Zusammenfassung
Hintergrund
Die Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von Cannabisprodukten in der Behandlung neuropathischer Schmerzsyndrome wurde in aktuellen Übersichtsarbeiten unterschiedlich eingeschätzt.
Material und Methoden
Eine systematische Literatursuche bis November 2015 wurde in den Datenbanken Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL), PubMed und Clinicaltrials.gov durchgeführt. Gesucht wurde nach randomisierten, kontrollierten Studien (RCT) mit einer Studiendauer von ≥ 2 Wochen und einer Studienteilnehmerzahl von mindestens n = 9 pro Studienarm mit Medizinalhanf und/oder (halb-)synthetischen Cannabinoiden im Vergleich zu Placebo oder einem anderen aktiven Medikament bei chronischen neuropathischen Schmerzsyndromen. Klinische Endpunkte der Analyse waren Wirksamkeit (≥ 30 %ige bzw. 50 %ige Schmerzreduktion, durchschnittliche Schmerzintensität, globale Besserung, gesundheitsbezogene Lebensqualität), Verträglichkeit (Abbruchrate wegen Nebenwirkungen; zentralnervöse und psychiatrische Nebenwirkungen) und Sicherheit (schwerwiegende Nebenwirkungen). Mithilfe eines Random-effects-Modells wurde für kategoriale Daten die absolute Risikodifferenz (RD) und für kontinuierliche Variablen die standardisierte Mittelwertdifferenz (SMD) berechnet. Die methodische Qualität der RCT wurde mit dem Cochrane Risk of Bias Tool evaluiert.
Ergebnisse
Wir schlossen 15 RCT und 1619 Teilnehmer ein. Die Studiendauer lag zwischen 2 und 15 Wochen. Zehn Studien verwendeten ein pflanzenbasiertes Spray aus Tetrahydrocannabinol/Cannabidiol, 3 Studien ein synthetisches Cannabinoid (2-mal Nabilon, 1-mal Dronabinol) und 2 Studien Medizinalhanf. Die 13 Studien mit parallelem bzw. Cross-over-Design ergaben folgende Ergebnisse [mit 95 %-Konfidenzintervall (KI)]: Cannabinoide waren Placebo in der Reduktion der Schmerzintensität mit einer SMD von − 0,10 (95 %-KI: − 0,20–− 0,00; p = 0,05; 13 Studien mit 1565 Teilnehmern), in der Häufigkeit einer ≥ 30 %igen Schmerzreduktion mit einer RD von 0,10 [95 %-KI: 0,03–0,16; p = 0,004; 9 Studien mit 1346 Teilnehmern; „number needed to treat for additional benefit“ (NNTB): 14; 95 %-KI: 8–45] und in der Häufigkeit einer starken oder sehr starken globalen Verbesserung mit einer RD von 0,09 (95 %-KI: 0,01–0,17; p = 0,02; 7 Studien mit 1092 Teilnehmern; NNTB: 15; 95 %-KI: 8–58) überlegen. Es fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Cannabinoiden und Placebo in der Häufigkeit einer ≥ 50 %igen Schmerzreduktion, in der Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und in der Häufigkeit schwerer Nebenwirkungen. Patienten unter Cannabinoiden brachen die Therapie häufiger wegen Nebenwirkungen ab [RD: 0,04; 95 %-KI: 0,01–0,07; p = 0,009; 11 Studien mit 1574 Teilnehmern; „number needed to treat for additional harm“ (NNTH): 19; 95 %-KI: 13–37)], berichteten häufiger zentralnervöse Nebenwirkungen (RD: 0,38; 95 %-KI: 0,18–0,58; p = 0,0003; 9 Studien mit 1304 Teilnehmern; NNTH: 3; 95 %-KI: 2–4) und ebenso psychiatrische Nebenwirkungen (RD: 0,11; 95 %-KI: 0,06–0,16; p < 0,0001; 9 Studien mit 1304 Teilnehmern; NNTH: 8; 95 %-KI: 7–12).
Schlussfolgerungen
Cannabinoide waren Placebo in der Wirksamkeit geringfügig überlegen, in ihrer Verträglichkeit aber unterlegen. Hinsichtlich der Sicherheit im Studienzeitraum ergab sich kein Unterschied. Bei ausgewählten Patienten mit neuropathischen Schmerzen können Cannabinoide für eine kurz- und mittelfristige Therapie mit Cannabinoiden bei nicht ausreichendem Effekt von Erst- und Zweitlinientherapien in Betracht gezogen werden.
Abstract
Background
Recently published systematic reviews came to different conclusions with respect to the efficacy, tolerability and safety of cannabinoids for treatment of chronic neuropathic pain.
Material and methods
A systematic search of the literature was carried out in MEDLINE, the Cochrane central register of controlled trials (CENTRAL) and clinicaltrials.gov up until November 2015. We included double-blind randomized placebo-controlled studies (RCT) of at least 2 weeks duration and with at least 9 patients per treatment arm comparing medicinal cannabis, plant-based or synthetic cannabinoids with placebo or any other active drug treatment in patients with chronic neuropathic pain. Clinical endpoints of the analyses were efficacy (more than 30 % or 50 % reduction of pain, average pain intensity, global improvement and health-related quality of life), tolerability (drop-out rate due to side effects, central nervous system and psychiatric side effects) and safety (severe side effects). Using a random effects model absolute risk differences (RD) were calculated for categorical data and standardized mean differences (SMD) for continuous variables. The methodological quality of RCTs was rated by the Cochrane risk of bias tool.
Results
We included 15 RCTs with 1619 participants. Study duration ranged between 2 and 15 weeks. Of the studies 10 used a plant-derived oromucosal spray with tetrahydrocannabinol/cannabidiol, 3 studies used a synthetic cannabinoid (2 with nabilone and 1 with dronabinol) and 2 studies used medicinal cannabis. The 13 studies with parallel or cross-over design yielded the following results with 95 % confidence intervals (CI): cannabinoids were superior to placebo in the reduction of mean pain intensity with SMD − 0.10 (95 % CI − 0.20– − 0.00, p = 0.05, 13 studies with 1565 participants), in the frequency of at least a 30 % reduction in pain with an RD of 0.10 [95 % CI 0.03–0.16, p = 0.004, 9 studies with 1346 participants, number needed to treat for additional benefit (NNTB) 14, 95 % CI 8–45] and in the frequency of a large or very large global improvement with an RD of 0.09 (95 % CI 0.01–0.17, p = 0.009, 7 studies with 1092 participants). There were no statistically significant differences between cannabinoids and placebo in the frequency of at least a 50 % reduction in pain, in improvement of health-related quality of life and in the frequency of serious adverse events. Patients treated with cannabinoids dropped out more frequently due to adverse events with an RD of 0.04 [95 % CI 0.01–0.07, p = 0.009, 11 studies with 1572 participants, number needed to treat for additional harm (NNTH) 19, 95 % CI 13–37], reported central nervous system side effects more frequently with an RD of 0.38 (95 % CI 0.18–0.58, p = 0.0003, 9 studies with 1304 participants, NNTH 3, 95 % CI 2–4) and psychiatric side effects with an RD of 0.11 (95 % CI 0.06–0.16, p < 0.0001, 9 studies with 1304 participants, NNTH 8, 95 % CI 7–12).
Conclusion
Cannabinoids were marginally superior to placebo in terms of efficacy and inferior in terms of tolerability. Cannabinoids and placebo did not differ in terms of safety during the study period. Short-term and intermediate-term therapy with cannabinoids can be considered in selected patients with chronic neuropathic pain after failure of first-line and second-line therapies.
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Neuropathischer Schmerz wurde von der Special Interest Group der International Association for the Study of Pain (IASP) als Schmerz definiert, der als direkte Folge einer Verletzung oder Erkrankung des somatosensorischen Systems entsteht („pain caused by a lesion or disease of the somatosensory nervous system“), und in die IASP Taxonomy übernommen [1, 2]. Neuropathischer Schmerz kann einerseits als zentral (Schaden des Gehirns oder des Rückenmarks) oder peripher (Schaden eines peripheren Nervs, eines Plexus, eines Hinterwurzelganglions, einer Nervenwurzel) klassifiziert werden, andererseits nach seiner Ätiologie eingeteilt werden: ischämischer oder hämorrhagischer Schlaganfall, Entzündung, neurotoxisch, neurodegenerativ, paraneoplastisch, metabolisch, vitaminmangel- und malignombedingt [3].
Grundsätzlich ist neuropathischer Schmerz die Konsequenz einer maladaptiven Antwort des Nervensystems auf zahlreiche potenzielle Schadensmechanismen. Er ist gekennzeichnet durch Schmerzen in Abwesenheit von noxischen Stimuli und kann spontan (kontinuierlich oder paroxysmal) oder durch äußere Reize (z. B. Berührung) ausgelöst werden. Neuropathischer Schmerz ist assoziiert mit typischen klinischen Befunden wie sensorischen Defiziten („loss of function“: z. B. Taubheit) und/oder einer übersteigerten Wahrnehmung sensorischer Reize („gain of function“: z. B. Allodynie). Die Symptommuster können sich zwischen einzelnen Krankheiten und Patienten mit derselben Krankheit unterscheiden, vielleicht als Folge unterschiedlicher Schmerzmechanismen [4].
Eine systematische Übersicht von epidemiologischen Studien über die Prävalenz neuropathischer Schmerzen kam entsprechend dieser verschiedenen Sichtweisen zu folgenden Ergebnissen. Die Prävalenz von chronischen Schmerzen mit neuropathischen Charakteristika liegt zwischen 6,9 und 10 %. Bei spezifischen Erkrankungen kommen neuropathische Schmerzen ebenfalls mit großer Variabilität vor, z. B. bei der postherpetischen Neuralgie mit 3,9–42,0 Fällen/100.000 Personenjahre, bei der Trigeminusneuralgie mit 12,6–28,9 Fällen/100.000 Personenjahre und bei der schmerzhaften diabetischen peripheren Neuropathie mit 15,3–72,3 Fällen/100.000 Personenjahre [5].
Aktuelle Leitlinien zum neuropathischen Schmerz empfehlen übereinstimmend spezielle Antidepressiva und Antikonvulsiva zur Behandlung [6, 7]. Der Anteil der Patienten, die eine substanzielle Schmerzreduktion (≥ 50 %) mit diesen Medikamenten angeben, liegt bei 10–25 % über Placebo mit einer „number needed to treat for an additional beneficial outcome“ (NNTB) zwischen 4 und 10 [6]. Daher besteht die Notwendigkeit, die Wirksamkeit anderer medikamentöser Therapieoptionen, z. B. von Cannabisprodukten, bei chronischen neuropathischen Schmerzen zu überprüfen.
Derzeit können in Deutschland drei Cannabisprodukte per Betäubungsmittelrezept verschrieben werden: Dronabinol [teilsynthetisch produziertes Tetrahydrocannabinol (THC)], Nabilon (vollsynthetisch hergestelltes THC) und eine Kombination von THC und Cannabidiol (CBD; Nabiximols) als oromukosales Spray. Zudem besteht die Möglichkeit einer Ausnahmeerlaubnis durch das Bundesinstitut für Arzneimittel zur Verwendung von Cannabisblüten aus der Apotheke. Zugelassen und von den Krankenkassen erstattet wird in Deutschland bisher nur die Mischung von THC und CBD als oromukosales Spray zur Behandlung der Spastik bei multipler Sklerose (MS). In der Regel übernehmen die Krankenkassen die Kosten für Cannabisprodukte außerhalb dieser Zulassung bisher nicht. Die Bundesregierung plant, den Gebrauch von Cannabinoiden bei bestimmten medizinischen Indikationen zu erleichtern. Ein Referentenentwurf der Bundesregierung schlägt die Einrichtung einer staatlichen Stelle, die den Anbau und Handel von Cannabis (Medizinalhanf) zur Schmerztherapie überwachen soll („Cannabisagentur“), vor [8]. Bei welchen chronischen Schmerzsyndromen Cannabisprodukte in Zukunft in Deutschland verwendet werden können, ist noch nicht geklärt.
Cannabisprodukte werden von einer kanadischen Leitlinie als eine Therapieoption bei chronischen neuropathischen Schmerzen genannt [9], eine amerikanische Leitlinie sieht eine Indikation für zentrale Schmerzen und Spastik bei MS [10]. Aktuelle systematische Übersichtsarbeiten kamen jedoch zu unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von Cannabisprodukten bei chronischen neuropathischen Schmerzsyndromen [6, 10–14]. Dies erklärt sich vermutlich in erster Linie durch die unterschiedlichen Einschlusskriterien der berücksichtigten Studien (Tab. 8) oder durch den Fokus auf Spastik und Schmerz [10].
In Anbetracht der Diskussionen um den Einsatz von Cannabisprodukten zu medizinischen Zwecken ist das Ziel dieser systematischen Übersichtsarbeit, die vorhandene Evidenz für die Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von Cannabinoiden im Vergleich zu Placebo oder etablierten Therapien bei Patienten aller Altersklassen mit neuropathischen Schmerzsyndromen zusammenzufassen. Von besonderem Interesse sind die Datenlage zur Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von Medizinalhanf im Vergleich zu Placebo, etablierten Therapien oder (teil-)synthetisch hergestellten Cannabinoiden sowie die Ursachen für die unterschiedlichen Ergebnisse der aktuellen systematischen Übersichtsarbeiten zu diesem Thema.
Methoden
Diese Übersichtsarbeit wurde gemäß dem Preferred-Reporting-Items-for-Systematic-Reviews-and-Meta-Analyses(PRISMA)-Statement [15], den IMMPACT-Empfehlungen [16] und nach den Empfehlungen der Cochrane Collaboration [17] durchgeführt.
Datenbanken und Suchstrategie
Es wurde eine systematische Suche in den Datenbanken Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL) und PubMed bis November 2015 durchgeführt. Die Suchstrategie für PubMed ist in Tab. 1 dargestellt.
Weiterhin wurde auf Clinicaltrials.gov nach noch nicht veröffentlichten Studienergebnissen gesucht. Die Treffer wurden mit der Literaturliste von aktuellen systematischen Übersichtsarbeiten [6, 10–14] sowie mit der Datenbank der International Association for Cannabinoid Medicines (IACM; [18]) abgeglichen. Weiterhin wurden die Literaturlisten der gefundenen Originalarbeiten manuell überprüft.
Die Literatursuche wurde von 2 Autoren (FP; WH) unabhängig durchgeführt. Die Suchergebnisse wurden auf der Grundlage von Titeln, Abstracts und teilweise Volltextanalysen unter Verwendung definierter Ein- und Ausschlusskriterien (Filter) für die Verwendbarkeit für die Metaanalysen von randomisierten, kontrollierten Studien [„randomized controlled trials“ (RCT)] analysiert. Filter 1 schloss Suchergebnisse bei folgenden Kriterien aus: Fragestellung nicht untersucht; keine kontrollierte Studie; Tierstudien; keine vollständige Publikation (z. B. Abstract); Fallberichte; Leserbriefe; Doppelpublikation; erkennbare Verletzung der Ein- und Ausschlusskriterien im Abstract. Die verbleibenden Studien wurden im Volltext bestellt. Filter 2 bedeutete den „Ein- und Ausschluss aufgrund der Kriterien des Filters 1 nach Lektüre der Volltexte“.
Ein- und Ausschlusskriterien
Arten von Studien
Die Ein- und Ausschlusskriterien gliederten sich wie folgt:
Einschlusskriterien:
-
Randomisierte oder quasirandomisierte, kontrollierte Studien mit therapeutischer Zielsetzung und einer Dauer von ≥2 Wochen (Aufdosierung und Erhaltungsphase bei Parallel- und Cross-over-Design; „double blind withdrawal phase“ für Enriched-enrolment-randomized-withdrawal(EERW)-Design; bei Cross-over-Studien Summe der Behandlungstage pro Medikament im Falle von mehreren Behandlungsepisoden)
-
Studienveröffentlichung in einer Zeitschrift mit Peer-review-Verfahren
-
Studien mit einem Parallel-, Cross-over- und EERW-Design
-
Studien mit Cross-over-Design wurden nur eingeschlossen, wenn
-
die Daten der beiden Behandlungsperioden getrennt berichtet wurden oder
-
statistische Tests durchgeführt wurden, die keinen Hinweis auf einen signifikanten Carry-over-Effekt zeigten, oder
-
statistische Anpassungen im Falle eines signifikanten Carry-over-Effekts durchgeführt wurden oder
-
andere Maßnahmen beschrieben wurden, um einen Carry-over-Effekt zu vermeiden.
-
-
Studien, die mindestens eines der unten aufgeführten Ergebnismaße für Wirksamkeit und mindestens eines für Verträglichkeit/Sicherheit berichteten
-
Je Studienarm mindestens 9 Patienten
Ausschlusskriterien:
-
Studien, die nur als Abstracts oder Poster publiziert waren
-
Studien, deren primäres Ziel die Überprüfung der Wirksamkeit von Cannabinoiden als Bedarfsmedikation war
Teilnehmer
Entsprechend den Studien schlossen wir Patienten mit folgenden chronischen neuropathischen Schmerzsyndromen ein:
-
Zentraler neuropathischer Schmerz (z. B. nach Schlaganfall, MS)
-
Komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) Typ II
-
Human-immunodeficiency-virus(HIV)-assoziierte periphere Neuropathie
-
Schmerzhafte diabetische Polyneuropathie
-
Polyneuropathie anderer Ätiologie, z. B. toxisch (Alkohol, Zytostatika)
-
Phantomschmerz
-
Postherpetische Neuralgie
-
Postoperativer oder traumatischer neuropathischer Schmerz (peripherer Nervenschaden; Plexusschädigung)
-
Rückenmarksverletzung
-
Trigeminusneuralgie
Studien, in denen zwar chronischer Schmerz bei neurologischen Erkrankungen mit erhoben wurde, aber nicht explizit festgelegt wurde, dass der Schmerz neuropathisch war, wurden ausgeschlossen. Studien mit „mixed pain“ [19] wurden ausgeschlossen, da
-
das Konzept derzeit weder international akzeptiert noch validiert ist und
-
der Fokus der Übersichtsarbeit auf neuropathischen Schmerzen lag.
Interventionen
Wir schlossen Studien ein, in denen inhalierter oder mit der Nahrung aufgenommener pflanzlicher Cannabis bzw. Marihuana (sog. Medizinalhanf), teilsynthetisch (aus Cannabispflanze extrahiert und chemisch aufbereitet) oder vollsynthetisch hergestellte und oral oder nasal zugeführte Cannabinoide (z. B. CBD, Dronabinol, Nabilon) mit Placebo oder einem anderen aktiven Medikament verglichen wurden.
Datenextraktion und -eingabe
Die Autoren extrahierten in 2 Paaren (FP, EK; FP, WH) Daten zu Ein- und Ausschlusskriterien der Studien, Teilnehmermerkmalen, Interventionsgruppen, Interventionen, zum Studienland und zur Studienfinanzierung. Waren die Daten nicht in einem für die Datenextraktion geeigneten Format verfügbar, verzichteten wir auf eine Anfrage bei den Studienautoren zur Klärung des Problems. Die Dateneingabe in die statistische Software erfolgte durch einen Autor (WH) und wurde durch einen anderen (FP) überprüft. Bei Meinungsverschiedenheiten wurde im Gespräch eine Einigung herbeigeführt.
Umgang mit fehlenden Daten
Wenn sowohl Baseline-observation-carried-forward(BOCF)- als auch Last-observation-carried-forward(LOCF)-Daten für eine Intention-to-treat(ITT)-Analyse angeführt waren, gaben wir den BOCF-Daten den Vorzug. Fehlten Mittelwerte (MW) oder Standardabweichungen (SD), berechneten wir sie aus den t-Werten, Konfidenzintervallen (KI) oder Standardfehlern, soweit diese im Beitrag angegeben waren. Ließen sich fehlende SD nicht aus diesen Werten ermitteln, wurde die Studie von der entsprechenden Analyse ausgeschlossen. Wenn Schmerzreduktionsraten von ≥ 30 bzw. ≥ 50 % nicht berichtet wurden, wurden sie – falls MW und SD der Schmerzintensität bei Baseline und Ende der Therapie berichtet waren – mithilfe einer validierten Imputationsmethode berechnet [20]. Als Signifikanzniveau wurde ein p-Wert ≤ 0,05 festgesetzt.
Ergebnismaße
Folgende Ergebnismaße für Wirksamkeit und Risiken wurden gewählt [21]:
Wirksamkeit
-
1.
Anzahl der Patienten mit einer ≥ 50 %igen Schmerzreduktion
-
2.
Anzahl der Patienten mit einer ≥ 30 %igen Schmerzreduktion
-
3.
Durchschnittliche Schmerzintensität. Wir beschlossen post hoc, falls sowohl die allgemeine Schmerzintensität als auch gezielt die Intensität neuropathischer Schmerzen berichtet wurde, die allgemeine Schmerzintensität zu wählen, da neuropathische Schmerzscores nur von einem Teil der Studien verwendet wurden.
-
4.
Allgemeine Besserung (Zahl der Patienten, die eine globale starke oder sehr starke Besserung angaben)
-
5.
Gesundheitsbezogene Lebensqualität. Wir beschlossen post hoc folgende Reihenfolge der Auswahl, falls mehr als ein Lebensqualitätsscore verwendet wurde: EuroQoL-5D, Gesamtgesundheitszustand, visuelle Analogskala (VAS) 100 > EuroQoL-5D-Score; EuroQoL-5D > SF-36; SF-36, körperlicher Summenwert > SF-36, körperliche Funktionsfähigkeit > SF-36, mentaler Summenwert; SF-36 > Pain Disability Index.
Verträglichkeit
-
1.
Anzahl der Patienten, welche die Studie wegen Nebenwirkungen abbrachen
-
2.
Anzahl der Patienten mit zentralnervösen Nebenwirkungen, nach Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA; [22]).
-
3.
Anzahl der Patienten mit psychiatrischen Nebenwirkungen (nach MedDRA; [22])
Sicherheit
-
1.
Anzahl der Patienten mit (schwerwiegenden) Nebenwirkungen inklusive Anzahl verstorbener Patienten
Datensynthese
Die quantitative Datensynthese erfolgte mit der Software RevMan [23]. Als Effektmaße wurden absolute Risikodifferenzen (RD) für dichotome Variablen und standardisierte Mittelwertdifferenzen (SMD) für kontinuierliche Variablen gewählt, die mittels eines Random-effects-Modells (Methode der inversen Varianz) berechnet wurden. Die 95 %-KI für die Effektmaße wurden berechnet. Der Grenzwert für einen relevanten Nutzen bzw. Schaden wurde durch eine NNTB bzw. „number needed to treat for additional harm“ (NNTH) < 10 festgesetzt [24]. Die Einteilung der Effektstärken der SMD erfolgte nach Cohen: 0–0,2: nicht substanziell; 0,2–0,5: gering; 0,5–0,8: mäßig; > 0,8: stark [25]. Ein minimal bedeutsamer Unterschied („minimal important difference“) wurde bei einer SMD ≥ 0,2 angenommen [26]. Die Heterogenität der gepoolten Effektstärken wurde an Hand der I2-Statistik bestimmt; I2 > 50 % wurde als substanzielle Heterogenität bewertet [17].
Die Qualität der Evidenz wurde nach dem Cochrane Risk of Bias Table bestimmt [17, 27]. Die Qualität der Evidenz wurde wie folgt eingeteilt: hoch: geringes Risiko einer Verzerrung in 6–8 Kriterien; mäßig: geringes Risiko einer Verzerrung in 3–5 Kriterien; niedrig: geringes Risiko einer Verzerrung in 0–2 Kriterien [27].
Einschätzung des Publikationsbias
Ein Publikationsbias wurde nach folgender Methode bestimmt: Anzahl der unpublizierten Daten mit einem Nulleffekt, die notwendig sind, um eine klinisch irrelevante NNT von ≥ 10 zu erzielen [24].
Subgruppenanalyse
Wir planten folgende Subgruppenanalysen: einzelne neuropathische Schmerzsyndrome (z. B. schmerzhafte periphere diabetische Polyneuropathie; postherpetische Neuralgie, MS); synthetische vs. teilsynthetische Cannabinoide vs. Medizinalhanf; industriell (pharmazeutische Firma) vs. öffentlich gesponserte Studien.
Sensitivitätsanalyse
Wir planten Sensitivitätsanalysen durch Ausschluss von Studien, in denen wir MW und/oder SD aus Abbildungen extrahierten.
Ergebnisse
Literatursuche
Abb. 1 gibt den Studienfluss der Literaturanalyse wieder. Wir schlossen 13 Studien mit 1927 Patienten nach Lektüre der Volltexte aus. Ausschlussgrund war bei 3 Studien die kurze Studiendauer. Acht Studien mit MS-Patienten wurden ausgeschlossen, da das Einschlusskriterium nicht der neuropathische Schmerz, sondern eine MS-assoziierte Spastik war. Schmerz wurde in den Studien lediglich als sekundäres Ergebnismaß berichtet. Die Studien stellten nicht explizit fest, dass es sich um neuropathische Schmerzen handelte, auch war neuropathischer Schmerz kein Einschlusskriterium. Eine Studie wurde wegen geringer Teilnehmerzahl ausgeschlossen, eine Studie wegen nicht für die Metaanalyse verwertbarer Endpunkte (Tab. 2). Wir schlossen 15 Studien (Infobox 1) mit 1619 Patienten ein. Quellenangaben zu den ausgeschlossenen Studien finden sich in Infobox 2.
Infobox 1 Eingeschlossene Studien
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Infobox 2 Ausgeschlossene Studien
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Eigenschaften der eingeschlossenen Studien
Studiendesign
Vier Studien hatten ein Cross-over-, 10 Studien ein Parallel- und eine Studie ein EERW-Design. Eine Studie mit einem Paralleldesign schloss eine EERW-Phase an. Sieben Studien hatten eine Dauer < 4 Wochen, 6 eine Dauer von 4–12 Wochen und 2 eine Dauer von 12–24 Wochen. Acht Studien wurden in Europa, 4 in Nordamerika und 3 auf mehreren Kontinenten durchgeführt. Neun Studien wurden vom Hersteller des Cannabisprodukts und 6 Studien von öffentlichen Trägern gefördert (Tab. 3).
Teilnehmer
Alle Studien wurden nur mit Erwachsenen durchgeführt. Vier Studien schlossen Patienten mit zentralen neuropathischen Schmerzsyndromen (meist MS) ein, 3 Studien Patienten mit verschiedenen peripheren neuropathischen Schmerzsyndromen, 2 Studien Patienten mit diabetischer Polyneuropathie und je eine Studie Patienten bei neuropathischem Schmerz nach Rückenmarksverletzung, Plexusschädigung, bei HIV-assoziierter Neuropathie, nach Trauma/Operation und nach Chemotherapie sowie mit gemischten zentral-peripheren neuropathischen Schmerzsyndromen. Elf Studien berichteten ein differenziertes Vorgehen zur Sicherung der Diagnose neuropathischer Schmerz, 4 Studien berichteten nur über die Präsenz neuropathischer Schmerzen bei typischen klinischen Diagnosen (Tab. 3). Die Verblindung wurde in 2 Studien überprüft und zeigte hohe Raten der Identifizierung der Prüfmedikation (Dronabinolkapsel, Cannabiszigarette), 3 weitere Studien diskutierten eine Entblindung als möglichen Störfaktor (2-mal Nabiximols, 1-mal Medizinalhanf).
Alle bis auf eine Studie erlaubten die Fortführung einer vorbestehenden Therapie mit anderen Analgetika. Bei 11 dieser 14 Studien finden sich tabellarische oder andere Angaben zur Häufigkeit der Behandlung mit beispielsweise Opioiden, Antikonvulsiva und Antidepressiva, in 13 von 15 Studien wird eine minimale Schmerzintensität als Einschlusskriterium definiert (Tab. 4). In 5 Studien wurden Patienten erst nach Versagen einer definierten Vortherapie bzw. bei „intractable pain“ aufgenommen. Alle bis auf eine Studie berichteten umfangreiche Ausschlusskriterien. Patienten mit aktuellen psychischen Störungen (inklusive Substanzmissbrauch) sowie relevanten körperlichen Erkrankungen wurden von allen Studien ausgeschlossen. Die meisten Studien schlossen Patienten mit vorbekannten psychischen Störungen (inklusive Substanzmissbrauch) und Epilepsie aus (Tab. 4).
Zehn Studien berichteten über Vorerfahrungen mit Cannabinoiden (zwischen 6 und 91 %). Nur eine Studie unterschied zwischen medizinischer Anwendung und Freizeitgebrauch. Studien mit Parallelgruppen waren diesbezüglich ausgewogen, 2 Studien aus Kanada und den USA mit Medizinalhanf hatten die höchsten Quoten (Tab. 4).
Interventionen
Zehn Studien verwendeten ein pflanzenbasiertes Spray mit THC/CBD, 3 Studien ein synthetisches Cannabinoid (2-mal Nabilon, 1-mal Dronabinol) und 2 Studien Medizinalhanf. Die Maximaldosen von THC/CBD lagen zwischen 32,5/30 und 130/120 mg/Tag, die von Nabilon zwischen 1 und 5 mg/Tag und die von Dronabinol zwischen 2,5 und 10 mg/Tag. Die THC-Konzentrationen des gerauchten Medizinalhanfs lagen zwischen 4 und 9,4 %. 14 Studien testeten gegen Placebo und eine gegen Dihydrocodein (240 mg/Tag). Zwölf Studien berichteten, dass die Mehrzahl der Patienten auf einer stabilen Dosis anderer Analgetika war (meist NSAR, Antidepressiva, Antikonvulsiva, Opioide). Drei Studien machten keine Angaben zur Begleitmedikation (Tab. 4).
Ergebnismaße
Die für die Metaanalyse verwendeten Ergebnismaße sind in Tab. 5 abgebildet.
Evidenzqualität
Das Risiko eines systematischen Fehlers konnte für alle Studien nicht ausreichend eingeschätzt werden, da Teile der Methodik (z. B. die Verblindung der Auswerter) nicht beschrieben waren. Zwei Studien hatten eine geringe und 13 Studien eine mäßige berichtete methodische Qualität. Neun Studien hatten mindestens ein hohes Risiko eines Verzerrungsfehlers (geringe Studiengröße in den meisten Fällen; Abb. 2).
Zusammenführung der Ergebnisse
Die Ergebnisse werden mit 95 %-KI angegeben.
Placebokontrollierte Studien mit Parallel- und Cross-over-Design
Sechs Studien mit 737 Patienten wurden in eine Analyse der Zahl der Patienten mit einer ≥ 50 %igen Schmerzreduktion bei Studienende eingeschlossen. Cannabinoide waren Placebo statistisch nicht signifikant überlegen: RD: 0,05 (95%-KI: − 0,00–0,11), p = 0,07, I2 = 44 %. 74/390 (19,0 %) in der Cannabinoid- und 55/347 (15,8 %) der Patienten in der Placebogruppe berichteten eine ≥ 50 %ige Schmerzreduktion (Abb. 3).
Neun Studien mit 1346 Patienten wurden in eine Analyse der Zahl der Patienten mit einer ≥ 30 %igen Schmerzreduktion bei Studienende eingeschlossen. Cannabinoide waren Placebo statistisch signifikant überlegen: RD: 0,10 (0,03–0,16), p = 0,004, I2 = 38 %. 262/695 (37,7 %) in der Cannabinoid- und 198/651 (30,4 %) der Patienten in der Placebogruppe berichteten eine ≥ 30 %ige Schmerzreduktion. Die NNTB war 14 (8–45). Nach den vordefinierten Kriterien fand sich kein klinisch relevanter zusätzlicher Nutzen durch Cannabinoide (Abb. 4).
In eine Analyse der durchschnittlichen Schmerzreduktion bei Studienende wurden 13 Studien mit 1565 Patienten eingeschlossen. Cannabinoide waren Placebo statistisch signifikant überlegen: SMD: − 0,10 (− 0,20–− 0,00), p = 0,05, I2 = 0 %. Nach den vordefinierten Kriterien war der Effekt der Cannabinoide klinisch nicht bedeutsam (Abb. 5).
Sieben Studien mit 1092 Patienten wurden in eine Analyse der Zahl der Patienten, die eine starke und sehr starke allgemeine Besserung bei Studienende berichteten, eingeschlossen. Cannabinoide waren Placebo statistisch signifikant überlegen: RD: 0,09 (0,01–0,17), p = 0,009, I2 = 58 %. 150/548 (27,4 %) in der Cannabinoid- und 112/544 (20,6 %) der Patienten in der Placebogruppe berichteten eine starke und sehr starke allgemeine Besserung. Die NNTB war 15 (8–58). Nach den vordefinierten Kriterien fand sich kein klinisch relevanter zusätzlicher Nutzen durch Cannabinoide (Abb. 6).
Zehn Studien mit 1344 Patienten wurden in eine Analyse der durchschnittlichen gesundheitsbezogenen Lebensqualität bei Studienende eingeschlossen. Cannabinoide waren Placebo statistisch nicht signifikant überlegen: SMD: 0,04 (− 0,10–0,19), p = 0,58, I2 = 58 % (Abb. 7).
Elf Studien mit 1574 Patienten wurden in eine Analyse der Zahl der Patienten, welche die Studie wegen Nebenwirkungen abbrachen, eingeschlossen. Es fand sich ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen Cannabinoiden und Placebo: RD: 0,04 (0,01–0,07), p = 0,009, I2 = 22 %. 90/849 (10,6 %) in der Cannabinoid- und 38/725 (5,2 %) der Patienten in der Placebogruppe brachen die Studie wegen Nebenwirkungen ab. Die NNTH war 19 (13–37). Nach den vordefinierten Kriterien fand sich kein klinisch relevanter zusätzlicher Schaden durch Cannabinoide (Abb. 8).
Elf Studien mit 1568 Patienten wurden in eine Analyse der Zahl der Patienten mit schweren Nebenwirkungen eingeschlossen. Es fand sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen Cannabinoiden und Placebo: RD: 0,01 (− 0,01–0,03), p = 0,43, I2 = 0 %. 52/831 (6,3 %) in der Cannabinoid- und 38/737 (5,2 %) der Patienten in der Placebogruppe berichteten schwere Nebenwirkungen (Abb. 9). Neun Studien mit 1304 Patienten wurden in eine Analyse der Zahl der Patienten, die zentralnervöse Nebenwirkungen berichteten, eingeschlossen. Es fand sich statistisch ein signifikanter Unterschied zu Ungunsten der Cannabinoide: RD: 0,36 (0,14–0,59), p = 0,002, I2 = 94 %. 374/621 (60,2 %) in der Cannabinoid- und 169/621 (27,2 %) der Patienten in der Placebogruppe berichteten zentralnervöse Nebenwirkungen. Die NNTH war 3 (2–4). Nach den vordefinierten Kriterien fand sich ein klinisch relevanter zusätzlicher Schaden durch Cannabinoide (Abb. 10).
Neun Studien mit 1304 Patienten wurden in eine Analyse der Zahl der Patienten, bei denen psychiatrische Nebenwirkungen auftraten, eingeschlossen. Es fand sich statistisch ein signifikanter Unterschied zu Ungunsten der Cannabinoide: RD: 0,11 (0,06–0,16), p = 0,0001, I2 = 54 %. Bei 113/677 (16,7 %) der Patienten in der Cannabinoid- und bei 31/627 (4,9 %) der Patienten in der Placebogruppe wurden psychiatrische Nebenwirkungen festgestellt. Die NNTH war 8 (7–12). Nach den vordefinierten Kriterien fand sich ein klinisch relevanter zusätzlicher Schaden durch Cannabinoide (Abb. 11).
Studien mit EERW-Design
Aufgrund der geringen Anzahl an Studien und Patienten erfolgen Angaben von SMD und RD (mit 95 %-KI) nur im Falle des Vorliegens von 2 Studien. Die Forest Plots sind auf Anfrage erhältlich. Es fanden sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen THC/CBD und Placebo in der 50 %igen Schmerzreduktion (eine Studie, 26 Teilnehmer; p = 0,12), in der durchschnittlichen Reduktion der Schmerzintensität [2 Studien/68 Teilnehmer; SMD: 0,73 (− 1,58–0,12), p = 0,09, I2 = 63 %], der Abbruchrate wegen Nebenwirkungen [2 Studien, 68 Teilnehmer; RD: 0,03 (− 0,12–0,06), p = 0,57, I2 = 0 %], der Rate schwerer Nebenwirkungen [2 Studien, 68 Teilnehmer; RD: 0,04 (− 0,07–0,14), p = 0,51, I2 = 0 %], der Rate zentralnervöser Nebenwirkungen (eine Studie, 42 Teilnehmer; p = 0,20) und der Rate psychiatrischer Nebenwirkungen (eine Studie, 42 Teilnehmer; p = 1,00). THC/CBD war Placebo in der ≥ 30 %igen Schmerzreduktion (eine Studie, 26 Teilnehmer; p = 0,006) und in der Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (Überlegenheit THC/CBD; 1 Studie, 42 Teilnehmer; p < 0,0001) statistisch signifikant überlegen.
Studie mit Vergleich von Nabilon und Dihydrocodein
Es fanden sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Substanzen in der ≥ 30 %igen bzw. ≥ 50 %igen Schmerzreduktion (beide p = 1,0), in der Reduktion der durchschnittlichen Schmerzintensität (p = 0,79) und der Abbruchrate wegen Nebenwirkungen (p = 0,21). Die Forest Plots sind auf Anfrage erhältlich.
Subgruppenanalysen
Einzelne neuropathische Schmerzsyndrome
Die Tests auf statistische Unterschiede in den definierten Subgruppen der Metaanalyse waren nicht signifikant bezüglich einer ≥ 50 %igen Schmerzreduktion (p = 0,16; Abb. 3), einer ≥ 30 %igen Schmerzreduktion (p = 0,10; Abb. 4), der durchschnittlichen Schmerzintensität (p = 0,86; Abb. 5), der Abbruchrate wegen Nebenwirkungen (p = 0,06; Abb. 8) und der Häufigkeit schwerwiegender Nebenwirkungen (p = 0,83; Abb. 9). Eine statistisch signifikante RD (KI ohne 0) bei der ≥ 30 %igen Schmerzreduktion und der durchschnittlichen Schmerzintensität fand sich nur bei HIV-Neuropathie und Polyneuropathie unterschiedlicher Ätiologie (Abb. 4 und 5).
Die Tests auf statistische Unterschiede in den definierten Subgruppen waren signifikant für die deutliche globale Besserung (p = 0,03; Abb. 6), gesundheitsbezogene Lebensqualität (p = 0,02; Abb. 7), zentralnervöse Nebenwirkungen (p < 0,0001; Abb. 10) und psychiatrische Nebenwirkungen (p = 0,002; Abb. 11). Eine statistisch signifikante deutliche globale Verbesserung des Allgemeinbefindens fand sich nur beim neuropathischen Schmerz nach Rückenmarksverletzung (Abb. 6). Eine statistisch signifikante Verschlechterung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität fand sich nur bei der chemotherapieinduzierten Polyneuropathie (Abb. 7). Eine statistisch signifikante Abbruchrate wegen Nebenwirkungen fand sich nur beim neuropathischen Schmerz nach Rückenmarksverletzung, diabetischer Polyneuropathie und gemischten peripheren und zentralen Schmerzsyndromen (Abb. 8). Eine statistisch signifikante höhere Rate an psychiatrischen Nebenwirkungen fand sich bei allen Subgruppen außer beim neuropathischen Schmerz nach Rückenmarksverletzung (Abb. 11).
Synthetische versus teilsynthetische Cannabinoide versus Medizinalhanf
THC/CBD war Placebo in der ≥ 30 %igen Schmerzreduktion signifikant überlegen. In der durchschnittlichen Schmerzreduktion war keines der drei Cannabinoide Placebo statistisch signifikant überlegen. THC/CBD, nicht jedoch Nabilon und Medizinalhanf waren mit einer statistisch signifikant höheren Rate an Abbrüchen wegen Nebenwirkungen im Vergleich zu Placebo assoziiert. THC/CBD und Nabilon, nicht jedoch Medizinalhanf, waren mit einer statistisch signifikant höheren Rate an zentralnervösen Nebenwirkungen im Vergleich zu Placebo assoziiert (Tab. 6). Bei Medizinalhanf lag allerdings auch die höchste Rate an Vorerfahrungen im Gebrauch von Cannabis vor.
Sponsoring
Eine weitere Subgruppenanalyse wurde in Bezug auf die Finanzierung der Studien durchgeführt. Nur 4 der 15 Studien waren öffentlich gefördert, von diesen wurde bei 2 Studien die Medikation von einem industriellen Partner gestellt, 11 wurden komplett durch die Industrie gesponsort. Ein geringer, statistisch signifikanter Wirkeffekt ergab sich nur für die rein industriell geförderten Studien (Tab. 7), für die auch der Abbruch wegen NW signifikant höher war.
Sensitivitätsanalysen
Die geplanten Sensitivitätsanalysen waren nicht notwendig, da keine Daten aus Abbildungen extrahiert werden mussten.
Publikationsbias
Die NNTB für eine ≥ 30 %ige Schmerzreduktion war 14 und lag damit über der festgelegten Schwelle von 10 für die Berechnung eines Publikationsbias. Der vorgesehene statistische Test auf Publikationsbias konnte daher nicht durchgeführt werden.
Diskussion
Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
In den analysierten RCT mit Parallel- und Cross-over-Design waren Cannabinoide Placebo in der ≥ 30 %igen Schmerzreduktion, der durchschnittlichen Schmerzreduktion sowie der allgemeinen Verbesserung, nicht jedoch in der ≥ 50 %igen Schmerzreduktion sowie der Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität überlegen. Mehr Patienten unter Cannabinoiden als unter Placebo brachen die Therapie wegen Nebenwirkungen ab. Es fanden sich keine signifikanten Unterschiede zu Placebo in Bezug auf die Sicherheit. Die klinisch nicht bedeutsame ≥ 30 %ige und durchschnittliche Schmerzreduktion durch Cannabinoide wurden kontrastiert durch die klinisch bedeutsam höhere Zahl zentralnervöser und psychiatrischer (z. B. Verwirrtheit, Psychose) Nebenwirkungen. Zwei Studien mit EERW-Design und kleiner Teilnehmerzahl bestätigten die Überlegenheit von THC/CBD in der ≥ 30 %igen, nicht aber in der ≥ 50 %igen Schmerzreduktion, zudem den statistisch nicht signifikanten Unterschied zu Placebo bezüglich Abbruchraten und Sicherheit. In einer Studie fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen THC/CBD und Dihyrodcodein in allen drei Maßen der Schmerzreduktion sowie in der Verträglichkeit.
In fast allen Studien wurden Patienten mit einer analgetischen Vormedikation eingeschlossen, die keine ausreichende Schmerzlinderung erbrachte (in 5 Studien auch weiter spezifiziert). Die Cannabinoide wurden fast ausschließlich adjuvant eingesetzt bei einer geforderten Mindestschmerzstärke von ≥ 4 auf der numerischen Rating-Skala (0–10). Die berücksichtigten neuropathischen Schmerzdiagnosen gehen häufig mit einer eingeschränkten Effektivität analgetischer Maßnahmen einher, sodass für das untersuchte Patientenkollektiv von einer nicht ausreichend kontrollierten Schmerzsituation trotz Vorbehandlung ausgegangen werden kann. Ob hier im Einzelfall noch eine medikamentöse Optimierungsmöglichkeit bestanden hätte, lässt sich anhand der vorliegenden Informationen nicht beurteilen.
Vergleich mit anderen systematischen Übersichtsarbeiten
Ein Vergleich der Ergebnisse dieser systematischen Übersichtsarbeit mit anderen aktuellen Übersichtsarbeiten ist erschwert durch die Unterschiede in den Einschlusskriterien und der Zahl der analysierten Studien. Trotz restriktiverer Einschlusskriterien (Studiendauer, Zahl der Patienten pro Studienarm) schloss diese systematische Übersicht mehr Studien ein als die bisherigen Übersichten (Tab. 8).
Die vorliegende Übersicht bestätigt die Schlussfolgerung mehrerer Autoren [11–14], dass Cannabinoide in der kurz- und mittelfristigen Therapie chronischer neuropathischer Schmerzen im Rahmen klinischer Studien wirksam und verträglich sind, wobei das Ausmaß der Wirksamkeit als klinisch nicht substanziell einzustufen ist – zumindest anhand der a priori festgelegten Kriterien. Im Gegensatz zu diesen Arbeiten steht die Einschätzung der Special Interest Group on Neuropathic Pain (NeuPSIG) der IASP [6], die Cannabinoiden keine Wirksamkeit bei chronischen neuropathischen Schmerzen bescheinigt.
Die vorliegende Übersichtsarbeit führte erstmals Subgruppenanalysen für einzelne neuropathische Schmerzsyndrome durch und zeigt, dass teilweise eine unterschiedliche Wirksamkeit und Verträglichkeit der Cannabinoide bei einzelnen neuropathischen Schmerzsyndromen besteht, wobei hier ein möglicher Bias in Bezug auf Vorerfahrungen mit Cannabinoiden in den Studien mit Medizinalhanf eine wesentliche Rolle spielen könnte. Eine Zusammenfassung aller neuropathischen Schmerzsyndrome und damit der unterschiedlichen Patientengruppen und Mechanismen für Analysen ist daher ohne Durchführung von Subgruppenanalysen nicht sinnvoll sowohl aufgrund der möglichen unterschiedlichen klinischen und mechanistischen Faktoren bei neuropathischen Schmerzsyndromen als auch aufgrund der Ergebnisse unserer Subgruppenanalysen.
Vergleich mit Leitlinienempfehlungen
Die schwache Empfehlung gegen den Gebrauch von Cannabisprodukten durch die Special Interest Group on Neuropathic Pain (NeuPSIG) der IASP [6] ist auf der Basis der vorliegenden Daten nicht nachvollziehbar und scheint auf einer grundsätzlich höheren Risikoeinschätzung bezüglich des längerfristigen Gebrauchs von Cannabinoiden zu basieren – analog zur Einstufung der Opioide als Drittlinienmedikamente aufgrund ihres Risikoprofils durch dieselbe Arbeitsgruppe. Finnerup et al. [6] errechneten für Cannabinoide keine NNTB und NNTH. Die NNTB für eine ≥ 30 %ige Schmerzreduktion bzw. NNTH (Abbruch wegen Nebenwirkungen) für empfohlene Erstlinienmedikamente war wie folgt: Pregabalin: 8 (7–9)/10 (12–14); Gabapentin: 6 (5–8)/26 (15–79); Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI): 6 (5–8)/12 (10–15); trizyklische Antidepressiva (TCA): 4 (3–4)/nicht angegeben. Die NNTB für eine ≥ 30 %ige Schmerzreduktion bzw. NNTH (Abbruch wegen Nebenwirkungen) für Cannabinoide in der vorliegenden Metaanalyse war 14 (8–45) bzw. 8 (7–12).
Die aktuelle Datenlage unterstützt nach unserer Einschätzung die Empfehlungen der kanadischen Schmerzgesellschaft, aufgrund des deutlich günstigeren Verhältnisses von NNTB zu NNTH der anderen Medikamente gegenüber Cannabisprodukten diese erst als Drittlinienmedikamente einzusetzen, nach Gabapentin/Pregabalin, SNRI und TCA als Erstlinienmedikamenten sowie Tramadol und starken Opioiden als Zweitlinienmedikamenten [9].
Einschränkend ist dabei zu erwähnen, dass diese positiven Effekte v. a. in den industriell gesponserten Studien nachweisbar sind, allerdings bestehen zwischen öffentlich und industriell gesponserten Studien auch relevante Unterschiede in Bezug auf die untersuchten Substanzen, die das Ergebnis erklären könnten. Die Zahl der positiven Studien ist insgesamt klein [A2, A12], eine Reihe von Studien hatte deutlich positive Trends. Zusätzlich wurden in dieser Analyse aber auch nicht publizierte negative Studien explizit berücksichtigt, was letztlich das schwach positive Ergebnis der Metaanalyse eher stärkt.
Schlussfolgerungen
Die analysierten RCT beschränkten sich als Phase-III-Studien auf die von den Zulassungsbehörden geforderten Behandlungszeiträume (4–12 Wochen) und können daher keine Aussagen zur Langzeitwirksamkeit und -sicherheit machen. Mittlerweile liegen Open-label-extension-Studien einiger RCT vor, die eine langfristige Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit bei ausgewählten Patienten über einen Zeitraum von bis zu 2 Jahren belegen [28–30].
Um den Stellenwert der einzelnen Medikamentenklassen bei chronischen neuropathischen Schmerzen besser bestimmen zu können, sind Direktvergleiche der Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von Cannabinoiden und etablierten medikamentösen Therapien (Antidepressiva, Antikonvulsiva) bei distinkten neuropathischen Schmerzsyndromen bzw. Mechanismen notwendig, zudem Direktvergleiche von Medizinalhanf mit (halb-)synthetischen Cannabinoiden und Netzwerkmetaanalysen durchgeführter kontrollierter Studien [31]. Ebenso sind Studien, die eine medikamentöse Kombinations- mit einer Monotherapie vergleichen, sowie weitere Studien mit Cannabinoiden als „add-on“ zu einer nicht ausreichend wirksamen empfehlungsgerechten Schmerztherapie mit Erst- und Zweitlinienmedikamenten sinnvoll.
Fazit für die Praxis
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Die aktuelle Datenlage kann einen Einsatz von Cannabisprodukten bei sorgfältig ausgewählten Patienten mit therapierefraktären chronischen neuropathischen Schmerzen als Drittlinientherapie begründen, sofern relevante psychiatrische Vorerkrankungen, die insbesondere mit der Gefahr von Substanzmissbrauch einhergehen, ausgeschlossen bzw. behandelt wurden und alternative Therapieoptionen ausgeschöpft worden sind.
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Idealerweise sollte eine mögliche Anwendung aufgrund der eingeschränkten Datenlage zur Sicherheit und Effektivität der Langzeittherapie von einer Art Register zur Gewinnung standardisierter Versorgungsdaten begleitet werden. Eine Betreuung durch schmerzmedizinisch erfahrene Behandler ist zu empfehlen.
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Die analysierten RCT mit Medizinalhanf können nicht als Argument für den Eigenanbau von Cannabis durch Patienten mit chronischen Schmerzen dienen. In den analysierten Studien wurde Cannabis mit einem standardisierten THC-Gehalt verwendet, das von einer nationalen Behörde zur Verfügung gestellt wurde.
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Der Eigenanbau von Cannabis zur Schmerztherapie durch Patienten ist aufgrund des schwankenden THC/CBD-Gehalts und der Kontaminationsgefahr des selbst angebauten Cannabis medizinisch nicht zu empfehlen. Er muss als Notlösung bei aktuell noch unzureichenden gesetzlichen Rahmenbedingungen für den medizinischen Gebrauch von Cannabisprodukten in der Schmerz- und Palliativmedizin angesehen werden.
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Es sind keine Daten für den Einsatz von Cannabisprodukten bei Kindern und Jugendlichen oder Patienten mit relevanten körperlichen Begleiterkrankungen, Epilepsie und seelischen Störungen inklusive früherer und aktueller Substanzabhängigkeit verfügbar.
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Im Falle des Einsatzes von Cannabisprodukten könnten die aktualisierten Empfehlungen zur Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS; [32]) analog verwendet werden (vor Therapiebeginn festgelegte Ziele der Schmerzreduktion und/oder Verbesserung der körperlichen Funktionsfähigkeit; sorgfältige Überwachung der Wirkung und möglicher Komplikationen; [32]).
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06 September 2017
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Petzke, F., Enax-Krumova, E.K. & Häuser, W. Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von Cannabinoiden bei neuropathischen Schmerzsyndromen. Schmerz 30, 62–88 (2016). https://doi.org/10.1007/s00482-015-0089-y
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