Hintergrund

Die Wirksamkeit von Psychotherapie wurde in zahlreichen randomisierten Studien nachgewiesen (zusammenfassend z. B. Grawe et al. 1994; Lambert u. Bergin 1994; Shadish et al. 2000; Smith et al. 1980). Die Stärke dieser Studien ist ihre interne Validität, oft um den Preis einer geringen externen oder ökologischen. In den letzten Jahren erhielt daher die Überprüfung der Wirksamkeit von Psychotherapie im therapeutischen Alltag, die Effektivitätsforschung, vermehrte Aufmerksamkeit (Kächele u. Kordy 1992; Seligman 1995). Generell erweitert sich die Forschungsperspektive zur Versorgungsforschung, d. h. es geht um die Analyse von Strukturen der Routineversorgung und deren Einfluss auf die Gesundheitsversorgung (NIMH 1999). Für die Psychotherapie-Ergebnis-Forschung stellt sich daher die Herausforderung, die Effektivität psychotherapeutischer Maßnahmen in unterschiedlichen Kontexten zu überprüfen.

Psychotherapie wird ambulant, stationär oder teil-stationär angewendet. Die internationale Psychotherapieforschung ist ganz überwiegend eine Forschung zur ambulanten Psychotherapie, während stationäre psychotherapeutische Behandlung kaum Aufmerksamkeit findet. Diese hat jedoch in deutschsprachigen Ländern eine beträchtliche Bedeutung für die psychotherapeutische Versorgung (Schepank 1987; Bassler 2000). So standen vor 9 Jahren in Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen in Deutschland ca. 8.972 Betten zur Verfügung (Potreck-Rose et al. 1994)—inzwischen dürften es weit mehr sein. Behandlungssettings reichen von Krisenintervention über Fokaltherapie und Kurzzeittherapie (Streeck 1996) bis zu Langzeittherapien von 1-Jahres-Dauer und länger (Knoke 1988). Komplex komponierte Behandlungsprogramme prägen die meisten stationären Angebote. Neben Psychotherapie im Einzel- oder Gruppensetting kommen z. B. häufig Musik-, Gestaltungs-, Kunst- und konzentrative Bewegungstherapie zur Anwendung (Beese 1978; Schepank 1987; Becker u. Senf 1988; von Rad et al. 1994).

Während es für die Effektivität der stationären Psychotherapie durchaus einige wissenschaftliche Belege gibt (z. B. Janssen 1987; Schepank 1987; von Rad et al. 1998), liegen kaum Untersuchungen zur differenziellen Indikation von stationärer und ambulanter Psychotherapie vor. Wie bei anderen Indikationsentscheidungen werden dabei die Ausgangssituation des Patienten,Footnote 1 seine Behandlungsbedürftigkeit, seine Krankheit, seine eigenen inneren und äußeren Möglichkeiten der Gesundung oder Besserung in professioneller Bewertung mit den verfügbaren therapeutischen Ressourcen abgewogen (Kächele u. Kordy 1996). Indikationen und Kontraindikationen sind in Leitlinien beschrieben und werden laufend überarbeitet (z. B. Häfner et al. 1999, 2001). Systematische empirische Vergleiche von stationären und ambulanten psychotherapeutischen Behandlungen gibt es nur vereinzelt (Essstörungen: Herzog et al. 1996; Schmerz: Bassler et al. 1994). Es ist offen, worin sich die Patienten in ambulanter Psychotherapie tatsächlich von denen in stationärer Behandlung unterscheiden (Lieberz et al. 1999). Noch weniger ist bekannt, ob und wie sich die Gesundungsverläufe im ambulanten und stationären Setting unterscheiden.

Diese Fragestellung nimmt die hier vorgelegte Untersuchung auf. Sie nutzt Daten aus 2 unabhängig voneinander geplanten und durchgeführten Studien zum Gesundungsverlauf im stationären und ambulanten Rahmen: (1) In Erweiterung der Routinequalitätssicherung erhebt die Forschungsstelle für Psychotherapie (FOST) seit 3 Jahren in der Panoroma-Fachklinik für Psychotherapie und Naturheilverfahren in Scheidegg/Allgäu longitudinale Daten zum Gesundungsverlauf über einen Zeitraum von 12 Monaten. (2) Mit den gleichen Messinstrumenten wird in einer weiteren longitudinalen Studie der Gesundungsverlauf von Patienten in ambulanter Psychotherapie (Projekt TRANS-OP; Kordy 1998; Kordy u. Puschner 2000) über 2 Jahre erfasst.Footnote 2 Diese beiden Studien erlauben die Untersuchung der folgenden 2 Hauptfragen:

  1. 1.

    Wie entwickelt sich die psychische Beeinträchtigung im Verlauf eines Jahres unter ambulanter bzw. stationärer Psychotherapie?

  2. 2.

    Welche Faktoren—d. h. welche Patienten- oder Therapiemerkmale—beeinflussen den Verlauf bei stationärer, welche den bei ambulanter Behandlung?

Methode

Stichproben und Erhebungsplan

Die Abb. 1 stellt die für die beiden Settings verschiedenen Erhebungspläne schematisch dar.

Abb. 1
figure 1

Erhebungspläne für beide Settings

Stichprobe 1 (N=759) wurde in der Panorama-Fachklinik aus den dort zwischen den Jahren 2000 und 2002 behandelten Patienten rekrutiert. Im Rahmen der routinemäßigen Qualitätssicherung nach dem Stuttgart-Heidelberger-Modell (z. B. Kordy u. Hannöver 1998) wurde dabei einer Zufallsstichprobe von ca. 40% der Patienten eine standardisierte Testbatterie zu 5 Zeitpunkten vorgelegt, und zwar bei Aufnahme und Entlassung sowie 6 bzw. 12 Monate nach Entlassung aus der Klinik (Katamnesen). Als fünfte Messung wurde eine Zwischenerhebung ca. 2–3 Wochen nach Behandlungsbeginn durchgeführt. Aus ökonomischen Gründen wurden nur 50% zufällig ausgewählte Patienten der Gesamtstichprobe in die Zwischenerhebung einbezogen. Die Antwortquoten bei den Katamnesen betrugen 79% (6 Monate) bzw. 67% (12 Monate).Footnote 3

Stichprobe 2 (N=521) wurde über die DKV rekrutiert. Sobald die Versicherten ihren Antrag auf Kostenerstattung für eine ambulante Psychotherapie einleiteten, wurden sie über das Projekt TRANS-OP informiert und zur Teilnahme eingeladen. In die hier präsentierte Vergleichsstudie wurden diejenigen Projektteilnehmer eingeschlossen, die eine tiefenpsychologisch fundierte (TP-) oder eine verhaltenstherapeutische (VT-)Behandlung beantragt (mindestens 25 Sitzungen) und schließlich begonnen hatten.Footnote 4 Außerdem wurden nur die Daten zum Gesundungsverlauf des ersten Jahres verwendet, da dies auch der Beobachtungszeitraum für die stationär behandelten Patienten war.

Der Messplan ist für die Modellierung des Gesundungsverlaufs mit Methoden der Hierarchisch-Linearen-Modellierung (HLM) optimiert. Alle Patienten wurden beim Erstkontakt sowie zu 2 weiteren zufällig aus 6 möglichen ausgewählten Zwischenerhebungszeitpunkten (4–52 Wochen) zu ihrem Gesundheitszustand befragt. Die dadurch erzeugten Datenlücken sind zufällig und können durch HLM vollständig ausgeschöpft werden. Das heißt, für die Gesamtstichprobe liegen Daten zu 7 Messzeitpunkten vor, aber jeder einzelne Patient musste nur 3-mal befragt werden. Den ersten Fragebogen sandten 516 der 650 (79,4%) angeschriebenen Versicherten zurück; die Rücklaufquoten für die zweite und dritte Erhebung liegen bei 80,5% (476 von 591) und 87,9% (372 von 423). Die Therapeuten der Projektteilnehmer wurden über die Patienten ebenfalls zur Teilnahme eingeladen. Zirka zwei Drittel erklärten sich dazu bereit und sandten den Fragebogen zu Therapiebeginn an die FOST zurück.

Messinstrumente

Der Gesundheits- bzw. Krankheitszustand wurde mehrdimensional erfasst, so dass sich der Verlauf der psychischen Belastungen, der körperlichen Beschwerden und der sozialen Beeinträchtigungen über den jeweiligen Beobachtungszeitraum durch wiederholte Messungen systematisch verfolgen ließ. Weiterhin wurden soziodemographische und anamnestische Daten erhoben.

Als Hauptkriterium für den Gesundungsverlauf konzentrierten wir uns auf die psychische Beeinträchtigung, die mit dem „Ergebnisfragebogen“ (EB-45) von Lambert et al. (2002) erfasst wurde. Der EB-45 ist ein ökonomisches und valides Instrument zur Erfassung von psychischen Beschwerden, speziell im Verlauf. Die 45 fünfstufigen (nie... immer) Items werden in 3 Subskalen (Symptombelastung, interpersonale Beziehungen und soziale Rolle) sowie einen Gesamtbelastungswert zusammengefasst.

Die Beeinträchtigung durch körperliche Beschwerden wurde mit dem „Gießener Beschwerdebogen“ (GBB-24) von Brähler u. Scheer (1995) erhoben. Dieser umfasst 24 fünfstufige (nie... fast immer) Items zur Selbstbeurteilung, aus denen eine Summenskala gebildet wird.

Die Qualität der therapeutischen Arbeitsbeziehung wurde mithilfe einer deutschen Adaptation (Bassler et al. 1995) des „helping alliance questionnaire“ (HAQ) von Alexander u. Luborsky (1986) erfasst. Sie besteht aus 11 sechsstufigen (sehr zutreffend... sehr unzutreffend) Items, aus deren Mittelwert ein Gesamtscore berechnet wird. Weiter wurden die Problemdauer und die Dauer der Krankschreibungen im Jahr vor Behandlungsbeginn erfragt und dokumentiert. Außerdem wurde die Therapiemotivation durch ein Einzelitem „Ich bin bezüglich der vorgesehenen Behandlung nicht (0)... sehr (4) motiviert“ erfasst.

Die Therapeuten beurteilten die Diagnose nach ICD-10 (WHO 1993) sowie die Beeinträchtigung über den Beeinträchtigungs-Schwere-Score (BSS) von Schepank (1995). Der BSS setzt sich aus vier fünfstufigen (gar nicht... extrem beeinträchtigt) Einzelurteilen (körperliche, psychische, sozialkommunikative und primäre somatische Beschwerden) zusammen. Aus den ersten 3 wird ein Summenwert zur Einschätzung der Gesamtbeeinträchtigung gebildet.

Statistische Methoden

Von den Patienten lagen aufgrund des Untersuchungsdesigns (und individuell unterschiedlicher Teilnahmebereitschaft) unterschiedlich viele—von den meisten 3 oder mehr—Messungen vor. Die statistische Methode der Wahl für eine Modellierung von Verläufen anhand solcher longitudinalen Daten ist die HLM (Bryk u. Raudenbush 1987, 1992; Raudenbush 2001). Die HLM erlaubt alle verfügbaren Daten von allen Projektteilnehmern zu nutzen, auch wenn diese unterschiedlich oft und in unterschiedlichen Zeitabständen an der Befragung teilgenommen haben, solange eventuelle Datenlücken als zufällig angesehen werden können.

Für den zweiten Teil der Fragestellung wird der Einfluss weiterer Kovariaten auf den Gesundungsverlauf in der Psychotherapie untersucht; hierbei umfasst der Beobachtungszeitraum für die stationären Patienten die Dauer des Klinikaufenthaltes und für die ambulanten Patienten den Zeitraum von einem Jahr seit Therapiebeginn (Datum der ersten bei der DKV abgerechneten Sitzung exklusive probatorische). Berücksichtigt werden die Variablen: Therapiedauer (Tage), Alter (Jahre), Geschlecht, Familienstand (ledig/verheiratet/verwitwet, geschieden, getrennt lebend), Schulabschluss (Hauptschule u. a./Realschule/Gymnasium), Berufsabschluss (Hochschule/nicht Hochschule), Krankschreibungen im letzten Jahr (bis/über 1 Monat), Problemdauer (bis 2/10/20 Jahre), Therapiemotivation (Skalenwerte 0–2/3–4), initiale psychische Beeinträchtigung (EB-45-Summe), initiale körperliche Beeinträchtigung (GBB-24-Summe), initiale Qualität der Arbeitsbeziehung aus Patientensicht (HAQ) sowie ICD-10-Diagnosen (F3/F4/F5/F6/sonstige/fehlende).

Behandlungssettings: Therapieform und Therapiedauer

Die Patienten der stationären Stichprobe nahmen an einem stationären Behandlungsprogramm teil, das ein breites Spektrum therapeutischer Maßnahmen umfasste, wie dies für die Behandlung in psychosomatischen Fachkliniken üblich ist. Verfahren, wie Einzelpsychotherapie, Sport- und Bewegungstherapie, sowie Entspannung wurden bei nahezu allen Patienten eingesetzt, während klinikspezifische Maßnahmen, wie Akupunktur oder Homöopathie, nur bei Patienten mit bestimmten Störungsbildern durchgeführt wurden. Die mittlere Verweildauer betrug 36,5 Tage (SD=10,3).

In der Stichprobe der ambulanten Psychotherapie wurde für 316 (60,7%) Studienteilnehmer eine TP und für 205 (39,3%) eine VT beantragt und bewilligt; 60,5% der Behandlungen (TP: 65,5%; VT: 52,7%) waren nach 12 Monaten noch nicht abgeschlossen. Die im 1-jährigen Untersuchungszeitraum abgeschlossenen TP dauerten bei einer mittleren Sitzungszahl von 21,9 (SD=11,9) im Mittel 6,4 Monate (SD=3,2 Monate), während die VT bei einer mittleren Sitzungszahl von 19,3 (SD=11,3) über 6,2 Monate (SD=3,2 Monate) liefen. In beiden Settings war eine Frequenz für die Einzeltherapie von 1–2 Sitzungen/Woche geplant.

Patienten

Insgesamt wurden 1.380 Patienten in diese Vergleichsstudie einbezogen, von denen 759 in stationärer (Stichprobe 1) und 521 in ambulanter (Stichprobe 2) Behandlung waren (Tabelle 1).

Tabelle 1 Soziodemographische Angaben

Die Stichproben—die ambulante Stichprobe umfasst ausschließlich privat krankenversicherte Patienten—unterscheiden sich auf fast allen soziodemographischen Variablen. Unter den ambulanten Patienten finden sich mehr Männer und mehr Unverheiratete; sie sind im Durchschnitt jünger und verfügen häufiger über höhere Bildungsabschlüsse (etwa doppelt so viele mit Abitur bzw. mit akademischem Abschluss).

Tabelle 2 zeigt, dass beide Stichproben etwa gleich häufig Patienten mit affektiven Störungen (F3) enthalten. Während sich in der ambulanten etwas mehr Patienten mit neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen (F4) befinden, sind in der stationären Stichprobe hingegen mehr Patienten mit körperlich bedingten Störungen (F5) und Persönlichkeitsstörungen (F6) vertreten. Mehrere Therapeuten im ambulanten Setting verzichteten auf eine Studienteilnahme. Auch liegt im stationären Setting von einigen Therapeuten kein Aufnahmefragebogen vor, so dass des Öfteren keine Diagnosestellung zur Verfügung steht.

Tabelle 2 ICD-10-Hauptdiagnosen

Beide Stichproben unterscheiden sich hinsichtlich ihrer initialen psychischen und körperlichen Belastung wenig (Tabelle 3). Die psychische Belastung, wie sie sich in der Selbstbeurteilung durch den EB-45 ausdrückt, ist in beiden Stichproben ähnlich verteilt. Für über 75% beider Stichproben liegen die Werte oberhalb des 68. Perzentils der Normstichprobe und zeigen in diesem Sinne Krankheitswert an. Die Mittelwerte unterscheiden sich leicht, während die Mediane gleich sind (72). Deutlicher sind die Unterschiede bei der initialen körperlichen Beeinträchtigung (GBB-24). Der Mittelwert für die stationären Patienten liegt über 3 Punkte höher als jener der ambulanten. Bei der psychischen Beeinträchtigung aus Therapeutensicht (BSS) zeigt sich, dass die ambulanten Psychotherapeuten die Behandlungssuchenden initial etwas schwerer beeinträchtigt (Trennwert = 5; nach Schepank 1995) beurteilen als die in der Klinik tätigen Kollegen die ihren. Schließlich schätzen die ambulanten Patienten die Qualität der Arbeitsbeziehung zu Therapiebeginn beträchtlich positiver ein als die stationären.

Tabelle 3 Initiale Beeinträchtigungsschwere

Ergebnisse

Effektivität

Zur Abschätzung der Effektivität der beiden Behandlungssettings wurden die Quoten reliabler oder klinisch bedeutsamer Verbesserungen der psychischen (EB-45) und körperlichen (GBB) Beeinträchtigung verglichen (Jacobson u. Truax 1991). Für die stationäre Stichprobe wurde die Veränderung zwischen Aufnahme und 12-Monats-Katamnese (im Mittel nach 400,4 Tagen) und für die ambulante Stichprobe die Veränderung während eines ähnlich langen Zeitintervalls von ca. 1 Jahr (im Mittel nach 400,8 Tagen) betrachtet. Für die stationäre Behandlung ergaben sich für die psychische Belastung bei 40,6% und für die körperliche Belastung bei 28,0% der Patienten (reliable oder klinisch bedeutsame) Besserungen, während die entsprechenden Besserungsraten bei ambulanter Psychotherapie bei 37,5% bzw. 29,1% lagen (Tabelle 4).

Tabelle 4 Prozentualer Anteil reliabel und/oder klinisch signifikant verbesserter Patienten 400 Tage nach Therapiebeginn in stationärer und ambulanter Psychotherapie

Mögliche Verzerrungen der Effektivitätsschätzung durch Unterschiede in den Stichproben wurden durch eine sog. Propensity-Korrektur ausgeglichen (Rosenbaum u. Rubin 1984). Dabei wurden die folgenden möglicherweise konfundierenden Variablen berücksichtigt: Alter, Geschlecht, Familienstand, Schulbildung, Berufsabschluss, Dauer der Krankschreibung, Problemdauer, Behandlungsmotivation, Summenscores von EB-45 und GBB-24, therapeutische Arbeitsbeziehung.

Die Korrektur veränderte die Ergebnisse nicht wesentlich; d. h. die unterschiedliche Stichprobenzusammensetzung hat nur einen geringen Einfluss auf die Effektivität in der Reduktion psychischer und körperlicher Belastung. Die Werte nach Korrektur ergeben eine leicht höhere Effektivität der stationären Behandlung in Bezug auf die psychische Belastung und eine etwas geringere bei der Reduktion der körperlichen (Tabelle 4).Footnote 5

Gesundungsverläufe

Für den Gesundungsverlauf lag der Fokus auf der psychischen Belastung, gemessen mit dem EB-45 (Gesamtwert).

Die Abb. 2 zeigt die resultierenden Modelle (mittlere „fixed effects“), d. h. die mittleren Gesundungsverläufe der stationären (durchgezogene schwarze Linie) und ambulanten (durchgezogene graue Linie) Teilnehmer (Ebene-1-Modell ohne Kovariaten) während des 1-jährigen Beobachtungszeitraumes. Als Hilfslinien wurden das 68. Perzentil der Normierungsstichprobe (als Trennwert für die Unterscheidung zwischen geringfügiger bzw. „normaler“ und krankheitswertiger Beeinträchtigung ) und das 95. Perzentil (als Trennwert zwischen krankheitswertig und stark krankheitswertig) eingezeichnet.

Abb. 2
figure 2

Mittlere Fixed Effects der linear angepassten HLM-Modelle (Ebene 1) des Gesundungsverlaufs (EB-45) nach Behandlungssetting

Lineare Modelle ergeben für beide Stichproben eine akzeptable Anpassung (Goodness-of-Fit-Indizes; Tabelle 5). Der Schnittpunkt mit der Y-Achse (Zustand zum Zeitpunkt 0) liegt bei den stationären etwas niedriger als bei den ambulanten Psychotherapiepatienten (67,68 vs. 70,29). Leichte Unterschiede zeigen sich auch in den Steigungen: Im Durchschnitt verbessern sich Patienten in ambulanter Psychotherapie über den Zeitraum von einem Jahr nach diesen linearen Modellen etwas schneller als die stationären (um 0,03 EB-45-Punkte/Tag vs. 0,02 EB-45-Punkte/Tag). Dieser Unterschied ist statistisch signifikant (p=0,046).

Tabelle 5 Vergleich der Modellanpassungen (linear vs. logarithmisch) für beide Settings

Alternativ zur linearen Modellierung wurde eine logarithmische Modellanpassung geprüft. Die Goodness-of-Fit-Indizes der linear und logarithmisch angepassten Modelle finden sich in Tabelle 5. Für alle dort berichteten Indizes (das Akaido Information Criterion (AIC) sowie das Bayesian Information Criterion (BIC) basieren auf der log-restricted Likelihood (logLik); sie berücksichtigen zusätzlich die Anzahl der Modellparameter und den Umfang der Beobachtungen) gilt „je kleiner, desto besser“ (Pinheiro u. Bates 2000). Der Modellvergleich ergibt—abgesehen von den geringfügig besseren Kennwerten für die logarithmische Anpassung für die stationären Patienten—keine nennenswerten Unterschiede zwischen den beiden Alternativen.

Es gibt daher nach dem Einfachheitskriterium (z. B. Gröben u. Westmeyer 1975) keinen Grund, das einfachere lineare Modell durch das kompliziertere logarithmische Modell zu ersetzen. Allerdings legt der leichte Vorteil der logarithmischen Anpassung für die stationäre Stichprobe nahe, eine Variante des linearen Modells zu erproben. Intuitiv wird man erwarten, dass sich der Verlauf der Gesundung während der stationären Behandlung und während des Katamnesezeitraums (Entlassung bis 1-Jahres-Katamnese) unterscheiden. Daher wurden für diese beiden Zeiträume getrennte Modelle geschätzt. Das resultierende „gestückelte“ Modell (mittlere Fixed effects) ist ebenfalls in Abb. 2 dargestellt.Footnote 6

In dem Modellteil für die Behandlungsdauer (gestrichelte Linie) liegt der Initialwert der Beeinträchtigung bei 73,18 EB-45-Punkte und damit leicht über dem der ambulanten Patienten. Die Beeinträchtigung bessert sich während des Klinikaufenthaltes beträchtlich (um 0,46 EB-45-Punkte/Tag). Zu Beginn des Katamnesezeitraumes, also zum Zeitpunkt ihrer Entlassung, liegt die psychische Beeinträchtigung dann bei 57,29 EB-45-Punkte und verschlechtert sich bis zum Ablauf eines Jahres nach Behandlungsbeginn leicht um 0,02 EB-45-Punkte/Tag (auf schließlich 62,33 EB-45-Punkte).

Auf die tabellarische Darstellung der HLM-Parameter für den zweiten Teil der Fragestellung (Vergleich der Effekte von Prädiktoren auf den Gesundungsverlauf in beiden Settings) wird aus Platzgründen verzichtet. Sie kann bei den Autoren angefordert werden.

In diesem komplexen Modell zeigen sich wesentlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Nur wenige der Variablen spielen für die Vorhersage des Gesundungsverlaufs eine Rolle. Die initiale psychische Beeinträchtigung hat bei beiden Gruppen einen starken Effekt auf den Y-Achsenabschnitt und die Steigung (und damit auf die Änderungsgeschwindigkeit). Die Qualität der therapeutischen Arbeitsbeziehung scheint nur im ambulanten Setting von Bedeutung zu sein. Es zeigt sich hier sowohl ein Effekt für den Y-Achsenabschnitt als auch für die Steigung. Soziodemographische Variablen hingegen spielen, abgesehen von einigen kleinen Effekten auf die Steigung im Modell für die stationäre Behandlung, eher eine untergeordnete Rolle. Auch lassen die Diagnosen keinen Effekt für den Gesundungsverlauf erkennen.

Die Bedeutung der gefundenen Prädiktoren für den Gesundungsverlauf erschließt sich in der graphischen Exploration (nach z. B. Liao 1994). Dazu werden „charakteristische“ Werte für die ausgewählten Prädiktoren in die Modellgleichungen eingesetzt (für kontinuierliche Prädiktoren die Mittelwerte der jeweiligen Gesamtstichprobe bzw. für diskrete die Modalwerte) und alle übrigen Prädiktoren konstant gehalten (Ceteris-paribus-Prinzip). Im vorliegenden Falle haben wir für die beiden stärksten Prädiktoren in den Modellen, die initiale psychische Beeinträchtigung und die initiale Qualität der therapeutischen Beziehung, als charakteristische Werte die Mittelwerte der jeweiligen Quartile gewählt. Dementsprechend resultieren für die graphische Exploration je 4 spezifische Modelle für die ambulante (Abb. 3) und die stationäre (Abb. 4) Behandlung.Footnote 7

Abb. 3
figure 3

Nach initialer psychischer Beeinträchtigungsschwere (EB-45) und therapeutischer Arbeitsbeziehung variierte modellierte Gesundungsverläufe für die TRANS-OP-Stichprobe

Abb. 4
figure 4

Nach initialer psychischer Beeinträchtigungsschwere (EB-45) und therapeutischer Arbeitsbeziehung (HAQ) variierte modellierte Gesundungsverläufe für die Panorama-Stichprobe

Trivialerweise unterscheiden sich die Y-Abschnitte der spezifischen Modelle für die 4 Quartile (nach der initialen psychischen Beeinträchtigung) in beiden Stichproben. Interessanter ist der nun sichtbar werdende Effekt auf die Änderungsgeschwindigkeit. Für das Quartil der stark psychisch beeinträchtigten Patienten der ambulanten Stichprobe ergibt sich eine durchschnittliche Änderungsgeschwindigkeit von 0,39 EB-45-Punkten/Woche, während die mittleren Quartile sich lediglich im Mittel um ca. 0,24 EB-45-Punkte bzw. 0,13 EB-45-Punkte/Woche verändern. Für das wenig psychisch beeinträchtigte Quartil (deren Werte bereits zu Therapiebeginn keinen Krankheitswert anzeigten) liegt die Änderungsgeschwindigkeit nahe 0 (–0,05).

Ein ähnliches Bild zeigt sich für die stationär behandelten Patienten. Für das psychisch stark beeinträchtigte Quartil (mittlerer EB-45-Wert von 102) ergibt sich eine mittlere Änderungsgeschwindigkeit von etwa 4,19 EB-45-Punkten/Woche, während die beiden mittleren Quartile mittlere Änderungsgeschwindigkeiten von 2,93 EB-45-Punkten bzw. 3,11 EB-45-Punkten vorweisen. Auch hier ist die Änderungsgeschwindigkeit für die psychisch wenig bis gar nicht beeinträchtigten Patienten niedrig (1,06 EB-45-Punkte).

Wendet man die gleiche Strategie für die Abschätzung der Bedeutung der initialen Qualität der therapeutischen Arbeitsbeziehung auf den Besserungsverlauf an, so erkennt man auch hier in dem „realistischen“ Variationsbereich dieses Prädiktors (der in unseren Stichproben von −0,64 bis 3,00 bei den ambulanten bzw. von −1,78 bis 3,00 bei den stationären Patienten reicht) Unterschiede für die Änderungsgeschwindigkeiten zwischen den Quartilen. Beispielsweise verringert sich die psychische Beeinträchtigung für die ambulanten Patienten mit niedrig eingeschätzter therapeutischer Arbeitsbeziehung um 0,09 EB-45-Punkte/Woche (stationäre Stichprobe: 1,98 EB-45-Punkte), während sich die psychische Belastung im Quartil mit den positivsten Einschätzungen im Mittel um 0,18 EB-45-Punkte pro Woche (stationäre Stichprobe: 3,14 EB-45-Punkte) verbesserte.

Diskussion

Patienten in ambulanter und stationärer Behandlung unterscheiden sich kaum in der Eingangssymptomatik. Die beiden hier betrachteten Stichproben zeigten eine etwa gleiche Schwere der körperlichen und psychischen Beeinträchtigung und eine große Ähnlichkeit hinsichtlich der Diagnosen (ICD-10); hierbei kann als Ausnahme der höhere Anteil von Persönlichkeitsstörungen in der stationären Stichprobe hervorgehoben werden. Eine Generalisierung ist sicherlich spekulativ, da keine der beiden Stichproben als repräsentativ angesehen werden kann. Bei der ambulanten Stichprobe handelt es sich um das Klientel einer großen privaten Krankenversicherung. Die stationäre Stichprobe stammt aus einer einzigen Klinik, der Panorama-Fachklinik Scheidegg, deren Klientel schwerpunktmäßig aus Ersatzkassen (61%) und Privatversicherten (20%) besteht; selten kommen dagegen Patienten über einen Rentenversicherungsträger in diese Klinik. Zudem setzt die Klinik mit dem Einsatz von Naturheilverfahren einen sehr spezifischen Akzent in der gegenwärtigen Versorgungslandschaft.

Dennoch stützt u. E. die Ähnlichkeit in der Eingangssymptomatik von stationären und ambulanten Psychotherapiepatienten die These, dass die individuellen Lebensumstände und die individuelle Krankheitsgeschichte für die Indikation zur stationären Psychotherapie eine wichtige Rolle spielen (Häfner et al. 1999). Die Unterschiede bei den soziodemographischen Merkmalen—mehr Frauen, höheres Alter, niedrigeres Bildungsniveau—mögen zum großen Teil Unterschiede zwischen den Klientelen privater und gesetzlicher Krankenversicherungen reflektieren. Dagegen lassen sich die Unterschiede in der initialen Beurteilung der Qualität der therapeutischen Arbeitsbeziehung durchaus settingspezifisch verstehen. Die durchschnittlich positivere Einschätzung durch die ambulanten Patienten kann als Folge der größeren Freiheit bei der Auswahl des Therapeuten betrachtet werden, während im stationären Setting Teamgröße und Aufgabenverteilung enge Grenzen für die Wahl setzen.

Die Effektivität in Bezug auf die Reduzierung von psychischer und körperlicher Beeinträchtigung ist ebenfalls für beide Settings recht ähnlich. Auch eine Korrektur möglicherweise verzerrender Einflüsse durch Unterschiede in der Zusammensetzung der beiden Stichproben ändert wenig an diesem Befund. Differenzierter ist die Frage der Effektivität zu bewerten, wenn man die Änderungsgeschwindigkeit betrachtet.

Der Verlauf der Änderungen in der psychischen Beeinträchtigung bei den ambulanten Patienten kann durch ein lineares Modell mit akzeptabler Güte dargestellt werden. Dieses Modell beschreibt einen Verlauf, der im Mittel bei 70,29 EB-45-Punkten startet und mit einer mittleren Änderungsgeschwindigkeit von 0,23 EB-45-Punkten/Woche innerhalb eines Jahres einen Wert von 58,13 EB-45-Punkten (leicht oberhalb der Grenze für Krankheitswert) erreicht. Für den Verlauf im stationären Setting erwies sich ein aus 2 linearen Teilen zusammengesetztes Modell als geeigneter. Der erste Teil beschreibt den Verlauf der psychischen Beeinträchtigung während der stationären Behandlung, die im Mittel von einem Wert von 73,19 EB-45-Punkten ausgeht und sich mit einer mittleren Änderungsgeschwindigkeit von 3,23 EB-45-Punkten/Woche—und damit mehr als 10-mal schneller als im ambulanten Setting—verbessert. Für die katamnestische Zeit beschreibt das zweite Teilmodell eine leicht negative Entwicklung um 0,11 EB-45-Punkte/Woche. Über ein ganzes Jahr hinweg ergibt sich somit eine Veränderung ähnlicher Größe wie in der ambulanten Psychotherapie.

Die akzeptable Anpassung durch ein lineares bzw. ein zusammengesetztes lineares Modell hat erhebliche Konsequenzen. Die Linearität bedeutet ja, dass bei einer Fortführung der Behandlung für eine bestimmte Zeit eine gleich große Besserung der psychischen Beeinträchtigung erwartet werden kann, und zwar unabhängig davon, wie lange die Behandlung bereits durchgeführt wurde. Dies widerspricht der These vom „abnehmenden Grenznutzen“ von Psychotherapie (z. B. Howard et al. 1986; Lambert et al. 2001; Lutz et al. 2001), nach der bei gleicher Verlängerung der Behandlung immer weniger zusätzliche Besserungen zu erwarten seien. Die These stützt sich im Wesentlichen auf amerikanische Daten, die unter den Bedingungen des dortigen Versorgungssystems gewonnen wurden. Im Durchschnitt dauern dort ambulante Psychotherapien 5 Sitzungen (Hansen et al. 2002), während in der Stichprobe der ambulanten Patienten in dieser Arbeit die mittlere Stundenzahl bei 20,71—derer, die innerhalb eines Jahres die Behandlung abschlossen—liegt. Zum Zweiten mag ein methodischer Unterschied eine Rolle spielen. Während in der vorliegenden Arbeit vom einfachsten Modell (d. h. einem linearen) ausgehend exploriert wurde, ob ein komplexeres (logarithmisches) einen wesentlichen Gewinn brächte, wurde in den häufig zitierten amerikanischen Studien nur das komplexe Modell untersucht (bzw. über seine Anpassung berichtet). Hinzu kommt, dass für eine Entscheidung zwischen linearem und logarithmischem Modell geeignete Daten für die entscheidungskritischen Bereiche des Spektrums der Behandlungslänge benötigt werden (die in den angesprochenen Arbeiten berichteten logarithmischen Kurven zeigen große Abschnitte, die von linearen Verläufen kaum zu unterscheiden sind).

Das zweite bemerkenswerte Ergebnis ist die unterschiedliche Änderungsgeschwindigkeit. Für Patienten in stationärer Behandlung verringert sich die psychische Beeinträchtigung 14-mal schneller als für die in ambulanter Behandlung. Das entspricht sicher dem, was man von einer intensiven, aufwändigen Behandlung erwartet. Die durchschnittliche Leidenszeit kann also erheblich verkürzt werden, allerdings zu beträchtlichen monetären (d. h. Behandlungs-) und evtl. psychosozialen (Trennung von Beruf und sozialem Umfeld) Kosten.

Betrachtet man die Prädiktoren für den Verlauf der psychischen Beeinträchtigung in beiden Settings, so fällt auch hier wieder die Ähnlichkeit auf. In beiden Fällen stellen sich die initiale psychische Beeinträchtigung und in geringerem Maße die Qualität der therapeutischen Arbeitsbeziehung aus der Sicht der Patienten als Prädiktoren heraus. Die inhaltliche Bedeutung der statistisch signifikanten Prädiktoren erschloss sich in einem systematischen Vergleich von charakteristischen Prädiktorwerten. Dabei zeigte sich, dass schwerer psychisch beeinträchtigte Patienten in beiden Settings erheblich schneller positive Veränderungen erleben als weniger stark beeinträchtigte. Wenig oder gar nicht beeinträchtigte Patienten verändern sich erwartungsgemäß kaum. Hier ist davon auszugehen, dass deren Behandlungsbedürftigkeit sich nicht in der psychischen Belastung ausdrückt und insofern die Wirkung der Behandlung auch nicht auf dieser Ebene sichtbar werden kann. Der Einfluss der Qualität der therapeutischen Arbeitsbeziehung erwies sich in dem durch diese beiden Stichproben repräsentierten realistischen Spektrum als von eher geringer Bedeutung. Nach den hier gefundenen Modellen würde ein merkbarer Effekt extreme Einschätzungen voraussetzen.

Für etwa ein Viertel der Patienten in beiden Stichproben fand sich mit den hier verwendeten Messinstrumenten keine krankheitswertige psychische Beeinträchtigung. Eine Reduzierung ist daher naturgemäß sehr begrenzt. Allerdings ist auch ein Anstieg—sei es therapeutisch gewollt im Sinne einer „Sensibilisierung“ oder als ein negativer Gesundheitsverlauf—nicht von vornherein ausgeschlossen. Insofern entspricht die geringe Änderungsgeschwindigkeit von Patienten mit niedriger oder gar keiner psychischen Eingangsbelastung durchaus den Erwartungen. Wenn nicht klare individuelle Gründe dagegen sprechen, könnte man allerdings diese Ergebnisse als Ermutigung dafür sehen, solche Patienten früh ausprobieren zu lassen, ob sie nicht ohne—stationäre und ambulante—Psychotherapie zurecht kommen.

Die Effekte soziodemographischer Variablen auf den Gesundungsverlauf erwiesen sich als sehr gering; die ICD-10-Hauptdiagnose spielte in diesen Analysen überhaupt keine Rolle. Augenscheinlich sind die Kategorisierung der Störungsart oder die Zuverlässigkeit der Diagnosestellung für die Differenzierung zwischen den beiden Settings nicht ausreichend. Es spricht manches dafür, dass für die Entscheidung zwischen stationärer und ambulanter Psychotherapie andere Aspekte von Bedeutung sind, die in dieser Studie nicht erfasst waren, wie z. B. die individuelle Lebenssituation oder die individuelle Krankheitsgeschichte (Häfner et al. 1999). Generell sind solche Aspekte aber bisher auch kaum operational präzisiert. Insofern sind Aussagen über die Überlegenheit eines der beiden Settings nicht begründet. Das muss sicher einem systematischen Vergleich überlassen bleiben. Allerdings sehen wir in den hier berichteten Ergebnissen interessante Anregungen für eine solche vergleichende Studie. Wenn es auf die Zeit bzw. die Änderungsgeschwindigkeit ankommt, scheint die stationäre Behandlung Vorteile zu bieten. Zeit bzw. Änderungsgeschwindigkeit haben insofern Bedeutung für die Patienten, als dass sie eine Verkürzung der Leidenszeit und eine Verminderung der mit einer Psychotherapie verbundenen Einschränkungen des normalen Alltagslebens mit sich bringen. Dies gilt in besonderem Maße für die stationäre Behandlung, ist aber auch in ambulanten Therapien nicht ohne Bedeutung, wenn man z. B. die Wegezeiten berücksichtigt. Für Therapeuten und Kliniken haben Stundenzahl und Verweildauer unmittelbare ökonomische Konsequenzen. Entweder gehen die Einnahmen zurück oder man muss mehr Patienten in der gleichen Zeit neu in Behandlung nehmen. Schließlich sind Zeit und Verweildauer aus der Sicht der Kostenträger—und damit indirekt auch für die Versicherten—direkte Kostenfaktoren, die sie in Relation zum erwarteten Nutzen setzen wollen und müssen.

Neben den bereits genannten Einschränkungen, die aus der mangelnden Repräsentativität der Stichproben (nicht zuletzt kommen die Daten aller stationären Patienten aus einer einzigen Klinik, waren alle ambulanten Patienten Mitglieder einer privaten Krankenversicherung) resultieren, wird die Generalisierung der Ergebnisse durch die Begrenzung der Beobachtungszeit auf ein Jahr beschränkt. Für die Mehrzahl der ambulanten Patienten fehlt daher beispielsweise eine Katamnesezeit, so dass geprüft werden könnte, wie der Verlauf der psychischen Beeinträchtigung nach Ende der Behandlung weitergeht und ob beispielsweise—ähnlich wie in der stationären Behandlung—für die katamnestische Zeit ein eigenes Teilmodell mit evtl. anderer Steigung nahe gelegt wird. Die hier berichteten Ergebnisse sind sicher nicht mehr als ein Einstieg in die systematische Untersuchung von Ähnlichkeiten und Unterschieden der stationären und ambulanten Versorgung, aber u. E. ein anregender und ermutigender Anfang, der die Wichtigkeit solcher Untersuchungen für die Optimierung der psychotherapeutischen Versorgung unterstreicht.

Fazit für die Praxis

Diese Studie bestätigt wieder einmal, dass Psychotherapie unter Praxisbedingungen wirkt. Patienten profitierten sowohl von ambulanter als auch von stationärer Psychotherapie. In beiden Behandlungssettings zeigten sich ähnlich deutliche Besserungen bei vergleichbarer Beeinträchtigung des psychischen Gesundheitszustandes zu Beginn der Behandlung. Ein Unterschied ergab sich allerdings hinsichtlich der Geschwindigkeit der Veränderung, und zwar besserten sich die psychischen Beschwerden im stationären Setting etwa 10-mal so schnell wie im ambulanten. Auch wenn eine Einzelstudie allein diese Fragen nicht entscheiden kann, legt dieser Befund nahe, genau diesen Unterschied im Veränderungstempo bei der Differenzialindikation stärker zu beachten als das üblicherweise geschieht. Kommt es bei Patienten auf eine schnelle Entlastung an, sollte man an eine stationäre Behandlung denken. Allerdings muss dabei im Einzelfall der mögliche Gewinn bei der Verkürzung von Leidenszeit abgewogen werden gegenüber dem zusätzlichen Aufwand. Eine stationäre Behandlung ist in der Regel teurer als eine ambulante, reicht oft allein nicht aus, und bringt höhere psychosoziale (Trennung von Beruf und sozialem Umfeld) Kosten mit sich.