Zusammenfassung
Der orthoplastische Ansatz umfasst die Zusammenarbeit von Orthopädie/Unfallchirurgie, Gefäßchirurgie und rekonstruktiver Mikrochirurgie. Bei komplexen Extremitätenfrakturen zielt dieser darauf ab, den Blutfluss zu optimieren, die knöcherne Stabilität wiederherzustellen, Weichteile zu rekonstruieren sowie Funktion und Sensibilität zu verbessern. Frühzeitig erfolgen die Antibiotikagabe und nach initialem interdisziplinären Assessment das zeitnahe qualitativ hochwertige Débridement. Es schließen sich die Frakturstabilisierung und temporäre Wundbedeckung an, um die definitive Versorgung interdisziplinär zu planen. Diese umfasst neben der definitiven Osteosynthese die Weichteilrekonstruktion, wenn vertretbar mittels lokalem, bei ausgedehnten Traumazonen mittels freiem Gewebetransfer. Die Orthoplastik ermöglicht so eine schnellere Ausversorgung, weniger Operationen, kürzere Krankenhausaufenthalte, geringere Komplikations- und Revisionsraten, höhere Wirtschaftlichkeit und verbesserte Langzeitfunktion.
Abstract
The orthoplastic approach involves the collaboration of orthopedic/trauma surgeons, vascular surgeons and reconstructive microsurgeons. In cases of complex limb fractures, the aims are to optimize blood flow, restore bone stability, reconstruct soft tissue defects, and enhance function and sensitivity. The early administration of antibiotics and a timely, high-quality debridement after initial interdisciplinary assessment are carried out. This is followed by fracture stabilization and temporary wound coverage in order to plan the definitive interdisciplinary procedure. This includes definitive osteosynthesis and soft tissue reconstruction, using local tissue transfer if feasible, or free tissue transfer in cases of extensive trauma zones. The orthoplastic approach allows for faster definitive stabilization, fewer operations, shorter hospital stays, lower complication and revision rates, higher cost-effectiveness and improved long-term function.
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Lernziele
Nach der Lektüre dieses Beitrags
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können Sie den Begriff „orthoplastics“ erklären.
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wissen Sie, welche Disziplinen an der Extremitätenrekonstruktion beteiligt sind.
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können Sie orthoplastische Behandlungsprinzipien darlegen.
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erkennen Sie, weshalb eine interdisziplinäre Behandlung von Extremitätenverletzungen unabdingbar ist.
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erfassen Sie, welche Verfahren der Weichteildeckung in diesem Kontext sinnvoll sind.
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kennen Sie optimierbare perioperative Parameter der mikrochirurgischen Extremitätenrekonstruktion.
Einleitung
Die rekonstruktive Mikrochirurgie hat die Versorgung komplexer Extremitätenverletzungen erheblich verbessert. Sie zeichnet sich durch ihre interdisziplinäre Vernetzung aus. Allerdings bestehen deutliche regionale Unterschiede in der Verfügbarkeit plastisch-rekonstruktiver Chirurgie und eine merkliche Heterogenität der Zuweiserstrukturen. Dagegen ist eine Verbesserung der Versorgung durch frühzeitige Zusammenarbeit gerade in der Extremitätenrekonstruktion wissenschaftlich belegt [1, 2, 3].
Merke
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Die Ergebnisse der Extremitätenrekonstruktion hängen maßgeblich von der frühen interdisziplinären Zusammenarbeit ab.
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Die professionelle Implementierung von multidisziplinären Therapiepfaden unter Einbindung der plastisch-rekonstruktiven Chirurgie ist von wachsender Bedeutung.
Fallbeispiel
Ein 21-jähriger Patient erlitt eine Polytraumatisierung durch ein Hochrasanztrauma bei einem Verkehrsunfall mit u. a. einer linksseitigen offenen distalen Unterschenkelfraktur, erheblichem Weichteilschaden und großflächigen Periostablösungen sowie Gefäßverletzungen der Aa. tibiales posterior et anterior, entsprechend Grad 3C nach Gustilo-Anderson (Abb. 1). Nach der interdisziplinären Schockraumaufnahme und Stabilisierung des Patienten erfolgten u. a. die Rekonstruktion der Aa. tibiales posterior et anterior sowie ein knöchernes und Weichteil-Débridement, einschließlich der Versorgung mithilfe eines Fixateur externe (Abb. 2). Eine Phase der hämodynamischen Instabilität mit Vasopressorunterstützung und intensivmedizinischem Aufenthalt wurde mit weiteren seriellen Debridements und intermittierender Vakuumversiegelung bis zum Erreichen eines vitalen Wundgrunds überbrückt. Es verblieb ein großflächiger Weichteildefekt mit Exposition der distalen Tibia und des Sprunggelenks. Sodann wurde ein Verfahrenswechsel zur definitiven internen Stabilisierung mithilfe einer Plattenosteosynthese von Tibia und Fibula durchgeführt (Abb. 3). Am Folgetag erfolgte die definitive Weichteilrekonstruktion mithilfe einer kombinierten Haut-Muskellappen-Plastik, basierend auf dem Gefäßsystem der A. thoracodorsalis (Musculus-latissimus-dorsi-Lappenplastik und Thorakodorsalarterienperforatorlappenplastik mit gemeinsamem Gefäßstiel, Abb. 4). Der Muskelanteil diente zum großflächigen Weichteilersatz, der kutane Anteil wurde über die Tibiavorderkante platziert, um im Verlauf ein etwaiges Anheben mit operativem Zugang zur Tibia zu ermöglichen. Der mikrochirurgische Anschluss erfolgte End-zu-Seit an die A. tibialis posterior sowie End-zu-End an 2 Begleitvenen mithilfe von jeweils 3 mm Geßäßkopplern (Abb. 5). Zwei Wochen postoperativ konnte der Patient mit stabilen Weichteilverhältnissen und beginnenden knöchernen Konsolidierungszeichen in die Anschlussbehandlung entlassen werden (Abb. 6). Sechs Monate postoperativ zeigte sich eine weit fortgeschrittene knöcherne Durchbauung (Abb. 7).
Interdisziplinäre Extremitätenrekonstruktion
Komplexe Extremitätenverletzungen
Die Extremitäten sind aufgrund ihrer exponierten Lage und des dünnen Weichteilmantels anfällig für komplexe Verletzungen. Komplexe Kombinationsverletzungen treten insbesondere bei Hochenergietraumata auf. Zur Beurteilung wird die Gustilo-Anderson-Klassifikation verwendet (Tab. 1; [4]).
Merke
Zur Ersteinschätzung offener Extremitätenfrakturen wird die Gustilo-Anderson-Klassifikation verwendet.
Rekonstruktives Dilemma
Komplexverletzungen der Extremitäten stellen eine Herausforderung dar. Die Notwendigkeit einer stabilen knöchernen Fixierung wird durch die erforderliche Voraussetzung einer vaskularisierten und belastbaren Weichteilbedeckung ergänzt. Häufig kommen versorgungspflichtige Verletzungen neurovaskulärer Strukturen hinzu. Der lokale, aber insbesondere der freie Gewebetransfer in Kombination mit Techniken der Nerven- und Gefäßrekonstruktion hat die Grenzen der Extremitätenrekonstruktion deutlich erweitert. Ehemals als Amputationskriterien angesehene Verletzungsmuster wie Stammnervenläsionen, akute Avaskularitäten oder ausgedehnte Weichteilverluste sind in der heutigen Zeit im interdisziplinären Ansatz rekonstruierbar und bedingen die patientenspezifische Einzelfalldiskussion [5, 6]. Allerdings erfolgt die plastisch-chirurgische Extremitätenrekonstruktion häufig erst im späteren Verlauf nach erfolglosen Wundverschlussversuchen [7, 8].
Orthoplastischer Ansatz
Im Fall von Komplexverletzungen der Extremitäten ist eine multidisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Traumatologie, Gefäßchirurgie und Mikrochirurgie quasi intuitiv erforderlich. Gemeinschaftliche Therapieansätze wurden in den 1980er-Jahren erstmals beschrieben und in den 1990er-Jahren als „orthoplastic approach“ benannt [9, 10, 11]. Die Prinzipien umfassen die Optimierung des distalen Blutflusses, die belastbare knöcherne Stabilisierung, die Rekonstruktion der Weichteile sowie den Erhalt oder die Verbesserung von Funktion und Sensibilität. Erfahrungen insbesondere aus dem angelsächsischen Raum haben gezeigt, dass der orthoplastische Ansatz nachweislich Vorteile mit sich bringt. Dazu gehören die schnellere definitive knöcherne Stabilisierung und Weichteilbedeckung, die geringere Anzahl an Operationen, geringere Komplikations- und Revisionsraten, geringere Infektions- und Amputationsraten, kürzere Krankenhausaufenthalte, überlegene Wirtschaftlichkeit und bessere Langzeitfunktionen [1, 2, 12, 13].
Merke
Das Ziel der orthoplastischen Extremitätenrekonstruktion besteht darin, die betroffene Extremität in ihrer Länge und Funktion zu erhalten sowie einen belastbaren Weichteilverschluss zu erreichen.
Interdisziplinäre Boards und Leitlinien
Trotz der international berichteten Vorteile hat sich der orthoplastische Ansatz in nationalen Therapieempfehlungen und Behandlungsstandards noch nicht niedergeschlagen [1, 2, 12, 13, 14]. Einzig in Großbritannien hat die Zusammenarbeit von Traumatologie und plastischer Chirurgie seit 1997 mit den „Guidelines on the management of open tibial fractures“ formellen Charakter, der 2009 mit den „Standards for the management of open fractures of the lower limb“ weiter konkretisiert wurde und auf nationaler Ebene Leitliniencharakter hat [15, 16, 17]. Im deutschsprachigen Raum wurden zur interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Unfallchirurgie, plastisch-rekonstruktiver Chirurgie, Gefäßchirurgie und Radiologie sowie Mikrobiologie an einzelnen Zentren jedoch bereits „Extremitätenboards“ etabliert, um Pläne für die rekonstruktive Behandlung mit allen Beteiligten verbindlich festzulegen [8, 18, 19].
Merke
Voraussetzungen für die erfolgreiche Implementierung eines Extremitätenboards sind:
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Anwesenheit von fachspezifischen Entscheidungsträger:innen an festen Terminen,
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realistischer Zeitrahmen innerhalb der Arbeitszeit,
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rechtzeitige Einladung und Erinnerung sowie
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standardisierter und einsehbarer Anmeldungs‑/Protokollprozess.
Orthoplastische Zentren
Neben der Schaffung ausgewiesener Zentren ist ebenso die Definition von Zuweisungskriterien entscheidend (Tab. 2).
Cave
Bei jeder Extremitätenverletzung und jedem Rekonstruktionsversuch gilt uneingeschränkt der Leitsatz „life before limb“.
Neben dem Benefit einer frühen Zuweisung hat sich die frühzeitige kalkulierte Antibiotikagabe innerhalb von 2 h bei offenen Frakturen bewährt [13, 20, 21].
Grundprinzipen der akuten und definitiven Frakturversorgung
Nach erfolgreicher Stabilisierung gemäß Advanced Trauma Life Support (ATLS) sollte ein Débridement mit knöcherner Reposition und Fixation innerhalb von 24 h erfolgen, wobei sich der Fixateur externe anbietet [22, 23, 24]. Die Débridements von Weichteilen und Knochen sollten ausreichend radikal durchgeführt werden, wobei der Fokus nicht auf der schnellstmöglichen, sondern der möglichst gründlichen Umsetzung, in Form von mehrzeitigen seriellen Gemeinschaftseingriffen von Orthopädie/Traumatologie und plastischer Chirurgie, liegt [13, 22, 23, 25]. Dies kann mit einer topischen Antibiotikaapplikation kombiniert werden, um die lokalen Infektionsraten zu senken [26].
Merke
Bei der interdisziplinären Extremitätenrekonstruktion ist die Qualität des fachübergreifenden Débridements von höchster Relevanz.
Im Rahmen dieses interdisziplinären Eingriffs wird sodann der Plan zu rekonstruktiven Therapie erarbeitet. Dieser umfasst zum einen die definitive knöcherne Stabilisierung mithilfe interner (intramedulläre Verfahren und Platten‑/Schraubenosteosynthesen) oder externer Verfahren (Ring‑, Hybrid- oder Hexapod-Fixateur) und der plastischen Rekonstruktion zum anderen, um die Weichteilkonsolidierung zu erreichen, Infektionen vorzubeugen und schließlich die Frakturheilung zu ermöglichen. Interdisziplinäre Extremitätenboards und Fallbesprechungen ergänzen die Therapiefindung [8, 18].
Gefäßdiagnostik und gefäßchirurgische Intervention
Bei schweren Traumata mit Weichteilbeteiligung der unteren Extremität ist die apparative Gefäßdiagnostik der gesamten Extremitätenachse angezeigt (Becken-Bein-CT-/MR-Angiographie). In der Tat fanden Zolper et al. bei der Hälfte ihrer Patientenklientel mit sekundären Wunddehiszenzen und -defekten nach initial traumatologisch/orthopädischen Eingriffen mithilfe der Angiographie als Ursache einen Verschluss wenigstens einer Kruralarterie, obwohl in nur 17 % der Fälle eine Gefäßerkrankung bekannt war [27]. Die Einbindung gefäßchirurgischer Expertise ist folglich bei Auffälligkeiten oder pathologischen Veränderungen frühzeitig angezeigt [28]. Jüngste Ergebnisse zeigen einen deutlichen Vorteil bei der Verwendung offen chirurgischer Verfahren [29].
Merke
Ein multidisziplinärer Ansatz schließt immer auch eine Gefäßdarstellung ein, die v. a. an der unteren Extremität zwingend erforderlich ist, um potenzielle pathologische Veränderungen des Gefäßsystems zu identifizieren.
Im Rahmen der Weichteilrekonstruktion kann entweder ein- oder zweizeitig eine Lappenplastik auch an vaskulär kompromittierte Extremitäten angeschlossen werden, wobei die in Tab. 3 aufgeführten Techniken beschrieben sind.
Neben der statischen Schnittbildgebung gewinnt die farbkodierte Duplexsonographie immer mehr an Bedeutung. Diese birgt sowohl bei der Planung perforatorbasierter Lappenplastiken Vorteile, wie eine Verkürzung der Operationszeit und die Reduktion der Hebemorbidität, als auch bei der Beurteilung der Anschlussgefäße [31, 32].
Merke
Zur farbkodierten Duplexsonographie in der Mikrochirurgie empfiehlt sich die Verwendung eines linearen Multifrequenzschallkopfes (4–15 MHz) mit folgenden Basiseinstellungen:
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Frequenz niedrig (5–7 MHz),
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Tiefenfokus auf Höhe der Muskelfaszie,
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„pulse repetition frequency“ (PRF) niedrig (um 0,5 kHz),
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„color gain“ gerade so hoch, dass nur wenige Artefakte auftreten.
Zeitfenster bis zur Weichteilrekonstruktion
Das optimale Zeitfenster bis zur Weichteilrekonstruktion kann zum heutigen Zeitpunkt aufgrund mangelnder Datenqualität nicht eindeutig quantifiziert werden [33]. Vielmehr bestimmt die Notwendigkeit serieller radikaler Débridements bis zum Erreichen vitaler Knochen und Weichteile die Länge des Intervalls bis zur Rekonstruktion [23, 25]. Seit Godina galt die frühzeitige Weichteilrekonstruktion innerhalb von 72 h als erstrebenswert [10]. Mithilfe der Unterdruck-Wundtherapie scheint dieses Intervall jedoch auf bis zu 10 Tage verlängerbar zu sein, wobei ein vollständig vitaler Wundgrund erreicht werden muss. Hierfür können mehrere Debridements notwendig sein, allerdings sollten sowohl die Zahl der Debridements als auch die Zeit bis zum definitiven Wundverschluss minimiert werden [22, 23, 25]. Darüber hinaus können Vakuumverbände bei kritisch kranken Patienten auch die zweizeitige Durchführung der knöchernen und plastisch-rekonstruktiven Therapie nach der Stabilisierung des Gesamtzustands bzw. an 2 aufeinanderfolgenden Tagen ermöglichen, um die maximale Operationsdauer zu minimieren. Dabei bleibt allerdings zu beachten, dass Vakuumpumpen konventionellen Verbänden zumindest in der Akutphase der ersten 72 h nicht überlegen zu sein scheinen, aber ein genereller Trend zu niedrigeren Komplikations- und Infektionsraten bei der Verwendung von Okklusivverbänden besteht [34, 35].
Cave
-
Im Kontext von Extremitätenverletzungen dient die Unterdruck-Wundtherapie als temporärer Wundverschluss. In keinem Fall sollte sie die definitive Therapie verzögern.
-
Die definitive Therapie sollte zeitnah nach Entfernung sämtlicher nekrotischer und kompromittierter Gewebeanteile und Erreichen eines vitalen Wundgrunds erfolgen.
Vaskularisierte Lappenplastiken zur Defektrekonstruktion
Liegen allschichtige Weichteildefekte vor, muss die Rekonstruktion mithilfe lokaler Transposition oder freier Transplantation vaskularisierter Lappenplastiken erfolgen. In diesem Zusammenhang deutet die wenige verfügbare, direkt vergleichende Literatur auf geringere Teilnekroseraten bzw. Teilverlustraten freier mikrochirurgischer Lappenplastiken hin [14, 36, 37, 38, 39]. In der klinischen Praxis bedeutet dies den standardmäßigen Einsatz freier Lappenplastiken zur Weichteilrekonstruktion offener Extremitätenfrakturen und nach Hochenergietraumata, denn diese sind in den Händen des Geübten aufgrund der ausgedehnten Traumazonen sicherer als lokale Verfahren [14, 24, 25, 36, 37, 38, 39]. Lokale Lappenplastiken spielen in diesem Kontext eine untergeordnete Rolle, mit Ausnahme von gestielten Lappenplastiken an Handrücken und Fingern sowie lokalen Muskellappenplastiken der unteren Extremität mit robuster Blutversorgung, allen voran der Gastroknemiuslappenplastik am proximalen sowie der Soleuslappenplastik am mittleren Unterschenkel ([40, 41, 42]; Tab. 4).
Merke
Im Rahmen der Weichteilrekonstruktion offener Extremitätenfrakturen mit ausgedehnten Traumazonen weist der freie mikrochirurgische Gewebetransfer höhere Erfolgsquoten auf als lokale Lappenplastiken.
Bei der Wahl der freien Lappenplastik ist zwischen Muskel- und faszio- bzw. adipokutanen Lappenplastiken zu unterscheiden, wobei Muskellappen in einigen Studien höhere Teilnekroseraten aufwiesen, mutmaßlich aufgrund deutlich höherer Lappengrößen [43, 44]. Jedoch bringen kutane Lappenplastiken andere Vorteile mit sich, weswegen sie heutzutage vermehrt Verwendung finden. Zum einen können sie durch direkte sensible Koaptation als neurotisierte Lappenplastiken wertvolle Schutzsensibilität erreichen, was insbesondere bei plantaren Defekten von Vorteil ist [23]. Zum anderen tendieren Muskellappen zu Adhäsionen, wohingegen kutane Lappenplastiken geschmeidiger bleiben und sich für osteosynthetische Verfahrenswechsel leichter wieder anheben lassen [23].
Merke
Freie Hautlappenplastiken lassen sich für Sekundäreingriffe leichter wieder anheben als Muskellappenplastiken und können außerdem eine Schutzsensibilität erreichen.
Optimierung intraoperativer Erfolgsparameter
Die Indocyaningrün-Fluoreszenz-Angiographie (ICG-FA) wird seit einiger Zeit erfolgreich intraoperativ zur Perfusionsmessung freier Lappenplastiken eingesetzt. Noch vor dem Absetzen der Lappenplastik kann die Durchblutung beurteilt werden, was Wundheilungsstörungen und Reoperationen nachweislich verringert [45].
Merke
Mithilfe der ICG-FA kann die Perfusion von Lappenplastiken intraoperativ visualisiert werden, dies trägt zur Reduktion von Wundheilungsstörungen bei.
Obwohl der mikrochirurgische Anschluss freier Lappenplastiken in arterieller End-zu-End-Technik nach wie vor weit verbreitet ist, spricht vieles für standardmäßige End-zu-Seit-Anastomosen, gerade an vaskulär kompromittierten Extremitäten [23, 46]. Die weitere Reduktion des distalen Blutflusses kann bei gleicher Sicherheit vermieden werden [23, 47]. Darüber hinaus bleiben die wichtigsten Parameter bei der Wahl der Anschlussarterie die Positionierung der Anastomose außerhalb der Traumazone und ein guter intraoperativer Fluss, den es immer zu verifizieren gilt [23]. Für venöse Anastomosen hat sich das mechanische Ringanastomosen-System gegenüber der Handnaht durchgesetzt; dieses ermöglicht bei gleicher Sicherheit eine Reduktion der Ischämiezeit und mithilfe spezieller Doppler-Sonden eine zusätzliche Monitoring-Modalität [23, 48]. Um die Sicherheit mikrochirurgischer Lappenplastiken insbesondere an der unteren Extremität weiterzusteigern, sind zudem die Anlage von mindestens 2 venösen Anastomosen und die Vermeidung eines Durchmesser-Mismatch zwischen Lappen- und Empfängervenen über 1 mm zu empfehlen [23, 49].
Merke
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Gefäßanastomosen sollten außerhalb der Traumazone durchgeführt werden.
-
Die arterielle End-zu-Seit Anastomose ist zu bevorzugen.
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Die venöse Anastomose erfolgt regelhaft mithilfe des Gefäßkopplers und sollte, wenn möglich, doppelt angelegt werden.
Fazit für die Praxis
Behandlungsalgorithmus interdisziplinäre Extremitätenrekonstruktion offener Frakturen:
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Die Initialstabilisierung erfolgt nach Advanced Trauma Life Support.
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Frühzeitig erfolgt eine intravenöse Antibiotikagabe.
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Bereits das erste Assessment erfolgt interdisziplinär.
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Bei Avaskularität oder Minderperfusion muss bereits in der Akutsituation die Gefäßdiagnostik erfolgen.
a. Cave: notfallmäßige Exploration unter Einbinden der Gefäßchirurgie
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Zeitnah muss ein qualitativ hochwertiges Débridement durchgeführt werden.
a. Die Stabilisierung erfolgt mittels Fixateur externe.
b. Cave: großzügige Kompartmentspaltung
c. Die Wundbedeckung erfolgt mittels Vakuumverband.
d. Cave: Nervenläsionen direkt versorgen
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Vor der definitiven Versorgung erfolgen eine elektive Gefäßdiagnostik und die interdisziplinäre Planung.
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Die definitiven Knochen- und Weichteilrekonstruktionen erfolgen ein- oder zweizeitig.
a. Die Lappenplastische Deckung wird im „two-team approach“ standardmäßig mit freien kutanen Lappenplastiken durchgeführt.
b. Die Anastomosen müssen außerhalb der Traumazone platziert werden.
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B. Thomas: A. Finanzielle Interessen: B. Thomas gibt an, dass kein finanzieller Interessenkonflikt besteht. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Facharzt, Klinik für Hand‑, Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Mikrochirurgie, Schwerbrandverletztenzentrum, BG Unfallklinik Ludwigshafen; Klinik für Plastische Chirurgie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; Senior Clinical Fellow, Canniesburn Plastic Surgery Unit, Glasgow Royal Infirmary, University of Glasgow | Mitgliedschaften: DAM; DGH; IAKH. R.K. Hackenberg: A. Finanzielle Interessen: R. Hackenberg gibt an, dass kein finanzieller Interessenkonflikt besteht. – B. Nichtfinanzielle Interessen: angestellte Orthopädin und Unfallchirurgin, BG Klinik Ludwigshafen, Ludwigshafen | Mitgliedschaften: DGH; DGOU; DGPRÄC; DAM. D. Krasniqi: A. Finanzielle Interessen: D. Krasniqi gibt an, dass kein finanzieller Interessenkonflikt besteht. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Assistenzarzt , Klinik für Hand‑, Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Mikrochirurgie, Schwerbrandverletztenzentrum, BG Unfallklinik Ludwigshafen. A. Eisa: A. Finanzielle Interessen: A. Eisa gibt an, dass kein finanzieller Interessenkonflikt besteht. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Assistenzarzt, Klinik für Hand‑, Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Mikrochirurgie, Schwerbrandverletztenzentrum, BG Unfallklinik Ludwigshafen| Mitgliedschaften: DGH; DGPRÄC. A. Böcker: A. Finanzielle Interessen: A. Böcker gibt an, dass kein finanzieller Interessenkonflikt besteht. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Geschäftsführender Oberarzt, Klinik für Hand‑, Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Mikrochirurgie, Schwerbrandverletztenzentrum, BG Unfallklinik Ludwigshafen. E. Gazyakan: A. Finanzielle Interessen: E. Gazyakan gibt an, dass kein finanzieller Interessenkonflikt besteht. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Geschäftsführender Oberarzt, Klinik für Hand‑, Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Mikrochirurgie, Schwerbrandverletztenzentrum, BG Unfallklinik Ludwigshafen | Mitgliedschaften: DGPRÄC; DGCH; DGH; DAM; ESPRAS; IIPRAS; ASPS; Freiburger Medizinische Gesellschaft. A.K. Bigdeli: A. Finanzielle Interessen: A. Bigdeli gibt an, dass kein finanzieller Interessenkonflikt besteht. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Leitender Oberarzt, Klinik für Hand‑, Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Mikrochirurgie, Schwerbrandverletztenzentrum, BG Unfallklinik Ludwigshafen. U. Kneser: A. Finanzielle Interessen: U. Kneser gibt an, dass kein finanzieller Interessenkonflikt besteht. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Professor Dr. med. Ulrich Kneser, Direktor der Klinik für Hand‑, Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Mikrochirurgie, Schwerbrandverletztenzentrum, BG Unfallklinik Ludwigshafen | Klinik für Plastische Chirurgie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg | Mitgliedschaften: Vorstandsmitglied DAM; Vorstandsmitglied (Vizepräsident) DGV; DGPRÄC; Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Fachzeitschrift „Handchirurgie, Mikrochirurgie und Plastische Chirurgie“. L. Harhaus-Wähner: A. Finanzielle Interessen: L. Harhaus-Wähner gibt an, dass kein finanzieller Interessenkonflikt besteht. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Chefärztin der Abteilung Handchirurgie, Periphere Nervenchirurgie und Rehabilitation; Stellvertretende Klinikdirektorin der Klinik für Hand‑, Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Mikrochirurgie, Schwerbrandverletztenzentrum, BG Unfallklinik Ludwigshafen | Mitgliedschaften: DGOU, DGPRÄC, DGH.
Wissenschaftliche Leitung
Die vollständige Erklärung zum Interessenkonflikt der Wissenschaftlichen Leitung finden Sie am Kurs der zertifizierten Fortbildung auf www.springermedizin.de/cme.
Der Verlag
erklärt, dass für die Publikation dieser CME-Fortbildung keine Sponsorengelder an den Verlag fließen.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Additional information
Wissenschaftliche Leitung
Volker Alt, Regensburg
Peter Biberthaler, München
Thomas Gösling, Braunschweig
Thomas Mittlmeier, Rostock
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
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CME-Fragebogen
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Wie sollte ein „orthoplastisches Zentrum“ aufgestellt sein?
Benötigt wird neben unfallchirurgischer Expertise lediglich eine plastische Chirurgie.
Unfallchirurgie, Mikrochirurgie, Gefäßchirurgie, ein interdisziplinäres OP-Programm und gemeinsame Sprechstunden sind erforderlich.
Benötigt wird vorrangig unfallchirurgische Expertise, um Defekte mit lokalen Gewebetransfers zu rekonstruieren.
Die komplette Versorgung wird in einer mikrochirurgischen Abteilung durchgeführt.
„Orthoplastische Zentren“ sollen in Deutschland gemäß Leitlinien über einen Hubschrauberlandeplatz verfügen.
Ein polytraumatisierter hämodynamisch instabiler Motorradfahrer wird eingeliefert. Unter anderem liegt eine offene Unterschenkelfraktur mit Weichteildécollement vor. Welcher Therapiegrundsatz ist korrekt?
Die frühzeitige i.v. Antibiotikagabe ist allem voran entscheidend.
Die knöcherne Stabilisierung und Weichteilrekonstruktion erfolgen unmittelbar am Unfalltag.
Die Unterschenkelfraktur ist für die Instabilität verantwortlich und sollte vorrangig versorgt werden.
Es gilt der Grundsatz „life before limb“. Lebensbedrohliche Verletzungen werden vorrangig versorgt werden.
Es handelt sich um eine schwere Extremitätenverletzung. Die Zentrumsverlegung ist angezeigt.
Welche Aussage bei der Behandlung einer offene Unterarmfraktur mit sensomotorischen Ausfällen trifft zu?
Ein durch den Bruch eröffnetes Kompartment schließt ein Kompartmentsyndrom aus.
Die Stabilisierung von Knochen und Weichteilen hat Vorrang; Nervenverletzungen sollten sekundär versorgt werden.
Die frühzeitige Antibiotikagabe und ein adäquates Débridement sind wichtig. Die Weichteildeckung kann auch sekundär erfolgen.
Die Zeit bis zum Beginn des Weichteildébridements ist entscheidend.
Eine erhaltene Rekapillarisierung der Extremitäten schließt eine Avaskularität aus.
Ein 68-jähriger Patient stellt sich nach osteosynthetischer Versorgung einer Innenknöchelfraktur vor. Es zeigen sich eine Wunddehiszenz und eine trockene Nekrose. Wie gehen Sie vor?
Sie tasten schwache, aber vorhandene Fußpulse; eine relevante periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) ist unwahrscheinlich.
Duplexsonographisch können Sie die A. tibialis anterior und posterior darstellen, somit ist der Gefäßstatus normwertig.
Um relevante Stenosen auszuschließen, veranlassen Sie eine Angiographie des Unterschenkels.
Sie planen unmittelbar die Rekonstruktion mithilfe einer lokalen Lappenplastik.
Eine CT- bzw. MR-Angiographie der gesamten Becken-Bein-Achse ist angezeigt.
Welche Zuordnung bei Defektrekonstruktion an der unteren Extremität mithilfe lokaler Lappenplastik ist richtig?
Mittlerer Unterschenkel – proximal gestielter Soleus
Oberschenkel – distal gestielter Peroneus brevis
Knie – Tensor fasciae latae
Proximaler Unterschenkel – Biceps femoris
Malleolus lateralis – lateraler Gastroknemius
Eine 77-jährige Patientin hat sich eine offene Unterschenkelfraktur zugezogen. Neben einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) ist die Patientin aufgrund einer mäßiggradigen Nieren- und Herzinsuffizienz in Behandlung. Welches weitere Vorgehen kommt am ehesten infrage?
Aufgrund der Vorerkrankungen und des Alters erscheint eine Unterschenkelamputation sinnvoll.
Rasche definitive knöcherne und Weichteilversorgung sind die Ziele, wobei beide Eingriffe getrennt werden können, um die perioperative Morbidität zu minimieren.
Auf eine interdisziplinäre Beurteilung sollte verzichtet werden, um das weitere Vorgehen zu beschleunigen.
Sie koordinieren im interdisziplinären Team eine notfallmäßige knöcherne Stabilisierung und Rekonstruktion mithilfe eines „emergency free flap“.
Nach knöcherner Stabilisierung planen Sie mehrwöchige Vakuumverbandwechsel, um einen transplantablen Wundgrund zu generieren.
Sie besprechen die interdisziplinäre Rekonstruktion eines offenen Oberarmbruchs. Welche rekonstruktiven Überlegungen befürworten Sie?
Sequenzielle Vakuumverbandwechsel bis zum Erreichen von Granulationsgewebe, sodann sekundäre Wundheilung.
Freie mikrochirurgische Gewebetransfers sind risikoreich und aufwendig und daher nur in Ausnahmefällen zu empfehlen.
Die schnellstmögliche Methode zum Erreichen eines Wundverschlusses ist die Methode der Wahl.
Das rekonstruktive Verfahren sollte patientenindividuell und defektspezifisch gewählt werden.
Die reine Weichteildeckung stellt das einzige Erfolgskriterium dar; alle verfügbaren Verfahren sind prinzipiell gleichwertig.
Nach Stabilisierung einer Sprunggelenkluxation finden Sie großflächige Quetschverletzungen neben einem allschichtigen Weichteildefekt vor. Welcher Überlegung können Sie sich anschließen?
Lokale Lappenplastiken haben einen geringen Stellenwert in der interdisziplinären Extremitätenrekonstruktion.
Gerade bei fortgeschrittener Atherosklerose bieten sich lokale Lappenplastiken ohne mikrochirurgischen Anschluss zur Extremitätenrekonstruktion an.
Bei alten Patient:innen sind lokale Lappenplastiken Mittel der Wahl, um lange Operationszeiten zu vermeiden.
Lokale Lappenplastiken ersetzen „Gleiches mit Gleichem“ aus der direkten Umgebung und spielen daher eine übergeordnete Rolle.
Insbesondere in ausgedehnten Traumazonen weisen lokale Lappenplastiken höhere Komplikationsraten auf.
Während einer interdisziplinären Fallbesprechung taucht die Frage nach der Wahl des Lappentyps für Extremitätendefekte auf. Welcher Aussage stimmen Sie zu?
Es besteht kein relevanter Unterschied zwischen den verfügbaren Lappenplastiken.
Freie Muskellappenplastiken müssen epineural koaptiert werden, um eine stabile Weichteildeckung zu erreichen.
Der Trend geht in Richtung freier Hautlappenplastiken, da diese leichter sekundär anzuheben sind und eine Schutzsensibilität erreichen können.
Muskellappenplastiken tendieren nur in geringem Ausmaß zu Adhäsionen.
Der Latissimuslappen sollte an vaskulär kompromittierten Extremitäten arteriell End-zu-End angeschlossen werden.
Sie führen bei einem älteren Herrn mit distaler Unterschenkelfraktur eine interdisziplinäre Defektrekonstruktion durch. In der präoperativen CT-Angiographie zeigt sich eine Zweigefäßversorgung, wobei die A. fibularis verdämmert und die A. tibialis posterior langstreckig atherosklerotisch verändert ist. Wie gehen Sie am sinnvollsten vor?
Die Anastomosen sollten außerhalb der Traumazone liegen. Arteriell eignet sich die A. tibialis anterior in End-zu-Seit-Technik.
Um eine sichere Versorgung der Lappenplastik zu gewährleisten, wählen Sie die A. tibialis anterior in End-zu-End-Technik.
Sie identifizieren die V. saphena magna mit einem Durchmesser von 4 mm, wobei beide Lappenvenen 2 mm messen, und führen dort den venösen Anschluss durch.
Gefäßkoppler weisen eine belegbare höhere Offenheitsrate im Vergleich zur Handnaht auf.
Um die Operationszeit so kurz wie nötig zu halten, stellen Sie die Anschlussgefäße direkt auf Frakturhöhe dar.
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Thomas, B., Hackenberg, R.K., Krasniqi, D. et al. Moderne Konzepte der interdisziplinären Extremitätenrekonstruktion bei offenen Frakturen. Unfallchirurgie 127, 469–480 (2024). https://doi.org/10.1007/s00113-024-01437-x
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