Im Vergleich zur sehr viel häufigeren vorderen Schulterluxation macht die dorsale Luxation nur etwa 1–5% der Fälle aus [1, 5, 15]. Neben der akuten dorsalen Luxation und der chronischen Instabilität stellt die dorsal verhakte Schulterluxation ein eigenständiges unfallchirurgisches Krankheitsbild dar, das in bis zu 60% der Fälle initial übersehen bzw. als Prellung oder „frozen shoulder“ fehlgedeutet wird [11, 13, 41]. Eine sorgfältige klinische Untersuchung und entsprechende bildgebende Diagnostik sind daher unerlässlich. Der vorliegende Artikel soll einen Überblick über die klinisch-radiologische Diagnostik und die zur Verfügung stehenden Therapieoptionen geben sowie zu erwartende Ergebnisse der operativen Therapie aufzeigen.

Ätiologie

Die dorsal verhakte Luxation tritt neben direkten Traumata des Schultergelenkes auch typischerweise im Rahmen von Krampfanfällen oder Stromunfällen auf [2, 17, 25, 33]. Es kommt zu einer generalisierten Muskelkontraktion, bei der die Kraft der Innenrotatoren und Adduktoren (Mm. latissimus dorsi, pectoralis major, subscapularis und teres major) die der Außenrotatoren (Mm. infraspinatus und teres minor) deutlich übersteigt. Neben Adduktion, Innenrotation und Flexion führt dieses Ungleichgewicht zu einer dorsokranialen Verlagerung des Humeruskopfes, die durch das Akromion kranial und das Glenoid medial begrenz wird. Eine knöcherne Begrenzung nach dorsal besteht nicht, so dass letztendlich eine Dislokation in diese Richtung resultiert [18, 30]. Nach stattgehabter dorsaler Luxation ist ein Krampfleiden auszuschließen (Alkoholentzugskrampf, Epilepsie, o. Ä.).

Klassifikation

Für die dorsale Schulterluxation gibt es verschiedene Klassifikationen, die im klinischen Alltag mehr oder weniger gebräuchlich sind. Abhängig von der exakten Luxationsrichtung kann zwischen der subakromialen (Humeruskopf hinter dem Glenoid und unterhalb des Akromions), der subglenoidalen (Humeruskopf hinter dem und unterhalb des Glenoids) und der subspinalen (Humeruskopf medial des Akromions und unterhalb der Spina scapulae) unterschieden werden [30].

In Bezug auf die Dauer der Luxation wird zwischen einer akuten und einer chronischen dorsal verhakten Luxation entschieden. Unklarheit herrscht in der Literatur, ob eine chronische Luxation bereits nach drei oder erst nach sechs Wochen besteht [17, 38, 40, 41]. Die Luxationsrichtung und die Dauer der Luxation sind im klinischen Alltag entscheidende Parameter für das weitere Vorgehen.

Eine aktuelle Klassifikation für die posteriore Instabilität wurde 2008 von Lévigne vorgestellt (Tab. 1, [29]).

Tab. 1 Klassifikation der posterioren Instabilität nach Lévigne (2008). (Nach [29])

Heller et al. [18] schlugen 1994 bereits eine Klassifikation in Abhängigkeit von der Ätiologie der dorsalen (Sub-)Luxation vor. Im Wesentlichen unterschieden sie die traumatische von der atraumatischen Luxation.

Auf ähnliche Art und Weise unterteilte Tibone 1995 nach Ätiologie (Makro- vs. Mikrotrauma) und unterschied weiterhin zwischen willkürlichen und unwillkürlichen Luxationen [50].

Weiterhin fällt die primär verhakte hintere Luxation in die Klasse II der Klassifikation der Schulterinstabilität nach Gerber [16].

Verletzungsmuster

Während bei der vorderen Schulterluxation die Läsion des Labrum-Ligament-Komplexes (Bankart- oder Perthes-Läsion etc.) im Vordergrund steht, ist die reverse Hill-Sachs-Delle oder Malgaigne-Fraktur der die rezidivierende posteriore Instabilität wesentlich beeinflussende Faktor. Daher wird die dorsal verhakte Luxation aus Sicht einiger Autoren auch eher wie eine Fraktur als eine Verrenkung behandelt und gehört dementsprechend in die Gruppe der Luxationsfrakturen des proximalen Humerus [18, 30]. Das Risiko einer erneuten Luxation nach Reposition sowie die geeignete Therapie hängen dabei maßgeblich von der Größe des knöchernen Defektes ab. Defektgrößen unter 20% der gelenkbildenden Fläche bleiben nach Reposition häufig stabil und können – wenn Begleitverletzungen ausgeschlossen wurden – konservativ behandelt werden [22, 45, 52]. Übersteigt die Defektgröße dieses Maß, ist das Gelenk in der Regel instabil. Ebenso ist das Ausmaß des Funktionsverlustes nach Hawkins proportional zur Größe der anteromedialen Impression [17]. Die Größe der Malgaigne-Fraktur nimmt bei rezidivierenden und bei chronischen hinteren Luxationen zu.

Analog zur vorderen Luxation kommt es auch bei posteriorer Luxation zu einer Läsion des hinteren Labrum und der Kapsel oder auch zu einer Fraktur des dorsalen Glenoidrandes, die dann als dorsale Bankart-Läsion oder -Fraktur bezeichnet wird. Die Inzidenz ist im Vergleich zur vorderen Instabilität jedoch deutlich geringer [30]. Bei rezidivierender posttraumatischer oder willkürlicher hinterer Instabilität kommt dem Labrum und der Kapsel eine größere Bedeutung zu.

Ebenso treten Rotatorenmanschetten (RM)-Läsionen und Gefäß- und/oder Nervenverletzungen bei hinteren Luxationen seltener und scheinbar unabhängig vom Alter des Patienten auf. RM-Rupturen im Rahmen einer akuten hinteren Luxation sind in der Literatur nur in einigen wenigen Fallberichten beschrieben [44, 49]. Als Maximalvariante beschrieb Moeller eine akute offene dorsale Luxation mit RM-Ruptur, Ruptur der Bizepssehne sowie Läsionen der Nn. axillaris und suprascapularis [36].

Eine besonders schwere Verletzung stellen die Luxationsfrakturen dar. So geht die traumatische dorsale Schulterluxation häufig mit Frakturen der Kalotte, der Tuberkel oder des proximalen Schaftes einher [30]. So kann der M. subscapularis bei posteriorer Luxation derart unter Spannung geraten, dass es zu einer Avulsion des Tuberculum minus kommt. Besondere Beachtung sollte den Trümmerfrakturen des proximalen Humerus zukommen, da in solchen Fällen eine dorsal verhakte Luxation häufig übersehen wird. O’Connor und Jacknow berichteten bereits 1955 von einer Serie von 16 Patienten mit hinterer Schulterluxation, von denen 12 eine Trümmerfraktur des proximalen Humerus aufwiesen [37]. In 8 dieser 12 Fälle wurde die Diagnose einer dorsal verhakten Luxation anfangs übersehen. Auch in unserem eigenen Patientenkollektiv fand sich ein Patient, bei dem auswärts eine osteosynthetische Versorgung einer Mehrfragmentfraktur des Humeruskopfes durchgeführt wurde, während dieser dorsal am Glenoidrand verhakt war [42].

Diagnostik

Anamnese

Bereits die Anamnese kann erste Hinweise auf das Vorliegen einer hinteren Schulterluxation geben. Ein Sturz auf den adduzierten und flektierten Arm geht ebenso wie Stromunfälle oder Krampfanfälle mit einer dorsalen Luxation einher. Daher sollte dem genauen Unfallmechanismus große Aufmerksamkeit geschenkt werden. Bei unklaren Schulterbeschwerden, die möglicherweise schon über längere Zeit bestehen und bisher erfolglos therapiert wurden, sollte der behandelnde Arzt an die hintere Luxation als Differenzialdiagnose denken. Zu beachten ist, dass es bei einer chronisch verhakten Luxation im Verlauf häufig zu einer Besserung der Schulterfunktion kommt und auch die Beschwerden anfangs rückläufig sein können.

Klinische Untersuchung

Im Vergleich zur vorderen Luxation, bei der der Humeruskopf zu einer Vorwölbung der anterioren Schulterregion führt und der Untersucher die leere Gelenkpfanne tasten kann, fehlen bei der dorsal verhakten Luxation häufig eindeutige klinische Zeichen. Der Arm wird vom Patienten üblicherweise in Adduktion und Innenrotation gehalten. Eine Außenrotation ist weder aktiv noch passiv möglich [6]. Cooper [7] beschrieb die klinischen Zeichen einer hinteren Luxation bereits 1839 jedoch als derart klassisch, dass diese Verletzung seiner Meinung nach nicht übersehen werden kann.

Typische Zeichen einer dorsalen Schulterluxation sind:

  • federnde Innenrotation mit limitierter oder aufgehobener Außenrotation,

  • limitierte Elevation (häufig <90°),

  • Prominenz der dorsalen Schulterregion sowie

  • eine Abflachung der anterioren Schulterregion mit konsekutivem Hervortreten des Proc. coracoideus.

Wichtig ist, all diese Aspekte immer im Vergleich zur gesunden Schulter zu untersuchen. Besonders auffällig sind die beschriebenen Asymmetrien zu sehen, wenn der Untersucher von oben auf den vor ihm sitzenden Patienten schaut [30].

Mit zunehmender Luxationsdauer kommt es aufgrund der Inaktivität zu einer Atrophie der Muskulatur des Schultergürtels, die die knöcherne Asymmetrie weiter hervortreten lässt. Durch die bei der chronischen Luxation durch ständige Reibung des Kopfes am Glenoidrand immer größer werdende reverse Hill-Sachs-Delle kann es jedoch zu einer Verbesserung der Funktion kommen [30]. Eine Abduktion des betroffenen Armes bis zu 90° ist ebenso möglich wie geringe Rotationsbewegungen. Dies darf den Untersucher nicht von der Schwere der Verletzung ablenken.

Eine gründliche klinische Untersuchung ist essenziell, um dem Patienten durch zügige Diagnosestellung eine angemessene Versorgung und ein optimales Outcome zu ermöglichen. Intervalle von acht Monaten oder länger zwischen Trauma und der definitiven Diagnosestellung sind beschrieben, in denen die Beschwerden des Patienten zunächst als Schulterprellung oder „frozen shoulder“ fehlgedeutet wurden [19, 32].

Eine neurologische Untersuchung ist ebenfalls elementarer Bestandteil, wobei Nervenläsionen im Vergleich zur vorderen Luxation bei der hinteren Instabilität seltener sind [36].

Bildgebende Diagnostik

Der bildgebenden Diagnostik kommt neben der klinischen Untersuchung eine entscheide Bedeutung zu. Eine technisch einwandfreie Durchführung der einzelnen Röntgenaufnahmen ist dabei unerlässlich.

Als Standard-Röntgenaufnahme gilt die Abbildung in zwei Ebenen true-anterior-posterior (a.-p.) und axial. Eine klassische axiale Aufnahme sollte unbedingt versucht werden und unter adäquater Analgesie ist diese auch fast regelhaft möglich.

In der true-a-p.-Aufnahme sollten Glenoid und Humeruskopf überlagerungsfrei zur Darstellung kommen bzw. das Glenoid tangential abgebildet werden. Das Überschneiden der beiden Gelenkpartner ist ein Hinweis auf eine dorsale Luxation und wird auch als „crescent sign“ bezeichnet (Abb. 1). Ist die a.-p.-Aufnahme nicht tangential zum Glenoid belichtet, ist das „crescent sign“ nicht zu verwerten und eine erneute a.-p.-Einstellung zu fordern. Ebenso weist der Humeruskopf bedingt durch die Rotation eine birnenförmige Gestalt auf. Das Tuberculum majus kann dabei wie der Draht einer Glühbirne anmuten [28].

Abb. 1
figure 1

Dorsal verhakte Schulterluxation mit „crescent sign“ in der a.-p.-Aufnahme (oben). Die axiale Aufnahme bestätigt die Diagnose (unten)

In der y-view-Aufnahme werden die leer stehende Pfanne und der nach dorsal luxierte Humeruskopf sichtbar. Das sog. Mercedesstern-Zeichen ist somit aufgehoben.

Die axiale Aufnahme beweist eine verhakte Luxation (Abb. 1). Auch wenn bei Schmerzen und fehlender Abduktionsfähigkeit diese Aufnahme oft nicht durchführbar erscheint, gelingt sie mit entsprechender Analgesie und Unterstützung bei der Armlagerung. Auch können gebogenen Röntgenkassetten, bei denen eine Abduktion von 30–40° ausreichend ist hilfreich sein [24]. Alternativ kann auch eine Velpeau-Aufnahme durchgeführt werden, bei der der Patient den betroffenen Arm in Gilchrist-Position halten kann. Dabei steht er mit dem Rücken zum Röntgentisch und lehnt sich 20–30° zurück, so dass die Röntgenstrahlen von kranio-kaudal auf den auf dem Tisch liegenden Film treffen.

Ist die Diagnose gesichert, wird die Computertomographie (CT) zur genauen Evaluation der Defektgröße herangezogen. Cicak [6] beschrieb eine Methode zur Bestimmung der Defektgröße, indem er den Humeruskopf in den axialen CT-Schichten vierteilte und anhand der Geraden die Größe des Defektes quantifizierte (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Abschätzung der Defektgröße des Humeruskopfes. In diesem Fall sind 50% der Gelenkfläche betroffen. Typische dorsomediale Verknöcherungen am Skapulahals bei chronischer Luxation [6]

Da Verletzungen des dorsalen Kapsel-Band-Apparates und der RT im Vergleich zur vorderen Luxation deutlich seltener sind, ist eine Magnetresonanztomographie (MRT) nicht erforderlich, kann aber bei zweifelhaften Befunden und rezidiv Instabilitäten zur Diagnostik herangezogen werden.

Therapie

Reposition

Bei der akuten dorsal verhakten Luxation kann häufig eine geschlossene Reposition erfolgen. Die intraartikuläre Infiltration von 10 ml eines Lokalanästhetikums hat sich in der Akutversorgung bei schmerzhafter Erstluxation als sehr effektiv herausgestellt und lässt sich in der Praxis sicher anwenden [34]. Gelegentlich ist jedoch auch eine kurze Allgemeinnarkose notwendig. Die Reposition erfolgt durch Elevation des innenrotierten Armes bei kontinuierlichem Druck auf den Humeruskopf von dorsal. Eine neue Repositionstechnik wurde von einem der Autoren (D.S.) vorgeschlagen [46]. Diese findet am liegenden Patienten statt. Auch hier kann eine Analgosedierung oder eine intraartikuläre Schmerzausschaltung erfolgen. Der Arm des Untersuchers stützt sich auf der lateralen Thoraxwand des Patienten ab und dient als Hypermochleon zur Ventralisation und Lateralisation des Humeruskopfes. Unter kontinuierlichem Zug am innenrotierten Arm kommt es zur Reposition (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Neue Repositionsmethode nach Seybold. Zug und Innenrotation am betroffenen Arm, während der zweite Arm des Untersuchers als Hypermochleon dient. (Nach [46])

Ist eine geschlossene Reposition nicht möglich, muss auf ein offenes Verfahren gewechselt werden. Bei chronischen Luxationen mit einer vermuteten Luxationsdauer von >3 Wochen wird ein primär offenes Vorgehen empfohlen.

Die weitere Therapie richtet sich nun nach der Größe des Kopfdefektes und dem damit direkt verbundenen Risiko einer erneuten Luxation.

Konservative Therapie

Bleibt das Gelenk nach erfolgreicher Reposition auch in Innenrotation stabil, kann eine konservative Therapie erfolgen. Bisher wurde der betroffene Arm dazu in einer Außenrotationsorthese für 2–3 Wochen immobilisiert [3]. Einige Autoren schlagen auch eine Ruhigstellung in Neutralposition vor und erzielten sehr gute Ergebnisse [12]. Analog zur Ruhigstellung der Schulter in Außenrotation nach traumatischer vorderer Erstluxation, erstmals von Itoi et al. [21, 23] vorgeschlagen und im klinischen Alltag nun immer häufiger angewendet, empfehlen wir die Immobilisation in Innenrotation bei stabiler Situation nach Reposition einer dorsalen Luxation für 3 Wochen [43, 45].

Operative Therapie

Ist eine konservative Therapie wegen einer Reluxation nach Reposition nicht möglich, ist ein offenes Vorgehen angezeigt. Die Wahl der definitiven Methode richtet sich dabei nach der Größe des Humeruskopf-Defektes und der Dauer der verhakten Luxation. Ein entsprechender Therapiealgorithmus ist in Tab. 2 dargestellt. Zu beachten ist, dass alle operativen Eingriffe über einen vorderen, deltoideopektoralen Zugang durchgeführt werden. Nur so ist eine adäquate Reposition und Versorgung unter Schonung des N. axillaris möglich [52].

Tab. 2 Therapiealgorithmus der dorsal verhakten Schulterluxation.

Anatomische Rekonstruktion

Liegt ein Defekt mit einer Größe unter 45% der Gelenkfläche vor, kann der Defekt auf verschiedene Art anatomisch rekonstruiert werden:

Die Operation findet grundsätzlich in Allgemeinnarkose statt. Ein interskalenärer Katheter kann zusätzlich zur Analgesie verwendet werden. Der Patient wird in leichter „beach-chair“-Position gelagert. Über einen deltoideopektoralen Zugang erfolgt zunächst die Reposition des Humeruskopfes. Die lange Bizepssehne dient dabei als Landmarke bei der durch die verhakte Luxation veränderten Anatomie. Bei frischer Luxation kann die Impression indirekt mittels Elevatorium oder eines Stößels angehoben und mit Eigen-Spongiosa, allogenem Knochen oder Knochenersatzmaterialien, wie z. B. Norian-SRS-Zement unterfüttert werden. Ist das Anheben der Impression nicht möglich (meist bei chronischen Luxationen) oder der Defekt für eine Auffüllung zu groß, kann entweder ein metaphysärer Knochenkeil des proximalen Humerus in den Defekt eingeschoben werden oder ein Beckenkammspan bzw. -Dübel mithilfe von „osteoarticular transfer system“ (OATS)-Instrumentarium (Abb. 4) zur Wiederherstellung der anatomischen Verhältnisse eingesetzt und ggf. mit Schrauben fixiert werden. Ebenfalls mit guten Ergebnissen wird der Einsatz von Allografts aus dem proximalen Femur in der Literatur beschrieben [10, 15, 27, 35].

Abb. 4
figure 4

Auffüllen des Defektes mit Beckenkammspan (a) oder mittels „osteoarticular transfer system“ (OATS)-Instrumentarium entnommener Beckenkamm-Dübel (b)

Ist eine geschlossene Reposition bei einer frischen dorsalen Luxation möglich und liegt ein rekonstruktionspflichtiger Defekt vor, kann die Elevation und Unterfütterung des Defektes auch arthroskopisch erfolgen [52].

Nichtanatomische Rekonstruktion

Die nichtanatomische operative Therapie ist bei Patienten mit chronisch verhakten Luxationen und großen Kopfdefekten sowie einer nicht sicheren Nachbehandlungsmöglichkeit aufgrund des sozialen Umfeldes in schwierigen Situationen immer noch indiziert, um ein möglichst sicheres Ergebnis zu erzielen.

Operation nach McLaughlin

McLaughlin [31] beschrieb initial das Umsetzen der Subskapularissehne in den Kopfdefekt nach erfolgter Reposition. Insgesamt 13 Patienten, bei denen er diese Prozedur zur Therapie einer im Durchschnitt seit 8 Monaten bestehenden dorsalen Luxation durchführte, konnten anschließend in ihren alten Beruf zurückkehren und erlitten kein Rezidiv. Die modifizierte Technik sieht einen Transfer des Tuberculum minus in den Kopfdefekt vor [20]. In beiden Fällen erfolgt die Reposition ebenfalls über einen deltoideopektoralen Zugang. Nach Freilegung des Humeruskopfdefektes und Anfrischen desselben wird das Tuberculum minus osteotomiert und mitsamt der Subskapulrissehne in den Defekt verlagert und fixiert (Abb. 5). Zahlreiche weitere Abwandlungen der urspünglichen Operation nach McLaughlin sind in der Literatur beschrieben, bei denen die intakte Subskapularissehne über Ankersysteme in den Defekt genäht wird, ohne sie von ihrem Ansatz am Tuberculum minus abzulösen [4, 9, 47]. Diese Verfahren ähneln der Hill-Sachs-Remplissage, deren Prinzip die Auffüllung („remplissage“, franz.: Auffüllung) einer Engaging-Hill-Sachs-Läsion mit einer Kapsulotenodese des M. infraspinatus und der dorsalen Gelenkkapsel ist [39].

Abb. 5
figure 5

Chronisch verhakte dorsale Luxation (oben); operative Therapie mit McLaughlin-Prozedur (unten)

In seltenen Fällen ist bei mit den oben beschriebenen Techniken nicht mehr beherrschbaren Situationen an eine Rotationsosteotomie nach Weber zu denken [51]. Dies ist insbesondere der Fall, wenn nach operativ versorgten Humeruskopfluxationsfrakturen eine falsche Kopfrotation eingestellt wurde und es zu einer Luxation des Humeruskopfes kommt. Durch die Außenrotation des Kopfes gegenüber dem Schaft soll eine erneute Luxation bei Innenrotation verhindert werden. In halbsitzender Position mit frei beweglich abgedecktem Arm erfolgt der Zugang zum proximalen Humerus auch hier bevorzugt über einen deltoideopektoralen Zugang. Nach Darstellen des Collum chirurgicum wird ein Kirschner (K)-Draht oberhalb desselben eingebracht. In einem Winkel von 20–25° zu diesem wird nun ein zweiter K-Draht unterhalb des chirurgischen Halses platziert. Unterhalb der A. und V. circumflexa humeri anterior wird nun eine Osteotomie durchgeführt und der Humeruskopf anschließend gegenüber dem Schaft außenrotiert, bis die einliegenden Drähten in sagittaler Richtung übereinander zu liegen kommen. Mittels winkelstabiler Plattenosteosynthese wird der Kopf in dieser Position fixiert. Nach kurzer Immobilisation kann eine frühfunktionelle Beübung ähnlich wie bei der Versorgung von subkapitalen Humeruskopffrakturen erfolgen.

Bei Malgaigne-Frakturen mit einer Defektgröße über 45% der Gelenkfläche ist in der Regel nur noch der endoprothetische Ersatz möglich. Abhängig von der Beschaffenheit des Glenoids kann entweder eine Humeruskopf- oder eine Vollprothese eingebracht werden. Zu beachten ist dabei, dass die Retroversion des Kopfes in Abhängigkeit von der Luxationsneigung ggf. etwas geringer als üblich gewählt werden sollte, um eine Dislokation der Prothese zu vermeiden [52]. Bei dorsalen Glenoiddefekten ist ein Glenoidaufbau mit einem Beckenkammspan bzw. Allograft und nicht zementiertem Glenoidersatz erforderlich.

Nachbehandlung

Konservative Nachbehandlung nach geschlossener Reposition bei stabiler Gelenksituation

Analog zur Ruhigstellung der Schulter in Außenrotation nach traumatischer vorderer Erstluxation [21, 43, 45] empfehlen wir die Ruhigstellung in Innenrotation oder 0°-Rotationsstellung für 3 Wochen. Anschließend kann dann eine funktionelle Nachbehandlung mit Steigerung der Beweglichkeit unter Vermeidung der forcierten Innenrotation erfolgen.

Nachbehandlung nach operativer Versorgung

Bei offenen Verfahren ist das Einheilen des M. subscapularis entweder nach Versatz bei der Operation nach McLaughlin, nach Defektauffüllungen oder nach endoprothetischem Gelenkersatz abzuwarten. Die Außenrotation wird je nach Stabilität der Refixation des M. subscapularis auf 0–20°, Abduktion und Flexion für sechs Wochen auf 90° beschränkt. Anschließend kann das Gelenk funktionell freigegeben werden.

Die Nachbehandlung nach Rotationskorrekturen kann bei der Verwendung von winkelstabilen Implantaten funktionell ohne Einschränkung des Bewegungsausmaßes erfolgen.

Komplikationen

Die Reluxationsrate ist generell niedriger als bei der vorderen Luxation. Nach Wirth et al. [53] machen Rezidive nach posteriorer Luxation lediglich bis zu 5% aller neuerlichen Luxationen aus. Differenzen zwischen operativer und konservativer Therapie bestehen hierbei nicht. Grundsätzlich sind die Ergebnisse nach Stabilisierung einer dorsal verhakten Luxation besser als nach Stabilisierung einer ventral verhakten Luxation. Je nach verbleibender Restinstabilität ist ein erhöhtes Omarthroserisiko anzunehmen.

Aktuelle Literatur und eigene Ergebnisse

In der Literatur finden sich nur wenige Studien mit längeren Follow-up-Zeiträumen und größeren Patientenzahlen. Dies ist in erster Linie auf die Seltenheit der dorsal verhakten Schulterluxation zurückzuführen. Stellt sich der Patient mit einer solchen Verletzung ärztlich vor, wird diese meist als Schulterprellung oder „frozen shoulder“ gedeutet. Nach Rowe und Zarin [41] wird die dorsal verhakte Luxation in 79% der Fälle initial übersehen. Hawkins et al. [17] beschrieben bei 40 Patienten ein Intervall zwischen Trauma und definitiver Diagnose von einem Jahr.

Eine eigene Studie zeigte, dass der Zeitraum bis zur Diagnosestellung einen entscheidenden Einfluss auf das Outcome der Patienten hat [42]. Insgesamt 35 Patienten, die eine dorsal verhakte Schulterluxation erlitten, wurden nach durchschnittlich 55 Monaten (Spannweite: 11–132) klinisch und radiologisch nachuntersucht. Die Dauer bis zur definitiven Diagnose einer dorsal verhakten Luxation betrug im Schnitt 66 Tage (Spannweite: 0–365). Abhängig von Luxationsdauer und Defektgröße erhielten 11 Patienten eine Defektauffüllung, 5 wurden nach McLaughlin operiert, 4-mal wurde eine Rotationsosteotomie durchgeführt. Bei 2 Patienten waren über 45% der Gelenkfläche zerstört, so dass eine Fraktur- bzw. eine Totalendoprothese implantiert werden musste. Bei 6 Patienten zeigte sich nach geschlossener Reposition eine stabile Situation, so dass die weitere Therapie konservativ blieb. Patienten, bei denen der Humeruskopfdefekt rekonstruiert werden konnte, erzielten signifikant bessere Ergebnisse als solche, bei denen nichtanatomische Verfahren angewendet werden mussten (Tab. 3). Je später die Diagnose gestellt und eine entsprechende Therapie eingeleitet wurde, desto schlechter war das Ergebnis im Hinblick auf die Funktion und die Patientenzufriedenheit. Ebenso kehrten Patienten deutlich seltener in ihren alten Beruf zurück, wenn zwischen Trauma und Operation mehr als 3 Monate vergingen (Tab. 4).

Weitere Studien bestätigen dies: Während Patienten, bei denen eine Defektauffüllung nach offener Reposition mittels Spongiosa oder Allograft möglich war, Constant Murley Scores von über 80 Punkten im Follow-up erreichten, hatten Patienten nach McLaughlin-Operation, deren Modifikation oder anderen nichtanatomischen Verfahren ein schlechteres Outcome [8, 26, 28]. Tab. 5 gibt einen Überblick über die Studienlage zu verschiedenen therapeutischen Optionen wieder.

Tab. 3 Angewendete Therapieverfahren und entsprechende Ergebnisse. (Nach [42])
Tab. 4 Intervall zwischen Trauma und definitiver Diagnose sowie das davon abhängige Outcome. (Nach [42])
Tab. 5 Übersicht über die Studienlage zur dorsal verhakten Luxation und deren Therapie

Durch die Seltenheit der Verletzung und die zahlreichen operativen Vorgehensweisen existiert ein Goldstandard in der Versorgung der dorsal verhakten Schulterluxation nicht. Als Therapiegrundsatz kann allgemein jedoch gelten, dass bei instabiler Gelenksituation nach erfolgter Reposition einer dorsal verhakten Luxation, wenn möglich, eine anatomische Defektauffüllung angestrebt werden sollte.

Fazit für die Praxis

Die dorsal verhakte Schulterluxation ist eine seltene Verletzung, die daher initial häufig übersehen wird. Bei klinischen Symptomen, wie einer verminderten oder gar aufgehobenen Außenrotation, eingeschränkter Abduktion und auffälliger Schultersilhouette, sollte differenzialdiagnostisch immer an eine dorsale Luxation gedacht werden. Die Anamnese (Trauma, Krampfanfall, Stromunfall, leichte Verbesserung der Schulterfunktion im Verlauf) kann entscheidende Hinweise geben. Eine adäquate Röntgendiagnostik mit true-a.p.- und axialer Aufnahme ist essenziell für die Diagnostik einer verhakten hinteren Luxation. Eine möglichst frühe Diagnosestellung und eine anatomische Rekonstruktion der die Rezidivinstabilität entscheidend beeinflussenden reversen Hill-Sachs-Delle ermöglichen sehr gute funktionelle Ergebnisse. Bei großen Kopfdefekten und lange bestehender Luxation ist eine anatomische Rekonstruktion häufig nicht mehr möglich, jedoch können durch eine McLaughlin-Prozedur und deren Modifikationen oder einen endoprothetischen (Teil-)Ersatz stabile Verhältnisse und eine ausreichende Funktion geschaffen werden. Rezidive sind im Vergleich zur vorderen Luxation deutlich seltener.