Die Ergebnisse bisheriger Studien zeigen, dass sexuelle Probleme und Funktionsstörungen weit verbreitet sind. Obwohl nicht jeder Patient in gleichem Maß unter einem bestehenden sexuellen Problem leidet, da der individuelle Leidensdruck beispielsweise von der partnerschaftlichen oder gesundheitlichen Situation und v. a. vom generellen Interesse an Sexualität beeinflusst wird, handelt es sich um ein erstzunehmendes Gesundheitsproblem. Nichtidentifizierte, länger anhaltende Sexualstörungen führen häufig zu Belastungen der Partnerschaft und der Lebensqualität. Deshalb ist es wichtig, dass sexuelle Funktionsstörungen von Ärzten und Therapeuten erfragt und kompetent behandelt werden.

Hintergrund und Fragestellung

Zu den sexuellen Dysfunktionen gehören Beeinträchtigungen des sexuellen Verlangens, der sexuellen Erregung, der Orgasmusfähigkeit sowie auf die Sexualität bezogene Schmerzen und Missempfindungen (Dyspareunie). Umfangreiche Reviews und Studien belegen, dass sexuelle Funktionsstörungen infolge von körperlichen oder psychischen Erkrankungen (Nascimento et al. 2013; Enzlin et al. 2003; Clayton et al. 2014; Lewis et al. 2010) oder durch den Einfluss von Medikamenten (Corona et al. 2012) entstehen können und ihrerseits einen großen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit, die sexuelle Zufriedenheit, den psychischen Zustand und die Partnerschaft der Betroffenen haben (McCabe et al. 2010; Sánchez-Fuentes et al. 2014; Litwin et al. 1998; Laumann et al. 1999).

Die weiblichen sexuellen Funktionsstörungen gelten mit einer Prävalenz von 30–40 % als sehr verbreitet (Lewis et al. 2010; Laumann et al. 1999). Für Deutschland wurde eine Prävalenz von 38 % angegeben (Korda 2008). Damit sind sie in den meisten Studien häufiger als männliche sexuelle Dysfunktionen (Laumann et al. 1999). Die Prävalenzen zu Störungen der Appetenz bei den Frauen werden mit 17–55 % angegeben, für Dyspareunien betragen die Werte 14–27 %, für Orgasmusstörungen 16–25 % sowie für Erregungs- und Lubrikationsprobleme 8–15 % bzw. bei sexuell aktiven Frauen 21–28 % (Lewis et al. 2010). Die Prävalenzen männlicher sexueller Funktionsstörungen werden mit 20–30 % angegeben, wobei die stärksten evidenzbasierten Ergebnisse für die erektile Dysfunktion vorliegen (Lewis et al. 2010). Unter Verwendung der Cut-off-Werte des International Index of Erectile Function (IIEF-5) werden Prävalenzen von 21 % bei einer Altersspanne von 40 bis 80 Jahren berichtet. Stratifiziert man nach dem Alter, nimmt die Häufigkeit der erektilen Dysfunktion kontinuierlich zu. In europäischen Studien werden bei den unter 40-Jährigen Prävalenzzahlen bis zu 10 % berichtet, bei den 40- bis 59-Jährigen 20–30 %, bei den 60- bis 69-Jährigen 20–40 % und bei den 70- bis 80-Jährigen 50–75 % (Lewis et al. 2010). Die Schwankungen der Prävalenzzahlen kommen z. T. daher, dass einerseits die klare Operationalisierung schwierig sein kann und sich andererseits verschiedene Formen sexueller Dysfunktionen überschneiden können.

In der klinischen Praxis sollte zwischen sexuellen Problemen und Funktionsstörungen unterschieden werden. Bei sexuellen Funktionsstörungen kommen neben der Beeinträchtigung der sexuellen Funktion ein persönlicher Leidensdruck bzw. stärkere Beziehungsprobleme hinzu. Erste Anzeichen sexueller Funktionsstörungen sollten daher ernst genommen werden, denn sie können auf eine chronische Grunderkrankung hinweisen (Lewis et al. 2010; Pozzo et al. 2016; Gandaglia et al. 2014). Trotz relevanter Prävalenzzahlen und bedeutender Einflüsse auf die Lebensqualität der Patienten wird das Thema Sexualität in der medizinischen Versorgung von Ärzten äußerst selten direkt angesprochen (Nusbaum and Hamilton 2002).

Ziele der Studie

Patienten im Alter zwischen 18 und 40 Jahren mit und ohne Hinweise auf eine sexuelle Funktionsstörung, die nach eigenen Angaben hausärztlich versorgt werden, sollten hinsichtlich versorgungsrelevanter Merkmale verglichen werden. Hierzu zählen gesundheitsbezogene Lebensqualität, sexuelle Zufriedenheit, Partnerschaftszufriedenheit, Gesundheitszustand und Depressivität. Des Weiteren sollte das Vorkommen von Sexualanamnesen und Gesprächsangeboten zu sexuellen Themen exploriert werden.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Die Erhebung erfolgte vom September 2014 bis Februar 2015 im Rahmen einer empirischen Onlinestudie mithilfe der Befragungsplattform SoSci-Survey im Querschnittsdesign zu sexuellen Einstellungen, Verhaltensweisen und Störungen der Sexualität unter Beteiligung von 801 Probanden. Die Rekrutierung erfolgte über Flyer in Praxen, durch Mails und Mailverteiler. SoSci-Survey bietet einen hohen Datenschutz bei gleichzeitig seriöser und sicherer Verbreitung der Befragungen. Neben sozialdemografischen Daten wurden die Bereiche: sexuelle Störungen, gesundheitsbezogene Lebensqualität, sexuelle Zufriedenheit, Partnerschaftszufriedenheit, Gesundheitszustand und Depression sowie individuell erlebte Gesundheitsversorgung erfasst. Betrachtet werden sollten sexuelle Funktionsstörungen im Alter von 18 bis 40 Jahren und deren Versorgung aus Patientensicht. In diesem Alter ist die Wahrscheinlichkeit der Einflüsse multimorbider Grunderkrankungen weniger wahrscheinlich (Van den Akker et al. 1998). Da es bei weiblichen sexuellen Funktionsstörungen oft schwierig ist, einzelne sexuelle Dysfunktionen separat zu betrachten, wurde ein erprobtes Instrument zur Erfassung verschiedener sexueller Beeinträchtigungen gewählt, das einen Cut-off-Wert bietet, um das Vorliegen einer sexuellen Funktionsstörung reliabel abzubilden.

Erhebungsinstrumente

Soziodemografie, Gesundheitszustand und Partnerschaftszufriedenheit

Die soziodemografischen Daten wurden in Anlehnung an die Empfehlungen der Arbeitsgruppe „Epidemiologische Methoden“ in der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Epidemiologie der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS) und der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) erhoben (Jöckel et al. 1998). Die Bewertungen des Gesundheitszustandes und der Partnerschaftszufriedenheit erfolgten mithilfe einer visuellen Analogskala von 0 bis 100 in Anlehnung an den EuroQuol (Schulenburg 1998).

Hinweise auf sexuelle Funktionsstörungen

Der Female Sexual Function Index (FSFI; Rosen et al. 2000; Berner et al. 2004) ist ein international etabliertes 19-Item-Instrument zur Selbstbeurteilung, das anhand der 6 Subskalen Lust, Erregung, Lubrikation, Orgasmus, Befriedigung und Schmerz sexuelle Dysfunktionen bei Frauen operationalisiert. Das Modell erklärte 78,43 % der Varianz, und die Subskalen weisen gute interne Konsistenzwerte auf (Cronbachs α: 0,75–0,95). Der FSFI wurde bei Frauen mit Erregungsstörungen, Libidoproblemen und Orgasmusstörungen validiert. Der Gesamtsummenwert ermöglicht die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit, ob eine sexuelle Funktionsstörung vorliegt, wobei niedrige Werte eher für eine sexuelle Funktionsstörung sprechen. Bei 14 der 19 Items gibt es die Möglichkeit, z. B. „keine sexuelle Aktivität“ anzukreuzen. Der Cut-off-Wert beträgt 26,55 (Wiegel et al. 2005).

Der International Index of Erectile Function (IIEF-5; Rosen et al. 1999) ist ein kurzes 5‑Item-Instrument zur Selbstbeschreibung, mit dem das Vorliegen einer Erektionsstörung erhoben wird. Die internen Konsistenzwerte sind sehr gut (Cronbachs α: 0,73–0,99). Der Gesamtsummenwert des IIEF-5 kann Werte bis 25 annehmen. Geringe Werte sprechen eher für Erektionsstörungen. Der klinische Cut-off-Wert beträgt 21. Zusätzlich wurde in Anlehnung an andere Studien bei den Items 2 bis 5 die Antwort „kein Geschlechtsverkehr“ ermöglicht.

Gesundheitsbezogene Lebenszufriedenheit und Gesundheitszustand

Der Short-Form-Health Survey (SF-12; Bullinger und Kirchberger 1998) ist ein etabliertes, kurzes Messinstrument zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Mithilfe von 12 Items zu den Themen körperliche Funktionsfähigkeit, körperliche Rollenfunktion, Schmerz, allgemeine Gesundheitswahrnehmung, Vitalität, soziale Funktionsfähigkeit, emotionale Rollenfunktion und psychisches Wohlbefinden können letztlich die beiden Themen „psychische Gesundheit“ und „körperliche Gesundheit“ reliabel bewertet werden.

Sexuelle Zufriedenheit

Der New Sexual Satisfaction Scale – deutsche Kurzversion (NSSS-SD; Štulhofer et al. 2010) ist ein 12-Item-Kurzinstrument zur Messung der sexuellen Zufriedenheit. Jedes Item wird auf einer 5‑stufigen Likert-Skala bewertet. Der Summenwert beträgt zwischen 12 und 60. Bei der Kurzform kann v. a. ein gut validierter Faktor für sexuelle Zufriedenheit sicher erhoben werden. Der Wert für die interne Konsistenz beträgt 0,92.

Depression

Der Patient Health Questionnaire-9 (PHQ-9; Löwe et al. 2002) gilt als eines der besten Screeninginstrumente zur reliablen Erfassung von Depressivität mithilfe von 9 Items auf einer 4‑stufigen Rating-Skala. Es sind Werte von 0–27 möglich, wobei mit einem Wertebereich von 1 bis 4 eine minimale, von 5 bis 9 eine milde, von 10 bis 14 eine mittelgradige und von 15 bis 27 eine schwere depressive Symptomatik erfasst werden kann (Kroenke et al. 2001).

Fragen zu Sexualanamnese und Behandlung

Die Erfahrungen mit der Gesundheitsversorgung wurden mithilfe von Einzelitems abgebildet. Zunächst wurde erfragt, ob jemals eine Sexualanamnese (z. B. Zeitpunkt der ersten Menstruation, Verhütungsmittel, Sexualstörungen) beim Patienten durchgeführt wurde, und wenn ja, bei welchem Facharzt dies erfolgte. Des Weiteren wurde gefragt, ob jemals ein Angebot gemacht wurde, bei Bedarf über Sexualität oder sexuelle Probleme zu sprechen, und wer nach Meinung der Patienten das Gespräch eröffnen sollte. Letztlich wurde ermittelt, ob die Befragten schon jemals aufgrund sexueller Probleme in Behandlung waren.

Datenanalyse

Die Patientendaten wurden deskriptiv aufbereitet und die Gruppenunterschiede mithilfe von Varianzanalysen unter Angabe der Konfidenzintervalle geprüft. Um eine konservativere Analyse zu ermöglichen, wurden nur Patienten in die Studie aufgenommen, bei denen Hinweise auf sexuelle Aktivität gefunden wurden. Patienten, die keine sexuelle Aktivität im FSFI oder IIEF-5 berichteten, wurden nicht berücksichtigt, da hier nicht wirklich sicher zwischen den Gruppen mit und ohne sexuelle Funktionsstörung unterschieden werden kann. Ein Wert von „0“ im FSFI bzw. IIEF-5 gibt in diesen Fällen nur an, dass in der letzten Zeit keine sexuelle Aktivität stattgefunden hat, liefert sonst aber keine klinisch relevanten Informationen. Zur Kontrolle wurden aber jeweils zweite Analysen unter Berücksichtigung aller Patienten durchgeführt, da eine zugrunde liegende sexuelle Dysfunktion zur Vermeidung sexueller Aktivitäten führen kann und auch häufig führt. Die Ergebnisse unterschieden sich nicht in ihrer Richtung, nur erwartungskonform hinsichtlich der Stärke der Signifikanz, weshalb sie nicht zusätzlich berichtet werden. Zur Datenanalyse wurde SPSS 23.0 verwendet, bei einem festgelegtem Signifikanzniveau von α = 0,05. Ein positives Votum der Ethikkommission des Universitätsklinikums Jena liegt vor.

Ergebnisse

In die Studie aufgenommen wurden 801 Personen im Alter zwischen 18 und 40 Jahren (Tab. 1). Alle Patienten geben an, zumindest für Routineuntersuchungen, Krankschreibungen, bei Infektionen oder Impfungen in regelmäßiger hausärztlicher Behandlung zu sein.

Tab. 1 Studienpopulation (n = 801)

Unter Berücksichtigung der FSFI Werte der sexuell aktiven Patientinnen (MW 27,7; SD ± 5,5) wurden bei 184 Frauen (33,8 %) Hinweise auf eine sexueller Dysfunktion gefunden. Bei 41 sexuell aktiven Männern (21,5 %) zeigten sich mit Bezug auf den IIEF-5 (MW 22,71; SD ± 3,28) klinisch relevante Werte für eine Erektionsstörungen. Es wiesen 360 Frauen (44,9 %) und 150 Männer (78,5 %) im Alter bis 40 Jahre keine klinisch relevanten Werte auf. Bezugnehmend auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität, sexuelle Zufriedenheit, Partnerschaftszufriedenheit und Depressivität zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen mit und ohne sexuelle Dysfunktionen sowohl bei Frauen als auch bei Männern (Tab. 2 und 3). Frauen und Männer mit sexuellen Dysfunktionen berichteten signifikant geringere Werte in den Bereichen gesundheitsbezogene Lebensqualität (psychische Gesundheit), sexuelle Zufriedenheit und Partnerschaftszufriedenheit. Geschlechtsübergreifend finden sich auch höhere Depressionswerte, wenn eine sexuelle Funktionsstörung vorliegt. Hinsichtlich der körperlichen Komponente der gesundheitsbezogenen Lebensqualität ergeben sich keine Unterschiede. Frauen mit einer sexuellen Funktionsstörung berichteten darüber hinaus einen schlechteren Gesundheitszustand als Frauen ohne sexuelle Dysfunktion. Bei Männern ließ sich dieser Unterschied nicht feststellen.

Tab. 2 Gruppenunterschiede bei den teilnehmenden Frauen, berechnet nach dem FSFIa
Tab. 3 Gruppenunterschiede bei den teilnehmenden Männern, berechnet nach dem IIEF-5a

Erlebte Sexualanamnese und medizinische Versorgung aus Patientensicht

Hinsichtlich der Fragen zur Versorgungssituation berichten 85,1 % der Frauen (n = 504), dass bei ihnen noch nie eine Sexualanamnese (z. B. Erhebung des Zeitpunkts der ersten Menstruation, Fragen nach Verhütungsmitteln, mögliche Probleme beim Geschlechtsverkehr) durchgeführt worden sei. Von den 14,9 % (n = 88), bei denen eine Sexualanamnese durchgeführt wurde, erfolgte diese bei 85 Patientinnen (14,4 %) beim Frauenarzt, bei 2 Frauen beim Hausarzt (0,3 %) und bei einer Frau beim Psychotherapeuten (0,2 %). Bei 98,1 % der untersuchten Männer (n = 205) wurde noch nie eine Sexualanamnese durchgeführt. In den 4 Fällen (1,9 %), die eine Sexualanamnese berichteten, erfolgte diese in 3 Fällen bei einem Hausarzt (1,4 %) und in einem Fall bei einem Urologen (0,5 %).

Weiterhin wurde erhoben, inwiefern den Patienten jemals ein Angebot gemacht wurde, bei Bedarf über Sexualität oder sexuelle Probleme zu sprechen. Nur 10,3 % der Frauen (n = 61) und 7,2 % der Männer (n = 15) berichteten über ein solches Gesprächsangebot, wobei insgesamt 66,7 % der Frauen (n = 395) und 53,1 % der Männer (n = 111) ausdrücklich wünschten, dass der Arzt ein solches Gespräch initiieren möge. Es waren 197 Frauen (33,3 %) und 98 Männer (46,9 %) der Meinung, der Patient sollte das Gespräch über Sexualität beginnen. Von den untersuchten Personen waren bisher 13,7 % der Frauen (n = 81) und 7,7 % der Männer (n = 16) in Behandlung wegen sexueller Probleme. Von den Frauen, bei denen mithilfe des FSFI eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine sexuelle Dysfunktion erhoben wurde, waren 84,8 % (n = 179) nicht in Behandlung. Nach eigenen Angaben waren 90,2 % der Männer (n = 37) mit klinisch relevanten Merkmalen für eine Erektionsstörungen unbehandelt.

Diskussion

Interpretation der Studienergebnisse

Sexuelle Probleme und Funktionsstörungen scheinen auch im frühen Erwachsenenalter nicht selten zu sein und haben großen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit und den psychischen Gesundheitszustand der Patienten. Trotzdem bleiben sie in der medizinischen Versorgung oft unentdeckt. Die Häufigkeiten sexueller Funktionsstörungen in der vorliegenden Studie entsprechen jenen vorliegender Studienergebnisse (Lewis et al. 2010; Laumann et al. 1999), wobei die Streuungen der Prävalenzangaben in der Literatur enorm sind (West et al. 2004). Viele Studien beginnen die Erhebung von sexuellen Funktionsstörungen erst ab dem 40. Lebensjahr (Lewis et al. 2010). Allerdings zeigen sich Hinweise, dass die Zunahme der sexuellen Dysfunktionen im Alter stärker die Folge der altersbedingten Multimorbidität als nur der normalen Alternsprozesse sein dürfte (Mulligan et al. 1988). In der vorliegenden Studie berichteten Männer und Frauen mit sexuellen Dysfunktionen deutlich geringere Werte in den Bereichen gesundheitsbezogene Lebensqualität (psychische Gesundheit), sexuelle Zufriedenheit und Partnerschaftszufriedenheit sowie höhere Depressivitätswerte. Diese Ergebnisse bestätigen die bisherige Studienlage (McCabe et al. 2010; Sánchez-Fuentes et al. 2014; Litwin et al. 1998; Laumann et al. 1999), wobei einige der Zusammenhänge durchaus bidirektional sein können. Eine Depression kann beispielsweise sexuelle Funktionsstörungen nach sich ziehen; gleichermaßen können sexuelle Funktionsstörungen zu depressiven Verstimmungen führen (Atlantis und Sullivan 2012). Hinsichtlich der körperbezogenen Subskala der gesundheitsbezogenen Lebensqualität zeigten sich keine signifikanten Unterschiede, was durchaus in der Altersauswahl begründet sein kann. Mit steigendem Alter verstärkt sich der Zusammenhang zwischen dem Gesundheitszustand und sexuellen Funktionsstörungen, da beide Bereiche sich gegenseitig bedingen, sexuelle Funktionsstörungen aber auch infolge der Medikation bzw. Multimedikation im höheren Alter gehäufter auftreten. In der vorliegenden Studie wurden sehr konservativ die Analysen an den sexuell aktiven Patienten durchgeführt. Hier können anhand der Antworten eindeutige Hinweise auf das Vorliegen einer sexuellen Funktionsstörung ermittelt werden. Hat hingegen keine sexuelle Aktivität stattgefunden, ergibt sich erst einmal keine eindeutige klinisch relevante Zuordnung. Da in den meisten Fällen eine zugrunde liegende sexuelle Dysfunktion zur Vermeidung sexueller Aktivitäten führen kann, wurden Kontrollanalysen anhand aller Patienten durchgeführt, die diesen Eindruck und auch die Gruppenunterschiede, die im Paper angegeben wurden, noch verstärken, aber aufgrund der identischen Richtungen nicht weiter berichtet wurden. Für die Praxis ist es daher bedeutsam, die Gründe sexueller Inaktivität klar zu explorieren, um einerseits sexuelle Probleme von Störungen zu differenzieren und andererseits einen Behandlungsbedarf zu ermitteln. Die Ergebnisse zu den sexualanamnestischen Fragen sind kohärent zur bisherigen Studienlage, wonach das Thema Sexualität vonseiten der Behandler selten angesprochen wird (Nusbaum et al. 2002). Als Gründe dafür werden genannt: 1. Schamhaftigkeit, 2. das Gefühl, nicht gut vorbereitet oder ausgebildet zu sein, 3. die Annahme, die Sexualgeschichte sei nicht relevant für die Hauptbeschwerden des Patienten und 4. zeitliche Limitationen (Nusbaum et al. 2002). Dazu kommt, dass nicht einmal 20 % der Männer und 15 % der Frauen in Deutschland ihre Sexualstörungen selbst thematisieren, was z. T. auf mangelnde Wahrnehmung und eigene Scham zurückzuführen ist (Moreira et al. 2005). Das ist v. a. dann problematisch, wenn die Ärzte oder Therapeuten ihrerseits das Gespräch nicht initiieren. Die Kombination aus beidem führt dazu, dass sexuelle Funktionsstörungen nicht diagnostiziert werden. In der vorliegenden Studie waren 84,8 % der Frauen und 91,2 % der Männer mit hoher Wahrscheinlichkeit für eine sexuelle Dysfunktion nach eigenen Angaben unbehandelt. Das deckt sich ebenfalls mit Angaben in der Literatur, wonach sexuelle Funktionsstörungen generell als unterdiagnostiziert gelten und spät oder gar nicht therapiert werden (Reinecke et al. 2006). Viele Patienten erhoffen sich jedoch ein Gespräch mit dem Arzt oder dem Therapeuten zu sexuellen Problemen (Nusbaum und Hamilton 2002; Nusbaum et al. 2002). In der vorliegenden Studie äußerten mehr als die Hälfte der Befragten den Wunsch, dass der Behandler dieses Gespräch beginnen möge. Das passt in etwa zu den Ergebnissen einer deutschen Studie, wonach 54 % der Frauen und fast 45 % der Männer denken, dass der Arzt routinemäßig Aspekte der sexuellen Funktion abfragen sollte (Moreira et al. 2005).

Limitationen

Onlineerhebungen werden z. T. wegen Selektions- und Verzerrungseffekten kritisiert, jedoch ermöglichen sie es, verschiedene Personen gerade im jüngeren und im mittleren Erwachsenenalter zu erreichen. Die mögliche Gefahr von Verzerrungen konnte in Vergleichsstudien nicht bestätigt werden. Für empirische Studien im Bereich tabuisierter Themen, wie der Sexualforschung, gilt diese Erhebungsform sogar als besonders geeignet (Gribble et al. 1999), da sie die soziale Erwünschtheit reduziert und die Offenheit bei sensiblen Themen steigert (Taddicken 2009). Allerdings gelten Onlineerhebungen nicht als repräsentativ, da sich Internetnutzer auch in der heutigen Zeit noch von Nichtnutzern unterscheiden. Der in diesem Zusammenhang sehr häufig berichtete Alterseffekt konnte zumindest etwas minimiert werden, da die vorliegende Altersgruppe 18 bis 40 Jahre auch der Hauptnutzergruppe entspricht. Trotzdem könnten durch die Thematik besonders Patienten mit höherem Leidensdruck oder besonderem Interesse an der Thematik überrepräsentiert in die Studie aufgenommen worden sein.

Eine weitere Limitation der Studie ist, dass bei den Männern eine konkrete sexuelle Funktionsstörung, bei den Frauen jedoch ein Score, der die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer sexuellen Dysfunktion schätzt, erhoben wurden. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass sich insbesondere bei Frauen einzelne sexuelle Funktionsstörungen (Beeinträchtigungen des sexuellen Verlangens, der sexuellen Erregung und der Orgasmusfähigkeit) oft nicht klar voneinander abgrenzen lassen, was zunehmend bereits von den Klassifikationssystemen wie DSM-5 berücksichtigt wird.

Des Weiteren handelt es sich hinsichtlich der Antworten zur Versorgungssituation um subjektive Patientenangaben, die nur eine eingeschränkte Sichtweise auf die Versorgung darstellen und nur bei hausärztlich versorgten Patienten erhoben wurden. Im Rahmen umfangreicher, repräsentativer Erhebungen, die derzeit durchgeführt werden, sowie mit Unterstützung von Versorgungs- und Sekundärdaten (von verschiedenen Fachärzten, Therapeuten und Krankenkassen) sollten und werden von den Autoren des vorliegenden Beitrags weitere Analysen folgen, um ein vollständigeres Bild aus mehreren Perspektiven zu erhalten.

Fazit für die Praxis

  • Sexuelle Funktionsstörungen sind auch im frühen und im mittleren Erwachsenenalter nicht selten.

  • Sie haben bedeutenden Einfluss auf die Lebenszufriedenheit und den psychischen Gesundheitszustand der Patienten.

  • Sexuelle Funktionsstörungen bleiben oft unentdeckt, weil sie nicht thematisiert werden.

  • Ein großer Anteil der Patienten wünscht sich Gesprächsangebote zur Sexualität, die von Behandlerseite ausgehen.

  • Routinemäßig können Fragen zur sexuellen Funktion in die Abfrage der Krankengeschichte bzw. Medikamentennebenwirkungen oder in die Erhebung der Aspekte der Partnerschaftsdynamik integriert werden.