aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Länder und der begrenzten Stichprobengröße nicht möglich.

Darüber hinaus ist anzumerken, dass diese Stichprobe nicht repräsentativ ist, weshalb die Ergebnisse nicht generalisiert werden können. Die Verteilungen von Geschlechtszugehörigkeit, Bildungsstand, Alter und Migrationsstatus stimmen jedoch weitestgehend mit denen in der geringqualifizierten Erwerbsbevölkerung überein.

Schließlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich insbesondere Beschäftigte mit Migrationshintergrund aufgrund von Sprachschwierigkeiten oder Angst vor negativen Konsequenzen nicht an den Untersuchungen beteiligt haben (Owens et al. 2001). Bei den Befragungen wurden jedoch alle potentiellen Teilnehmer an einer Arbeitsstätte seitens der Untersucher persönlich eingeladen, sich zu beteiligen. Dabei entstand nicht der Eindruck, dass sich bevorzugt Migranten nicht beteiligt hätten. Illiteraten wurden die Fragebögen vertraulich vorgelesen und ein Großteil der Beschäftigten konnte die Fragen in der jeweiligen Muttersprache bearbeiten, so dass sprachliche Barrieren verringert wurden. Der gute Rücklauf von 74 % legt nahe, dass die Stichprobe einen repräsentativen Ausschnitt der untersuchten Belegschaften abbildet.

Diese Studie ist eine von wenigen, die die Arbeitssituation und Gesundheit einer homogenen Stichprobe von Geringqualifizierten in kulturell diversen Belegschaften detailliert beschreibt. Die Ergebnisse der vergleichenden Analysen zwischen Migranten und Nicht-Migranten sind somit kaum von sozioökonomischen Statusunterschieden zwischen Migranten und Nicht-Migranten verzerrt. Darüber hinaus wurden in dieser Untersuchung auch psychosoziale Tätigkeitsaspekte von geringqualifizierten Migranten und Nicht-Migranten betrachtet, die bisher in der Literatur wenig Beachtung finden.

7 Schlussfolgerungen

Dieser Beitrag resümiert den Stand der Forschung zur Arbeitssituation und zur gesundheitlichen Lage von sozial benachteiligten, geringqualifizierten Beschäftigten in kulturell diversen Belegschaften und erweitert den Kenntnisstand um eine beschreibende Analyse der Arbeitssituation und Gesundheit von Geringqualifizierten Beschäftigten aus drei Betrieben in Deutschland. Die Ergebnisse legen nahe, dass geringqualifizierte Migranten und Nicht-Migranten gleichermaßen bezüglich ihrer Arbeitssituation benachteiligt und psychisch beeinträchtigt sind. Außerdem zeigen sie ein ungünstiges Gesundheitsverhalten. Zur Abklärung der Frage, inwiefern die Beschreibungen von Arbeitsmerkmalen durch Migranten und Nicht-Migranten durch unterschiedliches Antwortverhalten oder Fragenverständnis beeinflusst sind, sind in künftigen Studien ergänzende Beobachtungsinterviews indiziert. Weitergehende Fragen betreffen die (differenzielle) Wirkung verschiedener Arbeitsmerkmale auf das psychische Befinden und auf Gesundheitsindikatoren von Beschäftigten mit- und ohne Migrationshintergrund, die bisher kaum untersucht wurden. Arbeitsgestaltungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für Geringqualifizierte sind dringend nötig, aber rar (Ausnahmen bilden die Programme ReSuM (Busch et al. 2009b) und ReSuDi (Busch et al. 2010). Präventions- und Weiterbildungsangebote werden durch niedrigere Einkommensgruppen wenig genutzt. Der Zugang durch die Arbeitswelt bietet eine Möglichkeit, diese Zielgruppe zu erreichen (Busch 2011). Präventionsangebote sollten den Bildungsstand, die kulturelle Diversität sowie sprachliche Schwierigkeiten eines Teils der Zielgruppe berücksichtigen und sowohl die Arbeitsgestaltung als auch das Gesundheitsverhalten fokussieren.