Der Zusammenhang zwischen chronischen Schmerzen und der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) wird erst seit kurzem intensiver diskutiert [38]. Ziel dieses Artikels ist es, einen aktuellen Literaturüberblick zur Entstehung und Aufrechterhaltung der PTBS und chronischer Schmerzen zu geben sowie die existierenden Zusammenhangsmodelle der beiden Störungen kritisch zu erläutern. Abschließend wird ein eigenes Modell, das „perpetual avoidance model“, dargestellt und daraus abgeleitet Implikationen für die Praxis beschrieben.

PTBS: Diagnosekriterien und Prävalenz

Überlebende von Naturkatastrophen, schweren Unfällen oder Opfer von Gewalt und anderen traumatischen Ereignissen leiden in Folge der Erfahrungen häufig an psychischen Beeinträchtigungen. Kommt es zu einem andauernden Wiedererleben des traumatischen Ereignisses (u. a. in Form von Flashbacks oder Alpträumen), dem Vermeiden von mit dem traumatischen Ereignis assoziierten Situationen oder Reizen und einer erhöhten körperlichen Erregung (Hyperarousal), und dauern diese Symptome über einen Zeitraum von mindestens einem Monat an, spricht man von einer posttraumatischen Belastungsstörung [2].

Je nach Art des traumatischen Ereignisses variiert die Anzahl der Betroffenen, die nach einem Trauma eine PTBS entwickeln, stark. Während in Folge eines Verkehrsunfalls 3–11% der Opfer an einer PTBS leiden, sind es nach einer Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch 50–55% [19, 39]. Die Lebenszeitprävalenz, gemessen an amerikanischen Stichproben, liegt bei 5–6% unter Männern und bei 10–14% unter Frauen, was die PTBS zur vierthäufigsten psychischen Störung macht [19].

Wenngleich die PTBS eine der am häufigsten diagnostizierten Störungen nach traumatischen Ereignissen ist, leiden viele Betroffene – nach Kessler et al. [19] ca. 80% – an mindestens einer weiteren psychischen oder physischen posttraumatischen Störung. Unabhängig von der Art des traumatischen Erlebnisses leiden viele neben den psychischen Traumafolgestörungen zudem an chronischen Schmerzen.

Chronische Schmerzen: Diagnosekriterien und Prävalenz

Schmerz kann als adaptiver Vorgang bezeichnet werden, der für den Körper eine Gefahr signalisiert und damit protektive Reaktionen auslöst. Werden Schmerzen jedoch chronisch, verlieren sie ihre im Grunde positive Wirkung und entwickeln sich häufig zu einem eigenständigen Krankheitsbild. Als chronisch werden Schmerzen dann bezeichnet, wenn sie über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten andauern. Allgemein wird Schmerz als eine „unangenehme sensorische und emotionale Erfahrung“ definiert, die „mit tatsächlicher oder potenzieller Gewebeschädigung zusammenhängt oder in den Worten einer solchen Schädigung beschrieben wird“ [30]. Als Ursachen für die Entstehung und Aufrechterhaltung chronischer Schmerzen werden häufig schmerzbezogene Kognitionen, Selbstwirksamkeitserwartungen und Bewältigungsstrategien herangezogen [56].

Epidemiologische Untersuchungen zur Prävalenz chronischer Schmerzen zeigen, dass es sich um eine verbreitete Störung handelt mit weitreichenden Auswirkungen, sowohl für den Einzelnen (u. a. Einschränkung der Lebensqualität) als auch gesamtgesellschaftlich. Zettl et al. [58] untersuchten Langzeitfolgen schwer traumatisierter Unfallopfer. Zwei Jahre nach dem Unfall litten über 50% der Überlebenden an chronischen Schmerzen und Angstzuständen, 40–50% der Betroffenen unter andauernden Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten und der allgemeinen Mobilität. In den USA werden 75% der medizinischen und sozialen Kosten für die 4–7% chronische Rückenschmerzpatienten ausgegeben, die aufgrund ihrer Schmerzen mindesten 6 Monate arbeitsunfähig sind [27]. Nilges u. Traue [34] bezeichnen Schmerz als das Symptom, das Menschen am häufigsten zum Aufsuchen des Arztes veranlasst. In einer Untersuchung mit kanadischen Erwachsenen (n=2012) litten 29% der Befragten an chronischen Schmerzen, wobei die durchschnittliche Schmerzdauer bei 10,7 Jahren lag und die angegebene Schmerzintensität einen Durchschnittswert von 6,3 (auf einer Skala von 1 bis 10) aufwies [32]. In einer in 15 europäischen Ländern und Israel durchgeführten Studie von Breivik et al. [6] (n=46.394) wird berichtet, dass 19% der Teilnehmer an chronischen Schmerzen litten, mit einer Durchschnittsintensität von 5 (auf einer 10-stufigen numerischen Ratingskala).

Chronische Schmerzen weisen eine hohe Komorbidität mit physischen und psychischen Störungen auf. Studien zeigen ein erhöhtes Vorkommen psychiatrischer Diagnosen bei Schmerzpatienten im Vergleich zu Personen ohne Schmerzen [44, 53].

Komorbidität PTBS und chronische Schmerzen

Der Zusammenhang von PTBS und chronischen Schmerzen wird durch zahlreiche Studien belegt. Die Höhe der Komorbidität variiert jedoch in Abhängigkeit der untersuchten Stichprobe.

In einer Studie mit ambulanten allgemein psychiatrischen Patienten fanden Villano et al. [52], dass 46% der Untersuchten die Kriterien einer PTBS erfüllten, 40% berichteten über chronische Schmerzen und 24% der Patienten hatten beide Diagnosen. Eine Untersuchung an Kriegsveteranen ergab eine Komorbiditätsrate bzgl. PTBS und chronischen Schmerzen von 66% [47]. Andere Studien mit Kriegsveteranen berichten, dass z. T. weit über 80% der Untersuchten die Kriterien für beide Störungen erfüllten [42]. Die Daten einer sehr umfangreichen kanadischen Stichprobe mit 36.984 Probanden (Canadian Community Health Survey Cycle) zeigen eine beachtliche Diskrepanz zwischen Menschen mit und ohne eine PTBS-Diagnose in Bezug auf chronische Schmerzen: unter den PTBS-Patienten litten 46% zudem unter chronischen Rückenschmerzen (im Vergleich zu 20,6% der Untersuchten ohne PTBS) und 33% unter Migräne (im Vergleich zu 10%) [45].

Nach Otis et al. [38] liegt die Schmerzprävalenz unter PTBS-Patienten mit 34–80% deutlich höher als umgekehrt die PTBS-Prävalenz unter Schmerzpatienten mit 10–50%. Zum Teil lässt sich dieses Ungleichgewicht dadurch erklären, dass traumatische Erlebnisse häufig auch mit physischen Schmerzen verbunden sind und diese somit eine Art posttraumatische Störung darstellen. Den Einfluss von Schmerzen auf die PTBS-Symptomatik untersuchten Amital et al. [3]. Sie zeigten, dass Patienten, die sowohl die Diagnosekriterien einer PTBS als auch einer Fibromyalgie (Schmerzstörung mit chronischen und generalisierten Schmerzen von mindestens 3 Monaten Dauer und Druckschmerzen an sog. „tender points“) erfüllten, eine höhere PTBS-Symptomausprägung hatten als Betroffene ohne eine zusätzliche Schmerzstörung.

Eine Studie von Norman et al. [35] mit Patienten eines Traumazentrums der Universität von Kalifornien zeigte, dass Schmerz unmittelbar nach dem traumatischen Ereignis ein Risikofaktor für die Entwicklung einer PTBS darstellt. Nach Ansicht der Autoren könnte der Zusammenhang durch eine negativere Bewertung der Traumaerinnerung aufgrund der Schmerzen und einem erhöhten mit dem Trauma assoziierten Stress erklärt werden. Inwieweit anderseits die PTBS die Entwicklung und Chronifizierung von Schmerzen beeinflusst, untersuchten Dirkzwager et al. [10]. Aufgrund eines Längsschnittdesigns kommen die Autoren mit ihrer Studie an Überlebenden einer Explosion eines Feuerwerklagerhauses zu der Schlussfolgerung, dass die PTBS ein potenzieller Faktor bei der Entwicklung physischer Probleme sein könnte. Die Autoren zeigten, dass 18 Monate nach dem Unglück Überlebende mit einer PTBS u. a. über mehr körperliche Schmerzen und somatische Leiden sowie über vermehrte Einschränkungen im Alltag wegen der physischen Probleme berichteten als Überlebende ohne eine PTBS.

Prädiktoren für PTBS und chronische Schmerzen

Die hohe Diskrepanz zwischen der Lebenszeitprävalenz eines traumatischen Ereignisses, die bei über 50% liegt, und der Lebenszeitprävalenz der PTBS mit (im Mittel) 7% lässt sich u. a. durch die erlebte Traumaart erklären: so entwickeln Menschen, die ein menschlich verursachtes Trauma erlebt haben, mit höherer Wahrscheinlichkeit eine PTBS (z. B. Vergewaltigungsopfer 43,3%) als z. B. Opfer von Naturkatastrophen (12,5%; [26]). Koren et al. [21] zeigten in einer Untersuchung mit Soldaten, dass diejenigen, die ein mit körperlicher Verletzung einhergehendes Trauma erlebt haben, ein 8-mal höheres Risiko haben, eine PTBS zu entwickeln, als Betroffene eines verletzungsfreien Traumas. Zudem haben Personen, die einer lang anhaltenden Bedrohungssituation ausgesetzt waren, ein erhöhtes Risiko, posttraumatische Störungen zu entwickeln, als Menschen, die eine einmalige traumatische Situation erlebten. In einer Metaanalyse mit 85 Studien haben Brewin et al. [7] weitere Risikofaktoren benannt. Die stärksten Prädiktoren für eine PTBS sind demnach die Traumaintensität sowie posttraumatische Faktoren wie fehlende soziale Unterstützung und zusätzliche Stressoren seit dem Trauma. Weitere entscheidende Einflussgrößen, die zur Entwicklung einer PTBS beitragen, sind neben weiblichem Geschlecht, vorherigem Trauma, psychiatrische Vorgeschichte, subjektive Traumastärke und wahrgenommene Unkontrollierbarkeit, v. a. auch kognitive Faktoren, wie z. B. Interpretationen des Traumas oder seiner Konsequenzen und unangepasste Kontrollstrategien wie Vermeidung [11, 12].

Auch bei der Entstehung und Aufrechterhaltung chronischer Schmerzen wird kognitiven Prozessen, wie der Selbstwirksamkeitserwartung oder kognitiven schmerzbezogenen Bewältigungsstrategien, eine entscheidende Rolle beigemessen. Eine Reihe aktueller Studien zeigt in diesem Zusammenhang, dass es zwischen individuellen Einstellungen und Überzeugungen über den Schmerz und der Chronifizierung enge Verbindungen gibt. Picavet et al. [41] untersuchten den Einfluss von Katastrophisierungsgedanken und Angst vor Bewegung (Kinesiophobie) auf chronische Rückenschmerzen. Sie konnten zeigen, dass hohe Ausprägungen in beiden Prädiktoren die Wahrscheinlichkeit für chronische Rückenschmerzen (nach 6 Monaten) erhöhten. Den Einfluss kognitiver Faktoren auf die wahrgenommene Schmerzintensität bei chronischen Schmerzpatienten untersuchten auch Woby et al. [56]. Selbstwirksamkeit und Katastophisierungsgedanken konnten dabei 30% der Varianz der Schmerzintensität aufklären.

Harris et al. [14] analysierten in ihrer Studie Faktoren für Rückenschmerzen nach physischen Verletzungen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass nicht die Verletzungsschwere, sondern vielmehr psychosoziale Faktoren, wie Scham oder Einkommen, mit den Rückenschmerzen assoziiert waren. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Linton [25], der 372 schmerzfreie und 209 Schmerzpatienten bzgl. Risikofaktoren untersucht hat: den größten Einfluss hatte psychosozialer Stress, der das Schmerzrisiko um das 13-fache erhöhte.

Da es sich bei allen bisher genannten Studien um Querschnittsanalysen handelt, ist eine kausale Aussage bzgl. der Prädikoren für die Entstehung chronischer Schmerzen nicht möglich.

In einer der wenigen prospektiven Studien untersuchten Koleck et al. [20] psychosoziale Faktoren und Bewältigungsstrategien bzgl. akuter Schmerzen und deren Einfluss auf die Entwicklung chronischer Schmerzen (12-Monats-follow-up). Dabei betonen sie, dass die Chronifizierung von (Rücken-)Schmerzen als komplexes und multifaktorielles Problem betrachtet werden muss. Persistierende Schmerzen können demnach am besten durch eine Kombination somatischer, psychologischer und sozialer Faktoren vorhergesagt werden. Zudem zeigte diese Untersuchung, dass schon das Erleben eines traumatischen Ereignisses als Prädiktor für die Chonifizierung von Schmerzen betrachtet werden kann.

Vergleicht man die Prädiktoren für chronische Schmerzen mit jenen für eine PTBS, finden sich v. a. hinsichtlich kognitiver Faktoren und dem Vermeidungsaspekt große Überschneidungen.

Zusammenhangsmodelle PTBS und chronische Schmerzen

PTBS und chronische Schmerzen zeichnen sich durch eine hohe Symptomüberschneidung aus: In beiden Erkrankungen spielen Vermeidungsverhalten, Übererregung und Ängste, emotionale Instabilität und ein erhöhter somatischer Fokus eine große Rolle.

Unklar ist bislang jedoch, ob sich die beiden Störungen in ihrer Entstehung gegenseitig beeinflussen, ob eine Störung die Entwicklung der anderen bedingt, ob sie sich gegenseitig aufrechterhalten oder ob es möglicherweise einen dritten Faktor gibt, der die Komorbidität erklärt.

Das „mutual maintenance model“

Das von Sharp u. Harvey entwickelte „mutual maintenance model“ [46] geht von einer gegenseitigen Beeinflussung und Aufrechterhaltung der PTBS- und Schmerzsymptome aus. Dieser „Teufelskreis“ der Aufrechterhaltung von PTBS und chronischen Schmerzen wird nach dem „mutual maintenance model“ durch die in Abb. 1 genannten 7 Mechanismen bedingt.

Abb. 1
figure 1

Die Mechanismen des „mutual maintenance model“. (Nach [46])

Zudem wird der Aufrechterhaltungsprozess beeinflusst durch Stress und Unfähigkeit (disability), die sowohl auf die PTBS als auch die chronischen Schmerzen negativ einwirken.

Der Zusammenhang von PTBS und/oder chronischen Schmerzen und den von Sharp u. Harvey genannten Mechanismen wird in verschiedenen Studien aufgegriffen und untersucht. So fanden beispielsweise Beck et al. [5], dass Personen mit einer PTBS und Schmerzen längere Reaktionszeiten und damit erhöhte Aufmerksamkeitsbiases bei schmerz- und traumabezogenen Wörtern zeigten. Jakupcak et al. [15] bekräftigen durch ihre Untersuchung mit Kriegsveteranen, dass der Zusammenhang zwischen PTBS und somatischen Beschwerden durch Angstsensitivität und komorbide Depression erklärt werden kann. Dass Depression als Mediator den Zusammenhang von PTBS und Schmerzsymptomen erklären kann, haben auch Poundja et al. [42] gezeigt.

Wenngleich das vorgestellte „mutual maintenance model“ einen wichtigen Beitrag zur Klärung der Aufrechterhaltung des Zusammenhangs von PTBS und chronischen Schmerzen liefert, wird auf die Frage der Entstehung der beiden komorbiden Störungen keine Antwort gegeben. Außerdem gibt es Untersuchungen, welche die von Sharp u. Harvey postulierten Mechanismen nicht untermauern. Koegh u. Cochrane [18] beispielsweise unterschieden in ihrer Studie bzgl. Angstsensitivität, kognitiven Biases und Schmerzerfahrung zwischen Interpretations- und Aufmerksamkeitsbiases: erstere sind charakterisiert durch die Tendenz, mehrdeutige Stimuli oder Ereignisse negativ zu interpretieren. Die Autoren konnten zeigen, dass der Zusammenhang von Angstsensitivität und Schmerz durch Interpretationsbiases mediiert wird, nicht jedoch durch Aufmerksamkeitsbiases. Zudem fehlt es bislang an Studien, in der PTBS- und Schmerzpatienten bzgl. aller 7 Mechanismen untersucht wurden.

Das „shared vulnerability model“

Asmundson et al. [4] gehen in ihrem „shared vulnerability model“ davon aus, dass prädisponierende, evtl. auch genetisch deteminierte Faktoren für die komorbide Entwicklung von PTBS und chronischen Schmerzen verantwortlich sind. Die nach Meinung der Autoren anhand zahlreicher Studien empirisch am besten belegte „Brücke“ (oder geteilte Vulnerabilität) zwischen den beiden Störungen ist die Angstsensitivität, wie in Abb. 2 dargestellt. Diese wird definiert als eine individuelle Hypersensitivität und hat katastrophisierende Reaktionen auf körperliche Anzeichen von Übererregung, die mit Angst assoziiert sind, zur Folge (wird auch als „Angst vor der Angst“ verstanden; [49]).

Abb. 2
figure 2

Das „shared vulnerability model“

Nach Asmundson et al. [4] haben Menschen mit einer erhöhten Angstsensitivität, die ein traumatisches Ereignis erleben, ein erhöhtes Risiko, eine PTBS zu entwickeln: neben der Alarmreaktion aufgrund des Traumas kommt es bei Betroffenen wegen der erhöhten Angstsensitivität zu einer verstärkten emotionalen Reaktion. In Studien wird der Einfluss der Angstsensitivität auf die Entwicklung und Aufrechterhaltung der PTBS-Symptomatik bestätigt [17, 31].

Asmundson et al. berücksichtigen zudem genetische Grundlagen: Untersuchungen zeigen, dass bei der Angstsensitivität, der PTBS und den chronischen Schmerzen genetische Faktoren eine Rolle spielen [48]. Somit könnte eine Dysregulation im serotonergen oder GABA-ergen System für den Zusammenhang von PTBS und chronischen Schmerzen, mediiert durch die Angstsensitivität, verantwortlich sein. Broeckman et al. [8] allerdings kommen in ihrem Überblicksartikel zum genetischen Hintergrund der PTBS zu folgendem Fazit: aufgrund der sehr uneinheitlichen und zum Teil wegen methodischer Mängel kritisch zu betrachtenden Ergebnisse bzgl. genetischer PTBS-Studien können bislang keine eindeutigen Beweise geliefert werden. Vielmehr sollten Interaktionen verschiedener Gene und dieser mit Umweltvariablen als Vulnerabilitätsfaktoren für die Entwicklung einer PTBS betrachtet werden.

Neben den Studien, die die Rolle der Angstsensitivität im Zusammenspiel von PTBS und chronischen Schmerzen bestätigen, gibt es ebenso Untersuchungen, die gegen die alleinige „Vormachtstellung“ dieses Konstrukts sprechen. Meredith et al. [29] untersuchten, inwieweit schmerzbezogene Selbstwirksamkeit und Ängstlichkeit Prädiktoren für chronische Schmerzen sind. Es zeigte sich, dass die Schmerzintensität besser durch schmerzbezogene Selbstwirksamkeit vorhergesagt werden konnte als durch Ängstlichkeit. Auch wenn es sich bei Angstsensitivität und Ängstlichkeit nicht um die exakt gleichen Konstrukte handelt, gibt es doch eine sehr große Überschneidung der beiden. Die Angstsensitivität hat mit Sicherheit einen entscheidenden Einfluss sowohl auf die Entwicklung als auch Aufrechterhaltung der beiden Störungen PTBS und chronische Schmerzen, dennoch wird ein Modell, das ausschließlich auf diesem Faktor beruht, als zu „einseitig“ betrachtet.

Ein „Biopsychosoziales Modell“

Das Modell von McLean et al. [28] beinhaltet zentrale neurobiologische, physiologische und neuroanatomische Strukturen, welche die Reaktion auf einen Stressor maßgeblich beeinflussen. In Interaktion mit psychologischen und sozialen Faktoren sind die im Folgenden beschriebenen Strukturen für die Entwicklung chronischer Symptome (wie PTBS und chronische Schmerzen) nach traumatischen Ereignissen verantwortlich. Das Modell basiert auf Untersuchungen mit Verkehrsunfallopfern.

Bei einem akuten Stressor wird das Kortikotropin-releasing Hormon (CRH) freigesetzt, was eine Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse bewirkt, deren Endprodukt das Stresshormon Kortisol ist. Kortisol reguliert metabolische und immunmodulierende Anpassungsleistungen des Körpers. Wird der Stressor chronisch und kommt es somit zu einer verlängerten oder exzessiven Freisetzung des Hormons, können negative Folgen eintreten, wie Depression, Hautveränderungen und Immundefekte.

Die Forschung liefert ein uneinheitliches Bild, was die Höhe des Kortisollevels bei PTBS-Patienten betrifft. So fanden einige Untersuchungen einen höheren Kortisolwert bei PTBS-Patienten im Vergleich zu Gesunden [40], während in anderen Studien keine Unterschiede gefunden wurden [57], und wieder andere zeigten einen signifikant niedrigeren Kortisolspiegel bei PTBS-Patienten [55]. Olff et al. [37], die in ihrer Untersuchung ebenfalls einen geringeren Kortisolwert bei PTBS-Patienten im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe fanden, erklären die uneinheitliche Datenlage folgendermaßen: der Zusammenhang zwischen PTBS und Kortisol könnte auf die Stärke der posttraumatischen Belastungssymptome zurückzuführen sein. Betrachtet man den gefundenen Zusammenhang genauer, zeigt sich, dass dieser hauptsächlich auf stark ausgeprägte PTBS-Symptome, in besonderer Weise auf Symptome des Wiedererinnerns, zurückzuführen ist. Somit könnten nach Meinung von Olff et al. u. a. die unterschiedliche PTBS-Stärke in den untersuchten Stichproben für die uneinheitlichen Ergebnisse verantwortlich sein. Auch auf neuroanatomischer Ebene zeigen sich bei PTBS-Patienten Dysregulationen und strukturelle Abnormalitäten in den limbischen, paralimbischen und präfrontalen Regionen, die bei der Stressreaktion und bei emotionalen Prozessen beteiligt sind [16].

Neben dem dargestellten uneinheitlichen Bild, den Kortisolspiegel bei PTBS-Patienten betreffend, betont die empirische Datenlage bzgl. neurobiologischer Faktoren, dass es bislang nicht möglich ist, die Richtung des Zusammenhangs eindeutig zu bestimmen. So ist einerseits denkbar, dass neurobiologische Dysregulationen prädisponierende Faktoren für die Entwicklung der Störungen sind, andererseits könnten sie jedoch auch als Folge der Störungen erklärt werden.

Das „perpetual avoidance model“

Die bisher dargestellten Zusammenhangsmodelle für PTBS und chronische Schmerzen beinhalten wichtige Aspekte und Einflussgrößen, die es zu berücksichtigen gilt. Allerdings beleuchten sie entweder „nur“ den Zusammenhang der beiden Störungen und geben keine Aussage zur Entstehung, wie das „mutual maintenance model“, oder sie greifen nur einen Teilaspekt auf, wie das „shared vulnerability model“, das den Zusammenhang alleine auf die Angstsensitivität zurückführt.

Ein in der Literatur häufig zitiertes und von zahlreichen Forschern aufgegriffenes Schmerzmodell ist das „fear avoidance model“ [24, 36]. Nach diesem Modell werden aufgrund der Angst vor möglichen schmerzhaften Folgen Aktivitäten, die mit potenziellen Schmerzen verbunden sind, vermieden. Katastrophisierende Missinterpretationen verstärken die Angst und damit das Vermeidungsverhalten. Norton u. Asmundson [36] ergänzen das „fear avoidance model“ chronischer Schmerzen um die Rolle der physiologischen Erregung: in einer positiven Feedbackschleife interagieren physiologische Komponenten mit kognitiven und Verhaltenskomponenten, wodurch effektive Copingstrategien verhindert werden. Durch eine generell physiologische Übererregung werden sowohl das Schmerzempfinden selbst als auch die Überzeugung, dass Aktivitäten den Schmerz erhöhen, verstärkt. Die Folge davon ist Vermeidung. Durch die Interaktion von physiologischer Erregung und kognitiven Furchtkomponenten werden körperliche Symptome in katastrophisierender Weise missinterpretiert (z. B. Herzrasen als Vorzeichen für Bewusstlosigkeit), was das Vermeidungsverhalten erneut verstärkt. Somit können physiologische Antworten entweder unmittelbar zu Schmerz und Vermeidung führen oder kognitive Komponenten dienen als Mediator.

Das „fear avoidance model“ und seine Komponenten konnten durch eine Vielzahl von Studien bestätigt werden, die zeigten, dass schmerzbezogene Furcht assoziiert ist mit katastrophisierenden Missinterpretationen den Schmerz betreffend, Hypervigilanz, erhöhtem Flucht- und Vermeidungsverhalten sowie einer erhöhten Schmerzintensität und funktionaler Unfähigkeit (s. hierzu [23]).

Bislang wurde das „fear avoidance model“ ausschließlich zur Erklärung der Entstehung und Aufrechterhaltung von (chronischen) Schmerzen herangezogen. Aufgrund der Parallelen zwischen den Entstehungs- und Aufrechterhaltungsprädiktoren für PTBS und chronische Schmerzen werden die Grundlagen des „fear avoidance model“ aufgegriffen und um PTBS-spezifische Faktoren zu einem Zusammenhangsmodell der beiden Störungen – dem „perpetual avoidance model“ – erweitert, das in Abb. 3 dargestellt wird.

Abb. 3
figure 3

Das „perpetual avoidance model“

Grundannahme des in Abb. 3 dargestellten „perpetual avoidance model“ ist das Vorliegen eines traumatischen Ereignisses, das den dargestellten Teufelskreis auslöst. Dieser besteht aus 2 Kreisläufen: dem PTBS- und dem Schmerzkreislauf.

In Anlehnung an das PTBS-Modell von Ehlers u. Clark [12] und Untersuchungen, denen dieses Modell zugrunde liegt, werden kognitive, affektive und behaviorale Prozesse als entscheidende Größen im PTBS-Kreislauf berücksichtigt. So kommt es aufgrund dysfunktionaler kognitiver Verarbeitungsprozesse während und nach dem traumatischen Erlebnis zu einer Erhöhung der psychischen und physischen Erregung, was häufig Vermeidungsverhalten zur Folge hat. Neben den genannten Kognitionsstilen kommt es zusätzlich zu Erinnerungen an das traumatische Ereignis. Dieser psychische Stressor, der Patienten das Trauma erneut erleben lässt, führt wiederum zu einem Anstieg der körperlichen Erregung, was u. a. mit Herzrasen, erhöhtem Blutdruck, verstärkter Atmung, gastrointestinaler Aktivität und erhöhter Muskelanspannung einhergeht. Für den Körper signalisieren diese Symptome Stress, was weitere somatische Stressreaktionen auslöst. Diese können die Entwicklung chronischer Schmerzen begünstigen.

Das Schmerzempfinden wird neben der bereits genannten psychischen und physischen Anspannung auch von zunehmender Inaktivität und Vermeidungsverhalten beeinflusst. Aufgrund der Angst vor möglichen Folgen, den so genannten Katastrophisierungsgedanken und „fear avoidance beliefs“ schließt sich der Schmerzkreislauf in einer Zunahme von Inaktivität, Vermeidungsverhalten und Depression. Den Einfluss dysfunktionaler Kognitionsstile auf Schmerzen haben Turner et al. [50] bestätigt: in einer Untersuchung der Wirkmechanismen der kognitiven Verhaltenstherapie bei chronischen Schmerzpatienten konnten sie zeigen, dass Therapieeffekte v. a. durch Veränderungen in „pain beliefs“ und Katastrophisierungsgedanken sowie in der schmerzbezogenen Selbstwirksamkeit (also Überzeugung, selbst auf den Schmerz Einfluss nehmen zu können) zu erklären sind.

Entscheidendes Verbindungsglied in der PTBS- und Schmerzkette sind Vermeidung/Inaktivität und damit in Zusammenhang stehend die Depression. Wie bereits zuvor erläutert und durch verschiedene Studien betätigt, haben diese Faktoren einen entscheidenden Einfluss bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung sowohl der PTBS als auch chronischer Schmerzen [23, 42].

Ausblick für die Forschung

Das komorbide Auftreten von PTBS und chronischen Schmerzen stellt für Therapeuten häufig eine große Herausforderung dar. Wenngleich es in den letzten Jahren eine Vielzahl an Untersuchungen gab, die sich mit der Thematik des Zusammenhangs von PTBS und (chronischen) Schmerzen beschäftigt haben, fehlt es noch immer an empirisch fundierten Zusammenhangsmodellen und damit eindeutigen Empfehlungen für die Praxis.

In zukünftigen Forschungsarbeiten sollte das vorgestellte „perpetual avoidance model“ empirisch untersucht und damit auf seine Validität getestet werden. Zudem sollten auf der Grundlage validierter Zusammenhangsmodelle neue Behandlungskonzepte für die Therapie von PTBS und komorbiden chronischen Schmerzen entwickelt werden. Ein in diesem Zusammenhang viel versprechendes Therapiemanual stammt von Denke et al. [9]: eine biofeedbackgestützte kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung chronischer Schmerzen bei traumatisierten Patienten. In einer Pilotstudie zur Wirksamkeit des Manuals fanden Müller et al. [33] äußerst positive Effekte u. a. bezüglich kognitiver und behavioraler Schmerzbewältigungsstrategien.

Im Rahmen einer derzeit laufenden multizentrischen Studie sollen diese Effekte repliziert werden.

Fazit für die Praxis

Aus dem vorgestellten „perpetual avoidance model“ lassen sich Implikationen für die Behandlung der PTBS und komorbider chronischer Schmerzen ableiten. Eine wirksame Therapie sollte die im Modell genannten Komponenten berücksichtigen und damit primär kognitiv-behavioral ausgerichtet sein. Der Vermeidung wird in dem Modell eine ausschlaggebende Rolle beigemessen. Daher sollten eine Steigerung körperliche Aktivität und ein Entgegenwirken der Vermeidung traumaassoziierter Reize und Situationen wichtige Ziele einer PTBS-Schmerz-Intervention sein. Eine in der PTBS-Behandlung sehr bewährte Methode ist die Exposition des traumatischen Erlebnisses. In der Schmerztherapie zeigen sich ähnlich positive Effekte bzgl. der Anwendung von einerseits Entspannungsverfahren, andererseits dem Einsatz körperlicher Übungen [22, 51, 53]. Frost et al. [13] konnten zeigen, dass sich durch ein Fitnessprogramm chronische Rückenschmerzen selbst 2 Jahre nach der Behandlung signifikant reduzieren. Daher sollte eine Kombination aus Entspannung und strukturierter körperlicher Aktivität in die Behandlung einbezogen werden. Neben den positiven Effekten auf das allgemeine körperliche Empfinden und einer Stärkung der Muskulatur wirkt sich eine erhöhte körperliche Mobilität auch positiv auf die Stimmung der Patienten aus [1].