Versorgungsstruktureller Hintergrund

Die modernen Kommunikationstechnologien, wie Internet und Mobiltelefon, eröffnen neue Chancen für die Verbesserung der psychosozialen Versorgung (z. B. Bauer et al. 2005; Batinic 2000; Ott u. Eichenberg 2002), z. B., um der Vorstellung einer wohnortnahen, integrierten Versorgung näher zu kommen. Diese wird seit langem gerade für Patienten mit Störungen vorgeschlagen, die eine Behandlung über lange Zeiträume brauchen (Bundesärztekammer 2001). Eine Realisierung in der Praxis ist jedoch schwierig. Traditionell findet man Fachkliniken für Psychosomatik und Psychotherapie, nicht zuletzt wegen der engen und in mancherlei Hinsicht durchaus vorteilhaften Verknüpfung von Reha- und Krankenhausversorgung, eher auf dem Lande als in Ballungsgebieten. Die daraus für den größten Teil der Bevölkerung resultierende Wohnortferne der stationären Behandlung schränkt gleichzeitig die Möglichkeit einer integrativen Versorgung ein. Nun steht das Internet gerade dafür, Menschen unabhängig von ihrem jeweiligen Aufenthaltsort zu vernetzen. Es liegt daher nahe zu untersuchen, ob und wie das Internet genutzt werden kann, um psychosoziale Versorgungsangebote an die Patienten heranzutragen und die in der Realität nach wie vor dominierende Trennung von ambulanter und stationärer Behandlung zu überbrücken.

Stationäre psychotherapeutisch-psychosomatische Medizin ist effektiv. Dies ist durch zahlreiche Evaluationsstudien immer wieder belegt worden (z. B. Janssen 1987; Zielke 1993; Nübling et al. 1999). Viele Patienten beenden die stationäre Behandlung im Vergleich zur Klinikaufnahme in deutlich besserem Gesundheitszustand. Ihre psychischen und körperlichen Symptome sind zurückgegangen oder gar verschwunden, ihre soziale Kompetenz ist gewachsen und ihre Lebenszufriedenheit ist gesteigert. Leider verliert eine Reihe der Patienten einen Teil dieser gesundheitlichen Verbesserungen nach der Behandlung wieder (Broda et al. 1996; Schulz et al. 1999; Puschner et al. 2004). Nicht zuletzt deshalb wird in vielen Fällen eine ambulante Weiterbehandlung empfohlen (Becker u. Senf 1988; Lamprecht et al. 1999; Häfner et al. 1999). Diese lässt sich aber oft nicht oder nicht zeitnah realisieren, da ambulante Behandlungsplätze, wenn überhaupt, in der Regel erst nach mehrmonatiger Wartezeit zur Verfügung stehen (vgl. Zepf et al. 2003).

Welche Chancen in einer direkten Nachsorge liegen, konnten Lamprecht et al. (1999) in einem Modell einer ambulanten wohnortnahen Nachsorge nach stationärer psychosomatischer Rehabilitation zeigen. Sie hatten Versicherten der LVA Hannover, die im Großraum Hannover wohnten, eine ambulante psychosomatische Nachsorge angeboten. In einer postalischen 1-Jahres-Katamnese ließen sich deutliche Vorteile gegenüber einer parallelisierten Vergleichsgruppe erkennen. Dies veranlasste die Autoren, eine regelhafte Implementierung in den Rehabilitationsprozess vorzuschlagen. Die ermutigenden Erfahrungen weisen aber auch schon auf die Grenzen dieses Ansatzes hin. Das Angebot kann sich realistischerweise nur an Patienten richten, die in der Nähe des Anbieters dieses Nachsorgeangebots wohnen. Von den 189 Patienten, denen das Angebot gemacht wurde, nahmen es lediglich 77 (40,7%) an. Über mögliche Gründe sowie eventuelle weitere Abbrüche während der Nachsorge berichten die Autoren nichts. Daher kann man nur spekulieren, inwieweit der durch die Organisation erzwungene Therapeutenwechsel und die daraus resultierende Notwendigkeit, erneut eine tragfähige Arbeitsbeziehung aufzubauen, sowie die Wegezeiten, die trotz der Beschränkung auf den Großraum Hannover, beträchtlich sein können, zu der vergleichsweise geringen Akzeptanz beigetragen haben. Mit der Frage, wodurch sich Rehabilitanden, die das Nachsorgeangebot in Anspruch nehmen von denjenigen, die eine Teilnahme ablehnten, unterscheiden, beschäftigten sich Kobelt et al. (2004). Die Ergebnisse bestätigen die oben genannte Vermutung, dass u. a. die Entfernung zum Ort der Nachsorge ein Hinderungsgrund für die Teilnahme war: Immerhin 26% der Befragten geben an, dass der lange Anfahrtsweg ein Grund für ihre Nichtteilnahme gewesen sei.

Eine ambulante Nachsorge über das Internet reduziert solche Beschränkungen. Eine Fachklinik könnte beispielsweise nach dem Klinikaufenthalt über das Internet Kontakt zu ihren Patienten halten und ihnen unabhängig von deren Wohnort eine kontinuierliche Unterstützung anbieten. Das könnte es den Patienten erleichtern zu erproben, wie weit sie allein zurechtkommen und ihnen helfen, kritische Übergangszeiten zu bewältigen sowie Wartezeiten zu überbrücken, wenn eine ambulante Weiterbehandlung nötig ist.

Die Forschungsstelle für Psychotherapie, die Techniker Krankenkasse (TK) und die Panorama-Fachklinik Scheidegg im Allgäu haben sich daher zusammengetan, um diese Möglichkeiten zu erproben und in einer Studie zu evaluieren.

Konzept der Internetchatgruppe

Die Panorama-Fachklinik bot ihren Patienten im Anschluss an die dortige fachpsychotherapeutische Behandlung eine Unterstützung über das Internet an (Wangemann u. Golkaramnay 2004). Die Patienten konnten für 12–15 Wochen an einer Internetchatgruppe teilnehmen. (Die Kosten trug die TK.) Diese waren nach dem Konzept einer moderierten Selbsthilfegruppe organisiert; hierbei übernahmen erfahrene Gruppentherapeuten die Moderation. Die 8–10 Teilnehmer trafen sich einmal wöchentlich für 90 min in einem speziell für diesen Zweck eingerichteten Internetchatraum. Die Teilnehmer bestimmten die Themen; Fragen des Übergangs in den Alltag erhielten eine besondere Aufmerksamkeit. Eine wichtige Hilfe bot die kontinuierliche Beobachtung des Gesundungsverlaufes. Die Patienten beantworteten jede Woche online einige Fragen zur ihrer psychischen und körperlichen Gesundheit. Die Angaben wurden unmittelbar diagnostisch bewertet und an die Therapeuten weitergeleitet, sodass die Therapeuten jederzeit über positive oder negative Änderungen des Gesundheitszustands der Patienten informiert waren und ggf. gezielte Unterstützung anbieten konnten.

Die Chatgruppen waren in eine integrierte therapeutische Gesamtstrategie eingebettet: Alle Teilnehmer trafen ihren Gruppentherapeuten persönlich während der letzten Woche ihres Klinikaufenthalts (wenn dieser nicht bereits maßgeblich an ihrer stationären Behandlung beteiligt war). Sie teilten die Erfahrung einer Behandlung in der Panorama-Fachklinik – auch wenn sie sich dort nicht notwendigerweise persönlich begegnet sein mussten –, und sie standen vor der gleichen Herausforderung, nämlich dem Übergang von der Klinik in den Alltag. Die Therapeuten waren mit dem Behandlungsprogramm der Panorama-Fachklinik vertraut, kannten das therapeutische Team und die Patienten persönlich. Der ärztliche Bereitschaftsdienst der Klinik stand für Notfallsituationen zur Verfügung.

Die Forschungsstelle für Psychotherapie hatte einen Linux-Server speziell für die Zwecke des Projektes eingerichtet und gewährleistete den sicheren Datentransfer sowie die notwendige Vertraulichkeit der Kommunikation (Golkaramnay et al. 2003). Bei technischen Problemen beriet sie die Teilnehmer. Wegen der mit diesem neuartigen integrativen Nachsorgekonzept verbundenen standesrechtlichen und datenschutzrechtlichen Fragen war die schließlich erreichte Zustimmung der Ethikkommission der Landesärztekammer Bayern und des Beauftragten für den Datenschutz des Landes Baden-Württemberg von besonderer Bedeutung.

Fragestellung

Die Studie verfolgt zwei wissenschaftliche Ziele:

  1. 1.

    Untersuchung der Praktikabilität der Technik, der Teilnahmebereitschaft der Patienten und des von den Teilnehmern erlebten subjektiven Nutzens sowie

  2. 2.

    Abschätzung der Effektivität der nachstationären Betreuung. Dabei wurde erwartet, dass die Teilnahme das mittelfristige Risiko deutlich senkt, die während des Klinikaufenthalts erreichten Verbesserungen des Gesundheitszustands (innerhalb eines halben Jahres) wieder zu verlieren.

Methoden

Teilnehmer

Alle Patienten, die im Zeitraum von November 2001 bis März 2003 in die Panorama-Fachklinik kamen und bei der TK versichert waren, erhielten das Angebot, im Rahmen einer Studie an einer Chatgruppe teilzunehmen. Es konnten 114 Patienten für die Studienteilnahme gewonnen werden.Footnote 1 Die Vergleichsgruppe setzt sich aus Patienten zusammen, die an der Routinequalitätssicherung der Panorama-Fachklinik teilnahmen, ihr Einverständnis für die Nutzung ihrer Angaben im Rahmen der Studie gegeben hatten und nicht an den Chatgruppen teilnehmen konnten oder wollten.

Alle Patienten (Teilnehmer an der Internetgruppe sowie der Vergleichsgruppe) nahmen an der Routineuntersuchung teil, die für die Beurteilung der Ergebnisqualität in der Panorama-Fachklinik seit Jahren durchgeführt wird. Sie erhielten im Rahmen dieser Routine 6 und 12 Monate nach dem Verlassen der Klinik entsprechende Fragebogen zugeschickt. Die Information aus diesen Fragebogen bildeten die empirische Basis für die Abschätzung der mittelfristigen Wirksamkeit (6 Monate).

Design

Bei der Studie handelt es sich um eine prospektive kontrollierte Beobachtungsstudie mit Mehrfacherhebungen im Verlauf (Abb. 1). Unter Nutzung des Prinzips der „Propensity-score-Korrektur“ wurden „matched pairs“ gebildet. Dass heißt, jedem Teilnehmer des Chatprogramms wurde der Patient aus der Vergleichsstichprobe (insgesamt n=420) zugeordnet, der den ähnlichsten (unter Einbeziehung der Merkmale Geschlecht, Alter, Verweildauer, Problemdauer, PC-/Interneterfahrung und psychische Beeinträchtigung bei der Entlassung aus der Klinik bestimmten) Propensity score aufweist. Die Propensity-score-Korrektur gilt als eine effiziente Methode, einen möglichen Selektionsbias auszugleichen, wenn eine Randomisierung nicht möglich oder nicht sinnvoll ist (Rosenbaum u. Rubin 1983, 1984).

Abb. 1.
figure 1

Studiendesign

Zielkriterien

Das Hauptzielkriterium ist das sog. Auffälligkeitssignal nach dem Stuttgart-Heidelberger Modell der Qualitätssicherung, das sich in der Praxis der Qualitätssicherung in der stationären Psychotherapie und Psychosomatik seit Jahren bewährt (z. B. Kordy et al. 2003). Es basiert auf einem multidimensionalen Gesundheitsbegriff und fasst die Entwicklung der körperlichen, psychischen und psychosozialen Gesundheit bewertend zusammen. Als Nebenzielkriterien werden die einzelnen Dimensionen, wie z. B. die psychische Gesundheit [gemessen mit der SCL-90-R (Symptomcheckliste; Franke 1995) bzw. dem EB-45 (Ergebnisfragebogen; Lambert et al. 2002)], das körperliche Befinden [gemessen mit der Kurzform des GBB (Gießener Bechwerdebogen; Brähler u. Scheer 1995; Brähler et al. 2000)] und direkte Veränderungseinschätzungen sowie die Patientenzufriedenheit [gemessen mit dem ZUF-8 (Patientenzufriedenheit; Schmidt et al. 1989)] verwendet.

Statistische Methoden

Bei einer angestrebten „power“ von 0,80 und einem erwarteten Effekt von etwa 20% reichen Stichproben von je ca. 100 Patienten in der Chatteilnehmergruppe und in der Vergleichsgruppe. Da weiter mit einer Ausfallquote von 15% bei den katamnestischen Untersuchungen gerechnet wurde, wurden je 114 Patienten für beide Gruppen rekrutiert, um ausreichende Daten für die Beurteilung der Effektivität zur Verfügung zu haben. Die statistische Prüfung der Effektivität erfolgt mit einem Chi2-Test (Auffälligkeitssignal, direkte Veränderungseinschätzung) sowie t-Tests für verbundene Stichproben (SCL-90-R, GBB, EB-45). Da die Hypothesen gerichtet sind, werden einseitige Tests eingesetzt (α=0,05).

Stichprobe

Einschlusskriterien

Die Internetbrücke wurde allen Patienten angeboten, die zum Ende der stationären Behandlung nach klinischer Einschätzung in einem hinreichend stabilen Gesundheitszustand waren. Die Teilnehmer mussten bei der TK versichert sein und einen Zugang zum Internet haben.

Ausschlusskriterien

Da keine Erfahrungen über die möglichen Reaktionen von psychotischen Patienten im Umgang mit neuen Medien vorlagen, blieben diese von der Projektteilnahme ausgeschlossen. Allerdings waren solche Patienten im Rekrutierungszeitraum nicht in der Panorama-Fachklinik.

Vergleichsgruppe

Die Patienten der Vergleichsgruppe wurden, wie oben beschrieben, aus denjenigen Patienten ausgewählt, die im gleichen Zeitraum in der Panorama-Fachklinik behandelt wurden, einer Studienteilnahme zugestimmt hatten, aber nicht an dem Chatprogramm teilnehmen konnten oder wollten.

Beschreibung der Patientenstichproben

Soziodemographische Merkmale

Es waren 90 (78,9%) der Chatteilnehmer und 83 (72,8%) der Vergleichsgruppe Frauen. Die Chatteilnehmer waren mit 41,7 Jahren (Standardabweichung, SD=11,6 Jahre) und die Vergleichsgruppe mit 43,2 Jahren (SD=12,9 Jahre) im Durchschnitt etwas jünger als die Patienten der Klinik (laut Jahresbericht 2002/2003: 46,4 Jahre, SD=14,1 Jahre). Der jüngste Teilnehmer war 18 und der älteste 76 Jahre alt. Etwa die Hälfte der Chatteilnehmer (53,3%) und die Hälfte der Vergleichsgruppe (49,1%) waren verheiratet. Der Anteil der Ledigen war mit 28,0% bei den Chatteilnehmern und mit 24,6% in der Vergleichsgruppe etwas größer als sonst in der Klinik (2002/2003: 22%). Dies mag mit dem niedrigeren Durchschnittsalter zusammenhängen.

Diagnoseverteilung

Die Diagnoseverteilung bei den Chatteilnehmern und in der Vergleichsgruppe spiegelte im Wesentlichen die Diagnoseverteilung der Patienten in der Panorama-Fachklinik wider (vgl. Jahresbericht 2002/2003). Die häufigsten Diagnosen [“International Classification of Diseases- (ICD-)10] waren affektive Störungen (F 3: 52,6% der Chatteilnehmer und 51,8% in der Vergleichsgruppe), Persönlichkeitsstörungen (F 6: 18,4% der Chatteilnehmer und 18,4% in der Vergleichsgruppe), neurotische bzw. somatoforme Störungen oder Belastungsstörungen (F 4: 17,5% der Chatteilnehmer und 18,4% in der Vergleichsgruppe) sowie Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren (F 5: 9,6% der Teilnehmer und 6,1% der Vergleichsgruppe).

PC- und Interneterfahrung

Die Erfahrung im Umgang mit PC und Internet streut erheblich unter den Chatteilnehmern. Im Durchschnitt schätzten sie sich auf einer 5-Punkte-Skala (von 0: „überhaupt nicht“ bis 4: „sehr erfahren“) als „etwas erfahren“ ein (Umgang mit PC: Mittelwert, M=2,09; SD=1,25; Umgang mit dem Internet: M=1,85; SD=1,25). Etwa ein Drittel hatte wenig oder keine Erfahrungen mit dem PC (31,5%) oder dem Internet (36,8%). Demgegenüber schätzten sich 41,3% bzw. 31,5% als ziemlich oder sehr erfahren im Umgang mit dem PC bzw. dem Internet ein.

Ergebnisse

Akzeptanz

Vier Aspekte werden als Indikatoren für die Akzeptanz betrachtet:

  • Bereitschaft zur Teilnahme,

  • An- bzw. Abwesenheitsrate bei den wöchentlichen Gruppensitzungen,

  • Abbrecherquote und

  • Zufriedenheit mit der Internetbrücke.

Bereitschaft zur Teilnahme

Zur Klärung der Teilnahmebereitschaft an der Internetbrücke wurden insgesamt 300 Patienten, die nicht an dem Projekt teilnahmen, bei der Entlassung aus der Panorama-Fachklinik über das Projekt befragt. Das Internetprojekt war den meisten Befragten (85%) bekannt.

Die häufigsten Gründe für die Nichtteilnahme waren die Mitgliedschaft bei einer anderen Krankenkasse als der TK (44%) und/oder kein Zugang zum Internet (40%). Eine direkte Anschlussbehandlung hatten 10,6% der Patienten bereits vereinbart und sich deshalb nicht weiter für das Projekt interessiert. Lediglich 18,8% der Befragten hätten generell kein Interesse an der Teilnahme gehabt.

Anwesenheitsrate

Das Interesse der Patienten war von Anfang an sehr groß. Wer sich für die Teilnahme entschloss, nahm dieses Angebot auch regelmäßig wahr. Die durchschnittliche Anwesenheit bei den wöchentlichen Sitzungen lag zwischen 85% und 90%.

Abbrecherquote

Von insgesamt 114 Chatteilnehmern schieden nur 11 (9,7%) vor Ablauf von 12 Wochen aus. Als Gründe wurden genannt: die Aufnahme einer ambulanten Behandlung, Fehlen eines eigenen PC, technische Probleme wegen veralteter Hardware, die Trennung von Ehemann (und PC) sowie Krankenhausaufenthalt.

Zufriedenheit

Die Zufriedenheit der Teilnehmer mit den einzelnen Sitzungen und der Internetbrücke war insgesamt hoch (Tabelle 2). Sie wurde nach jeder Sitzung und bei Beendigung der Projektteilnahme erfasst. Insgesamt erklärten sich über 90% der Teilnehmer als zufrieden mit der Internetbrücke (davon 77,4% als sehr oder ziemlich zufrieden; wenig oder gar nicht zufrieden waren nur 9,8%). Mit den einzelnen Sitzungen waren im Durchschnitt 90% der Teilnehmer zufrieden (davon 71,7% sehr oder ziemlich zufrieden). Die große Mehrheit (83%) sah in der Internetbrücke eine sinnvolle Ergänzung der bestehenden Gesundheitsversorgung, 85% äußerten sich mit dem Gesamtprogramm als zufrieden, mehr als die Hälfte (52%) würden dafür extra bezahlen.

Direkte Evaluation durch die Chatteilnehmer

Direkte Evaluation der einzelnen Gruppensitzungen

Am Ende jeder Sitzung wurden die Chatteilnehmer im Rahmen des Abmeldevorgangs zu einem kurzen Onlinefragebogen zur Qualität der vergangenen Gruppensitzung geführt (Tabelle 1). Die Bewertung erfolgte auf einer 5-stufigen Skala („überhaupt nicht“, „wenig“, „etwas“, „ziemlich“, „sehr“). Die überwiegende Mehrheit der Chatteilnehmer erlebte demnach die Sitzungen als hilfreich (82,2%), fühlte sich von der Gruppe akzeptiert (87,7%) und empfand sich selbst als Teil der Gruppe (89,6%). Die Chatteilnehmer waren der Meinung, dass sie sich offen aussprechen konnten (84,7%), und nur wenige fühlten sich dabei durch die Technik eingeschränkt (14,6%).

Tabelle 1 Evaluation der Sitzungen

Beurteilung der Rahmenbedingungen

Abschließend wurden die Chatteilnehmer auch zu den Rahmenbedingungen befragt (Tabelle 2).

Tabelle 2 Evaluation des Programms

Während die Chatdauer (90 min) von 76,1% und die Chathäufigkeit (einmal pro Woche) sogar von 82,7% der Teilnehmer als ziemlich bzw. sehr gut eingeschätzt wurden, waren nur 58% mit der Teilnahmedauer (12–15 Wochen) zufrieden. Ein Drittel der Teilnehmer erachtete die Dauer als zu kurz. 83,7% der Teilnehmer schätzten die Therapeuten im Chat als hilfreich ein. Dagegen bewerteten die Therapeuten selbst ihre Rolle eher zurückhaltender. Nur bei 28,7% der Fälle sahen sie ihre Rolle als sehr oder ziemlich hilfreich an und schrieben die positive Wirkung eher den Gruppen selbst zu. Sehr positiv wurde die Einführungsveranstaltung während der stationären Zeit bewertet. Gut drei Viertel der Teilnehmer (72,5%) hielten diese Einführung für gut. Unter Sicherheits- und Datenschutzaspekten wird der Anonymität im Chat in der Öffentlichkeit eine wichtige Bedeutung beigemessen. Für die Mehrzahl der Patienten spielte die Anonymität im Chat, auf die unter Sicherheits- und Datenschutzaspekten großer Wert gelegt wurde, offensichtlich keine große Rolle. Nur 39,6% der Teilnehmer fanden die Anonymität im Chat wichtig. Ein Drittel erlebte die Verpflichtung, über ein Pseudonym zu kommunizieren, eher als Behinderung in der Beziehung zu anderen Chatteilnehmern.

Effektivität

Die 6-Monats-Nachuntersuchung wurde – wie in der Routine der Qualitätssicherung an der Panorama-Fachklinik – postalisch durchgeführt. Ihre ausgefüllten Fragebogen schickten 91,5% der Chatteilnehmer und 94,0% der Vergleichsgruppe zurück.

Hauptzielkriterium: Auffälligkeitssignal

Als Hauptzielkriterium für die Beurteilung der Effektivität wird das Auffälligkeitssignal aus dem Stuttgart-Heidelberger Modell der Qualitätssicherung verwendet (vgl. Kordy et al. 2003). Als gut oder sehr gut werden nach diesem (a priori definierten) Kriterium solche Gesundungsverläufe klassifiziert, bei denen im Verlauf hinreichend viele positive Veränderungen erreicht werden (gemessen an dem im Stuttgart-Heidelberger Modell operationalisierten Standard), während auffällige Verläufe solche sind, bei denen keine oder nichthinreichende positive Veränderungen eingetreten sind. In diesem Sinne kennzeichnet die Auffälligkeitsrate für den Vergleich des Gesundheitszustands bei der Aufnahme in die Panorama-Fachklinik mit dem Gesundheitszustand 6 Monate nach Klinikentlassung das Risiko für das Verfehlen einer mittel- bzw. langfristig positiven gesundheitlichen Entwicklung.

In dieser zentralen globalen Beurteilung zeigt sich ein deutlicher Vorteil für die Chatteilnehmer gegenüber der Vergleichsgruppe. Während in der Vergleichsgruppe die Quote der „auffälligen“ Gesundheitsverläufe von 12,0% bei der Entlassung aus der Panorama-Fachklinik auf 33,7% in der 6-Monats-Katamnese angestiegen ist, war der Verlauf bei den Chatteilnehmern deutlich positiver und stieg lediglich von 13,8% bei Klinikentlassung auf 21,8% (χ2=4,13 > 2,71=χ20,05). Das heißt, das Risiko eines „auffälligen“ Gesundheitsverlaufes im ersten halben Jahr nach dem Verlassen der Klinik war in der Vergleichsgruppe etwa 70% höher als bei den Chatteilnehmern bei vergleichbarer Ausgangssituation zum Entlassungszeitpunkt.

Die Mehrzahl der Patienten (85,2% der Chatteilnehmer, 88,0% der Vergleichsgruppe) hatten die Panorama-Fachklinik in einem im Vergleich zum Behandlungsbeginn deutlich besseren Gesundheitszustand verlassen. Für viele dieser Patienten (81,2% der Chatteilnehmer, 68,9% der Vergleichsgruppe) hatten diese gesundheitlichen Verbesserungen auch 6 Monate später noch Bestand. Auch Chatteilnehmer, deren Gesundheitszustand während der stationären Behandlung noch nicht hinreichend gebessert war, scheinen profitiert zu haben. Für 64,3% dieser Chatteilnehmer (n=14) beobachtete man seit der Klinikentlassung eine Besserung, während dies bei ähnlichen Patienten der Vergleichsgruppe (n=11) nur für 36,4% der Fall war. (Es soll angemerkt werden, dass zum Katamnesezeitpunkt für 10 Teilnehmer der Chatgruppe und 7 Patienten der Vergleichsgruppe keine Informationen vorliegen.)

Nebenzielkriterien: Prä-post-Vergleiche

Ähnlich positiv ist das Bild, wenn man, wie im Folgenden, die Dimensionen des körperlichen und psychischen Befindens einzeln betrachtet.

Körperliches Befinden

Die körperliche Befindlichkeit wurde standardisiert mit dem GBB (Brähler u. Scheer 1995; Brähler et al. 2000) erfasst, dessen Kurzform 24 Einzelbeschwerden, wie z. B. Kopfschmerzen, Gelenk- oder Gliederschmerzen, rasche Erschöpfbarkeit, anfallsweise Herzbeschwerden, umfasst. Die Summe der Beeinträchtigungswerte über alle 24 Beschwerden hinweg wird als Beschwerdedruck oder Klagsamkeit bezeichnet und beschreibt das körperliche Wohlbefinden. Die mittlere Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens für beide Gruppen war bis zur 6-Monats-Katamnese ähnlich (Chatteilnehmer: M=22,17; SD=15,95; Vergleichsgruppe: M=24,29; SD=13,68; t(97)=0,64; p=0,53).

Beide Gruppen starteten im Mittel in der Nähe des Normbereiches (das 68. Perzentil der Normalbevölkerung liegt bei 28,9), verbesserten sich bis zum Ende der stationären Behandlung deutlich, verloren danach wieder ein wenig, blieben aber im Normbereich und stabilisierten sich dort (Abb. 2 und 3).

Abb. 2.
figure 2

Körperliche Beeinträchtigung (GBB) von Chat- und Vergleichsgruppe

Abb. 3.
figure 3

Psychische Beeinträchtigung (SCL-90-R GSI) von Chat- und Vergleichsgruppe

Psychisches Befinden

Das psychische Befinden wurde mithilfe der SCL-90-R und des EB-45 erfasst. Die SCL-90-R umfasst 9 spezifische Einzelskalen und einen zusammenfassenden Index für die Beeinträchtigung des psychischen Wohlbefindens (globaler Schwereindex, GSI). Während der Verlauf der mittleren Beeinträchtigung während der stationären Behandlung in beiden Gruppen fast identisch war, drifteten die Werte poststationär zugunsten der Chatteilnehmer auseinander (Chatteilnehmer: M=0,72; SD=0,53; Vergleichsgruppe: M=0,87; SD=0,59; t(97)=1,51; p=0,13).

Ein ähnliches Bild zeigt sich unter Anwendung des EB-45. Dieser Kurzfragebogen umfasst 45 Items, deren Summenwert die psychische Symptombelastung abbildet. Auch hier zeigte sich eine fast identische Entwicklung während der stationären Behandlung und ein poststationäres Auseinanderdriften der Entwicklung zugunsten der Chatteilnehmer (Chatteilnehmer: M=58,14; SD=24,20; Vergleichsgruppe: M=70,59; SD=28,54; t(98)=4,25; p=0,000).

Effektstärken

Der Überblick über die spezifischen EffekteFootnote 2 des psychischen Befindens in Tabelle 3 bestätigt noch einmal das positive Bild. Demnach nehmen die Unterschiede zwischen den Chatteilnehmern und der Vergleichsgruppe zum Zeitpunkt der 6-Monats-Katamnese Werte zwischen −0,06 (SCL-90-R Somatisierung) und −0,55 (EB-45 soziale Integration) an.

Tabelle 3 Effektstärken der Einzelskalen zum Zeitpunkt der 6-Monats-Katamnese

Nebenzielkriterien: direkte Veränderungseinschätzungen

In der 6-Monats-Untersuchung wurden alle Studienteilnehmer gebeten, die Veränderung ihrer Gesundheit im Vergleich zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Panorama-Fachklinik einzuschätzen. Insgesamt schätzten die Chatteilnehmer die Veränderungen der körperlichen (73,8% bzw. 69,2%) und der seelischen (84,2% bzw. 73,8%) Verfassung sowie der allgemeinen Leistungsfähigkeit (69,3% bzw. 66,7%) und des Allgemeinbefindens (80,4% bzw. 69,8%) etwas häufiger positiv ein als die Patienten der Vergleichsgruppe.

Diskussion

Eine Internetbrücke zwischen Fachklinik und Alltag eröffnet neue Möglichkeiten zu einer besseren Integration stationärer und ambulanter Versorgung und damit letztlich zu einer Optimierung der Versorgung gerade für Patienten, für die eine therapeutische Betreuung über längere Zeit notwendig ist. Das Projekt zeigt:

  • Die moderne Internettechnologie erlaubt die Kommunikation in einem geschützten Raum (für weitere Details s. Golkaramnay et al. 2003). Die nötige Technik arbeitete zuverlässig, und ihre Nutzung erwies sich als leicht erlernbar. Dabei war es sicherlich kein Nachteil, dass die Projektpartner sich von Anfang an darauf verständigt hatten, die Chatumgebung möglichst einfach zu gestalten und auf raffinierte technische Möglichkeiten (z. B. Bildübertragung durch „webcam“) zu verzichten. Von besonderer Bedeutung war die regelmäßige Einführung in den Gebrauch der Technik noch während des Klinikaufenthalts. Hier konnten Unsicherheiten abgebaut und praktische Fragen geklärt werden, sodass auch Internetnovizen an dem Projekt teilnehmen konnten. Die weiter wachsende Verbreitung des Internets in der Bevölkerung unterstreicht das große Potenzial dieses Ansatzes für die Versorgung.

  • Das neuartige Angebot wurde sehr positiv von den Patienten angenommen. Es kam bei männlichen und weiblichen, jüngeren und älteren Patienten gut an. Wer sich zur Teilnahme entschloss, blieb in der Regel auch dabei. Hier schlug sich der strategische Vorteil eines integrierten Ansatzes nieder. Der lückenlose Übergang von der stationären in die nachstationäre Betreuung erlaubte es, die gefestigte therapeutische Beziehung zu Therapeuten (und zur Klinik) auszuschöpfen. Die Chatteilnehmer waren mit den klinischen Ansätzen vertraut, sie kannten ihren Gruppentherapeuten und seinen individuellen Stil. Sie wussten, was sie erwartete, und was sie erwarten konnten. Die Therapeuten wiederum kannten die Teilnehmer und wussten, wo evtl. zusätzliche Unterstützung nötig sein könnte. Gleichzeitig war der Aufwand für die Teilnehmer gering. Die aufgewendete Zeit entsprach fast vollständig der Sitzungszeit (während unter den üblichen Bedingungen die in der Therapie verbrachte Zeit leicht lediglich ein Drittel oder weniger der insgesamt aufgebrachten Zeit betragen kann). Organisatorische oder gesundheitliche Einschränkungen der Mobilität, die nicht selten die Teilnahme an Sitzungen in „Face-to-face-Gruppen“ erschweren, ließen sich leichter umgehen. Nicht zuletzt mag auch die Pioniersituation die Motivation der Teilnehmer zusätzlich gestärkt haben.

  • Die meisten Teilnehmer beurteilten die Chatgruppen als hilfreich. Sie profitierten nach ihrer eigenen Einschätzung davon, ihre Probleme und Erfahrungen mit anderen Gruppenmitgliedern teilen zu können. Offenbar war es möglich, dass die Gruppen auch in einem Chatraum eine hohe Kohäsion entwickelten, sodass die Teilnehmer die Gruppe für sich nutzen und zum Nutzen der Gruppe beitragen konnten (vgl. Barak u. Wander-Schwartz 2000). Eine besondere Bedeutung schrieben die Chatteilnehmer dabei ihren Gruppentherapeuten zu, die ihrerseits eher die Wirkung der Gruppe betonten. Möglicherweise gewährleistete die verlässliche Anwesenheit eines persönlich vertrauten, professionellen Moderators auch in der ansonsten doch prinzipiell unsicheren Internetumgebung den festen Rahmen, in dem die Gruppenmitglieder sich regelmäßig treffen und offen aufeinander einlassen konnten.

    Die Beschränkung auf das Schreiben als alleinige Kommunikationsform sowie das Fehlen nonverbaler Informationen hatten keinen erkennbaren Einfluss. Auch hier ist allerdings wieder auf die besondere Situation des Projektes hinzuweisen: Alle Teilnehmer teilten die Erfahrungen in der Panorama-Fachklinik, und sie standen nach dem Verlassen der Klinik vor ähnlichen Herausforderungen, sich wieder neu in den Alltag einzuleben und umzusetzen, was sie sich während des Klinikaufenthalts erarbeitet hatten. Das machte vermutlich die Verständigung leichter und stärkte das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe.

  • Die hier vorgestellte nachstationäre Betreuung über das Internet förderte den Gesundungsverlauf. Der Gruppe der Chatteilnehmer ging es ein halbes Jahr nach dem Verlassen der Panorama-Fachklinik wesentlich besser als der Vergleichsgruppe, obwohl sie die Klinik in einem ähnlichen Zustand verlassen hatten (die Vergleichsgruppe sogar tendenziell etwas besser). Das psychische und das körperliche Befinden stabilisierten sich auf gutem Niveau oder besserten sich leicht weiter. Diese Befunde bestätigen die Erfahrungen mit dem Nachsorgemodell nach stationärer psychosomatischer Rehabilitation (Lamprecht et al. 1999). Auch dort waren ähnliche positive Effekte erzielt worden, allerdings bei beträchtlich größerem organisatorischen und finanziellen Aufwand. Die erreichte Effektivität entspricht weiter den allgemeinen Erfahrungen zur Effektivität von webbasierten Interventionen zur Verhaltensmodifikation in der psychosozialen Beratung und Betreuung, die in einer kürzlich erschienen Metaanalyse berichtet wurden (Wantland et al. 2004). Augenscheinlich beeinträchtigte die besondere Umgebung, in der die Gruppen sich treffen, ihre therapeutische Potenz nicht. Eine systematische Untersuchung von Gruppenprozessen und Gesundungsverlauf in dieser „Erhaltungsphase“ könnte insofern auch zu einem besseren Verständnis der Wirksamkeit von Gruppenprozessen allgemein beitragen.

  • Die Rückmeldungen der Chatteilnehmer zu den Rahmenbedingungen sind von besonderem Interesse für die zukünftige Gestaltung in der Versorgungspraxis. Offensichtlich treffen die letztlich willkürlich gewählten Festlegungen der Häufigkeit und der Länge der Sitzungen sowie der Zahl der Gruppenpatienten in etwa die Vorstellungen der Teilnehmer. Das ist insofern nicht überraschend, da diese Wahl sich an den in der ambulanten Versorgung bewährten Rahmenbedingungen orientierte. Ebenso wenig überrascht, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil sich mehr als 12- bis 15-Wochen-Teilnahmedauer wünschte. Gerade diese Wahl war auf dem Hintergrund getroffen worden, dass dieses neue Angebot eine Brücke in den Alltag mit oder ohne ambulante Psychotherapie sein sollte. Das heißt, es sollte den Teilnehmern in der Übergangsphase eine verlässliche Unterstützung sein, damit sie ausprobieren können, ob sie allein zurechtkommen, und ggf. die Zeit geben, die es braucht, eine ambulante Psychotherapie zu vereinbaren. Vor dem Hintergrund der nun vorliegenden positiven Erfahrungen würde es nicht verwundern, wenn einige der Chatteilnehmer es vorzögen, in ihrer vertrauten Chatgruppe zu bleiben, als sich auf eine neue ambulante Psychotherapie bei einem neuen Therapeuten einzulassen. Allerdings ist derzeit völlig offen, inwieweit solch einem Wunsch eines Patienten nachgegeben werden sollte. Die telefonischen Interviews zur 1-Jahres-Katamnese, die vor dem Abschluss stehen, werden Daten darüber liefern, wer wann und in welchem Gesundheitszustand eine ambulante Psychotherapie begonnen hat. Daraus mögen sich Hinweise ergeben, ob und wie weitere Untersuchungen zur Ausweitung des Versorgungsziels Erfolg versprechend sind.

Fazit für die Praxis

Offenbar kommt das Konzept einer Internetbrücke von der Fachklinik in den Alltag – mit oder ohne ambulante Psychotherapie – bei den Patienten gut an. Die Technik erwies sich als zuverlässig und nutzerfreundlich; die Ergebnisse sind viel versprechend. Insofern spricht einiges dafür, das Potenzial dieser neuen Formen der Vermittlung psychosozialer Unterstützung weiter auszuloten und weitere Schritte in Richtung zu einer Ergänzung der Versorgung durch „E-Mental-Health“ (Bauer et al. 2005) auszuprobieren.

Es zeichnen sich insbesondere zwei strategische Vorteile für die Entwicklung einer wohnortnahen, integrierten und patientenorientierten psychosozialen Versorgung ab, die durch den Einsatz moderner Kommunikationstechnologien, wie Internet und SMS, sowie speziell für diese Zwecke entwickelte Softwareprogramme gefördert werden können:

  1. 1.

    Die Reichweite psychosozialer Angebote wird erheblich erweitert, sodass bisher unterversorgte Gruppen besser erreicht werden. Die Angebote können leichter an Personen herangetragen werden, für die der Weg bisher (zu) weit ist, sei es aufgrund der räumlichen Entfernungen, einer eingeschränkten Mobilität, psychosozialen Hemmungen, körperlichen Einschränkungen, wie z. B. Hör- und Sprechstörungen, oder zeitlichen Beschränkungen, die sich aus der aktuellen Lebenssituation (z. B. Mütter mit kleinen Kindern) ergeben. Dies bringt letztlich eine Neuausrichtung der Versorgung mit sich. Muss bisher in der Regel der Patient (oder Klient) eine geeignete Institution oder geeignete Experten aufsuchen und dazu häufig nicht unerhebliche geographische und/oder psychologische Distanzen überwinden, so können ihm jetzt mithilfe der neuen Kommunikationstechnologien geeignete Angebote „nahe“ gebracht werden.

  2. 2.

    Generell wächst die Flexibilität psychosozialer Angebote und damit die Möglichkeit, die psychosozialen Angebote besser auf die individuellen Erfordernisse der Patienten/Klienten zuzuschneiden. Da die Wegezeiten – die sich in Ballungsgebieten, wie im ländlichen Raum, schnell auf mehr als 2 Stunden summieren können – praktisch entfallen, können z. B. mehrere Kurzkontakte pro Woche vereinbart werden oder, ähnlich wie im stationären Setting, unterschiedlich akzentuierte Interventionen (Gruppen- und Einzelsetting, themenzentrierte Sitzungen, „Visiten“) zu einem Programm kombiniert werden.

Die erhöhte Reichweite und größere Flexibilität ermöglichen eine spezialisierte Versorgung für spezifische Störungen durch besonders erfahrene Experten von praktisch jedem Ort aus. Damit rückt eine wohnortnahe Versorgung durch spezialisierte Zentren bzw. Experten näher. Dies verspricht für bestimmte Störungen, wie z. B. Essstörungen, deren Behandlung eine besondere Erfahrung und/oder spezielle Einrichtungen verlangt, erhebliche Vorteile (vgl. Myers et al. 2004) und gilt insbesondere für die Kombination von stationären Behandlungsphasen in solchen spezialisierten Zentren mit einer Internetbetreuung durch diese Zentren in intermittierenden oder anschließenden ambulanten Phasen. Durch solche integrativen Ansätze entstehen Spielräume für „alternative Behandlungsformen mit mehr supportiven Elementen und variierender zeitlicher bzw. therapeutischer Intensität“, die Bassler et al. (1995, S. 174) für die stationäre Behandlung von schwer gestörten Patienten angeregt haben.