Zusammenfassung
Der (schul-)pädagogische Diskurs ist geprägt von Heterogenitätsvorstellungen, die sich als Herausforderungen oder Chancen polarisieren lassen, zeitgleich in ihrem Verständnis von Heterogenität aber weitgehend unklar bleiben und nicht selten in einem machtblinden Plädoyer für mehr Vielfalt im Klassenzimmer – im Lehrerzimmer – in der Schule eine Chancengleichheit für alle postulieren. Im Gegensatz dazu folgt der Beitrag der (kulturtheoretischen) Annahme, dass Differenzen nicht nur in die Schule hineingetragen, sondern dort auch (re-)produziert werden und so die Grundschule als „Normalisierungsmacht“ (Leiprecht und Lutz 2009, S. 218) wirksam ist. Im Vordergrund steht die Rekonstruktion eines Fallbeispiels, in welchem die von einer Grundschülerin in einem ethnografischen Interview aufgerufenen Differenzkategorien und Positionszuschreibungen nachgezeichnet und vor dem Hintergrund von Judith Butlers Theorie der Subjektivation (vgl. insbesondere Butler 2001) analysiert werden.
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Nachvollziehbar ist, dass, wer mit einem machttheoretischen Zugriff arbeitet, diese Perspektive auch erläutern und sich damit positionieren muss. Dies ist insbesondere notwendig, wenn es sich wie bei Macht (in ähnlicher Weise wie bei Anerkennung) um ein alltagsweltliches Phänomen und einen Begriff eines bisweilen diffusen (erziehungs-)wissenschaftlichen Diskurses zugleich handelt (für eine ausführliche Rekonstruktion des Machtbegriffs vgl. Ricken 2006, insbesondere Studie I Macht der Macht). Für diesen Artikel ist eine Idee von Macht relevant, die sich mit Hannah Arendts Worten wie folgt pointiert zusammenfassen lässt: „Macht ist immer ein Machtpotential, und nicht etwas Unveränderliches, Meßbares, Verläßliches (…). Macht aber besitzt eigentlich niemand, sie entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln, und sie verschwindet, sobald sie sich wieder zerstreuen“ (1960, S. 194). Zentral ist also, dass es sich bei Macht „weder um Besitz noch um Aneignung“ (Butler 2003, S. 53) handelt und sie sich ebenfalls nicht als Durchsetzung des eigenen Willens, Beeinflussung, Unterdrückung o. ä., sondern als allgegenwärtiges Charakteristikum zwischenmenschlicher Beziehungen, ein „Netz von ständig gespannten und tätigen Beziehungen“ (Foucault 1978, S. 38) denn als „Privileg“ (ebd.) Einzelner begreift.
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Juliane Spiegler (Interview, 09.12.2016, eig. Hervorh.).
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Ebd. (eig. Hervorh.).
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Ebd. (eig. Hervorh.).
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Spiegler, J. (2018). „…, dazu musst du einen Coolen befragen“ Differenzkonstruktionen in der Grundschule. In: Mai, H., Merl, T., Mohseni, M. (eds) Pädagogik in Differenz- und Ungleichheitsverhältnissen. Interkulturelle Studien. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21833-1_4
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