Zusammenfassung
Fragestellung:
Ziel der Studie war, Langzeitüberlebensrate, funktionelles Outcome und Lebensqualität 2 Jahre nach schwerem Trauma zu analysieren.
Methodik:
Im Rahmen einer prospektiven Studie wurden Daten schwerverletzter Patienten ausgewertet, welche zwischen 8/1998 und 8/2000 über den Schockraum aufgenommen wurden; die Patienten wurden 2 Jahre nach dem Trauma standardisiert nachuntersucht (GOS: Glasgow Outcome Score, SF-36, EuroQuol). Die poststationäre Sterblichkeitsrate wurde über Hausärzte und Meldeämter ermittelt.
Ergebnisse:
482 Patienten (mittlerer ISS von 24) konnten dokumentiert werden (Durchschnittsalter 39 Jahre). 2 Jahre nach Unfall waren 26% verstorben. Von den Überlebenden waren 68% nach GOS voll rehabilitiert, die übrigen schwerbehindert, 13% davon andauernd pflegebedürftig. EuroQuol und SF-36 offenbaren bei >50% chronische Schmerzprobleme und Angstzustände. Bei Alltagsaktivitäten und Mobilität zeigen 40–50% der Patienten andauernde Einschränkungen. Die soziale Situation umfasst einen Anstieg der Arbeitslosigkeit (5% → 13,5%) und Arbeitsunfähigkeit (0% → 15,3%) mit Umschulungen (9,9%) und Arbeitsplatzwechsel (15,8%) und bei 30% aller Patienten begleitende finanzielle Verluste. Die familiäre Situation erscheint unbeeinflusst.
Schlussfolgerungen:
2 Jahre nach Polytrauma resultieren medizinische und soziale Probleme mit einem erheblichen Behandlungs- und Versorgungsaufwand. Anstrengungen zur Verbesserung sollten über Frührehabilitation und Wiedereingliederungsmaßnahmen hinausgehen.
Abstract
Objective:
The present study analyses long-term survival, functional outcome and quality of live 2 years after trauma.
Patients and methods:
The complete consecutive data sets of patients admitted through the ER from 8/1998 until 8/2000 was documented and analyzed by a standardized protocol (GOS: Glasgow Outcome Score, SF-36, EuroQuol) precisely 2 years after trauma. 2-year mortality was based on the information provided by family physicians and community officials.
Results:
A total of 482 patients (mean ISS 24) was prospectively included (mean age 39 years). 2 years after trauma 26% had died. 68% were fully rehabilitated according to GOS, the rest remained severely disabled whereof 13% needed permanent care. EuroQuol and SF-36 revealed chronic pain and anxiety states in >50% of the patients. Everyday activities and mobility were permanently impaired in 40–50%. The social situation after trauma included increased unemployment (5% to 13,5%), disablement (0% to 15,3%), retraining (9,9%) and job changes (15,8%). Very often (30%) patients had to tolerate significant financial losses. Private live and family situation was seemingly unchanged.
Conclusions:
Patients after severe multiple trauma often suffer from significant psychophysical and socioeconomic impairment requiring adequate treatment and care from both health system and family resources. Based on structured early rehabilitation and occupational reintegration a coherent, long-term restructuring effort is needed for these patients.
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Fortschritte in der präklinischen und der klinischen Versorgung von Schwerverletzten haben in den letzten Jahrzehnten zu einer kontinuierlichen Abnahme der Letalität geführt. Durch die Verbesserung des Managements der Polytraumaversorgung erreichen nicht nur immer mehr dieser Patienten lebend die Klinik, die Krankenhausletalität konnte darüber hinaus von knapp 30% in den späten 1970er Jahren auf unter 14% halbiert werden [18]. Trotzdem bleiben die Verletzungen die dominierende Todesursache im Altersbereich von unter 45 Jahren. Bei den 15- bis 24-Jährigen ist die häufigste Todesursache ein Unfall und dabei im Wesentlichen ein Kfz-Unfall. Der Anteil an der Gesamtsterblichkeit beträgt für Männer 6% und für Frauen 3%. Die ca. 10 Mio. Unfälle/Verletzungen (ohne Bagatellverletzungen) jährlich verursachen etwa 11% aller Behandlungsfälle und 13% aller Arbeitsunfähigkeitstage in Deutschland. Die direkten und verletzungsbedingten Kosten wurden 1994 auf rund 26,9 Mrd. DM geschätzt, was gut 8% der Gesamtheit der aufzuwendenden direkten Krankheitskosten entspricht [9]. Nicht eingerechnet ist dabei der Verlust an Arbeitsjahren durch Tod oder Arbeitsunfähigkeit sowie sekundäre Kosten durch Pflegebedürftigkeit, Rehabilitation oder Schwerbehinderung.
Untersuchungen von Langzeitresultaten, funktionellem Outcome und Lebensqualität bei Schwerverletzten dienen der eigenen Qualitätskontrolle, aber auch der Kostenberechnung im Zuge der zunehmenden Diskussion um Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Dies begründet das zunehmende medizinische und wissenschaftliche Interesse am Spät- und Langzeitverlauf der Schwerverletzten.
Outcomeuntersuchungen dienen der eigenen Qualitätskontrolle
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Langzeitsterblichkeit sowie das funktionelle Outcome und die Lebensqualität unter Berücksichtigung der körperlichen, sozialen und psychischen Komponenten 2 Jahre nach Unfall darzustellen.
Material und Methoden
In die Studie eingeschlossen wurden alle Patienten, die im Zeitraum zwischen 1. Mai 1998 und 30. April 2000 über den Schockraum aufgenommen wurden und die im weiteren Verlauf einer intensivmedizinischen Behandlung bedurften. Dies war der Fall, wenn die entsprechenden Kriterien bzgl. Unfallmechanismus, präklinisch diagnostizierten Verletzungen oder gestörten Vitalfunktionen erfüllt wurden, so wie sie an anderer Stelle publiziert sind [24]. Die demographischen Patientendaten, Diagnosen, Therapien und medizinische Verlaufsdaten wurden prospektiv im klinikinternen Qualitätssicherungssystem [25] sowie anhand der Dokumentation für das Traumaregister der DGU erhoben. Dies beinhaltete neben der Krankenhaussterblichkeit auch die 90-Tage-Mortalität.
Die Nachuntersuchung genau 2 Jahre nach dem Unfall erstreckte sich über den Zeitraum zwischen Mai 2000 und April 2002. Die Patienten wurden anhand der vorliegenden Adressen bei Erstbehandlung kontaktiert und zu einer Nachuntersuchung eingeladen. Dabei nicht auffindbare Patienten wurden über Angehörige, Telefonbücher und die zuständigen Einwohnermeldeämter gesucht. Die Patienten wurden zu einem Vorstellungstermin eingeladen, anlässlich dessen die körperliche Untersuchung, das Ausfüllen der Fragebögen und das Interview durchgeführt wurden.
Das Follow-up beinhaltete eine körperliche Untersuchung bei der neben einer allgemeinen Anamnese und Untersuchung, die spezielle Untersuchung aller verletzten Regionen, unter anderem in Bezug auf Messung der Bewegungsausmaße nach der Neutral-Null-Methode bei Gelenk- oder Extremitätenverletzungen und Dokumentation von Funktionsdefiziten durchgeführt wurden.
Erfassung der Lebensqualität
Zur Erfassung der gesundheitsspezifischen Lebensqualität wurden der Glasgow Outcome Score (GOS; [30]), Fragen zur allgemeinen Befindlichkeit, die Erhebung des Status vor und nach dem Unfall in Bezug auf die persönliche Situation, Schmerzen und die körperliche Funktion, der Euroquol [11, 12] und der SF-36 [2, 4, 5, 6] als Lebensqualitätsindex erfasst.
Der GOS beschreibt in 5 Kategorien den Status zum Nachuntersuchungszeitpunkt:
-
„voll rehabilitiert“ =1,
-
„schwerbehindert, nicht pflegebedürftig“ =2,
-
„schwerbehindert, pflegebedürftig“ =3,
-
„vegetativ, apallisch“ =4,
-
„tot“ =5.
Die Zuordnung der Patienten wird erleichtert, da die Gewichtung des Scores auf der Selbstständigkeit, beziehungsweise der Pflegebedürftigkeit der Patienten beruht.Der EuroQuol beschreibt für die Lebensqualität nach Trauma die Bereiche „Mobilität“, „Selbstversorgung“, „Alltagsaktivitäten“, „Schmerzen/körperliche Beschwerden“, „Angst/Niedergeschlagenheit“ und den „aktuellen subjektiven Gesundheitszustand“. Die Beurteilung erfolgt in jeweils 3 Kriterien, die in „keine Einschränkung“, „mäßige Einschränkung“ und „stärkste Einschränkung“ differenziert. Der subjektive Gesundheitszustand wird auf einer Skala von 0 (schlechtest denkbarer Gesundheitszustand) bis 100 (bester denkbarer Gesundheitszustand) klassifiziert. Der EuroQuol erlaubt damit vor allem eine bessere Diskriminierung hinsichtlich der Unterschiede im Bereich zwischen voll rehabilitierten Patienten und Schwerbehinderten, da subjektive Parameter wie Ängste, Schmerzen und Einschränkungen bei Alltagsaktivitäten gewertet werden.
Beim SF-36 erfolgte der Vergleich von 8 Kategorien (körperliche Funktion, körperliche Rollenfunktion, Schmerz, allgemeine Gesundheit, Vitalität, soziale Funktion, emotionale Rollenfunktion, psychisches Wohlbefinden) zur Normalbevölkerung. Dabei werden 36 Fragen zu den 8 Kategorien in unterschiedlichen Gewichtungen abgefragt. Exemplarisch für die Skala „körperliche Schmerzen“ beschreibt dies, gemessen an 2 Items, das Ausmaß an Schmerzen und den Einfluss der Schmerzen auf die normale Arbeit, sowohl im als auch außerhalb des Hauses. „Psychisches Wohlbefinden“ wird durch 5 Items definiert, die allgemeine psychische Gesundheit, einschließlich von Depression, Angst, emotionale und verhaltensbezogene Kontrolle und allgemeine positive Gestimmtheit beschrieben wird. Die „soziale Funktionsfähigkeit“ wird durch 2 Items beschrieben. Sie beinhaltet das Ausmaß, in dem die körperliche Gesundheit oder emotionale Probleme normale soziale Aktivitäten beeinträchtigen.
Die „körperliche Rollenfunktion“ wird in 4 Items beschrieben. Gemeint ist dabei das Ausmaß, in dem der körperliche Gesundheitszustand die Arbeit oder andere tägliche Aktivitäten beeinträchtigt, z. B. weniger schaffen als gewöhnlich, Einschränkungen in der Art der Aktivitäten oder Schwierigkeiten bestimmte Aktivitäten auszuführen [5, 6, 22].
Die Ergebnisse aus dem eigenen Kollektiv wurden mit publizierten Daten einer Normalbevölkerung oder von Patientengruppen mit notfallmedizinisch relevanten Erkrankungen (z. B. Myokardinfarkt) in Beziehung gesetzt.
Die Auswertung und statistische Aufarbeitung erfolgte nach Abschluss mittels des PC-Programms SPSS® Version 11.0 für Windows.
Ergebnisse
Demographische Daten und Langzeit-Outcome
Zwischen Mai 1998 und April 2000 konnten 482 Patienten prospektiv in die Studie eingeschlossen werden. Bei der Nachuntersuchung ab Mai 2000 wurden Monat für Monat die jeweiligen Patienten kontaktiert, die 2 Jahre zuvor aufgenommen worden waren. Die Nachuntersuchungsquote betrug 72% (348 von 482 Patienten). 16 Patienten hatten die Mitarbeit aus persönlichen Gründen verweigert, 46 Patienten waren auch über die Einwohnermeldeämter nicht auffindbar und 73 Patienten konnten zwar erreicht werden, hatten aber mehrfache Terminvereinbarungen nicht eingehalten. 126 Patienten waren im Gesamtbeobachtungszeitraum verstorben (26%). 9,8% (47 Patienten), bezogen auf das Gesamtkollektiv, starben innerhalb von 48 h nach Klinikaufnahme an einem schwersten Schädel-Hirn-Trauma oder im hämorrhagischen Schock. Weitere 8,5% (41 Patienten) starben innerhalb des 90-Tage-Beobachtungszeitraum und weitere 7,9% (38 Patienten) überlebten nicht bis zum Ablauf des 2-Jahres-Intervalls (Abb. 1). Bezüglich der Letalität lag die Follow-Up-Rate bei 100%, da die Vollständigkeit der 2-Jahres-Letalität durch die Angaben der Einwohnermeldeämter auch bei nicht auffindbaren Patienten gewährleistet werden kann. Somit sind sämtliche Todesfälle, nicht aber die Todesursachen bekannt.
Bei 222 Patienten wurden die Fragebögen ausgefüllt und es erfolgte eine körperliche Untersuchung. Diese Patienten bilden die Basis der Lebensqualitätsbeschreibung.
Die Geschlechterverteilung zeigt für das Gesamtkollektiv 25% weibliche und 75% männliche Patienten, bei einem Durchschnittsalter von 39 Jahren (Abb. 2). Der Unfallmechanismus war in 92% der Fälle eine stumpfe Gewalteinwirkung.
Bei einer mittleren Verletzungsschwere von 24 Punkten (Range 1–75; SEM 16) im Injury Severity Score (ISS) zeigt das Verletzungsmuster bei 54% ein schweres Schädel-Hirn-Trauma (SHT) mit einem AIS ≥3 Punkten (Abbreviated Injury Score), bei 26% ein schweres Thoraxtrauma (AIS ≥3), bei 12% Patienten ein schweres abdominelles Trauma (AIS ≥3) und bei 22% Patienten ein schweres Trauma der Extremitäten (AIS ≥3; Tabelle 1).
Lebensqualität 2 Jahre nach Trauma
Die Angaben zum subjektiven Gesundheitszustand, gemessen auf einer Skala von 0 bis 100, wobei 0 der schlechtest denkbare Gesundheitszustand und 100 der beste denkbare Gesundheitszustand bedeutet, zeigt eine deutliche Gewichtung jenseits der 80%-Perzentile (Abb. 3). Damit ist das Ergebnis qualitativ vergleichbar mit einem gesunden Normalkollektiv, das eine identische Verteilung mit mehr als der Hälfte aller Personen in diesem Bereich zeigt. Quantitative Aussagen sind hier nicht zu treffen.
Der Glasgow Outcome Score diskriminiert Lebensqualität bei überlebenden Patienten von voll rehabilitiert bis vegetativ/apallisch in 4 Qualitäten. In unserem Kollektiv waren 68% (151 Patienten) 2 Jahre nach Unfall voll rehabilitiert, 42 Patienten (18,9%) galten als schwerbehindert, aber nicht pflegebedürftig, 26 Patienten (11,7%) als schwerbehindert und pflegebedürftig. Nur 2 Patienten (0,9%) waren zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung vegetativ oder apallisch (Tabelle 2).
Obwohl nach dem GOS fast 70% unserer Patienten als voll rehabilitiert gelten, zeigt die differenziertere Sichtweise des EuroQuol jedoch deutliche Einbußen der Lebensqualität in allen Kategorien (Tabelle 3). Im EuroQuol geben 61,7% der Patienten keine Einschränkungen bei der Mobilität an. Bei 32% sind es mäßige und bei 5,9% sogar massive Einschränkungen in diesem Bereich. Das beste Ergebnis konnte für die Selbstversorgung festgestellt werden. Hier gaben 79,3% keine Einschränkungen, 11,7% mäßige und 8,6% massive Einschränkungen an. Hinsichtlich der Bewerkstelligung von Alltagsaktivitäten waren jedoch nur 52,7% der Patienten ohne Einschränkungen, während 32% mäßige und 14,9% immer noch massive Einschränkungen verspürten. Ähnlich verhalten sich die Ergebnisse der Kategorien Schmerz und Angst. Nur 40,5% der Traumapatienten sind 2 Jahre nach Unfall schmerzfrei, bzw. haben keinerlei Einschränkungen dadurch und fast die Hälfte des Kollektivs (46,9%) leidet immer noch unter Angstzuständen (Tabelle 3).
Der EuroQuol zeigte deutliche Einbußen der Lebensqualität in allen Kategorien
Die besondere Einschränkung der Lebensqualität durch Schmerzen bei Traumapatienten wird durch den SF-36 bestätigt (Abb. 4). Im Vergleich zur Normalbevölkerung schneiden verunfallte Patienten in allen 8 Kategorien deutlich schlechter ab. Die gravierendsten Einbußen zeigen unsere Patienten bei den Qualitäten „psychisches Wohlbefinden“, „soziale Funktionsfähigkeit“ und „körperliche Rollenfunktion“. Bei den „körperlichen Schmerzen“ erreicht das Traumakollektiv sogar weniger als ein Drittel der Punktwerte vom Normalkollektiv.
In Abbildung 4 sind neben den Traumapatienten auch Patienten nach einer anderen akut lebensbedrohlichen Erkrankung (Herzinfarkt) und chronischen Erkrankungen (Malignomen) dargestellt. Es fällt auf, dass die Polytraumapatienten in den Kategorien körperliche Schmerzen und soziale Funktionsfähigkeit gegenüber den beiden anderen Entitäten deutlich eingeschränkt sind. In den übrigen Kategorien ist die Lebensqualität der Traumapatienten derjenigen der Tumorpatienten vergleichbar, gegenüber den Herzinfarktpatienten sogar durchgängig besser.
Sozialer Status und persönliche Einschränkungen
Der Familienstand vor und 2 Jahre nach Unfall ist der Tabelle 4 zu entnehmen. Dieser Aspekt zeigt sich nur wenig vom Unfall beeinflusst. Vor dem Unfall befanden sich 53,1% der Patienten in einer festen Beziehung (ledig oder verheiratet), 2 Jahre danach 48,7%. Tendenziell waren nach dem Unfall mehr Patienten (10,4%) geschieden oder getrennt lebend als vorher (6,8%). Insgesamt können hier aber keine unfallbedingten signifikanten Unterschiede ermittelt werden.
Einen prägnanten Einschnitt im Bereich der sozialen Situation bedeutet der Unfall bei der Berufstätigkeit und der Berufsfähigkeit (Tabelle 5). Sowohl die Anzahl der Angestellten und Arbeiter als auch der Selbständigen hat sich nach dem Unfall fast halbiert. Vor dem Unfall waren 129 Patienten in einem festen Arbeitsverhältnis, 2 Jahre danach nur noch 71. Die Arbeitslosenquote stieg von 5% vor auf 13,5% nach dem Unfall. Während zum Zeitpunkt des Unfalls nur 1 Patient (0,5%) als arbeitsunfähig galt, waren dies 2 Jahre danach 34 Patienten (15,3%).
Auf gezieltes Befragen nach persönlichen unfallbedingten Verschlechterungen (Tabelle 6) wird der soziale Einschnitt nach Unfall genauer beleuchtet. 19,8% aller Patienten gaben an unfallbedingt arbeitslos geworden zu sein. Die quantitativen Unterschiede aus Tabelle 5 und 6 bei den Angaben zur Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit resultieren aus den subjektiven patienteneigenen Definitionen der Begriffe oder fortbestehender Arbeitsunfähigkeit infolge nicht abgeschlossener berufsgenossenschaftlicher Verfahren. 9,9% der Patienten gaben an, eine Umschulung durchlaufen zu haben, und bei 15,8% der Patienten war ein Arbeitsplatzwechsel erfolgt. Fast ein Drittel aller Befragten (29,7%) beklagten eine unfallbedingten finanziellen Nachteil erlitten zu haben und in 22,1% hatten die Patienten Schwierigkeiten mit Behörden bei der Regelung unfallbedingter Folgen.
Diskussion
Die geringe Letalität der Initialphase unserer Patienten mit unter 10% wird von anderen Autoren bei Schwerverletzten bestätigt [3, 7, 8, 10, 15, 17, 19, 21, 26] und spiegelt die enormen Verbesserungen im Traumamanagement wider. Trotzdem sterben weitere 8% der Schwerverletzten während des stationären Behandlungs- oder Rehabilitationsverlaufs und weitere 8% im 2-Jahres-Intervall. Die Gesamtletalität von 26% über den 2-Jahres-Zeitraum in unserem Patientengut erscheint dabei unerwartet hoch. Verglichen mit Nachuntersuchungsergebnissen bei chirurgischen Intensivpatienten, die eine Gesamtletalität von 55% aufweisen [20], schneiden Unfallpatienten jedoch deutlich besser ab. Bei den chirurgischen Intensivpatienten ohne Trauma lag die Sterblichkeit zwischen Krankenhausentlassung und Nachuntersuchung mit 38% deutlich höher als bei unserem Traumakollektiv.
Zwei Drittel der schwerverletzten Patienten unseres Kollektivs waren 2 Jahre nach Unfall voll rehabilitiert. Dies deckt sich mit Nachuntersuchungsergebnissen aus anderen aktuellen Studien [11, 12, 13, 14, 23]. Die differenzierte Betrachtung zeigt allerdings z. T. erhebliche Langzeitauswirkungen auf wesentliche Bereiche der Lebensqualität wie körperliche Funktionseinschränkungen, Schmerzen, soziale und psychische Probleme:
-
fast die Hälfte unserer Patienten hat Einschränkungen bei der Eigenmobilität und bei der Erledigung von Alltagsaktivitäten,
-
mehr als die Hälfte aller Überlebenden hat chronisch Schmerzen und Angstzustände.
Das dauerhafte Schmerzproblem kristallisiert dabei den Unfallpatienten als besonders betroffen. Nach Vergleichen zu chronisch Kranken wird dies nicht nur von Herzinfarktpatienten, sondern sogar von Tumorpatienten als weniger gravierend angegeben [6, 28]. Die Ergebnisse des EuroQuol und des SF-36 verdeutlichen die entscheidenden Einschnitte in der Lebensqualität Schwerverletzter 2 Jahre nach Unfall.
Chronischen Schmerzen, Ängsten und Depressionen sowie den Einschränkungen bei den Alltagsaktivitäten wird in der Akutmedizin und der primären rekonstruktiven Phase nicht Rechnung getragen, da dies zeitlich durch die Verlegung in die Rehabilitation terminiert ist und damit der primär Behandelnde selten mit Langzeitproblemen konfrontiert wird [16]. Verantwortlich in hohem Maße für diese Einschränkungen sind neben Schädel-Hirn-Verletzungen in erster Linie Extremitäten- und Gelenkverletzungen [1, 6, 23, 27, 29], die vom Primärbehandler unter Umständen zumindest partiell beeinflusst werden könnten.
Der primär Behandelnde wird selten mit Langzeitproblemen konfrontiert
Die Untersuchungsergebnisse zeigen weitere nichtmedizinische Probleme der Unfallpatienten auf, die vom Verlust der Arbeitsfähigkeit oder Arbeitstätigkeit bis hin zu finanziellen Nachteilen bei einem Drittel aller Beteiligten führte. Auch die unfallbedingt notwendige Umschulung oder die Umsetzung am Arbeitsplatz bringt in der Regel finanzielle Einbußen mit sich. Trotzdem scheint eine Desozialisierung nicht stattzufinden, da sich beim Familienstand keine gravierenden Veränderungen zeigen lassen. Ein echter sozialer Abstieg oder eine Entwurzelung aus der Umgebung würde häufig mit dem Verlust der Einbindung in die Familie/Partner einhergehen. Obwohl also 22,1% der Patienten Schwierigkeiten mit Behörden angegeben hatten, scheint das soziale Netz in Deutschland doch die finanziellen Einbußen und persönlichen unfallbedingten Probleme auffangen zu können.
Fazit für die Praxis
Immerhin zwei Drittel der Langzeitüberlebenden unseres Kollektivs gelten als voll rehabilitiert. Trotzdem verbleiben erhebliche Einschränkungen bei Unfallpatienten auch im Spätverlauf. Die Lebensqualität 2 Jahre nach schwerem Unfall wird dabei vor allem durch chronische Schmerzen, Mobilitätsverlust, Probleme bei Alltagsaktivitäten und Verlust der Arbeitsfähigkeit sowie finanzielle Einbußen bestimmt. Dies stellt nicht nur ein administratives und rehabilitatives Versorgungsproblem dar, sondern muss auch an die primär Versorgenden weitergereicht werden, um Strategien zur Verbesserung des Langzeitergebnisses zu entwickeln.
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Zettl, R.P., Ruchholtz, S., Lewan, U. et al. Lebensqualität polytraumatisierter Patienten 2 Jahre nach Unfall. Notfall & Rettungsmedizin 7, 547–553 (2004). https://doi.org/10.1007/s10049-004-0696-0
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DOI: https://doi.org/10.1007/s10049-004-0696-0