Einleitung

Personal- und Organisationsentwicklung (PE/OE) ist in den letzten Jahren für viele Organisationen zur Selbstverständlichkeit geworden. Es gibt kaum ein großes Unternehmen, das ohne einschlägige Abteilungen auskommt, auch Klein- und Mittelbetriebe bieten entsprechende Maßnahmen an. Für externe und interne Beraterinnen und Berater ergibt sich hier ein attraktives Arbeitsfeld.

In regelmäßigen Abständen werden neue oder vermeintlich neue Methoden der PE und OE vorgestellt und diskutiert. Die Einschätzung und Bewertung der Methoden ist teils positiv-wohlwollend, teils kritisch (z. B. Sonnentag, Niessen & Ohly, 2004; Hamborg & Holling, 2003; Neuberger, 1994). Eine differenzierte Debatte von Maßnahmen und Methoden erfolgt jedoch kaum. Dies ist kein Wunder. Die Diskussion über Stärken und Schwächen, über Fortschritt und Stillstand einschlägiger Interventionen ist nicht einfach – zu unterschiedlich sind Ziele und Ansprüche, Ausgangspunkt, Rahmenbedingungen und konkrete Prozesse in den verschiedenen Handlungsfeldern von PE.

PE hat die Förderung beruflicher Handlungskompetenz zum Ziel. Die Förderung beruflicher Handlungskompetenz kann Überforderungssituationen beim Umgang mit Anforderungen vermeiden bzw. reduzieren, indem personale Ressourcen optimiert werden (Sonntag, 2004). Ressourcen können in der Person liegen, aber auch in der Arbeitsaufgabe und -organisation sowie im sozialen Umfeld. Damit wird zum einen deutlich, dass PE von Arbeitsgestaltung und OE nicht zu trennen ist, zum anderen, dass ein wesentlicher Gegenstand von PE/OE Stressprävention und Gesundheitsförderung ist.

Im vorliegenden Artikel sollen exemplarisch für Stress- und Ressourcenmanagement zentrale Charakteristika von Maßnahmen der PE kritisch gewürdigt werden. Unter Stress- und Ressourcenmanagement (SRM) verstehen wir diejenigen Maßnahmen, die dazu dienen, Stress am Arbeitsplatz zu reduzieren und Ressourcen zu unterstützen. SRM ist ein Teil betrieblicher Gesundheitsförderung.

Das Beispiel SRM wurde bewusst gewählt. Aktuelle Zahlen zeigen, dass der Bedarf nach stressbezogenen Interventionen besonders hoch ist. Zu den häufigsten Belastungen zählen Leistungs- und Termindruck (BiBB/BAuA-Erwerbstätigenbericht, 2005 / 06). Europaweit betrifft Stress mehr als 22 % der Erwerbstätigen und wird mit Muskel- und Rückenschmerzen sowie Erschöpfung am häufigsten genannt (European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions, 2007). Auf dem Hintergrund des individuellen Leids und der gesellschaftlichen Kosten ist es kein Wunder, dass Stressmanagementinterventionen vergleichsweise oft durchgeführt werden und dass hohe Erwartungen mit ihnen verknüpft werden. Stress zu reduzieren und Ressourcen im Umgang mit Stress zu erhöhen ist eine wichtige Aufgabe für die Arbeitspolitik, für Betriebe und Verbände sowie für die Betroffenen selbst.

Auch wenn die Interventionen aus dem Anlass initiiert werden, Stress der Betroffenen zu reduzieren und Gesundheit zu erhöhen, so zeigt sich im Laufe des Prozesses, dass im Rahmen von Stress- und Ressourcenmanagement andere Handlungsfelder der PE und OE angesprochen werden müssen. Dies betrifft z. B. Lernen am Arbeitsplatz, Kommunikation und Kooperation, Teamentwicklung oder Führung. Steinmetz (2006) z. B. beschreibt ein Stressmanagement-Coaching, das ein Betrieb im Rahmen der Gesundheitsförderung und der Führungskräfteentwicklung extern in Auftrag gegeben hat. Bei dieser Intervention wurden klassische Inhalte von Stressmanagement einbezogen, z. B. Bewältigungsstrategien und Entspannung. Es ging jedoch auch um Fragen, die sich auf kooperative Bezüge und die Arbeitsorganisation beziehen. Ähnlich umfassen Interventionen zu Mobbing nicht nur die individuelle Betroffenheit der Mobbingopfer, sondern auch Möglichkeiten, Konflikte in Organisationen zu reduzieren oder zu verhindern (Resch & Roscher, 2005). Es hat sich deshalb die Perspektive durchgesetzt, betriebliche Gesundheitsförderung und damit Stress- und Ressourcenmanagement integriert im Rahmen der PE und/oder OE zu sehen.

Stress- und Ressourcenmanagement

Zu Gesundheitsförderung sowie zu Stress- und Ressourcenmanagement liegen zahlreiche Bücher und Artikel vor. Neben den Publikationen, die sich an die Betroffenen selbst richten und die hier nicht berücksichtigt werden, gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen, vor allem in Büchern, in denen theoretische Grundlagen, Inhalte und Maßnahmen zu Stress- und Ressourcenmanagement in der Arbeitswelt beschrieben und erläutert werden (z. B. Bamberg, Busch & Ducki, 2003). Einige Veröffentlichungen liefern detaillierte Informationen zu Interventionsmethoden (z. B. Meichenbaum, 2003; Kaluza, 2004, 2007). In diesen Publikationen finden sich häufig Vorschläge zum Vorgehen und unterstützende Unterlagen, wie z. B. Checklisten.

In einer weiteren Gruppe von Artikeln, die vor allem in Dissertationsschriften und in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht werden, steht die theoretisch fundierte Entwicklung von Interventionen und deren Evaluation im Vordergrund (z. B. Busch, 2004; Steinmetz, 2006). Eine andere Gruppe von Arbeiten bemüht sich insbesondere um die angemessene Evaluation der Maßnahmen (z. B. Randall, Cox & Griffiths, 2007). Last but not least bemühen sich Wissenschaftler um eine vergleichende Bewertung der Wirksamkeit von Maßnahmen in Form von Reviews, Metaanalysen oder Überblicksartikeln (z. B. Busch, 2004; Bamberg & Busch, 2006; Semmer, 2003, 2006).

Evaluationsstudien sind, was die Beschreibung der Intervention anbelangt, häufig knapp. Das hat zur Folge, dass aus ihnen oft nicht ersichtlich wird, wie interveniert wurde. So wird z. B. darauf verwiesen, dass ein multimodales Stressmanagementtraining durchgeführt wurde, Informationen über die Inhalte der Trainings fehlen jedoch. Bedingungsbezogene Veränderungen, etwa der Arbeitsaufgabe, werden benannt, es bleibt aber unklar, was darunter zu verstehen ist oder was tatsächlich umgesetzt wurde. Auch werden in der Regel die Interventionsmethoden nicht näher ausgeführt. Trotz dieser Grenzen lässt sich aufgrund vorliegender Publikationen der aktuelle Stand von SRM kritisch würdigen. Auf einige zentrale Punkte soll im Folgenden näher eingegangen werden.

Theoretische Fundierung und Interventionskonzepte

In den letzten Jahrzehnten wurden viele, z. T. methodisch aufwändige Studien zu Stress durchgeführt (vgl. im Überblick z. B. Zapf & Semmer, 2004). Aktuell stellt die Erholungsforschung interessante Ergebnisse für SRM bereit (z. B. Fritz & Sonnentag, 2006). Stress gehört damit zu den Themenbereichen, die gut untersucht sind und für die differenzierte, sich wechselseitig ergänzende Modelle vorliegen. Diese bilden die theoretische Fundierung der Stressmanagementinterventionen.

Das die stresstheoretische Diskussion dominierende transaktionale Stresskonzept (Lazarus, 1999) betont den Prozesscharakter des individuellen Stressgeschehens. Besondere Bedeutung kommen den individuellen Bewertungs- und Bewältigungsprozessen zu. Arbeitsweltbezogene Stressmodelle, wie das Job-Demand-Control Modell von Karasek (Karasek, 1979; Karasek & Theorell, 1990; De Lange, Taris, Kompier, Houtman & Bongers, 2003), das P-E-fit-Modell (Edwards, Caplan & Van Harrison, 1998; French, Caplan & Van Harrison, 1982) und das Job-Diagnostic-Modell von Hackman und Oldham (1975, 1980) verweisen auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung bedingungsbezogener Merkmale. Zu berücksichtigen sind demnach Anforderungen bei der Arbeitstätigkeit wie Komplexität der Arbeitsaufgabe, Belastungen wie Zeitdruck oder arbeitsorganisatorische Probleme und Ressourcen wie z. B. Handlungsspielraum und soziale Unterstützung. Ergebnisse der Erholungsforschung implizieren eine Reflexion und aktive Planung der Erholungszeit, wie das bewusste Abschalten von negativen Arbeitserfahrungen.

Für Interventionen zu Stress- und Ressourcenmanagement ergibt sich aus den genannten Konzepten als wichtige Konsequenz, dass nicht nur Fähigkeiten und Fertigkeiten im Umgang mit Stresssituationen und Erholung, sondern auch Bedingungen der Arbeit zu analysieren und in entsprechenden Interventionen einzubeziehen sind. Neben personenbezogenen Interventionen ist die Analyse und Veränderung der stressauslösenden Bedingungen unerlässlich, wenn langfristige Verbesserungen erzielt werden sollen.

Wie bei den theoretischen Grundlagen, so wurde in den letzten Jahren auch hinsichtlich Interventionskonzepte viel Entwicklungsarbeit geleistet (vgl. Bamberg et al., 2003). Es liegen eine Reihe von Konzepten zu Stress- und Ressourcenmanagement, von Maßnahmen und Methoden vor. Die Praxis von stressbezogenen Interventionen lässt sich wie folgt charakterisieren (vgl. z. B. Bamberg, Ducki & Greiner, 2004; Bamberg, Busch & Mohr, 1999): Eine Analyse oder Diagnostik als Ausgangspunkt der Interventionen wird in einigen, aber nur wenigen Fällen durchgeführt. Abweichend von dem theoretischen Konsens und von eher vereinzelten Initiativen und Positivbeispielen sind die Mehrheit der praktizierten Maßnahmen zu Stress- und Ressourcenmanagement personenbezogene Trainings mit dem Ziel der Verhaltensänderung. Bei den personenbezogenen Trainings dominieren kognitiv-behavioralen Methoden und Entspannungsmethoden. Ein Beispiel im deutschsprachigen Raum ist das Konzept „Gelassen und sicher im Stress“ von Kaluza (2007); zu den wesentlichen Merkmalen gehört die Betonung von Ressourcen der Teilnehmenden.

Wenn bedingungsbezogene Interventionen durchgeführt werden, dann beziehen sich diese auf die klassischen Ansatzpunkte von Arbeitsgestaltungsmaßnahmen, wie die Arbeitsaufgabe (Komplexität, Variabilität und Autonomie), die Arbeitsbedingungen, (ergonomische Bedingungen, Arbeitszeit, Arbeitsintensität), Rollenambiguität und Rollenunsicherheit sowie soziale Beziehungen und schließlich Gruppenarbeit. Eine bedingungsbezogene Herangehensweise an die Reduktion von Stress verfolgt z. B. die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA), ein nationales Programm zur Verbesserung der Qualität der Arbeit, für den besonders belasteten – ambulanten und stationären – Pflegebereich unter dem Motto „Gesunde Pflege ohne Stress (GEPOS)“ (www.inqa.de).

Es gibt auch einige Interventionskonzepte, die versuchen, eine personen- und bedingungsbezogene Herangehensweise in einer Intervention zu integrieren, z. B. Bunce & West (1996), Busch (2004) oder Stück, Rigotti & Mohr (2004). Busch (2004) entwickelte beispielsweise ein multimodulares Teamtraining im Call Center; zwei Module umfassten ein individuelles Entspannungstraining, ein Training in Selbstinstruktionen und ein Problemlösetraining; in zwei weiteren Modulen wurde die Reflexion von stressbezogenen Teamprozessen, soziale Unterstützung im Team und gemeinsames Problemlösen thematisiert.

Effektivität

Die Evaluationsstudien, Metaanalysen und Reviews zu Stress- und Ressourcenmanagement ergeben ein heterogenes Bild hinsichtlich der Effektivität der Maßnahmen (vgl. Bamberg & Busch, 2006; Busch, 2004; Bamberg & Busch, 1996; Murphy, 1996; Richardson & Rothstein 2008; Van der Klink, Blonk, Schene & Dijk, 2001; Roscher, 2002). Bei den personenbezogenen Trainings sind kurz- bis mittelfristige Effekte hinsichtlich psychischer, physiologischer und somatischer Stresssymptome nachgewiesen. Bei den bedingungsbezogenen Interventionen sind die Ergebnisse widersprüchlich (vgl. Semmer, 2006; Semmer & Zapf, 2004; Bamberg & Busch, 2006). Bei einer Bewertung der Ergebnisse sind jedoch Charakteristika der Evaluationsstudien zu berücksichtigen. Aufgrund der knappen Beschreibung der Interventionen (s. o.) bleibt häufig offen, was eigentlich trainiert wurde. Des Weiteren fehlen Studien, die neben einer Ergebnisevaluation auch eine Prozessevaluation aufweisen. Allerdings zeigt sich in den letzten Jahren ein vermehrtes Interesse an der Prozessevaluation (Bunce, 1997; Busch, 2004; Randall et al., 2007; Reynolds, Taylor & Shapiro, 1993a,b). Diese zeigen Moderatoren und Mediatoren der Veränderung auf.

Evaluationsstudien beziehen sich oft auf Einzelmaßnahmen, deren kurz- und mittelfristige individuumsbezogene Effekte geprüft werden. Langfristige Effekte im Vergleichsgruppendesign werden selten untersucht. Effekte, die über die teilnehmenden Individuen hinausgehen, z. B. deren soziales Umfeld betreffen, werden nicht berücksichtigt. Auch betriebswirtschaftliche Effekte spielen bei der Evaluation von Stress- und Ressourcenmanagement bisher keine Rolle.

Weiter oben wurde auf die unterschiedlichen Schwerpunkte in der Literatur zu SRM verwiesen: In der Regel wird entweder ausführlich auf Inhalte oder auf Evaluationsmethoden eingegangen. Durch diese alternative Schwerpunktsetzung sind kaum Aussagen möglich, inwieweit die konkreten Inhalte, Schwerpunkte und Methoden, also das, was in diversen Schriften zu Stress- und Ressourcenmanagement propagiert wird, in der Praxis wirksam ist. Unklar bleibt also, was entscheidend für die Wirksamkeit von SRM ist.

Aufgrund häufig fehlender Analyse und Diagnostik kann ferner nur begrenzt davon ausgegangen werden, dass die Konzepte die konkreten Bedingungen, Bedürfnisse oder Entwicklungspotentiale der Teilnehmenden aufgreifen.

Kontext und Zielgruppen

Die Aufarbeitung und Systematisierung der Literatur zu betrieblichen Stressmanagementinterventionen ergab das zunächst erstaunliche Ergebnis, dass das Label „betrieblich“ nicht unbedingt impliziert, dass die Maßnahmen in dem jeweiligen Betrieb der Teilnehmenden durchgeführt werden oder von dort aus veranlasst werden. Betriebliches Stressmanagement heißt lediglich, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwerbstätig sind und die Bedingungen der Erwerbsarbeit in den Maßnahmen thematisiert und bearbeitet werden. Die Stressmanagementinterventionen, über die Publikationen vorliegen, wurden nur zum Teil unternehmensintern angeboten und durchgeführt. Es gibt zwei weitere Varianten der Bindung von SRM an die Betriebe, in denen die Teilnehmenden arbeiten. In manchen Fällen besteht kein Bezug – die Teilnehmenden melden sich für eine extern angebotene Intervention (etwa der Volkshochschule) an. In dem bereits weiter oben angeführten Beispiel von Steinmetz (2006) entschied sich der Betrieb, im Rahmen der Führungskräfteentwicklung verschiedene Maßnahmen der Gesundheitsförderung anzubieten. Diese Interventionen wurden nicht intern, sondern durch Externe geplant und ausgeführt. Entsprechend der organisatorischen Lösung ist auch die inhaltliche Anbindung an andere Maßnahmen der Personalentwicklung bei Stressmanagement und bei BGF unterschiedlich ausgeprägt. In manchen Fällen findet eine Abstimmung, mit anderen Maßnahmen, z. B. des Arbeits- und Gesundheitsschutzes statt, in anderen Fällen findet sich dieser Bezug nicht. Ist letzteres der Fall, dann besteht die Gefahr, dass betriebliche Stresssituationen in der Intervention nicht berücksichtigt werden können.

Ein im Kontext betrieblicher Gesundheitsförderung häufig genannter Kritikpunkt betrifft die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bzw. die Zielgruppen. International und national liegen zahlreiche empirische Ergebnisse zur gesundheitlichen sozialen Ungleichheit vor (z. B. Robert-Koch-Institut, 2006; Mielck & Bloomfield, 2001). Sie belegen, dass Angehörige unterer sozialer Schichten einer erheblich höheren Mortalität und Morbidität ausgesetzt sind als Angehörige der oberen sozialen Schicht. Bei den klassischen Indikatoren der sozialen Ungleichheit spielt neben (Aus-)Bildung und Einkommen die Arbeitstätigkeit eine zentrale Rolle. Die Arbeitstätigkeit bestimmt das Ausmaß an täglich wirksam werdenden Belastungen, Anforderungen, Einflusschancen und Entwicklungsmöglichkeiten (Peter, 2001). So übt die Gruppe der Un- und Angelernten häufig Tätigkeiten aus, die durch eine Kombination aus geringer Kontrolle bei gleichzeitig hohen körperlichen und psychosozialen Belastungen gekennzeichnet sind (Röttger, Friedel & Bödeker, 2003). Diese Kombination ist verbunden mit geringen Lernchancen durch die Arbeitstätigkeit und mit einer erhöhten Gefährdung der Gesundheit. An- und ungelernte sind besonders vom Verlust des Arbeitsplatzes bedroht. Ihre Arbeitslosenquote ist mit Abstand am höchsten (Brinkmann, Dörre, Röbenack, Kraemer & Speidel, 2006). Durch fehlende oder kurze Ausbildungszeiten sind sie arbeitsbedingten Gefahren und Risikopotentialen länger ausgesetzt als Menschen höherer sozialer Schichten. Personale Ressourcen, wie allgemeine Problemlösekompetenzen, Selbstvertrauen, generelle Lebenszufriedenheit und optimistische Zukunftserwartungen sind geringer ausgeprägt (Geyer, 1997). Auch das Gesundheitsverhalten ist bei Mitgliedern unterer sozialer Schichten deutlich schlechter ausgeprägt: nach der aktuellen, nationalen Verzehrstudie sind 35% der Frauen in der unteren sozialen Schicht fettleibig, 24% der Männer (Süddeutsche Zeitung, 30.01.2008).

70% der Männer und Frauen mit sehr niedrigem Bildungsstatus sind nicht regelmäßig sportlich aktiv, Männer mit niedrigem Bildungsniveau rauchen doppelt so häufig wie jene mit hohem Bildungsniveau (Robert-Koch-Institut, 2006). Obwohl das erhöhte gesundheitliche Risikopotential für diese Gruppe als empirisch belegt gelten kann, liegen keine Präventionsprogramme vor, die der Zielgruppe angemessen Rechnung tragen.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft fehlendes Gender mainstreaming in der BGF (Badura, Schröder & Vetter, 2008). Einen zusammenfassenden Forschungsüberblick über berufliche Belastungs-/ Ressourcenkonstellationen und die Gesundheit von Frauen gibt der ‚Bericht zur gesundheitlichen Lage von Frauen in Deutschland‘ (BMFSFJ, 2002); zu „Geschlechteraspekte im betrieblichen Gesundheitsmanagement“ der aktuelle Fehlzeitenreport 2007 (Badura et al., 2008). Über verschiedene Berufsgruppen hinweg zeigen sich für Frauen extrem ungünstige Kombinationen aus hohen körperlichen und psychischen Beanspruchungen bei gleichzeitig geringen Anforderungen (BMFSFJ, 2002). Zeitbudgeterhebungen belegen, dass bedingt durch die Hauptzuständigkeit der Frauen für die Haus- und Familienarbeit ihre Erholungsmöglichkeiten am Ende eines Arbeitstages im Vergleich mit Männern deutlich niedriger sind (Blanke, Ehling & Schwarz, 1996). Frauen in unteren sozialen Schichten unterliegen besonderen Belastungskonstellationen (Griffin, Tucker & Liburd, 2006). Gering qualifizierte Frauen finden sich oftmals in geringfügigen, teilweise illegalen Beschäftigungsverhältnissen. Trotz der besonderen Belastungskonstellation werden Frauen bei stress- und gesundheitsbezogenen Maßnahmen selten gezielt berücksichtigt. Positive Ausnahmen sind z. B. das Programm Health Work for Women (Campbell, Tessaro, Devillis, Benedict, Kelsey & Belton, 2002).

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Zu SRM wurden in den letzten Jahren theoretische Grundlagen, Analyseverfahren sowie Interventionskonzepte erarbeitet. Evaluationsstudien verweisen auf die Wirksamkeit der Maßnahmen, wenngleich nur begrenzt bekannt ist, was eigentlich wirkt. SRM richtet sich nicht an die Erwerbstätigen mit besonders hohen Belastungen, wie niedrig qualifizierte Beschäftigte. Es überwiegt der Einsatz von Standardprogrammen, die relativ unabhängig von der Zielgruppe durchgeführt werden. Dies wird auch dadurch begünstigt, dass Stressmanagement nur teilweise innerhalb von Betrieben durchgeführt wird. In vielen Fällen steht es den Beschäftigten offen, an Stressmanagementinterventionen, die extern angeboten werden, zu partizipieren. Bedingungsbezogene Interventionen oder integrierende Konzepte werden durch diese Strategie erschwert. Sie werden insgesamt nur selten verfolgt.

Stressmanagement und Personalentwicklung

Gesunde, qualifizierte, motivierte und leistungsfähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind für Betriebe und Verwaltungen unerlässlich. Personal- und Organisationsentwicklung kommt deshalb eine hohe Bedeutung zu.

Publikationen zu PE lassen sich ähnlich charakterisieren wie die zu Stress- und Ressourcenmanagement. Es finden sich viele Veröffentlichungen, entweder zu PE als Konzept oder zu spezifischen Handlungsfeldern, wie Training (z. B. Sonnentag et al., 2004). Hier werden Inhalte, Schwerpunkte und Methoden ausführlich dargestellt. Die Publikationen enthalten oft Vorschläge zum Ablauf und unterstützende Materialien. Es gibt ferner Evaluationsstudien. Hier wird auf Interventionsschwerpunkte und –methoden nur relativ knapp eingegangen – so dass oft nicht ganz klar ist, was genau evaluiert wurde. Die positiven Effekte von Trainings auf individueller Ebene gelten als bestätigt (Arthur, Bennett, Edens & Bell, 2003). Im Rahmen der Personalentwicklung wird in jüngerer Zeit gefordert, nicht nur die Effektivität, sondern auch die Effizienz von Maßnahmen zu prüfen; hierzu liegen unterschiedliche Modelle vor. Ein Verfahren für die Nutzenoptimierung stellt die Conjoint-Analyse von Niebergall und Schulz (1996) dar.

SRM zeichnet sich, wie oben zusammengefasst wurde, dadurch aus, dass zur Fundierung der einschlägigen Interventionen nützliches Wissen über die Wirkungen von Stress auf Gesundheit und Wohlbefinden sowie über Analyse- und Interventionsmethoden erarbeitet wurde. Stress- und Ressourcenmanagement ist aber nur eines der vielen Handlungsfelder der PE. Die theoretische und wissenschaftliche Basis der verschiedenen Maßnahmen zu PE und OE ist zwangsläufig viel heterogener. Einige Handlungsfelder haben eine lange Tradition verbunden mit Forschung, Erfahrungswissen und Diskussionen über Modelle und Strategien. Dies betrifft etwa das Thema Training. So ist das Behavior Modeling Training im Rahmen von Trainings zur Verhaltensmodifikation aufbauend auf der Theorie des sozialen Lernens eine besonders effektive Trainingsmethode nach der Metaanalyse von Burke und Day (1986). In anderen Bereichen werden Maßnahmen aus dem Bedarf der Praxis heraus entwickelt, theoretisches und methodisches Wissen werden hier allenfalls zeitlich verzögert generiert, z. B. Maßnahmen im Rahmen von Total Quality Management Systemen, wie das EFQM Modell for Excellence (Vincent, 2008).

Hinsichtlich der Nutzung des vorliegenden Wissens ist Stressmanagement ein Spiegelbild von PE/OE. Fallbeispiele und Interventionsstudien der PE zeigen, wie theoriegeleitet in langfristigen Prozessen auf der Grundlage von Analysen Interventionen geplant, gemeinsam mit den Beteiligten entwickelt, durchgeführt und evaluiert werden (z. B. Strohm, 2002). Solch aufwändige Prozesse sind jedoch eher die Ausnahme. Bei Personalentwicklung werden häufig Bedarfe der Organisation und der Beschäftigten nicht systematisch erhoben und in den Interventionen aufgegriffen. Oft wird auf Analysen verzichtet, Interventionen, die als Standardlösungen entwickelt wurden, werden eingesetzt. Evaluationen finden sich nur in einer Minderheit der Fälle – was angesichts der propagierten Effizienzbemühungen im Wirtschaftsleben verwundert. Wie Stressmanagement sind auch andere Maßnahmen der Personalentwicklung nur zum Teil aufeinander bezogen und abgestimmt.

In vielen Betrieben sind Personalentwicklungsabteilungen in den letzten Jahren nicht von Outsourcing-Prozessen verschont geblieben. PE-Maßnahmen werden somit sowohl unternehmensintern als auch -extern durchgeführt. Die Akteure bemühen sich, die verschiedenen Programme aufeinander abzustimmen.

Obwohl gerade für An- und Ungelernte Personalentwicklung erforderlich wäre, richten sich nur wenige Programme an diese Zielgruppe. So geben lediglich 16% der Ungelernten an, an einem Training teilgenommen zu haben. 81% der Beschäftigten mit wenig komplexen Tätigkeiten und 75% der Beschäftigten in monotonen Tätigkeiten haben in den letzten 12 Monaten kein Training erhalten (European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions, 2007). Die Angebote sind fast ausschließlich für die qualifizierten Mitglieder der Kernbelegschaften und für Führungskräfte verfügbar. Gründe für diese Ungleichbehandlung liegen in einer geringen betrieblichen Motivation, kostenträchtige Angebote für eine Zielgruppe zu unterbreiten, die als Randbelegschaft schnell ausgewechselt werden kann. Genderspezifische Aspekte werden in der PE und OE vor allem durch die Unterstützung von weiblichem Führungskräftenachwuchs und durch Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf berücksichtigt.

Angesichts des damit zusammengefassten Status quo gibt es eine Reihe von Entwicklungsbedarfen, die Stress- und Ressourcenmanagement und Personalentwicklung betreffen. Sie sind im Folgenden zusammenfassend wiedergegeben.

Sie betreffen (1) Zielgruppen und Interventionsfeld sowie (2) den Prozess der Intervention.

Entwicklungsbedarfe (1): Zielgruppen und Interventionsfeld

Bedarfsorientierung setzt voraus, dass Bedarfe (an Personalentwicklung oder an Stressmanagementinterventionen) erfasst werden. Analysen sind somit unerlässlich. Eine Orientierung am Bedarf wird des Weiteren nur möglich sein, wenn in den Bereichen interveniert wird, in denen die Bedarfe auch bestehen und wenn Bedingungen dieser Bereiche in den Interventionen aufgegriffen werden. Erforderlich ist somit, dass (1) Interventionen in der Arbeitswelt durchgeführt werden und dass (2) gegenwärtige und zukünftige Arbeitsbedingungen zum Gegenstand von Interventionen gemacht werden. Bedarfsorientierung heißt schließlich, dass die spezifische Situation der Beteiligten berücksichtigt wird (3). Dies kann sich etwa auf Entwicklungs- und Gesundheitschancen sowie auf die Zugehörigkeit zu den Geschlechtergruppen beziehen.

  1. (1)

    Wenn überhaupt umfassende Konzepte der PE und OE, die verschiedene einschlägige Maßnahmen integrieren, bestehen, so finden sich diese vor allem in Großbetrieben. Wie bei anderen betrieblichen Handlungsfeldern, so bestehen jedoch auch bei Personalentwicklung Outsourcing-Tendenzen. Personalentwicklung und Gesundheitsförderung werden an externe Organisationen delegiert. Auch wird in vielen Fällen den Beschäftigten nahe gelegt, sich an Programmen von anderen Institutionen zu beteiligen. Die Arbeitswelt als Interventionsfeld zu sehen, ist unter diesen Bedingungen keine Selbstverständlichkeit.

    Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Veränderbarkeit von Entwicklungs- und Gesundheitschancen ist die Arbeitswelt das zentrale Interventionssetting. Durch Arbeitsbedingungen sind wichtige Einflussfaktoren auf die Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung gegeben, die Teilnahmemotivation der Betroffenen kann in betrieblichen Kontexten, z. B. in Teams, sehr viel leichter hergestellt und aufrechterhalten werden, und es können sowohl bedingungs- als auch personenbezogene Maßnahmen initiiert und aufeinander abgestimmt werden. Die Nachhaltigkeit von Maßnahmen kann im betrieblichen Kontext über die Zeitdauer der Beschäftigung gesichert werden: Insbesondere bedingungsbezogene Maßnahmen, wie die Veränderung der Arbeitsorganisation, wirken über die Zeitdauer der Beschäftigung.

    Auch positive betriebswirtschaftliche Effekte sind zu erwarten, was die Unternehmen selbst zu relevanten Trägern von Personal- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen werden lässt. Die Überprüfung von Effektivität und Effizienz von Präventionsmaßnahmen ist in Betrieben leichter, da Evaluationsdesigns und ihre methodischen Voraussetzungen (z. B. Stichprobengrößen, Kontrollgruppen) in ‚normierten‘ Betriebswelten eher realisiert werden können als außerhalb.

    Durch die Tatsache, dass im Handlungsfeld Betrieb unterschiedliche Akteursgruppen tätig sind (bei Gesundheitsförderung etwa Betriebsärzte, Krankenkassen, Sicherheitsfachkräfte), wird eine engmaschige Betreuung der Betroffenen aus unterschiedlichen Perspektiven und zu unterschiedlichen Zeitpunkten möglich. Dies setzt allerdings bei den Akteuren ein einheitliches Präventionsverständnis, einheitliche Präventionskonzepte und einen Konsens über die Geeignetheit der jeweiligen Interventionen voraus. Hier sind Multiplikatorenkonzepte, die auf einem solchen einheitlichen Grundverständnis fußen, aber an die jeweiligen verschiedenen Verantwortungsbereiche und die fachlichen Hintergründe der Akteursgruppen angepasst sind, eine notwendige Voraussetzung.

  2. (2)

    Sollen Maßnahmen langfristig wirksam sein, müssen aktuelle Entwicklungen der Arbeitsgesellschaft hinsichtlich der Arbeitsanforderungen, der Belastungen und der Ressourcen mit ihren Folgen für das Individuum berücksichtigt werden. Zu den wichtigsten Anforderungen, die heute nahezu jeden Erwerbstätigen treffen, zählt die Forderung nach inhaltlicher, räumlicher und zeitlicher Flexibilität. Die damit gegebenen hohen Anforderungen an Selbstregulation betreffen nicht nur die Arbeitenden selbst, sondern auch ihre Familienangehörigen und erstrecken sich von der täglichen Koordination und Gewichtung der verschiedenen Lebensbereiche bis zur mittel- und langfristigen Lebensplanung (Work-Life-Balance). Dies gilt besonders für die immer größer werdende Gruppe der Erwerbstätigen in befristeten Arbeitsverhältnissen.

  3. (3)

    Mit den gegebenen Anforderungen ist für viele Erwerbstätige die Gefahr der qualitativen und quantitativen Überforderung verbunden. Sie geht einher mit Unsicherheit, die nicht nur auf die aktuelle Arbeitsaufgabe betrifft, sondern auch die berufliche Entwicklung und die Lebensplanung (Bamberg et al., 2003). Das gilt insbesondere für gering Qualifizierte, die verstärkt von Erwerbslosigkeit bedroht sind. Hoch ist die Gefährdung für die Gruppen, die auch außerhalb der Erwerbsarbeit hohen Anforderungen ausgesetzt sind. Dies betrifft in erster Linie weibliche Erwerbstätige. Sie sind bei PE gezielt zu berücksichtigen – und zwar nicht nur, was Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie anbelangt, sondern auch hinsichtlich der Unterstützung des beruflichen Werdegangs.

Entwicklungsbedarfe (2): Der Prozess der Intervention

Weiter oben wurden gesundheitsbezogene Interventionen und Personalentwicklung mehrfach kritisiert. Die Kritikpunkte betreffen den gesamten Interventionsprozess – von der (1) Motivierung der Beteiligten über (2) Analyse- und (3) Interventionsmethoden bis zur (4) Evaluation.

  1. (1)

    Die von Steinmetz (2006) entwickelte und durchgeführte Stressmanagementintervention war als eine Maßnahme der Gesundheitsförderung von der Unternehmensleitung für die Führungskräfte vorgesehen. Im Rahmen der Analyse zeigte sich, dass die Führungskräfte wenig bereit waren, an dem ursprünglich im Gruppensetting geplanten Stressmanagementtraining teilzunehmen. Steinmetz konnte die Motivation zur Beteiligung erheblich erhöhen, indem sie statt eines Trainings ein Coachingprogramm anbot. Dieses Beispiel zeigt, dass der Motivation zur Beteiligung besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist. Dies betrifft den gesamten Bereich der Personalentwicklung.

    Für die Gesundheitsförderung wurde der Motivation in der Vergangenheit in Wissenschaft und Praxis zwar durchaus Rechnung getragen (z. B. Schwarzer, 1997), dies beschränkt sich aber weitgehend auf die Motivation von Personen, die sich bereits für eine Beteiligung entschieden haben. Die Motivation zur Beteiligung unterschiedlicher Akteursgruppen, in der betrieblichen Gesundheitsförderung etwa der gering Qualifizierten, die von besonderen Belastungen bei der Erwerbsarbeit und im Alltag betroffen sind, blieben ausgeklammert. Die Motivation von Entscheidungsträgern in Organisationen, sich an Gesundheitsförderung zu beteiligen wurde bisher lediglich in zwei Studien, von Busch (2003) und von Schulte und Bamberg (2003), untersucht. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (z. B. Preussner, 2004) wurde kaum thematisiert, warum sich Betroffene an gesundheitsbezogenen Maßnahmen nicht beteiligen. Das Thema Motivation zur Beteiligung an betrieblichem Stress- und Ressourcenmanagement kann damit als blinder Fleck in der Gesundheitsforschung bezeichnet werden. Dies mag mit dazu beitragen, dass Stress- und Ressourcenmanagementmaßnahmen vor allem von den Personen in Anspruch genommen werden, die auch sonst Nutznießer von Präventionsmaßnahmen sind (s. u.).

    Ähnlich ist es auch bei anderen Maßnahmen der Personalentwicklung. Auch hier wird wenig diskutiert, unter welchen Voraussetzungen sich Personen beteiligen, was ihre konkreten Motive sind, wie eine Bereitschaft zur Beteiligung erhöht werden kann. Dies betrifft insbesondere auch die Personengruppen, deren Teilnahme an PE nicht ohne weiteres selbstverständlich ist. Ihnen ist in Zukunft besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

  2. (2)

    Maßnahmen der Personalentwicklung allgemein und Stressmanagementinterventionen konkret werden durchgeführt, um Bedarfe der Organisationen und der Mitglieder der Organisationen zu erfüllen. Eine Analyse dieser Bedarfe ist somit ein unerlässlicher Ausgangspunkt von Interventionen. Die Analyse wird sich in der Regel auf Merkmale der Organisation beziehen (z. B. welche zukünftigen Anforderungen sind zu erwarten) und auf Merkmale der Organisationsmitglieder (z. B. wie ist das Qualifikationsniveau der Mitglieder). Für Bedarfsanalysen liegen eine Reihe von Verfahren vor, die sich unterschiedlichen methodologischen Grundlagen zuordnen lassen. Die Verfahren werden jedoch nur zum Teil genutzt. Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass sie häufig als zu aufwändig einschätzt werden. Hier wird immer wieder argumentiert, dass methodisch gute Verfahren ohne Aufwand nicht zu realisieren sind. Mehrere gesundheitsbezogene Analysen wurden in diesem Spannungsfeld zwischen methodischen Anforderungen und möglichst geringem Aufwand entwickelt. Insbesondere bezieht sich das auf die Verfahren, die im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung (§ 5 des deutschen Arbeitsschutzgesetzes, ArbSchG, 1996) infolge der Umsetzung europäischer Rahmenrichtlinien zum Arbeitsschutz entstanden sind. Ähnliche Entwicklungsarbeiten sind für die PE erforderlich.

  3. (3)

    Aufgrund einer Bedarfsanalyse lassen sich Schwerpunkte von Interventionen ableiten. Offen bleibt aber, wie interveniert wird, welche Interventionsmethoden zum Einsatz kommen. Dabei lassen sich Gruppen von Interventionsmethoden trennen, z. B. Unterweisungen, Übungen, Rollenspiele, Präsentationen, Diskussionen etc. Innerhalb dieser Gruppen gibt es erhebliche Unterschiede. Zu spezifizieren sind deshalb des Weiteren die Didaktik von Interventionsmethoden, z. B. Direktivität, Strukturiertheit. Es kann angenommen werden, dass je nach Schwerpunkten und Zielgruppe unterschiedliche Methoden und Didaktiken angemessen und erfolgreich sind. Eines der wenigen evaluierten SRM-Trainings für gering Qualifizierte zeigte auf, dass für diese Zielgruppe ein strukturiertes, direktives Vorgehen wirksam ist (Malkinson, Kushnir & Weisberg, 1997). Zu diesem Thema liegen jedoch relativ wenig empirische Studien vor. In der Literatur überwiegen Erfahrungsberichte und Publikationen, in denen Ansätze oder Schulen – aus denen sich unterschiedliche methodische Implikationen ergeben können – gegenüber gestellt werden. Vergleichende Studien über die Wirksamkeit von Interventionsmethoden und Didaktiken gibt es kaum. Eine Diskussion über die konkrete Gestaltung der Interventionsmethoden wird selten geführt. Eine differenzierte Beschreibung der Interventionsmethoden in Evaluationsstudien erfolgt nicht. Für eine Breitenumsetzung von Maßnahmen ist zudem eine Manualisierung, d.h. eine Verschriftlichung der konkreten Methoden und Didaktiken notwendig (s. u.).

  4. (4)

    Um Informationen über die Wirksamkeit von Gesundheitsförderung und von Personalentwicklung zu erhalten, sind Evaluationsstudien erforderlich. In die Evaluation sind neben personenbezogenen Effekten, z. B. hinsichtlich Gesundheit oder Kompetenzentwicklung, organisationsbezogene und betriebswirtschaftliche Wirkungen einzubeziehen. Hier könnten etwa Verringerung der Arbeitsunfähigkeitstage sowie die Reduzierung unproduktiver Anwesenheitszeiten erfasst werden. Eine Evaluationsstrategie, die Prozess- und Ergebnisevaluation kombiniert, ermöglicht ein Verständnis der Wirkungszusammenhänge und der differentiellen Effekte einzelner Methoden (Busch, 2004). Um die Wirkung einzelner Methoden zu analysieren, ist es notwendig sicherzustellen, dass eine klare Unterscheidung zwischen Methoden möglich ist, z. B. in Form von inhaltlich abgetrennten Sitzungen oder Modulen. Weiterhin ist es notwenig, zu prüfen, ob die Methoden auch wie intendiert umgesetzt werden. Dies wird im Rahmen einer Manualisierung erfasst. Eine Manualisierung umfasst eine schriftliche Festlegung der Interventionsinhalte und –methoden, ein Training der Trainer und eine empirische Überprüfung des manualgerechten Trainerverhaltens. Das Manual beinhaltet weiterhin Materialien für die Teilnehmenden bzw. Zielgruppen und ggf. Hinweise für Multiplikatoren, wie Präventionsanbieter. Neben methodischen und didaktischen Ausführungen sollten im Manual auch die Motivierung der Entscheidungsträger in Unternehmen und der potentiellen TeilnehmerInnen gezielt berücksichtigt werden. Im Rahmen der Evaluation ist dem Transfer der gelernten Inhalte in den betrieblichen Alltag besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Ein Multiplikatorenkonzept zu Stress- und Ressourcenmanagement für Un- und Angelernte

Auf dem Hintergrund der in den vorausgehenden Abschnitten aufgeführten Überlegungen erarbeiten wir derzeit ein Multiplikatorenkonzept zu SRM für Un- und Angelernte. Das Multiplikatorenkonzept wird für und gemeinsam mit den Multiplikatoren, d.h. den Trägern und Anbietern der betrieblichen Prävention und Gesundheitsförderung (z. B. Krankenkassen, Betriebsärzte, Sicherheitsfachkräfte) entwickelt und in Kooperationsbetrieben erprobt und evaluiert. Für ein Multiplikatorenkonzept ist eine Manualisierung wesentlich. Die Entwicklung des Konzepts erfolgt in einem Wechsel von Untersuchungsphasen und Workshops in enger Kooperation der wissenschaftlichen und institutionellen Kooperationspartner.

Es geht hinsichtlich der Zielgruppe, seiner Inhalte sowie der Analyse- und Evaluationsmethodik über Bestehendes hinaus. Die Zielgruppe der Intervention sind un- und angelernte Beschäftigte im mittleren Erwachsenenalter. Belastungen und gesundheitliche Beeinträchtigungen sind – wie aufgezeigt – bei Un- und Angelernten besonders hoch. Auf sie abgestimmte Möglichkeiten der Personalentwicklung sind selten. Auch ist diese Personengruppe – größtenteils Frauen – häufiger als andere Mehrfachbelastungen ausgesetzt. PE wird für diesen Personenkreis kaum angeboten, SRM für diese Zielgruppe existiert bisher so gut wie nicht. Der betriebliche Kontext bietet Zugangswege zu dieser Zielgruppe; ein integrierter Ansatz von personen- und bedingungsbezogenen Maßnahmen ist dabei möglich. Die Nachhaltigkeit der Intervention kann im betrieblichen Setting gesichert werden.

Das Multiplikatorenkonzept besteht aus einem Rahmenkonzept und aus Modulen, die auf die Zielgruppe abgestimmt sind. Das Konzept ist durchgängig ressourcenorientiert und thematisiert SRM in Teamarbeit, Führung bei SRM, Bewegung als SRMmethode, Work-Life-Balance, insbesondere Entwicklungsperspektiven der Betroffenen, und genderspezifische Aspekte. Der Motivation für eine Beteiligung der betrieblichen Entscheidungsträger und der Zielgruppe der Un- und Angelernten wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Die Analysemethodik beinhaltet personen- und bedingungsbezogene, zielgruppenspezifische Verfahren; der individuelle Stressprozess und Stress im jeweiligen Team werden analysiert. Die Evaluationsmethodik umfasst die Effektivität und Effizienz im Rahmen einer Ergebnis- und Prozessevaluation.

Multiplikatorenkonzepte sichern den breiten und routinemäßigen zukünftigen Einsatz eines neuen Interventions- und Evaluationskonzepts. In dem Projekt wird deshalb ein Konzept mit verschiedenen Gruppen von Multiplikatoren entwickelt und erprobt. Die Multiplikatoren sind in diesem Vorhaben Berater bzw. Koordinatoren von Krankenkassen, z. B. die AOK Westfalen-Lippe, die IKK Baden-Württemberg und Hessen, Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte. Es wird derzeit in verschiedenen Branchen, z. B. Stadtreinigung, Innenreinigung, Müllsortierung, Produktion mit weiblichen und männlichen Beschäftigten erprobt und evaluiert.

Die Entwicklung eines Multiplikatorenkonzeptes hat das Ziel, Stress- und Ressourcenmanagement einer breiteren Personengruppe zugänglich zu machen. Darüber hinaus ist durch das Multiplikatorenkonzept eine Integration in die Personalentwicklung der beteiligten Unternehmen möglich: In den Unternehmen werden Trainer, Betriebsärzte und Sicherheitsfachkräfte in Stress- und Ressourcenmanagement geschult. Dies impliziert eine Sensibilisierung und Qualifizierung der Beteiligten für Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz.

Offene Fragen

Ausgangspunkt des vorliegenden Artikels war eine Diskussion zum Stand von Wissenschaft und Praxis von Interventionen zu Stressmanagement und Personalentwicklung. Wir haben darauf verwiesen, dass zu diesem Thema eine Vielzahl von Studien vorliegen, die sich gut systematisieren lassen. Bei der vergleichenden Diskussion von Stressmanagement und PE ist zu berücksichtigen, dass hinsichtlich PE das Feld sehr viel breiter und vielfältiger ist. Zusammenfassende Studien im Sinne von Reviews und Metaanalysen gibt es hier nur eingeschränkt. Es kann angenommen werden, dass auch sie sich lediglich auf einen Ausschnitt von PE beziehen. Es fehlt somit an systematischen Studien dazu, was im Rahmen von PE in unterschiedlichen Organisationen praktiziert wird; es fehlen weiter vergleichende Studien zur Wirksamkeit. Ein wesentlicher Entwicklungsbedarf besteht somit darin, den Staus quo differenzierter zu untersuchen: systematisch, über verschiedene Organisationsformen, Branchen etc. hinweg zu erfassen, wie PE praktiziert wird.

Eine weitere offene Frage betrifft die Bewertung des Status quo: Wir haben die Relevanz einer systematischen, theoriegeleiteten, regelhaft durchgeführten und gut dokumentierten Vorgehensweise betont. Wir haben die Notwendigkeit von Analysen als Grundlage von Interventionen als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt. Wir haben nicht diskutiert, ob diese Form von PE von den Akteuren oder von wesentlichen Gruppen von Akteuren gewünscht oder erwartet wird. Vielleicht wird ein solch wissenschaftlich fundiertes Vorgehen als zu aufwändig und nicht notwendig angesehen. Vielleicht bevorzugen Betriebe und/oder Teilnehmende Maßnahmen, die spontan und ad hoc aus aktuellem Bedarf entstehen, vielleicht hemmt Analyse und Struktur die Attraktivität der Maßnahmen? Vielleicht kommt es in einigen Betrieben vor allem darauf an, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein attraktives Angebot zu unterbreiten, unabhängig von bedarfsgerechten Inhalten? Vielleicht ist es für einige Betriebe in der Außen- und Innendarstellung vor allem wichtig, Maßnahmen der PE generell anzubieten? Wir wissen wenig darüber, ob manche Maßnahmen der PE, auch dann wenn sie nicht geplant sind und kaum die Bedarfe der Beteiligten aufgreifen, dennoch von Nutzen für die Unternehmen sind, oder ob sie vielleicht schaden – indem etwa Arbeitszeit verschwendet wird. Eine vordringliche Aufgabe ist somit, unser Wissen über die Praxis der PE zu vergrößern und den Diskurs über die Bewertung der Praxis zu verstärken.