FormalPara Originalpublikation

Bitzer EM, Lehmann B, Bohm S, Priess H‑W (2015) Schwerpunkt: Lumbale Rückenschmerzen. In: Barmer GEK (Hrsg) BARMER GEK Report  Krankenhaus 2015. Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse, Bd 33. Asgard Verlagsservice GmbH, Siegburg

Die BARMER GEK untersuchte anhand von Abrechnungsdaten und einer Patientenbefragung Krankenhausfälle, die im Jahr 2013 mit den Hauptdiagnosen Spondylopathie, Rückenschmerzen oder sonstige Bandscheibenschäden abgerechnet wurden. Insgesamt wurden 40.333 BARMER-Versicherten stationär auf diese Diagnosen behandelt, hochgerechnet auf die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland ergibt dies 400.506 Fälle. Die Patienten waren im Mittel 61,8 Jahre alt. Frauen wurden häufiger stationär behandelt als Männer.

Empirische Grundlagen des Reports

Für den Report wurde anhand der abgerechneten Prozeduren (OPS-Katalog) die stationäre Behandlung in 4 Kategorien unterteilt:

  1. 1.

    Wirbelsäulenoperation (OP),

  2. 2.

    Multimodale Schmerztherapie (MMST),

  3. 3.

    Interventionelle Schmerztherapie (IST),

  4. 4.

    Sonstige Behandlungen (SP).

Unter der Kategorie Wirbelsäulenoperationen wurden alle Eingriffe, außer den minimalinvasiven Verfahren, dokumentiert. Fälle, in denen interventionell verschlüsselbare Leistungen abgerechnet wurden, fielen unter die Kategorie interventionelle Verfahren, bei der multimodalen Schmerztherapie wurden alle abgerechneten OPS-Codes 8‑918 einbezogen. Alle anderen Behandlungen sind unter „Sonstige“ aufgeführt, wobei in der Mehrzahl der Fälle diagnostische Maßnahmen codiert wurden.

Hinsichtlich der Diagnosen (codiert nach ICD 10) wurden von der BARMER 3 Hauptgruppen für die Untersuchung herangezogen:

  1. 1.

    M48: Spondylopathien,

  2. 2.

    M51: sonstige Bandscheibenschäden,

  3. 3.

    M54: Rückenschmerzen.

Verteilung der Behandlungsformen und -kosten

Die Verteilung der gestellten Diagnosen unterscheidet sich nach gewählter Behandlungsform (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Diagnoseverteilung anhand der Behandlungsform

Bei den Operationen wurden Patienten mit sonstigen Bandscheibenschäden (M51) am ehesten mit einer Nukleotomie, Patienten mit Spondylopathien (M48) mit einer Dekompression des Spinalkanals und Patienten mit Rückenschmerzen mit einer Spondylodese behandelt.

Insgesamt kam es nach Bereinigung um die Effekte der demografischen Entwicklung zu einer deutlichen Zunahme von stationären Behandlungen aufgrund von Rückenschmerzen (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Zunahme der stationären Behandlung von Patienten mit Rückenschmerzen. blau Fälle/10.000 Versichertenjahre (Rohdaten); rot Fälle/10.000 Versichertenjahre (bereinigt)

Am häufigsten wurden 2013 sonstige Behandlungsverfahren, gefolgt von den interventionellen und operativen Wirbelsäulenbehandlungen, durchgeführt. Die multimodale Schmerztherapie spielte mit einem Anteil von ca. 5 % zahlenmäßig nur eine untergeordnete Rolle (Abb. 3). Alle Behandlungsformen zeigten, auch nach Bereinigung um demografische Effekte, deutliche Zuwächse. Den größten Anstieg hatte die MMST zu verzeichnen (Abb. 4). Hinsichtlich der Wirbelsäulenoperationen ergab sich ein differenziertes Bild. So nahmen die Bandscheibenoperationen (demografiebereinigt) nur 12,2 % zu, während die Spondylodesen um 74,5 % anstiegen. Innerhalb eines Jahres nach Bandscheiben-OPs kam es zu einer 150 %igen Zunahme von Spondylodesenoperationen.

Abb. 3
figure 3

Stationäre Behandlungen aufgrund von Rückenschmerzen 2013, Verteilung nach Behandlungsarten (absolute Zahlen)

Abb. 4
figure 4

Zunahme von stationären Behandlungen von 2006–2014 nach Behandlungsart in %

Hinsichtlich der Kosten für die stationäre Behandlung ergab sich von 2006–2014 eine Zunahme um ca. 10 %. Der größte Zuwachs entfiel auf Wirbelsäulenoperationen (19,5 %), während sich die Kosten für interventionelle Therapien um ca. 2,5 % verringerten. Hochgerechnet ergaben sich Gesamtkosten für die stationären Behandlungen von Rückenbeschwerden von 1249,4 Mio. Euro, wobei über 50 % der Ausgaben auf operative Behandlungen entfielen (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Anteile der verschiedenen Therapieformen an den Gesamtkosten

Während die Patientencharakteristika sich zwischen den Behandlungsgruppen Wirbelsäulenoperation, interventionelle Schmerztherapie und sonstige Verfahren nur unwesentlich unterschieden, wiesen die Patienten in der multimodalen Schmerztherapie einige Besonderheiten auf.

Patienten, die multimodal behandelt wurden, hatten insgesamt mehr Nebendiagnosen und psychische Begleiterkrankungen und waren zudem häufiger allein lebend. Des Weiteren wurde für diese Patientengruppe anhand der Häufigkeit der Verschlüsselung von „Rückendiagnosen“ in den Jahren vor der Behandlung eine höhere Schmerzchronizität postuliert. Diese Annahme wird durch eine vermehrte Verordnung von Analgetika/Koanalgetika, eine doppelt so hohe Anzahl von stationären Behandlungen im Jahr vor der untersuchten stationären Behandlung (Indexbehandlung), verminderte Rate an Erwerbsfähigkeit bzw. erhöhte Rate an Arbeitsunfähigkeiten, auch aufgrund von nicht rückenbezogenen Erkrankungen, und vermehrte Heilmittelverordnungen unterstützt. Zusätzlich befanden sich ca. ein Viertel der Patienten der MMST-Gruppe in ambulanter Schmerztherapie.

Bei 36 % aller Patienten wurde zumindest eine manualmedizinische Behandlung der Wirbelsäule im Jahr vor der Indexbehandlung abgerechnet.

Hinsichtlich der im Jahr vor dem Indexaufenthalt durchgeführten Diagnostik zeigt sich, dass die operierten Patienten am häufigsten einer bildgebenden Diagnostik unterzogen wurden. Insgesamt wurden ca. 70 % der Patienten mit bildgebenden Verfahren untersucht.

Poststationärer Verlauf

Nach der stationären Behandlung erfolgte in 34 % der Fälle eine Rehabilitation, wobei der Anteil an Rehabilitationsmaßnahmen nach MMST mit 12 % am geringsten und nach Wirbelsäulenoperationen mit 58 % am höchsten lag. Die Komplikationsraten unterschieden sich zwischen den Behandlungsformen nicht.

Im Jahr nach der Indexbehandlung kam es häufig zu erneuten stationären Aufenthalten aufgrund von Rückenschmerzen. Die Behandlungen erfolgten hier eher nach interventionellen Verfahren als nach Operationen. Mit 10/100 Personen waren Wirbelsäulenoperationen besonders häufig nach Indexaufenthalt, während multimodale Behandlungen besonders selten (1,7/100 Personen) durchgeführt wurden. Insbesondere auffällig waren die hohen Operationsraten nach interventioneller Schmerztherapie (13,8/100 Personen) und nach operativer Vorbehandlung (10/100 Personen; Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Stationäre Behandlungen im Jahr nach dem Indexaufenthalt (Fälle je 100 Personen)

In der Nachbefragung (im Mittel 10 Monate nach der Behandlung) gaben die Patienten, die mit MMST behandelt wurden, die stärksten Schmerzen, die größten Einschränkungen in der Lebensqualität und die geringste Alltagsfunktionalität an. Patienten der Gruppe „Sonstige Behandlungen“ wiesen die geringste Zufriedenheit auf, während die OP-Patienten am zufriedensten waren.

Bewertung der Ergebnisse

Es gibt eine deutliche Zunahme stationärer Behandlungen von Patienten mit Rückenschmerzen. Nur ein geringer Zuwachs kann durch die alternde Bevölkerung (Demografieeffekte) erklärt werden.

Die Zunahme der stationären Behandlungen mit interventionellen und operativen Verfahren lassen sich weder durch die aktuellen Nationalen VersorgungsLeitlinien noch durch die wissenschaftliche Datenlage begründen [113]. Die deutliche prozentuale Zunahme der stationären MMST lässt sich auf die geringen Ausgangszahlen dieser, sich in der Etablierung befindlichen Behandlung erklären. Bei den „Sonstigen Verfahren“ können unterschiedliche Gründe für die Zunahme diskutiert werden. Möglicherweise spielen neu entwickelte Behandlungsformen wie die multimodale Komplexbehandlung des Bewegungssystems (OPS 8‑977, 14), die im Report nicht zusätzlich aufgeführt wurde, eine Rolle für die Zunahme der Behandlungsquantitäten. Eine nicht ausreichende ambulante Versorgung [15] von akuten und akut exazerbierten Rückenschmerzen und finanzielle Anreize für die Leistungserbringer könnten darüber hinaus für die Zunahme der Fallzahlen verantwortlich sein.

Wie hoch der Anteil der unspezifischen Schmerzsyndrome ist, lässt sich aus den Daten nicht ableiten. Die Unterschiede in den Diagnosehäufigkeiten in Bezug zu Behandlungsformen ergeben sich eher aus den Deutschen Kodierrichtlinien [16] und dem fachspezifischen Zugang [17, 18] zur Diagnosestellung als aus den meist komplexen Schmerzursachen.

Von den unterschiedlich behandelten Patientengruppen unterscheidet sich jedoch die Gruppe der mit MMST behandelten Patienten deutlich. Hier findet sich eine höhere Schmerzchronifizierung, höhere Quantität an Komorbiditäten und eine größere Anzahl psychischer Begleiterkrankungen. Alle anderen Behandlungsverfahren behandeln nach den vorliegenden Daten ähnliche Patientengruppen mit einer unterschiedlichen Strategie. Die Patienten, die mit „Sonstigen Verfahren“ behandelt wurde, scheinen noch am heterogensten zu sein. In dieser Behandlungsgruppe sind wahrscheinlich Patienten mit akuten Schmerzen bzw. akuten Schmerzexazerbationen, die über die Notaufnahmen in die stationäre Versorgung kommen, aber auch Patienten, die mit der multimodalen Komplexbehandlung des Bewegungssystems behandelt werden, eingeschlossen.

Die Behandlungsinhalte lassen sich für interventionelle und operative Behandlungen anhand der vorliegenden Daten differenzieren. Am deutlichsten fällt die Zunahme der Spondylodeseoperationen für unspezifische Rückenschmerzen (M54) auf. Insbesondere nach (nicht erfolgreichen) Bandscheibenoperationen kommt es zunehmend zu Spondylodeseimplantationen, obwohl die langfristigen Outcomes nicht überzeugend sind [12, 19].

Der Rahmen für die MMST ist in der OPS 8‑918 definiert. Trotz verschiedener Klarstellungen und Definitionen der Fachgesellschaften [2022] sind die durchgeführten Behandlungen nicht einheitlich. Sie unterscheiden sich in der Länge der Therapie, aber auch durch ihre Inhalte.

Andere Versorgungsformen wie die stationäre multimodale Komplexbehandlung des Bewegungssystems [14] und die teilstationäre Schmerztherapie [23] fanden keinen Eingang in die Untersuchung der BARMER oder wurden in der Kategorie „Sonstige Behandlungen“ subsummiert.

Im Anschluss an die stationären Behandlungen wurde nach Wirbelsäulenoperationen in über 50 % der Fälle eine Rehabilitation durchgeführt. Ein Teil der positiven Effekte der Operation wird auch der interdisziplinären, funktionellen Nachbehandlung zuzuschreiben sein.

Auffällig sind die hohen Raten an erneuten stationären Behandlungen aufgrund von Rückenschmerzen und aufgrund anderer Erkrankungen. Der Anteil an multimodaler Schmerztherapie ist gering, obwohl davon auszugehen ist, dass die meisten dieser Patienten spätestens zu diesem Zeitpunkt an einem chronischen Schmerzsyndrom erkrankt waren. Der Mangel an entsprechenden Kapazitäten und fehlendes Wissen bzw. negative Einstellungen gegenüber der MMST mögen Gründe für die geringe Zahl der multimodalen Behandlung darstellen. Auffällig ist auch die hohe Zahl an Wiederholungsbehandlungen nach interventioneller Schmerztherapie. Diese Zahlen unterstützen zusätzlich die schlechte Evidenzlage für diese Therapieverfahren. Ursächlich ist zusätzlich das hohe Risiko für Iatrogenisierung und Somatisierung durch die interventionellen Verfahren [3].

Die Behandlungsergebnisse, insbesondere für die multimodale Schmerztherapie, sollten vorsichtig bewertet werden, da nur 38 Fälle ausgewertet werden konnten. Die MMST zeigt im Vergleich (außer bei den erneuten stationären Therapien) die schlechtesten Ergebnisse, die operativen Verfahren zeigen die besten. Ursächlich sind hier möglicherweise 2 Faktoren:

  1. 1.

    Die nichtstandardisierte Behandlung in der MMST,

  2. 2.

    Die höhere Schmerzchronifizierung in dieser Patientengruppe.

Fazit

Zusammenfassend gibt der detaillierte Report der BARMER die stationäre Versorgungssituation für Patienten mit Rückenschmerzen in der Bundesrepublik Deutschland wieder. In der stationären Versorgung zeigt sich eine Zunahme der Kapazitäten, der Zahl der Behandlungen und der Kosten. Eine durch die Sektoren führende, strukturierte Versorgung zeigt sich nicht. Die Nationalen VersorgungsLeitlinien, insbesondere die rasche multimodale interdisziplinäre Diagnostik, wird nicht umgesetzt. Eine Strategie zur Bildung von Subgruppen und damit einer gezielten Therapiesteuerung gibt es nicht.