Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags …

  • verstehen Sie wichtige Aspekte der komplexen Pathogenese von Knochenveränderungen bei Patienten mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen und Glukokortikoid(GK)-Therapie,

  • sind Ihnen die Basismaßnahmen zur Osteoprotektion bei GK-behandelten Patienten geläufig,

  • kennen Sie den diagnostischen Pfad von der Einschätzung des Frakturrisikos zur gezielten Prophylaxe und Therapie von Knochenveränderungen bei mit GK behandelten Patienten,

  • ist Ihnen die auf der Kalkulation von GK-Dosis und Behandlungsdauer basierende prinzipielle Indikationsstellung für die spezifische osteologische Pharmakotherapie bekannt.

Einleitung und epidemiologische Aspekte

Trotz der wachsenden Zahl neuer Immunsuppressiva, insbesondere von Biologika und „small molecules“ in der Therapie entzündlich rheumatischer Erkrankungen sowie anderer Krankheitsbilder der Inneren Medizin, Dermatologie und Neurologie bleiben Glukokortikoide (GK) aktuell noch die weltweit am häufigsten eingesetzten Immunsuppressiva [1]. Basierend auf epidemiologischen Daten, ist davon auszugehen, dass 0,5–0,9 % der Gesamtbevölkerung mit GK behandelt werden. Bei Frauen ab dem 50. Lebensjahr liegt dieser Anteil mit 2,7 % noch höher [2, 3, 4, 5]. In der in 10 Ländern mit 60.393 postmenopausalen Frauen durchgeführten Global Longitudinal Study of Osteoporosis in Women (GLOW) ergab sich ein Anteil GK-behandelter Patientinnen von 4,6 % [6, 7]. Somit zählt eine längerfristige GK-Therapie zu den häufigsten Ursachen der Osteoporose und impliziert ein erheblich erhöhtes Frakturrisiko [2]. Unter GK wird im ersten Jahr der Therapie ein Knochenmasseverlust von 5–15 % beobachtet [8]. Bei Langzeit-GK-Therapie ist mit einer Frakturprävalenz von 30–50 % zu rechnen [2], wobei insbesondere die Prävalenz vertebraler Frakturen mit zunehmendem Alter steigt. Vertebrale Frakturen fanden sich unter Langzeit-GK-Therapie bei 48 % der Patienten mit einem Alter von ≥ 70 Jahren im Vergleich zu 30 % bei Patienten mit einem Alter unter 60 Jahre [9]. Das Frakturrisiko steigt mit höherer täglicher und kumulativer Dosis. Ein besonders hohes Frakturrisiko besteht bei täglichen GK-Dosen ≥ 15 mg Prednisolonäquivalent und/oder einer kumulativen Dosis von ≥ 1 g Prednisolonäquivalent [10, 11]. Von wesentlicher Bedeutung für eine effektive Prophylaxe der Glukokortikoid-induzierten Osteoporose (GK-OP) ist die Beobachtung, dass das Frakturrisiko bereits in den ersten 3 Monaten nach Therapieeinleitung ansteigt und relativ rasch nach Beendigung der GK-Therapie wieder sinkt [12]. Wichtig für das Verständnis der Prävention und Therapie der GK-OP ist auch die Tatsache, dass den unter GK-Therapie auftretenden Veränderungen am Knochen immer ein komplexes Ursachengefüge zugrunde liegt, in dem nicht nur die direkten Effekte der GK auf den Knochen, sondern auch Einflüsse von chronischer Inflammation, Hormonstatus, Alter, Muskelfunktion und Komedikation berücksichtigt werden müssen [1, 13].

Merke

Die Frakturprävalenz unter Langzeit-GK-Therapie liegt bei 30–50 %.

Pathogenetische Aspekte der Glukokortikoid-induzierten Osteoporose

Die Effekte der GK auf den Knochen sind komplex. GK beeinflussen direkt alle am Knochenumbau beteiligten Zellen (Osteoblasten, Osteozyten und Osteoklasten) sowie regulatorische Faktoren, die für Reifung und Funktion dieser Zellen von Bedeutung sind. Weitere Effekte werden über Interaktionen der GK mit dem Kalziumstoffwechsel und hormonellen Faktoren sowie eine Beeinflussung der Muskulatur indirekt vermittelt.

In physiologischer Konzentration induzieren GK, vermittelt über eine Aktivierung des Wnt-Signalweges, die Differenzierung von mesenchymalen Stammzellen (MSC) zu Osteoblasten und hemmen deren Differenzierung in Adipozyten und Chondrozyten [14]. Supraphysiologische GK-Konzentrationen bedingen dagegen eine Suppression der Knochenformation durch Induktion von Osteoblastenapoptose sowie Hemmung der Proliferation, der Funktion und des Zellzyklus in Osteoblasten. Bei der Hemmung von Osteoblastogenese und Knochenformation durch GK, die für die Effekte einer Langzeit-GK-Therapie auf den Knochen wesentlich ist, kommt einer Suppression des Wnt-Signalweges eine entscheidende Bedeutung zu. Supraphysiologische GK-Konzentrationen bedingen vermittelt über eine vermehrte Synthese des Wnt-Inhibitors sFRP in MSC eine Downregulation des für die Osteoblastendifferenzierung wesentlichen Transkriptionsfaktors Runx2 und eine Induktion des für die Adipozytendifferenzierung wichtigen Faktors PPARγ. Dies führt zu einer Hemmung der MSC-Differenzierung zu Osteoblasten und einer vermehrten Differenzierung in Adipozyten. Wesentlich für die Hemmung der Osteoblastogenese ist auch die vermehrte Produktion der Wnt-Antagonisten Sclerostin und Dickkopf‑1 (Dkk-1) [15]. Andererseits induzieren GK eine vermehrte Sekretion von RANKL in Osteoblasten und Osteozyten bei gleichzeitiger Suppression der Sekretion von Osteoprotegerin (OPG) mit der Folge einer vermehrten Osteoklastogenese und Knochenresorption. Die Knochenresorption durch GK wird auch indirekt über Effekte der Wnt-Antagonisten Dkk‑1 und Sclerostin verstärkt [15, 16]. Die gesteigerte Knochenresorption ist v. a. zu Beginn einer GK-Therapie für die negative Bilanz des Knochenumbaus von Bedeutung [15].

Zu den primär extraskeletalen Einflüssen der GK auf den Knochen zählen die Suppression der Sekretion von Sexualhormonen (Östrogene und Testosteron) und Wachstumshormon, eine Veränderung der Pulsatilität der Sekretion von Parathormon sowie die Induktion einer negativen Kalziumbalance durch Hemmung der intestinalen Kalziumabsorption und Steigerung der renalen Kalziumsekretion.

Ferner zeigen Erkenntnisse über Interaktionen zwischen Knochen, Energiemetabolismus und Fettgewebe, dass GK auch über eine Hemmung der Osteocalcinsekretion in Osteoblasten und eine Beeinflussung der Leptinsekretion ungünstige Effekte auf Knochenformation und Muskulatur entfalten können [14, 17, 18, 19].

Wichtige primär extraskeletale Effekte der GK werden über die GK-induzierte Reduktion der Muskelmasse (Sarkopenie) vermittelt. Sarkopenie bedingt einerseits eine reduzierte mechanische Beanspruchung des Knochens. Diese führt zu einer Steigerung der Sekretion des Wnt-Antagonisten Sclerostin sowie von RANKL in Osteozyten, was eine negative Knochenumbaubilanz und eine Abnahme der Knochenmasse zur Folge hat. Andererseits erhöht Sarkopenie das Sturz- und somit das Frakturrisiko.

Die durch GK induzierte Apoptose von Osteozyten führt auch zu einer Störung der Reagibilität des Knochens auf mechanische Belastung, was zu einer reduzierten Knochenqualität beiträgt.

Zusammenfassend führt eine GK-Therapie zu einer Reduktion von Zahl und Aktivität von Osteozyten und Osteoblasten bei gleichzeitiger Steigerung der Knochenresorption, was nicht nur eine Verminderung von Knochenmasse zur Folge hat, sondern auch eine Reduktion der Knochenqualität bedingt. Diese Reduktion der Knochenqualität bzw. Bruchfestigkeit hat zur Folge, dass das Frakturrisiko nur eingeschränkt mit der gemessenen Knochenmineraldichte korreliert bzw. durch diese nur unzureichend abgebildet wird. Da GK-induzierte Knochenveränderungen v. a. den trabekulären Knochen betreffen, ist unter GK-Therapie das Risiko für vertebrale Frakturen deutlich höher als für nichtvertebrale [20].

Merke

Aufgrund der Verminderung der Knochenqualität mit fehlender Korrelation zur Knochenmineraldichte wird das Frakturrisiko unter Langzeit-GK-Therapie mit den derzeit in der Routinediagnostik eingesetzten Verfahren der Osteodensitometrie nur unzureichend abgebildet und eher unterschätzt.

Diagnostik, Prävention und Therapie der Glukokortikoid-induzierten Osteoporose

Wesentlich für die Indikationsstellung für Diagnostik, Prävention und Therapie der GK-OP ist die Bestimmung des Frakturrisikos, auf dem die Therapie aufbaut. International wird zur Bestimmung des Frakturrisikos und zur Ableitung therapeutischer Konsequenzen häufig das Fractur Risk Assessment Tool (FRAX) herangezogen [21]. Im deutschsprachigen Raum kommt zur Evaluierung des Frakturrisikos und zur Indikationsstellung für die spezifische osteologische Therapie die Leitlinie des Dachverbandes Osteologie (DVO) zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen und bei Männern ab dem 60. Lebensjahr zur Anwendung [22].

Diagnostik der Glukokortikoid-induzierten Osteoporose

Eine Indikation zur Osteoporosebasisdiagnostik ist nach DVO-Leitlinie gegeben, wenn das kalkulierte 10-Jahres-Risiko für vertebrale Frakturen und proximale Femurfrakturen bei > 20 % liegt. Die Basisdiagnostik umfasst eine ausführliche Anamnese bezüglich Frakturen und Osteoporoserisikofaktoren bzw. Hinweisen auf sekundäre Osteoporoseformen, die Beurteilung von Muskelkraft und Koordination bzw. die Einschätzung des Sturzrisikos, die Osteodensitometrie mittels dualer X‑ray-Absorptiometrie (DXA) an Lendenwirbelsäule, Gesamtfemur und Schenkelhals sowie ein auf Differenzialdiagnose und Erkennung sekundärer Osteoporosen fokussiertes Laborprogramm (Kalzium, Phosphat im Serum, Kreatinin-Clearance, Gamma-GT [Glutamyltransferase], alkalische Phosphatase, Blutbild, BSG [Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit], CrP [C-reaktives Protein], Eiweißelektrophorese, TSH [Thyroidea-stimulierendes Hormon]). Eine Basisdiagnostik ist u. a. bei allen postmenopausalen Frauen und Männern über 60 Jahre indiziert, die eine GK-Therapie mit Dosen von ≥ 2,5 mg Prednisolonäquivalent täglich über mehr als 3 Monate erhalten bzw. bei denen eine solche Therapie geplant ist. Die Basisdiagnostik und die entsprechende Ableitung prophylaktischer und therapeutischer Konsequenzen können auch für jüngere Patienten mit GK-Therapie in oben genannten Dosen empfohlen werden, obwohl diese nicht von der DVO-Leitlinie erfasst werden. Allerdings ist bei jüngeren Patienten die Evidenz für das Management des Frakturrisikos deutlich geringer, und die Therapie bleibt eine Einzelfallentscheidung. Die ACR(American College of Rheumatology)-Leitlinie gibt auch Empfehlungen für jüngere Patienten [21]. Auch unabhängig von Bestehen oder Planung einer GK-Therapie wird die Basisdiagnostik bei Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA), ankylosierender Spondylitis (AS) und systemischem Lupus erythematodes (SLE) empfohlen. Ein für die weiteren Entscheidungen sehr wichtiger, mittels Osteodensitometrie ermittelter Parameter ist der T‑Score, der die Standardabweichung der gemessenen Knochenmineraldichte (BMD) von der maximal im Leben erreichten BMD bzw. der „peak bone mass“ widerspiegelt. Den therapeutischen Entscheidungen wird dabei der niedrigste T‑Score der 3 Messorte Lendenwirbelsäule, Hüfte und Schenkelhals zugrunde gelegt.

Merke

Bei allen in der DVO-Leitlinie abgebildeten Patienten (postmenopausale Frauen und Männer ab dem 60. Lebensjahr) soll bei etablierter oder geplanter GK-Therapie mit GK-Dosen von ≥ 2,5 mg/Tag Prednisolonäquivalent über > 3 Monate eine osteologische Basisdiagnostik erfolgen.

Basismaßnahmen bei Glukokortikoid-induzierter Osteoporose bzw. Glukokortikoid-behandelten Patienten

Präventive Maßnahmen im Hinblick auf die Entwicklung einer GK-OP sollten generell in die Therapieplanung bei allen Patienten, insbesondere auch jenen mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen, einbezogen werden, bei denen eine längerfristige GK-Therapie infrage kommt oder unvermeidlich ist.

Dabei sind die in der DVO-Leitlinie generell empfohlenen Maßnahmen zur Osteoporose- und Frakturprophylaxe grundsätzlich bei allen Patienten umzusetzen, die GK über mehr als 3 Monate in oben genannter Dosis erhalten bzw. erhalten sollen.

Einer ausreichenden Vitamin-D-Substitution kommt dabei eine wesentliche Bedeutung zu. Ein Vitamin-D-Mangel hat insbesondere auch bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen eine hohe Prävalenz [23] und ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Der Vitamin-D-Bedarf ist somit vom Ausmaß eines bestehenden Defizits abhängig. Nach den Empfehlungen des DVO sollte die tägliche Dosis im Bereich von 800–1000 E Vitamin D3 liegen. Alternativ können auch intermittierende Gaben mit z. B. 20.000 E alle 14 Tage zur Anwendung kommen. Es sollte ein Vitamin-D-Spiegel zwischen 50 und 125 nmol/l angestrebt werden, möglichst sollte der Vitamin-D-Spiegel bei mindestens 75 nmol/l liegen [24]. Eine ausreichende Kalziumzufuhr soll über die Nahrung mit ca. 1000 mg/Tag gewährleistet werden. Ausnahmen im Hinblick auf die Substitution von Vitamin D3 und Kalzium gelten für Hyperparathyreoidismus, Nephrolithiasis, Hyperkalziurie sowie aktive granulomatöse Erkrankungen [22]. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Möglichkeit der extrarenalen substratabhängigen Vitamin-D-Hormon-Synthese mit konsekutiver Hyperkalzämie bei aktiver Sarkoidose hinzuweisen. Weitere Maßnahmen zielen auf eine Prävention bzw. Reduktion von Sturzrisiko und Sarkopenie. Dazu zählen Maßnahmen zur Förderung von Muskelkraft und Koordination sowie die Beseitigung vermeidbarer Ursachen für Stürze, z. B. die Beendigung einer sturzbegünstigenden Medikation und ggf. Veränderungen im häuslichen Umfeld wie Beseitigung von „Stolperfallen“, Anbringen von Haltegriffen usw. Da ein niedriger BMI (Body-Mass-Index) mit reduzierter Knochenmineraldichte assoziiert ist, sollte Untergewicht (BMI < 20 kg/m2) vermieden werden. Wichtig ist außerdem die Beendigung eines Nikotinkonsums, wobei diese Maßnahme auch das bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen erhöhte kardiovaskuläre Risiko adressiert, das durch höher dosierte GK weiter akzeleriert wird. Wichtige Basismaßnahmen zeigt Tab. 1.

Tab. 1 Basismaßnahmen zur Frakturprävention

Insbesondere bei Patienten mit hohem Frakturrisiko sollten auch frühzeitig GK-sparende Therapiealternativen in Erwägung gezogen werden.

Merke

Die bei allen Patienten mit GK-Dosen von ≥ 2,5 mg/Tag Prednisolonäquivalent über > 3 Monate indizierten Basismaßnahmen umfassen Vitamin-D- und Kalziumsubstitution, Maßnahmen zur Förderung von Muskelkraft und Koordination sowie zur Sturzprophylaxe und die kritische Evaluation von potenziell Osteoporose- und Fraktur-begünstigender Medikation.

Indikationsstellung für eine spezifische osteologische medikamentöse Therapie bei Patienten mit etablierter oder geplanter Glukokortikoidtherapie

Die Entscheidung darüber, ob eine über die beschriebenen Basismaßnahmen hinausgehende osteologische medikamentöse Therapie erforderlich ist, wird von folgenden Faktoren bestimmt:

  1. 1.

    Prävalenz osteoporotischer Frakturen zum Zeitpunkt der Basisdiagnostik bzw. der Initiierung der GK-Therapie,

  2. 2.

    Ergebnisse der Basisdiagnostik, insbesondere der Osteodensitometrie,

  3. 3.

    aktuelle sowie mittel- und längerfristig kalkulierte GK-Dosis bzw. kalkuliertes Reduktionsschema der GK,

  4. 4.

    Alter und Geschlecht,

  5. 5.

    Grunderkrankung, welche die Indikation für GK begründet,

  6. 6.

    Vorhandensein von Komorbiditäten und anderen Osteoporoserisikofaktoren, welche die Indikationsschwelle für eine spezifische medikamentöse osteologische Therapie modifizieren.

Die aufgeführten Faktoren spiegeln dabei wichtige Aspekte der GK-OP wider, die für das Frakturrisiko von wesentlicher Bedeutung sind und somit die Therapieschwelle beim einzelnen Patienten bestimmen. Das Frakturrisiko steigt einerseits mit Zunahme der täglichen und der kumulativen GK-Dosis bzw. mit der Therapiedauer, wird jedoch andererseits durch demografische Faktoren wie Alter und Geschlecht, Grunderkrankung, Komorbiditäten und Komedikation modifiziert. Die multiplen Einflussfaktoren auf das Frakturrisiko spiegeln die komplexe Pathogenese von Knochenveränderungen bei mit GK behandelten Patienten wider.

Indikationsstellung für eine spezifische osteologische medikamentöse Therapie bei Patienten mit etablierter oder geplanter Glukokortikoidtherapie mit kalkulierter Glukokortikoiddosis von ≥ 7,5 mg Prednisolonäquivalent täglich über mehr als 3 Monate und bei prävalenten höhergradigen osteoporotischen Frakturen

Ein besonders hohes Frakturrisiko bzw. eine besonders niedrige Therapieschwelle bei GK-behandelten Patienten liegt vor bei bereits prävalenten osteoporotischen Frakturen und/oder bei Anwendung höherer GK-Dosen über einen längeren Zeitraum. Eine vorbestehende osteoporotische Fraktur ist der stärkste Risikofaktor für weitere Frakturen. Diese Aspekte spiegeln sich in den Empfehlungen des DVO wider. Demnach sollen in der DVO-Leitlinie abgebildete Patienten mit bereits etablierter oder geplanter GK-Therapie dann eine spezifische osteologische medikamentöse Therapie erhalten, wenn sie eine GK-Dosierung von ≥ 7,5 mg Prednisolonäquivalent täglich über mehr als 3 Monate erhalten bzw. prospektiv von einer solchen auszugehen ist und der niedrigste in der DXA gemessene T‑Score bei ≤ −1,5 liegt oder wenn niedrig-traumatische Wirbelkörperfrakturen bzw. multiple periphere Frakturen aufgetreten sind. Unter Bewertung des individuellen Frakturrisikos ist auch bei T‑Werten von > −1,5 eine spezifische Therapie möglich.

Mit einer derartigen Konstellation mit sehr hohem Frakturrisiko und entsprechend niedriger Therapieschwelle wird in der Praxis v. a. bei 2 Patientengruppen zu rechnen sein. Zum einen kann eine derartige Konstellation bei Patienten mit entzündlich rheumatischen Systemerkrankungen vorliegen, wenn die Basisdiagnostik entsprechend der DVO-Leitlinie vor bzw. zum Zeitpunkt des Beginns der GK-Therapie durchgeführt wird und nach den entsprechenden aktuellen Therapieempfehlungen der entzündlich rheumatischen Grunderkrankung mit einer GK-Dosis von ≥ 7,5 mg Prednisolonäquivalent täglich über mehr als 3 Monate kalkuliert werden muss. Nach den derzeitigen Therapieschemata muss bei folgenden Krankheitsbildern mit einer GK-Dosis von ≥ 7,5 mg Prednisolonäquivalent täglich über mehr als 3 Monate gerechnet werden: Kollagenosen, insbesondere SLE mit schwerer Organbeteiligung (proliferative Lupusnephritis, ZNS[Zentralnervensystem]-Beteiligung, Myokarditis, Pneumonitis) [25, 26] und inflammatorische Myopathien (Polymyositis, Dermatomyositis) [27], ANCA(antineutrophile zytoplasmatische Antikörper)-assoziierte Vaskulitiden im Generalisationsstadium mit organ- und lebensbedrohenden Manifestationen [28], eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis [29], Riesenzellarteriitis und Takayasu-Arteriitis [30, 31] und Polymyalgia rheumatica (PMR) [32]. Auch bei schweren Verläufen eines Still-Syndroms des Erwachsenen oder einer Sarkoidose kann eine solche Konstellation auftreten. Besonders wichtig ist es, die osteologische Basisdiagnostik bereits zum Zeitpunkt der Einleitung der GK-Therapie durchzuführen, da das Frakturrisiko bereits in den ersten 3 Monaten der Therapie ansteigt.

Ferner muss im Einzelfall mit Patienten gerechnet werden, bei denen längerfristig mit Prednisolon-Dosen von ≥ 7,5 mg/Tag Prednisolonäquivalent behandelt wird, z. B. aufgrund multipler Unverträglichkeiten von oder ablehnender Haltung gegenüber GK-sparender alternativer Medikation, auch wenn in den Leitlinien entzündlich rheumatischer Erkrankungen von einer langfristigen Therapie bzw. Erhaltungstherapie mit derartigen GK-Dosen abgeraten wird.

Des Weiteren ist eine Konstellation mit niedrigeren Prednisolon-Dosen als 7,5 mg/Tag, jedoch prävalenten osteoporotischen Frakturen möglich. Auch hierfür gibt die DVO-Leitlinie klare Empfehlungen. Danach ist eine spezifische medikamentöse osteologische Therapie dann indiziert, wenn niedrig-traumatische singuläre Wirbelkörperfrakturen 2. oder 3. Grades, multiple Wirbelkörperfrakturen 1. bis 3. Grades oder eine niedrig-traumatische proximale Femurfraktur vorliegen und der niedrigste gemessene T‑Wert bei < −2,0 liegt. Diese Empfehlung gilt auch für Patienten ohne GK-Therapie. Individuell kann auch bei höheren T‑Werten eine spezifische Therapie eingeleitet oder bei eindeutigen osteoporotischen Wirbelkörper- oder proximalen Femurfrakturen in Abhängigkeit von der klinischen Gesamtsituation auf eine Osteodensitometrie verzichtet werden.

Merke

Bei einer kalkulierten GK-Dosis von ≥ 7,5 mg/Tag Prednisolonäquivalent über > 3 Monate ist eine spezifische medikamentöse Osteoporosetherapie bereits bei einem niedrigsten T‑Score von ≤ −1,5 indiziert, auch wenn noch keine Frakturen vorliegen.

Indikationsstellung für eine spezifische osteologische medikamentöse Therapie bei Patienten mit etablierter oder geplanter Glukokortikoidtherapie mit kalkulierter Glukokortikoiddosis von ≥ 2,5–7,5 mg Prednisolonäquivalent täglich ohne prävalente osteoporotische Frakturen

Bei allen Patienten mit etablierter oder geplanter GK-Therapie über 3 Monate, für die oben genannte Befundkonstellationen nicht zutreffen, d. h. bei Patienten mit Prednisolon-Dosen ≥ 2,5 mg/Tag, aber < 7,5 mg/Tag und ohne prävalente osteoporotische Frakturen, gewinnen für die Indikationsstellung zur spezifischen Therapie auf Basis des kalkulierten Frakturrisikos Alter und Geschlecht des Patienten, die mit GK behandelte Grunderkrankung und das Vorliegen von die Frakturgefährdung akzelerierenden Begleiterkrankungen und -faktoren besondere Bedeutung. Insofern wird die Indikationsstellung für eine spezifische osteologische Therapie bei oben genannten niedrigeren GK-Dosen komplexer als bei höheren Dosen. Eine Indikation für eine spezifische medikamentöse Osteoporosetherapie ergibt sich bei einem kalkulierten 10-Jahres-Risiko für vertebrale Frakturen und proximale Femurfrakturen von > 30 %. Hierbei ist zu beachten, dass das Frakturrisiko mit steigendem Alter der Patienten, insbesondere auch durch Sarkopenie und häufigere Stürze kontinuierlich zunimmt. Ferner ist bei Frauen das Frakturrisiko generell etwas höher als bei Männern. Aufgrund der Zusammenhänge des Frakturrisikos mit oben genannten demografischen Faktoren ergibt sich bei gleicher Knochenmineraldichte bzw. gleichem T‑Wert eine mit steigendem Alter niedrigere Schwelle für eine spezifische osteologische Therapie.

Zur Entscheidungsfindung, ob eine spezifische medikamentöse osteologische Therapie indiziert ist oder ob auf diese zunächst verzichtet werden kann, wird nun bei Patienten mit oben genannter GK-Dosierung in einem ersten Schritt zunächst unabhängig vom Faktor GK-Therapie die prinzipielle Therapieindikation auf Basis von Alter, Geschlecht und niedrigstem gemessenem T‑Wert ermittelt, wie in Tab. 2 dargestellt. In einem zweiten Schritt wird dann bestimmt, inwieweit die Therapieschwelle durch das Frakturrisiko modifizierende individuelle Risikofaktoren gesenkt wird bzw. sich die Indikation für eine spezifische Therapie bereits bei höheren T‑Werten ergibt.

Tab. 2 Indikationsstellung für die spezifische osteologische Therapie nach kalkuliertem 10-Jahres-Frakturrisiko, basierend auf dem Befund der Osteodensitometrie (DXA [duale X‑Ray-Absorptiometrie], niedrigster T‑Score), Alter und Geschlecht

Nur wenige Risikofaktoren bedingen eine Senkung der Therapieschwelle um 1,0 T-Werte, während eine relativ große Gruppe von Faktoren zu einer Senkung der Therapieschwelle um 0,5 T-Werte führt (Tab. 3 und 4). Zu den Faktoren, die eine Senkung der Therapieschwelle um 1,0 T-Werte bedingen, zählt u. a. eine GK-Therapie mit GK-Dosen zwischen 2,5 und < 7,5 mg Prednisolonäquivalent über mehr als 3 Monate (Tab. 3). Die Diagnose einer RA bedingt dagegen eine Senkung der Therapieschwelle um 0,5 T-Werte (Tab. 4). Zu beachten ist, dass für die Senkung der Therapieschwelle zwar verschiedene Faktoren additiv zu verwenden sind, aber die Zahl der additiv einfließenden Faktoren auf 2 begrenzt und die Therapieschwelle nur bis zu einem T‑Wert von −2,0 gesenkt werden soll. Ferner ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass bei gleichzeitig vorliegender RA für den Faktor GK-Therapie mit GK-Dosen zwischen 2,5 und < 7,5 mg Prednisolonäquivalent über mehr als 3 Monate die Therapieschwelle nur um 0,5 T-Werte gesenkt wird, sodass sich insgesamt für einen mit GK in oben genannter Dosierung behandelten RA-Patienten eine Therapieschwellensenkung um 1,0 T-Werte ergibt.

Tab. 3 Indikation für spezifische osteologische Therapie bei einem um 1,0 höheren T‑Score
Tab. 4 Indikation für spezifische osteologische Therapie bei einem um 0,5 höheren T‑Score

Der beschriebene Pfad der Indikationsstellung für eine spezifische osteologische Therapie bei GK-Dosen zwischen 2,5 und < 7,5 mg/Tag Prednisolonäquivalent über mehr als 3 Monate ist in der Praxis insbesondere relevant für Patienten mit neu diagnostizierter RA und geplanter GK-Therapie für 3 bis 6 Monate, da nach der aktuellen S2e-Leitlinie eine initiale GK-Therapie in 8 Wochen auf eine Dosis von ≤ 5 mg Prednisolonäquivalent pro Tag reduziert und auf 3 bis 6 Monate begrenzt werden soll [33]. Ferner ist der beschriebene Pfad gut geeignet für Patienten unter bereits längerfristig etablierter Low-dose-GK-Therapie, z. B. bei oben genannten Systemerkrankungen in der Remissionserhaltung, bei denen bisher noch keine Evaluation hinsichtlich Prophylaxe bzw. Therapie GK-induzierter Knochenveränderungen erfolgt ist.

Die von der kalkulierten GK-Dosis abhängigen Entscheidungswege für eine spezifische medikamentöse Therapie sind in Abb. 1 dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Algorithmus zur Therapieindikation bei Glukokortikoid(GK)-induzierter Osteoporose (GK-OP). d Tag, DXA duale X‑Ray-Absorptiometrie, WK-Fx Wirbelkörperfraktur, Fx Fraktur

Merke

Bei einer kalkulierten GK-Dosis von ≥ 2,5 mg/Tag und < 7,5 mg/Tag Prednisolonäquivalent über > 3 Monate basiert die Indikation für eine spezifische medikamentöse Osteoporosetherapie auf T‑Score, Alter, Geschlecht und die Therapieschwelle modifizierenden Risikofaktoren.

Fazit für die Praxis

  • Die GK(Glukokortikoid)-induzierte Osteoporose ist gekennzeichnet durch ein bereits in den ersten 3 Monaten der GK-Therapie ansteigendes Frakturrisiko, initiale Steigerung der Knochenresorption, anhaltende Suppression der Knochenformation und reduzierte Knochenqualität, resultierend in einer Frakturrate von 30–50 %.

  • Bei allen in der DVO(Dachverband Osteologie)-Leitlinie erfassten Patienten mit bestehender oder geplanter GK-Therapie mit Dosen von ≥ 2,5 mg Prednisolonäquivalent täglich über mehr als 3 Monate sind osteologische Basisdiagnostik und Basismaßnahmen zur Osteoprotektion indiziert.

  • Die Indikation für eine über die Basismaßnahmen hinausgehende spezifische medikamentöse Therapie basiert auf der Prävalenz osteoporotischer Frakturen, dem Ergebnis der Osteodensitometrie, der aktuellen sowie längerfristig kalkulierten GK-Dosis, Alter und Geschlecht, Grunderkrankung und weiteren Frakturrisikofaktoren.

  • Bei Patienten mit einer kalkulierten GK-Dosis von ≥ 7,5 mg Prednisolonäquivalent täglich über mehr als 3 Monate und bei bereits prävalenten höhergradigen osteoporotischen Frakturen ist von einem besonders hohen Frakturrisiko auszugehen.