Dem organisierten Kinder- und Jugendsport werden Sozialisations-, Erziehungs- oder Bildungspotenziale zugeschrieben, die neben motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten auch psychosoziale Merkmale der Persönlichkeitsentwicklung umfassen (u. a. Brettschneider & Kleine, 2002; Schmidt, Hartmann-Tews & Brettschneider, 2003; Schmidt, 2008). In der sportbezogenen Kinder- und Jugendforschung werden diese Potenziale damit begründet, dass sportliche Situationen in Training und Wettkampf zahlreiche Anforderungen beinhalten, zu deren Bewältigung psychosoziale RessourcenFootnote 1 notwendig sind.

In der traditionell sozialisationstheoretisch ausgerichteten Kinder- und Jugendforschung (u. a. Brettschneider & Kleine, 2002; Burrmann, 2004) wird davon ausgegangen, dass die aktive Auseinandersetzung des Individuums mit den im Sport gegebenen sozialen Anforderungen (äußere Realität) und individuellen Orientierungen (innere Realität) zur Entwicklung von relevanten Ressourcen beitragen kann. Beispielsweise können im Sport vermittelte selbstrelevante Erfahrungen zu Möglichkeiten und Grenzen motorischer Leistungsfähigkeit sowie Rückmeldungen darüber (z. B. Anerkennung, Kritik) zur Entwicklung des Selbstkonzepts beitragen; sporttypische soziale Kontakte sowie kooperative Anforderungen in Training und Wettkampf können zur Entwicklung sozialer Ressourcen (z. B. Perspektivenübernahme, Kooperationsfähigkeit) beitragen.

In jüngerer Zeit ist ein „pragmatisches Bildungsverständnis“ (Gerlach & Brettschneider, 2013, S. 31) in die Jugendsportdebatte eingeflossenen. Hierbei wird der Sportverein als non-formales Bildungssetting konzeptionalisiert, in dem formelle und informelle Bildungsprozesse ablaufen. Formelle Bildungsprozesse beziehen sich z. B. auf das sportliche Training mit zielgerichteter didaktisch-methodischer Aufbereitung; informelle Bildungsprozesse auf beiläufige und nicht institutionell geplante Gelegenheiten des Selbstlernens (Neuber, Breuer, Derecik, Golenia & Wienkamp, 2010). Die Auseinandersetzung mit psychosozialen Anforderungssituationen im Sport wird hier als informelle Lerngelegenheit aufgefasst, in welcher junge SportlerFootnote 2 durch soziale und selbstrelevante Erfahrungen psychosoziale Ressourcen (u. a. Teamfähigkeit, Selbstbewusstsein) entfalten können.

Beide Ansätze gehen davon aus, dass sich in den Sozialisations- bzw. Bildungsprozessen im Sport nicht nur sportlich relevante Ressourcen (Sozialisation bzw. Bildung im Sport), sondern auch allgemeine, über den Sport hinaus bedeutsame psychosoziale Ressourcen entwickeln können (Sozialisation bzw. Bildung durch Sport).

Der gegenwärtige Forschungsstand der sportbezogenen Kinder- und Jugendforschung bezieht sich fast ausschließlich auf die Perspektive der Sozialisation bzw. Bildung durch Sport. Die grundlegenden Annahmen über die positiven Wirkungen sportlicher Aktivität im Verein konnten bislang jedoch nicht umfassend geklärt werden (Gerlach & Brettschneider, 2013; Schmidt, 2008). Querschnittstudien bestätigen zwar übereinstimmend, dass sportlich aktive Jugendliche ihr körperliches und soziales Selbstkonzept sowie ihre soziale Einbindung positiver einschätzen als Nichtsportler (Brettschneider & Kleine, 2002), jedoch werden diese Unterschiede vornehmlich mit der Selektionshypothese begründet, d. h. Personen mit gering ausgeprägten Ressourcen meiden den Vereinssport. Längsschnittstudien konnten ebenso kaum empirische Belege für die Sozialisationshypothese erbringen, nach der sportliche Aktivität die Ressourcen von Personen positiv beeinflusst (Brettschneider, 2003; Heim, 2002). Die Studie „Jugendarbeit in Sportvereinen“ (Brettschneider & Kleine, 2002, S. 483) kommt zur ernüchternden Bilanz, dass sich der Sportverein zwar als „Bewahrer“ der psychosozialen Eigenschaften junger Menschen erweist, er jedoch die Rolle des „systematischen Förderers der jungen Sportler“ offensichtlich nicht effektiv auszuüben vermag. Es wird angenommen, dass die Wirkungen des (Vereins-)Sports im hohen Maße von der Quantität und Qualität der sportlichen Aktivität abhängig sind (Brettschneider & Kleine, 2002), weshalb es einer spezifischen Inszenierung des Kinder- und Jugendsports bedarf, um psychosoziale Ressourcen stärken zu können.

So fordern bereits die Autoren des Ersten Deutschen Kinder- und Jugendsportberichts eine Qualitätsentwicklung des außerschulischen Kinder- und Jugendsports: „Um das pädagogische und soziale Potenzial, das im Sport steckt, (…) zu erschließen und zu nutzen, sind gezielte Interventionsprogramme nötig, die systematisch ausgewertet werden müssen“ (Schmidt, Hartmann-Tews & Brettschneider, 2003, S. 409). Dieser Forderung kommt die Interventionsstudie PRimus (Psychosoziale Ressourcen im Jugendsport)Footnote 3 nach. Zum einen, indem ein gezieltes Förderkonzept („Psychosoziale Ressourcen im Sport“, Sygusch, 2007) entwickelt und in den Trainings- und Wettkampfalltag implementiert wurde, zum anderen, indem dieses Förderkonzept auf seine Umsetzbarkeit, Wirkungen und Wirksamkeit untersucht wurde (u. a. Herrmann, 2012; Sygusch & Herrmann, 2013). Vergleichbare Interventionsstudien zur Entwicklungsförderung sucht man in der deutschsprachigen, auf den Vereinssport ausgerichteten Evaluationsforschung jedoch vergebens. Vereinzelt lassen sich Interventionsstudien finden, welche sich auf das Setting Schule beziehen (z. B. Conzelmann, Schmidt & Valkanover, 2011) oder in englischsprachigen Ländern durchgeführt wurden, deren Sportvereinskulturen nur bedingt eine vergleichbare Struktur und konzeptionelle Ähnlichkeit aufweisen (z. B. Bruner & Spink, 2010). Gemein ist diesen Ansätzen, dass sie ihre Intervention auf einzelne, ausgewählte Ressourcen, wie das Selbstkonzept oder die Gruppenkohäsion, abzielen und (nur) moderate Interventionseffekte vorweisen können.

Die Befunde der Berner Interventionsstudie Schulsport (BISS; Conzelmann et al., 2011), welche die bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Leistungsentwicklung und der Erfahrungen in Gruppenprozessen durch Inszenierungsformen und Feedbackgespräche betont, zeigen, „dass sich spezifische Selbstkonzeptdimensionen von Schülerinnen und Schülern durch selbstkonzeptfördernden Sportunterricht (zumindest in der Tendenz) positiv beeinflussen lassen“ (Conzelmann et al., 2011, S. 220). Ebenso berichten Gilson und Feltz (2012) in ihrem Übersichtsartikel, dass die Selbstwirksamkeit über Erfolgserfahrungen, Feedback und Kausalattribution beeinflusst werden kann. Längerfristig angelegte Interventionsstudien zur Förderung der Selbstwirksamkeit im Sport sind jedoch kaum zu finden (im Überblick Feltz, Short & Sullivan, 2008, S. 295–296). Einzig die Studie von Biemann (2006) versucht theoriegeleitet selbstwirksamkeitsfördernde Maßnahmen abzuleiten und diese im Sportunterricht zu implementieren. Die Intervention konnte die Selbstwirksamkeitsentwicklung nicht positiv beeinflussen.

Im Bereich der sozialen Ressourcen konnten Senécal, Loughead und Bloom (2008) zeigen, dass die Gruppenkohäsion durch eine Teambuilding-Intervention im Basketball über eine Saison zwar gefestigt, nicht aber gesteigert werden kann. Bruner und Spink (2010) konnten mit ihrer Teambuilding-Intervention nachweisen, dass die Kommunikation und Interaktion der Trainer mit ihren Sportlern die stärkste Einflussvariable auf die Gruppenkohäsion darstellt.

Das Verhalten des Trainers und der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe stehen – wie Taylor und Bruner (2012) in einer Strukturgleichungsanalyse nachweisen konnten – in einem bedeutsamen Zusammenhang mit der Ressourcenentwicklung. Festzustellen ist ferner, dass vor allem dann Interventionseffekte berichtet werden, wenn die Stichproben über niedrige Ausgangswerte in den abhängigen Variablen verfügen (z. B. Selbstkonzept von Inaktiven, Alfermann, & Stoll, 2000; Gruppenkohäsion bei neuen Gruppen, Carron, Spink & Prapavessis, 1997).

Vorliegende Beiträge zur Interventionsstudie PRimus beziehen sich hauptsächlich auf die Evaluation der Programmdurchführung (Sygusch & Herrmann, 2009, 2010). Diese belegen, dass das Förderkonzept im außerschulischen Kinder- und Jugendsport umsetzbar ist. Es zeigte sich, dass „die methodischen Rahmenbedingungen und Maßnahmen im gesamten Interventionsverlauf auf zufriedenstellendem bis hohem Niveau realisiert“ wurden (Sygusch & Herrmann, 2010, S. 262). Die methodischen Rahmenbedingungen (Trainerverhalten, Beziehungszusammenhalt) konnten jedoch im Interventionsverlauf nicht weiter gesteigert werden, was aufgrund der insgesamt hohen Ausgangwerte mit Deckeneffekten begründet wird (Sygusch & Herrmann, 2010).

Im vorliegenden Beitrag geht es um die Frage, ob das Förderkonzept im außerschulischen Kinder- und Jugendsport wirksam ist. Da aus der Implementationsforschung bekannt ist, dass Interventionsmaßnahmen von den Lehrenden unterschiedlich umgesetzt und von den Lernenden – je nach Eingangsvoraussetzungen – unterschiedlich aufgenommen werden (z. B. Röder & Jerusalem, 2007), muss man davon ausgehen, dass die Intervention zu unterschiedlichen Veränderungen führen kann (Mittag & Hager, 2000; Sygusch, Bähr, Gerlach & Bund, 2013). Daher werden Implementationsmaße zum Trainerverhalten und zum Beziehungszusammenhalt in der Trainingsgruppe in die Untersuchung mit einbezogen, um diese in Beziehung zur Wirksamkeit der Intervention zu setzen. Ebenso werden differenzielle Effekte in Abhängigkeit vom Eingangsniveau der Sportler untersucht.

Evaluationsstudie PRimus

Der PRimus-Studie liegt das Förderkonzept „Psychosoziale Ressourcen im Sport“ (Sygusch, 2007)Footnote 4 zu Grunde. Dieses versteht sich zunächst als Beitrag zur Entwicklung einer sportlichen Persönlichkeit und ihrer Handlungs- und Leistungsfähigkeit im Sport:„Erst wenn die Förderung solcher [sportrelevanten] Ressourcen gelingt, können positive Transfereffekte auf allgemeine psychosoziale Ressourcen…“ (Sygusch, 2007, S. 22), also ein Beitrag zur allgemeinen Persönlichkeitsentwicklung durch Sport, erwartet werden. Nach dieser Grundidee setzt die Auswahl von Ressourcen (Was soll gefördert werden?), die Konkretisierung von Kernzielen (Wohin soll gefördert werden?) sowie die methodische Gestaltung (Wie soll gefördert werden?) an solchen Anforderungen und Bedingungen an, die im Sport selber von zentraler Bedeutung sindFootnote 5.

Was: Auswahl psychosozialer Ressourcen

Diese Auswahl erschließt sich aus drei Perspektiven: aus sportwissenschaftlicher Sicht (Sportpädagogik: u. a. Neuber et al., 2010; Sportpsychologie: u. a. Hagemann, Tietjens & Strauß, 2007; sportbezogene Jugendforschung: u. a. Schmidt et al., 2003), aus Sicht verschiedener Anspruchsgruppen (u. a. im Sport Handelnde, Jugendsportverbände) und aus Sicht der Sportarten (u. a. Anforderungsstrukturen, Talentkonzepte der Fachverbände). Im Überschneidungsbereich dieser Perspektiven werden fünf Ressourcen ausgewählt: Selbstwirksamkeit, Selbstkonzept, sozialer Rückhalt, Gruppenzusammenhalt und soziale Kompetenzen. Diese werden als Basisressourcen – in Abgrenzung zu Erfolgsressourcen (z. B. Leistungsmotivation, Konzentrationsfähigkeit) und Krisenressourcen (z. B. Stressbewältigung) – aufgefasst, um grundlegende sportliche Anforderungen (z. B. Training und Wettkampf, Handeln in der Trainingsgruppe) zu bewältigen (ausführlich: Sygusch, 2007, S. 31–52).

Wohin: Kernziele zur Förderung psychosozialer Ressourcen

Die Konkretisierung von Kernzielen erfolgt in enger Anlehnung an theoretische Modelle der ausgewählten Ressourcen (für Selbstkonzept: z. B. Shavelson, Hubner & Stanton, 1976; für Gruppenzusammenhalt: z. B. Carron, Spink & Prapavessis, 1997). In diesen Modellen wurden die sportnahen Teilkonstrukte herausgearbeitet, für die ein Einfluss auf die sportliche Handlungs- und Leistungsfähigkeit angenommen und teils empirisch belegt ist. Danach geht es beispielsweise weniger um das allgemeine Selbstkonzept, sondern vielmehr um die Stärkung des Selbstkonzepts der körperlichen Leistungsfähigkeit („Ich habe gute sportliche Fähigkeiten“). Zu diesen sportnahen Teilkonstrukten der ausgewählten Ressourcen wurden schließlich 6 Kernziele formuliert (ausführlich: Sygusch, 2007, S. 53–93; Herrmann & Sygusch, 2009a, b; Tab. 1).

Tab. 1 Kern- und Teilziele zur Förderung psychosozialer Ressourcen

In der Interventionsphase der PRimus-Studie wurden das Förderkonzept „Psychosoziale Ressourcen im Sport“ bzw. die adaptierten Transferkonzepte in den Sportarten Gerätturnen und Handball über 7 Monate im Trainings- und Wettkampfalltag umgesetzt.

Methodisches Design und Fragestellungen

Zur Erfassung der Wirkung und Wirksamkeit der Intervention wird eine Triangulation von verschiedenen Methoden (Flick, 2011) gewählt, indem qualitative und quantitative Forschungsmethoden gleichberechtigt nebeneinander verwendet werden. Durch deren Verknüpfung werden unterschiedliche Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand eingenommen. Die Stärken der quantitativen Vorgehensweise liegen in der Erfassung von strukturellen Aspekten und der Generalisierbarkeit der Erkenntnisse auf Makro-Ebene der Gesamtstichprobe, während die qualitative Vorgehensweise für die Erfassung der Prozessaspekte und die Interpretation von Zusammenhängen auf Mikro-Ebene des Individuums Vorteile bietet (Miethling, 2008).

Die Wirksamkeit des Konzepts wird mittels qualitativer Trainerbefragung (problemzentriertes Interview) und quantitativer Sportlerbefragung (Fragebogen) erhoben. Die Darstellung der quantitativen Sportlerbefragung konzentriert sich im vorliegenden Beitrag exemplarisch für die Gesamtauswertung auf 3 Erhebungsinventare für die Ressourcen Selbstwirksamkeit/Selbstkonzept (operationalisiert über sportspezifisches Selbstkonzept), Gruppenzusammenhalt (operationalisiert über Aufgabenzusammenhalt) und soziale Kompetenz (operationalisiert über Kommunikationsfähigkeit; Tab. 3)Footnote 6. Die eingangs formulierte Fragestellung differenziert sich entsprechend wie folgt aus:

  1. 1.

    Wie schätzen die Trainer der Interventionsgruppe die Entwicklung der psychosozialen Ressourcen (im Sinne der angesteuerten Kern- und Teilziele) im Interventionsverlauf ein?

  2. 2.

    Verändern sich aus Sicht der Sportler die psychosozialen Ressourcen (sportspezifisches Selbstkonzept, Aufgabenzusammenhalt, Kommunikationsfähigkeit) im Interventionszeitraum…

    1. 2.1.

      in Interventions- und Kontrollgruppe in unterschiedlicher Weise?

    2. 2.2.

      in Abhängigkeit vom Eingangsniveau?

    3. 2.3.

      in Abhängigkeit von den methodischen Rahmenbedingungen (Trainerverhalten, Beziehungszusammenhalt)?

Stichprobe

Die Akquisition der Trainer erfolgte über die E-Mail-Verteiler der beteiligten Sportverbände, Anzeigen in Verbandsorganen sowie über persönliche Kontakte von Verbandsmitarbeitern und der PRimus-Arbeitsgruppe. Teilnahmevoraussetzungen für die Studie waren eine Trainingsgruppe im Alter von 12 bis 16 Jahren, mindestens 2 Trainingseinheiten pro Woche, regelmäßige Wettkampfteilnahme sowie die Bereitschaft der Trainer zur Teilnahme an den Workshops ohne Fehlzeiten. Entsprechend liegt eine selektive Trainerstichprobe vor, die – im Vergleich zur Trainernormalpopulation – über ein hohes Interesse und Engagement verfügt.

Die Trainerstichprobe umfasst 29 Trainer (13 Handball, 16 Gerätturnen), die nach der Intervention mittels Interviews befragt wurden. Die Sportlerstichprobe besteht aus 221 Sportlern (MAlter = 13,5; 151 Handballer, 70 Gerätturner) in der Interventionsgruppe (IG) und 150 Sportlern (MAlter = 13,7; 101 Handballer, 49 Gerätturner) in der Kontrollgruppe (KG), die zu allen 3 Messzeitpunkten mittels Fragebogen befragt wurden.

Differenziert nach den methodischen Rahmenbedingungen des Trainerverhaltens (TV) und des Beziehungszusammenhalts (BZ) ergeben sich in der Gesamtstichprobe 169 Sportler, die eine Verbesserung des Trainerverhaltens wahrnehmen (Beziehungszusammenhalt: 213 Sportler), während 196 Sportler eine Verschlechterung wahrnehmen (Beziehungszusammenhalt: 157 Sportler; Tab. 2).

Tab. 2 Trainer- und Sportlerstichprobe der Interventions- und Kontrollgruppe differenziert nach Geschlecht, Trainerverhalten (TV) und Beziehungszusammenhalt (BZ)

Datenerhebung und Datenauswertung

Qualitative Trainerbefragung

Die Erhebung des Datenmaterials zur Beantwortung der ersten Fragestellung erfolgte mittels problemzentrierter Trainerinterviews nach Abschluss der Interventionsphase per Telefon. Die Interviewleitfragen lauteten: „Welche Wirkungen/Effekte konntest du seit Beginn des Projekts feststellen? Sind dir bezogen auf die weiteren Kernziele in deiner Trainingsgruppe Besonderheiten aufgefallen?“

Die Auswertung des Datenmaterials wurde mittels inhaltlicher Strukturierung vorgenommen (Mayring, 2007) mit dem Ziel, die Traineraussagen zu den Kategorien (1) Wirkungen auf Kernziele und (2) Wirkungen auf Teilziele aus dem Interviewmaterial herauszufiltern, zusammenzufassen und zu interpretieren. Hierfür wurden alle 29 erhobenen Trainerinterviews in die Auswertung mit einbezogen.

Die erste Kodierung des Datenmaterials wurde angelehnt an Prinzipien des kooperativen Kodierens (Kuckartz, 2007) entlang der beiden Kategorien von zwei unabhängigen Kodierern mit der Software AtlasTi direkt an den Audiodaten vorgenommen. Anschließend wurden die extrahierten Textstellen der beiden Kodierer verglichen und bei abweichenden Kodierungen im Projektteam nach einer konsensuellen Einschätzung gesucht. Dabei wurden die Kategorien in einem induktiven und deduktiven Prozess ausdifferenziert, konkretisiert und objektiviert (Bos & Tarnai, 1989). Abschließend wurden diese extrahierten Audiokodierungen vollständig transkribiert.

Für die zweite Kodierung wurden Subkategorien gebildet, welche zunächst auf Basis der konzeptionellen Vorgaben zu den Kern- und Teilzielen (Tab. 1) deduktiv bestimmt und im Auswertungsprozess induktiv weiterentwickelt wurden. Beispielsweise wurden die Kernziele Selbstkonzept und Selbstwirksamkeit zu einer Subkategorie zusammengefasst, da die Trainer diese beiden Kernziele begrifflich nicht unterscheiden. Ebenso nennen die Trainer die Teilziele nicht in der differenzierten Form der konzeptionellen Vorgaben, weshalb nicht alle Teilziele als Subkategorien in das Kategoriensystem aufgenommen wurden. Die abschließende Kodierung wurde auf Basis eines Kodierleitfadens durchgeführt, welcher in Ausschnitten in Tab. 3 dargestellt ist.

Tab. 3 Beispiel aus dem Kodierleitfaden zur Kategorie Wirkungen auf Kern- und Teilziele

Quantitative Sportlerbefragung

Zur Erhebung des Datenmaterials für die zweite Fragestellung wurden die Sportler vor Beginn (t1), in der Mitte (t2) und unmittelbar nach der Intervention (t3) zu den im Rahmenkonzept definierten Kernzielen (Tab. 1) mittels Fragebogen befragt. Die standardisierten, hinsichtlich Testgüte geprüften Messinstrumente verfügen über sportspezifische Itemformulierungen und eignen sich für die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen. Die Reliabilität der angewandten Skalen (Cronbach’s A) wurde über die Gesamtstichprobe der Sportler zum ersten Messzeitpunkt überprüft und ist durchgängig zufriedenstellend (Tab. 4).

Tab. 4 Überblick über die verwendeten Inventare mit statistischen Kennwerten

Für die Auswertung des Datenmaterials wurden zunächst die Mittelwertunterschiede zum ersten Messzeitpunkt zwischen Interventions- und Kontrollgruppe mittels univariater (Ko-)VarianzanalysenFootnote 7 überprüft.

Anschließend wurde innerhalb der Teilfragestellung 2.1 berechnet, ob unterschiedliche Entwicklungen in der Interventions- und Kontrollgruppe über die Interventionszeit vorliegen. Dazu wurden zweifaktorielle (Ko-)Varianzanalysen mit Messwiederholung mit den Faktoren „Zeit“ (t1, t2, t3) und „Gruppe“ (IG vs. KG) durchgeführt.

Die Entwicklungen der erfassten Variablen in Abhängigkeit von deren Eingangsniveau wurden in der Teilfrage 2.2 untersucht. Die Interventions- und Kontrollgruppe wurde hierfür mittels der 33 %-, 66 %- und 100 %-Perzentile in 3 Gruppen aufgeteilt: Sportler mit niedrigem, mittlerem und hohem Eingangswert. Diese Unterteilung wurde gewählt, um die differenzielle Wirksamkeit der Umsetzung des Konzepts in Abhängigkeit vom Eingangswert abschätzen zu können. Die dreifaktoriellen (Ko-)Varianzanalysen mit Messwiederholung wurden mit den Faktoren „Zeit“ (t1, t2, t3), „Gruppe“ (IG vs. KG) sowie „Eingangswert“ (niedrig vs. mittel vs. hoch) berechnet.

Zur Beantwortung der Teilfragestellung 2.3 wurden die Entwicklungen der erfassten Variablen in Abhängigkeit von der zeitlichen Veränderung der von den Sportlern wahrgenommenen methodischen Rahmenbedingungen (a) „Trainer als sportlicher Entwicklungshelfer“ (operationalisiert über das Trainerverhalten) und (b) „Trainingsgruppe als lernförderlicher Rahmen“ (operationalisiert über den Beziehungszusammenhalt) untersucht (Tab. 3; ausführlich: Sygusch & Herrmann, 2010). Hierfür wurden jeweils Differenzwerte aus dem ersten und dritten Messzeitpunkt gebildet und nach dem Vorzeichen (> bzw. < 0) geteilt. Aus der Gesamtgruppe wurden entsprechend Teilgruppen gebildet, die im Interventionsverlauf eine Verbesserung bzw. Verschlechterung (a) des Trainerverhaltens sowie (b) des Beziehungszusammenhalts wahrgenommen haben. Die dreifaktoriellen (Ko-)Varianzanalysen mit Messwiederholung wurden mit den Faktoren „Zeit“ (t1, t2, t3), „Gruppe“ (IG vs. KG) und „Trainerverhalten bzw. Beziehungszusammenhalt“ (verbessert vs. verschlechtert) berechnet.

Ergebnisse

Wirkungen des Konzepts aus Trainersicht

Die Trainer äußern in ihren Aussagen, dass ihnen im Interventionsverlauf positive Entwicklungen in der Selbsteinschätzung ihrer Sportler aufgefallen sind, welche mit der Intervention in Verbindung stehen.

Sie sind schon irgendwie auch alle selbstständiger oder können sich besser einschätzen oder so. Also ich finde es [das Konzept] hat auf jeden Fall was gebracht. (t3: Gerätturntrainerin von 10- bis 17-jährigen Mädchen)

In diesem Zusammenhang wird häufig das Inszenieren von konkreten Aktionsformen genannt, das – nach Aussagen der Trainer – zur Entwicklung einer realistischen Selbsteinschätzung der Sportler beigetragen hat.

Andere [Handballerinnen] sind durch diese Übung [Prognosetraining] eigentlich auch ein bisschen vorangekommen, gewachsen, weil sie sehen: ‚So schlecht bin ich eigentlich gar nicht.‘ (t3: Handballtrainerin von 10- bis 17-jährigen Mädchen)

Einzelne Trainer haben ferner Situationen des Trainings aufgegriffen und systematisch Nahziele mit den Sportlern festgelegt. Die Trainer konnten beobachteten, dass die Sportler diese Ziele engagiert verfolgten, überrascht über ihre Leistungsfortschritte waren und dadurch ihre Selbsteinschätzung zur eigenen Leistungsfähigkeit positiv veränderten.

Wir hatten halt ein Plakat im Januar gemacht […] und jeder konnte so sagen, […] was möchte ich bis dahin [zum Wettkampf] unbedingt wirklich alleine können, was ich jetzt noch nicht kann. […] Bei manchen war es so, dass sie einfach überrascht waren, dass sie tatsächlich diese Sachen noch erreichen konnten, weil viele gedacht haben, ob das in der kurzen Zeit wirklich mal klappt – hat nicht jeder so dran geglaubt. Aber als die dann nach dem Wettkampf die Plakate wieder hatten, dann gesagt haben: ‚Tatsächlich haben wir wirklich geschafft!‘ Also war dann noch mal ein positiver Effekt. (t3: Gerätturntrainerin von 9- bis 18-jährigen Mädchen)

Mehrere Trainer erkennen im Interventionsverlauf positive Veränderungen im sportlichen Selbstbewusstsein Footnote 8 ihrer Sportler und führen dies auf die Umsetzung des Konzepts und auf einzelne methodische Maßnahmen zurück.

Manche von den Mädels sind schon bisschen selbstbewusster, hat man so das Gefühl, also sie trauen sich mehr. (t3: Gerätturntrainerin von 8- bis 16-jährigen Mädchen)

Dabei scheinen die Sportler nicht lediglich ihr Selbstbewusstsein durch die Intervention zu steigern, sondern können ein positiv-realistisches Selbstbewusstsein entwickeln.

Ich habe bei einigen [Sportlern] schon das Gefühl, dass sie etwas selbstbewusster geworden sind und auch einfach – nicht nur selbstbewusster in dem Sinne, dass sie wissen was sie können –, sondern dass sie auch realistischer abschätzen können, was sie tatsächlich können. (t3: Gerätturntrainerin von 9- bis 18-jährigen Mädchen)

Einige Trainer nehmen zwar positive Veränderungen im Selbstbewusstsein wahr, können aber nicht beurteilen, ob für diese Veränderungen die Intervention oder externe Einflüsse (z. B. Alter, Saisonverlauf, Leistungsentwicklung) verantwortlich sind.

Ich weiß es nicht, ob es aufgrund des Publikums [bei den Spielen ist], dass sie da einfach mehr Selbstbewusstsein getankt haben? Oder ob es jetzt einfach die Entwicklung jetzt ist mit 14, 15 Jahren? (…) Vielleicht wurde das [Selbstbewusstsein] auch etwas gefördert durch die ganzen Spielchen [aus dem Konzept] (...). Also inzwischen ist wirklich sehr das Selbstbewusstsein gewachsen. (…) Wie gesagt, mag jetzt vielleicht (…) an der Studie liegen. Mag auch daran liegen, dass sie viele Tore schießen. Das kann eine Wechselwirkung sein, weil sie sich mehr zutrauen. (t3: Handballtrainerin von 12- bis 14-jährigen Mädchen)

Mehrere Trainer äußerten darüber hinaus, dass die gegenseitige Unterstützung der Sportler zugenommen hat, indem sie sich im Trainingsprozess und bei verschiedenen Aktionsformen aufmuntern, sich Mut zusprechen und sich gegenseitig motivieren. Ebenso scheint durch die Durchführung der methodischen Maßnahmen die Integration von neu hinzugekommenen Sportlern in die bestehenden Gruppen leichter zu gelingen.

Sie haben sich schon [bei der Aktionsform] irgendwo gegenseitig angefeuert (…). Bei der einen [Turnerin] hat es halt nicht geklappt – und dann sind sie dann schon so, dass sie sich da gegenseitig Mut machen oder halt irgendwie motivieren wieder. (t3: Gerätturntrainerin von 10- bis 17-jährigen Mädchen)

Also ich muss sagen, die Gruppe hat sich sehr gut entwickelt. Interessant, dass sie zum ersten Mal gut zusammen harmonieren. Es sind auch ein, zwei neue Kinder dazu gekommen. Die haben sie eigentlich gut aufgenommen nach zwei Monaten. Die haben sich jetzt auch gut integriert. (t3: Gerätturntrainer von 9- bis 12-jährigen Jungen)

Es wurde auch berichtet, dass sich die Sportler in ihrer Leistungsfähigkeit gegenseitig besser respektieren, was sich positiv auf den Zusammenhalt in der Gesamtgruppe auswirkt.

Also bei den Kleinen [Turnerinnen] habe ich festgestellt, dass sie sich gegenseitig schon ein bisschen besser schätzen oder einschätzen können und sie respektieren sich auch anders. Also ich denk, da hat jeder jetzt festgestellt, jeder hat seine Schwächen und seine Stärken. (t3: Gerätturntrainerin von 7- bis 18-jährigen Mädchen)

Die Trainer schätzen die Umsetzung des Konzepts zur Förderung des Gruppenzusammenhalts Footnote 9 innerhalb der Gruppe als gewinnbringend ein und konnten in ihrer Gruppe eine Verbesserung feststellen.

Ich war da letztes Jahr schon von [dem Konzept] begeistert – wie die plötzlich alle zusammen gearbeitet haben und was für ein Gruppenzusammenhalt das plötzlich war. (t3: Gerätturntrainerin von 9- bis 16-jährigen Mädchen)

Ich hab auch nochmal mit den Mädels darüber gesprochen, also sie haben es jetzt auch als positiv empfunden das ganze Projekt und haben das schon so empfunden, dass sie als Mannschaft schon ein bisschen zusammen gewachsen sind. (t3: Handballtrainerin von 10- bis 17-jährigen Mädchen)

Von mehreren Trainern wird die Verbesserung des Zusammenhalts auf konkrete methodische Maßnahmen (z. B. Gruppengespräche, Mitverantwortung aufgreifen) und Aktionsformen (z. B. Gegenseitig Coachen) bezogen, die während der Intervention durchgeführt wurden.

Dass wir wirklich den Zusammenhalt gefestigt haben, gesichert haben, seitdem wir das eigentlich machen und, dass man halt auch anders als Trainer in das Training reingegangen ist, dass man auch den Spielern mehr überlassen hat, dass man nicht so viel sich selber angenommen hat, sondern dass man viel an die Kinder weitergegeben hat. (t3: Gerätturntrainerin von 7- bis 12-jährigen Mädchen)

Und sich so gegenseitig beobachten (…) – das macht denen ja auch selber Spaß und ich denke die merken dann genau, auf was es eigentlich ankommt. Und das stärkt schon den Zusammenhalt! (t3: Gerätturntrainerin von 10- bis 17-jährigen Mädchen)

Ein Trainer relativiert die Wirkungen des Konzepts, da die Trainingsgruppe schon zu Interventionsbeginn über einen großen Zusammenhalt verfügte und hierbei die methodischen Maßnahmen nur noch stabilisierend wirken konnten.

Ich muss immer wieder sagen, dass wir eigentlich eh schon allgemein einen sehr guten Zusammenhalt gehabt haben bei den älteren Mädels. (t3: Gerätturntrainerin von 10- bis 17-jährigen Mädchen)

Lediglich ein Trainer formulierte konkret, dass er keine Wirkungen des Konzepts auf den Gruppenzusammenhalt in seiner Trainingsgruppe erkennen konnte.

Es ist jetzt nicht so, dass man jetzt dadurch irgendwie einen richtig großen Gruppenzusammenhalt aufbauen konnte. Die haben das schon mitgemacht und haben die Sachen auch ordentlich gemacht. Aber das hat keinen Schub gegeben. (t3: Handballtrainer von 13- bis 14-jährigen Jungen)

Aus den Aussagen der Trainer geht zudem hervor, dass die Sportler im Laufe der Intervention mehr Mitverantwortung im Training und im organisatorischen Bereich übernehmen.

Die [Sportler] sind (…) eigentlich selbstständiger geworden. Sie haben selber mehr Verantwortung übernommen – ob das im Bereich Trikots, Organisation, Training [ist…]. Also es hat bestimmt auch was mit dem Alter zu tun, aber sicher auch damit zu tun, dass sie eben [im Training] einfach mehr zusammen machen. (t3: Handballtrainerin von 14- bis 18-jährigen Mädchen)

Ein Großteil der Trainer erkennt eine Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit. Die Sportler reden mehr miteinander und die sprachliche Verständigung hat sich im Training verbessert. Sie geben sich gegenseitig Tipps und unterstützen sich gegenseitig im Trainingsprozess. Gründe hierfür werden von den Trainern darin gesehen, dass sie die Sportler in Besprechungen und Reflexionen mehr zu Wort kommen lassen und dass sie durch verschiedene Aktionsformen angehalten werden sich aktiver auszutauschen.

Also ich habe so den Eindruck, dass sie offener sind und ja mehr über gewisse Dinge oder öfters über Situationen reden. (t3: Gerätturntrainerin von 10- bis 17-jährigen Mädchen)

Und zwar fällt mir ganz oft auf, dass sie, wenn die Eine einen Übungsteil immer und immer wieder nicht schafft, dass sie sich dann gegenseitig Tipps geben. (t3: Gerätturntrainerin von 11- bis 18-jährigen Mädchen)

Die Trainer bemerken, dass bedingt durch die methodischen Maßnahmen, eine Kommunikation über verschiedene Leistungsstärken und Altersstufen entstanden ist. So wurden auch Tipps und Rückmeldungen von leistungsschwächeren Sportlern von den stärkeren Mitsportlern zunehmend akzeptiert.

Die Gruppe, (…) die ist enger zusammen geschweißt, weil die halt öfters zusammen so Aktionsformen gemacht haben und dadurch halt auch so eine jahrgangsübergreifende Kommunikation stattgefunden hat. (…) Ich würde sagen, dass die (…) jetzt mehr miteinander kommunizieren. (t3: Gerätturntrainerin von 7- bis 17-jährigen Mädchen)

Sie [die Handballerinnen] haben gesagt, dass dieses Projekt denen was gebracht hat. Sie hätten selber nicht gedacht, dass sie in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen, so dass eine (…) schwächere zu einer besseren sagt: ‚Du musst das so machen und da gehen’ und das auch akzeptiert [wird]. Und das haben die [Handballerinnen] akzeptiert – jede Anweisung egal von wem es kam, von der Schwächeren oder von der Besseren. (t3: Handballtrainerin von 12- bis 15-jährigen Mädchen)

Insgesamt lässt sich aus den qualitativen Traineraussagen schließen, dass durch die Interventionsmaßnahmen ressourcenstärkende Prozesse angeregt werden, welche sich bei mehreren Sportlern in einem positiv-realistischen Selbstbewusstsein, einem verbesserten Zusammenhalt sowie einer zumindest quantitativen Zunahme der Kommunikation ausdrücken.

Wirksamkeit des Konzepts aus Sportlersicht

Die Ausgangswerte (t1) sind beim Aufgabenzusammenhalt – im Vergleich zu den Referenzwerten (Brettschneider & Gerlach, 2004; Sygusch & Kotissek, 2005) – als hoch, beim sportartspezifischen Selbstkonzept und bei der Kommunikationsfähigkeit im Sport als moderat zu bewerten (Tab. 5).

Tab. 5 Zeitvergleich zwischen Interventions- und Kontrollgruppe

Wirksamkeit der Intervention

Zu Interventionsbeginn weisen die Interventionsgruppe und die Kontrollgruppe im sportartspezifischen Selbstkonzept und in der Kommunikationsfähigkeit im Sport vergleichbare Werte auf, während beim Aufgabenzusammenhalt die Ausgangswerte der Interventionsgruppe signifikant (F = 4,73; p = 0,03; η2 = 0,02) höher sind als in der Kontrollgruppe (Tab. 5).

Im Interventionszeitraum liegen bei den Werten zum sportartspezifischen Selbstkonzept, zum Aufgabenzusammenhalt und zur Kommunikationsfähigkeit im Sport keine bedeutsamen Veränderungen in der Interventionsgruppe vor. Die nicht signifikanten Interaktionen „Zeit × Gruppe“ zeigen, dass dies in ähnlicher Weise für die Interventions- und die Kontrollgruppe giltFootnote 10 (Tab. 5).

Insgesamt können die vorliegenden Ergebnisse der quantitativen Sportbefragung – entgegen den Ergebnissen der qualitativen Trainerbefragung – die Wirksamkeit der Intervention auf die Entwicklung der psychosozialen Ressourcen nicht belegen. Im Interventionszeitraum liegen keine bedeutsamen Veränderungen in den erfassten Parametern vor.

Wirksamkeit der Intervention in Abhängigkeit vom Eingangsniveau

Im Zeitvergleich weist die signifikante Interaktion „Zeit × Eingangswert“ mit mittleren Effekten (η2 = 0,09) darauf hin, dass der „Eingangswert“ die Veränderungen in den abhängigen Variablen im Zeitverlauf maßgeblich beeinflusst. Während sich die Werte auf deskriptiver Ebene bei den Sportlern mit niedrigem „Eingangswert“ erhöhen, bleiben sie bei den Sportlern mit mittlerem „Eingangswert“ konstant und nehmen bei den Sportlern mit hohem „Eingangswert“ ab. Die nicht signifikante Interaktion „Zeit × Gruppe × Eingangswert“ weist jedoch darauf hin, dass dieser Effekt in der Interventions- und Kontrollgruppe in gleicher Weise vorliegt (Tab. 6).

Tab. 6 Zeitvergleich differenziert nach hohen (↑), mittleren (↔) und niedrigen (↓) Eingangswerten (EW)

Wirksamkeit der Intervention in Abhängigkeit von den Rahmenbedingungen

Zu Interventionsbeginn liegen zwischen den nach „Gruppe“ und Veränderung des „Trainerverhaltens bzw. Beziehungszusammenhalts“ differenzierten Teilgruppen keine bedeutsamen Unterschiede in den Werten zum sportartspezifischen Selbstkonzept und zur Kommunikationsfähigkeit im Sport vor. Einzig beim Aufgabenzusammenhalt weisen die Teilgruppen, die nach „Beziehungszusammenhalt“ differenziert wurden, einen signifikanten Unterschied zum ersten Messzeitpunkt auf (F = 4,30; p = 0,04; η2 = 0,01). Sportler, deren Wahrnehmung des „Beziehungszusammenhalts“ sich im Interventionsverlauf verbessert, verfügen zu Interventionsbeginn über geringere Werte im Aufgabenzusammenhalt.

Im Interventionszeitraum zeigen sich beim sportartspezifischen Selbstkonzept und bei der Kooperationsfähigkeit im Sport keine signifikanten Interaktionen mit dem „Trainerverhalten“. Dagegen zeigt sich beim Aufgabenzusammenhalt, dass eine Verbesserung des „Trainerverhaltens“ mit einer Erhöhung der Werte einhergeht, während bei einer Verschlechterung die Werte absinken (Tab. 7).

Tab. 7 Zeitvergleich zwischen Veränderung „Trainerverhalten“ (TV)

In Abhängigkeit vom „Beziehungszusammenhalt“ zeigen sich dagegen signifikante Veränderungen der Werte zum sportartspezifischen Selbstkonzept, zum Aufgabenzusammenhalt und zur Kooperationsfähigkeit im Sport. Eine Verbesserung des „Beziehungszusammenhalts“ geht in Interventions- und Kontrollgruppe mit einer (leichten) Erhöhung der Werte einher, während bei einer Verschlechterung die Werte absinken bzw. konstant bleiben (Tab. 8).

Tab. 8 Zeitvergleich zwischen Veränderung „Beziehungszusammenhalt“ (BZ)

Insgesamt zeigt sich, dass die Veränderungen der methodischen Rahmenbedingungen – insbesondere des Beziehungszusammenhalts in der Trainingsgruppe als lernförderlicher Rahmen – einen Einfluss auf die Entwicklung der erfassten Parameter haben. Dieser Effekt stellt sich jedoch in Interventions- und Kontrollgruppe in gleicher Weise ein und ist damit unabhängig von der Umsetzung der methodischen Maßnahmen.

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

In vorangegangenen Beiträgen zur Evaluation der Umsetzung des Förderkonzepts „Psychosoziale Ressourcen im Sport“ (u. a. Sygusch & Herrmann, 2009) konnte gezeigt werden, dass die methodischen Maßnahmen des Förderkonzepts von den durch die Akquisition selektierten und intensiv begleiteten Trainern in weiten Teilen konzepttreu oder konzeptnah umgesetzt wurden. Es gab allerdings auch einen geringeren Anteil der Trainer, bei dem die konzeptionellen Maßnahmen nur ansatzweise verinnerlicht erscheinen. Insgesamt zeigte sich, dass die meisten Trainer vor allem die rezeptartig vorgegebenen Aktionsformen konzeptnah nutzten, bei anderen methodischen Maßnahmen (Aufgreifen, Reflektieren von Erfahrungen) die psychosoziale Akzentuierung im Trainerhandeln dagegen vielfach von vertrauten motorischen Trainingsinhalten und -routinen überlagert wurden (Sygusch & Herrmann, 2013). Insgesamt liegen aber in den meisten Trainingsgruppen noch relativ günstige Voraussetzungen für das Erreichen der angestrebten Kernziele vor. Damit befasste sich der vorliegende Beitrag, welcher der Frage nachging, ob die Interventionsmaßnahmen auch zielführend sind und zur Entwicklung der ausgewählten Ressourcen führen. Hierzu liegen Befunde aus einer qualitativen Trainerbefragung sowie aus einer quantitativen Sportlerbefragung vor. Nachfolgend werden die zentralen Ergebnisse zu Wirkungen aus Trainersicht und zur Wirksamkeit aus Sportlersicht zusammenfassend dargestellt und diskutiert.

Hauptfragestellung 1.

Wie schätzen die Trainer der Interventionsgruppe die Entwicklung der psychosozialen Ressourcen (im Sinne der angesteuerten Kern- und Teilziele) im Interventionsverlauf ein?

Aus den vorliegenden Aussagen der Trainer geht hervor, dass durch die Umsetzung der konzeptionellen Vorgaben während der Intervention die psychosozialen Ressourcen – im Sinne der Kern- und Teilziele – positiv beeinflusst werden konnten:

  • Nach Aussagen der Trainer lernten die Sportler, ihre Leistungsfähigkeit zunehmend realistischer einzuschätzen, was zur Entwicklung eines positiv-realistischen sportlichen Selbstkonzepts und einer stabilen sportlichen Selbstwirksamkeit der Sportler beigetragen hat.

  • Die Trainer nehmen eine verbesserte soziale Integration und gegenseitige Unterstützung der Sportler in der Trainings- und Wettkampfgruppe während der Interventionszeit wahr, was sich in einem gesteigerten Aufgabenzusammenhalt über die Interventionszeit ausdrückt. Dies äußert sich vor allem bei der Bearbeitung und Bewältigung gemeinsamer Ziele, indem die Sportler mehr Verantwortung im Trainings- und Wettkampfalltag übernehmen und die Kommunikation zwischen den Sportlern zunimmt.

Diese insgesamt positiven Einschätzungen der Trainer stellen einen wichtigen Hinweis auf die Wirkungen des Konzepts dar und sind im Sinne der Triangulation neben der quantitativen Sportlerbefragung eine wichtige Informationsquelle bei der Bewertung der Wirksamkeit der Intervention.

Dennoch müssen diese Ergebnisse der qualitativen Trainerbefragung mit gewisser Zurückhaltung interpretiert werden. Zunächst fällt auf, dass die positiven Aussagen der Trainer zur Wirksamkeit der Intervention sich vornehmlich auf Facetten der Teilziele bzw. auf einzelne Dimensionen der Ressourcen (z. B. Kommunikationsfähigkeit) beziehen. Danach können positive Interventionsprozesse im Sinne von kleinen Wirkungen durchaus angeregt werden, während eine grundlegende Verbesserung der Ressourcen nur bedingt gelingt. Explizite Traineraussagen zu den Kernzielen liegen nur wenige vor und werden meist von den Trainern aus dem GerätturnenFootnote 11 geäußert. Diese sind meist allgemeiner und nicht in der differenzierten Form der konzeptionellen Vorgaben formuliert, was deutlich macht, dass offenbar die Trainer die Kernziele nicht durchgängig verinnerlicht haben (Herrmann, 2012, S. 224–227). Weiterhin kann sich darin auch eine soziale Erwünschtheit ausdrücken, da die Trainer als die Implementierenden des Konzepts Selbstberichte ihres eigenen Handelns abgeben und damit die Wirksamkeit über den Erfolg ihres eigenen methodischen Handelns beurteilen. Entsprechend könnte die Wirksamkeit des Konzepts überschätzt werden. Vor diesem Hintergrund können die Traineraussagen als eingeschränkt objektiv und aussagekräftig eingestuft werden.

Hauptfragestellung 2.

Verändern sich aus Sicht der Sportler die psychosozialen Ressourcen (sportspezifisches Selbstkonzept, Aufgabenzusammenhalt, Kommunikationsfähigkeit) im Interventionszeitraum?

Die in den qualitativen Trainerinterviews herausgestellte Wirksamkeit der Intervention auf die angestrebten Ressourcen kann auf Basis der Ergebnisse der quantitativen Sportlerbefragung nicht nachgewiesen werden.

  • Im Zeitvergleich liegen zwischen Interventions- und Kontrollgruppe keine bedeutsamen Veränderungen in den erfassten Parametern vor.

  • Die nach dem Eingangswert differenzierten Teilgruppen zeigen in allen abhängigen Variablen signifikante Veränderungen bei mittleren Effektstärken über die Zeit. Unterschiede zwischen Interventions- und Kontrollgruppe liegen jedoch nicht vor, weshalb diese Veränderungen nicht auf die Intervention zurückgeführt werden können.

  • In Abhängigkeit von der Veränderung des Trainerverhaltens zeigt sich bei den Werten zum Aufgabenzusammenhalt ein signifikantes Ergebnis über die Zeit.

  • In Abhängigkeit von den Veränderungen des Beziehungszusammenhalts stellt sich bei allen erfassten Parametern ein signifikantes Ergebnis über die Zeit ein. Dabei steigen unabhängig von Interventions- und Kontrollgruppe die Werte bei einer Verbesserung des „Trainerverhaltens bzw. Beziehungszusammenhalts“ an; bei einer Verschlechterung gehen sie hingegen zurück.

Die Annahme des Förderkonzepts, dass die Rahmenbedingungen verbessert werden müssen, um die psychosozialen Ressourcen zu stärken, kann damit – insbesondere für die „Trainingsgruppe als lernförderlicher Rahmen“ – bestätigt werden. Insgesamt ist es in der durchgeführten Intervention jedoch nicht gelungen, die eingangs bereits sehr positiv ausgeprägten methodischen Rahmenbedingungen durch die Implementationsmaßnahmen in der Interventionsgruppe noch weiter zu verbessern (Sygusch & Herrmann, 2010), weshalb die Intervention einen großen Teil ihrer angenommenen Wirksamkeit eingebüßt haben könnte. Des Weiteren lassen sich verschiedene Hinweise für die ausbleibenden Interventionswirkungen auf Basis der quantitativen Sportlerbefragung finden (ausführlich: Herrmann, 2012, S. 375–384):

  • Die Interventionsmaßnahmen lösen bei den Sportlern Reflexionsprozesse aus, in denen das sportspezifische Selbstkonzept, der Aufgabenzusammenhalt und die Kommunikationsfähigkeit hinterfragt werden. Dies kann dazu beitragen, dass die Selbstauskünfte zu den erfassten Parametern kritischer ausfallen. Diese quantitative Verschlechterung kann jedoch eine konzeptionell erwünschte qualitative Aufwertung der Ressourcen darstellen, sofern sich die Sportler im Interventionsverlauf reflektierter, nicht aber zwingend positiver bewerten. Für diese Deutung einer realistischen Anpassung sprechen die Äußerungen der Trainer, dass einzelne Sportler ihre Selbsteinschätzungen im Zuge der Umsetzung der methodischen Maßnahmen relativieren mussten. Auf Basis der quantitativen Ergebnisse (Teilfrage 2.2) kann diese Vermutung jedoch nicht bestätigt werden, da sich keine unterschiedlichen Effekte zwischen der Interventions- und Kontrollgruppe über die Zeit einstellen. Aufgrund des Fehlens eines objektiven Gütemaßstabs (z. B. motorische Tests für das physische Selbstkonzept) können an dieser Stelle keine weiteren Aussagen über eine Verbesserung der Realitätsangemessenheit getroffen werden (Schmidt & Conzelmann, 2011).

  • Die Sportler verfügen bereits zu Interventionsbeginn über positiv ausgeprägte Ressourcen. Fraglich ist daher, ob Veränderungen – im Sinne einer quantitativen Erhöhung – überhaupt möglich und pädagogisch sinnvoll sind, da die Ausprägung der Ressourcen (z. B. sportartspezifisches Selbstkonzept) immer mit den tatsächlichen Leistungen (z. B. sportartspezifische Fertigkeiten) verbunden sind. Letztlich sind dadurch die Grenzen jeglicher Interventionsbemühungen definiert, da ansonsten Interventionsmaßnahmen Gefahr laufen, unrealistische psychosoziale Ressourcen aufzubauen. Mehrere Traineraussagen bestätigen, dass die Sportler bereits zu Interventionsbeginn über ein positives Selbstkonzept, hohe Selbstwirksamkeit und eine starke Gruppenkohäsion in der Trainingsgruppe verfügten (Schmidt & Conzelmann, 2011).

  • Die Interventionswirkungen werden von externen Einflussfaktoren (z. B. Wettkampferfolg) überlagert. Beispielsweise haben sportliche (Erfolgs-)Erfahrungen einen großen Einfluss auf die Entwicklung der sportspezifischen Ressourcen und könnten potenzielle Wirkungen der Intervention überlagern. Diese wird durch Aussagen der Trainer bestätigt, dass die Ressourcen der Sportler in Abhängigkeit von sportlichen Erfahrungen starken Schwankungen unterlagen. Eine quantitative Erfassung dieser Einflussfaktoren als Kontrollvariable liegt leider nicht vor.

Wie sind die vorliegenden divergenten Ergebnisse zwischen der qualitativen Trainerbefragung und der quantitativen Sportlerbefragung zu begründen?

Die qualitative und quantitative Datenerhebung und -auswertung bezieht sich auf unterschiedliche Ebenen des Gegenstandes.

Während die qualitative Trainerbefragung viel stärker die Individuumsebene der Einzelsportler und damit die Interaktions- und Kommunikationsformen in Zusammenhang mit den Interventionsmaßnahmen in den Blick nimmt, analysiert die quantitative Sportlerbefragung die Ressourcenentwicklung der Sportler in der Gesamtgruppe (durch das Aggregieren der Einzelwerte). Dadurch kann es sein, dass die qualitative Methode mit ihren Stärken in der Exploration von bedeutsamen Einzelfällen die Entwicklung der Ressourcen überschätzt.

Die qualitative Trainerbefragung bildet stärker den Interventionsprozess ab, während die quantitative Sportlerbefragung eher die Ausprägung und Struktur der Ressourcen erhebt.

In der Retrospektion der qualitativen Trainerbefragung wird die Ressourcenentwicklung auf der Ebene der Einzelsportler mit konkreten Interventionsmaßnahmen in Zusammenhang gebracht und ist damit in der Lage den Interventionsprozess – zumindest in Ansätzen – abzubilden. Dagegen wird in der quantitativen Sportlerbefragung die Ausprägungen der Ressourcen nur punktuell als einzelne Momentaufnahmen über die Zeit erfasst und kann daher die in den sozialen Interaktionen erzeugten subjektiven Bedeutungen bezüglich der Ressourcenstärkung nur bedingt abbilden (Miethling, 2008). Die qualitative Trainerbefragung erfasst demnach viel stärker bedeutsame Prozesse und Wirkungen – ggf. von Einzelfällen –, die mit quantitativen Inventaren kaum erfasst und in der Gesamtgruppe nicht abgebildet werden können.

Entsprechend müssen diese divergent erscheinenden Ergebnisse dahingehend hinterfragt werden, „inwieweit sich die Divergenzen möglicherweise schon aufgrund des jeweils unterschiedlichen Wirklichkeits- und Gegenstandsverständnisses der beiden Zugänge ergeben“ (Miethling, 2008, S. 231; Flick, 2011) und daher zu unterschiedlichen Ergebnissen führen müssen. Beide methodischen Zugänge lassen jedoch jeweils relevante Aspekte des komplexen Gegenstandes erkennen. Entsprechend sind die qualitativen und quantitativen Ergebnisse nicht kontrastierend gegenüberzustellen, sondern komplementär zu interpretieren (Miethling, 2008).

Die vorliegenden quantitativen Ergebnisse zeigen, dass die Ressourcen in der Gesamtgruppe über die Zeit auf hohem Niveau stabil bleiben und sich im Interventionsverlauf keine erkennbaren Entwicklungen abzeichnen. Ein Nachweis der Wirksamkeit der Interventionsmaßnahmen kann damit auf Gruppenebene nicht erbracht werden. Jedoch können die Interventionsmaßnahmen bei den (einzelnen) Sportlern situationsspezifische Prozesse hervorrufen, die sich positiv auf die Entwicklung der Ressourcen auswirken.

Wie sind diese Ergebnisse in Bezug auf den aktuellen Forschungsstand einzuordnen?

Ausgangspunkt der vorliegenden Interventionsstudie PRimus waren die Ergebnisse der Studie „Jugendarbeit in Sportvereinen“ (Brettschneider & Kleine, 2002), welche dem organisierten Kinder- und Jugendsport die ernüchternde Bilanz attestierte, dass eine systematische Förderung der psychosozialen Ressourcen der Sportler nicht pauschal gelingt und dass entsprechend die Qualität der Trainingsgestaltung stärker in den Fokus gerückt werden muss (Schmidt et al., 2003). Gerade diese pädagogische Qualität stand im Fokus der PRimus-Studie, welche aber ebenfalls keinen eindeutigen Nachweis erbringen kann, dass eine systematisch inszenierte Förderung im Vereinssport zur angestrebten Stärkung der psychosozialen Ressourcen führt.

Ausgehend von der qualitativen Trainerbefragung kommt die PRimus-Studie zu ähnlichen Ergebnissen wie die qualitative Studie von Neuber et al. (2010). Sie berichten, auf Basis von Gruppen- und Einzelinterviews mit jugendlichen Vereinssportlern, dass die Jugendlichen durch die Bewältigung von sozialen Herausforderungen im Übungs- und Wettkampfalltag personale (u. a. Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen) und soziale Kompetenzen (z. B. Teamfähigkeit, Zusammenhalt, Kommunikationsfähigkeit) erwerben und ausbauen.

Ausgehend von den Ergebnissen der quantitativen Sportlerbefragung reiht sich dagegen die PRimus-Studie neben andere Längsschnittstudien im Sport (u. a. Burrmann, 2004; Gerlach, 2008; Heim, 2002) ein, die mit vergleichbaren Inventaren ebenfalls nur schwache oder gar keine Effekte der sportlichen Aktivität auf die psychosozialen Ressourcen nachweisen können.

Systematische Interventionsstudien im organisierten Kinder- und Jugendsport über einen längeren Zeitraum liegen, wie in der Einleitung erwähnt, im deutschsprachigen Raum im Grunde nicht vor. Daher können nur Vergleiche mit ähnlichen Settings hergestellt werden. So zeigt die Interventionsstudie von Sygusch (2008) zur Förderung der psychosozialen Ressourcen in einwöchigen Fußballcamps ebenso keine bedeutsamen Veränderungen in den sportspezifischen Selbstkonzeptfacetten. Auch Interventionsstudien zur Stärkung der Gruppenkohäsion im leistungsorientierten Vereinssport, die in der Anlage und der pädagogischen Inszenierung der sportlichen Aktivität durchaus vergleichbar mit der PRimus-Studie sind, können mit bereits bestehenden Gruppen ebenso keine Interventionseffekte erzielen (Carron, Spink & Prapavessis, 1997). Dies wird vornehmlich darauf zurückgeführt, dass bei bereits sportlich aktiven Jugendlichen bzw. bereits bestehenden Sportgruppen die Interventionsmaßnahmen eine lediglich stabilisierende Funktion haben und eine substanzielle Steigerung der psychosozialen Ressourcen nicht (mehr) erreicht werden kann.

Quasi-experimentelle Interventionsstudien, die über einen begrenzten Zeitraum angelegt sind und eng umrissene Interventionsmaßnahmen zur Förderung ausgewählter Ressourcen einsetzen, können geringe, aber durchaus bedeutsame Auswirkungen erzielen (BISS; Conzelmann et al., 2011). Auch Studien zum kooperativen Lernen können nur geringe positive Veränderungen in der sozialen Kompetenz über den Interventionszeitraum (z. B. Bähr, Prohl & Gröben, 2008) nachweisen.

Entsprechend scheinen sich die Unterschiede zwischen den qualitativen und quantitativen Ergebnissen der Evaluation der Wirksamkeit in der vorliegenden PRimus-Studie auch im aktuellen Forschungsstand wiederzufinden. Interventionsstudien, die qualitative und quantitative Ergebnisse im Sinne einer Triangulation systematisch verknüpfen, liegen aktuell nicht vor und stellen immer noch ein Forschungsdesiderat für die sportpädagogische Forschung dar.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass ein solch breit angelegtes Interventionskonzept einen Wirksamkeitsnachweis deutlich erschwert. Ziel der PRimus-Studie war es – neben der Evaluation der Programmwirksamkeit – das Förderkonzept dauerhaft in die Trainings- und Wettkampfpraxis zu implementieren und im Zuge der Evaluation der Programmdurchführung auf dessen Umsetzbarkeit zu prüfen. Hierfür ist es nötig, dass die Trainer die konzeptionellen Vorgaben an ihre Bedingungen anpassen können und kein genormtes Interventionskonzept umsetzen müssen. Bei einer solchen indirekten Intervention ist es schwierig, die Trainer mit den üblichen Implementationsmaßnahmen in dem Maß zu erreichen, dass sie die konzeptionellen Vorgaben in der nötigen Intensität und Qualität in die Praxis umsetzen. Dies gilt insbesondere im Bereich des Trainerverhaltens, wofür eine selbstreflexive Auseinandersetzung mit der eigenen Trainerrolle erforderlich ist.

Für die Evaluation der Programmwirksamkeit scheint dagegen ein eng gehaltenes und kontrolliertes Interventionskonzept von Vorteil zu sein, in dem ausgewählte methodische Maßnahmen zur Förderung einzelner Ressourcen standardisiert eingesetzt werden und mögliche Störvariablen des Trainings- und Wettkampfalltags gezielt kontrolliert werden.