1. Problem

Bei den vielfältigen Bemühungen um die Modellierung sozialer Prozesse waren in den letzten Jahren große Fortschritte auf die Perspektive des methodologischen Individualismus zurückzuführen, wonach sich soziale Phänomene aus der adäquaten Aggregation der Handlungsergebnisse der einzelnen sozialen Akteure ergeben. Entsprechend haben sich viele Arbeiten mit der Konzeptualisierung dieses Mikro-Makro-Links (Coleman 1987, 1986, 1990: 1 ff.; Wippler/Lindenberg 1987) und der „Logik der Aggregation“ (Esser 1993: 96) befasst. Ausgangspunkt ist dabei das Modell der soziologischen Erklärung (Esser 1993: 83 ff., ausgehend von Coleman 1986, 1990). Dessen logisch erster Schritt ist aber die Rekonstruktion der Situationslogik, auf deren Grundlage im Rahmen der Selektionslogik Aussagen über die Auswahl einer Handlungsalternative getroffen werden (vgl. insbesondere Esser 1996, 1999). Dabei werden die situationsspezifischen Handlungsalternativen mit den Erwartungen und Bewertungen der Akteure und den Situationsbedingungen verknüpft. Für die Modellierung werden die Handlungsalternativen aber in der Regel nur recht ungenau und typisierend beschrieben.

Lange vernachlässigt wurde in diesem Zusammenhang, dass neben der Rahmung der Situation durch den Akteur ein weiteres Makro-Mikro-Problem zu lösen ist (das auch in der aktuellen Diskussion zwischen Albert (2005) und Esser (2006) keine Rolle spielt). Selten wird hinreichend berücksichtigt, dass die Existenz einer Handlungsalternative für eine große Anzahl zu untersuchender Phänomene von einer fast banalen Situationsbedingung abhängt, nämlich von der Verfügbarkeit hierfür geeigneter Interaktionspartner: Wenn Kinder keine Spielkameraden in ihrer sozialen Umgebung finden, dann scheidet die Möglichkeit des gemeinsamen Spiels aus; wenn ein Akteur keine Person kennen lernt, die als Partner infrage kommt und verfügbar ist, dann kann er auch keine Partnerschaft eingehen, nicht heiraten und in den meisten Fällen auch keine Kinder in die Welt setzen, auch wenn seine diesbezügliche Motivation noch so groß ist. Allgemein entsteht dieses Problem bei allen Handlungen, die einen Interaktionspartner erfordern, sofern die geeigneten und verfügbaren Interaktionspartner knapp sind und der entsprechende Markt entweder im Ungleichgewicht oder nicht organisiert ist. In diesen Fällen sind die Handlungsalternativen des Akteurs in hohem Maße bereits durch seine soziale Umgebung mit ihren jeweiligen Interaktionsgelegenheiten geprägt. Bislang fehlt eine operationale Konzeption dieses Makro-Mikro-Links, die es erlaubt, soziale Unterschiede in diesen Interaktionsgelegenheiten darzustellen. Auf der Basis einer solchen Konzeption könnten in empirischen Analysen zur Wahl von Interaktionspartnern dann entsprechend differenzierte Indikatoren eingesetzt werden, anstatt sich auf – notwendigerweise grob – typisierende Annahmen für bestimmte Akteursgruppen zu verlassen.

Die Gelegenheit zur Interaktion setzt voraus, dass Akteure zunächst überhaupt in Kontakt kommen. Kontaktgelegenheiten wurden bislang hauptsächlich in der Strukturtheorie von Peter M. Blau thematisiert (Blau 1977a, 1977b, 1994; Blau et al. 1982; Blau/Schwartz 1984; Blau et al. 1984). Allerdings fehlt dieser streng makrosoziologisch formulierten Theorie der Bezug zum individuellen Handeln, und bislang wird der nicht vorhandene Anschluss der Strukturtheorie an das individualistische Erklärungsmodell zu recht kritisiert (Esser 2000a: 343 ff.). Im Folgenden soll aber gezeigt werden, dass sich die zentralen Aspekte der Strukturtheorie komplementär zum Modell der soziologischen Erklärung verhalten; hierbei wird argumentiert, dass die Einbettung der makrosoziologischen Strukturtheorie der Kontaktgelegenheiten in das Modell der soziologischen Erklärung über die Konzeption des Sozialkapitals möglich ist. Dabei wird die soziale Umgebung der Akteure nicht als direktes soziales Kapital konzipiert, das dem Akteur in Form seines Netzwerks zur Verfügung steht, sondern vielmehr als diesem vorgeordneten Möglichkeitsraum für die Entstehung von Beziehungen und damit von Beziehungskapital. Der Sozialkapital-Begriff dient dabei der Identifizierung jener Merkmalsdimensionen, die über die Relevanz der Kontaktgelegenheiten entscheiden, also darüber, ob Kontaktgelegenheiten auch Gelegenheiten zu belohnender Interaktion darstellen.

Von Blau wird allerdings nur unzureichend berücksichtigt, dass die Opportunitäten in vielerlei Hinsicht eher von der konkreten sozialen Umgebung der Individuen als von der Sozialstruktur der Gesellschaft abhängen. Um diesen Aspekten gerecht zu werden, werden im Folgenden das Konzept des Fokus sozialer Aktivität (Feld 1981) und das Konzept der Transitivität von Netzwerkbeziehungen exploriert. Hierdurch wird eine wesentlich größere Variabilität der Interaktionsgelegenheiten abgebildet, als dies mit dem Blau-Ansatz möglich ist.

Zusammenfassend lautet die Kernthese des Beitrags, dass eine hinreichende Beschreibung der Handlungsalternativen in vielen Fällen einer vorgelagerten Bestandsaufnahme der Interaktionsgelegenheiten der Akteure bedarf, die neben der Vorstrukturierung durch die Verteilung über soziale Positionen in der Gesellschaft in räumlichen Grenzen (Blau 1977a, 1977b, 1994) auch die – u. U. wesentlich selektivere und restriktivere – Vorstrukturierung der konkreten sozialen Umgebungen und deren Beschaffenheit berücksichtigen muss.

Der Beitrag entwickelt nach einer genaueren Verortung der Rolle von Opportunitäten im Modell der soziologischen Erklärung (Punkt 2) aus dem strukturalistischen Ansatz (Punkt 3.1) sowie den Konzepten des Fokus sozialer Aktivität (Punkt 3.2) und der Transitivität (Punkt 3.3) einen abstrakten Merkmalskatalog zur Analyse der Vorstrukturierung von Opportunitäten (Punkt 4) und verdichtet die Überlegungen zu einigen forschungsleitenden Hypothesen (Punkt 5). Der Analyserahmen wird anschließend für die Analyse des Partnermarkts ausgearbeitet (Punkt 6). Die abschließende Diskussion (Punkt 7) plädiert für ein Forschungsprogramm, das die Konzeption in diesen Bereichen für die empirische Forschung umsetzt.

2. Opportunitäten und Situationslogik

Die hier präsentierte Argumentation hat die operationale Präzisierung der Situationskonzeption von Esser (1999: 29 ff.) im Hinblick auf die Interaktionsgelegenheiten eines Akteurs zum Ziel. Während mit dem Framing-Ansatz (Esser 1996; Kroneberg 2005) die Verknüpfung der Situation mit den inneren Bedingungen des Akteurs geleistet wird, zielt das folgende Argument allein auf die situationsspezifische Beschreibung der äußeren strukturellen Möglichkeiten und Restriktionen des Akteurs zur Interaktion mit anderen. Die institutionellen Regeln, der Bezugsrahmen und die signifikanten Symbole einer Situation sind dabei nur insoweit relevant, als sie zur Vorstrukturierung der möglichen Sozialkontakte und damit der möglichen Interaktionen beitragen.

Wahrscheinlich beeinflussen die strukturellen Möglichkeiten und Restriktionen des Akteurs die Handlungsalternativen des Akteurs mitunter in weit höherem Maße als die gegenwärtig so ausführlich diskutierte Rahmung der Situation (Esser 1996, 2000b, 2002, 2003, 2004; Etzrodt 2000, 2006; Kroneberg 2005, 2007; Prosch/Abraham 2006; Stachura 2006). In der Regel werden Ausgangssituationen im Modell der soziologischen Erklärung aber nur stark vereinfachend und typisierend beschrieben (Esser 1993: 94). Aufgrund der vielfältigen sozialen Mechanismen, die, wie nachfolgend dargelegt wird, zur Vorstrukturierung der Opportunitäten beitragen, ist aber eine beachtliche Variabilität der Opportunitäten zu erwarten, die sozial ungleich verteilte Handlungsgelegenheiten erzeugt und sich mit vereinfachenden, typisierenden Beschreibungen der äußeren Möglichkeiten und Restriktionen kaum hinreichend wiedergeben lässt. Im günstigsten Fall stehen grob typisierende Situationsbeschreibungen allenfalls am Ende des vorgeschlagenen Forschungsprogramms.

3. Stand der Theorieentwicklung und Implikationen

3.1 Strukturtheoretischer Ansatz

Kontaktgelegenheiten wurden bislang hauptsächlich in der Strukturtheorie von Peter M. Blau thematisiert (Blau 1977a, 1977b, 1994; Blau et al. 1982; Blau et al. 1984; Blau/Schwartz 1984). Blau unterstellt, dass Menschen häufiger Beziehungen mit solchen Personen eingehen, die ihnen möglichst ähnlich sind, weil Menschen in ähnlichen sozialen Positionen ähnliche soziale Erfahrungen machen, ähnliche Rollen einnehmen und ähnliche Eigenschaften und Haltungen aufweisen, die die Wahrscheinlichkeit einer Beziehung erhöhen (Blau 1977a: 36). Die Grundidee seiner Strukturtheorie besteht darin, dass die soziale Differenzierung der Bevölkerung die Muster der Beziehungen der Menschen beeinflusst (Blau 1977a: 19 ff., 1977b: 40). Die Wahrscheinlichkeit eines Kontakts zwischen Angehörigen unterschiedlicher Sozialgruppen variiert unter der obigen „Homophilie“-Annahme insbesondere mit der relativen Größe der Gruppen. Zentrale Parameter sind daher die Heterogenität der Gesellschaft im Hinblick auf nominale bzw. die Ungleichheit im Hinblick auf ordinale Merkmale (Blau 1977b: 35). Die Kombination der Merkmalsausprägungen eines Individuums bestimmt seine soziale Position in einem multidimensionalen sozialen Raum (der „Blau-Space“). Je näher zwei Individuen im multidimensionalen Raum, sowohl in räumlicher als auch in sozialer Hinsicht, umso wahrscheinlicher ist nach Blau der Kontakt. Ein Merkmal ist besonders „salient“, wenn das Ausmaß der diesbezüglichen tatsächlichen Homophilie die Homogenität der zugrundeliegenden Population überschreitet, also überzufällig ist (Blau 1977a: 31, 251).

Ein Problem, das auch Blau bereits erkannt hat, besteht darin, dass sozialstrukturelle Gegebenheiten nur dann tatsächliche Opportunitäten für den Kontakt darstellen, wenn sie sich auch in der konkreten sozialen Umgebung der Individuen niederschlagen (Blau 1977a, 1977b: 46 ff.; 1994: 144 f. Blau/Schwartz 1990 sprechen hier von Penetration der Differenzierung in Substrukturen). Räumliche Nähe ist damit ein besonders salientes Merkmal, dessen Bedeutung allerdings durch Medien und günstige Transportmöglichkeiten tendenziell abnimmt. Unzureichend berücksichtigt wird in diesem Zusammenhang insbesondere, dass Individuen ihre sozialen Aktivitäten in einer modernen Gesellschaft nicht innerhalb einer einzigen „Substruktur“ organisieren, sondern um mehrere unterschiedliche „Foki“ (s. vor allem Feld 1981; aber auch Marsden 1990), die jeweils sehr unterschiedlich strukturiert sein können.

Die Implikationen dieser Strukturtheorie für Intergruppenbeziehungen wurden durch die Prävalenz von homogamen und heterogamen Ehen bzw. von Freundschaftsbeziehungen innerhalb der sozialen Substrukturen (dem Wohngebiet oder der Schulklasse) überprüft (Blau et al. 1982; Blau et al. 1984; Blau/Schwartz 1984; Marsden 1990; Schwartz 1990; Skvoretz 1990). Eine hohe Korrelation zwischen der Heterogenität der sozialen Untereinheit und der Heterogamie der in dieser Untereinheit bestehenden Beziehungen ist dabei keinesfalls überraschend, und der Zusammenhang zwischen der Kontaktgelegenheit in einer Substruktur und der Entstehung einer Beziehung wird nur unzureichend abgebildet, da Individuen bspw. ihre Ehepartner nicht unbedingt in jenen Wohnquartieren kennen gelernt haben, in denen sie nach Eheschließung mit diesen wohnen. Um dies zu berücksichtigen, ist statt der Prävalenz die Inzidenz der Wahlen zu untersuchen.Footnote 1

Blau versucht mit seiner Theorie, soziale Strukturen unter weitgehendem Verzicht auf eine Handlungstheorie, allein aus den Gelegenheiten und ohne den Umweg über die Mikroebene und damit wiederum durch soziale Strukturen, zu erklären. Doch gerade Blaus zentrale Annahme der erhöhten Kontakthäufigkeit von Personen mit ähnlicher sozialer Position (1977a: 36) ist ein Konglomerat aus impliziten Annahmen über die Struktur der Kontaktgelegenheiten einerseits (ähnliche Merkmale bedingen überzufällig häufige Kontaktgelegenheiten) und über soziales Handeln (ähnliche Merkmale bedingen eine gute Passung der Personen) andererseits.Footnote 2

3.2 Die Organisation sozialer Aktivitäten in Foki

In welche der Blau’schen „Substrukturen“ ein Individuum eingebunden ist, hängt von den Aktivitäten ab, über die es mit anderen wiederkehrend in Kontakt kommt. Feld (1981) hat zur Analyse dieser Aktivitäten den Begriff des „focus of activity“ vorgeschlagen. Ein Fokus ist eine soziale, psychologische, gesetzliche oder physische Einheit, um die gemeinsame Aktivitäten der Individuen organisiert werden, also z. B. Arbeitsplätze, Vereine, Familien oder Treffpunkte. Foki beschränken sich also gerade nicht auf spezielle Gruppen, sondern umfassen alle wiederholten sozialen Aktivitäten eines Akteurs.

Aufgrund der Interaktion im Rahmen der gemeinsamen Aktivitäten haben zwei Individuen, deren Aktivitäten im selben Fokus organisiert sind, eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine interpersonelle Beziehung – gleich welcher Art – einzugehen, als zwei zufällig ausgewählte Individuen mit gleichen Eigenschaften. Den Hauptgrund hierfür sieht Feld (1981) ausgehend von Homans (1950) darin, dass gemeinsame Foki die Menschen häufig in wechselseitig belohnenden Situationen zusammenführen. Diese positiv bewertete Interaktion mache die Entstehung positiver Gefühle und damit eine Bindung der Fokuspersonen wahrscheinlicher.Footnote 3

Die Organisation sozialer Aktivität in Foki führt dazu, dass sich die Individuen im Rahmen der sozialstrukturellen Möglichkeiten nicht rein zufällig begegnen, sondern dass die Penetration der Sozialstruktur in die entsprechende Substruktur (Blau 1977b: 46 ff., 1994: 144 f., 1977a; Schwartz 1990) von der Organisation und den Erfordernissen der fokusspezifischen sozialen Aktivität abhängig ist. Fokussierte Aktivität führt dabei sicher häufig zu Ähnlichkeit in bestimmten Merkmalen (Feld 1982; s. aber auch Marsden 1990). Einige Studien zeigen, dass insbesondere Foki mit weitgehend freiwilliger Mitgliedschaft sehr homogen strukturiert sind, wobei insbesondere eine Geschlechtersegregation zu beobachten ist (McPherson 1983; McPherson/Smith-Lovin 1986; Popielarz 1999).

Fokussierte Aktivität muss aber nicht zu Ähnlichkeit führen. Feld gibt mit der Entstehung positiv bewerteter Interaktion nämlich einen gehaltvollen sozialpsychologischen Mechanismus für die Entstehung einer Beziehung an, der nicht notwendigerweise auf Ähnlichkeit basiert. Die Wahrscheinlichkeit der Entstehung einer Beziehung aus dem Fokus hängt daher auch vom Ausmaß der positiv bewerteten Interaktion und der Art der Interaktion im Fokus ab.

Jeder Fokus bezieht sich auf bestimmte soziale Aktivitäten, mit denen bestimmte Normen und Kommunikationsmuster verknüpft sind. Selbst wenn der Fokus keine eigenen Normen generiert, wird die Interaktion im Fokus dazu führen, dass sich solche durchsetzen, die von einer Mehrheit der Personen, die in den Fokus eingebunden sind, geteilt werden (Feld 1997; Feld/Carter 1998). Man kann daher auch sagen, dass Foki in unterschiedlichem Maße soziales (System-)Kapital (Esser 2000a: 256 ff.) hervorbringen.Footnote 4 Die Ausstattung eines Fokus mit Systemkapital wirkt sich auch darauf aus, welche Art von BeziehungskapitalFootnote 5 aus einer in diesen eingebetteten Beziehung hervorgehen kann. Wertvolle Ressourcen werden dabei eher in solchen Beziehungen getauscht, die aus Foki mit hoher normativer Restriktivität entstanden sind, da in dieser Situation das notwendige Vertrauen als Systemkapital entstehen kann (Feld 1984).

Seine sozialen Aktivitäten sind dem Individuum aber in hohem Maße durch seine soziale Position auferlegt, und die Partizipation an ihnen ist nur beschränkt wählbar (Feld 1997: 92). Soziale Ungleichheit in den Chancen auf bestimmte Interaktionspartner entsteht auf der Grundlage des Fokus-Ansatzes durch die Zugehörigkeit zu Merkmalskategorien, die die Inklusion bzw. Exklusion in solche Foki sozialer Aktivität bewirken, die günstige Chancen auf geeignete Interaktionspartner bieten. Soweit dies durch eine Ordnung geschieht, die den Zugang zu dieser Aktivität nach Kriterien reglementiert, die sich nicht direkt aus der Art der Aktivität ergibt, kann dabei auch von sozialer Schließung gesprochen werden (Weber 1980: 23).Footnote 6

Feld charakterisiert Foki als „aspects of the extra-network social structure that systematically produce patterns in a social network“ (1981: 1016). Die Personen in den Foki sozialer Aktivität, an denen ein Individuum partizipiert, stellen somit im Wesentlichen den Möglichkeitsraum potenzieller Beziehungen bereit. Die gemeinsame Einbindung in einen oder mehrere Foki sozialer Aktivität ist aber weder für die Entstehung noch für die Aufrechterhaltung einer Beziehung eine notwendige Bedingung (Feld/Carter 1998: 148).

3.3 Transitivität

Neben der Einbindung in Foki sozialer Aktivität wird mit der Transitivität sozialer Beziehungen eine weitere Möglichkeit zur Entstehung neuer Beziehungen diskutiert (vgl. insbesondere neuerdings Hirschle 2007: 59 ff.). Dabei ist unter Transitivität die höhere Wahrscheinlichkeit zweier Personen, die mit einer dritten Person verbunden sind, gemeint, ihrerseits miteinander bekannt zu werden (Hirschle 2007: 60; Kossinets/Watts 2006; Louch 2000: 48; Trappmann et al. 2005: 194 f.). Für Feld (1981: 1022) ist dies umso wahrscheinlicher, wenn sich die drei Personen zum gleichen Zeitpunkt in einem gemeinsamen Fokus aufhalten. Wie Hirschle (2007: 61) hervorhebt, werde damit allerdings das Fokus-Konzept auf jeden beliebigen Ort oder jede beliebige soziale Situation ausgeweitet, an dem oder in der sich Menschen treffen können. Nach Granovetter (1973: 1362) ist die Neigung zur Transitivität allerdings auch von dem Ausmaß an Zeit abhängig, das die verknüpfende Person für die Beziehungen zu den anderen beiden Personen aufwendet. Individuen, die insbesondere an Foki mit hoher Zeitbindung partizipieren, können folglich in erster Linie in diesen Foki eine transitive Funktion einnehmen. Die relative Bedeutung von Transitivität und Foki sozialer Aktivität für die Kontaktgelegenheiten bleibt aber bislang ungeklärt.

4. Die Konzeptualisierung der Opportunitäten

Nach der Rekapitulation des Theoriestands wird im Folgenden gezeigt, wie die diskutierten theoretischen Stränge zu einer Konzeption der strukturellen Opportunitäten sozialen Handelns verknüpft werden können.

4.1 Opportunitäten als potenzielles Beziehungskapital

Beziehungskapital existiert in jenen Ressourcen, die von den Netzwerkpersonen eines Individuums kontrolliert werden und das auf Grund der Beziehung gegebenenfalls nutzbar gemacht werden kann (Esser 2000a: 241). Betrachtet man die möglichen Kontakte zu den Individuen im Blau-Space als „potenzielles“ Beziehungskapital unabhängig davon, ob dieses durch Ähnlichkeit oder gerade durch Unterschiedlichkeit entsteht, so lässt sich das Konzept der Kontaktgelegenheit in das Modell der soziologischen Erklärung einbinden. Der Analyse der Gelegenheiten muss daher die Formulierung von Brückenannahmen über die (potenziellen) Kapitaleigenschaften der Beziehungen vorgeschaltet werden, da sich erst dann bestimmen lässt, welche Dimensionen des Blau-Space überhaupt analysiert werden sollen.

Potenzielle Träger von Beziehungskapital sind jene Personen, die Eigenschaften besitzen, die im Hinblick auf ein bestimmtes Handlungsziel des Akteurs einen hohen Grad der Zielerreichung versprechen. Es ist also nach der Relevanz Footnote 7 der Personen für das jeweilige Interaktionsziel zu fragen. Da soziales Kapital aus den Beziehungen der Akteure hervorgeht, sind die Merkmale, die für die Relevanz einer Begegnung bedeutsam sind, dabei in der Regel relational zum Akteur. So entscheidet sich in vielen Fällen die Relevanz einer anderen Person nicht an ihrem Alter, sondern am Altersabstand zum Akteur. Sozialstrukturelle Merkmale sind dann komplementär, wenn eine Ähnlichkeit der Interaktionspartner zu einer besseren Passung im Hinblick auf das Handlungsziel führt; sie sind substitutiv, wenn gerade Unterschiedlichkeit eine bessere Zielerreichung verspricht und damit die Relevanz erhöht (Becker 1973: 827, 1974).

Daneben sind Merkmale zu identifizieren, die die Verfügbarkeit 7 der relevanten Personen für die Interaktion mit dem Akteur betreffen. Die Verfügbarkeit hängt neben zeitlichen Restriktionen der Individuen auch wesentlich davon ab, inwieweit durch die Interaktion eine exklusive Beziehung begründet wird (wie zum Beispiel bei der Partnerwahl) oder nicht (wie bei der Wahl von Spielkameraden). Bei exklusiven Beziehungen sind solche Personen, die bereits eine Beziehung unterhalten, nur in dem Maße verfügbar, in dem sie bereit sind, den Interaktionspartner auszutauschen (Stauder 2006).

Je nach dem Grad der Exklusivität, der mit der sich etablierenden Beziehung verknüpft ist, ist auch die Konkurrenz um relevante Personen zu berücksichtigen. Konkurrenten sind dabei alle Personen, die aufgrund ihrer Merkmale für potenzielle Interaktionspartner des Akteurs in Bezug auf die Interaktion ihrerseits relevant und verfügbar sind (Goldman et al. 1984: 7; Klein/Stauder 2008).

4.2 Vorstrukturierung und Aggregation der Kontaktgelegenheiten

Die soziale Vorstrukturierung der Gelegenheiten hängt nach dem Blau-Ansatz zunächst von der Verteilung der sozialstrukturellen Merkmale ab, die für die Relevanz und Verfügbarkeit der Akteure konstitutiv sind. Diese Verteilung ist für die konkreten Gelegenheiten der Akteure aber nur in dem Ausmaß bedeutsam, in dem sie in die jeweils handlungsrelevanten Substrukturen bzw. die Foki sozialer Aktivität penetrieren. Die Individuen agieren allerdings regelmäßig in vielen verschiedenen Foki, die jeweils sehr unterschiedlich strukturiert sein können. Je nach Art des Fokus und interessierendem Merkmal entstehen dabei sehr unterschiedliche Opportunitäten für Inter- und Intragruppenbeziehungen, und die Einbettung in diese verschiedenen Substrukturen beschränkt die individuellen Interaktionsgelegenheiten erheblich (Marsden 1990: 408). Als Fokus soll hier operational jede Situation verstanden werden, in der die Individuen mit anderen Personen wiederkehrend in Kontakt kommen, was eine gewisse Regelmäßigkeit impliziert. Aus dieser geschärften Definition von Foki ergibt sich allerdings, dass mit der empirischen Erfassung des dort angetroffenen Personals noch kein vollständiges Bild über die Kontaktgelegenheiten entsteht. Es wird vollständig, wenn man zusätzlich die Kontaktgelegenheiten zu relevanten und verfügbaren Personen erfasst, die durch gemeinsame Bekannte, also durch Transitivität, entstehen können.

Um die Situation eines Akteurs insgesamt, d. h. über alle für ihn relevanten Foki sozialer Aktivität und über weitere potenziell kontaktstiftende Bekannte hinweg, beurteilen zu können, bedarf es der Aggregation der hierdurch gegebenen Anzahl der Begegnungsgelegenheiten nach bestimmten Kriterien: Erstens sind nur solche potenziellen Kontakte zu berücksichtigen, die potenzielles Beziehungskapital bereitstellen, die also die Relevanzkriterien erfüllen und überdies verfügbar sind. Zweitens dürfen Personen, mit denen der Akteur anlässlich mehrerer Aktivitäten in Kontakt kommt, nur einmal berücksichtigt werden. Und drittens ist dabei die zeitliche Restriktivität der einzelnen FokiFootnote 8 bzw. die Kontakthäufigkeit zu vermittelnden Personen bedeutsam. Da die Kontaktgelegenheiten nicht wie im Blau-Ansatz über die relative Verteilung der Bevölkerung über die Relevanzmerkmale definiert sind, sondern sich durch Aggregation über die Foki sozialer Aktivität des Individuums ergeben, stellt nicht nur die relative Verteilung der potenziellen Interaktionspartner, sondern auch die absolute Anzahl potenzieller Kontakte einen Indikator für die Kontaktgelegenheiten dar.

Da die soziale Umgebung der Akteure neben der räumlichen Sozialstruktur durch viele weitere soziale und auch sozialpsychologische Mechanismen vorstrukturiert ist (s. u. Punkt 5.3) und viele Foki sehr homogen strukturiert sein können (s. o. Punkt 3.2), ist eine viel größere Variabilität der resultierenden Kontaktgelegenheiten zu erwarten, als dies in Bezug auf den nur räumlich eingegrenzten Einfluss der Sozialstruktur nach dem Blau-Ansatz der Fall ist. Im Ansatz von Blau entsteht die Variabilität in Bezug auf die Sozialstruktur in räumlicher Eingrenzung nämlich nur durch die regionalen Unterschiede sowie durch den relationalen Charakter der relevanten Merkmale, so dass Individuen mit gleichen Merkmalsausprägungen in der gleichen Region auch die gleichen regional definierten Kontaktgelegenheiten aufweisen. Die Anzahl der Kontaktgelegenheiten auf Basis der sozialen Umgebung sind dagegen zusätzlich von der Art, Anzahl und Struktur der interindividuell verschiedenen Foki sozialer Aktivität und überdies von den dort verfügbaren Systemkapitalien abhängig.

4.3 Systemkapital in Foki

Je nach der Art der organisierten Aktivität und der Zusammensetzung eines Fokus stellt dieser durch die geltenden Normen, den Informationsfluss über relevante Eigenschaften der Akteure und die Flukuation der Fokuspersonen in unterschiedlichem Maße Systemkapital bereit, also emergente Eigenschaften des Netzwerks im Fokus, die in erster Linie aus der sozialen Aktivität resultieren, die dem Fokus zugrunde liegen (Esser 2000a: 256 ff.) und die Kontaktaufnahme ermöglichen. Das durch die Foki eines Individuums gegebene und vorstrukturierte Personal der sozialen Umgebung stellt nur insoweit tatsächlich Kontaktgelegenheiten dar, als dass die im Folgenden genauer diskutierten Systemkapitalien dies erlauben.Footnote 9 Die in einem Fokus geltenden Normen können die Entstehung einer bestimmten Art von Beziehung fördern oder behindern. Je nachdem, in welchem Maße die Interaktion im Fokus reglementiert ist und in welchem Maße die Interaktionsregeln das gegenseitige Kennenlernen und eine Interaktionsverdichtung fördern, ist ein Fokus mehr oder minder für die Etablierung von dyadischen Beziehungen unterschiedlicher Art geeignet.

Die mit einem Fokus verknüpften sozialen Aktivitäten können jeweils spezifische Kommunikationen erfordern, andere gegebenenfalls verhindern und sind damit unterschiedlich dazu geeignet, relevante Information über die Fokuspersonen zu vermitteln. Daher sind die Kommunikationsmuster eines Fokus mehr oder weniger in der Lage, Interaktionen zu fördern, die der Entwicklung einer Beziehung bestimmter Art zuträglich sind. Allgemein können Aspekte der Situation bei der Entstehung von Beziehungen eine bedeutende Rolle spielen. Berscheid und Walster (1974) haben bspw. gezeigt, dass Situationen, die mit physischer Erregung einhergehen, dazu geeignet sind, dass das Gefühl der Verliebtheit entsteht.

Soziale Aktivitäten erfordern außerdem in unterschiedlichem Maße eine nachhaltige Einbindung der Akteure. Wechselt das Personal eines Fokus zu schnell, so behindert dies die Möglichkeit, in wiederholte Interaktion einzutreten, die sich vom Fokus ablösen kann. Herrscht sehr wenig Fluktuation, so beschränkt auch dies langfristig die Möglichkeit, (neue) potenzielle Interaktionspartner kennenzulernen.

Die für Foki abgeleiteten Aussagen gelten dabei sinngemäß auch für nicht regelmäßig wiederkehrende Situationen, in denen Kontaktgelegenheiten durch Transitivität entstehen.

4.4 Antizipierter Charakter einer potenziellen Beziehung

Die von Feld (1981) postulierte positive Bewertung der Interaktion in einem Fokus ist nur bei freiwilliger Beteiligung an einem Fokus plausibel. Die Partizipation an Foki, aus denen sich Akteure nur unter hohen Kosten lösen können (z. B. Arbeitsplatz, Schule, Nachbarschaft, Familie), wird zwar auch bei negativ bewerteter Interaktion im Fokus eher aufrecht erhalten. Bei negativer Interaktionsbewertung werden Akteure dort allerdings eher selten einen Interaktionspartner für weitere Aktivitäten suchen.Footnote 10

Außerdem kann der Akteur gegebenenfalls die normative Einbettung einer potenziellen Beziehung in einen Fokus antizipieren. Unter Umständen verbindet der Akteur mit Personen aus einem bestimmten Fokus auch ganz spezielle Persönlichkeitsmerkmale. Die Antizipation sowohl der Einbettung der potenziellen Beziehung als auch bestimmter Persönlichkeitsmerkmale können dazu führen, dass der Akteur eine aus einem Fokus entstehende Beziehung entweder ablehnt oder gerade erhofft. Die Antizipation der Eigenschaften des Fokus oder der dort angetroffenen Personen kann auch als mentale Rahmung der Situation durch den Akteur interpretiert werden und ist insofern kompatibel mit dem Framing-Konzept von Esser (1996; Kroneberg 2005).

5. Forschungsleitende Hypothesen

Aus den vorstehenden Überlegungen lassen sich einige zentrale forschungsleitende Hypothesen ableiten:

  1. 1.

    Sozialstrukturelle Gegebenheiten in einer räumlich definierten Einheit penetrieren nur in geringem Umfang in die konkrete soziale Umgebung der Individuen, da diese von der fokussierten Organisation der sozialen Aktivitäten geprägt ist.

  2. 2.

    Da die konkreten, durch die soziale Umgebung der Individuen vermittelten Kontaktgelegenheiten in wesentlich höherem Maße abzählbar sind als bei einer sozialräumlichen Konzeption, wirken sich nicht nur relative Knappheiten auf die tatsächlichen Interaktionsgelegenheiten aus, wie z. B. die Sex Ratio auf die Partnermarktgelegenheiten oder der Ausländeranteil im Wohnviertel auf die Gelegenheiten zu interethnischen Kontakten. In der sozialen Umgebung der Individuen lassen sich vielmehr auch absolute Knappheiten sinnvoll quantifizieren. Es kann damit gemessen werden, mit wie vielen verfügbaren Personen mit relevanten Eigenschaften dem Akteur ein Kontakt überhaupt möglich ist.

  3. 3.

    Die Art der Aktivität, die durch einen Fokus organisiert wird, bedingt unterschiedliche Ausformungen von Systemkapital, das der Etablierung von Beziehungen förder- oder hinderlich sein kann. Dabei spielen insbesondere die geltenden Normen, die Kommunikationsstrukturen, der Informationsfluss sowie die Fluktuation der Personen im Fokus eine Rolle. Daher sind die quantitativen Kontaktgelegenheiten (vgl. Hypothesen 1 und 2) mit den entsprechenden Merkmalsausprägungen des Fokus zu gewichten.

  4. 4.

    Foki tragen in dem Maße zu den Kontaktgelegenheiten bei, in dem sie die Zeit der Individuen beanspruchen.

  5. 5.

    Schließlich spielen auch subjektive Einstellungen der Akteure eine Rolle, insbesondere die Beurteilung der Interaktion im Fokus durch den Akteur, seine Erwartungen hinsichtlich der Einbettung einer eventuellen Beziehung und hinsichtlich der Eigenschaften der Fokuspersonen. Auch diese Einstellungen zum Fokus müssen bei der Gewichtung der quantitativen Kontaktgelegenheiten berücksichtigt werden.

Empirische Untersuchungen sollten zum Ziel haben, die relative Bedeutung der verschiedenen hier angesprochenen Einflussfaktoren für die Interaktionsopportunitäten der Akteure und die daraus resultierenden Wahlen von Interaktionspartnern zu klären.

6. Opportunitäten und Restriktionen des Kennenlernens auf dem Partnermarkt

Aus den vorstehenden Überlegungen wird deutlich, dass Individuen nicht nur aufgrund ihrer Positionierung im Blau-Space unterschiedlich strukturierte Märkte für potenzielle Interaktionspartner vorfinden. Soziale Unterschiede der Kontaktgelegenheiten entstehen durch die unterschiedliche Anzahl, Größe, zeitliche Restriktivität und die personelle Überlappung der individuellen Foki sozialer Aktivität, durch die über die individuellen Foki aggregierte unterschiedliche Anzahl der potenziellen Kontakte mit relevanten und verfügbaren Personen sowie durch das Ausmaß, in dem die soziale Aktivität, um die die Foki organisiert sind, die Kontakte katalysiert und neben dem „meeting“ auch ein „mating“ ermöglicht (Verbrugge 1977). Außerdem unterscheiden sich die Individuen auch darin, inwieweit sie Beziehungen, die aus einem bestimmten Fokus hervorgehen, für möglich und vorteilhaft halten. Daneben finden sich auch interindividuelle Unterschiede hinsichtlich der Anzahl bekannter Personen, die Kontakte zu potenziellen Interaktionspartnern vermitteln können. Soziale Ungleichheit entsteht aus diesen Mechanismen, insofern ihre unterschiedliche Ausgestaltung stark mit der Zugehörigkeit zu sozialen Positionen verknüpft ist. Ob die recht grobe Analyse des Blau-Space ausreicht oder ob die nicht unaufwändige skizzierte Erfassung der Kontaktgelegenheiten in der sozialen Umgebung der Individuen notwendig ist, entscheidet sich letztlich am Grad der Penetration der sozialstrukturellen Gegebenheiten in die konkrete soziale Umgebung der Individuen.

Um die Relevanz des vorgeschlagenen allgemeinen Konzepts zur Analyse der Vorstrukturierung der Interaktionsgelegenheiten zu demonstrieren, werden diese Überlegungen und Begrifflichkeiten im Folgenden auf das Beispiel des PartnermarktsFootnote 11 angewendet.

Die Opportunitäten des Partnermarkts beschränken eine Vielzahl familiensoziologisch bedeutsamer Handlungen. Bezüglich der Partnerwahl hat zunächst die Größe des Partnermarkts Einfluss auf die Transparenz des Markts, auf die Effizienz der Partnersuche und auf die so genannten Suchkosten (Becker 1974, 1993; Becker et al. 1977; Oppenheimer 1988). Auch hinsichtlich der Eigenschaften eines potenziellen Partners herrschen keineswegs freie Wahlmöglichkeiten (vgl. Blau 1977a, 1977b, 1994; Blau et al. 1982; Blau et al. 1984; Klein 2000; Klein/Rüffer 2001). Außerdem hat u. U. die (Un-)Ausgewogenheit des Partnermarkts, wie sie sich derzeit bspw. in Ostdeutschland entwickelt, einen erheblichen Einfluss auf die Chance, überhaupt einen Partner zu finden. Die Möglichkeiten und Restriktionen der Partnerwahl wirken sich zudem auf die Beziehungsstabilität aus. Zum einen steigern hohe Suchkosten auf dem Partnermarkt die Wahrscheinlichkeit, dass nicht der „optimale“ Partner gefunden wurde und erhöhen so das Scheidungsrisiko (Becker et al. 1977: 1150). Zum anderen hängt die Beziehungsstabilität zu einem gegebenen Zeitpunkt im Beziehungsverlauf auch von den dann gegebenen Alternativen für eine erneute Partnerwahl ab (Klein 1994; Stauder 2002). Die heute häufigeren Partnerwechsel nehmen dabei auch Einfluss auf die Geburtenentwicklung (Eckhard 2006; Klein 2003; Klein/Eckhard 2004: 74). Außerdem hat der Partnermarkt auch Einfluss auf die eheliche Arbeitsteilung, die sich als Ergebnis der Machtverteilung zwischen den Partnern interpretieren lässt. Die unterschiedlich verteilte Chance auf einen alternativen Partner lässt sich in diesem Zusammenhang als Machtgefälle in der ehelichen Beziehung interpretieren (vgl. Guttentag/Secord 1983; Nauck 1989: 47 f.; Stauder 2002: 96 f.).

Auch wenn dank der modernen Telekommunikations-Technik Partnerbörsen im Internet einen ungeahnten Boom erleben (Nielsen//NetRatings 2005), kann man zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht davon sprechen, dass der Partnermarkt soweit organisiert ist, dass die Gelegenheit, in der sozialen Umgebung geeigneten Personen zu begegnen, keine bedeutsame Rolle mehr spielt.

Das Eingehen einer Partnerschaft setzt die Existenz mindestens eines potenziellen Partners in der sozialen Umgebung des Akteurs voraus, der zumindest im Hinblick auf einige zentrale Merkmale für den partnersuchenden Akteur relevant ist. In der Partnerwahlforschung geht man davon aus, dass geeignete Kandidaten des Gegengeschlechts einen in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht bestimmten Altersabstand nicht überschreiten sollten (Klein/Stauder 2008).Footnote 12 Das Bildungsmerkmal kann einerseits als substitutives Merkmal interpretiert werden, da ungleiches erwerbsspezifisches Humankapital eine effiziente eheliche Arbeitsteilung ermöglicht (Becker 1993: 30 ff.). Andererseits steht ein ähnliches Bildungsniveau auch für Ähnlichkeit im Kommunikationsverhalten, den Einstellungen und Interessen, erhöht somit die Passung der Partner und kann daher auch als komplementäres Merkmal verstanden werden (Diekmann/Klein 1991, 1993: 352). Da die intime Paarbeziehung im westlichen Kulturkreis als exklusive Beziehung definiert ist, sind natürlich solche Personen, die bereits einen Partner haben, nur sehr eingeschränkt, aber mit messbarer Wahrscheinlichkeit, als Partner verfügbar (vgl. Stauder 2006). Ebenfalls wegen der Exklusivität der Paarbeziehung spielt auf dem Partnermarkt Konkurrenz eine bedeutsame Rolle. Die Wahrscheinlichkeit, einen Partner mit diesen oder jenen Eigenschaften für sich zu gewinnen, hängt für einen Akteur daher vom (Un-)Gleichgewicht der für ihn verfügbaren und relevanten Personen des Gegengeschlechts einerseits und jenen Personen des eigenen Geschlechts andererseits ab, die für erstere verfügbar und relevant sind.

In der Forschung zur Interaktion in der Beziehung,Footnote 13 zur PartnerwahlFootnote 14 sowie zur Trennung von PaarenFootnote 15 wurden solche Partnermarktungleichgewichte zunächst in der Tradition von Blau auf der Basis von Massendaten durch eine in geografischen Grenzen definierte Sex Ratio operationalisiert, die – je nach Verfügbarkeit der Daten mehr oder weniger raffiniert – die Relevanz und die Verfügbarkeit berücksichtigte.Footnote 16 Einen alternativen Ansatz zur Messung der Partnermarktgelegenheiten auf der Basis von Fokusstrukturen haben dagegen Klein und Stauder (2008) vorgelegt.Footnote 17 Auf der Basis der Relevanz bestimmter Altersgruppen für den Partnermarkt des Befragten wird dabei für alle vom Befragten als partnermarktrelevant erachteten Foki sozialer Aktivität die Anzahl relevanter Personen erhoben und in Beziehung gesetzt zu der ebenfalls erhobenen Anzahl der relevanten Konkurrenten. Die Foki sozialer Aktivität und deren Partnermarktrelevanz werden dabei ohne vorherige Kategorisierung erhoben, so dass die gesamte relevante soziale Umgebung der Befragten erfasst werden kann.Footnote 18 Dabei konnte auch gezeigt werden, dass die erhobenen Informationen valide sind (Klein/Stauder 2008: 90 ff.). Erste, hier nicht en detail wiedergegebene Ergebnisse mit diesen Daten deuten darauf hin, dass die regionale Sozialstruktur die Gelegenheiten in der konkreten sozialen Umwelt der Individuen – also deren Foki sozialer Aktivität – zwar beeinflussen, diese aber bei weitem nicht erklären können. Die oben abgeleitete forschungsleitende Hypothese, nach der die Sozialstruktur nur sehr mäßig in die soziale Umgebung der Individuen penetriert, erfährt damit eine erste Bestätigung.

Ob und inwieweit es tatsächlich zu einer Kontaktaufnahme mit Personen eines Fokus kommen kann, die partnermarktrelevant und verfügbar sind, hängt außerdem von der Partnermarkteffizienz des Fokus ab; diese ist konzeptionell stark an das in der jeweiligen Situation vorhandene Systemkapital geknüpft. Die geltenden Normen können jede Kontaktaufnahme, die nicht unmittelbar der Fokusaktivität dient, unterbinden. Solche Normen können beispielsweise an bestimmten Arbeitsplätzen gelten, an denen die Anbahnung einer Intimbeziehung unerwünscht ist.Footnote 19 Die verbalen und non-verbalen (Regel-)Kommunikationen, die in den unterschiedlichen Foki sozialer Aktivität erforderlich oder möglich sind, sind in unterschiedlichem Maße dazu geeignet, Informationen über die Partnermarktrelevanz und die Verfügbarkeit der Fokuspersonen zu erhalten. Beispielsweise erlaubt Fließbandarbeit je nach Bandgeschwindigkeit und Arbeitsdichte nur in geringem Maße ein Gespräch über die unmittelbaren Arbeitsabläufe hinaus. Andere Arbeitsformen, wie zum Beispiel viele Bürotätigkeiten, erlauben eher Gespräche, in denen auch private Informationen ausgetauscht werden. Im Hinblick auf nonverbale Kommunikation trägt vorteilhafte Kleidung dazu bei, Informationen über körperliche Attribute auszutauschen, die zumindest zu Beginn einer Partnerschaft nicht unwichtig sind. Ein Arbeitsplatz, an dem unförmige Schutzkleidung vorgeschrieben ist, führt zu eingeschränkter Information über die körperlichen Attribute der Arbeitskollegen. Umgekehrt unterstreicht der Dresscode in manchen Discotheken oder Clubs gerade diese relevanten körperlichen Attribute. Herrscht in einem Fokus, z. B. am Arbeitsplatz, eine sehr stabile Personalsituation, so ergeben sich dort bald keine (neuen) Gelegenheiten zum Kontakt mit potenziellen Partnern mehr. Ist die Personalsituation dagegen sehr wechselhaft, wie z. B. in einem großen Lokal, so ergeben sich immer wieder neue Kontaktgelegenheiten. Ist die Fluktuation aber zu groß, so ergeben sich überhaupt keine Gelegenheiten zur wiederkehrenden Interaktion und eine Kontaktanbahnung hat geringe Chancen.Footnote 20 Nicht unerheblich dürfte außerdem sein, ob sich ein Individuum die Beziehung mit Personen eines Fokus vorstellen kann, und dies ist abhängig von dessen subjektiver Bewertung der dort stattfindenden Interaktionen und der erwarteten Einbettung einer Partnerschaft in diesen Kontext.

Hat man, wie von Klein und Stauder bereits erprobt, eine Liste der für ein Individuum bedeutsamen Foki sozialer Aktivität zusammengestellt, so lassen sich für diese Foki von den Individuen jeweils Einschätzungen zu den oben genannten Aspekten erheben. Ein Indikator für die Partnermarktopportunitäten entsteht schlussendlich, wenn man aus der ermittelten Anzahl relevanter und verfügbarer Personen des Gegengeschlechts über alle Foki eines Individuums hinweg eine gewichtete Summe bildet. Die Gewichte sind hierbei aus Angaben zur zeitlichen Bedeutung, zur personellen Überlappung der Foki und zu den verschiedenen Aspekten der Partnermarkteffizienz abzuleiten. Dieses Angebot lässt sich seinerseits mit der gewichteten Summe der Konkurrenten in allen Foki in Beziehung setzen, so dass aus diesem Verfahren letztlich eine Sex Ratio abgeleitet wird, die sich aber nicht auf ein geografisches Gebiet bezieht, sondern auf die soziale Umgebung jedes einzelnen Befragten. In ähnlicher Weise lassen sich die Kontaktgelegenheiten ermitteln, die auf transitive Beziehungen des Individuums zurückzuführen sind.

Durch Variation der Berücksichtigung der verschiedenen Einflussfaktoren lässt sich auf dieser Grundlage dann auch empirisch analysieren, ob und in welchem Maße die Kontaktgelegenheiten durch die verschiedenen genannten Aspekte der sozialen Vorstrukturierung in Foki sozialer Aktivität beeinflusst werden. Außerdem lässt sich klären, inwieweit Kontaktgelegenheiten bereits durch die soziale Position im Blau-Space, durch die Foki sozialer Aktivität oder durch die Transitivität bestehender Sozialbeziehungen bereitgestellt werden.Footnote 21

7. Diskussion

Die erklärende Soziologie steht nicht nur vor den Problemen der Konzeptualisierung des Mikro-Makro-Links und der subjektiven Situationsdefinition durch den Akteur. Immer dann, wenn der Markt für geeignete Interaktionspartner insgesamt unausgeglichen oder unzureichend organisiert ist, muss sie auch einen strukturellen Makro-Mikro-Link berücksichtigen.

Der Beitrag entwickelt aus strukturtheoretischen Überlegungen nach Blau ein Konzept zur Integration der Kontaktgelegenheiten in das Modell der soziologischen Erklärung. Die möglichen Kontakte zu den Individuen im Blau-Space werden dabei als „potenzielles“ Beziehungskapital interpretiert. Anhand des Konzepts der Foki sozialer Aktivität wird theoretisch aufgezeigt, dass die sozialen Handlungskontexte der Individuen durch die funktionale Organisation sozialer Aktivitäten wahrscheinlich in hohem Maße sozial vorstrukturiert sind. Die Kontaktgelegenheiten sind dabei sowohl durch relative, als auch in erheblichem Maße durch absolute Knappheiten sowie durch das vorhandene Systemkapital in den Foki und auch durch die situationsabhängige subjektive Rahmung des Akteurs geprägt. Die Vielzahl der Einflussfaktoren legt nahe, dass die Opportunitäten große interindividuelle Variabilität aufweisen, die sich im Vorhinein kaum mit typisierenden Situationsbeschreibungen erfassen lässt, sondern eine differenzierende operationale Konzeption erfordern. Wie eine solche Konzeption gestaltet werden könnte, wird am Beispiel des Partnermarkts skizziert.

Für die weitere Verfolgung einer fokusorientierten Analyse der Handlungsopportunitäten sprechen abschließend folgende Aspekte: (1) Das Konzept präzisiert das Situationskonzept im Modell der soziologischen Erklärung, indem es die Variabilität der sozialen Umgebung der Individuen einer differenzierten empirischen Beschreibung zugänglich macht, anstatt sie nur grob zu typisieren. (2) Es erlaubt über die Formulierung gehaltvoller Brückenannahmen zum potenziellen Beziehungskapital die Integration strukturtheoretischer Überlegungen in den individualistischen Ansatz. (3) Es berücksichtigt die Vorstrukturierung der Kontaktgelegenheiten durch die Organisation sozialer Aktivitäten. (4) Darüber hinaus kann in der Operationalisierung auch die Abhängigkeit der Kontaktgelegenheiten von normativen und kommunikativen Strukturen in den entsprechenden Foki sozialer Aktivität berücksichtigt und somit auch empirisch analysiert werden.

Die Erhebung von Daten, die dieser Konzeption genügen, steht noch aus.Footnote 22 Von der Bearbeitung des hier skizzierten Forschungsprogramms sind zum einen wesentliche Fortschritte für das Verständnis des Makro-Mikro-Links und die Analyse des Partnermarkts zu erwarten. Die Konzeption wird aber zum anderen auch hilfreich sein, um bislang nicht analysierbare Problemstellungen in anderen Gegenstandsbereichen, wie z. B. die Analyse von Freundschaftsbeziehungen (Wolf 1996) und interethnischen Kontaktchancen (Farwick 2007), zu bearbeiten.