1 Teams in Kritischen Ausnahmesituationen (TiKAS): Ausgangslage und Zielsetzungen

Heutzutage ist der Arbeitsalltag von Teams in Unternehmen und Organisationen geprägt durch eine hohe Arbeitsverdichtung, hohe Erwartungen an das Arbeitstempo und zunehmende Flexibilisierung von Arbeitszeiten und -orten. Zusätzliche unvorhergesehen Entwicklungen oder schwerwiegende Ausnahmesituationen können Teams an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringen. Dennoch zeigen prominente Beispiele wie das zivile Krisenmanagement der Bevölkerung von New Orleans nach Hurrikan Katrina (Bava et al. 2010) oder das Überleben der Bergleute beim Grubenunglück von San José (Chile) (Spiegel Online 2010), dass es Teams immer wieder gelingt, schwierige Ausnahmesituationen erfolgreich zu bewältigen. Sie besitzen eine hohe Resilienz, die aus dem Lateinischen (resiliere) übersetzt „zurückspringen“ oder „abprallen“ bedeutet.

Teamresilienz ist jedoch nicht nur von Teams in Krisen- oder Hoch-Risiko-Situationen gefordert. Jedes Team kann kritische Ausnahmesituationen erleben, die eine hohe Teamresilienz abverlangen, wie nachfolgend am Beispiel der Wiener Philharmoniker gezeigt: Anstatt einen Tag waren die Musiker zu ihrem Neujahrskonzert in Nagasaki drei Tage nach Japan unterwegs. Schuld daran waren außerordentliche Schneemengen und ausgefallene Flüge. Der Unmut unter den Musikern war nach den unerwarteten Reisestrapazen groß, die Durchführung des Konzerts wurde von Einzelnen bereits in Frage gestellt und dennoch gelang es mit einer unglaublichen Kraftanstrengung das Konzert erfolgreich zu absolvieren. „Es ging um das Bestehen unseres Orchesters als Einheit“, resümierte der damalige Dirigent und „es war einer dieser Augenblicke, in denen man spürt, wozu Menschen in der Lage sind, wenn sie ihre Komfortzone verlassen“ (Spiegel Online 2013). Was zeichnet Teams in kritischen Ausnahmesituationen (TiKAS) aus, die trotz eines hohen Drucks und Risikos den Anforderungen gewachsen sind? Welche Faktoren fördern ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Ausnahmesituationen? Wie verarbeiten TiKAS außerordentliche Stresssituationen und was hilft ihnen, zu einem regulären Teamalltag zurück zu kehren?

Untersuchungen sogenannter Hoch-Risiko Arbeitssystemen wie z. B. des Off-Shore Hubschrauber-Transports (Gomes et al. 2009), des Betriebs kerntechnischer Anlagen (Gomes et al. 2014), ziviler und militärischer Kriseneinsätze (z. B. Rankin et al. 2014; Paton et al. 2008) geben Hinweise darauf, dass widerstandsfähige Teams die Fähigkeit zur Umsetzung spezifischer psycho-sozialer Prozesse besitzen, um die Komplexität von Ausnahmesituationen handhaben zu können und deren potentielle, negative Folgen abzumildern (Morgan et al. 2013).

1.1 Ausgangslage und Zielsetzung

Die bisherigen Modelle und Forschungsergebnisse zur Resilienz in Teams stammen aus sehr unterschiedlichen Forschungstraditionen und spezifischen Anwendungsgebieten wie der „System Safety Forschung“ (z. B. Hollnagel 2011; Weick und Sutcliffe 2007), der betrieblichen Gesundheitsförderung (Salanova et al. 2012), dem Hochleistungssport (Morgan et al. 2013) oder der Personal- und Organisationsentwicklung (West et al. 2009). Zum anderen führen die verschiedenen Perspektiven oft zur Betrachtung einzelner Komponenten der Teamresilienz z. B. fördernde Ressourcen oder Kommunikationsprozesse, ohne jedoch die zahlreichen Erkenntnisse des diversen Forschungsfeldes zu integrieren. Damit sind diese Ansätze nur in Teilen auf Teams in kritischen Ausnahmesituationen übertragbar, um Einflussfaktoren, Wirkmechanismen und Konsequenzen resilienten Verhaltens zu beschreiben und zu erklären.

Ziel dieses Beitrages ist es daher, die Komplexität und Vielschichtigkeit von Einflussgrößen, von vermittelnden kollektiven (emergenten) Zuständen und Prozessen sowie die kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen in einem Modell zu integrieren. Als Teamresilienz werden somit spezifische Prozesse der kognitiv-emotionalen Situationsbewertung, Handlungsplanung und Kommunikation eines Teams unter kritischen Ausnahmebedingungen, unter Rückgriff auf die vorhandenen teambezogenen und individuellen Ressourcen verstanden. Der vorliegende Beitrag fokussiert auf die Resilienz von Teams in kritischen Ausnahmesituationen, deren besondere aufgaben- und teambezogenen Merkmale im folgenden Kapitel 1.2 beschrieben werden. Die Notwendigkeit eines TiKAS-Modells begründet sich damit, dass (1) Ansatzpunkte für die Teamdiagnostik und -entwicklung im praktischen Kontext fundiert entwickelt werden und dass (2) ausgehend von einem theoretischen Rahmen, relevante Forschungsdesiderate abgeleitet werden können.

1.2 Ausnahmesituationen und ihre Anforderungen an Teams

Situationen, in denen kreative und innovative Vorgehensweisen gefordert sind, jedoch kaum Vorgaben oder Planungen existieren, kommen in vielen Arbeitsdomänen vor. Was Situationen zu kritischen Ausnahmesituationen werden lässt, hängt jedoch entscheidend davon ab, wie hoch das Risiko des Scheiterns ist, wenn es dem Team nicht gelingt, sein Handeln an die neuartige und unerwartete Situation anzupassen. Aufgrund ihrer Seltenheit stellen kritische Ausnahmesituationen emotional für das Team eine „fundamentale Überraschung“ (Lanir 1986) dar, die die Stabilität von Koordination und Kommunikation im Team beeinträchtigt. Finanzielle Verluste, hohe Motivationsverluste oder sicherheitskritische Ereignisse können somit die Folgen sein, wenn dem Team die Anpassung an die kritische Ausnahmesituation nicht gelingt (Bhamra et al. 2011).

Ausnahmesituationen zeichnen sich jedoch nicht nur durch ihre hohen Anforderungen an die Adaptivität hinsichtlich der Informationsbewertung, Aufgabenpriorisierung und Aufgabenverteilung aus. Sie verändern zudem den Charakter der Zusammenarbeit: die hohe informatorische Komplexität und die unbekannten oder zu bestimmenden Reaktionsmöglichkeiten erzeugen eine hohe Aufgabenabhängigkeit unter den Teammitgliedern (Wildman et al. 2011). Im Erleben eines Teams kann eine schwer kontrollierbare Situation, als Überforderung und emotional belastend erlebt werden. Die neuere Forschung weist darauf hin, dass die Wahrnehmung des Teamstress eine unter Umständen höheren Einfluss auf die Teamleistung haben, als objektivierbare Stressoren (z. B. hoher Leistungsdruck) (Edwards et al. 2014). Ausnahmesituationen stellen somit nach Wildman et al. (2011) (1) unbestimmte und komplexe Anforderungen an das Team („ill-defined problem solving“; ebd., S. 107) und werden (2) aufgrund der hohen Risiken als hohe Beanspruchung wahrgenommen. Resiliente Teams werden in ihrer Adaptation an die neue Situation durch die starken emotionalen Anforderungen wie z. B. Unsicherheit, Überforderung in der Situation weniger beeinträchtigt und kehren früher zu ihrem Leistungsniveau zurück.

Zusammengefasst sollen die vorausgegangenen Überlegungen verdeutlichen, dass Teamresilienz für das spezifische Handeln unter den Anforderungen kritischer Ausnahmesituationen stehen soll, das sowohl kognitiv-emotionale Teamprozesse als auch die kurz-, mittel- und langfristige Stressbewältigung sowie Teamentwicklung umfasst.

2 Sicherheits- und Teamforschung: Bisherige theoretische Ansatzpunkte und Grenzen

Bisherige theoretische Modelle zur Teamresilienz liefern wichtige konzeptionelle Impulse und empirische Befunde für TiKAS, doch fehlt bis dato ein eigenständiges Modell. Das Forschungsfeld der Teamresilienz lässt sich in zwei theoretische Strömungen aufteilen: 1) die Perspektive der Sicherheitsforschung, in der der Mensch bzw. das Team als Risikofaktor für Fehler und Unfälle lange Zeit verstanden wurde, 2) die Teamforschung, die das Team mit seinen Merkmalen, Interaktionen und Leistungen in Bezug zu den Aufgaben- und Situationsanforderungen setzt. Die Abb. 1 gibt dazu eine Übersicht der Forschungslinien und deren Vertretern, die sich in ihren Forschungsarbeiten auf Teamresilienz Konzepte beziehen:

Abb. 1
figure 1

Übersicht der Forschungsansätze zur Resilienz in Teams und Organisationen

2.1 Sicherheitsforschung

In der Forschung zu sicherheitskritischen Arbeitsfeldern findet seit einigen Jahren ein Umdenken statt, das den Menschen nicht mehr wie bisher als Sicherheitsrisiko sondern als sicherheitsstiftenden Teil des Systems versteht, der auch unter kritischen Bedingungen zuverlässig handeln und entscheiden kann. In der Betrachtung sogenannter „Hoch-Risiko Systeme“ etablierten Weick und Sutcliffe (2007) den Begriff der Resilienz als eine Systemeigenschaft, die vor allem für den aufmerksamen Umgang mit Fehlern und möglichen Fehlerquellen steht. Im Ansatz des Resilience Engineering (Woods und Hollnagel 2006) vertreten die Autoren eine andere Sichtweise der menschlichen Fähigkeiten: Individuen und Team können vorausschauend Handeln und risikobehaftete oder unsichere Entwicklungen frühzeitig erkennen, bevor Fehler und Schäden eintreten können (Woods 2005).

Resiliente Systeme besitzen die Fähigkeit „to adjust its functioning prior to, during, or following changes and disturbances, so that it can sustain required operations under both expected and unexptected conditions“ (Hollnagel, Pariès, Woods und Wreathall 2011; zit. nach Rigaud et al. 2012, S. 3). Durch gezieltes Training und einem kontinuierlichem Organisationslernen können die dazu notwendigen Prozesse und technischen Funktionen in einer Organisation oder einem Team erlernt und gefestigt werden (siehe Tab. 1).

Tab. 1 Dimensionen des Resilience Engineering (nach Woltjer und Hollnagel 2008)

Die von Hollnagel entworfenen allgemeinen Resilienz-Dimensionen für Teams und Organisationen sollen zeigen, dass Resilienz eine dynamische Prozesseigenschaft ist, die sich verändern kann und von verschiedenen Voraussetzungen wie Teameigenschaften, Vertrauen innerhalb der Organisation oder die Verfügbarkeit technischer Mittel abhängt (siehe z. B. Woltjer und Hollnagel 2008).

Obschon sich aus den mehrheitlich qualitativ angelegten Felduntersuchungen und Fallstudien bisher keine geschlossene Resilienz-Theorie herausbildete, bietet die Sicherheitsforschung mit dem Resilience Engineering-Ansatz auf Team- und Organisationsebene Ansatzpunkte in der Systematisierung der relevanten Prozesse.

2.2 Teamforschung

Die Frage nach der Anpassungsfähigkeit von Teams an Nicht-Routinesituationen wird in unterschiedlichen Forschungssträngen auch aus Sicht der organisationalen Teamforschung untersucht und bietet so Ansatzpunkte für die Teamresilienz in kritischen Ausnahmesituationen. Das Forschungsinteresse liegt dabei insbesondere in der Erklärung der Wechselwirkungen von äußeren Störungen und Schwankungen (z. B. bei organisatorischen Änderungen oder erhöhtem Auftragsvolumen) sowie der Fähigkeit auf diese angemessen zu reagieren (Wehner et al. 1996). Der Resilienz-Begriff wurde durch West et al. (2009) und Luthans (2002) im organisationalen Forschungskontext aufgegriffen und als ein Konzept in die Teamforschung eingeführt, das das positive emotionale Erleben und die daraus resultierende Selbstwirksamkeit hervorhebt.

In Forschungsarbeiten zur Teamadaptivität können die Reaktionsformen von Teams auf unerwarteten Ereignissen mittlerweile gut erklärt werden (Zajac et al. 2014; Maynard et al. 2015). Die Teamadaptivität ist eine kontinuierliche Anpassung der Koordination und Kommunikation an neue Gegebenheiten beispielsweise in Form der situativen Veränderung der Teamkoordination von einer impliziten hin zu einer expliziten Koordination (z. B. Manser et al. 2009) (siehe dazu auch Abschnitt 3.3). Teamadaptivität verläuft dabei in iterativen Prozessschritten (Situationsbewusstsein, Handlungsplanung, Planausführung, Lernen), wobei emergente Teamfaktoren wichtige vermittelnde Variablen darstellen und zahlreiche Einflussfaktoren auf der Individual-, Team- und Organisationsebene betrachtet werden (Burke et al. 2006; Baard et al. 2014). Als kognitiver emergenter Teamfaktor wird vor allem das teambezogene Wissen hervorgehoben (siehe auch Abschnitt 3.2.1). So zeigen einerseits gemeinsam geteilte Situationswahrnehmungen den aktuellen Veränderungsbedarf an (situational awareness), zudem repräsentieren aufgaben- und teambezogene mentale Modelle (shared team mental models) die Handlungsziele und Strategien des Teams ab (Maynard et al. 2015). Im Adaptationsprozess erfahren teambezogene Wissensstrukturen eine fortlaufende Aktualisierung und Veränderung (mental model updating; Uitdewilligen et al. 2013). Neben kognitiven Teamfaktoren berücksichtigen Modelle der Teamadaptation auch emotional-motivationale Teamfaktoren, da die Anpassungsprozesse auch interpersonales Vertrauen oder psychologische Sicherheit voraussetzen (z. B. Edmondson 2002). Am Beispiel der Informationsüberlastung zeigten Ellwart et al. (2015), dass Teammitglieder zunächst ein gemeinsames Situationsbewusstsein für die Überlastungssituation entwickeln müssen, um anschließend Handlungsstrategien für die weitere Bearbeitung zu planen und umzusetzen. Die erfolgreiche Anpassung an die Informationsüberlastung in der folgenden Arbeitsphase konnte durch die Verbesserung teambezogener Wissensstrukturen erklärt werden.

2.3 Zwischenfazit

Nehmen das Risiko und die Komplexität der Handlungssituation zu, sind sich die Sicherheitsforschung und die Teamforschung einig, dass resiliente Teams kognitive, emotionale und motivationale Fähigkeiten besitzen sowie Interaktionen leisten, die sie in die Lage versetzen, Leistungseinbußen zu kompensieren. Für die Modellierung der Teamresilienz in kritischen Ausnahmesituationen ergeben sich aus der vorliegenden Literatur drei zentrale Komponenten:

  1. 1.

    Situative Anforderungen der Teams in Ausnahmesituationen. Spezifische Ressourcen, wie ein ausgeprägtes Teamwissen und individuelle Faktoren der Motivation und der positiven Affektivität, scheinen eine wichtige Rolle bei der erfolgreichen Bewältigung von Ausnahmesituationen zu spielen (siehe z. B. Kaplan et al. 2013). Sowohl die Betrachtung der Schutzwirkung der Ressourcen als auch deren Aufbau durch Trainings erfordern eine Mehrebenen-Betrachtung sowie eine zeitlich-dynamische Perspektive auf die Teamresilienz. Deshalb werden individuelle und teambezogene Eingangsfaktoren unterschieden und in Verbindung mit den besonderen Bedingungen des Handelns von TiKAS systematisch dargestellt.

  2. 2.

    Zustände und Prozesse. Kritische Ausnahmesituationen sind in ihrem Verlauf und ihren Konsequenzen schwer zu prognostizieren. Das psychische Erleben und Verhalten der Akteure in diesen Situationen zu beschreiben, erfordert die Betrachtung des Zusammenspiels individueller und teambezogener Kognitionen und Emotionen der Beteiligten. Die hohe Belastung des Teams sowie die damit verbundenen Ängste und Unsicherheiten nehmen auf allen Ebenen der Handlungen sowie auf die emergenten motivationalen, affektiven und kognitiven Teamzustände Einfluss. Obschon Resilienz einen hohen Bezug zur Trauma- und Stressforschung aufweist (siehe dazu z. B. Bonanno und Diminich 2013), schlagen lediglich Untersuchungen aus dem Hochleistungssport die theoretische Brücke zu verwandten Stresskonzepten individueller Schutzfaktoren oder Copingstrategien. Dies soll durch die integrierte Betrachtung kognitiver und emotionaler Regulation der teambezogenen Situationswahrnehmung, Planung und Kommunikation weiter differenziert werden.

  3. 3.

    Zeitliche Dynamik. Resilientes Handeln kann in einer Ausnahmesituation kurzfristig negative Folgen abmildern und verhindern, dass dysfunktionale Entwicklungen innerhalb der Gruppe die Teammitglieder zusätzlich belasten. Dass Lern- und Bewältigungsprozesse hierbei eine zentrale Rolle spielen, liegt auf der Hand. Es muss jedoch geklärt werden, welche kognitiven, prozeduralen und emotionalen Anpassungsleistungen hierbei zu berücksichtigen sind. Mit welcher zeitlichen Dynamiken sich individuelle und teambezogene Schutzfaktoren sowie Stressbewältigungsstrategien verändern können, ist derzeit eine offene Fragestellung.

3 Ein Resilienzmodell für Teams in kritischen Ausnahmesituationen (TiKAS)

Für die Entwicklung des Resilienzmodells für TiKAS wurde sich an die relevanten Variablen aus der wissenschaftlichen Literatur der oben genannten Forschungsfelder angelehnt und daraus ein integratives Modell abgeleitet.

3.1 Ableitungen wesentlicher Modellvariablen

In der Forschungsliteratur finden sich mehrheitlich qualitative Feldstudien und schriftliche Befragungen. Experimentelle, vergleichende Untersuchungen konnten in der durchgeführten Literatursichtung nicht identifiziert werden. Neben der betrieblichen Forschung, stellen Untersuchungen bei Einsatzkräften und Krisenmanagementteams einen erheblichen Anteil der herangezogenen Forschungsliteratur. Aus der gesichteten Literatur wurden die in den Arbeiten verwendeten Teamresilienz-Faktoren und Variablen extrahiert und qualitativ in Klassen gruppiert. Das Modell lieferte somit eine erste Zusammenstellung von zentralen Variablen aus unterschiedlichen Forschungstraditionen, die entweder als fördernde Einflussfaktoren der Teamresilienz, als Prozessvariablen oder als Ergebnisvariablen nach der „Input-Mediator-Output-Input“-Systematik von Ilgen et al. (2006) eingruppiert wurden. Berücksichtigt wurden messbare und praxisnah gestaltbare Variablen, die sich in empirischen Untersuchungen zur Teamresilienz bewährt haben und theoretisch-konzeptionell fundiert sind (siehe dazu Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Modell der Resilienz bei Teams in kritischen Ausnahmesituationen (TiKAS)

Das Modell unterteilt sich in die drei relevante Variablengruppen: (1) Eingangsfaktoren, (2) vermittelnde Zustände und Prozesse, (3) Konsequenzen und Auswirkungen oder Resultate, die wiederum zu einer Anpassung der Eingangsfaktoren führen können (vgl., IMOI-Modelle, Illgen et al. 2006). Eingangsvariablen sind Schutzfaktoren, die im Team als individuelle Fähigkeiten und teambezogenes Wissen und Einstellungen vorhanden sind und in die Teamprozesse eingehen (Fletcher und Sakar 2013). In der vorhandenen Literatur wird hierzu auf spezielle soziale und kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten verwiesen, für die Teammitglieder ihre individuellen Voraussetzungen wie beispielsweise Problemlösefähigkeiten einbringen, die erst durch die unterschiedlichen Herangehensweisen in der Zusammenarbeit eine neue Qualität der Problemlösefähigkeit entstehen lassen. Die individuelle Fähigkeit oder Fertigkeit wird im Team kumuliert (vgl. Cronin et al. 2011). Weitere fördernde Faktoren sind für die Bewältigung von Ausnahmesituationen relevantes Teamwissen sowie Einstellungen, die sich durch die soziale Interaktion und die Teamentwicklung über die Zeit hinweg als Teammerkmale verfestigt haben. Die zweite Variablengruppe der kognitiven und emotionalen Zustände und Prozesse wird in Anlehnung an die Hollnagelschen Resilienz-Dimensionen in die Prozesse der Situationsbewertung (monitoring und anticipation), der Handlungsplanung (responding) und der Kommunikation (vgl. Tab. 1) systematisiert. Als drittes wird von kurz-, mittel- und langfristigen Konsequenzen und Auswirkungen ausgegangen. Für TiKAS sind dies spezifische Formen des Lernens und der Stressbewältigung, die wiederum auf die zuerst genannten Eingangsfaktoren Einfluss nehmen.

3.2 Individuelle und teambezogene Eingangsbedingungen als resilienzfördernde Faktoren

Die Literatursichtung zeigt eine Reihe an Faktoren, die sich nach Fletcher und Sakar (2013) als situativ wirksame Schutzfaktoren bzw. resilienzfördernde Faktoren oder nach Lundberg und Ranking (2014) sich als sogenanntes resilience climate zusammenfassen lassen.

3.2.1 Teamkognition

Verschiedene Forschungsrichtungen sind sich einig, dass die Qualität von Teamkognitionen in Zusammenhang mit Teamprozessen und -leistung steht (Mohammed et al. 2010; DeChurch und Mesmer-Magnus 2010; Ellwart 2011). Das von allen Teammitgliedern gemeinsam geteilte Wissen über die Aufgabe und Situation des Teams erweist sich insbesondere unter komplexen Bedingungen als Indikator für eine robuste und sichere Teamkoordination (Ellwart et al. 2014). Eine gute Teamkognition bedeuten eine Effizienzsteigerung, Verlauf der Zusammenarbeit, das Team beginnt sich „blind“ zu verstehen und benötigt weniger explizite Koordination (Badke-Schaub 2008).

Untersuchungen aus Hoch-Risiko Arbeitsfeldern thematisieren Teamkognitionen als eine Resilienz-Ressource, sie fokussieren dabei jedoch auf spezifisches Wissen zu Risiken und Gefährdungen hinsichtlich der Aufgabenanforderungen und der Organisation (z. B. Blatt 2009; Gomes et al. 2009, 2014). Das vorliegende Modell greift diesen Aspekt als Team Mental Model der Risikofaktoren auf. Ein Team Mental Model von Risikofaktoren könnte daher aus verschiedenen Wissensstrukturen entstehen, bestehend aus Risikomanagement, Risikokommunikation und den gemeinsamen Erfahrungen des Teams (zu Inhalten und Struktur der Team Mental Model vgl. Mohammed et al. 2010).

Eine weitere Spezifikation der Teamkognition diskutieren Lundberg und Rankin (2014). Sie stellten in einer Interviewstudie mit Krisenmanagementteams fest, dass das gemeinsame Verständnis zur selbstorganisierender Rollenübernahme und -improvisation in Ausnahmesituationen für die Teams eine Resilienzressource darstellt. Ähnliches beobachteten Gomes et al. (2014), dass eine ad-hoc Reorganisation der Teamkoordination nur durch das Wissen um die teaminternen Kompetenzen unter zeitkritische Bedingungen gelingen kann. Team Mental Model der Rollenübernahme und -improvisation könnten daher eine weitere, resilienzspezifische Ressource darstellen. Welchen konkreten Inhalt und Detaillierungsgrad ein spezifisches Team Mental Model zu Risiken und zur Rollenimprovisation umfassen muss, ist eine noch zu beantwortende Forschungsfrage.

3.2.2 Teambezogene Einstellungen

Aus der Sicherheitsforschung ist die Bedeutung von Grundüberzeugungen im Umgang mit Fehlern und Risiken bekannt, die zu einem achtsamen Umgang mit sicherheitskritischen Ereignissen beitragen und sich in einem sicherheitsfördernden Arbeitsklima manifestieren (siehe z. B. Weick und Sutcliffe 2007). Aus welchen Aspekten ein besonders resilienzförderndes Klima innerhalb eines Teams entstehen kann, geht aus den vorliegenden Untersuchungen nicht hervor. Dennoch werden Variablen benannt, die Ausdruck einer bestimmten Haltung und Einstellung gegenüber Risiken und Belastungen sind. Dazu zählen unter anderem die Pflege der sozialen Unterstützung der Teammitglieder untereinander (siehe z. B. Morgan et al. 2013).

Das vorliegende Modell geht davon aus, dass die Handlungsfähigkeit eines TiKAS besonders durch (1) die gemeinsame Kontrollüberzeugungen schwierige Situationen bewältigen zu können und (2) Offenheit der Teammitglieder untereinander gefördert wird (Carmeli et al. 2013). Eine gemeinsame Kontrollüberzeugung verhilft dem Team zu einer höheren Handlungsfähigkeit in dem die Situation als beherrschbarer wahrgenommen wird. Da die Situation neuartig ist und zunächst eine hohe Handlungsunsicherheit bietet, benötigt das Team eine hohe Bereitschaft der Teammitglieder sich auf neue Lösungen und Wege auch unter schwierigen Bedingungen einzulassen (ebd. 2013).

3.2.3 Individuelle Fähigkeiten und Fertigkeiten

Die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die ein resilientes Team benötigt, betreffen die vier Aspekte: 1) Risikowahrnehmung, 2) Problemlösefähigkeit, 3) Emotionale Stabilität und 4) Affektive Kommunikation.

Risikowahrnehmung ist zunächst ein Prozess der zahlreichen Bewertungen und Verzerrungen unterliegt (Renn 1984), auf den situative und personelle Faktoren Einfluss nehmen (z. B. Selbstwirksamkeit, vorhandene Alternativen). Feldstudien aus dem Kontext der Hoch-Risiko-Organisationen lassen vermuten, dass für das Team in der Früherkennung von risikohaften, fragilen Zuständen oder in der Wahrnehmung von Beinah-Fehlern (Weick und Sutcliffe 2007) eine zentrale Resilienzressource liegen kann. Gomes et al. (2009) heben hierzu Risiken hervor, die bspw. in der internen und externen Koordination auftreten können.

Problemlösefähigkeiten im Team werden in Verbindung zur Teamresilienz als die spezifischen Fähigkeiten untersucht. Sie ermöglichen, durch ein hohes Maß an Kreativität, Lösungsansätze stärker zu diversifizieren (Blatt 2009) oder einen kreativeren, atypischen Umgang mit Informationen (Kaplan et al. 2013). Blatt (2009) erhoben mittels schriftlicher Befragung von Unternehmensgründer-Teams einen Zusammenhang von Kreativität und Teamresilienz. Bei Kriseninterventionsteams stellten Gomes et al. (2014) in ihrer Beobachtungsstudie einen weiteren Aspekt der Diversifizierung fest. Eine höhere Varianz der Erfahrungshintergründe steht in positivem Zusammenhang mit resilienten Verhaltensweisen.

In der Diskussion zum Umgang von Teams mit hohen Belastungen, spielen affektive Ressourcen, wie eine hohe emotionale Stabilität und die Fähigkeit zur affektiven Kommunikation, eine wichtige Rolle. Für eine erfolgreiche Krisenbewältigung werden u. a. Faktoren wie Optimismus und positive Affektivität in den Kontext der Resilienz verortet (siehe Kaplan et al. 2013).

Die Untersuchungen von Morgan et al. (2013) bei Sportteams und Stephens et al. (2013) im Top Management Teams weisen auf einen weiteren Aspekt hin: Teams, die in der Lage sind, sich Kommunikationsroutinen anzueignen, durch die Unsicherheiten, Ängste oder Wohlbefinden verbalisiert werden können, pflegen einerseits verstärkt ihre interpersonellen Beziehungen und entwickeln andererseits eine affektive Kommunikationskompetenz für Ausnahmesituationen. Der emotionale Ausdruck und die Kommunikation eigener Erfahrungen, die von Stephens et al. (2013) auch als emotional carrying capacity bezeichnet wird, fördern das gegenseitige Verständnis und die individuelle Verarbeitungsfähigkeit schwieriger Ereignisse im Team. Vertrauen innerhalb des Teams ist dafür jedoch notwendige Voraussetzung. Trotz der Bedeutung affektiver Ressourcen für die Stressbewältigung, geht aus den vorhandenen Untersuchungen kein klares Bild ihrer Wirkungsweise und Entwicklungsmöglichkeiten für ein Team hervor, dies gilt es zukünftig zu untersuchen.

3.3 Kognitive und emotionale Prozesse in der Ausnahmesituation

Für die Betrachtung der Abläufe und Prozesse in TiKAS können in Anlehnung an das Modell des adaptiven Teamhandelns nach Burke et al. (2006) und an die Resilienz-Dimensionen von Woltjer und Hollnagel (2008) einzelne Phasen abgeleitet werden (siehe dazu Abschnitt 2.1 und 2.2).

3.3.1 Situationsbewertung

Der Prozess der Situationsbewertung auf Teamebene kann definiert werden als „active construction by team members of a situation model which is partly shared and partly distributed and from which they can anticipate important future states“ (Artman 2000, S. 1113). Die gemeinsame Wahrnehmung und Bewertung von Signalen oder Hinweisreizen, welche einen Veränderungsbedarf anzeigen (sogenannte cues; Maynard et al. 2015) stellt somit einen wesentlichen Prozess der angemessenen Situationsbewältigung dar. Er ermöglicht der Gruppe, das Teamwissen aller Teammitglieder zur Situation, Aufgabe und zu Teamprozessen zu aktualisieren und zu synchronisieren (Uitdewilligen et al. 2013), um anschließend notwendige Verhaltensänderungen zu planen und anzustoßen.

TiKAS profitieren davon, wenn ihre Situationsbewertung auf die Abschätzung vorhandener situativer Risiken wie beispielsweise Veränderungen der verfügbaren Zeit, Personalressourcen oder Gefahren für Leib und Leben fokussiert. Ganz wesentlich ist dabei, dass aus den individuellen Wahrnehmungen und -bewertungen einzelner Teammitglieder durch Reflexion und Planung ein gemeinsam geteiltes Situationsbewusstsein samt Handlungs- und Aufgabenbewusstsein entsteht. Dieses Bewusstsein leitet das Team in kritischen Ausnahmesituation und lässt es koordiniert interagieren (DeChurch und Mesmer-Magnus 2010; Lim und Klein 2006). Obwohl das situative Bewusstsein sowohl auf individueller als auch auf Teamebene Berücksichtigung findet, unterscheiden sich Teammitglieder sowohl in der Suche nach Hinweisreizen als auch in deren individueller Beurteilung (Ellwart et al. in press). Hier ergeben sich wichtige Modellkomponenten für die Bewältigung kritischer Ausnahmesituationen. Nach Untersuchungen in Hoch-Risiko Arbeitsbereichen ist insbesondere (1) eine proaktive Fehler- bzw. Gefahrenanalyse wichtig (Bergström et al. 2011). Ergebnisse aus Untersuchungen zur Affektivität von Teammitgliedern auf die Problemlösefähigkeit in Teams weisen darauf hin, dass (2) eine zunächst heterogene Situationsbewertungen durch die Teammitglieder notwendig ist, die dann zu einem gemeinsamen Handlungsmodell synchronisiert werden muss (Kaplan et al. 2013). Beide Prozesse sind für die Teamresilienz notwendig: das proaktive Feststellen von Risiken verschafft dem Team mehr Handlungsmöglichkeiten. Eine diverse Situationsbewertung ist ein Schutzfaktor, wenn eine hohe positive Affektivität vorliegt, bei der die Teammitglieder dazu neigen, Risiken zu unterschätzen (ebd.). Neben der vorhandenen Affektivität nehmen zudem die Erfahrungen des Teams Einfluss darauf wie sehr die Situation als eine Ausnahmesituation und damit als belastend erlebt wird (Fletcher und Sakar 2013).

Es liegt nahe, dass Teamprozesse, die zur Teamresilienz beitragen sich durch eine kontinuierliche, aber dennoch spezifische Situationsbewertung, auszeichnen. Aber, die Risikoeinschätzungen erhöhen die Komplexität einer kritischen Ausnahmesituation – und kosten unter Umständen auch mehr Zeit – andererseits wird die Situation durch das Team besser antizipiert, was in einer subjektiv höheren Situationskontrolle resultieren kann. Das richtige Verhältnis dieser beiden Prozesse sollte Gegenstand weiterer Forschungsarbeiten zu diesem Themenfeld sein. Unter praktischen Gesichtspunkten ist diesem Teamprozess zur Stärkung der Teamresilienz bspw. im Rahmen von Teamentwicklungen erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken.

3.3.2 Planung

Die Phase der Handlungsplanung dient u. a. der Festlegung der Vorgehensweise zur Anpassung an eine kritische Teamsituation, der Zielformulierung sowie der Rollen- und Verantwortungsklärung (Burke et al. 2006). Berücksichtigt man die Anforderungen der TiKAS wird deutlich, dass sich ein Team in einem Spannungsfeld zwischen hohen Planungserfordernissen und fehlenden Kapazitäten bewegt. In Simulatoruntersuchungen zeigten erfolgreiche im Vergleich zu weniger erfolgreichen Cockpit-Crews Unterschiede in ihrem Planungsvorgehen: Sie wählten eine Rollenverteilung in der eine oder mehrere Personen durch die anderen Teammitglieder entlastet werden, um die Gesamtsituation zu bewerten und daraus Schlussfolgerungen ableiten zu können (siehe Häusler et al. 2004).

Unter komplexen Bedingungen wie z. B. im Krisenmanagement zeigen Planungsprozesse einen iterativen Verlauf von kontinuierlichem Planen und Umplanen, die durch eine aktive Fehlersuche unterstützt werden (Kontogiannis 2011). Die Hauptanforderung für TiKAS liegt darin, sich die Offenheit für neue Lösungsansätze und alternative Vorgehensweisen zu erhalten und zugleich die Möglichkeiten des Teams im Blick zu behalten. Ein hohes Maß an Flexibilität in der Rollenwahrnehmung und eine kommunikative Offenheit sind Voraussetzung, um Strukturen und Prozessen mit anpassen zu können. Die Anpassung ist bei einem stark ausgeprägten Team Mental Model als impliziter Prozess zu beobachten (z. B. Burtscher et al. 2011). Für TiKAS wird daher angenommen, dass sich die Iterationen sowohl auf Planung der Rollen- und Handlungsmöglichkeiten (Lundberg und Rankin 2014) (z. B. Stellvertreterregelungen, Erstellen von Personalplänen) als auch auf die psycho-physischen Kapazitäten (z. B. körperliche Fitness, mentale Erschöpfung) beziehen.

3.3.3 Kommunikation

TiKAS handeln unter hoher Unsicherheit und benötigen, neben einer hohen Fähigkeit Risiken und Probleme zu bewerten, auch die Fähigkeit sich ihren aktuellen psycho-physischen Zustand mitzuteilen (vgl. Abschnitt 3.2.1). Diese Fähigkeiten finden Eingang in die Teamkommunikation und unterstützen dadurch das Ansprechen von emotionalen Zuständen, Stimmungen oder Fehlern und Risikofaktoren („Speak up“-Kommunikation) (Edmondson und Lei 2014). Dass die Teamkommunikation individuelle Belastungsgrenzen thematisieren sollte und um vorhandene Ressourcen – physischer, kognitiver oder emotionaler Art – in der Ausnahmesituation verfügbar zu machen oder umzugestalten wurde von Carmeli et al. (2013) als eine zentrale Resilienz-Dimension festgehalten.

Die Wahrnehmung und gemeinsame Interpretation eines Belastungsfaktors im Team (z. B. Zeitdruck oder Ausnahmesituation) besitzt einen wesentlich höheren Einfluss auf die Teamleistung, als der Stressor selbst (Edwards et al. 2014). Untersuchungen von Teams unter Extrembedingungen (simulierte Mars Mission; Bishop et al. 2009) geben Hinweise, dass unterschiedliche oder gar gegenläufige Bewältigungsstrategien (aufgabenbezogenes vs. emotionales Coping) eine hohe Interaktionsdynamik erzeugen können, die stark emotionales Copingverhalten zu einem zusätzlichen Belastungsfaktor für die Gruppe werden lässt (Bishop et al. 2009). Die Dynamiken der Stressbewältigung im Team und der Zusammenhang mit der Risikokommunikation sind in Ansätzen erforscht, bedürfen im Kontext der Teamresilienz jedoch weiterer Klärung.

Im TiKAS-Modell wird davon ausgegangen, dass die Teamkommunikation zu Risiken besonders die psycho-physischen Kapazitäten zum Gegenstand haben sollte, die wiederum eine Form der Stressbewältigung (Coping) im Team initiieren kann.

3.4 Auswirkungen und Konsequenzen

Inwiefern resiliente Teams (kritische) Arbeitssituationen kognitiv und emotional bewältigen und welche Konsequenzen für die Teamentwicklung daraus resultieren, wird in der gesichteten Literatur nur rudimentär diskutiert. Erste Überlegungen gehen davon aus, dass resiliente Teamprozesse das Stresserleben und die -bewältigung zu unterschiedlichen Zeitpunkten generell positiv beeinflussen (Fletcher und Sakar 2013).

Für das TiKAS Modell werden zwei zeitlich versetzte Wirkungsmechanismen angenommen: einerseits führen resiliente Teamprozesse zu einer kurzfristigen Stressbewältigung, die sich durch eine geringere kognitive und emotionale Beanspruchung auszeichnet andererseits können mittel- und langfristige Konsequenzen der Teamentwicklung beobachtet werden. Das Team fühlt sich den Anforderungen gewachsen, beherrscht die Situation besser und reduziert dadurch die Kritikalität der Anforderungen (siehe Abb. 2). Längerfristig verändert sich die Qualität des Team Mental Model, indem Belastungen und Risiken reflektiert werden.

3.5 Zukünftige Forschungsfragen

Die für TiKAS herausgearbeiteten Modellvariablen basieren auf empirischen und theoretischen Arbeiten ganz unterschiedlicher Forschungstraditionen. Gerade durch diese rein konzeptionelle Integration bedürfen die postulierten Zusammenhänge einer empirischen Überprüfung. Zukünftige Forschungsfragen lassen sich nach den drei Variablengruppen des TiKAS-Modells strukturieren:

  1. 1.

    Relevante Einflussgrößen: Das Modell sieht mehrere resilienzfördernde Einflussgrößen vor, die gleichwertig in das Konzept eingehen. Zukünftig ist der Frage nachzugehen, welche Wechselwirkungen die individuellen und teambezogenen Eingangsfaktoren untereinander besitzen, und mit welcher Bedeutung sie in den Interaktionsprozessen wirksam werden. Für die geforderten Teamkognitionen steht insbesondere die Frage nach der Konkretheit (vs. Abstraktion) der Wissensrepräsentation von Risiken und individuellen sowie teambezogenen Kapazitäten im Raum.

  2. 2.

    Vermittelnde Zustände und Prozesse: In Anlehnung an Maynard et al. (2015) werden im TiKAS-Modell die Prozesse der Teamresilienz in den Kontext der Adaptivität verortet und greifen deren Systematik auf. Diese integrierte Betrachtung erfordert es, die situativen Auslöser resilienter Prozesse und die handlungsleitenden Merkmale von Ausnahmesituationen weiter zu spezifizieren. Neben den Auslösern ist die Dynamik der Teamresilienz anhand von emotionalen und kognitiven Feedbackprozesse zu untersuchen. Die Untersuchung der sich verstärkenden und damit Resilienz fördernden oder nivellieren und damit Resilienz mindernden Teamprozessen ist essentiell für einen Praxistransfer in die Teamentwicklung (zur Notwendigkeit dynamische Teamprozesse z. B. durch System Dynamics Modellierungen zu untersuchen, siehe Cronin et al. 2011).

  3. 3.

    Kurz-, mittel- und langfristige Konsequenzen und Auswirkungen: Die Untersuchung Resilienzprozesse und deren Resultate sind auf objektivierbare Größen wie bspw. Krankheitstage, Sicherheitsvorkommnisse oder messbare Leistungsparameter zu beziehen. Hinsichtlich der Stressprävention ist sicherlich die Fragestellung nach den Ausprägungen und Kommunikationsinhalten der akuten Anpassungsprozesse für die betriebliche Praxis relevant. Bei der Untersuchung größere Entwicklungslinien des Wissens- und Erfahrungsaufbaus, sind der Einfluss und die Wirkung bewältigter Situationen auf die Wahrnehmung späterer Ausnahmesituationen näher zu betrachten.

4 Konsequenzen für die Praxis

Die in vielen Arbeitsfeldern zunehmende Dynamik, Informationsdichte und technische Komplexität, schafft einen erhöhten Bedarf kritische Ausnahmesituationen frühzeitig und nachhaltig zu antizipieren. Das TiKAS-Modell zeigt, dass sowohl individuelle Fähigkeiten als auch Teamressourcen zur Etablierung von Prozessen der Teamresilienz notwendig sind.

Teamentwicklung.

Das TiKAS-Modell leistet in der vorliegenden Form einen Beitrag zur Evaluierung und Weiterentwicklung vorhandener Teamtrainingskonzepte. Die Variablen sind aus der heutigen Sicht für alle Teams und deren denkbaren Ausnahmesituationen gültig. Für TiKAS zeigt das Modell, dass die teambezogene Analyse von und der Austausch zu teaminternen Kapazitäten (z. B. mentale und körperliche Fitness) und Risikofaktoren (z. B. unvorhersehbare Situationen, Ausfälle, krisenhafte Entwicklungen) ein zentraler Bestandteil einer Teamentwicklung sein sollte. Teamresilienz sollte durch ein Training kognitiver wie emotionaler Ressourcen und Interaktionen gefördert werden, die das Erleben und Verhalten in Ausnahmesituationen zum Hauptgegenstand der Teamreflexion machen.

Teamdiagnostik.

Eine theoriegestützte, empirisch validierte Teamdiagnostik erscheint für die Teamresilienz ein besonders lohnenswertes Anwendungsfeld, da es ein Team in der Bestandsaufnahme seiner Voraussetzungen und seinen Entwicklungsmöglichkeiten unterstützen kann. So bietet die Teamdiagnostik einerseits Ansatzpunkte für Trainings- und Unterstützungsmaßnahmen, andererseits kann die Rückmeldung der Teamdaten in Form eines Feedbacks die Anpassungsleistung der Gruppe erhöhen. Die Wirksamkeit von situationsnahen Teamfeedbacks mit Blick auf die anschließende Adaptation und Prozessoptimierung konnte bereits empirisch bestätigt werden (Ellwart et al. 2015).

Prozessunterstützung.

Aufgrund der geringen Vorhersehbarkeit von Ausnahmesituationen sind Feedbackmechanismen, die die Reflexion zur situativen Teamresilienz (Visualisierungstool, Trend, dynamische Ansicht o. ä.) unterstützen, ein weiteres Praxisfeld, das durch eine fundierte Modellentwicklung unterstützt wird. Anwendungen wie z. B. das Online Team Awareness Tools (OnTEAM; Ellwart et al. in press), das die Teamadaptation unterstützt, sind für Prozessgrößen wie Diversität der Situationsbewertungen oder affektive Kommunikationsinhalte weiterzuentwickeln.