1. Einleitung

‚Gesunde MitarbeiterInnen in gesunden Betrieben‘ ist eine häufig verwendete Redewendung im Bereich Gesundheitsförderung. Das Ziel scheint oberflächlich gesehen eindeutig, nämlich so genannte Win-Win-Situationen durch erhöhte Gesundheit zu schaffen: das Unternehmen soll mehr Produktivität, mehr Gewinn und mehr Nachhaltigkeit erreichen, die MitarbeiterInnen sollen durch höhere Lebensqualität sowie niedrigere Morbidität und Mortalität ebenfalls davon profitieren (Badura & Hehlmann, 2003; Lowe, 2003). So einfach das Ziel klingt, so problematisch erscheint es vielfach bei der Umsetzung und Verankerung: viele Studien verweisen als zentralen Erfolgsfaktor der betrieblichen Gesundheitsförderung vor allem auf die Bedeutung von organisationalen Lernprozessen (z. B. Münch, Walter & Badura, 2003; Häfeli, Krenn & Maurer, 2006), die scheinbar im betrieblichen Gesundheitsbereich nicht so einfach zu bewerkstelligen sind. Ursachen dafür werden viele genannt, vom Grundkonflikt Individuum-Organisation (Argyris, 1957) gerade beim Thema Gesundheit (Haunschild, 2003; Stummer, 2006a; 2007a) bis zu Problemen der Umsetzung von Reformen allgemein (Brunsson, 2006).

Ziel der vorliegenden explorativen Studie ist es, zentrale Faktoren in Hinblick auf Gesundheitslernen in Organisationen sowohl konzeptionell als auch empirisch auszuarbeiten. Die Thesen, die als Ergebnisse diskutiert werden, können dabei als Empfehlungen für partizipatives Gesundheitslernen in Organisationen betrachtet werden.

2. Gesundheit, Gesundheitsförderung und Gesundheitszirkel

Gesundheit stellt ein Konzept dar, über das bei genauer Betrachtung kaum Einigkeit herrscht (Geißler & Geißler-Gruber, 2002), weder wissenschaftlich noch in der Praxis (Faltermaier, Kühnlein & Burda-Viering, 1998; Faltermaier, 2005). Wissenschaftlich werden oft biomedizinische, defizitorientierte oder auch bio-psychosoziale Betrachtungsweisen unterschieden, je nachdem welche Einflussfaktoren auf die Gesundheit in das Modell integriert werden. Weitere Betrachtungsweisen sind so genannte dichotome versus nicht-dichotome Ansätze. Bei ersteren ist jemand entweder gesund oder krank, bei zweiteren kann man sich dazwischen befinden oder auch beides sein: z. B. körperlich krank, aber vom Selbstverständnis und der sozialen Eingliederung her gesund (Ulich & Wülser, 2004). In der so genannten Gesundheitspolitik, die sich eher Krankheits- bzw. Krankenkassenpolitik nennen sollte, herrscht noch immer eine defizitorientierte, dichotome biomedizinische Sichtweise vor: Krankheit ist das Gegenteil von Gesundheit, sie wird von Noxen verursacht und Gesundheit wird durch Funktionsmittelwerte ohne eigenes Konzept ermittelt (Schaefer, 1993). Gesundheitsförderung in der Tradition der WHO (1986) zielt eher auf so genannte salutogene Sichtweisen, im Sinne Antonovskys (1979) bzw. in dessen Tradition: Gesundheit und Krankheit sind Extrempunkte im so genannten Gesundheits-Krankheits-Kontinuum. Gesundheit stellt dabei ein Multifacetten-Kontinuum dar. Dabei bewegen, sehr verkürzt beschrieben, unbewältigte Belastungen (von sozialen Problemen über Stress bis zu Bakterien) in einer oder mehreren Facetten den Menschen Richtung Krankheit, während Widerstandsressourcen (von körperlichen Dispositionen über allgemeine Bewältigungsmöglichkeiten bis zum so genannten Kohärenzgefühl) den Menschen in Richtung Gesundheit bewegen. Dabei ist es beispielsweise auch möglich, eine schwere körperliche Krankheit zu haben, aber psychisch gesund zu sein.

In salutogenetischer Tradition konzipieren Ducki und Greiner (1992) Gesundheit als Handlungs- und Problemlösefähigkeit sowie als Fähigkeit zur Emotionsregulation. Außerdem nennen Badura, Ritter und Scherf (1999) sowie Greiner (1998) ausreichende Bildung, angemessene fachliche und soziale Kompetenz, Motivation, Selbstvertrauen, positives Selbstwertgefühl, optimistische Grundeinstellung und eine dauerhafte, lebenslange Entwicklungs- und Lernfähigkeit als zentrale Gesundheitspotentiale. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit scheint insbesondere die Fähigkeit zur dauerhaften, lebenslangen Entwicklungs- und Lernfähigkeit relevant. Für eine ausführlichere Diskussion des Gesundheitsbegriffes sei der/die interessierte LeserIn auf Greiner (1998), Badura, Ritter und Scherf (1999), Faltermaier (2005) sowie Stummer (2006b) verwiesen.

Vorstehende Konzeptionen des Gesundheitsbegriffes verdeutlichen dessen Heterogenität. Jedoch unterscheiden sich nicht nur die wissenschaftlichen Definitionen stark. Die subjektiven Gesundheitstheorien, auch Laientheorien von Gesundheit genannt, zeigen sich in Untersuchungen als sehr komplex und einigermaßen schicht- und geschlechtsspezifisch, wenn auch diesbezüglich nicht eindeutig zuordenbar: von Gesundheit als Geschenk, als Balance bis Gesundheit als Leistungspotenzial liegt alles vor (Faltermaier et al., 1998). Zentral sind die persönlichen Sichtweisen insbesondere in Bezug auf Verhaltensänderungen, da Werte und Einstellungen sowohl die Akzeptanz als auch das Verhalten beeinflussen können.

Im betrieblichen Kontext beeinflussen Badura et al. (1999) zufolge unter anderen folgende organisationale Merkmale die Entstehung von Gesundheit oder Krankheit: Hierarchien, Führungsstil, Vertrauen und Teamorientierung. Zu einem vergleichbaren Schluss kommt Lowe (2003) in seiner Arbeit über gesunde Arbeitsplätze und gesunde Organisationen. Nach Semmer, Zapf und Dunkel (1999) stellen Probleme in der Arbeitsorganisation und Kooperationsenge betriebliche Belastungsfaktoren dar. Eine aktuelle großzahlige Studie weist insbesondere auf gemeinsam getragene Werte, soziale Beziehungen und die Qualität der Arbeit als zentrale, organisationale Gesundheitsressourcen hin (Badura & Greiner, 2007).

Gesundheitsförderung wird im deutschsprachigen Raum institutionell und wissenschaftlich in der Tradition einer salutogenen Sichtweise unter Hinweis auf die Ottawa Charta der WHO (1986) gesehen: „Health is created and lived by people within the setting of their everyday life; where they learn, work, play and love“ (WHO, 1986, S.7). Dabei stellt vor allem das Setting „Arbeitsplatz“ einen aus pragmatischen Gründen zentralen Interventionsbereich dar: (a) So wird für Firmen ein ökonomischer Nutzen unterstellt, (b) berufstätige Männer, eine Gruppe, die sich sonst kaum um Gesundheit kümmert, können dadurch erreicht werden und (c) durchschnittlich verbringen berufstätige Erwachsene mehr als 60% ihrer aktiv erlebten Zeit entweder an oder im sozialen Umfeld ihres Arbeitsplatzes (Naidoo & Wills, 2000). Gerade aus sozialer bzw. Genderperspektive wird daran kritisiert, dass die Zentralität der Erwerbsarbeit im Vergleich zur Nicht-Erwerbsarbeit in den Vordergrund gestellt wird (Baric, 1994). Dennoch handelt es sich um einen zumindest in Teilen im deutschsprachigen Raum weit verbreiteten Ansatz (Hirtenlehner & Sebinger, 2004; Ulmer & Gröben, 2004; Birgmann, Hirtenlehner & Sebinger, 2006; Stummer, 2007b). Ziel von umfassenden Gesundheitsförderungsprogrammen stellt immer einerseits die individuelle Verhaltensänderung als auch andererseits die Veränderung der Settings, der organisationalen Rahmenbedingungen dar. Meist werden schwerpunktmäßig Verhaltensprogramme (etwa Bewegungsprogramme, Rauchentwöhnungsprogramme, Rückenschulen etc.) angeboten, Ansätze zur Veränderung der betrieblichen Strukturen finden nur selten zentrale Berücksichtigung (Ulmer & Gröben, 2004).

Ein umfassendes und auf Grund der Förderung durch die Krankenkassen häufig verwendetes Instrument ist der so genannte Gesundheitszirkel (GZ). Gesundheitszirkel stellen partizipative Lösungsgruppen dar, die sich aus der Zirkelbewegung (Qualitäts- und Werkstattzirkel, Lernstatt und ähnliches) entwickelt haben (Johannes, 1996). Als Idealtypen wurden (a) das so genannte Düsseldorfer Modell von Slesina und von Ferber sowie (b) das Berliner Modell von einer Forschungsgruppe der TU-Berlin rund um Friczewski konzipiert, wobei in der Praxis meist Überschneidungen beider Konzepte eingesetzt werden (Ulich & Wülser, 2004). Der Ablauf beider Methoden kann analog zu Gruppenbildungs- und Projektmanagementkonzepten gesehen werden (Panter, 1995; Johannes, 1996). Gesundheitszirkel werden als eher aufwändig im Vergleich zu anderen kleineren Diagnose- und Interventionskonzepten gesehen, die Dauer der Zirkel beträgt meist 4-6 Monate (Vogt, 2003).

Das am Institut für medizinische Soziologie in Düsseldorf entwickelte Modell der Gesundheitszirkel orientiert sich in vielem an der Zirkelbewegung aus Qualitäts-, Sicherheits- bzw. Lernstattzirkel. Wesentlich ist eine Beteiligung einer gemischten Gruppe (z. B. operative ArbeiterInnen, Betriebsrat, MeisterInnen, Sicherheitsfachkraft, Betriebsärztin bzw. -arzt), die stellvertretend für die KollegInnen für eine definierte Dauer mit einer/einem externen ModeratorIn Arbeitsanforderungen in Punkto Gesundheit bearbeiten (Johannes, 1996).

Im Gegensatz zum Düsseldorfer Modell wurde unter Leitung der TU Berlin bei Volkswagen das so genannte Berliner Modell der Gesundheitszirkel entwickelt (Brandenburg, 1995). Die wesentlichen Unterschiede der beiden Ansätze lassen sich in der Gruppenzusammensetzung und der ursprünglichen Zielsetzung sehen. So setzt sich nach dem Berliner Modell die Gruppe aus Mitgliedern einer hierarchischen Ebene zusammen und mit Hilfe einer/eines externen StressmoderatorIn sollen Erfahrungen ausgetauscht werden und an der Vermeidung oder Bewältigung von Stressoren gearbeitet werden (Johannes, 1996).

In Österreich wird meist das so genannte Linzer Modell (Meggeneder, 2006) verwendet. Dabei wird insbesondere die Personalvertretung mit in die Zirkelarbeit eingebunden und als Erweiterung zum Düsseldorfer Modell neben der/dem externen ModeratorIn einE interneR ModeratorIn ausgebildet.

3. Lernen und Gesundheit

Eine zentrale Zielsetzung der Zirkelarbeit ist das Initiieren von Lernprozessen, beim Düsseldorfer Modell auch interhierarchisch. Gerade aus der Erfahrung, dass im Bereich der Gesundheitsförderung (GF) rein zentrale Programme oft wenig bis keine, wenn nicht kontraproduktive Wirkung entfalten, sollen Gesundheitszirkel die Partizipation an und die Akzeptanz der Maßnahmen fördern (Walter, 2003). Dies ist insofern zentral, als es sich bei Gesundheit um ein akzeptanzkritisches Thema im Betrieb handelt und daher Partizipation erfordert (Böhnisch, 1979).

Als einer der kritischen Faktoren in Gesundheitsförderungsprogrammen kann eine gemeinsame Sichtweise auf Gesundheit und GF gesehen werden (Badura & Hehlmann, 2003; Badura & Stummer, 2006). Wie vorhin erwähnt, variieren die subjektiven Sichtweisen von Gesundheit stark, daraus folgt These 1:

These 1a: Eine gemeinsame Mindestdefinition von Gesundheit und der Ziele für betriebliche Gesundheitsförderung ist erforderlich, um gemeinsam am Thema Gesundheit zu arbeiten und Lernprozesse zu initiieren.

Da wie bereits erwähnt, die Sichtweisen individuell, wie auch schicht- und geschlechtsspezifisch sehr unterschiedlich sind, kann davon ausgegangen werden, dass diese Definition(en) nicht einheitlich sein werden.

These 1b: Die unter These 1a genannte Definition ist, (unternehmens-)kulturell bedingt, somit zwischen den einzelnen Betrieben jedenfalls, möglicherweise auch innerhalb u n terschiedlicher Betriebsbereiche, stark unterschiedlich.

Basierend auf dem traditionellen Konsensmodell der deutschen und österreichischen Wirtschaft, welches trotz Bedeutungsverlust weiterhin Gültigkeit hat (Auer-Rizzi, Reber & Szabo, 2005), sollte es, gerade in größeren Einheiten, diesbezüglich Betriebsvereinbarungen zwischen der ArbeitgeberInnen- und der ArbeitnehmerInnenseite geben (Badura & Hehlmann, 2003; Badura & Stummer, 2006).

Ist nun diese Ausgangsbedingung einer gemeinsamen Mindestdefinition von Gesundheit geschaffen, sollten organisationale Lernprozesse gefördert werden. Ob und wie Organisationen lernen können diskutiert die Wissenschaft seit längerem. Spätestens seit March und Olsen (1976) hat sich der Begriff von Organisationalem Lernen (OL) als solcher jedoch durchgesetzt. Klassifikationen von OL finden sich etwa bei Eberl (1996), Schreyögg und Eberl (1998), Easterby-Smith, Crossan und Nicolini (2000) und bei Pawlowski und Neubauer (2001), deren Schema auf Grund der umfassenden Einordnung hier gefolgt wird. So gibt es (a) entscheidungsorientierte, (b) kognitive und wissensorientierte, (c) systemtheoretische, (d) kulturelle, (e) handlungsorientierte und (f) eklektische Ansätze.

Gemeinsamkeiten der Ansätze existieren hinsichtlich der Ebenen von Lernen, die sich meist auf Bateson (1985) beziehen und dabei Lernen I (Lernen von Anwendungen) und Lernen II (Lernen zu Lernen) unterscheiden. Argyris und Schön (1978) schließlich verwenden auch noch Batesons (1985) Lernen III, das Lernen, Lernen zu lernen und bezeichnen es als Deutero Lernen im Gegensatz zum Single-loop (Lernen I) und Double-loop Lernen (Lernen II).

Eberl (1996) sieht als zentralen Rahmen der OL-Ansätze den Begriff des Wissens, der von ihm sehr umfassend gesehen wird und etwa die Repräsentation in mentale Modelle (Senge 1990), kognitive Strukturen (Crozier & Friedberg, 1979) oder auch organisationale Landkarten (Argyris/Schön, 1978) integriert. Ausgehend von Eberls (1996) Sichtweise über Wissen kann dabei der Lernzyklus von Argyris und Schön (1978) als zentrales Praxis- und Analyseinstrument gesehen werden: Wissen – Akzeptanz – Handlung – Rückkoppelung. Wissen heißt noch nicht Akzeptanz, Akzeptanz heißt noch nicht Handeln und durch das Handeln werden sowohl intern als auch extern Feedbackschleifen induziert.

Abbildung 1
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: Lernen und Feedback im Kreislauf: eigene Darstellung in Anlehnung an Argyris und Schön (1978)

Im Diskurs ob nun Organisationen als solche lernen können, oder ob lediglich Individuen und Gruppen lernen können (Cyert & March, 1961) folgt vorliegende Arbeit Hedberg (1981, S. 6): „Although organizational learning occurs through individuals, it would be a mistake to conclude that organizational learning is nothing but the cumulative result of their member’s learning“. Dass Organisationen so etwas wie ein Gedächtnis besitzen, zeigt sich daran, dass selbst wenn Organisationsmitglieder wechseln, bestimmte Verhaltensweisen, Normen und Werte bewahrt bleiben. Bräuche, Rituale und Symbole sind Träger von Organisationstraditionen und -normen, die Lernen von Individuen innerhalb der Organisation beeinflussen (Hedberg, 1981).

Unabhängig davon, ob man Argyris und Schöns (1978) Zyklus des Wissens, der Akzeptanz, der Handlung und des Feedbacks oder andere Kreisläufe, die als geschlossene Zirkel für Lernprozesse wichtig scheinen (March & Olsen, 1976; Hedberg, 1981), zu Grunde legt, sind nach früheren Forschungsergebnissen Lernkreisläufe in Organisationen selten vollständig. Sei es durch Mythen, Kommunikationsdefizite, sich widersprechende Führungssysteme, die konfliktäre Feedbacks geben, oder einfach durch die so genannte Tyrannei des Tagesgeschäfts (Prahalad & Hamel, 1990), oft findet Lernen nur teilweise statt. Konflikte, Widersprüche oder Brüche im Prozessverlauf müssen Lernprozesse nicht notwendigerweise unterbinden, sondern können dann als wertvolle Impulse für Lernen gesehen werden, wenn es gelingt, diese konstruktiv und sinnstiftend in den Prozess aufzunehmen. Voraussetzung geschlossener Lernzyklen ist eine konsistente Integration des Themas in das tägliche Handeln, insbesondere von den Führungskräften, und in die Managementsysteme (Böhnisch & Stummer, 2005). Dass dies selten friktionsfrei passiert, zeigt die Praxis. Gesundheit erweist sich als schwer messbares, langfristiges Ziel: Produktionszahlen, Fehlerquoten etc. sind meist aktuell laufend verfügbar, die Auswirkungen etwa von Stress auf Gesundheit erst mit Verzögerungen. Ein Lernkreislauf zu BGF kann folglich nur vollständig sein, wenn die Abläufe und die Strukturen nicht zu sehr konfligierend intervenieren und die kurzfristigen Kennzahlen nicht die langfristigen Ziele außer Kraft setzen.

These 2: Organisationales Lernen zu Gesundheit und Gesundheitsförderung benötigt ein kontinuierliches Behandeln des Themas und eine Integration in Strukturen und Systeme.

Gesundheitszirkel stellen partizipative Gesundheitsinstrumente dar. Es besteht aber durch die Einführung partizipativer Instrumente die Möglichkeit, dass grundsätzlich die Erwartungen nach mehr Partizipation und Kooperation bei den Mitarbeiter/nnen geweckt werden (Etzioni, 1971; 1975) – im Sinne von Goethes Zauberlehrling „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los“ (WBG Stuttgart, 2008).

Diese Partizipationsdiskussion zieht sich auch durch die Diskussion der Literatur zu Selbststeuerung im Betrieb (Manz & Sims, 1987), wo insbesondere von Praktikern auf die Unumkehrbarkeit von Partizipationserhöhungen hingewiesen wird. Ein aktueller Überblick über Selbststeuerungsmodelle und deren Auswirkungen findet sich bei Dachs (2007).

These 3: Gesundheitszirkel und andere partizipative Gesundheitslernprogramme führen zu einer Steigerung des Wunsches nach Erhöhung der MitarbeiterInnenbeteiligung im Sinne verstärkter Kooperation generell.

Im Gesundheitsbereich wird der Einfluss der Führungskraft als zentral gesehen (Badura & Hehlmann, 2003; Stummer, 2007c), dabei wurde zwar der direkte Einfluss der Führungskraft als ‚signifikant Anderer‘ (Weick, 1995), nicht jedoch der Lernzusammenhang, betrachtet. Dabei ist gerade bei OL wie auch bei Individuallernen am Arbeitsplatz der Einfluss der unmittelbaren Führungskraft nicht zu unterschätzen. Bandura (1979) etwa weist in seiner ‚Sozialen Lerntheorie‘ auf die Bedeutung der Identifikation mit dem Vorbild in Hinblick auf Lernen hin. Auch wenn die Geschäftsleitung im Kulturbereich eine zentrale Rolle spielt, bei Identifikations- und Vorbildlernen ist es der/die direkte Vorgesetzte.

These 4: Gesundheitslernen in bzw. von Organisationen und deren Mitgliedern ist stark abhängig vom Vorbildverhalten der operativen Führungskräfte.

4. Methode

Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine explorative Studie, die auf einem deduktiv - induktivem Vorgehen basiert. Im Sinne der problemzentrierten Interviews (Witzel, 2000) wurden jedoch zuerst deduktiv oben angeführte Thesen gebildet und auch Sekundärdaten von abgeschlossenen Gesundheitszirkeln evaluiert.

Bei der Literaturanalyse ist darauf hinzuweisen, dass zwar jede Menge Einzelevaluierungen von GZ existieren, Multi-Projektanalysen jedoch kaum und wenn dann eher in Hinblick auf Gesundheitsressourcen bzw. ökonomische Erfolge (Sochert, 1998) oder im Bereich optimales Projektmanagement (Sageder, 2006). Obwohl in der GZ-Literatur das Lernen gefordert wird, fehlt die Analyse dazu fast vollständig.

Die im Rahmen des induktiven Vorgehens verwendeten Primärdaten stammen schwerpunktmäßig aus problemzentrierten Interviews, die entweder von den AutorInnen selbst oder von in Forschungsmethodik trainierten Studierenden im Rahmen von Seminaren in den Jahren 2003 bis 2007 erhoben wurden. Die Interviews wurden transkribiert, den Interviewten zur Kontrolle vorgelegt, danach verdichtet und paraphrasiert. Anschließend wurden Kategorien gebildet, die Interviews systematisiert und die daraus abgeleiteten Hypothesen den Führungskräften widergespiegelt und im Anschluss einem neuerlichen Auswertungsschritt unterzogen. Dieses Vorgehen folgt der qualitativen Inhaltsanalyse und Auswertung nach Mayring (2002).

Ein erstes Set an Interviews betrifft allgemein die Verantwortlichen für Gesundheitsförderung (im Regelfall die Environment-Health-Safety- (EHS)-Fachkraft oder in einigen Fällen der Personalvorstand) in Organisationen. Es handelt sich dabei um zehn Interviews über BGF und GZ, darin wurden allgemein Bedeutung, Bedingungen und Problemfelder bei BGF nachgefragt.

Ein zweites Set an Interviews stammt aus einer Befragung von jeweils drei Personen (PersonalverantwortlicheR, EHS-Fachkraft, BetriebsrätIn) in fünf Organisationen in den Jahren 2005 und 2006 und es behandelt explizit die Erfahrungen mit Gesundheitszirkel und wurde fünf bis zwölf Monate nach Beendigung der GZ durchgeführt.

Weiters wurden zwei Fallstudien mit multiplen Datenquellen erarbeitet, (a) in einem Automobilwerk und (b) in einem technischen Metall- und Maschinenbaubetrieb. In dem Automobilwerk wurden neben der Firmendatenanalyse acht problemzentrierte Interviews, eine MitarbeiterInnenbefragung wie auch teilnehmende Beobachtung bei Gesundheitszirkel in den Jahren 2006 und 2007 durchgeführt. In dem technischen Metall- und Maschinenbaubetrieb wurden von 2004 bis 2006 neben Firmendatenanalysen, 12 Personen aus verschiedensten Ebenen mehrmals interviewt und eine schriftliche TeilnehmerInnenbefragung 12 Monate nach den Gesundheitszirkeln durchgeführt. Bei beiden Betrieben wurden die Ergebnisse mehreren Entscheidungsträgern (Vorstand, Personalabteilung, Betriebsrat, operative Führungskräfte, ausgewählte MitarbeiterInnen) widergespiegelt um einerseits die Datenlage zu validieren und um andererseits den sozialen Kontext aus mehreren Perspektiven zu erfassen.

5. Ergebnisse

Insgesamt zeigen die Ergebnisse dieser Studie, wie andere Evaluierungen und Analysen auch (z. B. Slesina, 1995; Sochert, 1998), dass auf den ersten Blick hauptsächlich positive Erfahrungen mit BGF berichtet werden. So ist von Win-Win-Situationen allgemein und auch vom Stellenwert von Gesundheit für das Individuum und die Organisation die Rede. Ebenso wird die Relevanz von Lernprozessen für BGF betont. Erst durch Nachfragen in der Interviewsituation und durch die Konfrontation der Führungskräfte mit den Untersuchungsergebnissen, sowie aufgrund dieser beiden Datenquellen, ergibt sich ein differenzierteres Bild im Vergleich zur Ausgangssituation. Nachstehend werden die Ergebnisse, jeweils mit Bezugnahme auf die einzelnen jeweiligen Thesen präsentiert.

These 1a: Eine gemeinsame Mindestdefinition von Gesundheit und der Ziele für betriebliche Gesundheitsförderung ist erforderlich, um gemeinsam am Thema Gesundheit zu arbeiten und Lernprozesse zu initiieren.

Zwar wird in den Gesundheitszirkeln anfangs meist eine gemeinsame Arbeitsdefinition präsentiert, das Wissen als Ausgangsbasis für Lernprozesse im Sinne von Argyris und Schön (1987) wäre somit als gemeinsame Mindestdefinition vorhanden: Gerade operative Führungskräfte (in diesem Fall hauptsächlich Meister) und auch die ausschließlich männlichen Mitarbeiter im Automobilwerk schließen sich dieser Mindestdefinition jedoch nicht an, wie Rückfragen in den Interviews zeigten. Gefragt was Gesundheit sei, präsentieren diese Mitarbeiter zwar zunächst die kommunizierte Version. Wird diese jedoch weiter hinterfragt, etwa durch die Rückfrage, wann jemand gesund, wann jemand krank ist, finden sich deutliche Abweichungen. Im Sinne von Argyris und Schön (1987) besteht folglich ein starker Unterschied zwischen ‚espoused theory‘ und ‚theory in use‘. Operative Führungskräfte neigen tendenziell dazu, ein dem traditionellen biomedizinischen Modell entsprechendes, statisches, defizitorientiertes Bild von Gesundheit zu haben. Zugleich betrachten sie Gesundheit auch dynamisch, insofern als sie in ihr ein Leistungspotential sehen. Das gemeinsame Auftreten von dynamischer und statischer Sichtweise wird von Faltermaier et al. (1998) ebenfalls thematisiert.

In Übereinstimmung mit den operativen Führungskräften findet sich ein defizitorientierter, allerdings sehr eng gefasster Gesundheits- und Krankheitsbegriff auch bei den Mitarbeitern. So stellen etwa chronische Rückenschmerzen aus Sicht der Mitarbeiter keine Krankheit dar. Diese Bagatellisierung von Krankheiten scheint umso intensiver, je stärker der Kontakt einer Person zur Führungskraft und je größer ihre Identifikation mit dem Unternehmen.

Demgegenüber definieren die PersonalvorständInnen, die EHS-Sicherheitsfachkräfte sowie die BetriebsratvorsitzendeN Gesundheit äußerst salutogen.

Im Sinne von March und Olsen (1976) bzw. Hedberg (1981) stellt die fehlende gemeinsame Ausgangsüberzeugung von Gesundheit eine Unterbrechung des Lernkreislaufes dar, in Argyris und Schöns (1978) Kategorien ist zwar das Wissen (espoused theory) um Gesundheit allgemein vorhanden, die Akzeptanz (theory in use) der Bedeutung jedoch nicht.

These 1b: Die unter These 1a genannte Definition ist, (unternehmens-)kulturell bedingt, somit zwischen den einzelnen Betrieben jedenfalls, möglicherweise auch innerhalb u n terschiedlicher Betriebsbereiche, stark unterschiedlich.

Im Rahmen dieser Untersuchung wurden unterschiedlichste Betriebe (öffentlich und privat) in Oberösterreich untersucht, konkrete Unterschiede bei den Leitungspersonen im Verständnis von Gesundheit konnten nicht nachgewiesen werden. Eine Erklärung für die tendenzielle Einheitlichkeit besteht eventuell in der externen Unterstützung/Moderation bei Gesundheitsprojekten im Allgemeinen und bei den Gesundheitszirkeln im Speziellen durch ExpertInnen der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse, die Koordinationsfunktion bei BGF in Österreich inne hat. Ein Isomorphismus im Sinne des Neoinstitutionalismus (Scott, 2001) scheint evident. Wie unter These 1a berichtet, neigen jedoch die unterschiedlichen Gruppen innerhalb der Betriebe tendenziell zu unterschiedlichen subjektiven Ansichten.

These 2: Organisationales Lernen zu Gesundheit und Gesundheitsförderung benötigt ein kontinuierliches Behandeln des Themas und eine Integration in Strukturen und Systeme.

In den Interviews wurde diese These bestätigt, vor allem die Wichtigkeit der täglichen Beschäftigung und das Problem der Widersprüche mit anderen Vorgaben. Im Arbeitssicherheitsbereich gibt es ein umfassendes Lernsystem, im Metall- und Maschinenbaubetrieb ein umfassendes Programm zur Unfallvermeidung, im Gesundheitsbereich scheint es nach den Betriebsrats- bzw. MitarbeiterInnenbefragungen große Defizite und Widersprüche zu geben. Auch scheint Gesundheitsförderung oft nicht über den Projektcharakter hinauszuwachsen: „… greifen tun solche Maßnahmen oft nur so lang, so lang man ein Projekt macht, … [z. B.] einen Laufclub … dann funktioniert das ein Jahr lang, so lange er im Rahmen von dem Gesundheitszirkel betreut wird und schläft dann irgendwann ein. Genauso bei vielen Themen, die im Rahmen von Gesundheitsförderprojekten angeregt werden … Weil dann sind die Projekte aus und in den Betrieben wird nichts mehr gemacht“ (Interview E2).

Eine kontinuierliche Beschäftigung mit dem Thema würde vor allem die Bereiche Wissen und Akzeptanz nach Argyris und Schön (1978) erhöhen. Eine mangelhafte Integration in Führung und Systeme führt tendenziell zu Widersprüchen und wenn diese nicht aufgegriffen bzw. behandelt werden zu Unterbrechungen im Lernkreislauf (Böhnisch & Stummer, 2005).

These 3: Gesundheitszirkel und andere partizipative Gesundheitslernprogramme führen zu einer Steigerung des Wunsches nach Erhöhung der MitarbeiterInnenbeteiligung im Sinne verstärkter Kooperation generell.

Die Analyse der vorliegenden Daten scheint Etzioni (1971; 1975) recht zu geben. So etwa im Metall- und Maschinenbaubetrieb, wo nach einem Jahr von den 110 Vorschlägen der GZ bereits 80% umgesetzt waren. Trotzdem war die Zufriedenheit über die Umsetzung bei den betroffenen MitarbeiterInnen erstaunlich gering. Eine Führungskraft dieses Betriebes drückte es wie folgt aus: „Gib ihnen den kleinen Finger, und dann wollen sie die ganze Hand“ (Interview P4). Die Unternehmensleitung sah dieses Thema nicht so dramatisch und verwies eher auf Kommunikationsstörungen. Auch in der zweiten Fallstudie, bei der die ausschließlich männlichen Arbeiter großzahlig befragt wurden, zeigte sich das Phänomen der erhöhten Kooperationserwartung. In den Betrieben, in denen rein die Gesundheits- bzw. Personalverantwortlichen befragt wurden, kam dieses Thema nicht zur Sprache. Aufgrund der vorliegenden Ergebnisse lässt sich zwar vermuten, dass die Mitarbeiterunzufriedenheit trotz der hohen Umsetzungsquote der Vorschläge zumindest partiell durch deren Wunsch nach mehr Partizipation bedingt ist. Allerdings ist auf der vorliegenden Datenbasis keine endgültige Schlussfolgerung zulässig.

These 4: Gesundheitslernen in bzw. von Organisationen und deren Mitgliedern ist stark abhängig vom Vorbildverhalten der operativen Führungskräfte.

These 4 wurde vor allem von der Unternehmensleitung, dem Betriebsrat und den ArbeiterInnen bestätigt. Die befragten operativen Führungskräfte sahen sich einerseits kaum verantwortlich für die Gesundheit ihrer MitarbeiterInnen (vgl. dazu auch These 1a) bzw. erlebten sich derartig unter Druck durch die Vorgaben der Unternehmensleitung, dass sie durch die Inkonsistenz der Anreiz-, Kontroll- und Koordinationssysteme Gesundheit als das vagere Ziel für unwichtiger erachteten als z. B. die täglichen Produktionszahlen (vgl. These 2). Auf jeden Fall stieg bei den beiden Fallstudienbetrieben die individuelle Teilnahme an Gesundheitsprogrammen (von Rückenschulen bis hin zu speziellen Personalentwicklungsmaßnahmen) signifikant an, wenn auch die jeweiligen Führungskräfte teilnahmen.

Weitere Ergebnisse der Befragungen betreffen vor allem den Grundkonflikt Individuum - Organisation und den Gruppenfaktor. MitarbeiterInnen unterschiedlicher Hierarchieebenen innerhalb der Betriebe sehen unterschiedliche Verantwortlichkeiten für Gesundheit, ob der Betrieb Einfluss hat oder ob es sich um rein individuelle Zuständigkeiten handelt. Hier kann auch auf Grund anderer quantitativer Studien in Österreich (z. B. Stummer, 2007b) auf eine sehr starke Branchenabhängigkeit geschlossen werden. Allerdings zeigt sich bei individuell gestarteten Initiativen und/oder Vorschlägen der Gruppenfaktor als wesentlich. So drückte diese Gruppenverstärkung etwa ein seit über 20 Jahren in diesem Betrieb befindlicher Mitarbeiter des Metall- und Maschinenbaubetriebes wie folgt aus: „Im Gesundheitszirkel habe ich eine Menge Vorschläge für sicherere Arbeitsplätze gemacht, ich habe das vorher alleine nie getan.“

6. Diskussion

In der Keynote-Ansprache des 22. EGOS-Colloquiums in Bergen sprach einer der Pioniere des Organisationalen Lernen, James March darüber, dass es bei der Erforschung von OL vor allem interessant sei, Unterbrechungen im Lernzyklus herauszuarbeiten, um sie dann sowohl konzeptionell als auch praktisch zu beseitigen (March, 2006).

Im Zyklus nach Argyris und Schön (1978) zeigten sich für die Förderung von organisationalen Lernprozessen zum Thema Gesundheit mehrere Ebenen, die in der Praxis als zentrale Interventionsfelder erscheinen:

  1. a.

    Wissen: Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein gemeinsames Grundverständnis zum Thema Gesundheit besteht, in den Interviews herrschte vor allem bei den operativen Führungskräften ein anderes Verständnis als bei der Unternehmensleitung und teilweise den MitarbeiterInnen.

  2. b.

    Akzeptanz: Die detaillierte Fallstudienforschung in zwei Betrieben ergab, dass zwar das Wissen um Gesundheit als komplex und multifaktoriell beeinflusst vorlag, genaueres Nachfragen zeigte jedoch, dass dieses Wissen nicht internalisiert war.

  3. c.

    Handeln: Selbst wenn die Akzeptanz von Gesundheit als Wert und/oder als Ziel in der Organisation vorhanden ist, heißt das noch nicht, dass es konkret auch gesundheitsförderndes Handeln der Individuen und der Organisation gibt. Hier scheinen vor allem die Führungskräfte als Vorbild zentral.

  4. d.

    Feedback: Ohne Integration von Gesundheitsförderung in Systeme und Strukturen führen widersprüchliche und konfligierende Feedbacks zu einer Abwandlung des abstrakteren Ziels Gesundheit. Produktionskennzahlen sind klar und aktuell, Gesundheit als Ziel bleibt trotz Messung abstrakter.

  5. e.

    Beim Initiieren der Lernprozesse zum Thema Gesundheit zeigt sich der Gruppeneffekt als zentral, einerseits wegen der Akzeptanz, andererseits aber auch wegen des Wissens. Allerdings führt der Gruppeneffekt zu einer erhöhten weiteren Forderung nach Partizipation. Organis a tionen, die damit ein Problem haben, sollten sich auch beim Thema partizipatives Gesundheitslernen zurückhalten.