Zusammenfassung
Hintergrund
Der vorliegende Beitrag behandelt den Ist-Zustand von Gesundheitsförderung in Österreich.
Methoden
Dazu wurde eine postalische Befragung der 500 größten privatwirtschaftlichen sowie der 103 größten öffentlichen Unternehmen in Österreich durchgeführt.
Ergebnisse
Verhaltens- und Teammaßnahmen im Rahmen von Gesundheitsförderung sind in hohem Maße (in >70% der befragten Organisationen) vorhanden. Allerdings sind die systematische Evaluierung von BGF-Maßnahmen und die Mitarbeiterpartizipation eher schwach ausgeprägt.
Schlussfolgerungen
Wie in jedem Organisationsentwicklungsprojekt ist es besonders bei einem sensiblen Thema wie Gesundheit und Gesundheitsförderung wichtig, die Mitarbeiter zu integrieren und die Projektzyklen einzuhalten.
Abstract
Background
The present paper describes and analyzes the current status of workplace health promotion programs in Austria.
Methods
The current status was analyzed using a quantitative survey.
Results
In Austria, most organizations have implemented behavioural and team-oriented interventions. However, participative programs and systematic evaluations are found less frequently than expected.
Conclusion
It seems necessary to focus on two critical success factors for health projects in Austria: increase the participation of employees and use systematic project management with closed learning cycles.
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Hintergrund
Die Beschäftigung von Wirtschaftsorganisationen mit Gesundheit und Krankheit hat eine lange, wenn auch sehr wechselhafte Tradition. In der westlichen Kultur der Neuzeit schrieb Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, als einer der ersten über arbeitsbedingte Krankheiten und den Weg, sie zu heilen [27]. Aktuell wird das Thema aus unterschiedlichen Gründen und Blickwinkeln betrachtet: dies reicht vom medizinischen Forschungsinteresse, über die Motivation durch ein humanistisches Weltbild, bis hin zu rein ökonomisch ausgerichteten Optimierungsversuchen.
Die große Vielfalt an Forschungsansätzen und Untersuchungszielen spiegelt sich auch in den vielen sich widersprechenden Forschungsergebnissen und daraus abgeleiteten Politiken und Ideologien wider. Die moderne gesundheitswissenschaftliche Sichtweise auf Prävention, Gesundheitsförderung und daraus weiterentwickelt Gesundheitsmanagement lässt sich jedoch zumindest institutionell auf die Ottawa-Charta der WHO zurückführen [32]. In dieser wird Gesundheitsförderung wie folgt definiert: „Health promotion is the process of enabling people to increase control over, and to improve, their health. To reach a state of complete physical, mental and social well-being, an individual or group must be able to identify and to realize aspirations, to satisfy needs, and to change or cope with the environment. Health is, therefore, seen as a resource for everyday life, not the objective of living. Health is a positive concept emphasizing social and personal resources, as well as physical capacities. Therefore, health promotion is not just the responsibility of the health sector, but goes beyond healthy life-styles to well-being“ [32]. Im Vergleich mit dem bis dahin vorherrschenden Verständnis von Gesundheit wurde mit dieser Definition ein entscheidender Wechsel von der Idee von Gesundheit als Zustandsperspektive zu einer Sichtweise als individuelles und kollektives Potenzial vollzogen [15].
In Bezug auf die Förderung dieses Potenzials werden in der Ottawa-Charta gleichwichtige, übergreifende Bereiche mit aufgeführt: „Health promotion policy combines diverse but complementary approches including legislation, fiscal measures, taxation and organizational change … Changing patterns of life, work and leisure have significant impact on health. Work and leisure should be a source to the health for people“ [32]. Gegen Ende der Charta wird dabei auf den sog. Settingansatz verwiesen, der seither als häufigstes Grundlagenkonzept für gesundheitsbezogene Interventionen gilt: „Health is created and lived by people within the setting of their everyday life; where they learn, work, play and love“ [32], wobei v. a. die Befähigung zu („enabling“), das Vermitteln und Vernetzen („mediate“) und die Schaffung von gesundheitsförderlichen Lebenswelten und gesundheitsförderlichem Handeln im Mittelpunkt stehen [28].
Die Arbeitswelt kann in diesem Kontext als ein zentrales Setting für einen Großteil der Bevölkerung angesehen werden. Daraus ergibt sich gleichzeitig die potenzielle Erreichbarkeit einer Vielzahl an Personen in diesem Setting. Insbesondere in Bezug auf berufstätige Männer, die sonst nur schwer mit Gesundheitsthemen erreicht werden können, ist dies als sehr günstig zu werten [7, 24, 25]. Zusätzlich sind aus rein pragmatischen Gründen finanzielle Mittel für Gesundheitsförderungsmaßnahmen vorhanden, da die Gesundheit der berufstätigen Bevölkerung Einfluss auf die Wirtschaftskraft von Organisationen und Staaten nimmt.
Wie verbreitet ist jedoch Gesundheitsförderung? Für Deutschland liegen drei umfassende Untersuchungen zum Stand Betrieblicher Gesundheitsförderung (BGF) vor: eine Längsschnittstudie in Thüringen und Hessen von Ulmer u. Gröben [30, 31], das IAB-Betriebspanel [13], sowie eine aktuelle Studie ebenfalls mit IAB-Daten von Beck und Schnabel [8]. Für Österreich sind lediglich Untersuchungen für das Bundesland Oberösterreich verfügbar. Mit dem Bereich Unternehmen beschäftigten sich Hirtenlehner u. Sebinger [12], mit dem Projekt „Gesunde Gemeinde“, für das Gesundheit in Betrieben jedoch eine eher untergeordnete Rolle spielte, befassten sich Pfaffenberger u. Pöschko [20]. Weitere großzahlige Untersuchungen existieren nicht, obwohl Österreich auch wegen der verschiedensten Förderungen und Unterstützungsmöglichkeiten durch das Netzwerk BGF, die Gebietskrankenkassen und dem Fonds „Gesundes Österreich“ häufig als international vorbildlich bei der Umsetzung von BGF dargestellt wird bzw. wurde [11, 28].
Ziel der vorliegenden Studie ist es daher, einen Überblick über Ist-Zustand, Ziele und Maßnahmen von BGF in bzw. für Österreich zu erstellen und damit eine Grundlage für weitere (Längsschnitt-)Untersuchungen zu schaffen.
Betriebliche Gesundheitsförderung
Die Europäische Union (EU) bezeichnet mit Betrieblicher Gesundheitsförderung alle „Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz“ [10]. Dafür wird meist ein zwischen Individuum und Organisation unterscheidender salutogenetischer Ansatz [1] angewandt. Belastungen auf individueller und/oder organisationaler Ebene können damit identifiziert sowie in weiterer Folge reduziert bzw. entsprechende Ressourcen aufgebaut werden [29]. In Zusammenhang mit diesen Ebenen wird auch zwischen Verhaltens- (individuelle Ebene) bzw. Verhältnisprävention (organisationale Ebene) differenziert, wobei zwar diese Unterscheidung, nicht jedoch die entsprechenden Bezeichnungen in dieser Arbeit verwendet werden. Der Grund dafür liegt darin, dass Prävention in seiner ursprünglichen Bedeutung die Vermeidung bzw. Zurückdrängung von Krankheiten bedeutet und noch nicht die Steigerung von Ressourcen meint. Gesundheitsförderung stellt sich daher wissenschaftstheoretisch als sog. strukturelle Erweiterung eines Paradigmas [9] dar und hat sowohl die Krankheitsprävention als auch die Gesundheitsförderung als Ziel [24].
Die EU postuliert für eine umfassende BGF folgende Leitkriterien als zentrale Erfolgsfaktoren:
-
die Partizipation aller relevanten Personen,
-
die Integration der Thematik in alle wichtigen Unternehmensbereiche,
-
ein systematisches Projektmanagement und
-
die sog. Ganzheitlichkeit von BGF [8].
Aus diesen Leitlinien, die auch in verschiedenen empirischen Untersuchungen und Expertenkommissionen [16, 29] immer wieder aufgegriffen werden, ergeben sich die zentralen Handlungsfelder und idealtypischen Abläufe von BGF: in einem ersten Schritt werden Betriebsvereinbarungen zum Ziel von Gesundheitsförderungen partizipativ erarbeitet. Die eigentlichen Gesundheitsförderungsmaßnahmen sind idealtypischer Weise in eine Projektorganisation eingebettet und starten mit einer Analysephase. Die Analysephase soll v. a. Hinweise auf salutogene bzw. pathogene Faktoren im Betrieb geben und bezieht sich in den meisten Fällen auf personalbezogene Daten wie Fehlzeitenanalysen, Mitarbeiterbefragungen etc. [16]. In Österreich wird Organisationen dazu von Seiten der Gebietskrankenkassen das Service angeboten, sich Gesundheitsberichte mit Branchenvergleichen und eigenen Befragungen ausarbeiten zu lassen. Wegen der rein öffentlichen gesetzlichen Versicherungen ist dies im Gegensatz zu Deutschland umfassend möglich. Auf Basis der selbst- oder fremderhobenen Analysedaten sollen anschließend Maßnahmen geplant, umgesetzt und zum Schluss evaluiert werden. Die Ergebnisevaluierung an Hand der ursprünglich gesetzten Ziele stellt wiederum den Ausgangspunkt für das Neustarten des Projektkreislaufs dar [4, 6, 22, 25].
Typische Instrumente, die im Rahmen von BGF-Projekten angewendet werden, sind v. a.:
-
der Steuerungskreis Gesundheit, welcher die Maßnahmen koordiniert,
-
der Gesundheitszirkel, der in Form partizipativ organisierten Kleingruppen als Analyseinstrument und Maßnahmenplanung funktioniert, wie auch
-
Mitarbeiterbefragungen zu Aspekten ihrer Arbeitstätigkeit und Gesundheit [2].
Insbesondere Gesundheitszirkel sollten in Österreich stark verbreitet sein, da sie umfangreiche organisatorische und personelle Unterstützung durch die Gebietskrankenkassen erfahren. Neben diesen drei häufig genannten Instrumenten gibt es eine Vielzahl weiterer, wie z. B. in Ulich u. Wülser [29] dargestellt: Experteninterviews, Arbeitssituationsanalysen, Fokusgruppen etc.
Trotz der Betonung partizipativer Ansätze im Rahmen der Projektinstrumente folgt BGF durchaus häufig ökonomischen Zielen. So sollen Mitarbeiter produktiver und Fehlzeitenkosten vermindert [4, 14], das Personalmarketing verbessert und die Mitarbeiterbindung erhöht werden [23], und (in Ablösung von Nullsummenspielen [3]) auch die Mitarbeiter durch mehr Wohlbefinden und Lebensqualität profitieren [21]. Doch wie stehen Organisationen in Österreich nun zu BGF und welche Maßnahmen führen sie durch?
Methode
Ausgehend von den vorab kurz präsentierten konzeptionellen Vorüberlegungen sowie auch verfügbaren Befragungsergebnissen und -instrumenten [5, 12, 31] wurde ein Fragebogen mit 141 Items entwickelt und bei einem „convenience sample“ ein Pretest durchgeführt. Anschließend wurde der Fragebogen den Personalverantwortlichen (Vorstandebene bzw. eine Ebene tiefer) der größten 500 österreichischen Privatunternehmen und ebenfalls den Personalverantwortlichen der 103 größten öffentlichen Verwaltungseinrichtungen bzw. Einrichtungen des Bundes, der Länder und der Kommunen postalisch zugesandt. Die Auswahl erfolgte aufgrund der jährlich im Herbst von der österreichischen Zeitschrift trend publizierten Rangliste der umsatzgrößten Unternehmen für die privatwirtschaftlichen Unternehmungen, sowie aus einer eigenen Größennalyse der unterschiedlichen Gebietskörperschaften und öffentlichen Verwaltung im Rahmen einer Lehrveranstaltung. Zur Erhöhung der Rücklaufquote fanden telefonische Erinnerungen statt.
Insgesamt antworteten 185 Unternehmen (30,7%), wobei die Antwortrate im öffentlichen Bereich mit 65 (63,1%) deutlich höher lag als im privaten Bereich mit 120 (24%). Innerhalb der antwortenden Unternehmen gab es eine grobe Übereinstimmung betreffend Branchen und Betriebsgrößen mit der Grundgesamtheit, lediglich militärische und polizeiliche Einrichtungen des Bundes sind aus – nach eigenen Angaben – Datenschutzgründen unterrepräsentiert.
Die Auswertungen fanden mit SPSS® Versionen 11, 14 und 16 statt, wobei für die vorliegende Arbeit neben Häufigkeitsverteilungen auch Unterschiedstestungen stattfanden. Dafür wurde für Nominalvariablen der χ2-Test verwendet, bei Likert-Skalen wurden die Verteilungen auf Normalverteilung geprüft und – da nie normal verteilt – die nicht-parametrischen Testverfahren Kruskal-Wallis-H bzw. Mann-Whitney-U angewandt. Ziel der vorliegenden Arbeit ist dabei v. a. die Exploration, die Explanation mit schließenden Hypothesen kann erst in Folgeuntersuchungen dargestellt werden.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Befragung werden gegliedert nach den typischen Phasen eines BGF-Projekts dargestellt.
Vorphase und strukturelle Rahmenbedingungen
In der Projektvorphase und bezüglich der strukturellen Rahmenbedingungen sind gerade im deutschsprachigen Raum – so auch in Österreich – Betriebsvereinbarungen zu Gesundheitsthemen zentral. Insgesamt 47,5% der Privatunternehmen, jedoch lediglich 30,6% der öffentlichen Betriebe und Verwaltungen haben zum Thema BGF-Betriebsvereinbarungen.
Wie in Abb. 1 dargestellt, ist der relative Anteil von Betriebsvereinbarungen zum Thema Gesundheitsförderung in Privatbetrieben signifikant höher (p=0,021) als in öffentlichen Unternehmen. Zwischen den Privatunternehmen gibt es weder nach Eigentumsverhältnissen noch nach Branchen signifikante Unterschiede. Bei den öffentlichen Unternehmen sind signifikante Unterschiede innerhalb der einzelnen Wirkungsbereiche sichtbar, insbesondere die öffentlichen Universitäten weisen tendenziell (p=0,055) weniger Betriebsvereinbarungen als andere öffentliche Einrichtungen auf.
Insgesamt bleibt aber die Bedeutung der Betriebsvereinbarungen hinsichtlich BGF zu bezweifeln, denn die meisten beziehen sich inhaltlich auf den Umgang mit Drogen und Suchtverhalten oder auch sehr spezifische innerbetriebliche Gefährdungspotenziale. Umfassende Betriebsvereinbarungen zu BGF sind lediglich in 2 von 75 Fällen gegeben.
Wahrnehmung von Berufskrankheiten, Einfluss der Organisation auf die Gesundheit und Initiativen für BGF
Die Wahrnehmung von Berufskrankheiten streut nur wenig. Durchschnittlich nehmen 15–20% der öffentlichen wie auch der privaten Unternehmen Berufskrankheiten ihrer Mitarbeiter wahr. Dabei gibt es weder zwischen den einzelnen Branchen noch Wirkungsbereichen signifikante Unterschiede. Einziger Ausreißer sind auch hier die öffentlichen Universitäten, bei denen die Personalverantwortlichen überhaupt keine Berufskrankheiten feststellen können.
Im Antwortverhalten auf die Frage nach dem Einfluss der Organisation auf die Gesundheit der Arbeitnehmer streuen öffentliche und private Unternehmen signifikant (p=0,038). So sehen private Unternehmen ihren Einfluss auf die Mitarbeitergesundheit als größer als die öffentlichen an. Innerhalb der beiden Eigentümergruppen gibt es keine signifikanten oder tendenziell signifikanten Unterschiede.
Bei der Frage, von wem die Initiative für BGF ausgeht, zeigen sich Überhänge von Betriebsärzten, Personalabteilung Sicherheitsfachkräften und Personalvertretung (Betriebsrat), wobei es keine signifikanten Unterschiede zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen gibt (Abb. 2). Innerhalb der Privatwirtschaft besteht im Dienstleistungssektor ein stärkerer Einfluss des Betriebsarztes (p=0,006) bei Initiativen zu Gesundheitsprogrammen im Vergleich zu produzierenden Unternehmen.
Planungsphase
Ein sowohl in der Planungs- als auch teilweise in der Umsetzungsphase verwendetes partizipatives Element im Rahmen von BGF stellen Gesundheitszirkel dar. Diese werden in Österreich stark durch die Koordinationsstellen der Krankenkassen (Krankenversicherungen) finanziell und organisatorisch gefördert (Abb. 3).
Gesundheitszirkel stellen zumindest institutionell in den Fördereinrichtungen in Österreich stark verankerte Instrumente dar. Dennoch sind diese bei 51% der privaten, als auch bei 56% der öffentlichen Unternehmen noch nicht in Planung.
Umsetzungsphase
Da Umstrukturierungen, Änderungen der Ablauf- bzw. Aufbauorganisation und ähnliches häufig nicht direkt als BGF-Maßnahmen zuordenbar sind, beziehen sich die im Anschluss dargestellten Maßnahmen insbesondere auf individuelle, gruppen- und familienbezogene Lebensbereiche. Das beobachtete Antwortverhalten der Unternehmen mit jeweils mehr als 95% Zustimmung bezüglich Optimierung von Arbeitsabläufen in Hinblick auf BGF, Optimierung von Betriebsstrukturen und Vergleichbarem scheint auch wenig glaubwürdig, dass dies hauptsächlich in Hinblick auf BGF erfolgt.
Insbesondere Führungskräftetrainings, Teamentwicklungsmaßnahmen, Kommunikations- und Konflikttraining dominieren interessanterweise die genannten Maßnahmen mit 72–80%. Danach folgen die BGF-Klassiker Fitness und Betriebssport. Am seltensten werden Suchtprävention, Herz-Kreislauf-, wie auch Krebspräventionsprogramme durchgeführt (Abb. 4).
Bei Work-life-Balance orientierten Maßnahmen gibt es große Unterschiede zwischen privaten und öffentlichen Unternehmen. Es dominieren eher Maßnahmen zur Vereinbarkeit Familie und Beruf, neben Sonderurlauben bei Krankheiten der Kinder bzw. von Pflegebedürftigen (mit >70%), verschiedene Möglichkeiten flexibler Arbeitszeiten, temporärer Veränderungen der Arbeitszeiten und sonstigen Sonderurlauben (alle >60%). Betriebseigene Kindergärten und -krippen werden nur in seltenen Fällen angeboten (10–15%). Interessanterweise zeigen sich nach eigenen Angaben die Privatbetriebe um einiges familienfreundlicher als öffentliche Unternehmen, die Möglichkeiten der Veränderungen von Arbeitszeiten zeigten sich dabei in unterschiedlichen Ausprägungen als signifikant (p=0,006–0,033). Lediglich bei Universitäten gibt es innerhalb des öffentlichen Sektors ein annähernd flächendeckendes Angebot familienfreundlicher Maßnahmen.
Evaluierungsphase und Schlussbetrachtung
Systematische Evaluierungen von Gesundheitsförderungsprogrammen finden meist noch nicht statt. Dennoch sehen sowohl öffentliche als auch private Unternehmen zu >90% einen starken Nutzenaspekt von BGF und werten diese nicht als Modeerscheinung. Zukünftig scheinen aber vor allem die aktuellen Themen Stress und Sucht in die österreichische BGF einzugehen, denn dies wünschen sich 64% bzw. 49% der befragten Organisationen.
Die Umsetzung von BGF wird lediglich von 3% der Unternehmen als sehr schwierig eingestuft, während 20% das als gar nicht schwierig betrachteten. Insbesondere die Leitungen von öffentlichen Universitäten, die zum Zeitpunkt der Befragung keine Berufskrankheiten, aber auch keine gemeinsame Verantwortung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer für die Gesundheit sahen, betrachten BGF als sehr einfach umzusetzen. Wenn BGF-Maßnahmen scheitern, wird häufig fehlendes Interesse der Mitarbeiter als Grund angegeben. So meinten knapp 40% der Unternehmen quer durch alle Branchen, dass dies der Hauptscheiterungsgrund sei.
Diskussion
Gesundheitsförderung scheint in Österreich ein Viertel Jahrhundert nach der Ottawa-Charta der WHO weit verbreitet [32]. Insbesondere Führungskräftetrainings, Teamentwicklungsmaßnahmen, wie auch Konfliktmanagementmaßnahmen werden in >70% der befragten Unternehmen angeboten. Die Systematik von BGF-Maßnahmen in Österreich, gerade was geschlossene Projektkreisläufe betrifft [25], zeigt jedoch einzelne Systemschwächen: So finden nach Angaben der befragen Unternehmen kaum detaillierte Evaluierungen statt. Idealtypischerweise sollen BGF-Ziele jedoch partizipativ formuliert werden, umgesetzt und anschließend auch evaluiert werden, um Erfolge und auch Nachhaltigkeit der Maßnahmen zu generieren.
Als problematisch könnte insbesondere die zwar durchaus vorhandene, allerdings nicht sehr hohe Verbreitung partizipativer Maßnahmen und Instrumente, wie etwa von Gesundheitszirkeln, betrachtet werden, die in lediglich etwa 30% der Unternehmen eingeführt sind. Die fehlende Einbindung der Mitarbeiter könnte mit ein Grund dafür sein, weshalb die Unternehmensleitungen in ca. 40% mangelndes Interesse der Mitarbeiter als Scheiterungsgrund von BGF-Projekten angeben.
Indirekt scheint dies die Expertenforderung nach verpflichtender Partizipation der Mitarbeiter zu bestätigen. Gerade Gesundheit zeigt sich als akzeptanzkritisches Gut [23], Gesundheitsförderung kann als Eindringen in die Privatsphäre des Individuums gesehen werden. Ein weiterer Aspekt dieses Themas können auch die oft fehlende interne Kommunikation [26] und die nicht an die Bedürfnisse der Mitarbeiter angepassten Nutzenbedingungen von BGF sein [17, 18, 19].
Eine Einschränkung der vorliegenden Studie sei erwähnt: es wurden derzeit noch keine „non-respondent analyses“ durchgeführt und ein Antwortbias der Unternehmen, die grundsätzlich am Thema BGF interessiert sind, kann daher nicht ausgeschlossen werden.
Fazit für die Praxis
In österreichischen Unternehmen sind im Rahmen von Betrieblicher Gesundheitsförderung vor allem Verhaltens- und Teammaßnahmen verbreitet. Im Moment noch nicht hinreichend verwirklicht sind hingegen zwei zentrale Erfolgsfaktoren für BGF: (1) geschlossene Projektkreisläufe mit Analyse, Formulierung, Implementierung und Evaluierung, sowie (2) eine angemessene Mitarbeiterbeteiligung. Dies kann zu fehlendem Wissen bezüglich der Bedürfnisse und Wünsche der Mitarbeiter hinsichtlich BGF und damit in weiterer Folge zu suboptimaler BGF-Gestaltung und geringem Interesse der Beschäftigten bzw. niedriger Teilnahmequote führen. Es wird daher empfohlen, auf eine verstärkte Einbindung der Mitarbeiterperspektive sowie die Einhaltung der Projektzyklen bei der Generierung und Umsetzung von BGF-Aktivitäten zu achten.
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Stummer, H., Nöhammer, E., Brauchle, G. et al. Betriebliche Gesundheitsförderung in Österreich. Praev Gesundheitsf 6, 75–80 (2011). https://doi.org/10.1007/s11553-010-0268-8
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