Die Diskussion über die Effekte von Psychotherapien wird zurzeit weitgehend von Ergebnissen aus der Erforschung von kurzen Psychotherapien beherrscht. So schreibt Lambert in der Einleitung zum Handbook of psychotherapy and behavior change: „In fact, most research is conducted on therapy offered once a week for no more than 14 weeks, and in most practice settings treatment actually averages closer to five sessions“ (2004, S. 9). Zudem gehen die die Diskussion bestimmenden Ergebnisse auf Studien zurück, in denen die Unterschiede in der Wirksamkeit verschiedener Therapieformen und -techniken unter der Annäherung an Laborbedingungen untersucht werden („Efficacy-Studien“). Für diese „Phase-3-Studien“ ist das RCT-Design („randomized controlled trials“) besonders geeignet.

Psychotherapien dauern jedoch in der Praxis deutlich länger als die in den RCT-Studien untersuchten Behandlungen; dies ist nicht nur in Deutschland der Fall. Auch in den USA fanden Morrison et al. (2003) in einer repräsentativen Studie, dass bei Klinikern, die bei der American Psychiatric Association und der American Psychological Association registriert waren, die Behandlung von Panikstörungen im Mittel 52 Sitzungen, die Behandlung von Depressionen im Mittel 75 Stunden dauerten. Die kürzesten Behandlungen waren die von kognitiven Verhaltenstherapeuten, aber auch deren Zeitaufwand war im Mittel doppelt so hoch wie der in den Manualen für diese Störungen angegebene.

Ebenso wie bei der Erforschung von Medikamenten sind in der Psychotherapieforschung „Phase-4-Studien“ nötig (vgl. Buchkremer u. Klingberg 2001), die unter Praxisbedingungen die Wirkungen der Psychotherapien untersuchen (Effizienzstudien). „Phase-4-Studien“ haben häufig, aber nicht zwangsläufig ein naturalistisches Design, da sie den Praxisbedingungen näher kommen. Die vorliegende naturalistische Studie gehört in den Bereich der Phase-4-Forschung und teilt die mit naturalistischen Studien verbundenen Vor- und Nachteile: Die Studie kann eine hohe praktische Relevanz beanspruchen, aber Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge sind schwerer als z. B. in RCT-Studien zu beurteilen: Dies wiederum ist aber auch und generell bei der Erforschung längerer Behandlungen schwierig. Je länger die Behandlungen, desto mehr Variabilität in den experimentellen Bedingungen, je mehr Variabilität, desto weniger sind eindeutige Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu finden.

Diesem Nachteil entgegenstehend ist aber die Erforschung längerer Therapien notwendig, weil längeren Therapien in der Praxis größere Bedeutung zukommt als den kurzen Behandlungen, wie die Zahlen von Morrison et al. (2003) belegen. Aber nicht nur die Erforschung längerer Therapien, auch die Berücksichtigung längerer Katamnesezeiträume ist sinnvoll, wie wir im Folgenden zeigen können.

Zum Forschungsstand

Über den Stand der empirischen Erforschung zur Langzeitpsychotherapie in der psychoanalytischen Psychotherapie und der Verhaltenstherapie haben wir bereits früher berichtet (Brockmann 2000; Schlüter 2000). Wir beschränken uns hier auf Publikationen über ambulante Langzeittherapien der beiden Therapieformen aus den letzten 10 Jahren. Für die Verhaltenstherapie ist ebenso wie für die psychoanalytische Therapie im letzten Jahr eine Zusammenfassung der empirischen Studien erschienen, die die störungsbezogene Wirksamkeit der jeweiligen Behandlungen belegen sollte. Für die Verhaltenstherapie legten Kröner-Herwig et al. (2004), für die psychoanalytische Therapie Brandl et al. (2004) diese Zusammenfassung vor.

Für die Verhaltenstherapie fanden wir im deutschsprachigen Raum keine Untersuchung, die in den letzten 10 Jahren verhaltenstherapeutische Behandlungen von mehr als 40 Stunden zum Thema hatte. Kröner-Herwig et al. (2004) geben zu den für den Bereich Depression aufgeführten Studien einen Sitzungsumfang von 10–26 Stunden sowie für generalisierte Angststörungen und soziale Phobie einen Sitzungsumfang von 3–18 Stunden an. In der Verhaltenstherapie stößt nach wie vor die Untersuchung von Langzeittherapien auf ein unerklärlich geringes Interesse, obwohl ein Drittel der bei den Krankenkassen von Verhaltenstherapeuten beantragten Psychotherapien Langzeitbehandlungen sind (Janssen et al. 1997; Nissen 2001). War die Befürwortung längerer Therapien bei Praktikern schon immer vorhanden, so scheint sie jetzt auch bei verhaltenstherapeutischen Psychotherapieforschern kein Tabu mehr zu sein: „Extrem kurze Therapien sind empirisch nicht gut begründet. Wahrscheinlich sind je nach Fall zwischen 20 und 70 Behandlungsstunden angemessen, klug verteilt über einen längeren Zeitraum“ (Grawe 2004).

Publikationen aus den letzten 10 Jahren, die psychoanalytische Therapien mit mehr als 40 Stunden untersuchten, stammen vorwiegend aus Deutschland und anderen europäischen Ländern. Eine Reihe der Studien setzt auf Wirksamkeitsnachweise mithilfe neuer Instrumente, die Effekte jenseits der Symptomatik und der interpersonalen Problematik erfassen sollen. In der „Praxisstudie analytische Langzeittherapie“ (PAL; Rudolf et al. 2005) liegt der Schwerpunkt auf der Erfassung von Persönlichkeitsveränderungen/struktureller Effekte. Es werden Psychoanalysen und tiefenpsychologische Psychotherapien mithilfe der „Heidelberger Umstrukturierungsskala“ (Rudolf et al. 2000) verglichen. In der „Göttinger Praxisstudie“ (Leichsenring et al. 2005) werden analytische Therapien mit tiefenpsychologischen Therapien verglichen. Ein Hauptinstrument ist das PATH („problems and aims in therapy“; Staats et al. 1999). Beide Studien bieten durch eine Reihe von Gemeinsamkeiten gute Vergleichsmöglichkeiten mit der vorliegenden Studie.

Die schwedische Studie „Stockholm outcome of psychotherapy and psychoanalysis“ (STOPP; Blomberg et al. 2001; Sandell et al. 1999) untersucht eine große Anzahl von Patienten, die entweder eine Psychoanalyse oder eine niederfrequente psychoanalytische Therapie oder eine niedrig dosierte Behandlung hatten oder unbehandelt blieben. Die Patienten, die einer Psychoanalyse zugewiesen worden waren, zeigten bessere Ergebnisse, jedoch erst nach einem längeren Katamnesezeitraum. Die Studie war als Vergleichsstudie mit randomisierter Verteilung geplant; das Design war jedoch nicht durchzuhalten (Sandell et al. 1997). So ließen sich z. B. Patienten, die eine psychoanalytische Behandlung suchten, auf Dauer nicht in einer Warteposition halten. Das Untersuchungsdesign der Studie ist statistisch jedoch nicht ganz unproblematisch, da die Patienten, die zu den verschiedenen Zeitpunkten untersucht worden waren, nicht immer dieselben waren. In einer bereits etwas älteren und im Vergleich dazu kleineren Studie von Holm-Hadulla et al. (1997) wurde die Effektivität von Kurztherapie und Psychotherapien mittlerer Länge an einer studentischen Beratungsstelle untersucht.

Drei Studien, die den Ansatz einer Konsumentenbefragung wählten, wie er seit vielen Jahren bei Waren- und Dienstleistungsangeboten durchgeführt wird, geben Antworten zu übergeordneten Versorgungsfragen. Differenzierte Ergebnisse zu unterschiedlichen Behandlungsmethoden und zum Behandlungsverlauf können von solchen Studien nicht erwartet werden, da die Daten ausschließlich auf Selbstauskünften der Patienten beruhen. Außerdem mussten die Fragebögen Kürze und Einfachheit aufweisen, da Daten bei einer großen Anzahl von Konsumenten erhoben werden sollten. Die bekannte „consumer reports study“ (Seligman 1995) aus den USA wurde als Saarbrücker Consumer-reports-Studie (Hartmann u. Zepf 2002, 2004) in Deutschland repliziert. In vergleichbarer Weise erfolgte die Datenerhebung in der Konstanzer Studie (Heinzel et al. 1997, 1998); hierbei wurden jedoch ausschließlich psychoanalytische Einzel- und Gruppentherapien untersucht.

Eine weitere Studie, bei der der Nutzen von Psychotherapie als Leistung im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung geprüft werden sollte [Deutsche-Krankenversicherung- (DKV-)Studie; Puschner u. Kordy 2003; Puschner et al. 2004], liefert Ergebnisse, die auf einer großen Anzahl von psychotherapeutischen Behandlungen beruhen. Die Ergebnisse der Studie widersprechen der These vom „abnehmenden Grenznutzen“ von Psychotherapie, der darin besteht, dass mit steigender Anzahl von Behandlungsstunden (Dosis) der zusätzliche Therapieeffekt geringer wird, d. h. der zusätzliche „Nutzen“ abnimmt (vgl. Howard et al. 1986).

In 2 Studien wurden Wirksamkeit und Nutzen psychoanalytischer Behandlungen retrospektiv erfasst: die Studie zur Wirksamkeit jungianscher Psychoanalysen und Psychotherapien (Keller et al. 1997) und die Deutsche-Psychoanalytische-Vereinigung- (DPV-)Katamnese-Studie (Leuzinger-Bohleber et al. 2001, 2002; Beutel et al. 2004). Die Amsterdamer Studie zur Prozess- und Effektforschung in der Psychoanalyse (PEP-Studie; Beenen 1997) untersuchte ebenfalls retrospektiv in Interviews mit Analysanden und deren Analytikern 16 Psychoanalysen.

Fragestellung

Ausgang der vorliegenden Untersuchung war die Frage nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten im Verlauf und in den Ergebnissen verhaltenstherapeutischer und psychoanalytischer Langzeittherapien unter naturalistischen Bedingungen, durchgeführt von erfahrenen Psychotherapeuten in freier Praxis. Der Schwerpunkt dieses Beitrags liegt in der Frage, wie sich die Symptomatik und die interpersonale Problematik der Patienten während und nach den Behandlungen veränderte.

Wir haben zu dieser Fragestellung bereits Ergebnisse publiziert (Brockmann et al. 2002). Neu ist, dass wir zur Beantwortung dieser Fragestellung die Ergebnisse einer 7-Jahres-Katamnese einbeziehen können.

Methodik

Bei der Untersuchungsplanung sind wir davon ausgegangen, dass mit den beiden Therapieverfahren vergleichbare Patienten behandelt werden. Wir haben versucht, die Vergleichbarkeit dadurch sicherzustellen, dass nur Patienten mit einer Störung im Bereich Depression und/oder Angst in die Untersuchung aufgenommen wurden. Wir haben diese Störungen ausgesucht, weil sie die häufigsten psychotherapeutisch behandelten psychogenen Erkrankungen sind. Zur Begrenzung „natürlicher Varianzquellen“ wurden nur Patienten in die Studie aufgenommen, die mindestens 18, höchstens aber 45 Jahre alt waren.

Die Therapieveränderungsmaße bezogen sich schwerpunktmäßig auf die Symptomatik, die interpersonale Problematik, individuelle Ziele und Zielerreichungen. Die Daten wurde zu Behandlungsbeginn, nach einem, 2,5; 3,5 und nach 7 Jahren erhoben.

Messinstrumente

Zur Feststellung der „Diagnostic-and-statistical-manual-of-mental-disorders-III-revised- (DSM-III-R)-Diagnose“ wurde zum Behandlungsbeginn das strukturierte klinische Interview SKID (strukturiertes klinisches Interview für DSM-III-R; Wittchen et al. 1990) von Fremdinterviewern durchgeführt. Zur Selbsteinschätzung der Symptome wurde die Symptomcheckliste SCL-90-R (Franke 2002) und zur Selbsteinschätzung der zwischenmenschlichen Probleme das Inventar zur Erfassung interpersoneller Probleme IIP-D (Horowitz et al. 2000) vorgegeben. Ziele und Zielerreichungen wurden über das „goal attainment scaling“ erfasst. Über die Erhebungsmethodik und die Ergebnisse bis zum 3,5-Jahres-Zeitpunkt haben wir bereits an einer anderen Stelle berichtet (Brockmann et al. 2003). Ein Katamneseinterview wurde nach 3,5 Jahren durchgeführt, in dem die Veränderungen in den Bereichen Arbeit, Freizeit, Partnerschaft, Erleben und Verhalten, Symptomatik und interpersonale Problematik erfragt wurden. Die Interviewer waren über die Diagnose oder andere Patientendaten nicht informiert. Die Interviews wurden zum größeren Teil auf Tonband festgehalten. Die Interviewer gaben nach Abschluss des Interviews eine Einschätzung der Veränderungen der Patienten in mehreren Dimensionen ab. Nach 7 Jahren wurden die Patienten erneut schriftlich zum Medikamentengebrauch, zur Einschätzung des Verhältnisses von Aufwand zu Nutzen der zurückliegenden Psychotherapie, zu erneut aufgenommenen Therapien u. a. befragt.

Patienten und Therapeuten

Die 16 beteiligten Psychotherapeuten hatten sich verpflichtet, bis zum Abschluss der Untersuchung allen Patienten im Alter zwischen 18 und 45 Jahren mit einer Angst- und/oder depressiven Störung, bei denen sie eine Langzeittherapie für indiziert hielten und diese auch selbst durchführen wollten, ein Behandlungsangebot unter Studienbedingungen zu machen. Die klinische Diagnose der Therapeuten wurde zum Behandlungsbeginn überprüft. Dazu wurden die Patienten von geschulten unabhängigen Interviewern an einem gesonderten Termin mit dem SKID untersucht. Nur wenn die Diagnose im Bereich von Angst und/oder Depression anhand der Kriterien des DSM-III-R bestätigt werden konnte, wurde der Patient in die Studie aufgenommen. In 10% der Fälle konnte die Therapeutendiagnose nicht bestätigt werden.

Die konsekutive Aufnahme der Patienten in die Studie wurde beendet, als die vorgesehene Zahl von 31 Patienten für jede Behandlungsgruppe erreicht war. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Auswahlverfahren nicht zu einer nennenswerten Selektion von Patienten geführt hat.

Die Behandlungen wurden von 12 Psychoanalytikern und 4 Verhaltenstherapeuten durchgeführt. Alle Therapeuten hatten eine Kassenzulassung entsprechend ihrer Therapierichtung und eine Praxis in Frankfurt (PA) oder Hamburg (VT). Die mittlere Berufserfahrung war M (s) =9,7 (4,5) Jahre (PA) bzw. M (s) =9,2 (3,7) Jahre (VT). Alle Therapeuten wurden zum Behandlungsbeginn mit einem Fragebogen nach ihrer therapeutischen Identität gefragt. Alle Psychoanalytiker bezeichneten „Psychoanalyse“, alle Verhaltenstherapeuten „Verhaltenstherapie“ als ihre therapeutische Identität.

Therapien

Die 31 psychoanalytischen Behandlungen dauerten im Mittel 209,5 Stunden (s=100; Median 230 Stunden). Im Mittel waren die Behandlungen nach 43 Monaten (s=17) abgeschlossen. Die 31 verhaltenstherapeutischen Langzeittherapien dauerten im Mittel 63,5 Stunden (s=19; Median 63 Stunden). Im Mittel waren diese Behandlungen nach 29 Monaten (s=13) abgeschlossen. Nach einem Jahr waren 0% bzw. 3% (PA/VT), nach 2,5 Jahren 23% bzw. 45% (PA/VT), nach 3,5 Jahren 42% bzw. 84% (PA/VT) und nach 7 Jahren alle Behandlungen abgeschlossen.

Die Quote der Patienten, die an den Wiederbefragungen teilnahmen, war hoch: Es beantworteten 93% (n=29) der PA-Patienten und 84% (n=26) der VT-Patienten die Fragebögen zur 7-Jahres-Befragung. Die Schwerpunkte der Behandlungstechniken wurden am Ende jeder Therapie auf einer Skala von dem behandelnden Therapeuten eingeschätzt. Die Psychoanalytiker variierten in der Studie ihr therapeutisches Handeln innerhalb eines allgemeinen psychoanalytischen Konzepts. Die meisten Verhaltenstherapeuten hingegen wendeten neben den typischen Techniken des kognitiven sowie konfrontativen verhaltenstherapeutischen Vorgehens und der rational emotiven Therapie nach Ellis gelegentlich auch Techniken aus anderen Konzepten, wie denen der Gesprächspsychotherapie, der systemischen und der Hypnotherapie an (Brockmann et al. 2002).

Der Behandlungsbeginn unter naturalistischen Bedingungen weist einige Besonderheiten auf. Die Indikation zu einer Langzeittherapie wird den deutschen Richtlinien zur Durchführung von Psychotherapie im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung entsprechend bei psychoanalytischen Behandlungen während der ersten 8 Sitzungen getroffen. Bis zur Fragebogenerhebung nach dem diagnostischen Interview durch den externen Interviewer waren dann im Mittel 11 Sitzungen bzw. 2,4 Monate Behandlung erfolgt. Die Indikation zu einer Langzeittherapie wird bei den Verhaltenstherapeuten meist erst im Verlauf einer Kurzzeittherapie gestellt. Deshalb wurden bei den beteiligten Verhaltenstherapeuten alle Patienten, die eine Angst- und/oder depressive Störung aufwiesen, gebeten, die Fragebögen direkt zum Behandlungsbeginn auszufüllen. Bis zur Erhebung der Eingangsdaten mithilfe des Fragebogens waren dann im Mittel 3,5 Sitzungen bzw. ein Monat Behandlung erfolgt. Es ist davon auszugehen, dass die probatorischen Sitzungen in der Regel bereits einen gewissen positiven Therapieeffekt bewirken. In diesen Fällen stellt der gemessene Behandlungseffekt eine Unterschätzung des tatsächlichen Behandlungseffektes dar.

Ergebnisse

Es wurden Zugangswege und Ausgangsdaten der Patienten erhoben und für die beiden Behandlungsgruppen auf signifikante Unterschiede überprüft, um Aussagen über die Vergleichbarkeit der beiden Stichproben machen zu können.

Gleiche und ungleiche Anfangsbedingungen

Zwischen den beiden Behandlungsgruppen wurden keine signifikanten Unterschiede in den Variablen Alter, Geschlecht, Diagnose, Anzahl der vorhergehenden psychotherapeutischen Behandlungen und persönliche Erwartungen bezüglich der Therapiedauer gefunden (Tabelle 1).

Tabelle 1 Patientencharakteristika ohne signifikante Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen zu Behandlungsbeginn

Signifikant unterschiedlich waren – trotz gleicher Diagnose – der Bildungsstatus der Patienten, die anfängliche Symptombelastung sowie der Gebrauch psychotroper Medikamente (Tabelle 2).

Tabelle 2 Patientencharakteristika mit signifikanten Unterschieden zwischen den Behandlungsgruppen zu Behandlungsbeginn

Veränderungen in der Symptombelastung (SCL-90-R)

In beiden Behandlungsgruppen fanden wir signifikante Veränderungen über die Zeit von 7 Jahren in allen Skalen und im Gesamtwert (einfaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung). In beiden Gruppen hatte sich das Ausmaß der Symptombelastung nach 3,5 Jahren signifikant verringert (Brockmann et al. 2002). Auch nach 7 Jahren war die Symptomreduktion auf demselben Niveau, das nach 3, 5 Jahren erreicht worden war (Tabelle 3).

Tabelle 3 Skalengesamtwerte: Symptombelastung GSI (SCL-90-R) und interpersonale Probleme IIPGes (IIP-D)

Auf einen direkten Vergleich der beiden Behandlungsgruppen mithilfe der zweifaktoriellen Kovarianzanalysen wurde generell wegen der geringen Vergleichbarkeit beider Gruppen (Tabelle 2) verzichtet.

Die Veränderungen im Gesamtwert der Symptombelastung („global severity index“, GSI) wurden ebenso in den Effektstärken deutlich (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Effektstärkenverlauf des Global-severity-index- (GSI-)Kennwerts“ der Symptomcheckliste (SCL-)90-R und des Gesamtwerts des Inventars zur Erfassung interpersoneller Probleme (IIP-D) jeweils für die psychoanalytischen und die verhaltenstherapeutischen Langzeitpsychotherapien. Effektstärke = (Mpost−Mprä)/sprä

Veränderung in den interpersonalen Problemen (IIP-D)

In beiden Behandlungsgruppen änderte sich der Gesamtwert der interpersonalen Probleme signifikant über die Zeit (einfaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung). Zwischen dem 3,5- und dem 7-Jahres-Befragungszeitpunkt verbesserte sich der Gesamtwert der interpersonalen Probleme in der PA-Behandlungsgruppe weiter, während er in der VT-Behandlungsgruppe nahezu stabil blieb (Tabelle 3). Wir fanden bei den Patienten der Behandlungsbedingung PA in der einfaktoriellen Varianzanalyse mit Messwiederholung über 7 Jahre signifikante Veränderungen in allen 8 Skalen und im Gesamtwert. (Nach 3,5 Jahren waren die Veränderungen in 6 Skalen und im Gesamtwert signifikant gewesen.) Bei den Patienten der Behandlungsbedingung VT ließen sich in der einfaktoriellen Varianzanalyse mit Messwiederholung über 7 Jahre signifikante Veränderungen in 5 von 8 Skalen und im Gesamtwert nachweisen.

Die Veränderungen im Gesamtwert der interpersonalen Probleme (IIPGes.) zeigen sich ebenso in den Effektstärken (Abb. 1).

Zum Phasenverlauf

Veränderungen in den interpersonalen Problemen nach den Symptomveränderungen

Im Phasenmodell der psychotherapeutischen Veränderungen (Lueger 1995) wird eine zeitlich versetzte Veränderung der interpersonalen Probleme nach einer Veränderung der Symptomatik angenommen. Das Modell wurde für Behandlungen mit kurzer Dauer empirisch bestätigt. Wir hatten die Hypothese, dass das Phasenmodell auch für längere Behandlungen gilt. Ein Blick auf den Verlauf der Mittelwerte des GSI der Symptombelastung (SCL-90-R) und des Gesamtwerts der interpersonalen Probleme (IIPGes.) des IIP-D in Tabelle 3 scheint dies für die Behandlungsgruppe PA sowie für die Behandlungsgruppe VT bis zum 3,5-Jahres-Zeitpunkt zu bestätigen. Wir hatten die zusätzliche Hypothese, dass das Modell für beide Behandlungsgruppen gilt.

Verändern sich Symptome und interpersonale Probleme über die Zeit unterschiedlich?

Ob sich die individuellen Kurvenverläufe der Patienten von Symptombelastung und von interpersonellen Problemen über die Zeit signifikant unterscheiden, wurde über die Wechselwirkung in einer dreifaktoriellen Varianzanalyse geprüft: Dabei ist der erste Faktor ein Faktor mit Messwiederholung, repräsentiert durch die Werte der Probanden in der Symptombelastung (Gesamtwert SCL-90: GSI) und den interpersonalen Problemen (IIP-D: IIPGes.) zu den 5 Messzeitpunkten. Der zweite Faktor repräsentiert die Information, ob es sich bei dem jeweiligen Wert um die Symptombelastung (GSI) oder die interpersonalen Probleme (IIPGes.) handelt. Der dritte Faktor unterscheidet zwischen den Therapieverfahren Verhaltenstherapie (VT) und Psychoanalyse (PA). Um die Messwerte der beiden Tests vergleichen zu können, wurden sie zunächst in z-Werte transformiert. Die Varianzanalyse wurde nach dem allgemeinen linearen Modell (ALM) mit der Greenhouse-Geisser-Korrektur berechnet.

Der Einfluss des Faktors mit Messwiederholung (Zeit) war erwartungemäß hochsignifikant (p=0,000). Ebenso war der für unsere Fragestellung entscheidende Wert für die Wechselwirkung zwischen der Zeit und dem Faktor GSI/IIPGes. signifikant (p=0,019). Zusätzlich war die Wechselwirkung zwischen dem Messwiederholungsfaktor Zeit und Therapieverfahren signifikant (p=0,004) und ebenso die Wechselwirkung zwischen allen 3 Faktoren (p=0,040). Die Signifikanz der Wechselwirkung zwischen dem Faktor Zeit und dem Faktor GSI/IIPGes. in der dreifaktoriellen Varianzanalyse bestätigt die Annahme, dass die Kurvenverläufe über die Messzeitpunkte auch im statistischen Sinne bedeutsam voneinander abweichen. In Abb. 2 lässt sich für die GSI-Werte über der Zeit ein gekrümmter, für die IIPGes.-Werte ein eher linearer Verlauf erkennen. Die Wechselwirkung zwischen Zeit und GSI/IIPGes. ist nicht unabhängig vom Therapieverfahren. Das Ausmaß, indem sich die Kurvenverläufe von Symptomatik (GSI) und interpersonalen Problemen (IIP-DGes.) unterscheiden, differiert bedeutsam zwischen den nach Therapieverfahren gruppierten Patienten. Wie Abb. 2 veranschaulicht, sind die Unterschiede in der PA-Gruppe deutlicher erkennbar als in der VT-Gruppe. In den zweifaktoriellen Varianzanalysen, die weiterführend dann für jede Behandlungsform (PA und VT) separat gerechnet wurden, ist die Wechselwirkung zwischen Zeit und GSI/IIPGes. in der PA-Gruppe weiter signifikant (p=0,001), in der VT-Gruppe nichtsignifikant (p=0,343).

Abb. 2
figure 2

Verlauf der Mittelwerte (z-Werte) von GSI (SCL-90-R) und IIPGes.(IIP-D) jeweils für die psychoanalytische und die verhaltenstherapeutische Behandlungsgruppe

Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass diese Verlaufsunterschiede nicht ausschließlich auf die Behandlung zurückzuführen sind, da die Hälfte der verhaltenstherapeutisch behandelten Patienten ihre Behandlung nach 2,5 Jahren abgeschlossen hatte.

Verändern sich interpersonale Probleme nach Symptomveränderungen?

Ausgangspunkt unserer Berechnung waren die statistisch signifikanten Veränderungen der interpersonalen Probleme (IIPGes.) und der Symptomatik (GSI) zu jedem Erhebungszeitpunkt bei jedem Patienten. Bei einem Patienten war eine Veränderung (zwischen Behandlungsbeginn und untersuchtem Zeitpunkt) statistisch signifikant, wenn sie größer war als der Wert des „reliabel change index“ (RCI=2×Sdiff). Die Entscheidung erfolgte für jeden GSI- und jeden IIPGes.-Wert. Bei den Berechnungen der RCI-Werte für den GSI folgten wir Schauenburg u. Strack (1998), die sich auf Tingey et al. (1996) beziehen. Die Berechnung der RCI-Werte für den Gesamtwert IIPGes. erfolgte analog. Wir bezogen uns hier auf die Normwerte der Validierungsstudie des IIP-D von Brähler et al. (1999) und eine Studie mit stationären Psychotherapiepatienten aus 11 Kliniken von Wuchner et al. (1993). Die RCI-Werte sind unter Tabelle 4 angegeben.

Wir fanden bei den Patienten, bei denen es statistisch signifikante Veränderungen gab, die über die Zeit stabil blieben, signifikant häufiger Veränderungen der Symptomatik vor Veränderungen in den interpersonalen Problemen. Dies galt für beide Behandlungsformen für den Zeitraum 0–3,5 Jahre (PA: p=0,01, VT: p=0,05) im Chi-Quadrat-Test (Veränderung IIPGes. nach Veränderung GSI vs. Veränderungen IIPGes. vor Veränderung GSI).

Rückfallhäufigkeit

Für eine grobe Abschätzung von Rückfällen nach Symptombesserungen bzw. Änderungen in der interpersonalen Problematik berechneten wir die positiven wie negativen statistisch signifikanten Veränderungen bei den Patienten für die einzelnen Zeiträume vom Behandlungsbeginn bis zum 7-Jahres-Zeitpunkt. Wir betrachteten in diesem Zusammenhang die Patienten, bei denen eine positive statistisch signifikante Veränderung der Symptomatik bis zum 3,5-Jahres-Zeitpunkt stattgefunden hatte, bei denen aber zum 7-Jahres-Zeitpunkt dieser Therapiegewinn nicht mehr nachweisbar war. Dies nahmen wir als Kriterium für einen Rückfall in die alte Symptomatik bzw. alte interpersonale Problematik (Tabelle 4).

Tabelle 4 Anteil der Patienten, die zu den beiden Zeitpunkten 3,5 und 7 Jahre nach Behandlungsbeginn eine statistisch signifikante Verbesserung ihrer Symptomatik (GSI) bzw. interpersonalen Problematik (IIPGes.) aufwiesen sowie der Anteil derer, die zum Zeitpunkt 7 Jahre den Therapiegewinn, den sie zum Zeitpunkt 3,5 Jahre erzielt hatten, nicht halten konnten („Rückfälle“)

Weitere Ergebnisse

In einem Katamneseinterview zum 3,5-Jahres-Zeitpunkt, an dem 90% (PA) bzw. 64% (VT) teilnahmen, sowie einer schriftlichen Befragung zum 7-Jahres-Zeitpunkt, an der 93% (PA) bzw. 84% (VT) teilnahmen, erfassten wir naturalistische Aspekte der Behandlungsergebnisse aus Patientensicht.

Zufriedenheit mit der Behandlung

Zum 7-Jahres-Befragungszeitpunkt waren in beiden Gruppen die Patienten mit dem Ergebnis der zurückliegenden Behandlung im Mittel deutlich zufrieden; signifikante Unterschiede gab es nicht (PA: M=1,3; VT: M=1,2 auf einer Skala von (+2) sehr zufrieden bis (−2) sehr unzufrieden).

Wirksamkeit der Behandlung

Ebenso gab es keinen signifikanten Unterschied in der Einschätzung der Patienten in Bezug auf den Anteil, den die Psychotherapie an den stattgefundenen Änderungen hatte. Die Patienten schätzten im Mittel in beiden Gruppen den Anteil hoch ein (PA: M=1,5; VT: M=1,3 auf einer Skala von (+2) großer Anteil bis (−2) überhaupt keinen Anteil).

Aufwand und Nutzen

Signifikante Unterschiede zwischen den Behandlungsbedingungen VT und PA fanden sich in der Antwort auf die Frage nach der Relation von Aufwand und Nutzen bei der Behandlung. Überraschenderweise hatten die psychoanalytisch behandelten Patienten, die im Mittel einen mehr als 3fachen Behandlungsumfang als die verhaltenstherapeutisch behandelten Patienten hatten, deutlicher als diese den Eindruck, dass Aufwand und Nutzen der Psychotherapie in einer vernünftigen Beziehung stünden (PA: M=1,6; VT: M=0,6 auf einer Skala von (+2) „ja ich habe den Eindruck“ bis (−2) „nein, ich habe den Eindruck nicht“ (Mann-Whitney-Test p=0,001).

Weiterer Behandlungsbedarf

Ebenso überraschte uns der Unterschied auf die Frage: Haben Sie momentan den Eindruck, dass Sie eine weitere Behandlung benötigen? Die Patienten der Behandlungsgruppe PA neigten in einem signifikant höheren Ausmaß dazu, diese Frage zu bejahen als die Patienten der Behandlungsgruppe VT (PA: M=1,5; VT: M=0,4; Mann-Whitney-Test p=0,001) auf einer Skala von (+2) „ja, ich habe den Eindruck“ bis (−2) „nein, den Eindruck habe ich nicht“.

Weitere psychotherapeutische Behandlungen

Die Frage, ob eine neue Therapie begonnen wurde, bejahten 31% der psychoanalytisch, aber nur 12% der verhaltenstherapeutisch behandelten Patienten. Dieser Unterschied ist signifikant (Mann-Whitney-Test p=0,001). Hinweise darauf, welche Patienten erneut Psychotherapie brauchen, konnten wir nicht finden: Es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen der Gruppe derer, die erneut eine Behandlung aufnahmen, und denen, die dies nicht taten, so z. B. hinsichtlich Symptomatik, interpersonaler Problematik oder vorheriger Behandlungen. Signifikante Ergebnisse waren aber allein aufgrund der geringen Fallzahlen auch kaum zu erwarten.

Über Dauer und Intensität der nachfolgenden Behandlungen liegen keine Angaben vor. Bei der VT-Gruppe gaben alle 3 Patienten, die erneut eine Behandlung begonnen hatten, VT als erneute Therapierichtung an. Die 9 Patienten der PA-Gruppe, die erneut eine Therapie begonnen hatten, gaben unterschiedliche Therapieverfahren an, z. B. auch Familientherapie.

Pharmakotherapie

Auf die Frage „Nehmen Sie ein psychotropes Medikament?“, antworteten 35,5% der Verhaltenstherapiepatienten zum Behandlungsbeginn mit ja, zum 3,5-Jahres-Katamnesezeitpunkt gaben 21% der VT Patienten, zum 7-Jahres-Befragungszeitpunkt 23% einen häufigen Gebrauch an. Bei den PA-Patienten waren die entsprechenden Prozentzahlen 6,5%, 11% und 11%. Der Unterschied zwischen den beiden Behandlungsgruppen war zu jedem der 3 Zeitpunkte signifikant (p=0,005; p=0,01; p=0,000).

Die meisten VT-Patienten, die Psychopharmaka nehmen, scheinen darin nicht eine Behandlungsalternative, sondern einen zusätzlichen Beitrag zum Behandlungserfolg zu sehen. Immerhin bejahten 53% von den 17 VT-Patienten, die zur 7-Jahres-Befragung selten oder häufig ein psychotropes Medikament nahmen, die Aussage: „Ich habe zwar von der Psychotherapie profitiert, nehme aber zur weiteren Unterstützung ein Medikament ein“. (Für 18% traf die Aussage nicht zu.) Hingegen bejahten nur 1% die Aussage: „Ich habe mich zur Linderung meiner Probleme für ein Medikament entschieden statt einer weiteren Psychotherapie“. (Für 65% traf die Aussage nicht zu.)

Diskussion

Begrenzte Vergleichbarkeit der Patientengruppen

Die verhaltenstherapeutisch behandelten Patienten unterschieden sich von den psychoanalytisch behandelten Patienten in folgender Hinsicht: Sie hatten einen niedrigeren Schulabschluss, waren häufiger zum Psychotherapeuten überwiesen worden, stellten sich stärker symptombelastet dar und hatten bei Behandlungsbeginn häufiger eine psychotrope Medikation. Eine direkte Vergleichbarkeit der Behandlungseffekte ist damit trotz derselben Diagnose nicht gegeben. Wir waren von diesem Ergebnis nicht überrascht: Die Patienten verteilen sich unter naturalistischen Bedingungen nicht zufällig auf die vorhandenen Behandlungsbedingungen. Auch in der DKV-Studie (Puschner u. Kordy 2003) war der Bildungsgrad der PA-Patienten höher als in der VT-Gruppe. Der Anteil der Patienten mit Abitur war hier 81% vs. 69%. Wir hatten einen Unterschied von 80% vs. 42% gefunden. Der vergleichsweise geringfügige Unterschied in der DKV-Studie kann durch den allgemein hohen Bildungsgrad von Privatpatienten erklärt werden. Auch die Arbeit von Rüger u. Leibing (1999) bestätigt den gefundenen Zusammenhang zwischen Bildungsstand und Psychotherapieverfahren in mehreren Aspekten. Den Zusammenhang greifen wir weiter unten noch einmal unter dem Aspekt der „Passung“ zwischen Patient und Therapieverfahren auf.

Veränderung in der Symptombelastung und der interpersonalen Problematik

Sowohl in der Symptomatik als auch in der interpersonalen Problematik fanden wir für beide Behandlungsgruppen signifikante Veränderungen in den ersten 3,5 Jahren, die über die nächsten 3,5 Jahre stabil blieben (Abb. 1). Die PA-Patienten gaben zu Behandlungsbeginn eine Symptomgesamtbelastung (GSI=0,87) an, die als typisch für ambulante Psychotherapiepatienten gilt (z. B. Tingey et al. 1996). Zu berücksichtigen ist hier, dass, wie oben erwähnt, bis zur ersten Fragebogenerhebung im Mittel 11 Sitzungen erfolgt waren und erste Therapieeffekte sich möglicherweise schon in einer Symptomreduktion zeigten. Die VT-Patienten beschrieben sich hingegen als erheblich stärker symptombelastet (GSI=1,55). Die erste Fragebogenerhebung erfolgte hier im Mittel nach 3,5 Sitzungen. Der GSI-Wert ist außerordentlich hoch für ambulante Psychotherapiepatienten. Es wäre zu prüfen, ob eine von Patienten wahrgenommene hohe Symptombelastung in vielen Bereichen von Verhaltenstherapeuten als Indikator für eine Langzeitbehandlung angesehen wird.

Diese Annahme lässt sich jedoch nicht auf die interpersonalen Probleme übertragen. Hier unterscheiden sich bei Behandlungsbeginn VT- und PA-Patienten nicht, und zwar weder im Gesamtwert des IPP-D noch in einzelnen Skalen; VT- und PA-Patienten sind somit bezüglich der Veränderungen ihrer interpersonalen Problematik vergleichbar. Der Gesamtwert der interpersonalen Problematik lag zum Behandlungsbeginn in einem Bereich, der in der Validierungsstudie von Brähler et al. (1999) für den Bereich von „Neurosen“ angegeben wird, und erreichte nach 3,5 Jahren einen Bereich, der für „normal Gesunde“ beschrieben wird. Bei den VT-Patienten blieb der IIPGes.-Wert über die nächsten 3,5 Jahre weitgehend stabil, während sich bei den PA-Patienten weitere signifikante Besserungen zeigten (Abb. 1 und 2). Unsere Ergebnisse zur Langzeitwirkung stehen im Einklang mit denen der „Göttinger Praxisstudie“ (Leichsenring et al. 2005), in der die Wirksamkeit von psychoanalytischen Langzeitbehandlungen mit einer durchschnittlichen Dauer von 253 Sitzungen (37,4 Monate) untersucht worden sind. Die Effektstärke der interpersonalen Problematik, gemessen im IIPGes., stieg im Katamnesezeitraum weiter an, und zwar von 1,27 zum Behandlungsende auf 1,85 zum 1-Jahres-Katamnesezeitpunkt. Ebenso blieb, wie bei uns, die Effektstärke der Symptomveränderung, gemessen im GSI, im Katamnesezeitraum stabil. Vergleicht man die beobachtete Rückfallhäufigkeit mit den Ergebnissen aus Kurzzeittherapiestudien, so kann die Hypothese aufgestellt werden, dass Langzeitbehandlungen von Angst und Depression die Rückfallquote senkt. Metaanalysen (z. B. Belsher u. Castello 1988) haben gezeigt, dass die Rückfallquoten bei Depression relativ konstant sind: 20% innerhalb von 2 Monaten nach der Genesung, 40% innerhalb eines Jahres und 50% innerhalb von 2 Jahren. Wir fanden zum 7-Jahres-Zeitpunkt auf der Grundlage unserer Rückfalldefinition sowohl bei den VT-Patienten als auch bei den PA-Patienten eine Rückfallquote von nur 19%. In der „National-Institute-of-Mental-Health- (NIMH-)Studie“ über die Effekte von Kurzzeittherapien bei depressiven Patienten lag die Rückfallquote in der Katamnesebefragung nach 1,5 Jahren für kognitive Verhaltenstherapie (CBT) bei 70% (Elkin 1994, S. 126). In der Studie von McLean u. Hakstian (1990) hatten 2,25 Jahre nach Abschluss einer 10-wöchigen ambulanten Verhaltenstherapie 36% der Patienten klinisch auffällige Depressionswerte (BDI). Die Ergebnisse sind zwar nicht direkt vergleichbar, da Unterschiede in Symptomatik, Symptomschwere, Zeiträumen und Rückfallkriterium die Vergleichbarkeit eingrenzen; sie stützen aber die Vermutung, dass Langzeittherapien eine bessere Rückfallprophylaxe bieten als Kurzzeittherapien.

Zum phasenhaften Verlauf psychotherapeutischer Veränderung

Der phasenhafte Verlauf psychotherapeutischer Veränderungen – erst ändern sich die Symptome und dann die interpersonalen Beziehungen – wurde an Patienten in Kurzzeittherapien evaluiert und ist in der Forschungsliteratur als das „Phasenmodell psychotherapeutischer Veränderungen“ eingegangen. Die Ergebnisse von Hilsenroth et al. (2001) und Howard et al. (1993) beziehen sich auf psychodynamische Therapien. Barkham et al. (2002) beziehen sich auf psychodynamische und verhaltenstherapeutische Behandlungen und fanden keinen Unterschied in den Ergebnissen in Bezug auf die Therapieform. Unsere Hypothese, dass dieser Phasenverlauf ebenso für die Langzeitpsychotherapien gilt, wurde für die psychoanalytischen Langzeittherapien durch 2 Ergebnisse gestützt, bei den VT-Behandlungen jedoch nur durch ein Ergebnis. Dies könnte auf einen Wirkungsmechanismus hinweisen, den die Verhaltenstherapie zu ihrem Vorteil beansprucht: Die interpersonalen Veränderungen stellen sich auch indirekt durch Symptomverbesserungen ein. Zu berücksichtigen bleibt einerseits, dass die verhaltenstherapeutischen Patienten erheblich symptombelasteter waren und andererseits, dass nur die psychoanalytischen Patienten weitere deutliche Veränderungen im Katamnesezeitraum 3,5–7 Jahre hatten.

Unerwartete Einflüsse auf den Behandlungsverlauf – Die naturalistische Perspektive

Die Behandlungsgruppen sind nur eingeschränkt vergleichbar, weil viele Patienten ihre Behandlungsform nicht nach dem Zufall, sondern aufgrund bestimmter Information wählten. Diese Wahlmöglichkeit scheint sich auf den Therapieerfolg günstig auszuwirken (z. B. Elkin et al. 1999), zumindest auf die Zufriedenheit mit der Behandlung (King et al. 2000). Auch andere Abstimmungen zwischen Behandlungsangebot und Patientenerwartungen und -wünschen nehmen Einfluss auf das Therapieergebnis. Diese haben Eingang in das allgemeine Modell von Psychotherapie gefunden, das den aktuellen Stand der Ergebnisse der Prozess-Outcome-Forschung ordnet (Orlinsky et al. 2004; Orlinsky 1994). Danach hängt der Erfolg einer Psychotherapie von mindestens 4 Passungen ab, die sich zwischen den 4 wichtigsten Faktoren einstellen, die eine Psychotherapie konstituieren: der Person des Patienten, der Person des Therapeuten, dem Behandlungsmodell des Therapeuten (Menschenbild und Technik) und der Störung des Patienten (inklusive des subjektiven Krankheitsmodells des Patienten).

Überraschend war einerseits, dass in Fällen der Verhaltenstherapie nach 2,5 Jahren 55% der Behandlungen und nach 3,5 Jahren immer noch 16% der Behandlungen nicht abgeschlossen waren. Überrascht haben uns andererseits auch Häufigkeit und Unterschiede in der Inanspruchnahme weiterer Therapie nach einer Langzeitbehandlung: Obwohl in unserer Stichprobe 42% (PA) und 32% (VT) der Patienten mindestens eine psychotherapeutische Behandlung in der Vorgeschichte aufwiesen, suchten Patienten, die eine psychoanalytische Langzeittherapie gemacht hatten, signifikant häufiger erneut einen Psychotherapeuten auf (32%) als die ehemaligen VT-Patienten (12,5%).

Mit diesen Zahlen hatten wir bei der Planung der Katamneseerhebung überhaupt nicht gerechnet, so dass wir es versäumt haben, genauere Informationen über Gründe, Art und Umfang der erneuten Behandlung einzuholen. Wir wollen an dieser Stelle dazu auch keine Thesen aufstellen. Festzuhalten ist das Ergebnis, dass auch langzeitbehandelte Psychotherapiepatienten weitere Behandlungen in Anspruch nehmen.

Während mehr PA-Patienten als VT-Patienten erneut eine Psychotherapie als Behandlung wählen, nehmen mehr VT-Patienten (23%) als PA-Patienten (11%) zum 7-Jahres-Zeitpunkt ein psychotropes Medikament ein. Dieser Unterschied zwischen VT- und PA-Patienten bezüglich der Behandlungspräferenz war bereits zum Behandlungsbeginn zu beobachten und hat sich offenbar nicht nachhaltig verändert.

Wir haben aus diesen Ergebnissen gelernt, dass Psychotherapiestudien, seien es RCT-Studien oder naturalistische Studien, ohne hinreichend lange Katamnesezeiträume und ohne die Erhebung von weiteren und alternativen Behandlungen nichts über die Wirksamkeit einer Therapie aussagen, denn die Angaben über die Wirksamkeit einer Behandlung schließen implizit immer Annahmen über den erforderlichen Behandlungsbedarf mit ein.

Überrascht hat uns nicht nur die hohe Zahl von Patienten in der PA-Behandlungsgruppe, die im Katamnesezeitraum weitere Behandlungen aufsuchten, überrascht hat uns auch, dass wir in der Literatur in der Regel keine Angaben über weitere Behandlungen in den Katamnesezeiträumen fanden. Hier besteht Forschungsbedarf.

Fazit für die Praxis

Langzeittherapien bewirken auch in fortgeschrittenem Stadium Veränderungen. Neben der Reduktion der Symptombelastung werden anhaltende Verbesserungen der interpersonalen Beziehungen erreicht. Deutliche Verbesserungen in der interpersonalen Problematik stellen sich in den Behandlungen erst später ein und häufig erst dann, wenn sich die Symptomatik gebessert hat. Dies scheint jedoch eindeutiger in den psychoanalytischen Behandlungen zu sein.