Im letzten Jahrzehnt wurde eine Vielzahl wirksamer internetbasierter Gesundheitsinterventionen entwickelt. Während diese in Ländern wie den Niederlanden, Australien oder Nordamerika bereits einen Platz in der Regelversorgung eingenommen haben und die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden, werden Anwendungsgebiete in Deutschland kontrovers diskutiert. Zur Evaluation der Möglichkeiten und Grenzen internetbasierter Gesundheitsinterventionen ist es wichtig, die Einstellungen von Psychotherapiepatienten und Interessenten für Psychotherapie zu kennen.

Hintergrund

Die bisherige Forschung zur Wirksamkeit internetbasierter Gesundheitsinterventionen erscheint vielversprechend (Arnberg et al. 2014; Eichenberg und Brähler 2013; Eichenberg und Kienzle 2013). Die Interventionen können mit oder ohne menschlichen Kontakt stattfinden, textbasiert oder als Audio- oder Videokonferenz angeboten werden. Auch kann die Interaktion synchron, z. B. via Chat, oder asynchron, z. B. via E-Mail oder in passwortgeschützten Plattformen, stattfinden. Dies macht sie unabhängig von örtlichen und, bei asynchroner Durchführung, zeitlichen Gegebenheiten (Suler 2000). Die Frage, ob sich Personen für eine internetbasierte Behandlung entscheiden und diese absolvieren, wird u. a. durch individuelle Merkmale potenzieller Nutzer beantwortet. Ritterband et al. (2009) haben im Rahmen ihres „model of internet interventions“ relevante Nutzercharakteristika konkretisiert. Hiernach beeinflussen folgende Faktoren die Zufriedenheit mit und die Wirksamkeit der Intervention:

  • Diagnose und Ausmaß der Störung,

  • demografische Einflüsse,

  • Personenmerkmale, wie z. B. Intelligenz,

  • kognitive Faktoren, wie z. B. Selbstregulationsfähigkeiten,

  • Einstellungen, Meinungen und Erwartungen an die Behandlung,

  • physiologische Faktoren und

  • Fertigkeiten, wie z. B. die Fähigkeit im Umgang mit dem Computer.

Ziel der vorliegenden Studie ist es, Einstellungen und Meinungen von potenziellen Nutzern in Deutschland zu internetbasierten Behandlungen zu erfassen. Die Erkenntnisse sollen dazu beitragen, die Entwicklung stärker auf deren Bedürfnisse ausgerichteter Interventionen voranzutreiben.

In vorherigen Untersuchungen berichteten 75 % der Besucher der Internetseite einer australischen Traumaklinik, dass sie wegen ihrer Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung eine internetbasierte Intervention in Anspruch nehmen würden (Spence et al. 2011). Bei der Interpretation ist die Art der Stichprobengewinnung zu berücksichtigen, jedoch schienen die Ergebnisse mit jenen einer deutschen Stichprobe vergleichbar zu sein. Hier konnten sich 76 % der Nutzer von Internetforen zu psychologischen Themen eine Teilnahme vorstellen (Kral und Traunmüller 2008). In einer 2010 erhobenen, repräsentativen Stichprobe aus der deutschen Gesamtbevölkerung konnten sich jedoch lediglich 26 % der Teilnehmer vorstellen, entsprechende Angebote zu nutzen (Eichenberg und Brähler 2013). In der Population der Internetnutzer war der Anteil ebenfalls verhältnismäßig gering und betrug 44 %. Die Einstellung gegenüber internetbasierten Interventionen war um so positiver, je besser die Ausbildung der Befragten war, je jünger sie waren, je höher ihr Haushaltseinkommen war und je häufiger sie das Internet allgemein nutzen. Auch ein lediger Familienstand war ein Prädiktor für eine positive Einstellung. Ein Ergebnis der Umfrage war jedoch auch, dass die Akzeptanz herkömmlicher Interventionen mit 53 % immer noch wesentlich größer war als jene internetbasierter Interventionen (ebd.).

Internetsüchtige in den Vereinigten Staaten von Amerika erklärten nach einer Chat-Beratung, sie hätten insbesondere die Anonymität, den Komfort und den Zugang zu Therapeuten, die auf Internetsucht spezialisiert waren, als positiv empfunden. Gleichzeitig sorgten sie sich um ihre Privatsphäre sowie Sicherheit und befürchteten, während der Sitzungen durch nahestehende Personen entdeckt zu werden (Young 2005). Niederländische Rheuma- oder Psoriasispatienten nannten insbesondere eine Therapieerleichterung und eine größere Anonymität als Vorteile. Als Nachteile nannten sie, dass nicht jeder Patient über den Computer erreicht werden könne und dass kein persönlicher Kontakt mit dem Therapeuten stattfinde (Ferwerda et al. 2013). Deutsche berichteten, dass ihnen die Verschlüsselung der Datenübertragung und die Qualifikation der Therapeuten am wichtigsten sei (Kral und Traunmüller 2008).

Da in Deutschland bisher wenig Erfahrung mit internetbasierten Interventionen besteht, wurde in der vorliegenden Studie erfragt, welche Einstellungen die Patienten und Personen, die sich für eine Psychotherapie interessierten, derzeit in Deutschland zu diesem Thema haben. Diese Population wurde ausgewählt, da sie sich eines psychischen Problems bewusst ist und aus diesem Grund Hilfe sucht. Sie wurde mit einer Kontrollstichprobe aus der Allgemeinbevölkerung verglichen, die sorgfältig in Bezug auf Alter, Familienstand, Bildungsgrad und der Internetnutzungsdauer „gematcht“ wurde (Auswahl der Kriterien nach den Befunden von Eichenberg und Brähler [2013]). Zusätzlich sollte eine Vergleichbarkeit in Bezug auf die Wichtigkeit bestehen, die das Internet für Probanden hatte.

Methode

Stichprobe

Es wurden 166 freiwillige Versuchspersonen für die Studie gewonnen. Zum Zeitpunkt der Erhebung befanden sich 58 von ihnen in Psychotherapie, 54 befanden sich wegen des Verdachts auf eine affektive Störung oder Angststörung auf einer Warteliste für Psychotherapie, und 50 Kontrollpersonen ohne Psychotherapiewunsch befanden sich weder in Behandlung noch auf einer Warteliste. Drei Probanden, die bereits Erfahrungen mit internetbasierten Interventionen gemacht hatten, und eine minderjährige Teilnehmerin wurden ausgeschlossen. Die verbliebenen Versuchspersonen waren zwischen 18 und 63 Jahre alt [Mittelwert (M) = 37,60 Jahre, Standardabweichung (SD) ± 11,79 Jahre]; es waren 99 Teilnehmer weiblich (61 %). Eine Person hatte keinen Schulabschluss, 7 % einen Hauptschulabschluss, 31 % Realschulabschluss, 35 % Abitur und 22 % einen Hochschulabschluss. (Sieben Angaben fehlten.) Von den Probanden waren 58 % ledig, 35 % hatten Kinder (M = 1,89 Kinder; SD ± 0,82 Kinder). Gefragt nach der Wichtigkeit, die das Internet für sie hatte, antworteten sie auf einer 5-stufigen Skala mit M = 3,41 (SD ± 0,92). In der Vergangenheit hatten sich 51 % der Gesamtstichprobe in psychotherapeutischer Behandlung befunden. (Sechs Angaben fehlten.)

Durchführung

Die Studie trug den Titel „Einstellungen gegenüber internetbasierten Gesundheitsinterventionen“. Die Fragebogen wurden als Papierversion in jeweils einer verhaltenstherapeutischen und einer tiefenpsychologischen ambulanten Praxis, im privaten Umfeld beteiligter Studierender sowie als html-Formular in Internetforen über psychische Störungen verbreitet. Die Datenerhebung erfolgte von April 2012 bis März 2013.

Zunächst erhielten die Teilnehmenden eine Definition internetbasierter Interventionen: „[Sie] umfasst sowohl Beratungsofferten, Einzel- und Gruppenchats, Internetbrücken zur Nachversorgung, Selbsthilfeprogramme als auch die so genannte Internettherapie, bei der Therapeut und Patient textbasiert und zeitversetzt miteinander kommunizieren“ (Wagner und Maercker 2011, S. 33). Als Beispiel wurde ein Programm zur Behandlung von Albträumen (Böckermann et al. 2015) beschrieben und mithilfe von drei Screenshots vorgestellt.

Instrumente

Einstellungen allgemein

Zur Erfassung der allgemeinen Einstellung diente ein Item: „Könnten Sie sich grundsätzlich vorstellen, mit Ihren Sorgen, Problemen und Ängsten eine solche Behandlung einmal auszuprobieren?“. Zur Antwort diente eine 5-stufige Likert-Skala, Ankerpunkte 1 (nein, auf keinen Fall) und 5 (ja, auf jeden Fall).

Vor- und Nachteile

Die Vor- und Nachteile internetbasierter Interventionen wurden aus Bauer und Kordy (2008) entnommen. Die Probanden wurden gebeten, die Argumente, denen Sie zustimmten, zu kennzeichnen. Mehrfachnennungen waren möglich. Zur Auswertung wurden die Häufigkeiten der Zustimmung sowie die Anzahl insgesamt genannter Vor- bzw. Nachteile berechnet.

ICD-10-Symptombeschreibungen

Die Symptombeschreibungen wurden an das Kapitel F des Diagnoseklassifikationssystems Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10; Dilling et al. 2011) angelehnt und als kurze Beschreibung der Leitsymptome der psychischen Störungen präsentiert. (Zum Beispiel dienten „gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit, Antriebsmangel, Konzentrationsschwierigkeiten, vermindertes Selbstwertgefühl, Depressivität“ zur Beschreibung von „F32.x: depressive Episode“.) Anschließend wurden die Versuchspersonen gebeten anzugeben, ob sie sich eine Behandlung des Störungsbilds vorstellen können, „unabhängig davon, ob Sie die beschriebenen Probleme bei sich kennen oder nicht“ (Angaben im Fragebogen fett gedruckt), Antwortmöglichkeiten: „Würde ich dem Therapeuten gerne persönlich gegenüber sitzen“, „Könnte ich mir das, wie im obigen Beispiel, über das Internet vorstellen“ und „weiß nicht“/keine Angabe. Zur Auswertung wurden die Häufigkeiten der Zustimmung zu den Störungsbildern und die Anzahl der Zustimmungen insgesamt herangezogen.

Symptombelastung

Zur Erfassung der aktuellen Belastung durch psychische Beschwerden wurde der globale Schwere-Index GSI der Symptom-Checkliste-27 (SCL-27; Hardt et al. 2006) angewendet. Hierbei handelte es sich um eine Kurzform der Symptom-Checklist SCL-90; Cronbachs α = 0,92 für die vorliegende Stichprobe.

Ergebnisse

Gruppencharakteristika

Demografische Charakteristika der drei Gruppen sind in Tab. 1 aufgeführt. Wie erwünscht, waren die Gruppen in Bezug auf die Faktoren Geschlecht, Bildungsgrad, Familienstand, Internetnutzungsdauer, Alter und die Internetwichtigkeit vergleichbar, alle p > 0,11 (nicht signifikant). Erwartungsgemäß waren Psychotherapiepatienten und Wartelistenkandidaten psychisch stärker belastet als die Kontrollgruppe; sie erzielten höhere GSI-Werte in der SCL-27, F(2, 150) = 10,09, p < 0,001, ɳ2 = 0,11.

Tab. 1 Gruppenunterschiede zwischen Personen ohne Psychotherapie (Kontrollgruppe), Psychotherapiepatienten und Wartelistenkandidaten

Einstellungen gegenüber internetbasierten Interventionen

Von den Psychotherapiepatienten und Wartelistenkandidaten konnten sich 51 % möglicherweise oder auf jeden Fall vorstellen, eine internetbasierte Intervention auszuprobieren. Über alle Vor- und Nachteile hinweg stimmten sie 36 % der genannten Vorteile und 45 % der genannten Nachteile zu. Gruppenmittelwerte und Standardabweichungen in den Zustimmungsmaßen sind in Tab. 2 aufgeführt. Die 2-faktorielle multivariate Varianzanalyse (Behandlung: Kontrollgruppe vs. Psychotherapie vs. Warteliste) • (Vorbehandlung: ja vs. nein) zeigte einen Haupteffekt für den Faktor Behandlung, F(6, 296) = 3,34, p = 0,003, ɳ2 = 0,06. Effekte für den Vorbehandlungsstatus oder Interaktionseffekte ließen sich nicht finden, alle F < 1,00, alle p > 0,45 (nicht signifikant). Mittelwerte, Standardabweichungen und Teststatistiken anschließend separat gerechneter univariater Varianzanalysen sind ebenfalls in Tab. 2 abgebildet. Es zeigte sich, dass Kontrollgruppe und Psychotherapiepatienten internetbasierte Interventionen eher ausprobieren würden als die Wartelistenkandidaten. Weiterhin sah die Kontrollgruppe mehr Vorteile als Wartelistenkandidaten und Psychotherapiepatienten. Diese Gruppenunterschiede blieben auch nach der Kontrolle durch die Symptombelastung bestehen, F(6, 312) = 2,86, p = 0,010, ɳ2 = 0,05.

Tab. 2 Einstellung gegenüber internetbasierter Psychotherapie als Funktion der Behandlungsgruppe

Am häufigsten wurde von Patienten und Wartelistenkandidaten eine erhöhte Flexibilität von Zeit und Ort (n = 86, 77 %) als Vorteil genannt. Das Fehlen nonverbaler Signale (n = 76, 68 %) und, dass keine angemessene und schnelle Reaktion in Krisensituationen möglich sei (n = 74, 66 %), wurden am häufigsten bemängelt. Alle Angaben zu den empfundenen Vor- und Nachteilen in den 3 Behandlungsgruppen finden sich in Abb. 1, Teststatistiken zu bedeutsamen Gruppenunterschiede zeigt Tab. 3. Die Kontrollgruppe betrachtete eine gesenkte Hemmschwelle Hilfe aufzusuchen eher als einen potenziellen Vorteil als die Wartelistenkandidaten. Weiterhin schätzte die Kontrollgruppe eher die größere Anonymität der Internetumgebungen als die Psychotherapiepatienten. Hingegen sorgten sich die Wartelistenkandidaten eher darum, dass das Geschriebene fehlinterpretiert werden könnte, als die Personen der Kontrollgruppe und auch häufiger als die Psychotherapiepatienten.

Abb. 1
figure 1

Empfundene Vor- und Nachteile als Funktion der Behandlungsgruppe (mit Bonferoni-Korrektur)

Tab. 3 Teststatistiken bedeutsamer Unterschiede in den empfundenen Vor- und Nachteilen

Wurden die Patienten und Wartelistenkandidaten danach gefragt, für welche Störungsbilder sie sich, unabhängig von eigenen Beschwerden, internetbasierte Behandlungen vorstellen können, nannten die Folgenden am häufigsten:

  • sexuelle Funktionsstörungen (n = 73, 65 %),

  • Agoraphobie (n = 65, 58 %),

  • soziale Phobie (n = 64, 57 %).

Am seltensten genannt wurden:

  • Depression und generalisierte Angststörung (jeweils n = 22, 20 %),

  • posttraumatische Belastungsstörungen (n = 19, 17 %),

  • Panikstörung (n = 16, 14 %).

Gruppenunterschiede zwischen Patienten, Wartelistenkandidaten und der Kontrollgruppe zeigten sich in Bezug auf die Störungsbilder Depressionen χ2(2) = 11,60, p = 0,003, generalisierte Angststörung χ2(2) = 12,72, p = 0,002, spezifische Phobie χ2(2) = 6,83, p = 0,033, Panikstörung χ2(2) = 7,84, p = 0,020 und posttraumatische Belastungsstörung χ2(2) = 6,77, p = 0,034. So konnte sich die Kontrollgruppe eher eine Behandlung von Depressionen und Panik vorstellen als die Psychotherapiepatienten. Weiterhin konnte sich die Kontrollgruppe eher eine Behandlung von spezifischer Phobie, Panikstörung, generalisierter Angststörung und Anpassungsstörungen vorstellen als die Wartelistenkandidaten, jeweils p < 0,05 (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Vorstellbare Störungsbilder als Funktion der Behandlungsgruppe (mit Bonferoni-Korrektur)

Diskussion

Verglichen mit der Stichprobe aus der Allgemeinbevölkerung berichteten insbesondere die Befragten der Warteliste ein geringeres Interesse an einer Teilnahme an internetbasierten Gesundheitsinterventionen. Sowohl Psychotherapiepatienten als auch die Befragten der Warteliste nahmen weniger Vorteile einer internetbasierten Psychotherapie wahr. Die Befunde waren unabhängig von gemachten Vorerfahrungen mit Psychotherapie von Angesicht zu Angesicht und konnten nicht durch die höhere Symptombelastung der Patienten erklärt werden.

Als Vorteile internetbasierter Interventionen wurden von Patienten und Befragten der Warteliste erhöhte Flexibilität, gesenkte Hemmschwelle Hilfe aufzusuchen sowie größere Anonymität genannt. In Bezug auf die empfundene größere Flexibilität unterschieden sie sich nicht von der Allgemeinbevölkerung. Jedoch sahen die Patienten in der mit der internetbasierten Intervention einhergehenden Anonymität seltener einen Vorteil als die Kontrollgruppe aus der Allgemeinbevölkerung, während die Befragten der Warteliste in der gesenkten Hemmschwelle Hilfe aufzusuchen seltener einen Vorteil sahen als die Kontrollgruppe. Als Nachteile sahen Patienten und Befragte der Warteliste das Fehlen nonverbaler Signale und die mangelnde Krisenintervention. Weiterhin sorgten sich Psychotherapiepatienten und Befragte der Warteliste häufiger als die Allgemeinbevölkerung darum, dass das Geschriebene falsch interpretiert werden könnte.

Die Wahl zwischen internetbasierter Psychotherapie und Psychotherapie im persönlichen Gespräch scheint also im Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach schneller, unkomplizierter, anonymer Hilfe und einem verbindlichen, persönlichen Kontakt stattzufinden. Der Wunsch nach persönlichem Kontakt und emotionaler Zuwendung könnten wichtige Gründe dafür sein, dass viele Personen internetbasierte Interventionen kritisch beurteilen.

Patienten und Befragte der Warteliste konnten sich insbesondere die Behandlung von sexuellen Funktionsstörungen, Agoraphobie und sozialer Phobie über das Internet vorstellen, während sie sich jene von Panikstörung, posttraumatischen Belastungsstörung, Depressionen und generalisierter Angststörung am wenigsten vorstellen konnten. Insbesondere die Behandlung von Depressionen, Panik, generalisierten Ängsten und spezifischen Phobien erschien den Patienten weniger geeignet als der Kontrollgruppe. Offenbar fällt die Entscheidung bei schambesetzten Themen, wie sozialen und agoraphobischen Ängsten und sexuellen Funktionsstörungen, eher zugunsten einer anonymen Hilfe. Es fällt auf, dass gerade den Störungsbildern, die von den Patienten seltener nachgefragt wurden, relativ viele Behandlungsangebote gegenüberstehen (Arnberg et al. 2014). Insbesondere für die Behandlung sexueller Funktionsstörungen steht ein größeres Patienteninteresse einem geringeren Angebot gegenüber. Möglicherweise haben internetbasierte Angebote an dieser Stelle das Potenzial eines Türöffners, wenn Angst und Scham die Patienten davon abhalten, sich Hilfe zu holen (Ritterband et al. 2009). Gleichzeitig sollte Psychotherapie immer das Ziel haben, Angst und Scham zu überwinden, um so die Möglichkeit korrigierender Erfahrungen zu bieten. Internetbasierte Interventionen sollten also niemals das primäre Ziel verfolgen, es den Patienten möglichst leicht zu machen, sich in Behandlung zu begeben.

Die berichteten Pro- und Kontraargumente entsprechen jenen niederländischer Rheuma- und Psoriasispatienten (Ferwerda et al. 2013) sowie Patienten in den USA nach erfolgter Suchttherapie (Young 2005). In der Möglichkeit passgenauer Interventionen sahen die deutschen Befragten jedoch seltener einen Vorteil als befragte US-Amerikaner. Möglicherweise könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass in Deutschland bereits gut ausgebaute Versorgungsstrukturen bestehen, die eine spezialisierte Unterstützung gewährleisten können. Sowohl die Niederländer als auch die Deutschen gaben an, dass sie den persönlichen Kontakt zu einem Therapeuten vermissen würden. Jedoch sahen die deutschen Befragten im Datenschutz und in der mangelnden Möglichkeit zur Krisenintervention eher Probleme als befragte US-Amerikaner und Niederländer. Möglicherweise wird in Deutschland datenschutzrechtlichen Bedenken eine größere Rolle zugeschrieben als im Ausland, denn auch Kral und Traunmüller (2008) konnten zeigen, dass deutschen Befragten der Datenschutz sehr wichtig war.

Der Schutz der im Rahmen einer Psychotherapie entstehenden Daten könnte durch den Rückgriff auf Papier-und-Bleistift-Anmeldeprozeduren verbessert werden. Auch die Möglichkeit, sich anonymisiert im System anmelden zu können, und die sorgfältige Trennung zwischen personenbezogenen, psychometrischen Daten und Therapiedaten ist hier zu nennen, sodass nur der zuständige Therapeut den Anmeldenamen die persönlichen Daten zuordnen kann. Zusätzlich sollte immer angegeben werden, welche datenschutzrechtlichen Maßnahmen durchgeführt wurden (z. B. die Art der Verschlüsselung bei der Datenübertragung, die Beteiligung eines Datenschutzexperten oder den Eintrag in ein Verfahrensverzeichnis). Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass durch internetbasierte Interventionen vertrauliche Daten über das Internet versendet werden, die – trotz Verschlüsselung – potenziell illegal ausgespäht werden können. Sicherlich können auch bei einem ambulanten Psychotherapeuten vertrauliche Daten an unbefugte Dritte gelangen, der Zugriff hierauf lässt sich jedoch leichter überwachen.

Um die Probleme eines fehlenden persönlichen Kontakts und die Sorge vor Missverständnissen zu kompensieren, könnten internetbasierte Angebote durch das Zufügen von Sitzungen vor Ort oder per Videokonferenz attraktiver werden. Auch der Hinweis, dass bei Unklarheiten, Schwierigkeiten oder Krisen die Kontaktaufnahme zu einem für das Programm arbeitenden Therapeuten möglich ist, erscheint wichtig. Ob diese Maßnahmen die Qualität der Angebote verbessern, bleibt zu überprüfen.

Die vorliegenden Ergebnisse könnten auch im Sinne einer Reduktion der kognitiven Dissonanz (Festinger 1962) interpretiert werden: Die Tatsache, dass sich beide Patientengruppen bereits für eine Psychotherapie von Angesicht zu Angesicht entschieden haben, könnte sie dazu motiviert haben, stärker im Sinne einer Abwertung der nichtgewählten Alternative zu antworten. Gegen diese Hypothese spricht jedoch, dass Vorerfahrungen mit traditioneller Psychotherapie keinen Einfluss auf das Urteil hatten.

Weiterhin müssen einige methodische Einschränkungen berücksichtigt werden. So ist die Stichprobengrößen mit 162 Teilnehmern noch immer recht gering. Systematische Verzerrungen sollten durch ein sorgfältiges Matching und eine Datenerhebung in verhaltenstherapeutischen und tiefenpsychologischen Praxen vermieden werden. Interessant wäre auch ein Vergleich mit einer Population, die sich zwar durch einen mit Psychotherapiepatienten vergleichbaren Leidensdruck auszeichnet, sich aber gegen eine Psychotherapie von Angesicht zu Angesicht entschieden hat. Aus vorherigen Studien ist bekannt, dass die Akzeptanz internetbasierter Angebote stieg, nachdem eigene Erfahrungen gemacht wurden (Gun et al. 2011). Die genauen Gründe hierfür könnten Gegenstand zukünftiger Untersuchungen werden.

Zusammengefasst liefert die Studie einige Hinweise darauf, welche Vorbehalte gegenüber internetbasierten Gesundheitsinterventionen bestehen und wie die Angebote verbessert werden könnten, damit den Bedürfnissen hilfesuchender Patienten besser entsprochen werden kann.

Fazit für die Praxis

  • Interesse an internetbasierter Psychotherapie zeigen insbesondere Personen mit einem Wunsch nach schneller, unkomplizierter und anonymer Hilfe.

  • Betroffene mit einem Wunsch nach verbindlichen, persönlichen Kontakten würden eher Psychotherapie von Angesicht zu Angesicht befürworten.

  • Patienten zeigten stärkere Vorbehalte und sorgten sich häufiger um die Gefahr von Missverständnissen als die Stichprobe aus der Allgemeinbevölkerung.

  • Patienten sollten während einer internetbasierter Therapie ausdrücklich darüber informiert werden, dass bei Missverständnissen oder Unklarheiten persönlicher Kontakt zu einem Therapeuten vor Ort oder per Videokonferenz möglich ist.

  • Zur Förderung der Vertrauenswürdigkeit sollten Maßnahmen zur Wahrung des Datenschutzes ausführlich dargestellt und alternative Registrierungsmöglichkeiten angeboten werden.

  • Die internetbasierte Behandlung sexueller Funktionsstörungen erscheint attraktiv und sollte vermehrt angeboten werden.