Epidemiologie posttraumatischer Fehlstellungen

Die Inzidenz der proximalen Humerusfraktur wird derzeit zwischen 105 und 342/100.000 Personen und Jahr angegeben [15, 39, 40]. Aufgrund der demographischen Entwicklung ist für die Zukunft eine weitere rasche Zunahme um bis zu 300 % in den kommenden 30 Jahren zu erwarten [39].

Normale Anatomie des proximalen Humerus

Die Anatomie des proximalen Humerus ist komplex und unterliegt darüber hinaus hohen individuellen Unterschieden [8]. Die Gelenkfläche des proximalen Humerus weist in der Frontalebene eine Inklination von 140° sowie einen medialen Offset von etwa 6 mm auf. In der Transversalebene zeigt die Gelenkfläche um etwa 17° nach dorsal im Sinne einer Retroversion und weist einen Versatz von 2 mm nach dorsal auf (posteriorer Offset). Die Gelenkfläche überragt die höchste Stelle des Tuberculum majus um etwa 8 mm [30]. Von Relevanz für metaphysäre Korrektureingriffe am proximalen Humerus sind die kopfernährenden Äste der A. circumflexa humeri anterior. Diese müssen bei Osteotomien geschont werden, um das Risiko einer iatrogenen Kopfnekrose zu verringern.

Fehlstellungen und deren Auswirkung auf das Schultergelenk

Fehlstellungen am proximalen Humerus können über verschiedene Mechanismen zu pathologischen Auswirkungen auf das Schultergelenk führen. An der Kalotte kann es durch eine Stufenbildung bei Head-split- oder Impressionsfrakturen nach stattgehabter Luxation zu einer direkten Kompromittierung der glenohumeralen Artikulation kommen.

Fehlstellungen der intakten Kalotte, beispielsweise durch eine Verringerung des medialen Offset, führen über einer Veränderung des Drehzentrums zu einer Alteration der Biomechanik des Schultergelenks. Bereits kleine Veränderungen des Drehzentrums haben eine Auswirkung auf die Hebelverhältnisse der Rotatorenmanschette [22]. Fehlstellungen der Tuberkula verschlechtern den Wirkungsgrad der Rotatorenmanschette, ebenso können sie zu einem Impingement an verschiedenen Stellen führen. Auch bei in Varusfehlstellung verheilten proximalen Humerusfrakturen kommt es über eine Verkürzung des Hebelarms der Rotatorenmanschette zu einer verminderten Kraftentwicklung für die Abduktion [46]. Bei der Varusfehlstellung kommen noch weitere Pathomechanismen hinzu: Ein Impingement des Tuberculum majus im Subakromialraum sowie eine Reduktion der bei Abduktion zur Verfügung stehenden Gelenkfläche der Humeruskalotte [20].

Rolle der Weichteile

Begleitpathologien der Weichteile können vorbestehend oder Folge des Traumas sein. Insbesondere der Zustand der Rotatorenmanschette ist ein entscheidendes Kriterium bei der Evaluation von Patienten mit posttraumatischen Fehlstellungen. Höhergradige vorbestehende Läsionen mit Retraktion und fettiger Infiltration können bereits im initialen CT gesehen werden [26]. Als Folge der Fraktur der Tuberkula kann es innerhalb kurzer Zeit zu einer signifikanten Sehnenretraktion kommen, was eine geplante Korrekturosteotomie erheblich erschweren bzw. unmöglich machen kann. Die Entwicklung einer adhäsiven Kapsulitis in Folge des Traumas ist beschrieben, ebenso posttraumatische oder implantatbedingte subakromiale Konflikte [21, 31]. Ebenso sind frakturbedingte Läsionen der langen Bizepssehne beschrieben [20]. Im Vorfeld sollte daher durch geeignete klinische Tests und bildgebende Diagnostik geklärt werden, inwieweit die begleitende Weichteilpathologie die Beschwerden (mit) verursacht.

Klinik

Die Hauptbeschwerden des Patienten sollten vor jeder Intervention identifiziert werden. Ist das führende Symptom der Schmerz, eine Bewegungseinschränkung oder eine Kraftreduktion? Die exakte klinische Zuordnung der Beschwerden zur verursachenden Pathologie stellt eine besondere Herausforderung dar und ist für die Planung des therapeutischen Vorgehens entscheidend. Schmerzen können durch das fehlstellungsbedingte Impingement verursacht sein, ebenso durch eine Weichteilpathologie. Auch die Bewegungseinschränkung kann ossär oder durch eine begleitende kapsuläre Komponente bedingt sein. Schließlich können sowohl die pathologisch veränderte knöcherne Geometrie als auch eine Weichteilkomponente oder der Schmerz zu einem Kraftverlust führen.

Präoperative Diagnostik

Präoperativ sollten klinische Werte (visuelle Analogskala [VAS], „subjective shoulder value“ [SSV] [24] und Scoringsysteme [z. B. der Constant-Score] [18]) erhoben werden. Der Bewegungsumfang sollte für die aktive und die passive Bewegung dokumentiert werden.

Die Bildgebung umfasst Standardröntgen in 3 Ebenen mit einer Referenzkugel zur digitalen Planung der Osteotomie. Weiterhin ist vor Korrektureingriffen eine Schnittbildgebung erforderlich. Da es sich bei Fehlstellungen definitionsgemäß um ein ossäres Problem handelt, ist zunächst eine Computertomographie erforderlich. Die Magnetresonanztomographie liefert darüber hinaus gute Zusatzinformationen zu den Weichteilen, insbesondere zum Zustand der Rotatorenmanschette. Die Intaktheit der Rotatorenmanschette bzw. die Rekonstruierbarkeit einer vorliegenden Ruptur ist eine Voraussetzung für eine geplante Korrekturosteotomie.

Welche Fehlstellungen sollen korrigiert werden?

Selbst höhergradige Fehlstellungen sind am proximalen Humerus im Gegensatz zur unteren Extremität nicht zwingend korrekturbedürftig. Korrekturbedürftige Fehlstellungen nach proximaler Humerusfraktur können sowohl nach konservativer als auch operativer Behandlung auftreten und stellen eine Herausforderung für den behandelnden Chirurgen dar [20]. Während Fehlstellungen am proximalen Humerus von älteren Patienten häufig gut toleriert werden, können sie bei jüngeren aktiven Patienten einen hohen Leidensdruck mit Schmerzen und Bewegungseinschränkungen verursachen [41]. Aufgrund der Heterogenität des Patientenklientels und der Seltenheit von Korrekturosteotomien am proximalen Humerus können Empfehlungen nur mit geringem Evidenzgrad abgegeben werden.

Wie exakt die Geometrie des proximalen Humerus nach einer Fraktur rekonstruiert werden muss, um eine „normale“ Schulterfunktion zu erzielen, ist nicht bekannt [8]. Vor allem bei betagten Patienten korreliert die Röntgenanatomie häufig nicht mit dem klinischen Befund. Patienten weisen trotz starker Fehlstellung am proximalen Humerus häufig eine gute Schulterfunktion auf [31]. Bezogen auf junge Patienten ist nach heutiger Sicht eine „anatomische“ Reposition im Rahmen des initialen operativen Eingriffs anzustreben [36, 44].

Die Röntgenanatomie korreliert bei betagten Patienten häufig nicht mit dem klinischen Befund

Welche Fehlstellungen korrigiert werden sollen, kann anhand der Literatur nur vage abgeleitet werden: Fehlstellungen der Kalotte, insbesondere Inkongruenzen der glenohumeralen Gelenkfläche, führen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer posttraumatischen Arthrose und sollten daher möglichst frühzeitig korrigiert werden [7]. Eine eigene Entität an „Fehlstellungen“ (und deshalb hier nur kurz behandelt) stellen die Hill-Sachs-Defekte der Humeruskalotte nach Schulterluxation dar. Burkhart u. DeBeer [14] stellten das Konzept der „engaging“ vs. „non-engaging“ Hill-Sachs-Läsion vor. Die Empfehlung zur operativen Korrektur der Hill-Sachs-Läsion (z. B. durch eine osteochondrale Auto- bzw. Allograftplastik oder eine Remplissage) ergibt sich nicht nur aus der Größe des Defekts, sondern auch aus dem durch die Lokalisation bestimmten möglichen Einhaken („engagement“) des Hill-Sachs-Defekts am anterioren Glenoidrand.

Fehlstellungen der Tuberkula wurden traditionell bis 10 mm akzeptiert [7]. In der akuten Fraktursituation gibt es den Trend, den Grad der akzeptablen Dislokation von 5 auf 3 mm herabzusetzen [11]. Hinsichtlich der Varusfehlstellung gibt es, basierend auf biomechanischen Untersuchungen, die Empfehlung, ab 20° Fehlstellung eine Korrektur zu erwägen [46]. Insgesamt müssen in der Korrektursituation andere Kriterien und Grenzwerte herangezogen werden als in der akuten Fraktursituation.

Klassifikation der Fehlstellungen

Beredjiklian et al. [7] unterscheiden 3 Fehlstellungstypen mit

  • Fehlstellungen der Tuberkula > 1 cm (Typ 1),

  • Inkongruenz der Gelenkfläche (Typ 2) sowie

  • Fehlstellungen der Tuberkula und des Humeruskopfs in Relation zum Schaft (Typ 3).

Typische posttraumatische Folgezustände am proximalen Humerus wurden von Boileau et al. [9, 10] in 4 Gruppen eingeteilt. In Hinblick auf die komplexe Geometrie des proximalen Humerus macht es unserer Ansicht nach Sinn, die möglichen Fehlstellungen nach anatomischen Kriterien systematisch anhand einer Checkliste zu analysieren. Die Fehlstellungen werden dabei in epiphysäre (Kalotte und Tuberkula) sowie metaphysäre Fehlstellungen eingeteilt. Kombinierte Fehlstellungen sind häufig und sollten als solche identifiziert werden. Der Vorteil dieser anatomischen Annäherung an die zugrundeliegende Fehlstellung ist die Ableitung sinnvoller Therapieoptionen. Weitere Pathologien an der Schulter sowie patientenspezifische Faktoren werden in den Entscheidungsprozess mit einbezogen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Klassifikationsschema der Fehlstellung am proximalen Humerus (epi- vs. metaphysär) sowie der daraus abgeleiteten Therapieoptionen und relevanten Begleitaspekte. CCD Kaput-Kollum-Diaphysen-Winkel

Epiphysäre Fehlstellungen

Epiphysäre Fehlstellungen betreffen die Humeruskopfkalotte und die Tuberkula. Posttraumatische Fehlstellungen der Kalotte sind einer Korrekturosteotomie nur schwer zugänglich und werden daher häufig mit einer Endoprothese versorgt [35]. Entsprechende Fälle in der Literatur mit einer kopferhaltenden Korrektur sind daher rar. Das Tuberculum minus kann in Fehlstellung medialisiert verheilen und somit die Funktion des M. subscapularis kompromittieren. Ebenso kann es zu einem subkorakoidalen Impingement kommen. Auch eine Interferenz mit der anterioren Glenoidkante ist möglich [20]. Resultierend kann es dadurch zu einer Kompromittierung der Innenrotation kommen [29].

Das Tuberculum majus wird bei Fraktur durch den Zug der Rotatorenmanschette zumeist nach posterosuperior disloziert. Bereits eine Fehlstellung von 0,5 cm kann zu einem klinisch relevanten subakromialen Impingement mit Einschränkung der Abduktion und Außenrotation führen [5, 37, 43, 48]. Rein superiore Fehllagen werden in der Röntgenaufnahme im anteroposterioren Strahlengang gut gesehen, die rein posteriore Dislokation wird hingegen nur in der Y- oder axialen Aufnahme abgebildet.

Metaphysäre Fehlstellungen

Die Varusfehlstellung des proximalen Humerus ist die häufigste metaphysäre Fehlstellung nach proximaler Humerusfraktur [6]. Der physiologische Winkel zwischen Humerusschaft und proximalem Humerus wird mit 130–140° angegeben [38].

Die Varusfehlstellung des proximalen Humerus ist die häufigste metaphysäre Fehlstellung

Werte unter 120° werden als klinisch relevante Varusfehlstellung eingestuft [38]. Eine Varusfehlstellung führt zu 3 das Schultergelenk kompromittierenden Effekten: Aufgrund des Höhertretens des Tuberculum majus kommt es zu einem subakromialen Impingement und somit zu einer eingeschränkten Abduktion [25]. Weiterhin kommt es zu einer Beeinflussung des Hebelarms der Rotatorenmanschette und somit zu einer Kraftreduktion für die Abduktion. Und schließlich ist die verfügbare humerale Gelenkfläche zur Artikulation mit dem Glenoid bei Abduktion reduziert [6]. Eine valgisierende Korrekturosteotomie kann in diesen Fällen die physiologischen Bewegungsabläufe wiederherstellen [2, 6]. Grundsätzlich sind Korrektureingriffe bei Fehlstellungen des proximalen Humerus technisch anspruchsvoll und mit einer nicht unerheblichen Rate an Komplikationen und Revisionen vergesellschaftet [13, 17].

Therapieoptionen

Die Auswahl der geeigneten Therapieoption richtet sich nach der Art der Fehlstellung. Patientenspezifische Faktoren sowie Begleitpathologien an Knochen, Knorpel und Weichteilmantel des Schultergelenkes müssen in den Behandlungsplan miteinbezogen werden (Abb. 1; [41]).

Epiphysäre Fehlstellungen

Nach proximaler Humerusfraktur stellen insbesondere die fehlverheilten Tuberkula gute Indikationen für Korrekturosteotomien dar. Beredjiklian et al. [7] berichteten über 90 % zufriedenstellende Ergebnisse nach der Korrekturosteotomie von Tuberculum majus und/oder minus, teils kombiniert mit einer Akromioplastik, bei Patienten mit erhaltener Kongruenz der Gelenkfläche. Insbesondere jüngere Patienten ohne höhergradige arthrotische Veränderungen können von einer Korrekturosteotomie profitieren [17].

In Fallberichten wurden auch erfolgreiche arthroskopische Korrekturen einer medialisiert fehlverheilten Fraktur des Tuberculum minus [29] und einer fehlverheilten Head-split-Fraktur [3] berichtet.

Für Patienten mit symptomatischem subakromialem Impingement durch ein fehlverheiltes Tuberculum majus kann ein rein arthroskopischer Eingriff mit Akromio- oder Tuberkuloplastik ausreichend sein, um eine signifikante Beschwerdebesserung zu erzielen [20, 41]. Lädermann et al. [34] führten bei 9 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 49 Jahren mit fehlverheiltem Tuberculum majus eine arthroskopische Tuberkuloplastik mit anschließender Naht der Rotatorenmanschette durch. Acht von 9 Patienten konnten danach wieder zu ihrem Aktivitäts- und Sportniveau vor der Verletzung zurückkehren. Ähnliche Resultate wurden für eine analoge arthroskopische Technik von Martinez et al. [37] berichtet, in deren Kohorte 7 von 8 Patienten zu ihrem vorigen Aktivitätsniveau zurückkehren konnten.

Metaphysäre Fehlstellungen

Osteotomien am proximalen Humerus wurden zur Korrektur der Rotation bei glenohumeraler Instabilität beschrieben, zumeist im Sinne einer retrovertierenden Osteotomie bei anteriorer Instabilität [12, 32, 33]. Auch für subkapitale Fehlstellungen zeigen Korrekturosteotomien in der Regel gute Ergebnisse [41], wenngleich nur vereinzelte klinische Fallberichte vorliegen [28, 42, 45, 47]. Klassischerweise erfolgt nach deltopektoralem Zugang die extrakapsuläre, subkapitale horizontale Osteotomie 6 cm unterhalb des kranialen Endes des Humeruskopfs [12, 32]. Die Rotation in der Osteotomie um 1 mm resultiert in einer Änderung der Retro-/Anteversion um 2° [12, 32]. Vor Entwicklung der winkelstabilen Implantate wurde die Korrektur meist durch eine mediale und laterale Doppelplattenosteosynthese gesichert [12, 32], inzwischen erfolgt die Osteosynthese zumeist über eine laterale winkelstabile Plattenosteosynthese [35].

Korrekturosteotomien für subkapitale Fehlstellungen zeigen fast immer gute Ergebnisse

Häufig liegen kombinierte Fehlstellungen vor. Die exakte Diagnostik der zugrundeliegenden Fehlstellung(en) ist eine Herausforderung. Sie erfordert unserer Ansicht nach eine bilaterale CT des Humerus. Der hier illustrierte Fall zeigt eine Kombination aus einer Varus-, Antekurvations- und Torsionsfehlstellung. Aufgrund der klinisch verminderten Außenrotation wurde bei der Patientin bereits eine Arthroskopie mit dem Versuch der Arthrolyse durchgeführt. Erst die genaue Analyse zeigte die Torsionsfehlstellung als knöcherne Ursache für die verminderte Außenrotation (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

a Röntgenaufnahmen der betroffenen linken Schulter im anteroposterioren und axialen Strahlengang (oben) und der Gegenseite (unten). Es fallen bereits hier eine Varusfehlstellung (a.p.) und eine Version der Kalotte nach anterior (axial) auf. b Eingeschränkte Außenrotation und vermehrte Innenrotaion als Zeichen einer klinisch relevanten Torsionsdifferenz. c Objektivierung der klinisch vermuteten Torsionsdifferenz in einer Computertomographie. Dabei wird der distale Humerus mit der Kondylenebene gegen die Kalotte referenziert. Die linke Bildreihe zeigt einen Normalbefund mit einer relativen Retroversion von 53°, rechts relative Anteversion von 14°, somit Torsionsdifferenz von 67° im Sinne einer pathologisch vermehrten Antetorsion. d Neben der Torsionsdifferenz zeigt sich eine Varus- und Antekurvationsfehlstellung. Die CT ermöglicht die exakte Einstellung aller Ebenen und somit eine exakte Analyse der Fehlstellung. e Postoperatives Röntgen mit korrigierter Torsions-, Varus- und Antekurvationsfehlstellung. Additiv zur winkelstabilen Platte wurde eine den Zug der Rotatorenmanschette neutralisierende Cerclage eingebracht. f Klinischer Befund mit seitengleicher Rotation 6 Wochen postoperativ

Eine elegante Lösung für die häufig in Kombination vorliegende Varus- und Antekurvationsfehlstellung ist die sogenannte Single-cut-Osteotomie. In Modifikation der Beschreibung von Gürke et al. [27] ist hier die Technik am proximalen Humerus dargestellt (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

a Präoperative Definition der Fehlstellung. Darstellung des proximalen Humerus im anteroposterioren Strahlengang und exakt 90° dazu in seitlicher Projektion. In der Frontalebene zeigt sich die Varusfehlstellung bei einem CCD von 110°, dies entspricht einem Varus von 30°, wenn man 140° als Norm ansetzt. In der seitlichen Projektion zeigt sich die Antekurvationsfehlstellung des proximalen Humerus, in dieser Illustration von ebenfalls 30°. Gemäß Gürke et al. [27] können mit diesen Angaben die 2 für die Korrektur relevanten Werte graphisch ermittelt werden: zum einen kann der „echte Deformationswinkel“ α ermittelt werden, zum anderen der Orientierungswinkel β, welcher die Ebene der maximalen Deformation definiert. b intraoperative Orientierung. Unter Durchleuchtung wird die Fehlstellung wieder streng von vorne dargestellt. In den Drehpunkt der Fehlstellung wird der erste K-Draht (K1) im Winkel von exakt 90° auf den Strahlengang eingebracht. Dann wird der proximale Humerus unter Bildwandlerkontrolle um den Orientierungswinkel βnach außen gedreht. In dieser Einstellung zeigt sich nun die maximale Deformation (Kombination aus Varus- und Antekurvationsfehlstellung). Es wird nun in dieser Ebene analog zu K1 ein weiterer K-Draht (K2) eingebracht. Der Winkel zwischen beiden K-Drähten entspricht dem Winkel βund liegt auf einer Transversalebene. c Bestimmung der Osteotomieebene. Nun wird der proximale Humerus radiologisch so eingestellt, dass K2 streng orthogonal getroffen wird und er sich im Strahlengang nur noch als Punkt darstellt. In dieser Projektion (90° auf die Ebene der maximalen Deformation) stellt sich der Humerus vollkommen „gerade“ dar. In dieser Ebene werden nun distal und proximal der späteren Osteotomie die Drähte K3 und K4 eingebracht. Sie werden derart eingebracht, dass sie den Korrekturwinkel α einschließen. Die Osteotomie zur Entnahme des Knochenkeils erfolgt durch einen Schnitt in der Ebene von K1 und K2 sowie einen Schnitt parallel zu K4. d Korrektur und Osteosynthese. Nach Entnahme des Keils wird durch Schließen des Defekts sowohl die Varus- als auch die Antekurvationsfehlstellung korrigiert. Die Gegenkortikalis bleibt als Drehpunkt stehen und wird nicht durchgesägt. Die Osteosynthese erfolgt mit einer winkelstabilen Platte, optional kann eine additive Drahtcerclage zur Neutralisation des Zugs der Rotatorenmanschette zur Anwendung kommen. CCD Kaput-Kollum-Diaphysen-Winkel

Pseudarthrosen am proximalen Humerus

Die Pseudarthrosenrate nach konservativer Behandlung bei proximaler Humerusfraktur wird zwischen 1,1 und bis zu 10 % bei metaphysärer Trümmerzone und Versatz der Hauptfragmente um 33–100 % der Schaftbreite angegeben [16, 19].

Bei Pseudarthrosen des subkapitalen Humerus zeigen rekonstruktive Eingriffe, z. B. durch Spongiosaplastik und winkelstabile Plattenosteosynthese mit angegebenen Erfolgsraten von über 90 % [16], bessere Ergebnisse als die endoprothetische Versorgung [13]. Badman et al. [4] berichteten 2009 über die Therapieoption des intramedullären kortikalen Allografts, kombiniert mit winkelstabiler Plattenosteosynthese. In ihrem Kollektiv von 18 Patienten mit einem mittleren Follow-up von 27 Monaten konnten hierdurch bei 17 Patienten (94 %) eine Durchbauung der Pseudarthrose und ein gutes klinisches Ergebnis erzielt werden. Neben der klassischen winkelstabilen Platte wurden an Implantaten auch winkelstabile 90°-Klingenplatten (100 %ige Erfolgsrate bei 7 Patienten [1]) und gerade antegrade Humerusnägel (100 %ige Erfolgsrate bei 14 Patienten [49]) mit guten Ergebnissen vorgeschlagen. Als Fallbericht wurde für Rezidivpseudarthrosen auch die intramedulläre Implantation eines hochporösen Tantalzylinders als Alternative zum vaskularisierten Fibulaautograft beschrieben [23]. Die Schulterendoprothese sollte als letzte Option für Patienten mit Humeruskopfnekrose oder bei zu kleinen bzw. qualitativ schlechten proximalen Fragmenten vorbehalten bleiben [16].

Fazit für die Praxis

  • In Fehlstellung verheilte Frakturen des proximalen Humerus können nach konservativer und operativer Therapie entstehen.

  • Aufgrund der komplexen Geometrie des proximalen Humerus muss die Analyse der Fehlstellung systematisch erfolgen (epi-, metaphysär).

  • Von besonderer Bedeutung ist die Korrelation der objektivierten Fehlstellung mit den seitens des Patienten berichteten Beschwerden.

  • In Abhängigkeit von der Lokalisation und dem Ausmaß der Fehlstellung kommen diverse offene oder arthro–skopische Korrekturverfahren in Frage.

  • Die Single-cut-Osteotomie stellt eine gute Option zur Korrektur mehrdimensionaler Fehlstellungen am proximalen Humerus dar.

  • Pseudarthrosen des proximalen Humerus können durch eine Spongiosaplastik und winkelstabile Plattenosteosynthese in der Vielzahl der Fälle erfolgreich saniert werden.