Einleitung

Die osteosynthetische Versorgung proximaler Humerusfrakturen ist – unabhängig vom angewandten Verfahren – komplikationsträchtig. In zahlreichen klinischen Studien und Metaanalysen werden Komplikationsraten von bis zu 49 % angegeben [15]. Zwar wurden in den letzten Jahren zahlreiche Versuche unternommen, die Stabilität insbesondere nach plattenosteosynthetischer Versorgung zu erhöhen [6], posttraumatische Fehlstellungen, Pseudarthrosen, Implantatfehllagen und avaskuläre Nekrosen erfordern jedoch häufig einen Revisionseingriff. Prinzipiell stehen im Revisionsfall neben „einfachen“ Interventionen wie arthroskopischen Dekompressionen und Arthrolysen sowie isolierten Implantatentfernungen z. B. bei Schraubenperforation zwei Therapieoptionen zur Auswahl: die erneute Osteosynthese (ggf. in Kombination mit einer Korrekturosteotomie) oder der Gelenkersatz. Die Entscheidung für eine der beiden Optionen hängt von zahlreichen Faktoren ab. Grundsätzlich sind Revisionsoperationen technisch anspruchsvoll und mit höheren Komplikationsraten und einem schlechteren funktionellen Outcome als nach gelungener Primäroperation verbunden.

Der vorliegende Artikel soll einen Überblick über die Therapieoptionen bei fehlgeschlagenen Osteosynthesen und Frakturfolgen geben, zu erwartende Ergebnisse aufzeigen und so zur Entscheidungsfindung zwischen Korrekturosteotomie bzw. Reosteosynthese oder Prothese beitragen.

Komplikationen nach Osteosynthese einer Humeruskopffraktur

Komplikationen nach osteosynthetischer Versorgung einer Humeruskopffraktur lassen sich nach implantatassoziierten und implantatunabhängigen Komplikationen einteilen [7, 8]. Implantatunabhängige Komplikationen sind Infektionen und Wundheilungsstörungen, primäre Schraubenperforationen (z. B. bei winkelstabiler Plattenosteosynthese), das Impingement durch eine zu kraniale Plattenlage oder einen überstehenden intramedullären Nagel, avaskuläre Nekrosen, Pseudarthrosen und fehlverheilte Frakturen durch unzureichende Reposition. Implantatassoziierte Komplikationen sind die Schraubenperforation mit sekundärer Glenoiddestruktion und das Implantatversagen i. S. eines sekundären Repositionsverlusts.

Insbesondere Schraubenperforationen und Implantatfehllagen sind durch eine adäquate chirurgische Technik zu vermeiden und damit die beste Prävention von Osteosyntheseversagen und Frakturfolgen.

Klassifikation von Frakturfolgen

In der Literatur und im klinischen Alltag etabliert ist die Einteilung der Frakturfolgen nach Boileau [9]. Hier werden vier Typen unterschieden:

  • Typ I: avaskuläre Nekrose oder Kollaps des Humeruskopfes,

  • Typ II: verhakte Luxation/Luxationsfraktur,

  • Typ III: ausbleibende Heilung/Pseudarthrose am Collum chirurgicum,

  • Typ IV: erhebliche Fehlstellung der Tuberkula.

Während beim Typ I in der Regel kein kopferhaltendes Verfahren mehr angewendet werden kann, ist bei den Typen II–IV prinzipiell eine Korrekturosteosynthese möglich. Für den Typ I erweiterte die Arbeitsgruppe die Klassifikation um prognostische Faktoren und zeigte, dass insbesondere die Varusfehlstellung einen prognostisch ungünstigen Faktor darstellt [10]. Zu beachten ist allerdings, dass die Einteilung entstanden ist, als lediglich anatomische Schaftprothesen zur Verfügung standen. Heute stehen dem Operateur schaftlose und modulare Endoprothesensysteme zur Verfügung, die eine gezieltere Therapie ermöglichen (s. unten). Die Klassifikation nach Boileau ist daher eher historisch und ist zum Vergleich mit anderen Arbeiten und früheren Ergebnissen notwendig.

Eine therapieorientiertere Einteilung nahmen Beredjiklian et al. vor, die in ihrer Klassifikation drei Typen von Fehlstellungen unterscheiden:

  • Typ 1: Fehlstellung der Tuberkula >1 cm,

  • Typ 2: Inkongruenz der Gelenkfläche,

  • Typ 3: Fehlstellung des Humeruskopfes und der Tuberkula relativ zum Schaft [11].

Zwar sind auch hier noch nicht alle therapie- und prognoserelevanten Faktoren berücksichtigt, die Autoren schlagen jedoch einen Behandlungsalgorithmus vor, der auch den Zustand der Rotatorenmanschette und der Gelenkkapsel (posttraumatische Schultersteife) miteinbezieht.

Darüber hinaus schlagen Meller et al. eine anatomisch orientierte Einteilung in epiphysäre, metaphysäre und kombinierte Fehlstellung vor, da diese Einteilung die Ableitung sinnvoller Therapieoptionen ermögliche [12].

Die Folgen für die Biomechanik des Schultergelenks werden im Abschnitt zur Therapie der jeweiligen Fehlstellung erläutert.

Anmerkung

Die genannten Klassifikationen beschreiben im Wesentlichen die Frakturfolgen für den proximalen Humerus. Die Integrität des Glenoids wird nicht oder nur unzureichend berücksichtigt. Liegt hier ebenfalls ein Folgeschaden vor (z. B. nach Schraubenperforation), sind eine Korrekturosteotomie auf der humeralen Seite oder die Implantation einer Hemiprothese nicht zielführend. Darüber hinaus führen sämtliche Fehlstellungen mit einer Veränderung der knöchernen Anatomie auch zu Weichteilalterationen, insbesondere die Rotatorenmanschette und die Gelenkkapsel betreffend. Diese Faktoren werden in den Klassifikationen ebenfalls nur unzureichend berücksichtigt. Die alleinige Zuordnung zu einem bestimmten Typ von Frakturfolge reicht daher nicht aus, um eine gezielte Indikation für einen Revisionseingriff zu stellen, zahlreiche weitere Faktoren müssen in die Entscheidung einbezogen werden (s. unten).

Therapie- und prognoserelevante Faktoren

Eine nicht unwesentliche Rolle spielt das Alter des Patienten zum Zeitpunkt der Revision. Lill et al. wiesen darauf hin, dass insbesondere bei Patienten <60 Jahren wenn möglich kopferhaltene Verfahren gewählt werden sollten, um die mit einer Prothesenimplantation zu erwartenden Ergebnisse und Komplikationen zu vermeiden [13]. Zeichen einer posttraumatischen Arthrose sind hier zu beachten.

Dies wird durch die frühen Ergebnisse von Habermeyer und Schweiberer gestützt, die insbesondere bei Varus-/Valgus- und Rotationsfehlstellung bei Fehlen von Arthrosezeichen die Korrekturosteotomie anstatt des Gelenkersatzes empfehlen [14].

Während sich die Bezeichnung Frakturfolgen im Wesentlichen auf den proximalen Humerus bezieht, ist der Zustand des Glenoids ebenso relevant. So führen insbesondere Schraubenperforationen nach Osteosynthese zu einer sekundären Glenoiddestruktion, die eine Korrekturosteotomie oder die Implantation einer Hemiprothese verbietet.

Beim älteren Patienten >65 Jahre ist nach fehlgeschlagener Osteosynthese neben der knöchernen Pathologie insbesondere der Zustand der Rotatorenmanschette relevant. Neben der routinemäßig durchzuführenden nativradiologischen Diagnostik und der Computertomographie (CT) ist bei diesen Patienten eine Magnetresonanztomographie (MRT) sinnvoll, um eine assoziierte und therapierelevante Läsion der Rotatorenmanschette zu diagnostizieren, auch wenn der Grad der Verfettung bei älterer Rotatorenmanschettenruptur bereits im CT beurteilt werden kann. Bei höhergradigen Veränderungen der Rotatorenmanschette, die nicht mehr erfolgreich therapiert werden können, ist die inverse Prothese auch im Falle einer technisch noch möglichen Korrekturosteotomie zu bevorzugen.

Obligat ist der Ausschluss neurologischer Begleitpathologien, insbesondere des N. axillaris vor möglicher Implantation einer inversen Prothese. Gegebenenfalls muss eine erweiterte neurologische Diagnostik ergänzt werden. Bei z. T. mehreren Voroperationen ist ebenso ein Infektausschluss, bei klinischem Verdacht durch eine Punktion, zwingend notwendig.

Relevant ist ebenfalls der Zeitpunkt der Revision. Insbesondere beim jüngeren Patienten können frühzeitig diagnostizierte Komplikationen und Fehlstellungen nach Osteosynthese noch kopferhaltend und ohne die Notwendigkeit einer Korrekturosteotomie korrigiert werden [13]. Ist die Fraktur bereits in Fehlstellung verheilt, wird die Korrektur wesentlich anspruchsvoller. In Tab. 1 sind die therapie- und prognoserelevanten Faktoren noch einmal dargestellt.

Tab. 1 Therapie- und prognoserelevante Faktoren (Erläuterungen s. Text)

Praktisches Vorgehen

Isolierte Fehlstellungen der Tuberkula nach Osteosynthese (Typ IV nach Boileau, Typ 1 nach Beredjiklian)

Liegt eine Fehlstellung/Fehlverheilung des Tuberculum majus vor, resultieren abhängig von der Dislokationsrichtung mehrere klinische Zustände: Bei lediglich kranialer Dislokation und Fehlverheilung der Tuberkulumspitze (knöcherne Avulsion) kommt es zu einem subakromialen Impingement und einer Schwächung des Hebelarms der Supraspinatussehne. Eine Tuberkuloplastik und Reinsertion der Supraspinatussehne ist hier beim jungen Patienten die Therapie der Wahl. Lädermann et al. beschrieben eine arthroskopische Technik, mit der sowohl isolierte Fehlstellungen des Tuberculum majus wie auch eine Varusfehlstellung der Kalotte behandelt wurden [15]. Kommt es vor Konsolidierung der Fraktur zu einer sekundären Dislokation, erfolgt eine Revision gemäß dem Vorgehen bei der Frakturversorgung bzw. bei knöchernen Avulsionen der Rotatorenmanschette. Beim älteren Patienten mit geringem funktionellen Anspruch kann auch eine subakromiale Dekompression zur Behandlung einer fehlverheilten Tuberculum-majus-Fraktur ausreichend sein.

Ist ein großes Tuberculum-majus-Fragment nach dorsokranial disloziert bzw. fehlverheilt, resultieren

  • eine Schwächung der Außenrotatoren,

  • eine Hemmung der Außenrotation durch direkten Anschlag des Fragments an das Glenoid,

  • eine Verkürzung der ventralen Kapsel und eine Fehlrotation der Kalotte durch den Zug des intakten M. subscapularis.

Die Therapie besteht hier in einer Osteotomie des Tuberculum majus mit möglichst großem Knochenfragment in Kombination mit einer ventralen Arthrolyse.

Analog dazu kann es bei Medialisierung eines großen Tuberculum-minus-Fragments zu einer Einschränkung der Innenrotation und Entwicklung eines subkorakoidalen Impingements kommen.

Findet sich begleitend zur Fehlstellung der Tuberkula bereits eine Omarthrose, so ist ein Gelenkersatz erforderlich. Da die Tuberkulumosteotomie mit schlechteren Ergebnissen assoziiert ist, bietet sich die inverse Prothese als Alternative an [16].

Liegt eine unzureichende Reposition im Bereich der Tuberkula vor, die den Sulcus intertubercularis und damit die lange Bizepssehne affektiert, kann diese in der akuten Situation i. S. einer Re-Osteosynthese korrigiert werden. Ist im chronischen Fall die Symptomatik des Patienten alleine auf die Bizepssehne zurückzuführen, kann die alleinige Tenotomie mit oder ohne Tenodese ausreichend sein.

Frakturfolgen im Bereich der Kalotte (Typ I und II nach Boileau, Typ 2 nach Beredjiklian)

Frakturfolgen im Bereich der Kalotte sind durch eine vielfältige Alteration der Gelenkgeometrie und -kinematik mit Schmerzen und einer Einschränkung der Schulterfunktion assoziiert.

Avaskuläre Nekrosen nach Frakturversorgung stellen eine Indikation zum Gelenkersatz dar. Je nach Alter des Patienten und Zustand der Tuberkula und der Rotatorenmanschette kommen anatomische und inverse Prothesen zum Einsatz (Abb. 1). Indikationen für eine Korrekturosteotomie bestehen hier i. d. R. nicht.

Abb. 1a–d
figure 1

70-jährige Patientin mit beidseitiger Humeruskopffraktur (a), die mittels winkelstabiler Plattenosteosynthese versorgt wurden (b). Im Verlauf zeigte sich eine Frakturfolge des Typ I nach Boileau bds., sodass zweizeitig beidseits eine inverse Prothese implantiert wurde (c). Trotz des komplizierten Verlaufs zeigte sich ein zufriedenstellendes Ergebnis (d)

Liegen Defekte des Humeruskopfes z. B. nach Luxationsfrakturen vor ([reverse]-Hills-Sachs-Läsion, Malgaigne-Fraktur) richtet sich die Therapie für den Defekt des Humeruskopfes (neben der Osteosynthese der eigentlichen proximalen Humerusfraktur) v. a. nach der Dauer der Fehlstellung bzw. dem Intervall zwischen Trauma und Korrektur [17, 18]. In der akuten Situation können Impressionen der Gelenkfläche angehoben und unterfüttert werden, ggf. auch arthroskopisch assistiert [19]. Eine Auffüllung mit autologer Spongiosa oder Allografts ist ebenfalls geeignet, die Zirkumferenz des Humeruskopfes wiederherzustellen [20, 21]. In chronischen Fällen ist dann oftmals nur noch ein Gelenkersatz möglich [13, 17, 18].

In Abhängigkeit vom Typ der Frakturfolge können mit der sekundären anatomischen Endoprothetik gute Ergebnisse erreicht werden. Moineau et al. berichten über eine signifikante Verbesserung des Constant-Scores sowie der Elevation und Rotation nach anatomischer Prothese bei Typ-I-Frakturfolgen [10]. Für den Typ IV dagegen empfiehlt die Arbeitsgruppe jedoch die Implantation einer inversen Prothese [9]. Insbesondere die Integrität der Tuberkula ist für die Ergebnisse nach anatomischer Prothese entscheidend (Abb. 2). Möglicherweise können schaftlose Implantate, bei deren Implantation keine Tuberkulumosteotomie notwendig ist, bessere Ergebnisse ermöglichen [22]. Neben der Fehlstellung der Tuberkula ist insbesondere eine Varusfehlstellung der Kalotte bei Typ-I-Frakturfolgen mit schlechteren Ergebnissen assoziiert [10]. Beim älteren Patienten wird bei Frakturfolgen, die die Kalotte miteinbeziehen, immer häufiger eine primär inverse Prothese implantiert mit akzeptablen Ergebnissen und moderaten Revisionsraten [23]. Dies entspricht auch dem eigenen Vorgehen (s. unten).

Abb. 2a–c
figure 2

54-jährige Patientin 2 Wochen nach auswärtiger Fixierung einer proximalen Humerusfraktur in Fehlstellung mit primärer Schraubenperforation (a) und ventraler Fehllage des Implantats (a, b, links; CT „conjoined tendons“). Eine Reosteosynthese war nicht möglich (b, rechts), sodass eine Frakturprothese implantiert wurde (c, links). Im Verlauf zeigte sich eine Resorption des Tuberculum majus (TM; c, rechts). Die Konversion in eine inverse Prothese ist geplant

Fehlstellung/Pseudarthrose im Bereich des chirurgischen Halses (metaphysäre Fehlstellungen; Typ III nach Boileau, Typ 2 und 3 nach Beredjiklian)

Varus- und Valgusfehlstellung führen zu einer Inkongruenz der Gelenkflächen und damit zu Belastungsspitzen am Gelenkknorpel. Die humerale Gelenkfläche, die bei der Abduktion mit dem Glenoid in Kontakt treten kann, ist bei Varusfehlstellungen reduziert [24]. Außerdem kommt es auch hier zu Alteration der Hebelarme der Rotatorenmanschette. Varusfehlstellungen führen zu einer Insuffizienz des M. supraspinatus durch Affektion des Längen-Spannungs-Verhältnisses – die Sehne ist relativ gesehen zu lang. Zur Vermeidung einer sekundären Dislokation mit resultierender Varusfehlstellung wurden verschiedene Maßnahmen propagiert: Die Verwendung medialer Supportschrauben sollte grundsätzlich erfolgen, bei reduzierter Knochenqualität kann die Augmentation der Kopfschrauben das Knochen-Implantat-Interface stabilisieren, metaphysäre Defekte können mit „bone grafts“ aufgefüllt werden [6, 2535]. Eine Varusfehlstellung von 20° wird als korrekturbedürftig angesehen [36, 37].

Häufig liegen nicht nur isolierte Fehlstellungen in der Frontalebene vor, sondern es zeigen sich zusätzliche Rotationsfehler und Fehlstellung in der Sagittalebene. Von einigen Autoren wird daher in der präoperativen Diagnostik eine CT im Seitenvergleich empfohlen [12]. Varusfehlstellungen werden durch eine valgisierende Osteotomie korrigiert. Die Osteotomie sollte dabei extrakapsulär erfolgen, um die Perfusion des Humeruskopfes nicht zu gefährden. Die Fixierung erfolgt ebenfalls mit einer winkelstabilen Platte, die Nachbehandlung kann analog zur akuten Situation funktionell frei erfolgen. Bei kombinierter Fehlstellung kann eine sog. Single-cut-Osteotomie durchgeführt werden, die von Gürke et al. für das Femur beschrieben wurde [38]. Eine schöne Darstellung dieser Technik findet sich bei Meller et al. [12].

Pseudarthrosen, auch solche in Fehlstellung, im Bereich des chirurgischen Halses werden mittels Spongiosaplastik oder „bone graft“ und Plattenosteosynthese erfolgreich therapiert [3942].

Rotationsfehler im Bereich des chirurgischen Halses stellen eine weitere Entität dar. Diese finden sich häufiger nach intramedullären Osteosynthesen. Eine Indikation zur Revision besteht, wenn sich eine relevante Rotationseinschränkung als klinisches Korrelat findet. Ein Rotationsfehler von 30° wird hier als signifikant angesehen [12, 37]. Eine CT zur exakten Bestimmung der Rotation ist notwendig (Abb. 3). Auch Rotationsfehler können mit Abweichungen in anderen Ebenen kombiniert auftreten und erfordern dann aufwendige, mehrdimensionale Korrekturosteotomien (Abb. 4 und 5).

Abb. 3
figure 3

Präoperative CT-Bildgebung, die eine deutliche Retroversionsfehlstellung der Kalotte in Relation zur Kondylenebene von ca. 45° zeigt

Abb. 4
figure 4

Mehrdimensionale Fehlstellung bei Pseudarthrose am Collum chirurgicum nach Marknagelosteosynthese alio loco (a). Z. n. Reosteosynthese mit Wiederherstellung der anatomischen Stellungsverhältnisse (b)

Abb. 5
figure 5

Ausgeprägte mehrdimensionale Fehlstellung mit Rotationsfehler von ca. 50° und Dorsalverkippung der Kalotte, ebenfalls nach Marknagelosteosynthese (a). Postoperatives Röntgen nach mehrdimensionaler Korrekturosteotomie, Spongiosaplastik und winkelstabiler Plattenosteosynthese (b)

Die beschriebenen Revisionseingriffe werden in Abhängigkeit vom Alter des Patienten durchgeführt. Tritt bei einem Patienten >65 Jahren nach Plattenosteosynthese eine sekundäre Dislokation mit relevanter Varusfehlstellung und schlechter Schulterfunktion auf, so kann auch auf eine inverse Prothese gewechselt werden, da die Korrekturosteotomie vor dem Hintergrund reduzierter Knochendichte, kompromittierter Perfusion und Degeneration der Rotatorenmanschette nicht aussichtsreich ist. Allerdings muss die Entscheidung individuell und patientenspezifisch erfolgen, klare Algorithmen gibt es hier aufgrund der Komplexität der Fälle nicht.

Die Behandlung kombinierter Fehlstellungen (epi- und metaphysär) folgt den gleichen Prinzipien wie die einzelner Abweichungen. Allerdings erhöht sich die Komplexität der Korrektureingriffe weiter. Korrekturosteotomien sollten nur bei Fehlen von Arthrosezeichen durchgeführt werden [14]. Bei kombinierten Fehlstellungen und begleitender Omarthrose ist der Gelenkersatz indiziert.

Zu erwartende Ergebnisse

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass Revisionsoperationen nach fehlgeschlagener Osteosynthese einer Humeruskopffraktur mit schlechteren Ergebnissen und höheren Komplikationsraten vergesellschaftet sind als eine initial erfolgreiche Versorgung. Dies gilt sowohl für Korrekturosteotomien als auch für den sekundären Gelenkersatz. Dabei ist das Risiko für das Auftreten von Komplikationen erhöht, je komplexer die Fehlstellung und damit auch die Revisionsoperation ist. So beschreibt Lill in einer Serie zur Korrekturosteotomie bei Frakturfolgen eine Revisionsrate von 27 % [13].

Die Korrektur isolierter Fehlstellungen des Tuberculum majus ist mit guten Ergebnissen assoziiert. Nach arthroskopischer Tuberkuloplastik und Reinsertion der Rotatorenmanschette konnten in dem von Lädermann et al. untersuchten Kollektiv 8 von 9 Patienten zu ihrem ursprünglichen Aktivitätsniveau zurückkehren [15]. Andere Autoren bestätigen diese Ergebnisse [43, 44]. Auch nach offener Korrekturosteotomie der Tuberkula lassen sich sehr gute Ergebnisse erwarten, sofern das Glenohumeralgelenk kongruent ist und keine Arthrose vorliegt [11].

Hinsichtlich der Korrektur komplexerer Fehlstellung finden sich in der Literatur nur wenige Berichte. Lill et al. fanden in einer Serie von 11 Patienten, bei denen wegen unterschiedlicher Frakturfolgen eine Reosteosynthese, teilweise in Kombination mit einer Korrekturosteotomie, durchgeführt wurde, eine signifikante Verbesserung der Anteversion, Abduktion und Außenrotation sowie eine deutliche Verbesserung des Constant-Scores nach einem Follow-up von 19,5 Monaten [13]. Auch wenn ein direkter Vergleich nicht möglich ist, waren die funktionellen Ergebnisse besser als die nach anatomischer Prothese zur Behandlung der Frakturfolgen Typ II–IV beschriebenen [9]. Allerdings fand sich eine Revisionsrate von 27 %.

Die eigenen Ergebnisse nach Reosteosynthesen mit oder ohne Osteotomie sind ebenfalls sehr heterogen. Einfache Fehlstellungen der Tuberkula oder im metaphysären Bereich werden mit guten Ergebnissen korrigiert. Komplexere Fehlstellungen sind, entsprechend der Literatur, mit schlechteren Ergebnissen und höheren Komplikationsraten assoziiert. Revisionsosteosynthesen sind daher jüngeren Patienten vorbehalten (<65 Jahren, keine oder geringe Arthrosezeichen; Abb. 4 und 5). Ausnahmen sind jedoch möglich.

Jost et al. arbeiteten eine Serie von 121 Patienten auf, bei denen es nach winkelstabiler Plattenosteosynthese zu Komplikationen gekommen war [7]. Eine sekundäre Prothese musste in 50 % der Fälle implantiert werden. In diesem negativ selektierten Kollektiv fanden sich 55 % nicht anatomische Repositionen und in 63 % der Fälle zeigte sich eine Heilung in Fehlstellung. Als schwerwiegendste Komplikation zeigte sich die Schraubenperforation (primär 12 %, sekundär 57 %) mit sekundärer Zerstörung des Glenoids. Eine Reosteosynthese wurde bei nur 8 Patienten durchgeführt. Eine signifikante Verbesserung der Funktion konnte nicht nachgewiesen werden. Nur 3 Patienten brauchten nach Reosteosynthese keine weitere Revision. Nach Hemiprothese als primärem Revisionseingriff ließ sich wie auch nach Wechsel auf eine anatomische oder inverse Vollprothese hingegen eine signifikante Besserung der Funktion nachweisen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in 50 % der Revisionsfälle initial 4‑Part-Frakturen und in 20 % Head-split- oder Luxationsfrakturen vorlagen, vermuten die Autoren einen übermäßigen Gebrauch der winkelstabilen Platte zur Versorgung komplexer Frakturen und fordern eine differenziertere Indikationsstellung.

Russo et al. berichten über eine Serie von 19 Patienten, bei denen wegen einer Heilung in Fehlstellung eine Korrekturosteotomie durchgeführt wurde (isolierte Tuberkulum- und kombinierte Fehlstellungen; [45]). Sie fanden exzellente Ergebnisse bei 14 Patienten, revisionsbedürftige Komplikationen fanden sich nicht.

Wird nach fehlgeschlagener Osteosynthese eine Prothese implantiert, kann unabhängig vom Prothesentyp und unter Berücksichtigung der Begleitpathologien zunächst eine Verbesserung der Funktion erreicht werden [7]. Bei Frakturfolgen des Typ I nach Boileau zeigen sich bei intakter Rotatorenmanschette und nur geringer Fehlstellung der Tuberkula gute Ergebnisse nach anatomischer Prothese [9, 46]. Die schlechtesten Ergebnisse finden sich bei Boileau et al. nach anatomischer Prothese bei Frakturfolgen vom Typ III und IV, da hier eine Tuberkulumosteotomie notwendig ist, die die Prognose verschlechtert [9]. Für den Typ IV empfahlen sie daher die Implantation einer inversen Prothese.

Die inverse Prothese kann beim älteren Patienten grundsätzlich bei sämtlichen Komplikationen und Frakturfolgen eingesetzt werden und liefert zufriedenstellende Ergebnisse und eine überschaubare Komplikationsrate [16, 23, 47]. Allerdings konnten Raiss et al. zeigen, dass die Resektion der Tuberkula im Rahmen der Implantation einer inversen Prothese zur Behandlung einer Frakturfolge vom Typ III nach Boileau mit einem unakzeptabel hohen Risiko für eine Instabilität der Prothese einhergeht [47]. Die Tuberkula und die daran anheftende Rotatorenmanschette sollten daher wenn möglich erhalten werden.

Wellmann et al. konnten ebenfalls zeigen, dass die Ergebnisse nach Implantation einer inversen Prothese abhängig vom Typ der Frakturfolge sind [48]. Sie konnten für die Behandlung von Frakturfolgen des Typ IV nach Boileau bessere Ergebnisse nachweisen als für solche des Typ III. Insgesamt fanden sich nach Implantation einer inversen Prothese bei Frakturfolgen schlechtere Ergebnisse als zur Therapie der Defektarthropathie.

Die in der Literatur für die Implantation einer inversen Prothese nach fehlgeschlagener Osteosynthese beschriebenen Ergebnisse decken sich mit denen im eigenen Patientengut: So wurden 26 konsekutive Patienten mit einem Durchschnittsalter von 75 (63–89) Jahren aufgrund von Frakturfolgen (überwiegend Typ I und IV) mit einer inversen Prothese behandelt (LIMA SMR, Lima Corporate, Udine, Italien). Im Follow-up nach durchschnittlich 36 (12–58) Monaten zeigte sich ein alters- und geschlechtsadaptierter Constant-Score von 73 % (44–93 %, entsprechend 75 % der Gegenseite) und ein Oxford-Shoulder-Score von 28 Punkten (12–54 Punkte, entsprechend 66 % der Gegenseite). In 4 Fällen (15 %) musste im Verlauf eine weitere Revision erfolgen (2-mal periprothetische Fraktur, 2‑mal Schaftlockerung). Weitere Komplikationen traten nicht auf.

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Die vorliegende Arbeit zeigt, dass Revisionseingriffe nach fehlgeschlagener Osteosynthese einer Humeruskopffraktur komplex sind und die Ergebnisse hinter denen nach erfolgreicher initialer Versorgung zurückbleiben. Aufgrund der Komplexität der Frakturfolgen, die nicht nur eine Alteration der knöchernen Geometrie sondern auch der umgebenen Weichteile, insbesondere der Kapsel und der Rotatorenmanschette, beinhalten, kann keine eindeutige Therapieempfehlung abgegeben werden. Reosteosynthese und Prothese stellen hierbei keine konkurrierenden Verfahren dar, sondern bieten dem Operateur unterschiedliche, an die jeweilige Pathologie angepasste Therapieoptionen. Jüngere Patienten, bei denen eine Fehlstellung am proximalen Humerus vorliegt, die Rotatorenmanschette aber intakt ist und keine Zeichen einer sekundären Arthrose oder einer avaskulären Nekrose vorliegen, profitieren von einer Korrekturosteotomie. Bei Frakturfolgen, die die Kalotte betreffen (Arthrose, avaskuläre Nekrose) ist die Implantation einer Prothese indiziert, die in Abhängigkeit vom Patientenalter, der Integrität der Rotatorenmanschette und der Tuberkula entweder anatomisch oder invers sein kann.

Eine umfangreiche klinische und bildgebende Diagnostik ist erforderlich, um das gesamte Ausmaß der Pathologie zu erfassen und eine differenzierte Therapieindikation zu stellen. Die bildmorphologischen Veränderungen müssen vor einer Korrektur mit der klinischen Symptomatik in Übereinstimmung gebracht werden. Insbesondere ältere Patienten mit geringerem funktionellen Anspruch tolerieren leichte Fehlstellungen und können sich an die reduzierte Funktion anpassen („acceptable malunion“; [49]). Somit bleibt die definitive Therapie patientenindividuell.

Fazit für Praxis

  • Revisionsoperationen nach fehlgeschlagener Osteosynthese am proximalen Humerus sind sehr komplex

  • Eine umfassende präoperative Diagnostik ist erforderlich, um das gesamte Ausmaß der Pathologie zu erfassen und eine differenzierte Therapieindikation zu stellen

  • Neben der knöchernen Fehlstellung auf humeraler Seite sind insbesondere die Integrität des Glenoids sowie der Zustand der Rotatorenmanschette entscheidende Parameter

  • Jüngere Patienten mit Frakturfolgen profitieren bei fehlenden Zeichen einer posttraumatischen Arthrose von einer Korrekturosteosynthese

  • Bei älteren Patienten mit i. d. R reduzierter Knochendichte und degenerativen Veränderungen der Rotatorenmanschette ist die inverse Prothese das Implantat der Wahl