Präambel

M. Leuzinger-Bohleber (m.leuzinger-bohleber@frankfurt-netsurf.de), G. Bruhns

Die psychoanalytische Therapie beruht auf der Psychoanalyse, die im klinischen Kontext als Persönlichkeits-, Krankheits- und Behandlungstheorie charakterisiert werden kann (s. dazu Kap. 2–6 dieser Stellungnahme). Alle psychoanalytischen Theorien stimmen darin überein, dass dem Unbewussten in den Funktionsweisen der gesunden Persönlichkeit und bei psychischen Erkrankungen eine zentrale Bedeutung zukommt. Nach psychoanalytischer Auffassung entwickeln sich die Hauptstrukturen der Persönlichkeit in einem Zusammenspiel von individueller Anlage und interpersonellen Beziehungen in den ersten Lebensjahren eines Menschen durch Verinnerlichungsprozesse. Die Strukturbildungsprozesse und die Strukturen selbst bleiben weitgehend unbewusst.

Psychische Erkrankungen entstehen im Gefolge von Störungen in der Strukturbildung, die per se krankheitswertig sein können oder die zu Beeinträchtigungen der Fähigkeit, widersprüchliche persönlichkeitsinterne Tendenzen zu bewältigen, führen und so mittelbar pathogen wirksam werden können. Dementsprechend geht die psychoanalytische Krankheitstheorie von einer strukturellen und/oder konflikthaften Genese seelischer Erkrankungen aus. Einmal eingetretene seelische Erkrankungen sind mit einer spezifischen Neigung zur Interpretation der eigenen Person, anderer Personen und interpersoneller Ereignisse aus der Perspektive der Erkrankung heraus verbunden.

Die psychoanalytische Behandlungstheorie folgt prinzipiell einem ätiologischen Modell, d. h. sie ist nicht primär auf die Behandlung eines Symptoms ausgerichtet, sondern darauf, die zugrunde liegende Ursache, die strukturelle Störung und/oder den unbewussten Konflikt zu beseitigen. Dazu ist in der Regel eine Bearbeitung der jeweiligen patienteneigenen Konstruktionsmuster der Wirklichkeit erforderlich, die im Wesentlichen in der therapeutischen Beziehung erfolgt.

Diese hier in äußerster Kürze skizzierten Grundlagen einer klinischen psychoanalytischen Theorie führen zu komplexen wissenschaftstheoretischen Annahmen, da nach psychoanalytischer Auffassung die Ursachen der Erkrankungen sich einer unmittelbaren Wahrnehmung entziehen sowie Symptomentstehungen, -veränderungen und -fixierungen in zirkulären Prozessen mit den Modalitäten Präkonzept, Wahrnehmung, Interpretation, veränderte Wahrnehmung, Reinterpretation erfolgen.

Es sollen deswegen der folgenden Stellungnahme zur psychoanalytischen Therapie einige wissenschaftstheoretische und wissenschaftssoziologische Bemerkungen vorangestellt werden, die sich auch auf die vom Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) zugrunde gelegten Kriterien und Referenzen für die Diagnosen (ICD-10) und die Wirksamkeitsforschung für die Therapieerfolgswahrscheinlichkeit beziehen.

Wissenschaftstheoretische Bemerkungen

Oft wird wenig reflektiert, dass die Kriterien, die an die psychotherapeutische Wirksamkeitsforschung angelegt werden (s. unten), auf der Idee der Einheit aller Wissenschaften beruht, die zuerst im deutschen Idealismus und später in anderer Form im logischen Empirismus verkündet wurde. Dabei wurde das physikalische Experiment, das quantitative Abhängigkeiten zwischen genau definierten Größen in künstlich erzeugten Systemen überprüft, zum Paradigma wissenschaftlicher Erfahrung ganz allgemein (vgl. dazu Diskussionen um „randomised controlled trial“, RCT). Dieses einheitswissenschaftliche Modell gilt wissenschaftstheoretisch seit langem als überholt, da sich sowohl Natur- als auch Geisteswissenschaften in den letzten 100 Jahren derart ausdifferenziert haben, dass wir uns in einem Zustand der „Pluralität der Wissenschaften“ befinden, in dem die verschiedenen Disziplinen ihre Methoden, Erfahrungen, Theorien, Erkenntniswerte und Qualitätskriterien der Spezifität ihres jeweiligen Forschungsgegenstandes anpassen mussten (vgl. dazu u. a. Hampe u. Lotter 2000; Hau 2003; Leuzinger-Bohleber 2002; Leuzinger-Bohleber et al. 2003). Hier verkürzt zusammengefasst: Ein unreflektiertes Übertragen eines Forschungsdesigns aus der Pharmakologie auf das Gebiet der psychotherapeutischen Wirksamkeitsforschung ist daher auch auf diesem Hintergrund dem heutigen Forschungsstand nicht mehr angemessen (vgl. Präambel unten, 6, 8.). Zudem wird darauf hingewiesen, dass selbst im Bereich der Medizin inzwischen naturalistische Studien (vgl. 8.1) oder detaillierte klinische Einzelfallstudien eine neue Wertschätzung erfahren, da sie sich—oft im Gegensatz zu kontrollierten gruppenstatistischen Studien—für das Verständnis idiosynkratischer Patienten und deren Reaktionen auf therapeutische Interventionen als fruchtbar erweisen. Dazu nur ein einziges Beispiel: Studien, die mit Hilfe bildgebender Verfahren [“functional magnetic resonance imaging“ (fMRI) oder Positronenemissionstomographie (PET)] therapeutische Veränderungen bei einzelnen Patienten mit Gehirnläsionen verfolgen, schließen wissenschaftshistorisch an berühmte klinische Einzelfallstudien, wie jene von Phineas P. Gage (1848), an, die dank einer präzisen deskriptiven Beschreibung nicht nur von Paul Broca und Carl Wernicke Jahrzehnte später, sondern u. a. von Antonio R. Damasio (1994) produktiv „wissenschaftlich“ untersucht und mit dem aktuellen Forschungsstand in Verbindung gebracht wurden. Die genaue Analyse der Wechselwirkung von Läsion und psychischem Verhalten bei diesem Einzelfall ließ sich—auch ohne gruppenstatistische Replikation—aufgrund präziser Beobachtungen und kausaler theoretischer Erklärungen auf andere Patienten mit analogen Störungen übertragen. Daher sollten im Bereich der (psychoanalytischen) Psychotherapieforschung theoretisch elaborierte und empirisch abgestützte Prozess- und Einzelfallstudien, die sowohl bezüglich des methodischen Vorgehens als auch der Qualitätskriterien dem spezifischen Forschungsgegenstand der Psychoanalyse—unbewusste Prozesse und deren Beeinflussung durch therapeutische Interventionen—adäquat sind, vom WBP vermehrt berücksichtigt werden.

Wissenschaftssoziologische Bemerkungen

Das diagnostische Klassifikationssystem ICD-10

Die ICD-10 wurde in Deutschland erstmals 1994 herausgegeben. Die allgemeine Einführung als diagnostisches Referenzsystem, die vom Gesetzgeber schon frühzeitig geplant war, verzögerte sich aus verschiedenen Gründen bis zum 1. Januar 2000. Von diesem Datum an sind auch in den ambulanten Behandlungen der GKV-Mitglieder Leistungsabrechnungen mit der ICD-10 zu kodieren. Seit 1994 wurde die ICD-10 in Kliniken und wissenschaftlichen Zusammenhängen schrittweise eingeführt und löste allmählich die ICD-9 ab. Die ICD-10 ist damit ein junges Klassifikationssystem.

Es ist für den Bereich V („Psychische und Verhaltensstörungen“) symptomatisch und syndromatisch aufgebaut, d. h. weitgehend deskriptiv gehalten. Damit ist der Verzicht auf eine Krankheitstheorie und auf ätiologische Konzepte verbunden.

Aus diesen beiden Charakteristika der ICD-10 entstehen Kompatibilitätsprobleme mit den Konzepten der psychoanalytischen Therapie. Die wichtigsten sind:

  • Die psychoanalytische Therapie ist ein seit etwa 100 Jahren angewandtes Behandlungsverfahren, das bereits früh mit der Evaluation seiner Behandlungen begonnen hat. Die dabei über Jahrzehnte zugrunde gelegten diagnostischen Klassifizierungen weichen von der ICD-10 ab; verschiedene in der ICD-10 definierte Störungsbilder wurden in der Vergangenheit unter „andere diagnostische Begriffe“ subsumiert. Es ist deswegen notwendig, in der Bewertung früherer Therapiestudien einen Spielraum hinsichtlich der diagnostischen Kategorisierungen herzustellen.

  • Auf der Grundlage der ICD-10 konnten wegen deren kurzer Existenz bisher nur wenige psychoanalytische/psychodynamische Therapiestudien durchgeführt werden. Das um so weniger, als psychoanalytische Behandlungen in der Regel mittel- bis langfristig angelegte Behandlungen sind und die Ergebnisse hinsichtlich der Beurteilung ihrer Stabilität einen mehrjährigen Katamnesezeitraum benötigen.

  • Der deskriptive Charakter der ICD-10 führt dazu, dass auf ihr beruhende Therapieerfolgsbeurteilungen lediglich das Verschwinden von Symptomen erfassen können. In der psychoanalytischen Krankheitstheorie ist die Überwindung von Symptomen jedoch lediglich ein Erfolgskriterium von mehreren. Gemäß dem ätiologischen Modell gilt für Symptomneurosen auch die Bearbeitung des unbewussten Konfliktes, für Erkrankungen mit struktureller Störung auch die partielle strukturelle Veränderung als Therapieziel. Beides entzieht sich der Erfassung durch die ICD-10.

  • Innerhalb der psychoanalytischen Krankheitstheorie können mehrere unterschiedliche Symptome oder Syndrome als Ausdruck einer einzigen psychischen Erkrankung aufgefasst werden, die folglich als eine Erkrankung diagnostiziert wird. Es kann zusätzlich einen Symptomwechsel geben. Ein Krankheitskonzept mit multipler und wechselnder Symptomatik sieht die ICD-10 für psychische Störungen nicht vor. Am ehesten wird dieser Sachverhalt innerhalb der ICD-10-Systematik durch das Konzept der Komorbidität erfasst. Es formuliert jedoch ein in der psychoanalytischen Krankheitstheorie konnektives Verhältnis um in ein additives. Auch hierdurch ergeben sich innerhalb der ICD-10-Systematik und innerhalb der psychoanalytischen diagnostischen Systematik unterschiedliche Therapiezieldefinitionen und Erfolgsbeurteilungen.

Wegen der unterschiedlichen Konzeptualisierungen der ICD-10 und der psychoanalytischen Diagnostik sind beide in der Erfassung eines Sachverhaltes nicht völlig zur Deckung zu bringen. Es gibt Überlegungen, die ICD-10 in der Evaluation der psychoanalytischen Therapie durch eine angemessenere Systematik zu ergänzen. Als eine solche Ergänzung ist die operationalisierte psychodynamische Diagnostik (OPD) entwickelt worden.

Wirksamkeitsnachweis

In den Anforderungen des WBP an den Wirksamkeitsnachweis werden als Nachweisformen kontrollierte Gruppenstudien, kontrollierte Einzelfallstudien und Metaanalysen genannt. Verlangt werden multimodale, nicht nur auf der Beurteilung des Therapeuten beruhende Erfolgsnachweise. Ferner sind Angaben über die Dauerhaftigkeit des Therapieerfolges auf der Grundlage von Katamnesen und die Rückführung der Therapieeffekte auf das jeweilige Therapieverfahren verlangt (Leitfaden für die Erstellung von Gutachtenanträgen, 8.1). Zwar wird in den Anforderungen die „evidence based medicine“ (EBM) nicht explizit genannt; die Anforderungen sind jedoch deutlich an die Systematik der EBM angelehnt. Darüber hinaus ist die EBM z. Z. das dominante Referenzsystem in der Bewertung von Wirksamkeitsstudien für Behandlungsverfahren und -regime, das seit dem Jahre 2000 auch Eingang in das Sozialgesetzbuch (SGB) V gefunden hat. Es erscheint deswegen sinnvoll, einige Bemerkungen zu den Wirksamkeitskriterien gemäß EBM voranzuschicken.

Ziel der EBM ist, in einer weltweit aus unterschiedlichen Gründen steigenden Nachfrage nach medizinischen Leistungen, Grundlagen für ihre gezieltere Anwendung zu liefern und so die steigenden Kosten nach dem Prinzip „Rationalisierung statt Rationierung“ zu senken. Zur Beurteilung der Güte des Wirksamkeitsnachweises, der Evidenz, wurde ein gestuftes System des Evidenznachweises entwickelt, das auf die methodischen Merkmale der jeweiligen Studie abhebt. Als höchste Evidenzstufe gilt der RCT-Standard, die randomisierte kontrollierte Studie.

Ihr Vorbild ist der Doppelblindversuch der pharmakologischen Forschung. Prinzipiell können Therapieeffekte in der Medizin auf der tatsächlichen Wirkung eines chemischen oder physikalischen Eingriffs, des Verums, oder auf Kontextwirkungen, etwa der Arzt-Patienten-Beziehung, beruhen. Dementsprechend existieren in der Medizin zur Erklärung von Heilwirkungen das Beziehungsmodell und das naturwissenschaftliche Modell, die in der medizinischen Praxis im Sinne einer Ergänzungsreihe zu denken sind. Der Doppelblindversuch zielt darauf ab, durch eine geeignete Versuchsanordnung die Wirkpotenz des Verums frei von Kontexteffekten darzustellen. Das ist dort möglich, wo es ein isolierbares und beschreibbares Verum gibt.

Das ist jedoch für Psychotherapien zu bezweifeln. Grundsätzlich erfolgen im psychosozialen Bereich alle Interventionen in einem Beziehungsfeld, in dem die Beteiligten einerseits aufeinander Bezug nehmen und dabei andererseits mitbestimmt werden von individuellen und gruppenspezifischen Präkonzepten und Vorannahmen (spontane Übertragungsbereitschaft in der Psychoanalyse, Lebensweltorientierung in der Soziologie). Interventionen in diesem Bereich können also nicht unidirektional und in ihrer Wirkung linear sein, sondern sie sind unvermeidlich in einen mutuellen Rückmeldungszusammenhang eingeordnet und damit interpersonell-zirkulär.

Aus den Ergebnissen der Psychotherapieforschung ergibt sich die Bedeutung des Beziehungsmodells in Psychotherapien: Über alle Methoden hinweg ist die Qualität der therapeutischen Beziehung entscheidend für den Therapieerfolg; die „Passung“ zwischen Patient und Therapeut schon bei Therapiebeginn ist ein wichtiger Prädiktor für den Erfolg. Auch die Persönlichkeit des Therapeuten hat einen Einfluss auf den Therapieerfolg.

In Psychotherapien scheinen die „Kontexteffekte“ ein Teil des Verums zu sein. Es ist deswegen fraglich, ob ein dem naturwissenschaftlichen Modell entnommenes Studiendesign und darauf beruhende Wirksamkeitsnachweise dem psychotherapeutischen Bereich grundsätzlich angemessen sind.

Bedenkenswert erscheint auch eine allgemeine Kritik an der EBM aus soziologischer Sicht (s. dazu Vogd 2002), der zufolge EBM paradoxe Effekte, wie eine Dekonstruktion der wissenschaftlichen medizinischen Basis, eine Entdifferenzierung medizinischer Funktionsbezüge und eine Einschränkung der professionellen ärztlichen Autonomie, nach sich zu ziehen scheint. Evidence based medicine erscheint in einem komplexen bis hyperkomplexen Praxis- und Forschungsfeld wie eine Wissensinszenierung mit dem Versprechen einer Komplexitätsreduktion und damit Entscheidungserleichterung. Das erfolgt jedoch durch ein problematisches Ausklammern der die Praxis gerade kompliziert machenden multimorbiden Patienten und dadurch, dass nicht situationsbezogen eine komplexe Situation aufgelöst wird, sondern eine Berufung auf situationsfern erstellte Vorgaben erfolgt. Ferner wird das bisher in der Medizin geltende ideelle Postulat der kausalen Begründung einer Maßnahme zugunsten eines epidemiologischen Wirksamkeitsnachweises aufgegeben. Dabei tritt das statistische Paradox ein: Gültigkeit bei großen Zahlen, Ungewissheit im Einzelfall. Bock (2001) stellt die Gültigkeit von Metaanalysen in Frage, weil die enthaltenen Studien nach jeweils unterschiedlichen Designs durchgeführt würden und die Ergebnisse daher keine Streuung um einen Mittelwert, sondern methodische Differenzen widerspiegelten. Er verweist auch auf den „publication bias“, dass nämlich aus unterschiedlichen Gründen (Redaktionen, Geldgeber) unerwünschte Studienergebnisse viel seltener als erwünschte veröffentlicht werden—eine weitere, manipulative Selektion. Bei genauer Betrachtung zeigt sich auch, dass in Qualitätssicherungsentscheidungen, wie auch die für EBM eine ist, behandlungsferne politische und ökonomische Interessen einfließen (Hafferty u. Light 1995; Haycox u. Walley 1999; Vogd 2002, S. 303 ff.). Schließlich führen die enorm hohen Kosten für randomisierte Studien dazu, dass sie nur noch durchgeführt werden können, wenn potente Geldgeber sie finanzieren. Das führt zu einer Selektion der von der Pharmaindustrie geförderten Forschungsvorhaben. Andere Therapien haben deutlich geringere Chancen, den RCT-Standard zu erfüllen, da sie aus äußeren, finanziellen Gründen ein entsprechendes Studiendesign kaum mehr erstellen können (Kienle et al. 2003, A2143). Mit der Verlegung auf statistische Designs wird ein klassisches Prinzip der medizinischen Forschung, wie das singuläre Kausalerkennen, außer Kraft gesetzt (ebd, A 2144 f.).

Es zeigt sich, dass sowohl die Grundlagen wie auch die Praxis von Ordnungs- und Evaluationssystemen ihre Eigendynamik besitzen und dass sie in Vernetzungszusammenhänge verwoben sind, die ihre Ergebnisse mitbestimmen. Es erscheint deswegen ein kritischer und reflektierter Gebrauch dieser Systeme notwendig.

1 Name des Verfahrens

„Psychoanalytische Therapie“

Dieser Begriff nimmt Bezug auf die Psychoanalyse mit ihrer Persönlichkeits-, Krankheits- und Behandlungstheorie. Er ist deshalb geeignet, alle Anwendungsformen der psychoanalytischen Therapie als Oberbegriff einzuschließen. Der alternative Vorschlag, den Terminus „psychodynamische Verfahren“ als Oberbegriff im deutschen Sprachraum einzuführen, verlässt diesen zentralen Bezug auf die Psychoanalyse. „Psychodynamische Therapie“ wird deshalb hier als eine Anwendungsform der psychoanalytischen Therapie angesehen, die inhaltlich der im deutschen Sprachraum und in den Psychotherapierichtlinien verankerten „Tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie“ entspricht.

2 Definition bzw. Kurzbeschreibung des Verfahrens

Es handelt sich um die Bearbeitung lebensgeschichtlich begründeter pathogener unbewusster Konflikte und krankheitswertiger Störungen der Persönlichkeitsentwicklung in einer therapeutischen Beziehung unter besonderer Berücksichtigung von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand.

3 Einzelverfahren oder Gruppe von Verfahren

Es handelt sich bei der „psychoanalytischen Therapie“ um ein Verfahren mit den Anwendungsformen:

  1. 1.

    analytische Einzelpsychotherapie,

  2. 2.

    analytische Gruppenpsychotherapie,

  3. 3.

    psychodynamische/tiefenpsychologisch fundierte Einzeltherapie,

  4. 4.

    psychodynamische/tiefenpsychologisch fundierte Gruppentherapie,

  5. 5.

    analytische Paar- und Familientherapie,

  6. 6.

    stationäre psychodynamische Therapie,

  7. 7.

    analytische Kinder und Jugendlichentherapie (Einzel/Gruppe),

  8. 8.

    tiefenpsychologisch fundierte Kinder und Jugendlichentherapie.

4 Detaillierte Beschreibung der Anwendungsformen der psychoanalytischen Therapie

W. Mertens

  1. 4.1.

    Analytische Einzeltherapie

  2. 4.2.

    Analytische Gruppenpsychotherapie

  3. 4.3.

    Psychodynamische/tiefenpsychologisch fundierte Einzeltherapie

  4. 4.4.

    Psychodynamische/tiefenpsychologisch fundierte Gruppentherapie

  5. 4.5.

    Analytische Paar- und Familientherapie

  6. 4.6.

    Stationäre psychodynamische Therapie

  7. 4.7.

    Analytische Kinder- und Jugendlichentherapie (Einzel/Gruppe)

  8. 4.8.

    Tiefenpsychologisch fundierte Kinder- und Jugendlichentherapie

4.1 Analytische Einzeltherapie

Idealtypisch gilt die analytische Einzeltherapie als ein von der klassischen Psychoanalyse abgeleitetes Verfahren, doch in der Praxis unterscheiden sich das psychoanalytische Standardverfahren und die analytische Psychotherapie vor allem durch die Stundenfrequenz (3–4 vs. 3–2 Wochenstunden) und das dadurch ermöglichte dichtere Beziehungsgeschehen (Thomä u. Kächele 1985; Mertens 1990; Will 2003). Die Bearbeitung des zunächst unbewussten Übertragungs-/Gegenübertragungsgeschehens und der vielfältigen Formen des Widerstands sowie die Handhabung einer technischen Neutralität des Analytikers im Sinne des Nichtagierens der unbewussten Rollenerwartungen sind die herausragenden Charakteristika sowohl der Standardanalyse als auch der analytischen Einzeltherapie (Kernberg 1999). Wenn Patienten mit Persönlichkeitsstörungen (z. B. masochistisch, narzisstisch, histrionisch) mit analytischer Psychotherapie behandelt werden, ist die Deutung der Übertragung im Hier-und-Jetzt wegen der erheblichen Wahrnehmungsverzerrungen von Anfang an erforderlich. Ansonsten treten Deutungen zugunsten von Klarifikationen, Konfrontationen und supportiven Elementen zurück; dies schränkt den Grad der technischen Neutralität gegenüber der Standardanalyse ein. Faktisch sind die Unterschiede hinsichtlich stützender Elemente zwischen den beiden Verfahren jedoch eher gering (Wallerstein 1990), ebenso wie in der hochfrequenten Psychoanalyse gilt auch für die analytische Psychotherapie, dass nicht die Rekonstruktion der Vergangenheit den zentralen psychoanalytischen Wirkfaktor darstellt, sondern der konkrete Umgang mit den aus der Übertragungs- und Gegenübertragungsbeziehung resultierenden Konflikten im Hier-und-Jetzt.

Die analytische Psychotherapie wurde im Rahmen der sozialrechtlichen Zulassung durch die Psychotherapierichtlinien u. a. bezüglich ihrer Indikation, der Behandlungsschwerpunkte und des Leistungsumfangs definiert. Dadurch wurden die historischen Kontroversen der ersten Psychoanalytikergeneration (Freud, Adler, Jung) auf der praktischen Behandlungsebene überwunden. Im Rahmen der Kassenfinanzierung von maximal 300 h ist es möglich, mit der analytischen Psychotherapie in 3–4 Jahren eine zumeist zufrieden stellende Bearbeitung mehrerer Konflikt- und Strukturfokusse zu erreichen (Brockmann et al. 2002; Huber et al. 2001; Leuzinger-Bohleber et al. 2001, 2002; Stuhr et al. 2001; Rudolf et al. 2001; Sandell et al. 2001; Leichsenring 2002).

4.2 Analytische Gruppenpsychotherapie

Die analytische Gruppentherapie geht von der Erkenntnis aus, dass sich die bewussten und unbewussten Konflikte und Entwicklungsstörungen der Teilnehmer in einer Gruppe nicht nur intrapsychisch, sondern auch interpersonell in Form externalisierter pathologischer Objektbeziehungen konstellieren, die mit dem Instrumentarium der Analyse von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand in einer Mehrpersonenbeziehung bearbeitet werden. Dementsprechend werden vom analytischen Gruppenpsychotherapeuten die Auswirkungen individueller psychischer und psychosomatischer Konflikte und/oder von Entwicklungsbeeinträchtigungen auf das interpersonelle Geschehen in einem multidimensionalen Übertragungsszenario, in dem häufig familiendynamische Konflikte und Geschwisterkonflikte aktualisiert werden, herausgearbeitet oder deutend begleitet. Ein Schwerpunkt der analytischen Gruppenpsychotherapie liegt in der Wiederherstellung der jeweiligen familiären Primärgruppe im Unbewussten der Teilnehmer mit entsprechenden vielfältigen Übertragungen und Beziehungsinszenierungen. Ein weiterer Schwerpunkt der analytischen Gruppenpsychotherapie oder Gruppenanalyse liegt in der Gruppe als Ganzes. Es wird davon ausgegangen, dass die einzelnen Beiträge der Gruppenmitglieder unbewusst ein gemeinsames Thema bilden; der gleichschwebenden Aufmerksamkeit des Psychoanalytikers im Einzelsetting entspricht in der Gruppe das der nichtdirektiven Leitung. Da die regressiven Entwicklungen in einer Gruppe schneller und intensiver eintreten können als in der Einzeltherapie, bedarf der Umgang damit einer besonderen psychoanalytischen Kompetenz, um maladaptive Entwicklungen möglichst frühzeitig aufzufangen und zu beeinflussen. Hierzu sind Kenntnisse über interpersonelle Abwehrmechanismen und psychosoziale Kompromissbildungen (Mentzos 1988) sowie unbewusste Gruppenphantasien (Bion 1971; Haubl u. Lamott 1994) notwendig. Mittlerweile liegen Evaluationen über Behandlungen in Gruppen vor (Tschuschke 2000).

4.3 Psychodynamische/tiefenpsychologisch fundierte Einzeltherapie

Diese aus der Psychoanalyse stringent abgeleitete Therapieform (Heigl-Evers u. Evers 1984; Heigl-Evers et al. 1997)—allerdings nur in Deutschland als „tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie“ bezeichnet (Hoffmann 2000)—stellt eine Modifikation der psychoanalytischen Therapie dar. Statt von der Entwicklung und Durcharbeitung einer Übertragungsneurose auszugehen, steht hier die psychodynamisch geleitete Fokussierung auf aktuell wirksame interpersonelle Konflikte und deren Symptombildung unter Beachtung von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand stärker im Vordergrund. Übende, imaginative und andere selbstwertunterstützende Interventionen rangieren vor Übertragungsdeutungen, die sich zumeist auf außeranalytische Beziehungen konzentrieren. Die regressive Wiederbelebung von unbewusstem Konfliktmaterial kann auf diese Weise ebenso gesteuert werden wie die Konzentration auf Teilziele (Faber et al. 1999). Die Indikation erfolgt für Patienten mit einem abgrenzbaren aktuellen neurotischen Konflikt bei einer nur mäßigen bis geringen Integration struktureller Kompetenzen und/oder bei höher strukturierten Patienten, die aber aus verschiedenen Gründen keine Bereitschaft für eine höher frequente analytische Psychotherapie aufbringen können. Die psychodynamische/ tiefenpsychologisch fundierte Einzeltherapie stellt derzeit die empirisch am häufigsten praktizierte und am besten untersuchte Therapieform dar (Rudolf 2002; Rudolf u. Rüger 2001, 2002; Rüger u. Reimer 2000; Leichsenring 2002).

Die psychodynamische/tiefenpsychologisch fundierte Einzeltherapie ist in der stationären Behandlung aufgrund der kürzeren Behandlungsdauer eine eigenständige Anwendungsform der psychoanalytischen Therapie. In der ambulanten Praxis ist sie für die genannten Indikationen ebenfalls eine eigenständige Anwendungsform der psychoanalytischen Therapie. Sie ist kein eigenständiges psychotherapeutisches Verfahren, da sie den Umgang mit Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand zur Voraussetzung hat und somit auf der Basis der psychoanalytischen Therapie und der psychoanalytischen Krankheitslehre beruht.

4.4 Psychodynamische/tiefenpsychologisch fundierte Gruppentherapie

Die psychodynamische/tiefenpsychologisch fundierte Gruppentherapie unterscheidet sich von der analytischen Gruppentherapie überwiegend durch die Regressionstiefe, den Deutungsmodus, fokussiert auf abgeleitete Konflikte, die sich als Beziehungs- und Rollenkonflikte im Alltag der Gruppenteilnehmer äußern und in der Gruppe eine Widerspiegelung erfahren. Ursprünglich wurde von Heigl-Evers und Heigl (1983) vor allem das interaktionelle Prinzip in der „interaktionell-tiefenpsychologisch fundierten Gruppenpsychotherapie“ betont. Dieses legt darauf Wert, dass dem Gruppenteilnehmer unmittelbar eine Antwort zuteil wird, z. B. über seine mangelhaft ausgeprägte Fähigkeit, die Auswirkungen seiner Äußerungen oder seiner Handlungen auf andere Gruppenteilnehmer zu erkennen. Damit wird die übende Nachentwicklung bislang nur mangelhaft ausgebildeter Kompetenzen im Spiegel der Reaktionen und Einschätzungen der Gruppenteilnehmer und des Therapeuten zum zentralen Anliegen dieser Therapieform. Die Heidelberger Umstrukturierungsskala von Rudolf und Grande bietet auch für das Gruppensetting eine Möglichkeit, strukturelle Veränderungen—neben Veränderungen in ausgewählten Konfliktfokussen—zu messen (Rudolf et al. 2001; Rudolf 2002).

4.5 Analytische Paar- und Familientherapie

Mit der stärkeren Betonung der Beziehungen in den diversen Richtungen psychoanalytischer Objektbeziehungstheorien wurde auch die Familiendynamik als unerlässlicher Faktor in einem biopsychosozialen Krankheitsmodell erachtet. Belastungen in Paar- und Familienbeziehungen können zu einer Verstärkung psychischer und psychosomatischer Symptome beitragen; diese wiederum verschlechtern die Partner- und Familienkonflikte. Eine weitere Anwendungsform stellt deshalb die analytische Paar- und Familientherapie dar. Neben dem intrapsychischen Fokus ist hierbei vor allem die Dynamik des Paares bzw. der Familie bedeutsam. Pathogene Interaktions- und Kommunikationsstrukturen können dazu beitragen, Symptom und neurotisches Erleben in zirkulärer Art aufrechtzuerhalten. Das Konzept des familiären Indexpatienten rückte die adaptive Funktion von Symptomen in den Vordergrund. Diese Anwendungsformen profitierten vor allem von den kommunikationstheoretischen Befunden der Palo-Alto-Gruppe über dysfunktionale Familienstrukturen (Bateson et al. 1969), rollentheoretischen Modelle (Richter 1963; Stierlin 1978), der Beziehungsanalyse (Bauriedl 1980), dem Konzept der Kollusion (Dicks 1967; Willi 1975; König und Kreische 1994), der Mehrgenerationenperspektive (Boszormenyi-Nagy u. Spark 1973; Massing et al. 1994) sowie schulenübergreifenden (Buchholz 1982) und systemtheoretischen Ansätzen (Cierpka 1991, 1996) bei gleichzeitiger Berücksichtigung intrapsychischer Vorgänge in Form von lebensgeschichtlich entstandenen inneren Objektbeziehungserfahrungen. Für ausgewählte Krankheitsbilder liegen derzeit Wirksamkeitsstudien vor (z. B. Reich 2003).

4.6 Stationäre psychodynamische Therapie

P. L. Janssen

Seit Simmels Initiative, eine psychoanalytische Klinik in Berlin-Tegel für psychisch Kranke zu eröffnen, hat die stationäre psychodyamische Therapie in Deutschland Tradition. Es gibt 158 Rehabilitationskliniken mit 13.930 Betten und 75 Abteilungen für psychosomatische Medizin und Psychotherapie mit 3.196 Betten (Vortrag H. Schulz, Hamburg 2003). Es gibt zahlreiche Indikationskriterien für diese Form der Psychotherapie: Wenn ein stabiler Rahmen benötigt wird, z. B. bei stark agierenden und/oder suizidalen Patienten, bei einer akuten Dekompensation, wenn eine Krisenintervention angezeigt ist, wenn ein Patient von einem pathogenen Milieu getrennt werden soll, wenn Multimorbidität vorliegt u. a. m.

Bei der stationären psychodynamischen Therapie findet eine mehrdimensionale Behandlung statt; hierbei stiften die psychosozialen Einflüsse des therapeutischen Milieus einer Klinik auch einen Zusammenhang: analytische Kurz- und Fokaltherapie, Krisenintervention, psychodynamische/tiefenpsychologisch fundierte Gruppentherapie, weitere aus der Psychoanalyse abgeleitete Verfahren, wie z. B. das katathyme Bilderleben, sog. kreative Therapien, wie Mal- und Gestaltungstherapie, Musik- und Tanztherapie (Janssen 1987). Die zuletzt genannten, eher nonverbal orientierten Verfahren, ermöglichen Patienten, deren Reflexions- und Verbalisierungsmöglichkeiten eingeschränkt sind, einen leichteren Zugang zu ihrer Innenwelt. Die durchschnittliche Behandlungsdauer beträgt in Abteilungen 47 Tage, in Rehabilitationskliniken 38 Tage; Kliniken mit spezialisierten Behandlungsansätzen für spezifische Krankheiten (z. B. Essstörungen) können Patienten auch länger stationär behandeln (Grande et al. 2001).

4.7 Analytische Kinder- und Jugendlichentherapie (Einzel/Gruppe)

Die analytische Kinder- und Jugendlichentherapie stellt eine auf der Theorie der Psychoanalyse aufbauende, im praktischen Vorgehen aber modifizierte Form der Behandlung für psychisch auffallende Säuglinge, Kleinkinder, Kinder und Jugendliche dar; hierbei werden die primären Bezugspersonen, wie Mutter und Vater, ebenfalls miteinbezogen.

In Abhängigkeit vom jeweiligen Lebensalter (Säugling, Kleinkind, mittlere Kindheit, späte Kindheit, Adoleszenz) finden Modifikationen des Settings und des Einsatzes therapeutischer Interventionen statt. Wie bei der analytischen Therapie von Erwachsenen geht es aber auch bei der analytischen Kinder- und Jugendlichentherapie darum, die Bedeutsamkeit unbewusster Prozesse hinter dem auffallenden Verhalten und Symptomen herauszuarbeiten und diese auch von der unbewussten Eltern-, Geschwister- und Familiendynamik her zu verstehen; ebenfalls wird mit Hilfe von Übertragungs-, Gegenübertragungs- und Widerstandsanalyse das therapeutische Geschehen unter Nutzung regressiver Prozesse gefördert und durchgearbeitet (Fonagy u. Target 1995; Fuchs 2000). Besondere Bedeutung wird der Entwicklung der Spielfähigkeit und Symbolisierungsfähigkeit beigemessen (Rasche 1992; Bovensiepen 2002). Wichtige Impulse erhielt diese Therapieform in den letzten 2 Jahrzehnten von den Säuglings- und Kleinkindforschern (s. unten). Für den Bereich der Diagnostik von Konflikten und strukturellen Ichfunktionen bzw. -kompetenzen gibt es seit kurzem eine OPD für Kinder und Jugendliche (Arbeitskreis OPD-KJ 2003).

4.8 Tiefenpsychologisch fundierte Kinder- und Jugendlichentherapie

Im Unterschied zur analytischen Kinder- und Jugendlichentherapie beschränkt sich die tiefenpsychologisch fundierte Kinder- und Jugendlichentherapie zumeist auf eine geringere Regressionstiefe und dementsprechend auf Teilziele. Häufig stehen Maßnahmen im Vordergrund, die auf eine Nachentwicklung von beeinträchtigten Entwicklungskompetenzen (wie z. B. Affektdifferenzierung, Realitätsprüfung, Mentalisierung) abzielen und das unbewusste familiäre Beziehungsgefüge eher unthematisiert lassen.

5 Diagnostik und Indikationsstellung

G. Rudolf

Das teilstrukturierte Interview

Die Diagnostik, die jeder Art von Therapie vorausgeht und die Behandlungsindikation begründet, erfolgt im Bereich der analytischen und psychodynamischen Therapien in der Regel als teilstrukturiertes Interview. Dieses ist insoweit strukturiert, als es anamnestische Befunde zu Art und Gewicht der Beschwerden, Symptomverläufen, Erklärungsmodellen der Patienten, aktuellen Belastungen und prägenden biographischen Erfahrungen erfasst. Es ist wenig strukturiert, insofern als es genügend Raum lässt für die Selbstdarstellungen und Inszenierungen des Patienten. Durch Zuhören und Beobachten der sich entwickelnden Beziehungssituation und durch die Einbeziehung der eigenen Gegenübertragungsregungen gelangt der Therapeut zu einer psychodynamischen Hypothese über die überdauernden Persönlichkeitsmerkmale und die aktualisierten Konfliktthemen. Indem er dem Patienten seine Wahrnehmungen und Hypothesen in geeigneter Form zurückgibt, spiegelt oder deutet, beginnt er, die für eine aufdeckende Psychotherapie bedeutsamen selbstreflexiven Möglichkeiten des Patienten, bzw. die Abwehrmuster auszuloten. Hier besteht ein fließender Übergang von diagnostischen zu probetherapeutischen Prozessen, die schließlich in die Indikationsstellung münden. Als Ergebnis des diagnostischen Interviews wird in Institutionen ein weitgehend strukturierter Befund dokumentiert (Rudolf 2000), während in der psychoanalytischen Praxis eine psychodynamische Hypothese über den Zusammenhang von Symptomentstehung und Persönlichkeitsentwicklung im biographischen und aktuellen sozialen Kontext frei formuliert wird (Faber-Haarstrick 2003, Kommentar Psychotherapierichtlinien).

Die Formalisierung dieses Vorgehens hat eine lange Tradition und lässt mehrere Generationen in der Entwicklung des diagnostischen Interviews erkennen. Die erste Generation lässt sich in den 50er-Jahren verorten. Hier stellte Schultz-Hencke 1951 sein Modell der tiefenpsychologischen Anamnese vor, das sich auf die Erfahrungen des Berliner psychoanalytischen Instituts ebenso wie auf jene des Reichsinstituts für psychologische Forschung und Psychotherapie bezog. Speziell in Ambulanzen und Kliniken wurde dieses Modell mit seiner sorgfältigen Befunddokumentation verwendet (Dührssen 1954; Schwidder 1958). Angeregt durch emigrierte Psychoanalytiker wurden in der amerikanischen Psychiatrie Interviewmodelle entwickelt, so z. B. von Sullivan (1954) oder Gill et al. (1954). Auch die britische Arbeitsgruppe von Balint (Balint u. Balint 1962; Malan 1965) richtete ihr Interesse auf die diagnostische und indikative Funktion der Erstuntersuchung; A. Freud et al. (1965) erstellten ein „metapsychological assessment“ („The Adult Profile“).

In einer zweiten Generation wurden diese Entwicklungen fortentwickelt und systematisiert; hierbei wurden die Kontraste der oben genannten Linien deutlicher. Argelander (1970; „Das Erstinterview in der Psychotherapie“) oder später Eckstaedt (1991) richteten ihre zentrale Aufmerksamkeit auf die unbewussten Inszenierungen im diagnostischen Erstgespräch. Auf der anderen Seite richteten Dührssen (1981; „Die biographische Anamnese unter tiefenpsychologischem Aspekt“) und Rudolf (1981; „Untersuchung und Befund bei Neurosen und psychosomatischen Erkrankungen“) die diagnostische Aufmerksamkeit auf die differenzierte Dokumentation von anamnestischen Befunden. Im gleichen Jahr veröffentlichte Kernberg (1981) seinen Ansatz des strukturellen Interviews, der das psychische Funktionsniveau der Patienten miteinbezog und diagnostische Akzentsetzungen im Sinne von Neurose/Borderlineorganisation/Psychose erlaubte.

Die dritte Generation des Interviews ist durch eine fortschreitende Differenzierung der Befunderhebung gekennzeichnet. Luborsky und Crits-Christoph (1990) und Dahlbender et al. (1993) beschrieben das Beziehungsepisoden-Interview, das auf die Erfassung der zentralen unbewussten Beziehungskonflikte ausgerichtet ist. Buchheim et al. (1994) fassen den damaligen Stand der Entwicklung Mitte der 90er-Jahre zusammen. Im Zusammenhang mit der Entwicklung des diagnostischen Systems OPD (Arbeitskreis OPD 1996) wurde eine Ausgestaltung des diagnostischen Interviews vorgestellt, die geeignet ist, die OPD-Aspekte von Symptomatik, Beziehung, Konflikt und Struktur diagnostisch herauszuarbeiten und operationalisiert zu dokumentieren (Janssen et al. 1996; Schauenburg et al. 1998). Zur Unterstützung dieses Vorgehens wurden Instrumente entwickelt, so z. B. eine Strukturcheckliste (Rudolf et al. 1998) und eine Konfliktcheckliste (Grande u. Oberbracht 2000).

Während das OPD-Interview störungsübergreifend psychodynamisch relevante Befunde einschätzt, gibt es eine Reihe von Interviewvarianten sowie Ratinginstrumenten und Tests, die ergänzend herangezogen werden, um störungsspezifische Themen der Persönlichkeitsstörung, der Essstörung, Traumafolgestörung etc. zu erfassen. Auf diese Weise wird auch die Patientenperspektive ergänzend zu der Experteneinschätzung zunehmend stärker einbezogen.

Eine Erweiterung der diagnostischen Perspektive gilt der Dynamik von Paaren und Familien, die in spezifischen Formen des diagnostischen Gespräches untersucht werden (Cierpka 1996). Auch in der analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie werden die Angehörigen diagnostisch einbezogen, um die Familiendynamik zu erfassen und um die Sicht des kindlichen Patienten fremdanamnestisch zu beleuchten. In den diagnostischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen werden darüber hinaus viele Medien einbezogen, die im weiteren Sinne als „projektiv“ charakterisiert werden, aber eigentlich eine Selbst- und Beziehungsdarstellung auf bildhaft-symbolischer Ebene erlauben (Sandspiel, Szeno Familie in Tieren, Satzergänzung, thematischer Apperzeptionstest (TAT), Düss-Fabeln etc.)

Diagnostische Klassifikation

Als Ergebnis der Diagnostik erfolgt eine diagnostische Klassifikation. In diesem Bereich sind die aktuell gültigen Klassifikationsinstrumente DSM und ICD psychiatrielastig, wenig psychosomatisch und in keiner Weise psychodynamisch geprägt, so dass viele analytische Psychotherapeuten ihr diagnostisches Verständnis in diesen Logiken nicht repräsentiert sehen (vgl. Präambel). Andererseits wird eingewendet, dass jede Art von diagnostischer Standardisierung besser ist als keine und dass es sinnvoller ist, komorbide Begriffe des ICD zu verwenden als herkömmliche Beschreibungen von neurotischen Störungen, für die keine Operationalisierung vorliegt. Das wesentliche Manko der geltenden Klassifikationssysteme liegt darin, dass sich aus ihnen keine oder nur sehr wenige therapeutische Empfehlungen ableiten lassen; die diagnostischen Begriffe sind nicht indikationsrelevant. Daher bedeutet es einen wesentlichen Fortschritt, dass in dem System OPD jene für das psychodynamische Verständnis wesentlichen Befundebenen integriert sind, aus denen sich auch wichtige Indikationsempfehlungen ableiten lassen (z. B. konfliktaufdeckende Therapien bei vorliegendem Konfliktakzent, strukturstützende Therapien bei starker struktureller Vulnerabilität etc.).

Die Möglichkeiten präziserer Diagnostik haben zu exakteren epidemiologischen Befunden geführt. Die Mannheimer Kohortenstudie (Schepank 1987, 1990) hat die von anderen Forschern erbrachten Zahlen weitgehend bestätigt und auf den erstaunlich hohen Anteil psychischer und psychosomatischer Erkrankungen in der Bundesrepublik Deutschland aufmerksam gemacht.

Seit den Tagen der amerikanischen Ich-Psychologie gab es ein verstärktes Bemühen, Status- und Verlaufsdiagnostik zu verbessern. Bekannt wurden vor allem Versuche, Ich-Stärke zu operationalisieren (Sharp u. Bellak 1978), Behandlungsziele präzise zu beschreiben (Sandler u. Dreher 1996) und das Niveau der kindlichen Entwicklungslinien einzuschätzen (A. Freud, Hampstead Index).

In der Gegenwart existieren vielfältige psychodynamische Verfahren der Indikations- und Veränderungsdiagnostik (Mertens 2000; Schüßler 2000), von denen die bekanntesten die Folgenden sind:

  • Interviewverfahren:

    • psychoanalytisches Erstinterview (Argelander 1970),

    • biographische Anamnese unter tiefenpsychologischen Gesichtspunkten,

    • diagnostisches Interview im Rahmen der OPD,

    • strukturelles Interview (Kernberg 1981).

  • Selbstbeurteilungsverfahren:

    • z. B. zur Einschätzung von Unterdrückungstendenzen, Gießener Beschwerdebogen (Brähler u. Scheer 1995),

    • Inventar zur Erfassung interpersonaler Probleme (Brähler et al. 1999).

  • Mehrdimensionale Persönlichkeitstests:

    • Gießen-Test (Beckmann u. Richter 1994).

  • Verfahren zur Einschätzung von Bewältigungsmodalitäten:

    • Narzissmus-Inventar (Deneke u. Hilgenstock 1989).

  • Projektive Verfahren:

    • Rorschach-Test,

    • TAT,

    • Sandspiel,

    • Objekt-Relationen-Test (ORT).

  • Verfahren zur Veränderungsmessung:

    • Heidelberger Umstrukturierungsskala (HUSS; Rudolf et al. 2000),

    • zentrales Beziehungs-Konflikt-Thema (ZBKT; Luborsky 1990, 1991; Luborsky u. Kächele 1988),

    • strukturale Analyse sozialen Verhaltens (SASB; Benjamin 1974; Tress 1993; Tress et al. 1990).

  • Verfahren zur Güte der therapeutischen Beziehung und der Therapeuteninterventionen:

    • „helping alliance questionnaire“ (HAQ; Luborsky 1991),

    • Beziehungsanspielungen in Psychotherapien (BIP; Herold 1998),

    • Plananalyse (PA; Weiss u. Sampson 1986).

  • Verfahren der Bindungsforschung:

    • „adult attachment interview“ (AAI, Main; s. George et al. 1985),

    • „adult attachment projective“—AAP (George et al. 1999),

    • Erwachsene-Bindung-Prototypen-Rating (EBPR; Strauß u. Lobo-Drost 1999),

    • gegenwartsbezogenes Bindungs-Interwiew (GBI; Crowell u. Owens 1996).

Indikationsstellung

Während die Bereiche von Diagnostik und Klassifikation wissenschaftlich gut untersucht sind, stützen sich Aussagen zur Indikationsentscheidung in starkem Maße auf Expertenmeinungen (s. Heigl 1972; Baumann 1981; Leuzinger 1981; Leuzinger-Bohleber et al. 2002, S. 258 ff.). Hier spielen die persönlichen Weiterbildungs- und Behandlungserfahrungen sowie institutionelle Kontexte (ambulante Praxis, stationäre Therapie) eine Rolle bei der Formulierung von Behandlungsempfehlungen, die zudem durch Aspekte des Versorgungssystems und seine Regelungen (z. B. ambulante Richtlinienpsychotherapie, Krankenhausbehandlung, Rehamaßnahmen) und durch berufsrechtlich verankerte Abrechnungsmöglichkeiten der einzelnen Therapeuten mitbeeinflusst werden. Die Berliner Psychotherapiestudie („Indikationsentscheidung und Therapierealisierung in unterschiedlichen psychotherapeutischen Praxisfeldern“) zeigte auf, dass sich Patienten, die ambulante analytische, tiefenpsychologische und stationäre Psychotherapien aufsuchen, hinsichtlich vielfältiger psychologischer und sozialer Merkmale unterscheiden (Rudolf et al. 1987).

Weitreichende Definitionen sind im Vertragswerk der Richtlinienpsychotherapie und dem zugehörigen Kommentar (Faber u. Haarstrick) niedergelegt. Danach lassen sich bei den psychoanalytischen Therapieverfahren zwei Hauptanwendungsformen unterscheiden: die analytische Psychotherapie und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Sie sind unterschiedlich bezüglich ihrer therapeutischen Zielsetzung, ihres therapeutischen Vorgehens und des aufgewandten Stundenumfangs sowie auch bezüglich der vorrangigen Indikation. Entsprechend der Logik des psychoanalytischen Ansatzes erfolgt die Indikationsentscheidung nicht symptombezogen, sondern ausgerichtet auf die Art und Schwere der Persönlichkeitspathologie. Nach Rudolf und Rüger (2001) ist die Indikation zur analytischen Psychotherapie gegeben, wenn die aktuelle Pathologie des Patienten vornehmlich durch sich in der Lebensgeschichte wiederholende Konfliktmuster gekennzeichnet ist und ein Behandlungserfolg nur durch die Bearbeitung der entsprechenden intrapsychisch verankerten Objektbeziehungsmuster möglich ist. Diagnostisch kann es sich dabei um ein breites Spektrum handeln, z. B. narzisstische, histrionische, anankastische, ängstlich-vermeidende, abhängige und schizoide Persönlichkeitsstörungen oder chronifizierte Angststörungen oder Dysthymien. Im Gegensatz dazu ist eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie indiziert, wenn die Symptombildung durch ein äußeres Lebensereignis ausgelöst wird, das ein bis dahin bestehendes Gleichgewicht des Patienten labilisiert hat. Therapeutische Bearbeitung gilt dann nicht dem Grundkonflikt, sondern den daraus abgeleiteten aktualisierten Konfliktthemen. Hier konzentriert sich die therapeutische Arbeitsbeziehung auf die Gegenwart und ist für den Patienten rascher auch im Hinblick auf positive Änderungsbemühungen umzusetzen. Die tiefenpsychologisch behandelte Labilisierung der Struktur kann auch durch schwere körperliche Krankheiten oder aktuelle traumatische Ereignisse erfolgt sein, die das bisher bestehende seelische Gleichgewicht destabilisiert haben. Die beiden Verfahren verstehen sich nicht als eine Alternative von großer und kleiner Psychotherapie, sondern von Ansätzen mit unterschiedlich starker Konfliktfokussierung und unterschiedlich starker Intensivierung von regressiven und Übertragungsprozessen.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die zeitgenössischen Verfahren der psychodynamischen Interviewdiagnostik ergänzt durch Patientenselbsteinschätzungen in der analytischen Psychotherapie geeignet sind:

  1. 1.

    ein diagnostisch klassifizierbares klinisches Bild nach Qualität, Schwere und Verlaufscharakteristik herauszuarbeiten,

  2. 2.

    psychodynamische Akzente bezüglich unbewusster Konflikte, struktureller Funktionsniveaus und dysfunktionaler Beziehungsgestaltung abzubilden,

  3. 3.

    eine prognostische Einschätzung und eine Differenzialindikation bezogen auf mögliche therapeutische Ansätze und ihre unterschiedlichen Zielsetzungen vorzunehmen.

6 Stand der Theorieentwicklung

W. Mertens

Psychoanalytische Theorie lässt sich nicht ohne Nennung ihrer Erkenntnistheorie und Methoden beschreiben, die ein spezifisches Forschungsfeld konstituieren. In einem jahrzehntelangen Diskurs wurde erörtert, dass die Psychoanalyse methodologisch als ein eigener Wissenschaftstypus definiert werden kann, der sich weder auf die herkömmliche naturwissenschaftliche Epistemologie noch auf eine geisteswissenschaftliche Hermeneutik festlegen lässt, sondern vielmehr Elemente dieser beiden Wissenschaftstraditionen in sich aufnimmt und zu einer neuen Synthese formt. In der aktuellen Diskussion wird eher reflektiert, in welcher Weise die Psychoanalyse, wie auch andere wissenschaftliche Disziplinen, in Zeiten des „wissenschaftlichen Pluralismus“, ihre eigene Forschungsmethodik und Qualitätskontrolle interdisziplinär vertreten kann (vgl. Präambel). So wäre es verkürzt, diese lediglich als eine Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden aufzufassen, da ihr eine grundlegend andere erkenntnistheoretische Haltung als manchen naturwissenschaftlichen Disziplinen vorgelagert ist, bei der es zu einer tendenziellen Aufhebung der herkömmlichen Subjekt-Objekt-Erkenntnisrelation kommt. Dem positivistischen Ideal des „Von uns selbst schweigen wir“ setzt die Psychoanalyse die Reflexion der eigenen Subjektivität gegenüber.

Weil sie nicht an bewusstseinsfähigen und abfragbaren Wissensbeständen interessiert ist, sondern an Szenen, in denen sich autobiographisch verdrängte und/oder nichtbewusste, nonsymbolische Interaktionszusammenhänge manifestieren, muss sie diese in einem intuitiven und abduktiven Vorgehen erschließen. Hierzu muss der Therapeut/Forscher seine eigenen, jeweils in ihm anklingenden sinnlich-emotionalen Reaktionsformen als seine Subjektivität ernst nehmen.

Der Einsatz kontrollierter Subjektivität wird zwar in jahrelangen Erkenntnisprozessen theoretisch und praktisch geschult, bleibt aber trotzdem fehleranfällig und deshalb permanent reflexionsbedürftig. Der noch bei Freud und der ersten Analytikergeneration relativ selbstverständlichen Evidenz des Gegenübertragungseindrucks wird deshalb heute eine Triangulation des methodischen Vorgehens an die Seite gestellt: Die intuitive, ganzheitliche und abduktive Erkenntnishaltung wird nach Möglichkeit durch Offline-Forschung (Moser 1989), Instantiierung von Modellen, z. B. anhand von Computersimulationen, (Moser et al. 1969; Moser 1980), komparative Kasuistik (z. B. Stuhr et al. 2001; Deneke et al. 2003), Hypothesenprüfung in Experimenten (z. B. Leuschner et al. 1998; Hau et al. 1999), qualitative Forschungsmethoden (z. B. Buchholz 1993, 1993, 1998; Streeck 1999; Boothe 1994) sowie durch interdisziplinäre Forschung validiert (z. B. Shevrin et al. 1996; Bucci 1997; Leuzinger-Bohleber u. Pfeifer 2002). Diese Validierung subsumiert die Psychoanalyse aber nicht unter das neopositivistische Ideal einer empiristischen Theoriebildung, die sich durch ständige Falsifizierung auszeichnen soll und aus der nach Art eines logischen Schlusses Einzelphänomene deduziert werden können. Vielmehr trägt die Psychoanalyse auch in ihrer Methodologie dem Faktum einer nichtlinearen systemischen Verfasstheit unbewusster und bewusster mentaler Phänomene Rechnung. Vor allem mit der Unterscheidung von konnotativen und denotativen Theorien liegt eine tragfähige methodologische Basis vor, die eine Charakterisierung der Spezifika einer psychoanalytischen Theorienbildung ermöglicht (vgl. Schülein 1999, 2003). Während denotative Theorien eine weitgehende Identität ihres Gegenstandsbereiches unterstellen, gehen konnotative Theorien von einer prinzipiell nicht berechenbaren Eigendynamik der zu untersuchenden Faktoren aus. Konnotative Theorien lassen sich daher auch nicht in universelle Gesetzmäßigkeiten fassen, sondern bleiben zwangsläufig unscharf und sind zudem immer kontextuell (Warsitz 1997).

Metapsychologie und interdisziplinärer Diskurs

An die Stelle der Freudsche Metapsychologie, der Aufforderung, einen psychischen Sachverhalt topisch, ökonomisch, dynamisch, strukturell—also methoden- und theorieplural—zu betrachten, tritt heute eine interdisziplinäre Würdigung bewusster und unbewusster Vorgänge der Wahrnehmung, Erinnerung, Emotion, Motivation und Handlung. Dabei ist im interdisziplinären Vergleich nicht nur die externale Kohärenz (Strenger 1991) psychoanalytischer Modellvorstellungen zu bestimmen, sondern die klinisch psychoanalytischen Erkenntnisse stellen ebenso eine Herausforderung und Bereicherung für die Theorien und Befunde aus den Kognitions- und Neurowissenschaften dar (Leuzinger-Bohleber 2002; Leuschner 2002), sofern diese an einem Diskurs mit der Psychoanalyse interessiert sind (Bucci 2000; Roth 2001, 2003; vgl. auch internationale Zeitschrift: Neuro-Psychoanalysis).

Als ein Beispiel dafür, wie Vorstellungen über metapsychologische Grundannahmen im Lichte heutiger neuro- und kognitionswissenschaftlicher Theorien und Befunde ergänzt werden können, soll das strukturelle Modell Freuds betrachtet werden. Die unbewussten Prozesse, die in den sog. Strukturen des Es, Ich und Über-Ich ablaufen, stellen sowohl aus hirnanatomischer als auch funktionaler Sicht unterschiedliche Systeme dar (Deneke et al. 2001; Roth 2001). Dabei ist nicht nur von verdrängten Triebwünschen im Es auszugehen, die sekundär unbewusst geworden sind, sondern auch von Impulsen, die einer Urverdrängung unterlegen sind und damit niemals symbolisiert werden konnten, ferner von unbewussten Operationen im Ich, zu denen die Abwehrmaßnahmen gehören, und schließlich von unbewussten Anteilen im Über-Ich. Zu den Letzteren gehören—in heutiger Terminologie ausgedrückt—Konditionierungswissen und Regeln darüber, wie mit Emotionen im sozialen Austausch umzugehen ist. Neben kulturell allgemeingültigen Handlungs- und Verhaltensweisen gehören hierzu auch die Ergebnisse unzähliger Aushandlungsprozesse, in denen auf sehr idiosynkratische Weise Wünsche von Eltern und Kind zur Geltung kommen und in denen über die Berechtigung von emotionalen und wunschbestimmten Handlungen gestritten wird. Das bereits im ersten Lebensjahr entstehende nichtdeklarative Wissen ist zwar nicht mit dem psychodynamisch Verdrängten gleichzusetzen, aber das Unbewusste der Freudianer ist auch schon bei Freud weiter gefasst als lediglich das psychodynamisch Verdrängte. Abwehrprozesse sind Emotionsregulierungen, die durch Angst ausgelöst werden. Frühe Über-Ich-Introjekte können als Inhalte des klassischen Konditionierungsgedächtnisses aufgefasst werden, die, einmal erworben, ein ganzes Leben lang wirksam bleiben können, ohne dass der Betreffende sich explizit erinnern kann, woher diese stammen—ganz im Unterschied zu den autobiographisch reflektierbaren, wenngleich auch prinzipiell für Abwehrvorgänge, wie der Verdrängung, anfälligen, aus späterer Zeit stammenden Gewissensinhalten. In den Strukturen von Ich und Über-Ich, die um Adaption, Handlungssteuerung und Berücksichtigung von sozialen Normen bemüht sind, laufen gedächtnispsychologisch somit sowohl deklarative als auch nichtdeklarative Prozesse ab. Die moderne Psychoanalyse hält aufgrund ihrer klinischen Erfahrung differenzierte Vorstellungen darüber bereit, wie nichtbewusste, psychodynamisch unbewusste und bewusste Prozesse, z. B. bei der Über-Ich-Steuerung, ineinander greifen (z. B. Emde u. Buchsbaum1990; Emde et al. 1991; Wurmser 1987).

Die sog. Ich-Funktionen, die sich als Wahrnehmen, Erinnern, Fühlen, Planen und Handlungssteuerung beschreiben lassen, werden auf dem Hintergrund konstruktivistischer Wahrnehmungstheorien (Pally 1997), kognitiver und neurobiologischer Gedächtnistheorien, die von der Modularität des menschlichen Gedächtnisses ausgehen (z. B. Squire 1994; Clyman 1992; Sandler u. Sandler 1997; Köhler 1998; Davis 2001; Talvitie u. Ihanus 2002) und von zeitgenössischen emotionspsychologischen Theorien (z. B. Krause 1997; Le Doux 1998; Roth 2001) über emotionale und motivationale Handlungsregulierung ebenfalls differenzierter erfassbar.

Psychoanalytische Disziplinen

Psychoanalytische Trieb-/Motivations- und Emotionstheorien

Im Unterschied zu der lange Zeit vernachlässigten Thematik der Triebbedürfnisse und Emotionen in der Psychologie betonte die Psychoanalyse seit ihrer Entstehung die triebhafte Dynamik seelischer Phänomene und deren konflikthafte Ausgestaltung. Im Verlauf des 20. Jh. ergaben sich folgende Theorielinien: von Freuds früher Annahme eines Selbsterhaltungs- und Sexualtriebs, von narzisstischer Libido und Objektlibido, einer späteren dualen Triebtheorie von Libidio und Aggression, über Whites Kompetenz- und „mastery drive“, Bowlbys Bindungstrieb, Lichtenbergs multipler Motivationstheorie hin zu einer revidierten „Trieblehre“ (Westen 1997).

Wies die psychoanalytische Emotionstheorie bei Freud noch zahlreiche Unstimmigkeiten auf, so bereiteten vor allem die Arbeiten von Krause (1991, 1997) und Moser (1996) den Weg für eine konsistente Betrachtungsweise.

Psychoanalytische Entwicklungstheorien

Psychoanalytische Entwicklungstheorien beschäftigen sich mit der psychischen Realität eines Menschen in diachroner Hinsicht. Der Fokus liegt also nicht in erster Linie auf dem beobachtbaren Verhalten eines Kindes in einem bestimmten Entwicklungsalter, sondern mehr darauf, wie ein Kind oder ein Jugendlicher eine Erfahrung in einem bestimmten Lebensalter und mit einem bestimmten Entwicklungsstand emotional-kognitiv oder—wie Psychoanalytiker sich ausdrücken—in der Phantasie verarbeitet, wie Erfahrungen als psychische Realität mentalisiert werden und wie diese Repräsentationen von Erfahrungen wiederum gegenwärtige Wahrnehmungen und Handlungen beeinflussen.

Psychoanalytische Entwicklungstheorien betrachten Entwicklung konfliktorientiert: Konflikte erwachsen zu einem Großteil aus der Nichtübereinstimmung kindlicher und elterlicher Wünsche und Interessen, zu einem geringeren Teil aus der Eigendynamik leibseelischer Prozesse. Hinzu kommen Einschränkungen und Defizite elterlicher Kompetenzen, die in Wechselwirkung mit kindlichen Dispositionen zur defizitären Ausbildung von Fähigkeiten und zur weiteren Entstehung von Konflikten beim Kind führen. Wenn diese Faktoren das Ausmaß der kindlichen Anpassungsfähigkeit überschreiten, werden sie zu traumatisierenden Bedingungen. Nicht nur ein einzelnes (Schock-)Trauma, sondern sich kumulierende Mikrotraumata, d. h. elterliche Verhaltensweisen, die den Entwicklungsbedürfnissen eines Kindes nicht gerecht werden, sind ebenfalls bevorzugter Gegenstand der Betrachtung. Eine Traumatisierung kann auch dann erfolgen, wenn von einem Kind intensive Gefühle nicht ausreichend verarbeitet werden können, weil die Eltern in ihrem „containment“ bzw. in ihrer Fähigkeit, sich ihr Kind als wollendes und begehrendes Wesen vorzustellen und sich in seine jeweiligen Absichten und Bedürfnisse einzufühlen, mehr oder weniger versagen (Fonagy 1998; Fonagy u. Target 1996, 1998, 2001). Da sich Eltern-Kind-Beziehungen immer in einem soziokulturellen und -ökonomischen Rahmen abspielen, sind in den Modellvorstellungen der psychoanalytischen Entwicklungslehre Entwicklungs- und Sozialisationsprozesse nicht voneinander zu trennen (Lorenzer 1970a, 1970b).

In den letzten Jahren entstand ein stärkeres interdisziplinäres Interesse an kognitiv und behavioral orientierten Entwicklungstheorien, wie z. B. der Kleinkind- und Bindungsforschung. Manche Kleinkindforscher monierten vor allem, dass psychoanalytische Theorien über die frühe Kindheit theoretisch überfrachtet und empirisch unterbestimmt seien. Die ursprünglichen metapsychologischen Annahmen brächten es mit sich, dass repräsentationale Fähigkeiten des Kleinkindes entweder über- oder unterschätzt werden (Dornes 1993, 1997, 2000). In der Auseinandersetzung mit diesen Einwänden wurden aber ebenfalls die Beschränkungen der kognitiven Entwicklungspsychologie, die teilweise auch der Konstruktion eines kompetenten Säuglings immanent sind, deutlich erkannt: Sie liegen immer noch in einer Überschätzung der kognitiven und rationalen Funktionen eines Kindes bei einer gleichzeitigen Vernachlässigung der emotionalen und beziehungsmäßigen Gegebenheiten von Entwicklung.

Klinische Psychoanalyse (allgemeine und spezielle Krankheitslehre)

Die allgemeine Krankheitslehre war theoretisch in der ersten Hälfte des 20. Jh. in ihren ätiologischen, psychogenetischen und psychodynamischen Modellvorstellungen weitgehend am Trieb-Abwehr-Konflikt-Denken des späten Freud und der amerikanischen Ich-Psychologie orientiert. Weiterentwicklungen der klassischen Psychoanalyse in Form der analytischen Psychologie C. G. Jungs, der Individualpsychologie A. Adlers, der verschiedenen Objektbeziehungstheorien, der Selbstpsychologie, der Post-Ich-Psychologie, der Post-Kleinianischen Schule, der intersubjektiven und interpersonellen Richtungen und in den letzten Jahren der Bindungstheorie brachten diverse Modifizierungen und neue Gewichtungen, z. B. hinsichtlich des bewussten und unbewussten neurotogenen Einflusses von Eltern mit sich. Eine Neuerung betrifft z. B. die Konzeptualisierung von diversen Bewältigungsmodi, die in Form von Phantasien, Abwehrmaßnahmen, charakterstrukturellen Haltungen auftreten (Mentzos 1982; Rudolf 1996). Hierzu sind auch die Bindungsstile zu rechnen (Fonagy 2003) sowie die daraus resultierenden Beeinträchtigungen, die sich aufgrund einer persistierenden Konflikt- und Traumadynamik, aber auch der partiell dysfunktionalen Bewältigungsmodi ergeben (Ermann 1996; Rudolf 1996; Hoffmann u. Holzapfel 2000; Rüger u. Reimer 2000, Senf u. Broda 1996).

Im gegenwärtigen Diskurs von Entwicklungspsychologie, Bindungsforschung, Objektbeziehungstheorien und interpersonellen Theorien werden Prozesse der psychischen Strukturbildung und des Erwerbs basaler psychischer Funktionen (u. a. Mentalisierung, Symbolisierung, „affect attunement“, Affekt- und Beziehungsregulierung) als Grundlagen der individuellen Trauma- und Konfliktbewältigung in ihrer klinischen Bedeutung untersucht.

Konflikt und Trauma

Die in der Psychoanalyse lange Zeit vorherrschende, auf der Identifizierung unbewusster Konflikte beruhende Rekonstruktionsperspektive erfuhr eine erhebliche Ausweitung und Differenzierung, als anhand der Ergebnisse der Bindungs- und Traumaforschung, vor allem aber auch durch entwicklungspsychologische Erkenntnisse frühere, in der Zwischenzeit aber vernachlässigte traumatheoretische Ansätze Berücksichtigung fanden (Bohleber 2000; Fischer u. Riedesser 1998). Vor allem das nahezu ubiquitäre Vorkommen von Entwicklungstraumatisierungen führte zu einer erheblichen Neukonzeptualisierung von Rekonstruktionsannahmen.

Gegenüber Sichtweisen, die dichotomisierend nur Traumatisierungen für die gegenwärtige Pathologie geltend machen oder nur Konflikte, wird die Verschränkung von Traumatisierungen und Konflikten betont, wenngleich der Ausgangspunkt oftmals in Entwicklungstraumatisierungen zu suchen ist. Aufgrund der sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit von entwicklungspsychologischen Errungenschaften, wie z. B. der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme, ergibt sich ein komplexes Gefüge von Trauma- und Konfliktfolgen sowie den daraus resultierenden strukturellen Beeinträchtigungen von Ich-Kompetenzen (wie z. B. Affektregulierung, Mentalisierung von Affekten, Perspektivenübernahme, Bindungsfähigkeit u. a. m.; vgl. Arbeitsgruppe OPD 1996; Fonagy u. Target 1996). Ein reger Diskurs über die gedächtnispsychologischen Implikationen von Traumatisierungen und Traumafolgen ist in den 90er-Jahren entstanden (Bohleber 2000; Fischer u. Riedesser 1998; Hinckeldey u. Fischer 2002; van der Kolk 1998).

Abwehrmechanismen

Präzisere theoretische Konzeptualisierungen haben zu besseren diagnostischen Möglichkeiten von Abwehrprozessen geführt (z. B. Ehlers et al. 1995; Hentschel et al. 1993; Leichsenring 1997, 1999, 1999; Smith et al. 1989; Vaillant 1992; Perry 1993). Mit Hilfe diverser Methoden [“meta-contrast technique“ (MCT), „defense mechanism test“ (DMT), Fragebogen zu Konfliktbewältigungsstrategien (FKBS), Selbstbeurteilung von Abwehrkonzepten (SBAK), Borderline-Persönlichkeits-Inventar (BPI), Rorschach-Test (RT), „Holtzman inkblot technique“ (HIT)] werden bei verschiedenen klinischen Störungen Abwehrmechanismen diagnostiziert (z. B. Küchenhoff 1993, Leichsenring 1999, 1999, 1999; Leichsenring 2004). Kleinkind- und Bindungsforschung haben z. T. in anderer Terminologie ebenfalls befruchtend für die theoretisch verfeinerte Konzeptualisierung und Beobachtung der Entstehung von Abwehrformen im Mutter-Kind-Kontakt gewirkt.

Neurotische Stile

Das Konzept der neurotischen Stile (Shapiro 1991) integriert kognitive Funktionen, affektive Funktionen und die Art der Objektbeziehungen. Es ist inzwischen erfolgreich erweitert worden auf die Funktionsstile von Borderlinepatienten (Leichsenring 1996, 2004). Das Konzept der Borderlinefunktionsstile verbindet Ich-Psychologie und Objektbeziehungstheorie mit Piagets Theorie der kognitiven Entwicklung. Für dieses Konzept liegt inzwischen eine Viehlzahl von empirischen Ergebnissen vor, die die zugrunde liegenden Annahmen bestätigen (z. B. Leichsenring et al. 1992; Leichsenring 1996, 2004; Leichsenring u. Sachsse 2002).

Selbstwertregulation

Die Auseinandersetzung mit der Selbstpsychologie Kohuts (1973, 1979) verdeutlichte, wie wichtig die Selbstwertregulation ist und wie sehr eine gestörte Selbstwertregulation bei psychischen Erkrankungen generell, und nicht nur bei narzisstischen Persönlichkeitsstörungen, eine bedeutende Rolle spielt.

Insbesondere die Schaffung eines Narzissmus-Inventars von Deneke und Hilgenstock (1989) erwies sich für die Einschätzung der Selbstwertregulation als bedeutsam, da begrifflich und konzeptuell in diesem Bereich terminologische Unklarheit bestand. Seitdem sind mehrere empirische Arbeiten mit diesem Instrument entstanden (Ehlers u. Plassmann 1994; Fliege et al. 2003; Kruse et al. 2000; Thiel u. Schüßler 1995; Thiel et al. 1999; Wietersheim et al. 2003).

Bewältigungsmodi

Die in den 70er- und 80er-Jahren gebräuchliche Redeweise von einer schizoiden, depressiven, zwanghaften usw. Persönlichkeit wurde psychodiagnostisch in Bewältigungsmodi früh erfahrener Grundkonflikte und Traumatisierungen transformiert (Mentzos 1982; Rudolf 1996). Jede Person reagiert auf einen depressiven Grundkonflikt z. B. mit narzisstischen, schizoiden, zwanghaften Bewältigungsmodi, die situativ, interaktionell, lebensalterspezifisch eingesetzt werden können, deshalb aber keinen starren und allumfassenden „Persönlichkeitstypus“ zu verkörpern brauchen, auch wenn diese Modi durchaus habituell werden können. Symptome stellen sich ein, wenn die Bewältigungsmodi, z. B. aufgrund ihrer einseitigen Handhabung oder ihres jahrelangen Einsatzes, den betreffenden Menschen überfordern und/oder wenn die damit einhergehenden Abwehrmechanismen aufgrund intensiver Versuchungs- oder Versagungssituationen dekompensieren.

Strukturelle Ich-Kompetenzen, Niveau der Persönlichkeitsorganisation

Spätestens seit der Ich-Psychologie haben Psychoanalytiker Symptome und neurotische Beeinträchtigungen des Erlebens und Verhaltens nicht nur deskriptiv klassifiziert—wie im DSM-IV oder der ICD-10—sondern auch mit dem Niveau der Persönlichkeitsorganisation in Verbindung gebracht, das sich anhand sog. struktureller Kompetenzen definieren lässt, wie z. B. der Fähigkeit, sich selbst und andere Personen differenziert wahrzunehmen, Affekte benennen, differenzieren und tolerieren, sexuelle und aggressive Impulse steuern und tolerieren zu können u. a. m (Blanck u. Blanck 1985; Arbeitsgruppe OPD 1996; vgl. auch Präambel). Mit dem Borderline-Persönlichkeits-Inventar (BPI, Leichsenring 1997) ist ein inzwischen auch internatonal verwendetes Selbstbeurteilungsinstrument entwickelt worden, das es ermöglicht, die strukturellen Kriterien der Persönlichkeitsorganisation im Sinne Kernbergs (1981) zu erfassen (Niveau der Abwehrmechanismen, Identitätsintegration, Realitätsprüfung). Das BPI hat sich in verschiedenen Untersuchungen als reliabel und trennscharf erwiesen (Leichsenring 1997, 1999; Leichsenring et al. 2003, Chabrol et al. 2004).

Die Einschätzung des Strukturniveaus aus der Sicht des Untersuchers/Therapeuten ist in dem diagnostischen System OPD auf der Strukturachse operationalisiert beschrieben; zur Unterstützung des praktischen Vorgehens liegt eine Strukturcheckliste vor. Die Praktikabilität der OPD Struktureinschätzung gilt als besonders gut; in diesem Bereich konnten die vergleichsweise höchsten Reliabilitätswerte erzielt werden (Rudolf et al. 1998, 2002)

Spezielle Krankheitslehre

Die spezielle Krankheitslehre der Psychoanalyse verfügt heute über ein stetig expandierendes Wissen über reaktive Störungen, neurotische Krankheitsbilder, Psychosomatosen, Süchte und posttraumatische Neurosen (Ahrens 1997; Ermann 1995; Hoffmann u. Holzapfel 2000; Senf u. Broda 1996). Neben immer präziseren Vorstellungen über Ätiologie und Psychogenese eines spezifischen Krankheitsbildes haben insbesondere Differenzierungen der Psychodynamik und die Berücksichtigung des Strukturniveaus zu diagnostischen Untergruppen bestimmter Krankheiten geführt. So unterscheiden z. B. Will et al. (1998) eine psychotische Depression mit desintegrierter Persönlichkeitsstruktur, eine Borderlinedepression bei schweren Persönlichkeitsstörungen mit gering integriertem Strukturniveau, depressive Neurosen und depressive Persönlichkeiten auf mittlerem Strukturniveau mit mäßig integrierter Persönlichkeitsstruktur, depressive Neurosen und depressive Persönlichkeiten auf ödipal-neurotischem Strukturniveau mit gut integrierter Struktur und depressive Reaktionen auf belastende Lebensumstände bei zumeist ebenfalls gut integrierter Struktur. Quint (1984, 2000) grenzt eine Zwangsneurose vom eher klassischen Typ mit mäßig integrierter Struktur von Zwangserkrankungen ab, die im Dienste der Verhinderung einer Psychose stehen und schwere Selbstwertdefizite regulieren helfen sollen.

Psychoanalytische Behandlungstechnik

In über 100 Jahren hat die Psychoanalyse ein fruchtbares und vielfältiges Behandlungswissen über den Umgang mit Arbeitsbündnis, freier Assoziation, psychoanalytischer Erkenntnishaltung, Übertragung, Gegenübertragung, Widerstand und Beendigung aufgebaut (Thomä u. Kächele 1985, 1988; Mertens 1990). Allerdings dominierte in der ersten Hälfte des 20. Jh. die Behandlungstechnik für Neurosen, d. h. für psychische Erkrankungen auf einem relativ hohen Strukturniveau. Nach einer immer stärkeren Verschiebung des theoretischen Interesses und der Indikationsstellungen auf die „frühen Störungen“, d. h. auf Krankheitserscheinungen, wie Psychosen, Borderlinestörungen, Persönlichkeitsstörungen, Psychosomatosen, Süchte, Perversionen, die zumeist bereits in den ersten 3 Lebensjahren grundgelegt werden, wurde offensichtlich, dass in der psychoanalytischen Psychotherapie noch andere Formen der analytischen Beziehung zu berücksichtigen und zu konzeptualisieren sind. So gibt es neben der Als-Ob-Welt oder der „Mikrowelt“ der Übertragung noch eine Beziehungsregulierung, der nichtbewusstes implizites Beziehungswissen zugrunde liegt. Bei den frühen Störungen ist diese Beziehungsregulierung aus den verschiedensten Gründen gestört und beeinträchtigt (Moser 2001).

Immer deutlicher wurde somit auch, dass Übertragungsdeutungen und die sich daraus ergebende emotionale Einsicht überwiegend für den Bereich der Mikrowelt (intra- und extraanalytische Übertragungen und daraus entstehende Verzerrungen im Kontext des autobiographischen Wissens und seiner Konsequenzen für die Beziehungswahrnehmung und -gestaltung) bedeutsam sind, nicht jedoch für den Bereich der grundlegenden Beziehungsregulierung, die von nonverbalen, sensorischen und affektiven Aspekten von Interaktion und Kommunikation gestaltet wird (Sander et al. 1998; Stern et al. 1998; Schmidt 2003). Eine gestörte oder defizitäre Beziehungsregulierung entsteht vor allem aufgrund der Unfähigkeit, Affekte bei sich selbst und bei anderen Menschen angemessen dekodieren zu können (Krause 1983, 1997), eigene Affekte regulieren zu können sowie aufgrund der partiellen Fixierung an den Äquivalenzmodus psychischer Realität, der einen realitätsadäquaten Denkprozess erschwert (Fonagy u. Target 1996, 2000; Target u. Fonagy 1996).

Behandlungstechnisch wird der Verschränkung von Beziehungsregulierung und Mikrowelt mit der Einführung modifizierter Strategien Rechnung getragen, wie z. B. einer spezifischen Technik für die Borderlinetherapie in Form der übertragungsfokussierten Psychotherapie für Borderlinestörungen („transference focussed psychotherapy“, TFT) von Kernberg et al. (1993), Yeomans et al. (2002) oder in verschiedenen Formen der Kurzzeittherapie (KZT), z. B. für Persönlichkeitsstörungen anhand der spezifischen psychodynamischen KZT von Persönlichkeitsstörungen von Tress et al. (2003), sowie mit spezifischen traumatherapeutischen Behandlungsansätzen bei posttraumatischen Belastungsstörungen. Imaginations- und Gestaltungsprozesse, wie sie lange aus der analytischen Kindertherapie bekannt waren, werden heute zunehmend bei psychotischen Erkrankungen (Benedetti 1983), aber auch in der stützenden Psychotherapie bei schweren somatischen Erkrankungen und vor allem in der stationären Psychotherapie eingesetzt.

Psychoanalytische Psychosomatik

In der modernen psychoanalytischen Psychosomatik wird nur noch für einen Teil von körperlichen Erkrankungen davon ausgegangen, dass in ihnen symbolisch verschlüsselte Kindheitskonflikte zum Ausdruck kommen. Vielmehr werden sie als nichtsymbolisierbares, somatophysiologisches Korrelat nichtdeklarativer/impliziter Erfahrungen verstanden, die auf früh erlittene Traumatisierungen mit unbewältigbarem Stress und nicht oder nur mangelhaft regulierbaren somatopsychischen Spannungszuständen zurückgehen (z. B. v. Rad 1983; Overbeck 1984; Ermann 1987; Janssen 1987; Küchenhoff 1992). Damit wurde auch das Spezifitätsmodell, die Möglichkeit einer Zuordnung von psychosomatischen Krankheitsbildern zu bestimmten psychosexuellen Entwicklungsphasen in der Kindheit, die in der klassischen psychoanalytischen Psychosomatik lange Zeit maßgeblich war, entkräftet (Küchenhoff 1994). Für eine genauere Strukturdiagnostik des Körperbildes entsprechend den Kriterien der Strukturdiagnostik der OPD hat Küchenhoff (2003) einen Vorschlag ausgearbeitet.

7 Wirkungsnachweise psychoanalytischer Therapie

Wirkungsforschung—Allgemeine Vorbemerkungen zum Vorgehen und zur Methodik der Wirkungsforschung

Die Darstellung der Wirkungsuntersuchungen zur psychoanalytischen Therapie orientiert sich an den vom WBP definierten Anwendungsbereichen. Es wurde keine erschöpfende Literaturrecherche und Darstellung angestrebt. Der Forschungsstand zur psychoanalytischen Therapie wird nicht umfassend dargestellt. Ziel war es, das Mindestmaß an Studien darzustellen, die die vom WBP aufgestellten Kriterien für angemessene Wirkungsstudien erfüllen. Weiterhin werden Metaanalysen angeführt, die auf einer höheren Allgemeinheitsstufe Belege für die Wirksamkeit von psychoanalytischer Therapie liefern.

Die Darstellung erfolgt getrennt für den Bereich der Erwachsenen- und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie.

Die vorliegenden Einstufungen von Evidenzgraden orientieren sich an RCTs, die von der Task-Force der American Psychological Association (1995; Chambless u. Hollon 1998) als „Goldstandard“ angesehen werden. Danach kann ein Wirkungsnachweis ausschließlich durch RCTs erbracht werden (Task-Force der American Psychological Association 1995; Chambless u. Hollon 1998). Diese Verabsolutierung von RCTs wird aber in der Psychotherapieforschung zunehmend in Frage gestellt (Seligman 1995; Persons u. Silberschatz 1998; Beutler 1998). Es ist hier nicht der Ort, diese Diskussion umfassend darzustellen. Hier sollen nur einige zentrale Aspekte herausgegriffen werden, die für die Frage des Wirkungsnachweises von psychoanalytischen Therapien von Bedeutung sind: RCTs liefern Belege für die Wirksamkeit von Therapien unter streng kontrollierten Laborbedingungen. Diese betreffen u. a. die Auswahl der Patienten, die Manualisierung des therapeutischen Vorgehens, die Auswahl und das Training der Therapeuten oder die Dauer der Therapie. Naturalistische Studien liefern dagegen Belege für die Wirksamkeit von Therapien unter den Bedingungen der realen Versorgungspraxis. In RCTs werden nicht die in der Praxis angewendeten Formen psychotherapeutischer Verfahren geprüft, sondern spezifische Formen dieser Verfahren, die auf die kontrollierten Laborbedingungen zugeschnitten sind (Auswahl der Patienten, Therapeuten, Manualisierung, Therapiedauer etc.). Es werden damit abgewandelte Formen psychotherapeutischer Verfahren untersucht. Dies betrifft psychoanalytische Therapie ebenso wie Verhaltenstherapie oder andere Therapieformen, wenn sie in RCTs geprüft werden. In diesem Sinn lassen sich die in RCTs angewendeten psychoanalytischen Therapieverfahren als die Laborform psychoanalytischer Therapie auffassen: Die behandlungstheoretisch relevanten Konzepte, wie etwa Regression, Übertragung, Widerstand, sowie die Art der Interventionen werden auf die Bedingungen der kontrollierten Studie, zu denen auch die Dauer der Therapie gehört, abgestimmt. Wegen dieser Unterschiedlichkeit können die in RCTs gewonnenen Wirkungsbelege nicht direkt auf die Praxis der psychotherapeutischen Versorgung übertragen werden. Für Wirkungsbelege psychotherapeutischer Verfahren unter Praxisbedingungen sind naturalistische Studien erforderlich. Aus diesem Grund stellen die Ergebnisse zur Wirksamkeit psychoanalytischer Therapie, die aus naturalistischen Studien stammen, wichtige Belege für die Wirksamkeit in der Praxis dar. Diese Praxisforschung ist von psychoanalytischer Seite stärker vertreten worden als von anderen Therapieformen, auch von der Verhaltenstherapie, die ihrerseits stärker in der Laborforschung (RCTs) vertreten ist. Aus diesen Gründen werden in der vorliegenden Dokumentation auch Ergebnisse aus naturalistischen Studien angeführt, die die für die Praxis so wichtigen Wirkungsbelege liefern

7.1 Studien zur Wirksamkeit von psychoanalytischer Therapie bei Erwachsenen

F. Leichsenring

7.1.1 Depression (ICD-10 F3)

Mehrere RCTs belegen die Wirksamkeit von psychoanalytischer Therapie bei Depression (Hersen et al. 1984; Thompson et al. 1987; Gallagher-Thompson et al. 1990; Gallagher-Thompson u. Steffen 1994; Shapiro et al. 1994, 1995; Barkham et al. 1996). Nach den Ergebnissen einer neueren Metaanalyse sind psychoanalytische Therapie und kognitiv-behaviorale Therapie (CBT) bei der Behandlung von Depression gleichermaßen wirksam (Leichsenring 2001). Danach erzielt psychoanalytische Therapie große Effekte (Prä-Post) im Sinne von Cohen (1988) bei der Reduzierung der depressiven Symptomatik [Effektstärke (ES) 0,90–2,80] sowie bei der allgemeinen psychiatrischen Symptomatik (ES 0,79–2,65). In 2 RCTs war psychoanalytische Therapie kombiniert mit Psychopharmakotherapie wirksamer als Psychopharmakotherapie allein (de Jonghe et al. 2001; Burnand et al. 2002).

Anmerkung: Die Studien zur interpersonellen Therapie (IPT) der Depression (z. B. DiMascio et al. 1979; Elkin et al. 1989) sind hier nicht angeführt worden, obwohl dies eine gewisse Berechtigung hätte. So wurde die IPT in der NIMH-Studie von Therapeuten durchgeführt, die eine Ausbildung in psychodynamischer Therapie haben mussten (Elkin et al. 1985, S. 307, 308).

7.1.2 Angststörungen (ICD-10 F40–42)

In einem RCT von Zitrin et al. (1983) und Klein et al. (1983) zur Behandlung von Agoraphobie, gemischter Phobie und einfacher Phobie war psychoanalytische Therapie kombiniert mit Imipramin ebenso wirksam wie Verhaltenstherapie plus Imipramin (Klein et al. 1983, S. 141). Dies betraf alle 3 Formen von Phobien, für die die Autoren getrennte Auswertungen vornahmen: „In this study, contrary to our initial expectations, we found essentially no differences between BT... and dynamically oriented ST in treating all three categories of phobia... It was not that patients did poorly with BT; rather they did unexeptectedly well with ST.“

In einem RCT zur Panikstörung war psychoanalytische Therapie kombiniert mit Clomipramin einer ausschließlichen Behandlung mit Clomipramin im 9-Monats-Follow-up signifikant überlegen im Hinblick auf die Prophylaxe von Rückfällen (20% vs. 75%) sowie in verschiedenen Maßen der Psychopathologie (Wiborg u. Dahl 1996). Unmittelbar nach Therapieende waren beide Methoden dagegen noch gleich wirksam.

Auch in einer offenen Interventionsstudie von Milrod et al. (2000, 2001) erreichte psychoanalytische Therapie bei Panikstörungen signifikante Verbesserungen mit großen Effekten, die sich im Follow-up nach 40 Wochen als stabil erwiesen. Auch hier waren die Erfolgsraten hoch: 93% bei Therapieende, 90% zur Katamnese. Eine signifikante und in der Katamnese nach 6 Wochen stabile Reduzierung der (Trait-)Angst konnten Bassler und Hoffmann (1994) in einer offenen Interventionsstudie sowohl für Patienten mit Panikstörungen als auch für Patienten mit Agoraphobie nach einer manualgeleiteten 12-wöchigen stationären Behandlung zeigen. Signifikante Verbesserungen bei Patienten mit generalisierter Angststörung (GAS) nach psychoanalytischer Therapie haben Crits-Christoph et al. (1995) in einer offenen manualgeleiteten Interventionsstudie nachgewiesen. Die gefundenen Prä-Post-Effektgrößen waren groß (Angst: ES 0,95–1,99) und liegen in der Größenordnung, wie sie für kognitive Therapien berichtet werden (Crits-Christoph et al. 1996; Chambless u. Gillis 1993). Auch die Erfolgsquote war relativ hoch (79%). Für eine Stichprobe von Patienten, die überwiegend unter Angststörungen (60%) litten, berichten Svartberg et al. (1995) einen großen Effekt von psychoanalytischer Therapie bei der Reduzierung der Symptombelastung und eine reliable und klinisch signifikante Verbesserung bei 75% der Patienten.

7.1.3 Belastungsstörungen (ICD-10 F43)

Signifikante Besserungen bei posttraumatischen Belastungsstörungen (PTSD) oder Anpassungsstörungen durch psychoanalytische Therapie wurden in verschiedenen kontrollierten Untersuchungen demonstriert (Brom et al. 1989; Horowitz et al. 1984; McCallum u. Piper 1990; Piper et al. 2001). In dem RCT von Brom et al. (1989) zur Behandlung von PTSD war die psychoanalytische Therapie (nach Horowitz) ebenso wirksam wie die verhaltenstherapeutische Vergleichsbedingung (systematische Desensibilisierung), und beide Therapieformen waren einer Warte-Listen-Bedingung überlegen. In dem RCT von McCallum und Piper (1990) zur Behandlung von pathologischen Trauerreaktionen nach Verlust war die psychoanalytisch orientierte Gruppentherapie einer Wartegruppe signifikant überlegen. In einem anderen RCT von Piper et al. (2001) zur Behandlung von komplizierten pathologischen Trauerreaktionen nach Verlust war die psychoanalytisch orientierte Gruppentherapie einer supportiven Gruppentherapie signifikant überlegen. In der Studie von Horowitz et al. (1984) reduzierte sich die Symptomatik (pathologische Trauerreaktionen) nach psychoanalytischer Therapie auf das Niveau der Kontrollbedingungen (Normalstichprobe mit Verlust eines Elternteils). Auch Holm-Hadulla et al. (1997) berichten für Patienten mit Anpassungsstörungen (nach DSM-III-R) große Effekte, die deutlich über denen einer unbehandelten Kontrollgruppe lagen. In einer offenen Interventionstudie konnten Jones et al. (1988) signifikante und im Follow-up stabile Effekte nach psychoanalytischer Therapie nachweisen.

7.1.4 Dissoziative, Konversions- und somatoforme Störungen (ICD-10 F44, F45, F48)

In fünf RCTs wurde die Wirksamkeit von psychoanalytischer Therapie bei somatoformen Störungen gezeigt (Svedlund et al. 1983; Guthrie et al. 1991; Baldoni et al. 1995; Hamilton et al. 2000; Monsen u. Monsen 2000). Psychoanalytische Therapie war einer Kontrollbedingung („treatment as usual“, TAU) signifikant überlegen. Die Therapieergebnisse erwiesen sich in Follow-up-Untersuchungen nach 1–4 Jahren als stabil. Die Studien von Svedlund et al. (1983) und Guthrie et al. (1991) beziehen sich auf Patienten mit Reizdarm, die Studie von Hamilton et al. (2000) auf Patienten mit funktioneller Dyspepsie, die Studie von Monsen und Monsen (2000) auf Patienten mit somatoformer Schmerzstörung (ICD-10: F45.4, DSM-IV 307.80) und die Studie von Baldoni et al. auf Patienten mit urethralem Syndrom (somatoforme autonome Funktionsstörung des unteren bzw. oberen Gastrointestinaltrakts bzw. des urogenitalen Systems, ICD-10 F45.32, F45.31, F45.34). In den (manualgeleiteten) Studien von Guthrie und Hamilton wurden bemerkenswerterweise Patienten behandelt, bei denen sich vorher andere Behandlungen als wirkungslos erwiesen hatten. In diesen Studien konnte auch eine signifikante und substantielle Reduzierung der Schmerzsymptomatik nachgewiesen werden. In der Studie von Monsen und Monsen (2000) betrug z. B. der (Prä-Post-)Effekt in der Schmerz-Reduzierung 1,35 (1-Jahres-Follow-up: 1,20).

Deutliche Effekte bei somatoformen (F45) und psychosomatischen Störungen im engeren Sinn (F54) nach psychoanalytischer Therapie wurden auch in den Untersuchungen von Junkert-Tress et al. (1999, 2001) gefunden. Erfolg versprechende Ergebnisse bei Patienten, bei denen neben psychischen Problemen psychosomatische (funktionelle) Symptome vorlagen, berichtet auch Sifneos (1984). Er fand eine Besserungsrate von 92% (13/14). Die Ergebnisse von Sifneos müssen allerdings noch an größeren Stichproben und unter Verwendung mehrerer reliabler Outcome-Maße bestätigt werden. Bei den beiden letztgenannten Studien handelt es sich um offene Interventionsstudien.

7.1.5 Essstörungen (ICD-10 F50)

Bulimie

Signifikante und stabile Besserungen durch psychoanalytische Therapie bei Bulimie wurden in verschiedenen RCTs nachgewiesen (Fairburn et al. 1986, 1995; Garner et al. 1993; Bachar et al. 1999). In zentralen bulimiespezifischen Maßen (Essanfälle, Erbrechen) war psychoanalytische Therapie ebenso wirksam wie CBT. In den Studien von Fairburn et al. (1986) und Garner et al. (1993) war CBT der psychoanalytischen Therapie allerdings in einzelnen Maßen der allgemeinen Psychopathologie überlegen. In einer Nachuntersuchung der Stichprobe von Fairburn et al. (1986) mit einem längeren Follow-up-Zeitraum waren psychoanalytische Therapie, CBT und auch IPT jedoch gleich wirksam und in einigen Maßen einer rein verhaltenstherapeutischen Methode überlegen (Fairburn et al. 1995, S. 309, 310). Zu einer realistischen Beurteilung der Wirksamkeit von psychoanalytischer Therapie sind offenbar Follow-up-Studien unabdingbar. In dem RCT von Bachar et al. (1999) war psychoanalytische Therapie einer rein kognitiven Therapie und einer Kontrollgruppe (Ernährungsberatung) signifikant überlegen. Dies gilt für eine gemischte Stichprobe aus Anorexie- und Bulimiepatienten und auch für die Bulimiepatienten getrennt.

Anmerkung: Auch hier sind die Studien zur IPT der Bulimie (z. B. Wilfley et al. 1993, Fairburn et al. 1993) nicht angeführt worden, obwohl auch dies wegen der Verbindung zwischen psychoanalytischer Therapie und IPT eine gewisse Berechtigung hätte.

Anorexie

Hier liegen bisher 3 RCTs vor: In einem RCT von Hall und Crisp (1987) erreichte psychoanalytische Therapie bei Anorexia nervosa im 1-Jahres-Follow-up signifikante Besserungen und war hinsichtlich der Gewichtszunahme ebenso wirksam wie eine Diätberatung und der Diätberatung in Maßen der sozialen und sexuellen Anpassung überlegen. In dem RCT von Gowers et al. (1994) erreichte psychoanalytische Therapie signifikante Verbesserungen in der psychischen, sozialen und sexuellen Anpassung und war im 1-Jahres- und im 2-Jahres-Follow-up einer Kontrollbedingung (TAU) hinsichtlich Gewichtszunahme und Bodymass-Index signifikant überlegen. In dem RCT von Dare et al. (2001) war psychoanalytische Fokaltherapie (von durchschnittlich 25 Sitzungen) einer Kontrollbedingung („low contact“, „routine treatment“, TAU) signifikant überlegen. Ein Drittel (33%) der Patienten erfüllten nach der psychoanalytische Therapie nicht mehr die DSM-IV-Kriterien für Anorexie. In der Kontrollgruppe (TAU) waren es dagegen nur 5%.

7.1.6 Andere Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen (F5)

Hierzu liegen keine Studien zur psychoanalytischen Therapie vor.

7.1.7 Psychische und soziale Faktoren bei somatischen Krankheiten (F54)

Hier liegen 3 RCTs vor: In einem RCT von Sjodin et al. (1986) war psychoanalytische Therapie von 3 Monaten Dauer, die Patienten mit Ulcus pepticum zusätzlich zu einer medizinischen Behandlung erhielten, einer allein medizinischen Behandlung im 15-Monate-Follow-up signifikant überlegen. In einem RCT von Deter (1986) war psychodynamische (Gruppen-)Therapie bei der Behandlung von Patienten mit Asthma bronchiale einer unbehandelten Kontrollgruppe signifikant überlegen. Die Behandlung dauerte ein Jahr, so dass es sich hier eher um eine Therapie mittlerer Dauer (s. unten) als um eine KZT handelte.

In einem RCT von Beutel et al. (2001) zur Behandlung von Übergewicht erwiesen sich analytische Therapie und CBT als gleichermaßen wirksam. Auf die Ergebnisse der Studie von Junkert-Tress et al. (1999, 2001) wurde oben bereits verwiesen.

7.1.8 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungenstörungen (ICD-10 F6)

Signifikante Verbesserungen bei der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen und Verhaltensstörungen mit psychoanalytischer Therapie wurden in einer Reihe von Studien gefunden (Woody et al. 1985; Tucker et al. 1987; Karterud et al. 1992; Stevenson u. Meares 1992; Hoglend 1993; Diguer et al. 1993; Winston et al. 1994; Munroe-Blum u. Marziali 1995; Hardy et al. 1995; Antikainen et al. 1995; Monsen et al. 1995; Wilberg et al. 1998; Bateman u. Fonagy 1999, 2001; Guthrie et al. 2001).

Bei 6 dieser Studien handelt es sich um RCTs: In einem RCT von Woody et al. (1983, 1987, 1990) war psychoanalytische Therapie bei der Behandlung von Opiatabhängigen ebenso wirksam wie CBT, und beide Therapieverfahren waren einer Standardbehandlung (Drogenberatung) überlegen. Die Autoren werteten die Ergebnisse für Patienten mit einer zusätzlichen antisozialen Persönlichkeitsstörung gesondert aus, fassten die Ergebnisse von CBT und psychoanalytischer Therapie dabei zusammen, da keine signifikanten Unterschiede bestanden. Bei Patienten mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung und komorbider Depression erzielte die psychoanalytische Therapie (und auch die CBT) signifikante Verbesserungen, die fast ebenso groß waren wie die bei opiatabhängigen Patienten, die auch eine Depression, aber keine antisoziale Persönlichkeitsstörung aufwiesen (ES: 0,53 vs. 0,50, Woody et al. 1985, S. 1084). Bei opiatabhängigen Patienten mit antisozialer Persönlichkeitsstörung, die nicht auch depressiv waren, erzielten beide Therapieformen dagegen nur geringe Effekte (ES 0,18). Die Studie spricht daher für die Wirksamkeit von psychoanalytischer Therapie (und CBT) bei der Behandlung von opiatabhängigen Patienten mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung und komorbider Depression. In der randomisierten, kontrollierten und manualgeleiteten Studien von Winston et al. (1994) war psychoanalytische Therapie einer Kontrollbedingung signifikant überlegen; in dem RCT von Munroe-Blum und Marziali (1995) erzielte psychoanalytische Therapie signifikante Effekte und war ebenso wirksam wie eine alternative Therapie (interpersonell orientierte Gruppentherapie). In einem RCT von Hardy et al. (1995) erzielte psychoanalytische Therapie signifikante Verbesserungen bei depressiven Patienten mit einer komorbiden Persönlichkeitsstörung. Die psychoanalytische Therapie erzielte sowohl zu Therapieende (ES 1,17) als auch im 1-Jahres-Follow-up (ES 1,52) große Effekte (Daten aus Leichsenring u. Leibing 2003). Kognitiv-behaviorale Therapie erzielte etwas größere Effekte (ES 1,76 bzw. 1,85). In dem RCT von Bateman und Fonagy (1999, 2001) war die psychoanalytische Therapie einer psychiatrischen Standardbehandlung signifikant überlegen. In einem RCT von Guthrie et al. (2001) war psychoanalytische Therapie bei der Behandlung von Patienten, die sich absichtlich selbst vergiftet hatten (artifizielle Störung, ICD-10 F68.1) einer Kontrollbehandlung (TAU) signifikant überlegen im Hinblick auf die Reduzierung von Suizidgedanken und Versuchen, sich selbst zu beschädigen.

Anmerkungen: In der Studie von Munroe-Blum und Marziali (1995) handelt es sich bei der interpersonellen Gruppentherapie, mit der die psychoanalytische Einzeltherapie verglichen wurde, nicht um eine psychodynamische Therapie (vgl. Leichsenring u. Leibing 2003; persönliche Kommunikation mit den Autorinnen). Daher wird eine Form analytischer Therapie mit einer anderen Therapieform verglichen.—So wenig wie die interpersonelle Therapie oben bei Depression und Angst der psychoanalytischen Therapie zugerechnet wurde, so wenig kann sie hier dazu gerechnet werden.

Auch Holm-Hadulla et al. (1997) berichten für Patienten mit Persönlichkeitsstörungen (nach DSM-III-R) große Effekte, die deutlich über denen der unbehandelten Kontrollgruppe liegen.

Leichsenring und Leibing (2003) haben die Effekte von psychoanalytischer Therapie und CBT bei Persönlichkeitsstörungen metaanalytisch untersucht. Sie fanden für die psychoanalytische Therapie einen Gesamteffekt von 1,46. Differenziert nach Selbst- und Fremdratingverfahren ergaben sich Effekte von 1,08 für die Selbstratingverfahren und von 1,79 für die Fremdratingverfahren. Speziell für die Behandlung der Borderlinepersönlichkeitsstörung mit psychoanalytischer Therapie wurde ein Gesamteffekt von 1,31 gefunden. In den Selbstratingverfahren betrug der Effekt 1,00, in den Fremdratingverfahren 1,45. Für CBT wurde ein Gesamteffekt von 1,00 gefunden, in Selbstratingverfahren betrug der Effekt 1,20, in Fremdratingverfahren 0,87. Die Effekte von psychodynamischer Therapie und CBT sind jedoch nicht direkt miteinander vergleichbar, da sie aus verschiedenen Untersuchungen stammen, die sich bezüglich Patienten, Therapeuten, Therapie, Erfolgsmessung und anderer Variablen unterschieden.

7.1.9 Abhängigkeit und Missbrauch (F1, F55)

In mehreren RCTs erwies sich psychoanalytische Therapie bei Suchterkrankungen als wirksam: In einem RCT von Kissin et al. (1970) zur Behandlung von Alkoholabhängigkeit war psychoanalytische Therapie sowohl einer unbehandelten Kontrollgruppe als auch einem TAU (Drogenberatung) signifikant überlegen. In einem RCT von Sandahl et al. (1998) war psychoanalytische Therapie bei Alkoholmissbrauch ebenso wirksam wie CBT. In dem RCT von Woody et al. (1983, 1987, 1990) zur Behandlung von Opiatabhängigkeit erwiesen sich psychoanalytische Therapie und CBT als gleichermaßen wirksam und einer Standardbehandlung signifikant überlegen. In einem weiteren RCT war psychoanalytische Therapie ebenfalls einer Standardbehandlung signifikant überlegen (Woody et al. 1995).

In einem RCT von Crits-Christoph et al. (1999, 2001) zur Behandlung von Kokainabhängigkeit erzielte psychoanalytische Therapie signifikante Verbesserungen und war ebenso wirksam wie CBT (beide kombiniert mit Gruppen-Drogen-Beratung). Beide Therapieformen waren allerdings einer Kombination von Einzel- und Gruppen-Drogen-Beratung bezüglich des Drogengebrauchs unterlegen, im Hinblick auf psychosoziale Outcome-Variablen bestand dieser Unterschied jedoch nicht (Crits-Christoph et al. 2001).

7.1.10 Schizophrenie und wahnhafte Störung

In einem RCT von Karon und Vandenbos (1972) war analytisch orientierte Therapie von durchschnittlich 42 Sitzungen einer TAU-Bedingung (medikamentöse Behandlung) signifikant überlegen. Dies war auch im 2-Jahres-Follow-up der Fall.

7.1.11 Gemischte Stichproben

Darüber hinaus liefern eine Reihe von RCTs Belege für die Wirksamkeit von psychoanalytischer Therapie in diagnostisch heterogenen Stichproben. In mehreren dieser Studien war psychoanalytische Therapie einer Wartelistenbedingung signifikant überlegen (Sloane et al. 1975, 1981; Siegel et al. 1977; Piper et al. 1990; Shefler et al. 1995). In den RCTs von Sloane et al. (1975, 1981), Pierloot und Vinck (1978) sowie Snyder und Wills (1989) erwies sich psychoanalytische Therapie als ebenso wirksam wie CBT. Im 4-Jahres-Follow-up der Studie von Snyder und Wills war psychoanalytische Therapie der CBT überlegen: Signifikant weniger Paare hatten sich getrennt (Snyder et al. 1991). In einem weiteren RCT zeigten Guthrie et al. (1999), dass psychoanalytische Therapie bei Patienten, die in hohem Maße psychiatrische Versorgungsdienste in Anspruch nahmen („high utilizers of psychiatric services“), einer Kontrollbehandlung (TAU) signifikant überlegen war bezüglich einer Reduzierung der psychischen Belastung und einer Besserung des sozialen Funktionierens. Dieses Ergebnis hat auch Bedeutung im Hinblick auf die Reduzierung von Krankheitskosten im Gesundheitssystem durch psychoanalytische Therapie. In dem RCT von Brill et al. (1964) war psychoanalytische Therapie einer medikamentösen Behandlung, einer Placebobedingung und einer Wartekontrollgruppe signifikant überlegen. In der Studie von Dührssen und Jorswieck (1965) wies eine Zufallsstichprobe von Patienten, die mit analytischer Therapie behandelt worden sind, einen signifikanten Rückgang der Krankenhaustage im Vergleich zu einer Zufallsstichprobe unbehandelter Patienten auf. Die Anzahl der Krankenhaustage fiel bei den analytisch behandelten Patienten sogar unter das Niveau der allgemeinen Population der Versicherten.

In den Untersuchungen von Sifneos (Sifneos et al. 1980; Sifneos 1990) und Holm-Hadulla et al. (1997) war psychoanalytische Therapie einer Wartelistenbedingung signifikant überlegen. In den Studien von Rudolf et al. (1994) und Sandell et al. (1999, 2001) erzielte psychoanalytische Langzeittherapie (LZT) größere Effekte als kürzere Therapie.

Anmerkung: Sandell et al. (1999, 2001) haben versucht, die Patienten zufällig auf die verschiedenen Therapierichtungen zuzuweisen. Nach einer gewissen Zeit erwies sich dies als undurchführbar, weil die Patienten sich weigerten, zufällig einer Behandlung zugewiesen zu werden. Hier zeigt sich, dass die Randomisierung für LZT nicht angemessen ist.

Weitere naturalistische Studien zur psychoanalytischen Therapie mit gemischten Stichproben haben Keller et al. (1997), v. Rad et al. (1998), Leuzinger-Bohleber et al. (2001, 2002), Luborsky et al. (2001), Heinzel et al. (1998), Hartmann und Zepf (2002), Brockmann et al. (2002) und Leichsenring et al. (2003) vorgelegt.

Kritisch muss angemerkt werden, dass von den angeführten 47 kontrollierten Studien nur zwei (4%) aus dem deutschsprachigen Raum stammen (Beutel et al. 2001; Deter 1986). Hier besteht offensichtlich ein großer Forschungsbedarf.

7.2 Studien zur Wirksamkeit von psychoanalytischer Therapie bei Kindern und Jugendlichen

E. Windaus

Insgesamt liegen im Bereich der psychoanalytischen Therapie mit Kindern und Jugendlichen 17 kontrollierte Studien bzw. Studien mit Kontrollbedingungen gemäß den Mindestanforderungen für die Begutachtung von Wirksamkeitsstudien und 6 umfangreiche Katamnesen vor. Zusätzlich befinden sich einige Studien noch in der Pilotphase, so die erste RCT-Studie in diesem Bereich von Target et al. (2002). Vor allem die Studien mit einem breiten Störungsspektrum (Winkelmann et al. 2003; Fahrig et al.1996) und die naturalistischen Studien (Fonagy u. Target 1995; Lush et al. 1991) belegen die Wirksamkeit psychoanalytischer Therapie im klinischen Feld.

7.2.1 Affektive Störungen (F30–F39) und Belastungsstörungen (F43)

Diesem Anwendungsbereich sind die Studien über Eltern-Säuglings-/Kleinkind-Therapien zuzuordnen. Als Regulationsstörungen sind sie im ICD-10 nicht einheitlich erfasst. Die Komplexität des Störungsspektrums rechtfertigt es nicht, sie dem Bereich F98.2 zuzuordnen, da dieser nur die Fütterstörung benennt. Die Belastung durch eine schwierige Geburt und die Anpassung an die postpartale Situation erlauben die Zuordnung zum Bereich affektiver Störungen und Belastungsstörungen, so wie der ICD-10 die erste Kodierung für eine spezifische psychische Störung im Wochenbett dem Abschnitt F30–F39 entnommen haben will. Klinisch ist hervorzuheben, dass die postpartale Störung meist bald abklingt, während sich die Schrei-, Fütter-, Schlaf- und Trennungsprobleme beim Säugling und Kleinkind bis ins 2. Lebensjahr hineinziehen. Es besteht hier der Sonderfall, dass die psychische Störung sich durch pathogene Interaktion auf 2 Personen erstreckt.

Dazu liegen 3 kontrollierte Studien vor (Robert-Tissot et al.1996; Cohen et al. 1999; Murray et al. 2003), die die Wirksamkeit analytischer Therapie belegen. Bei der Robert-Tissot-Studie (n=75 Mutter-Kind-Paare, von Pädiatern überwiesen) erfolgte eine randomisierte Zuweisung auf die psychoanalytisch und die interaktionszentriert behandelten Vergleichsgruppen. Der psychoanalytische Fokus bei der Behandlung der Mütter im Beisein ihrer Säuglinge war der Bezug zur Vergangenheit der Mutter und ihrer Projektionen. Die andere Behandlungsform fokussierte auf die Interaktionsdynamik. Als Ergebnis ist die Tendenz zu Werten von einer klinisch nicht auffälligen Stichprobe festzuhalten. Zwar kommen beide Methoden zu ähnlich guten Ergebnissen, aber die Sensitivität der Mütter wuchs bei der interaktionszentrierten Fokussierung lediglich beim Umgang mit Spielgegenständen. Dagegen erhöhte sich beim psychoanalytischen Vorgehen vor allem die Selbstwertschätzung der Mutter; dies hatte Auswirkungen auf ihren Umgang mit ihrem Kind.

Die Studie von Cohen et al. (n=67) vergleicht eine psychodynamische Therapieform mit einer sehr affektnah am Erleben der Mutter orientierten Vorgehensweise bei gleichzeitig weitgehend abstinenter Therapeutenhaltung [“Wait-watch-and-wonder- (WWW-)Methode“]. Beide Vergleichsgruppen waren erfolgreich bei der langfristigen Symptomreduzierung, der Verminderung des mütterlichen Stresses und bei der Reduzierung intrusiven mütterlichen Verhaltens. Die Erfolge der WWW-Methode waren unmittelbar nach Therapieende nachzuweisen; die psychodynamische Methode erreichte ähnlich stabile Werte nach 6 Monaten.

Die Studie von Murray et al. (n=193) ist eine Vergleichsstudie, die die Wirksamkeit von nondirektiven, kognitiv-behavioralen und psychodynamischen Interventionen bei Müttern mit einer postpartalen Depression aus einer repräsentativen Stichprobe in Bezug auf die frühen Beziehungsstörungen zwischen Mutter und Säugling untersucht. Zwar profitierten die Mütter von allen Interventionsformen in der Sensitivität ihrer Wahrnehmung in den ersten Lebensmonaten, aber signifikant sind die Ergebnisse nur zum Teil. Es wird vermutet, dass die initialen Störungen zwischen Mutter und Kind sich zu einem großen Teil auch spontan recht bald auflösen oder abklingen, so dass deren Veränderung nicht signifikant auf die eingesetzten Interventionsformen zurückgeführt werden kann. Auch konnten mit der Vergleichstudie keine Langzeiteffekte (Follow-up mit 5 Jahren) gefunden werden. Alle 3 Studien können insgesamt als ein differenzierter Wirksamkeitsnachweis in einem noch jungen Forschungsbereich angesehen werden.

Affektive Störungen, insbesondere depressive Störungen, sind in mehreren Studien mit einem gemischtneurotischen Störungsspektrum zu einem nicht geringen Teil Bestandteil der Diagnosen. Die Studie Winkelmann et al. (2003) weist 18,2% F3- und 4,2% F43-Diagnosen aus, die Studie Winkelmann et al. (2000) 12% neurotische (und somatoforme) Störungen, ebenso Fahrig et al. (1996), die auch 12% Anpassungsstörungen aufführen. Auch die prospektive Studie von Target et al. (2002) enthält komplexe emotionale Störungen mit Depressionssymptomen. Alle diese Studien betonen die hohe Komorbidität mit anderen Erkrankungen. Fonagy und Target (1995) weisen bezüglich depressiver Störungen daraufhin, dass, wenn Kinder eine schwere und umfassende Symptomatologie zeigen, sie gut auf hochfrequente, weniger auf niederfrequente Behandlung ansprechen.

Die Studie mit der größten Teilstichprobe an F3-Diagnosen ist die Studie von Baruch und Fearon (2002). Bei 52,7% an depressiven Störungen aus n=151 ergibt dies ca. 72 Patienten. Unter Verwendung validierter und reliabler Messinstrumente nimmt die Studie eine Outcome-Messung auf 3 Ebenen vor. In allen 3 Bereichen ergeben sich signifikante Veränderungen bei internalen und externalen Maßen. Ein Großteil der klinisch als krank bewerteten Probanden kommt bei einem Cut-off-Wert (nach Achenbach) zu nichtklinischen Werten. Damit belegt diese Studie die Wirksamkeit von psychoanalytischer Therapie bei affektiven Störungen; dies belegen die anderen erwähnten Mischstudien ebenfalls.

7.2.2 Angststörungen (F40–F42) und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend (F93)

Diese Störungsbilder sind Gegenstand mehrerer Studien. Die Studie Fahrig et al. (1996) nennt emotionale Störung des Kindesalters (24,8%) als am häufigsten gestellte Diagnose. Unter Hinzunahme der Klassifikation neurotische Störung (12%) ergibt dies, dass die Studie zu einem Drittel zu den Diagnosen dieses Anwendungsbereiches zählt. Dies entspricht aus einer Stichprobe von n=133 etwa n=45, so dass es berechtigt ist, diese Studie unter diesem Anwendungsbereich aufzuführen. Die Studie berichtet von einer großen Symptomreduktion (um 91,7%), Verbesserungen in den Manifestationen der psychischen Konflikte und erreicht Effektstärken zwischen 0,58 und 1,74. Bezüglich des Beeinträchtigungsschwerescore- (BSS)-K-Gesamtwertes erreichen 75,9% das Kriterium „nicht mehr klinisch krank“. Unter Berücksichtigung aller Erfolgsmaße kann in 90% aller Behandlungsfälle von einer erfolgreichen Psychotherapie ausgegangen werden; dies entspricht insgesamt einer guten Wirksamkeit.

Die Studie Winkelmann et al. (2003) weist einen 33,8%-Anteil an F40- bis F42- und F93-Diagnosen (n=24) aus. Damit enthält sie zu einem Drittel Angst- und emotionale Störungen. Die Studie stellt ein kombiniertes Studiendesign mit einem Wartekontrollgruppendesign und einem prospektiven Mehrebenen-Mehrperspektiven-Untersuchungsansatz dar. Die Studie kommt zu der Aussage, dass bei KZT (25 h) bei 23,9% der Kinder eine Verbesserung im BSS-K-Gesamtwert gefunden werden konnte, aber aufgrund der Komorbidität und des Störungsschweregrades die übrigen Kinder einer LZT bedurften. Nach einem Jahr erreichen 45,5% der Kinder bereits vergleichbare Werte wie gesunde Kinder. Diese Studie zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass viele psychometrische Vorstudien zur Normierung der Erfassungsinstrumente durchgeführt wurden.

Ausschließlich die Diagnose „emotionale Störung des Kindesalter“ enthält die Studie Smyrnios u. Kirkby (1993). Hier wird im Vergleich dreier Testgruppen („randomly assigned“; LZT, KZT und geringfügige Behandlung) die Aussage gemacht, dass 4 Jahre nach Therapieende kein Unterschied mehr zwischen mit KZT- und LZT-behandelten Kindern auszumachen ist, die Behandlungsstabilität aber weiterhin besteht. Diese Aussage verwundert nicht, da insgesamt bei Kinderpsychotherapie der Entwicklungsfaktor immer mit zu berücksichtigen ist. Außerdem ist darauf aufmerksam zu machen, dass sich Kinder nach 4 Jahren bereits in einer anderen Entwicklungsphase befinden. Die Studie belegt die Wirksamkeit analytischer Psychotherapie mit zahlreichen validierten und reliablen Messinstrumenten.

Die Studie Muratori et al. (2002) weist ausschließlich bei emotionalen Störungen mit Experimental- und Kontrollgruppe die Wirksamkeit einer psychoanalytischen KZT nach, indem signifikante Verbesserungen in Symptomatologie und Gesamtbefinden genannt werden. Auch hier hängen Länge und Intensität der Behandlung vom Fehlen komorbider Einflüsse ab.

Die Studie Szapocznik et al. (1989) enthält auch 30% an Angststörungen. Da die übrigen Diagnosen aber Verhaltensstörungen ausweisen, wird diese Studie dem Anwendungsbereich 7 (Verhaltensstörungen) zugewiesen. Hier wird sie als ein Beleg für die Häufigkeit der Behandlung von Angststörungen durch analytische Therapie erwähnt. Schließlich belegt die große retrospektive Studie von Fonagy und Target (1995) bei emotionalen Störungen (n=352), dass 58% der Patienten in die normale Streubreite zurückkehrten und 72% eine reliable Verbesserung im allgemeinen Funktionsniveau aufwiesen.

7.2.3 Dissoziative, Konversions- und somatoforme Störungen (F44–F45) und andere neurotische Störungen (F48)

Die Heidelberger Studien von Winkelmann et al. (2003), Fahrig et al. (1996) und Winkelmann et al. (2000) weisen zu einem geringen Prozentsatz (unter 10%) dieses Störungsbild aus. Auch die Studie von Baruch und Fearon (2002) enthält somatoforme Störungsdiagnosen. Es liegt keine störungsspezifische Studie zu diesem Anwendungsbereich vor.

7.2.4 Essstörungen (F50) und andere Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen (F5)

Auch bei diesem Anwendungsbereich enthalten die Heidelberger Studien Angaben zu kleineren Diagnosegruppen: Winkelmann et al. (2003) füheren Anorexia nervosa und Bulimia nervosa mit ingesamt 7,0% auf, Fahrig et al. (1996) Essstörungen mit 9% und ebenso Winkelmann et al. (2000). Es liegen keine Studien zu Essstörungen vor.

Die kontrollierte Studie von Moran et al. (1991) bei Diabetes mellitus ist diesem Anwendungsbereich zuzuordnen, auch wenn Diabetes mellitus im ICD-10 nicht erwähnt ist. Da im Kommentar unter Beispiele auch andere psychosomatische Erkrankungen genannt werden und es sich in F54 um psychologische Faktoren und Verhaltensfaktoren bei andernorts klassifizierierten Krankheiten (unter Kapitel E) handelt, ist die Einordnung dieser Studie hier vorzunehmen.

Die Studie belegt, dass der HbA1c-Diabeteswert durch hochfrequente psychoanalytische Therapie (3–4 Sitzungen/Woche) im KZT-Verfahren im Vergleich zu einer unbehandelten Kontrollgruppe signifikant gebessert werden konnte. Die Studie lässt offen, ob es sich hier um ein verbessertes Copingverhalten handelt oder um tiefergehende Veränderungen, die Einfluss auf die Krankheitsätiologie haben.

Die Studie von Zimprich (1980) untersuchte an einer großen Zahl von stationär behandelten Kindern (n=170) die Wirksamkeit von tiefenpsychologischer Psychotherapie bei in einem breiten Störungsspektrum psychosomatisch erkrankter Kinder. Die Kontrollgruppe bestand aus Patienten (n=100), die pharmakologisch behandelt wurden. Diese Studie ist besonders als Wirksamkeitsnachweis für stationäre analytische Therapie bei Kindern anzusehen, Die Therapie bestand in einer Kombination von tiefenpsychologischer Einzel- und Familien- bzw. Elterntherapie, wie sie in der Psychotherapie des Kindes als Einbeziehung der Berzugspersonen üblich ist. Die positive Wirkung der Therapie auf die klinischen Symptome und Verhaltensauffälligkeiten ist statistisch gesichert. Die pharmakologisch behandelte Gruppe erzielte nämlich nur 30% der Wirkung der psychotherapeutisch behandelten Gruppe. Die Studie belegt auch, dass der Medikamentenverbrauch in der Behandlungsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe gesunken ist. Schließlich entstammt die Studie der Routineversorgung und Normalpopulation in einem Kinderhospital, so dass sie eine Studie ist, die eine Übertragung der Wirksamkeitsnachweise auf die stationäre Versorgungspraxis zulässt.

7.2.5 Verhaltensstörungen (F90–F92, F94, F98) mit Beginn in der Kindheit und Jugend und Ticstörungen (F95)

Die Studien Szapocznik et al. (1989) und Lush et al. (1991) sind 2 kontrollierte Studien, die die Wirksamkeit von analytischer Therapie bei diesen Störungsbildern belegen. Die Szapocznik-Studie (von n=69 ungefähr 35 mit Verhaltensstörungen) stellt im Vergleich einer nichttherapeutischen Spielgruppe mit einer Familientherapiegruppe und einer psychodynamischen Kinderpsychotherapiegruppe fest, dass sich bei einer mittleren Behandlungsdauer von 18 Monaten der Gesamtscore von Persönlichkeitsmerkmalen bei der psychodynamisch behandelten Gruppe als überlegen zeigt. Der unbehandelten Kontrollgruppe gegenüber wies die analytische Therapiegruppe signifikante Verbesserungen auf. Dies ist umso erwähnenswerter, als es sich hier um signifikante Verbesserungen bei einer Minoritäts- und Außenseiterpopulation handelt („hispanic boys“ in Florida).

Die Studie Lush et al. stellt die Wirksamkeit von psychoanalytischer Therapie bei Kindern mit starker emotionaler Deprivation heraus. Es wurden fremdplatzierte Pflege- und Adoptionskinder mit den Diagnosen reaktive Bindungsstörungen des Kindesalters (F94.1) und Bindungsstörungen des Kindesalters mit Enthemmung (F94.2) behandelt. Die Auswertung resümiert, dass neben Verbesserungen in der Beziehungsfähigkeit, beim Lernen und bei der Selbsteinschätzung auch Veränderungen in der Persönlichkeitsstruktur erreicht werden konnten. Dies hebt die Wirksamkeit psychoanalytischer Therapie bei dieser früh und basal gestörten Patientengruppe besonders hervor.

Fonagy und Target (1995) weisen in ihrer Stichprobe 135 Kinder mit expansiven Störungen aus. Zwar werden auch hier Verbesserungen erreicht, aber gegenüber den Verbesserungen bei emotionalen Störungen bleiben expansive Störungen (Kodierung nach DSM-III-R) im Ausmaß der Verbesserung zurück; dies wird insgesamt auf die Störungsschwere dieses Krankheitsbildes zurückgeführt.

Die Heidelberger Studien umfassen ebenfalls Verhaltensstörungen: Winkelmann et al. (2003): 22,5%, n=16, Enuresis und Bindungsstörungen 7%; Winkelmann et al. (2000) und Fahrig et al. (1996) jeweils 23,3%. Auch die gruppentherapeutischen Studien Lehmkuhl und Lehmkuhl (1992) und Lehmkuhl et al. (1982) weisen in einem geringen Maße expansive Verhaltensstörungen auf. Da in all diesen Studien Gesamtverbesserungen berichtet werden, trifft dies prozentual auch für die Verhaltensstörungen zu.

7.2.6 Autistische Störungen (F84)

Es liegen mit den Arbeiten von Alvarez (2001), Ogden (1989) und Tustin (1972, 1986) zahlreiche Fallbereichte über die psychoanalytische Behandlung von Autismus vor. Sie stellen keine Wirksamkeitsnachweise dar. Beim Autismus als einer tief gehenden Entwicklungsstörung können aufgrund der Schwere der Störung ohnehin nur LZT-Konzepte Erfolg haben; deshalb können aus ethischen Gründen nur verschiedene LZT-Konzepte als Kontrollgruppen miteinander verglichen werden.

7.2.7 Persönlichkeitsstörungen und Verhaltensstörungen (F60, F62, F68, F69), Störungen der Impulskontrolle (F63), Störungen der Geschlechtsidentität und Sexualstörungen (F64–F66, Abhängigkeit und Missbrauch (F1, F55) Schizophrenie und wahnhafte Störungen (F20–F29)

Die noch nicht veröffentlichte Arbeit von Fonagy et al. (Ergebnisse nach Fonagy 2002 gesichtet) enthält sowohl Achse-II-Diagnosen mit narzisstischen Störungen und Borderlinestörungen als auch 20% stationär psychiatrisch behandelte Patienten (Selbstverletzer). So ist diese Studie diesem Anwendungsbereich zuzuordnen. Mit einem umfangreichen Messinstrumentarium [“symptom-check-list- (SCL-)90, „Beck depression inventory“ (BDI) etc.] und hoch- und niederfrequenten Vergleichsgruppen belegt die Studie, dass die hochfrequente Behandlungsgruppe beim Erreichen klinisch signifikanter Veränderungen und bei den Symptomverbesserungen der niederfrequenten überlegen ist.

Ebenso enthalten die Gruppentherapiestudien Lehmkuhl und Lehmkuhl (1992) und Lehmkuhl et al. (1982) Hinweise auf Symptomreduktion und klinische Verbesserungen bei dieser Störungsgruppe.

7.2.8 Intelligenzminderung (F7), hirnorganische Störungen (F0) und Entwicklungsstörungen (F80–F83 sowie F88 und F89)

Hier liegt eine kontrollierte Studie vor. Heinicke und Ramsey-Klee (1986) untersuchten und behandelten Kinder mit Lernschwierigkeiten und Leseschwächen bei hyperaktiver und überängstlicher Komorbidität (nach DSM-III diagnostiziert), die den ICD-10-Diagnosen der Gruppe F81 entsprechen würde. Im Vergleich dreier Frequenzgruppen kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die Erfolge signifikant größer und dauerhafter in der hochfrequent behandelten Gruppe waren. Dies gilt in einem breiten Spektrum für die Erhöhung des Selbstwertgefühls, der Frustrationstoleranz, der Anpassungsfähigkeit, der Arbeits- und Beziehungsfähigkeit. Nach einem Katamneseintervall wurden die stabilen Werte nur bei der Gruppe der hochfrequent behandelten Patienten festgestellt.

Als zum Teil ältere methodisch adäquate Wirksamkeitsstudien mit mehreren klar definierten Störungsgruppen, die nur zum Teil bei den einzelnen Anwendungsbereichen aufgeführt sind, sind die Studien Dührssen (1964), Petri und Thieme (1978), Waldron et al. (1975), Lehmkuhl et al. (1982), Lehmkuhl und Lehmkuhl (1992) und Fonagy und Target (1995) zu nennen. Sie belegen vor allem die hohe Langzeitwirkung der analytischen Therapie, da die Katamnesen erst nach sehr langen Zeitintervallen durchgeführt wurden.

7.3 Übersicht über Studien und Katamnesen im Bereich der psychoanalytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie

E. Windaus

Kontrollierte Studien (mit Kontrollgruppen oder Kontrollbedingungen).

7.3.1 Moran, G.S, Fonagy, P, Kurtz, A.M, Brook, C (1991) A controlled study of the psychoanalytic treatment of brittle diabetes

Stichprobe: 22 Kinder und Jugendliche; Diagnosen: Diabetes mellitus; Messinstrumente: Kontrolle des Diabeteswerts HbA1c; Kontrollgruppe: psychotherapeutisch unbehandelte Kontrollgruppe mit Diabetes; Behandlung: Psychoanalytische Therapie mit 3–4 Sitzungen/Woche, vorwiegend als KZT-Verfahren (1991).

Ergebnisse: Im Vergleich zur unbehandelten Kontrollgruppe hatten sich signifikante Verbesserungen in der psychoanalytisch behandelten Gruppe bezüglich der Blutzuckerwerte gezeigt.

7.3.2 Heinicke, C.M, Ramsey-Klee, D.M (1986) Outcome of child psychotherapy as a function of frequency of sessions

Stichproben: Kinder in der Latenz (zwischen 7 Jahren und 10 Jahren), n=12; Diagnosen: Lernschwierigkeiten, Leseschwächen, teilweise hyperaktiv und alle überängstlich (nach DSM-III); Messinstrumente: „diagnostic profile“ nach A. Freud, Reliabilitätsüberprüfung der Ratings „wide range achievment test“ (WRAT, validiert); Kontrollgruppe: Hochfrequente (4 Wochenstunden), Niederfrequente (1 Wochenstunde) und Frequenzwechselgruppe (von 1 h zu 4 h); Behandlung: psychoanalytische Behandlung von ca. 2 Jahren (1986).

Ergebnis: Alle Behandlungen führten zur Erhöhung der Selbstwertschätzung, der Frustrationstoleranz, der Anpassungsfähigkeit, der Arbeitsfähigkeit und zu gesteigerter Beziehungsfähigkeit. Die Erfolge waren jedoch signifikant größer und dauerhafter in den Gruppen, die über 1 Jahr 4-mal die Woche behandelt wurden.

Nach dem Katamneseintervall waren die Werte nur bei der hochfrequent behandelten Gruppe stabil.

7.3.3 Szapocznik, J, Murray, E, Scopetta, M, Hervis, O, Rio, A, Cohen, R, Rivas-Vazquez, A, Posada, V, Kurtines, W (1989) Structural family versus psychodynamic child therapy for problematic Hispanic boys

Stichprobe: n=69, Jungen im Alter von 6–12 Jahren; Diagnosen: klinisch relevante Störungen, DSM-III-Diagnosen: 48% Verhaltensstörungen, 30% Angststörungen, 12% Anpassungsstörungen und 10% andere Störungen; Messinstrumente: Es wurden 27 auf klinische Symptomatik, Persönlichkeitseigenschaften und Familienmerkmale bezogene Vergleiche zwischen den 3 Gruppen durchgeführt, Follow-up-Studie; Kontrollgruppe: 1. nichttherapeutische Spielgruppe (n=17 bzw. 14 in Follow-up-Studie), 2. Vergleichsgruppe behandelt mit struktureller Familientherapie (n=26 bzw. 23 in Follow-up-Studie), 3. psychodynamische Behandlungsgruppe (n=26 bzw. 21); Behandlung: psychodynamische Kinderpsychotherapie mit einer Sitzung/Woche und einer mittleren Behandlungsdauer von 18 Monaten (1989).

Ergebnis: Bei dem Gesamtscore der Testbatterie zur Feststellung von Persönlichkeitsmerkmalen erwies sich die psychodynamisch behandelte Gruppe als überlegen, aber sie war beim Punkt „innerfamiliäre Struktur“ der Familientherapiegruppe gegenüber unterlegen. Der Kontrollgruppe der nichtbehandelten Kinder gegenüber wies die analytische Therapiegruppe signifikante Verbesserungen auf.

7.3.4 Lush, D, Boston, M, Grainger, E (1991) Evaluation of psychoanalytic psychotherapy with children: therapists‘ assessments and predictions

Stichprobe: Aus 203 Pflege- und Adoptionskindern wurden 51 zur Psychotherapie empfohlen, n=38 begannen die Psychotherapie (im Alter von 2–18 Jahren), n=35 blieben in der Stichprobe, fremdplatzierte Pflege- und Adoptionskinder; Diagnosen: „severely deprived children“, reaktive Bindungsstörungen des Kindesalters und Bindungsstörungen des Kindesalters mit Enthemmung (F94.1 und F94.2); Messinstrumente: „rating scales“, „independent clinical ratings“, Überprüfung der Validität, „semi-structured questionnaire“; Kontrollgruppe: Kontrollgruppe von 13 Kindern, die keine Therapie begonnen hatten, Vergleich behandelt/unbehandelt; Behandlung: psychoanalytische Psychotherapie.

Ergebnis: Therapeuten und unabhängige Kliniker berichten, dass sich die behandelten Kinder verbesserten („to make a good use of psychoanalytic psychotherapy“). Verbesserungen in ihrer Beziehungsfähigkeit mit Erwachsenen, in der „peer group“, beim Lernen und bei der Selbsteinschätzung (1991).

Die Auswertung belegt, dass bei diesen besonders schwierig zu erreichenden Kinder sogar Veränderungen in der Persönlichkeitsstruktur erreicht werden konnten.

7.3.5 Fonagy, P, Gerber, A, Higgitt, A, Bateman, A (2002) The comparison of intensive (5 times weekly) and non-intensive (once weekly) treatment of young adults

Stichprobe: 30 junge Erwachsene (18–24 Jahre), 20% waren bereits in stationärer psychiatrischer Behandlung gewesen; Diagnosen: Achse-II-Diagnosen mit narzisstischen Störungen und Borderlinestörungen und Achse-I-Diagnosen mit affektiven Störungen, signifikant hohe Zahl an Selbstverletzungen; Messinstrumente: SCL-90, BDI, „Spielberger state and trait anxiety inventory“, „social adjustment scale“, „national adult reading test“, „Eysenck personality questionaire“, AAI, SADS-L und SCID II (500 item checklist of a weekly rating scale); Kontrollgruppe: Vergleich zwischen nieder- und hochfrequenten Behandlungsgruppen; Behandlung: psychoanalytische hoch- und niederfrequente Psychotherapie bei einer durchschnittlichen Dauer von 3,5 Jahren (2002).

Ergebnis: Die Studie belegt, dass die hochfrequente Behandlungsgruppe beim Erreichen klinisch signifikanter Symptomveränderungen überlegen ist.

7.3.6 Fahrig, H, Kronmüller, K.-H, Hartmann, M, Rudolf, G (1996) Therapieerfolg analytischer Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen. Die Heidelberger Studie zur analytischen Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie

Stichprobe: n=133 Kinder im Alter von unter 5–14 Jahren aus einer Stichprobe von 519 Kindern; Diagnosen: Nach „mania scale“ (MAS) und ICD-10 diagnostiziert, Hauptdiagnosen dieser naturalistischen Studie waren emotionale Störung des Kindesalters (24,8%), Störung des Sozialverhaltens (23,8%), Enuresis (17,3%), Anpassungsstörungen (12,0%) und Entwicklungsstörungen (12%), neurotische und somatoforme Störungen (12%), Essstörungen (9,%) und Enkopresis (6,8%). Bei 41% lag Komorbidität von 2 und bei 10,5% von 3 Störungen vor; Messinstrumente: BSS-K; Kontrollgruppe: Vergleichsstichprobe 67 gesunde Kinder, die vorgestellt wurden, bei denen keine Diagnose im Sinne des ICD-10 vorlag. Aus dieser Stichprobe wurden die Vergleichswerte für den BSS-K bestimmt; Behandlung: Die durchschnittliche Anzahl der Behandlungsstunden betrug 66 h (1996).

Ergebnisse: Symptomreduktion um 91,7%, Verbesserungen in den Manifestationsbereichen der psychischen Konflikte um 94,7%, Verbesserung der intrapsychischen Konflikte um 89,1%, Verbesserung der in den Elterngesprächen bearbeiteten Konflikte um 84,8%, Effektstärken zwischen 0,58 und 1,74, für den BSS-K-Gesamtwert erreichten 75,9% das Kriterium der klinischen Signifikanz und damit Werte von „Nichtfällen“. Unter Berücksichtigung aller Erfolgsmaße kann bei 90% aller Behandlungsfälle von einer erfolgreichen Psychotherapie ausgegangen werden.

7.3.7 Winkelmann, K, Geiser-Elze, A, Hartmann, M, Horn, H, Schenkenbach, C, Victor, A.D, Kronmüller, K.-T (2003) Heidelberger Studie zur analytischen Langzeitpsychotherapie bei Kindern und Jugendlichen

Stichprobe: n=71 Behandlungsfälle; Diagnosen: häufigste Diagnosen sind emotionale Störung des Kindesalters F93.0 und Störung des Sozialverhaltens F92.0 (jeweils 10,1%). Die zweithäufigste Diagnose war die emotionale Störung des Kindesalters mit Geschwisterrivalität F93.3 (8,7%). Insgesamt wurden emotionale Störungen des Kindesalters mit zusätzlichen Problematiken als Hauptdiagnosen gestellt (26%). Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend (F9) machten insgesamt 60,5% der behandelten Fälle aus. Affektive Störungen (F3) bildeten 20,2% der Fälle, gefolgt von F4-Diagnosen (neurotische Belastungs- und somatoforme Störungen (11,3%); Messinstrumente: „test of self conscious affects“ (Tosca), psychischer und sozialkommunikativer Befund (PSKB-KJ) für Kinder und Jugendliche, Fragebogen zur therapeutischen Beziehung (FTB-KJ), Fokusbearbeitungsskala (FBS-KJ), Skalen zum therapeutischen Prozess (STP-KJ), BSSK; Kontrollgruppe: kombiniertes Studiendesign mit einem Wartegruppenkontrolldesign und einem prospektiven Mehrebenen-Mehrperspektiven-Untersuchungsansatz; Behandlung: psychoanalytische KZT und LZT, 25 h bis über 100 h unter Verwendung eines Therapieleitfadens (2003).

Ergebnisse: Durch Kurzbehandlungen ist keine Veränderung in den Ich-strukturellen Merkmalen, wie Bindungsstil, Ich-Stärke und Abwehrstruktur, zu erzielen. Die mittlere Beeinträchtigungsschwere konnte nach 6 Monaten Behandlung im Mittel um 2 Punkte gesenkt werden, erreicht aber noch nicht den Cut-off-Wert von gesunden Kindern und Jugendlichen, auch für die Symptomreduktion ist längere Behandlung nötig. Nach einem Jahr Therapie erreichen 45,5% vergleichbare Werte wie gesunde Kinder (reliable und valide Reduktion).

7.3.8 Target, M, March, J, Ensik, K, Fabricius, J, Fonagy, P (2002) Prospective study of the outcome of child psychoanalysis and psychotherapy (AFC5)

Diese Studie befindet sich noch in der Pilotphase. Mit ihrem Abschluss ist in 5 Jahren zu rechnen.

Stichprobe: 160 Kinder im Alter von 6–12 Jahren; Diagnosen: starke und komplexe emotionale Störungen mit Angst- und Depressionssymptomen; Messinstrumente: Anwendung der üblichen Messinstrumente je Therapiemethode und Neuentwicklung spezifischer Instrumente zur Messung des Entwicklungserfolges bei Kindern. Messung auf 5 Ebenen (Symptom/Diagnose, psychosoziale Anpassung, kognitive und emotionale Fähigkeiten, Beziehungsfähigkeit und Nutzungsmöglichkeiten der Therapie); Kontrollgruppe: prospektive randomisierte Studie mit den 3 Vergleichsgruppen Psychoanalyse (hoch/niederfrequent), kognitive Verhaltenstherapie und übliche kinderpsychiatrische Behandlungsweisen (TAU); Behandlung: Psychoanalyse im Vergleich mit wöchentlicher Psychotherapie, kognitive Verhaltenstherapie, manualisierte Behandlungen (2002).

Ergebnisse: noch in Pilotphase.

7.3.9 Smyrnios, K.S, Kirkby, R.-J (1993) Long-term comparison of brief versus unlimited psychodynamic treatments with children and their parents

Stichprobe: n=30 Kinder; Diagnosen: emotionale Störungen des Kindesalters; Messinstrumente: „goal attainment scale“ (validiert und reliabel), „target complaints scales“ (recommended by Kazdin, reliabel), „van der Veen family concept inventory“ (validiert und reliabel), „Bristol social adjustment guides“ (validiert und reliabel); Kontrollgruppe: Vergleich von LZT und KZT und mit einer Kontrollgruppe geringfügig behandelter. „Randomly assigned“ zu den 3 Gruppen; Behandlung: psychodynamisch orientierte Psychotherapie (1993).

Ergebnisse: 4 Jahre nach Therapieende bestand kein Unterschied mehr zwischen KZT- und LZT-behandelten Kindern; LZT verspricht nicht notwendig effektiver zu sein.

7.3.10 Lehmkuhl, G, Schieber, P.M, Schmidt, G (1982) Stationäre Gruppenpsychotherapie bei Jugendlichen im Spiegel von Selbst- und Fremdbeurteilung und Behandlungserfolg

Stichprobe: n=10, Jugendliche; Diagnosen: neurotische und expansive Störungen, postpsychotischer Status; Messinstrumente: PSKB nach Rudolf; Kontrollbedingung: Prä-Post-Messung nach PSKB; Behandlung: analytische Gruppenpsychotherapie im wöchentlichen Frequenzsetting über einen Zeitraum von 12 Wochen (1982).

Ergebnisse: In 9 klinischen Auffälligkeitsbereichen reduzieren sich die Auffälligkeiten etwa um die Hälfte (z. B. Symptom-, Bindungs- und Kontaktebenen).

7.3.11 Lehmkuhl, G, Lehmkuhl, U (1992) Gibt es spezifische Effekte der stationären Gruppentherapie mit Jugendlichen?

Stichprobe: Jugendliche, n=30; Diagnosen: neurotische Erkrankungen (n=18), Psychosen (n=5) und expansive Störungen (n=7); Messinstrumente: der psychische und sozialkommunikative Befund (PSKB nach Rudolf) als Instrument zur standardisierten Erfassung neurotischer Befunde, durchgeführt von 2 unabhängigen Ratern, 13-Item- Fragebogen nach Speierer, Einschätzung des Behandlungserfolges durch modifizierte Fassung von Malan-Werten durch unabhängige Rater; Kontrollgruppe: Vergleichsgruppen: Videogruppe, ein- und zweistündige Gesprächsgruppen (pro Woche); Behandlung: analytische Gruppenpsychotherapie in 3 unterschiedlichen Gruppensettings über einen Zeitraum von 9 Wochen (1992).

Ergebnisse: rasche initiale Verbesserung der Symptomatik. Die Gruppe mit den häufigerenTerminen wird als hilfreicher erlebt.

7.3.12 Robert-Tissot, C, Cramer, B, Stern, D, Rusconi Serpa, S, Bachmann, J.P, Palacio-Espasa, F, Knauer, D, De Muralt, M, Berney, C, Meniguren G (1996) Outcome evaluation in brief mother-infant psychotherapies: report on 75 cases

Stichprobe: 75 Mutter-Kind-Paare (ca.60% vom Pädiater überwiesen), Kinder höchstens 30 Monate alt; Diagnosen: Regulationsstörungen (Schlaf-, Verhaltens- und Essstörungen), Probleme in der Eltern-Kind-Interaktion; Messinstrumente: BDI für Mütter, SCL (Körperfunktionen, Verhaltensstörungen, Angst und Trennungsprobleme), R-Interview für mütterliche Repräsentationen, videographierte Mutter-Baby-Interaktionen, KIA/KIDIES Profile; Kontrollgruppe: randomisierte Zuweisung auf 2 behandelte Gruppen mit psychodynamischer Mutter-Kind-Psychotherapie (PD), von Psychoanalytikern durchgeführt und eine interaktionszentrierte Psychotherapie von Psychologen und Gesprächstherapeuten (IG), durchgeführt ohne Bezug zur Vergangenheit der Mutter und ihren Projektionen. Evaluation vor der Therapie, eine Woche nach Ende der Therapie und 6 Monate danach (Katamnese); Behandlung: Bis zu 10 Sitzungen psychoanalytisch orientierte Mutter-Kind-PT und interaktionszentrierte PT (1996).

Ergebnisse: Tendenz zu den Werten einer nichtklinisch auffälligen Stichprobe. Die Sensibilität der Mütter für die Signale ihres Kindes wuchs noch nach der Beendigung der Therapie. Die Sensitivität der Mutter wuchs bei der IG-Methode lediglich beim Umgang mit Spielgegenständen, ansonsten war die Selbstwertschätzung der Mutter nach der PD erhöht verbessert.

7.3.13 Cohen, N.J, Muir, E, Parker, C.J, Brown, M, Lojkasek, M, Muir, R, Barwick, M (1999) Watch, wait and wonder. Testing the effectiveness of an new approach to mother-infant-psychotherapy

Stichprobe: 10–30 Monate alte Säuglinge und Kleinkinder, n=67; Diagnosen: frühkindliche Regulationsstörungen (Bindungsstörungen, Verhaltensstörungen, Schlaf- und Fütterstörungen, emotionale Störungen des Elternverhaltens und Entwicklungsstörungen); Messinstrumente: „strange situation“ nach Ainsworth, „Chatoor play scale“, „mental scales of the Bayley scales of infant development“, „parenting stress index“, „BDI, „working alliance inventory“; Kontrollgruppen: Therapievergleich von „Watch-wait-and-Wonder-Therapieform“ mit psychodynamischen Psychotherapieverfahren; Behandlung: s. Kontrollgruppen (1999).

Ergebnisse: Beide Therapieverfahren waren gleich erfolgreich bei der langfristigen Symptomreduzierung, der Verminderung des mütterlichen Stresses und der Reduzierung des intrusiven mütterlichen Verhaltens. Die Erfolge der „WWW-Methode“ waren unmittelbar nach Therapieende nachzuweisen; die PD-Methode erreichte ähnliche Werte erst 6 Monate nach Therapieende.

7.3.14 Murray, L, Cooper, P.J, Wilson, A, Romaniuk, H (2003) Controlled trial of the short- and long-term effect of psychological treatment of post-partum depression

Stichprobe: repräsentative Stichprobe mit n=193 einer klinischen Gemeindepopulation. Diagnosen: DSM-III-R „major depressive disorder“. Messinstrumente: Messungen wurden zu 3 Messzeitpunkten vorgenommen (4–5 Monate, 18 Monate und 60 Monate), Videotapes von „face-to-face-sessions“ 8–18 Woche, „global rating scales“, „behavioural screening questionnaire“, „strange situation“ nach Ainsworth, „Rutter A scale“, „pre-school-behaviour checklist“. Kontrollgruppe: Routinemäßige Erstversorgung wird mit nondirektiver stützender Beratung, CBT und psychodynamischer KZT verglichen. Behandlung: Die zuvor genannten Methoden stellten die Behandlungs- und Interventionsformen dar. Auf ihre Beschreibung wird im Text auf Cooper 2003 verwiesen (2003).

Ergebnisse: Alle 3 Verfahren verbessern im Vergleich zur Routineversorgung die Fähigkeit der Mutter mit frühen Beziehungsstörungen in der Mutter-Kind-Interaktion umgehen zu können. Es lassen sich bei den Parametern Bindung, Intelligenz und Beziehungsdynamik langfristig aber keine Unterschiede zwischen der Kontrollgruppe und den angewendeten Behandlungsformen erkennen. Die wesentlichen Wirkungen werden als „short-term-benefits“ im ersten Lebensjahr beschrieben. Statistisch signifikante Unterschiede konnten weder im Vergleich zur Kontrollgruppe noch im Vergleich der angewendeten Behandlungsformen untereinander gefunden werden. Dies könnte auch damit zusammen hängen, dass das Sample als „relativley low-risk population“ beschrieben wird.

7.3.15 Baruch, G, Fearon, P (2002) The evaluation of mental health outcome at a community-based psychodynamic psychotherapy service for young people: a 12-month follow up based on self report data

Stichprobe: n=151 aus 720 Adoleszenten (12–18 Jahre alt) und jungen Erwachsenen; Diagnosen: depressive Störungen (F3; 52,7%), neurotische, Anpassungs- und somatoforme Störungen (F4, F9.3; 20%), Persönlichlkeitsstörungen (F6; 8%), hyperkinetische und Verhaltensstörungen (F9.0, F9.2; 5,3%); Messinstrumente: „global assessment of functioning scale“ (GAF), „severity of psychosocial stressors scale of children and adolescents“ (SPS); Kontrollbedingung: Outcome wird auf 3 Ebenen gemessen: 1. Veränderung in „mean scores“, 2. Wechsel von klinisch zu nichtklinisch, 3. statistisch reliable Veränderung des „level of adaption“; Behandlung: psychodynamische Psychotherapie, durchgeführt von Kinder-, Jugendlichen- und Erwachsenenpsychoanalytikern (2002).

Ergebnisse: In den Outcome-Bereichen internaler und externaler Messungen wie in den Gesamtwerten ergeben sich signifikante Veränderungen zu allen 3 Messzeitpunkten. Effektstärken zwischen 0,27 bis zu 0,50 werden erreicht; ein Großteil der klinisch Kranken kommt bei einem Cut-off-Wert von 60 (nach Achenbach) zu nichtklinischen Werten.

7.3.16 Muratori, F, Picchi, L, Casella, C, Tancredi, R, Milone, A, Patarnello, M.G (2002) Efficacy of brief dynamic psychotherapy for children with emotional disorders

Stichprobe: n=30 (zwischen 6 Jahren und 10 Jahren); Diagnosen: „emotional disorders“ nach F93 und F92, gestellt von Kinderpsychiatern; Messinstrumente: „childrens global assessment scale and child behavior checklist“; Kontrollgruppen: Experimental- und Kontrollgruppe (keine oder andere Behandlung) von je 15; Behandlung: „brief psychodynamic psychotherapy“ (BPP), in Anlehnung an Fraiberg, Luborsky und Malan (2002).

Ergebnisse: stärkere Verbesserung der Experimentalgruppe in 2 Outcome-Variablen; nur der Mittelwert der Experimentalgruppe veränderte sich in den Normalbereich hin. Es kam zu signifikanten Verbesserungen in der Symptomatologie und im Gesamtbefinden. Der Erfolg hing eher vom Fehlen komorbider Elemente als von der Länge und Intensität der Behandlung ab.

7.3.17 Zimprich, H (1980) Behandlungskonzepte und -resultate bei psychosomatischen Erkrankungen im Kindesalter

Stichprobe: n=270 Patienten beiderlei Geschlechts zwischen 3 Jahren und 14 Jahren; Diagnosen: gemischte psychosomatische Diagnosen, vorwiegend (etwa 60%) mit den Leitsymptomen Asthma bronchiale, Adipositas, Anorexie, rezidivierendes Erbrechen, Ekzem, Dermatitis und (etwa 30%) Enuresis, Enkopresis, Obstipation; Messinstrumente: psychosomatische Statuserhebung, Interviewmodell mit 29 Variablen, psychologische Testverfahren, lineares logistisches Modell LLRA, Likelihood-Quotienten-Test; Kontrollgruppe: 100 Patienten einer nichtpsychotherapeutisch behandelten Kontrollgruppe mit psychosomatischen Symptomen; Behandlung: stationäre tiefenpsychologisch ausgerichtete, deutungsarme Spieltherapie für den Patienten (mehrfach in der Woche) ergänzt um analytisch orientierte familientherapeutische Interventionen.

Ergebnisse: Das Gleichsetzen der beobachtbaren Veränderung im Auftreten der Symptome mit der Effektivität der Therapie wird problematisiert, da in der Symptomatik schwach ausgebildete Verhaltensauffälligkeiten bei der Symptommessung ungünstig abschneiden. Statistisch gesicherte positive Wirkung der Psychotherapie auf die klinischen Symptome und Verhaltensauffälligkeiten im Vergleich zur Kontrollgruppe. Senkung des Medikamantenverbrauches in der psychotherapeutisch behandelten Gruppe.

Katamnesen

7.3.18 Dührssen, A (1964) Katamnestische Untersuchung bei 150 Kindern und Jugendlichen nach analytischer Psychotherapie

Stichprobe: Kleinkinder (14), Schulkinder (80) und Jugendliche (35), n=129; Diagnosen: sind über die Leitsymptomatik erfasst; Leistungsstörungen, Stottern, Enuresis und Angstsymptomatiken sind die häufigsten Diagnosen; Messinstrumente: Katamnesezeitraum 5 Jahre nach Abschluss, Fragebogenerhebung und Nachuntersuchungsgespräch mit Eltern, Kind oder Jugendlichem; Behandlung: analytische Psychotherapie (1964).

Ergebnisse: „...bei den vorliegenden Befunden handelt es sich nicht um das Resultat einer wissenschaftlichen Studie“ (S. 241). Es erhielten 53% das Resultat sehr gut bis befriedigend gebessert und 26% das Ergebnis genügend gebessert.

7.3.19 Petri, H, Thieme, E (1978) Katamnese zur analytischen Psychotherapie im Kindes -und Jugendalter

Stichprobe: Kinder und Jugendliche der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Poliklinik der FU Berlin, n=78; Diagnosen: 43 werden als beginnende und 35 als ausgeprägte neurotische Fehlentwicklungen gewertet. Bei 32 finden sich folgende Zusatzdiagnosen: Verdacht auf frühkindliche Hirnschädigung, Pubertätskrise, Verkümmerungssyndrom, intellektuellen Rückstand, Legasthenie, Verwahrlosung, Drogenabusus, Grand Mal, psychosexuelle Identitäts- oder Entwicklungsstörungen; Messinstrumente: Katamnesezeitraum bis zu 5 Jahren, mehrperspektivische Erfolgseinschätzung aus der Sicht der Patienten, Eltern und Therapeuten; Behandlungen: analytische LZT, bei Jugendlichen unter 80 h (1978).

Ergebnisse: Die Zufriedenheitswerte lagen zwischen 57–66%. Die neurotischen Störungen zeigten mit 54% zufriedenere Beurteilungen gegenüber 36% bei komplizierteren und komorbiden Krankheitsbildern (z. B. Verwahrlosung).

7.3.20 Fonagy, P, Target, M (1995) Kinderpsychotherapie und Kinderanalyse in der Entwicklungsperspektive: Implikationen für die therapeutische Arbeit. Prediktoren des Therapieerfolges in der Kinderanalyse: eine retrospektive Studie aufgrund 761 Fälle am Anna Freud Center.

Stichprobe: n=763 (=90% der am Anna Freud Center behandelten Kinder); Diagnosen: ICD-10- und DSM-III-Diagnosen (retrospektiv, aber gute Reliabilitätsbeurteilungen durch externe Kinderpsychiater, die unabhängig voneinander die Diagnoseüberprüfung vornahmen; Messinstrumente: „Hamstead psychoanalytic index“, „Hamstead child adataption measure“ (HCAM) mit hohen Reliabilitätswerten; Behandlungen: 76% bekamen eine intensive Behandlung (4–5 h/Woche); 24% wurden mit 1–2 h/Woche behandelt (1995).

Ergebnisse: Klinisch bedeutsame Verbesserungen wurden bei 62% der intensiv behandelten Kinder (ES von 1,00) und bei 49% der niederfrequent behandelten Kinder (ES=0,64) festgestellt. Bei expansiven Störungen reduzierte sich das Störungsniveau durch LZT auf das Niveau der Verbesserung wie bei emotionalen Störungen. Bei emotionalen Störungen (größte Untergruppe mit n=352) wechselten 58% in die normale Streubreite und 72% zeigten reliable Besserung im Funktionieren.

Zusammenfassung der Ergebnisse nach Fonagy und Target

 

  1. 1.

    Jüngere Kinder zeigen mehr Besserung in psychodynamischen Behandlungen und profitieren von 4–5 Sitzungen/Woche.

  2. 2.

    Nichtgeneralisierte Angststörungen gehen mit einer guten Prognose einher, auch wenn die Erstdiagnose eine expansive Störung war.

  3. 3.

    Kinder mit tief greifenden Entwicklungsstörungen schneiden nicht gut ab (nur 28% Verbesserungen), auch nicht bei LZT.

  4. 4.

    Kinder mit emotionalen Störungen sprechen bei vorliegender Komorbidität gut auf LZT gut an, aber nicht bei Niederfrequenzbehandlung.

„Unsere Daten legen nahe, daß bei einer genügend langen und intensiven Behandlung die meisten (aber nicht alle) kindlichen psychiatrischen Störungen mit dieser etwas erweiterten Anwendung der psychoanalytischen Technik (durch Entwicklungsförderung) sinnvoll behandelt werden können“ (S. 181).

7.3.21 Target, M, Fonagy, P (1998) The long-term follow-up of child psychoanalysis

Es handelt sich bei der Studie, die noch nicht abgeschlossen ist, um eine retrospektive Langzeitstudie mit der Frage, ob psychoanalytische Interventionen in der Kindheit einen Schutzfaktor darstellen.

Stichprobe: 200Personen, die zur Hälfte Störungen im Alter von 10–11 Jahren aufwiesen und heute zwischen 24 Jahre und 35 Jahre alt sind; Diagnosen: Störungen in der Kindheit, auch psychiatrische Störungen; Messinstrumente: 1. Tiefeninterviews, basierend auf objektiven Messungen der Lebensereignisse, auf dem gegenwärtigen Persönlichkeitsfunktionsniveau sowie psychiatrischen und Persönlichkeitsstörungsdiagnosen, 2. Symptommessskalen (SCL-90, SF-36, IQ und EPQ), 3. psychodynamische Messung der Bindungsfähigkeit und der Objektbeziehungsrepräsentanzen; Kontrollgruppe: 1. Gruppe intensiv psychoanalytisch behandelter Personen, 2. Gruppe niederfrequent behandelter Personen (1 h/Woche), 3. Gruppe Geschwister der behandelten Personen, 4. Gruppe unbehandelter Personen mit Störungen in der Kindheit; Behandlung: hoch- und niederfrequente psychoanalytische Behandlung (1998).

Ergebnis: Erfolgreich behandelte Kinder haben einen protektiven Faktor für ihr Erwachsenenleben erworben.

7.3.22 Winkelmann, K, Hartmann, M, Neumann, K, Hennch, C, Reck, C, Victor, D, Horn, H, Uebel, T, Kronmüller. K.T (2000) Stabilität des Therapieerfolgs nach analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie—eine Fünf-Jahres-Katamnese

Stichprobe: n=131; Diagnosen: emotionale Störungen des Kindesalters (24,8%), Störungen des Sozialverhaltens (23,3%), Enuresis (17,3%), Anpassungsstörungen (12,0%), Entwicklungsstörungen (12%), neurotische und somatoforme Störungen (12%), Essstörungen (9%) und Enkopresis (6,8%) (nach ICD-10 und MAS); Messinstrumente: BSS-K nach Schepank (1995), CBCL, Gießener Beschwerdebogen für Kinder und Jugendliche; Kontrollbedingung: Prä-Post-Vergleiche; Behandlung: analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie (2000).

Ergebnisse: Für alle BSS-K-Skalen und den Gesamtwert ergaben sich hochsignifikante Veränderungen zwischen Therapiebeginn und -ende. Nach Therapieende (41%) und zum Katamnesezeitpunkt (45%) in allen BSS-K-Skalen unauffällig. Effektstärke sowie Besserungsraten nach dem Kriterium der klinischen Signifikanz bleiben im Katamnesezeitraum mit 70–80% weitgehend stabil.

7.3.23 Waldron, S, Shrier, D.K, Stone, B. et al. (1975) School phobia and other neurosis. Systematic study of the children and their families

Stichprobe: n=42 aus n=627, junge Erwachsene (17–22 Jahre), die damals unter 13 Jahren waren; Diagnosen: Neurosen und Schulphobie; Messinstrumente: „health-sickness rating scale“ (HSR) nach Luborsky, „current and past psychopathology scales“ (CAPPS), „semi-structured clinical interview with rating scales“, „interrater reliability“; Kontrollgruppe: 42 frühere Patienten, behandelt mit „short-term-therapy“ werden mit in Langzeitanalyse verbliebenen verglichen; Behandlung: unspezifische KZT verglichen mit analytischer LZT (1975).

Ergebnisse: Kein Patient der Kontrollgruppe war klinisch krank, während die früheren KZT-Patienten in einem weiten Spektrum als psychopathologisch einzuschätzen sind. Daraus folgt, dass diese Kinder einer effektiven Behandlung bedurften. Kein früherer Patient erhielt eine angemessene psychoanalytische Standardbehandlung.

Zuordnung der Studien zu den Anwendungsbereichen für Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen

Veröffentlicht im Deutschen Ärzteblatt 97, Heft 33, 13. August 2000.

Die folgende Aufstellung versucht, die einzelnen Studien den jeweiligen Anwendungsbereichen zuzuordnen. Gemäß den Vorgaben des WBP werden kontrollierte Studien oder Studien mit Kontrollbedingungen als Wirksamkeitsbeleg anerkannt. Durch Katamnesen wird eine für das klinische Problem angemessene Stabilität des Behandlungserfolges nachgewiesen. Naturalistische Studien werden bei der Bewertung besonders berücksichtigt.

Wesentliche Anwendungsbereiche der Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen gemäß Beschluss des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie

1 Affektive Störungen und Belastungsstörungen (F30–F 39 und F43)

  • Die Säuglingsstudien, die sowohl mit affektiven Störungen bei den Müttern als auch mit Elementen einer posttraumatischen Belastungs- und Anpassungsstörung einhergehen, sind unter diesen Anwendungsbereich einzuordnen. Mit den Studien von Robert-Tissot et al. (7.3.12), Cohen et al. (7.3.13) und Murray et al. (7.3.14) liegen 3 Wirksamkeitsstudien vor.

  • Die Studie von Baruch und Fearon (7.3.15) enthält über 52,7% F3-Diagnosen. Sie enthält Outcome-Messungen nach validierten und reliablen Instrumenten in 3 wichtigen Messbereichen. Damit erfüllt die Studie die Mindestanforderung „Kontrollbedingung“ durch die Prä-Post-Messung.

  • Die sich noch in der Pilotphase befindende prospektive Studie von Target et al. (7.3.8) kann aufgrund der Depressionssymptomatiken hier eingeordnet werden.

Fazit: Es liegen 4 Studien für diesen Bereich vor. Es ist zwar nicht günstig, dass in diesem Bereich vor allem Eltern-/Säuglings-Studien vorliegen, da der WBP verlangt, dass sich die Studien „über verschiedene Altersstufen bis 18 Jahren erstrecken“ sollen, aber diese Anforderung gilt für die Gesamtbewertung, nicht für einen Anwendungsbereich.

2 Angststörungen und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend (F40–F42 und F93)

  • Die Studie Fahrig et al. (7.3.6) kann aufgrund der überwiegenden Symptomatik von emotionalen Störungen hier eingeordnet werden. Allerdings ist die Studie nicht durch eine Kontrollgruppe kontrolliert, sondern durch eine Vergleichsstichprobe. Dies stellt aber eine „Kontrollbedingung“ dar.

  • Die Studie Winkelmann et al. (7.3.7) kann wegen der überwiegenden Symptomatik von emotionalen Störungen hier eingeordnet werden. Aufgrund des kombinierten Designs von kontrolliertem Studienabschnitt und naturalistischem Design ist die Studie von doppeltem Gewicht, denn der WBP hat festgelegt: „Studien, die eine Übertragung der Wirksamkeitsnachweise auf die Versorgungspraxis erlauben, werden bei der Bewertung besonders gewichtet.“

  • Die Studie Smyrnios und Kirkby (7.3.9) kann aufgrund der überwiegenden Symptomatik von emotionalen Störungen ebenfalls hier eingeordnet werden. Die eingesetzten Messinstrumente sind validiert und reliabel. Die KZT-Behandlungen waren erfolgreicher als die Minimal-contact-Behandlungen.

  • Die Studie Muratori et al. (7.3.16) ist wegen der ausschließlich F92- und F93-ICD-Diagnosen ebenfalls hier aufzuführen. Die Experimentalgruppe weist Verbesserungen in allen Funktionen nach.

Fazit: Für diesen Anwendungsbereich liegen 4 Wirksamkeitsnachweise vor.

3 Dissoziative-, Konversions- und somatoforme Störungen und andere neurotische Störungen (F44, F45 und F48)

In den Studien von Fahrig et al. (7.3.6), Winkelmann et al. (7.3.7) und Winkelmann et al. (7.3.22) sind diese Diagnosen auch behandelt, aber in kleinerem Ausmaß. Die Studien sind bereits in anderen Anwendungsbereichen gezählt.

Fazit: Es liegen keine Studien für diesen Anwendungsbereich vor.

4 Essstörungen und andere Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen (F50–F52 und F54)

  • Die Studie von Moran et al. (7.3.1) ist hier einzuordnen, denn Diabetes mellitus ist im ICD-10 nicht erwähnt. Da im Kommentar unter Beispiele auch andere psychosomatische Erkrankungen, wie Asthma, Dermatitis, und Kolitis, genannt werden und es in F54 um psychologische Faktoren und Verhaltensfaktoren bei andernorts klassifizierten Krankheiten (unter Kapitel E) handelt, scheint dies die angemessene Rubrik zu sein.

  • Die Studie Zimprich (7.3.17) ist aufgrund des breiten (ca. 60% von 170 Patienten), vorwiegend psychosomatischen Störungsspektrums (Asthma, Essstörungen, Hautsymptomatiken) hier einzuordnen, auch wenn die Studie Enuresis und Enkopresis ausweist.

Fazit: Es liegen 2 Studien vor.

5 Verhaltensstörungen (F90–F92, F94, F98) und mit Beginn in der Kindheit und Jugend und Ticstörungen (F95)

  • Die Studie von Szapocznik et al. (7.3.3) lässt sich aufgrund der aggressiven Störungen des Sozialverhaltens diesem Anwendungsbereich zuordnen. Die Studie ist mit 3 Vergleichsgruppen gut kontrolliert.

  • Die Studie von Lush et al (7.3.4) weist kombinierte Störungen des Sozialverhaltens und der Emotionen als Diagnosen auf, vor allem aber reaktive Bindungsstörungen des Kindesalters (F94.1) und Bindungsstörungen des Kindesalters mit Enthemmung (F94.2); diese Störungen sind bei Pflege- und Adoptionskindern erwartbar. Die Studie ist kontrolliert.

  • Die Studien von Lehmkuhl und Lehmkuhl (7.3.11) sowie Lehmkuhl et al. (7.3.10) sind wegen der ausgeprägten Störungen des Sozialverhaltens hier zu zählen.

  • Die Studie von Target u. Fonagy (7.3.21) kann hier eingeordnet werden, da mit „childhood disturbances“ auch Verhaltensstörungen gemeint sind. Diese Studie ist bisher nicht publiziert, sondern liegt nur als ein Kongresspaper vor.

Fazit: Es liegen 4 Studien vor.

6 Autistische Störungen (F84)

Fazit: Es liegt keine Studie für diesen Anwendungsbereich vor.

7 Persönlichkeitsstörungen und Verhaltensstörungen (F60, F62, F68, F69), Störungen der Impulskontrolle (F63), Störungen der Geschlechtsidentität und Sexualstörungen (F64–F66), Abhängigkeit und Missbrauch (F1, F55), Schizophrenie und wahnhafte Störungen (F20–F29)

Die Studie Fonagy et al. (7.3.5) kann aufgrund der Persönlichkeitsstörungen in diesen Anwendungsbereich eingeordnet werden. Sie ist aber noch nicht abgeschlossen und nicht publiziert.

Fazit: Es liegt mit Vorbehalt eine Studie vor.

8 Intelligenzminderung (F7), hirnorganische Störungen (F0) und Entwicklungsstörungen (F80–F83 sowie F88 und F89)

Die Studie Heinicke und Ramsey-Klee (7.3.2) ist aufgrund der Lern- und Lesestörungen hier einzuordnen. Es ist eine kontrollierte Studie.

Fazit: Es liegt eine Studie für diesen Bereich vor.

Darüber hinaus liegen mit den älteren und methodisch adäquaten Katamnesestudien Dührssen (7.3.18), Petri und Thieme (7.3.19) Fonagy und Target (7.3.20), Target und Fonagy (7.3.21), Winkelmann et al (7.3.22) und Waldron et al. (7.3.23) weitere 5 Studien mit mehreren klar definierten Störungsgruppen vor, die zur Auffüllung eines Anwendungsbereiches dienen können.

Es liegen insgesamt 17 kontrollierte Studien bzw. Studien mit Kontrollbedingungen und 6 umfangreiche Katamnesen mit insgesamt ca. 1.350 Patienten vor. Besonders hervorzuheben ist, dass viele Studien einem klinisch naturalistischen Design entstammen und insofern Auskunft über ihre Wirksamkeit in der Routineversorgung geben; dies wird enstprechend den Vorgaben des WBP mit besonderer Berücksichtigung bedacht.

7.4 Anwendungsforschung

H. Kächele

Unter 7.4 wird eine Gruppe naturalistischer Studien zusammengefasst, die von Linden (1987) folgenderweise charakterisiert werden:

„Alle wissenschaftlichen Bemühungen, die darauf abzielen, die Kenntnis über ein bestimmtes Therapieverfahren unter den Bedingungen der Routineanwendung zu vermehren, können unter die Phase IV eingeordnet werden“ (Linden 1987, S. 22 f.).

Phase-IV-Forschung untersucht daher Effekte psychoanalytischer und tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie unter den Bedingungen der Routineversorgung. Untersucht werden in der Regel Symptomatik, interpersonelle Probleme, Befindlichkeit, Lebensqualität, individuelle Probleme und Ziele bei Patienten mit unterschiedlichen Krankheitsbildern, wie sie für die Routinepraxis typisch sind. Für die Versorgungspraxis und das Gesundheitssystem insgesamt ist es von großer Bedeutung, wie wirksam psychotherapeutische Verfahren unter den Bedingungen sind, unter denen sie routinemäßig angewendet und von den Krankenkassen finanziert werden.

Rückblick

Nach einer frühen Studie (Coriat 1917) fand die erste umfassende psychoanalytische Katamnestik, von O. Fenichel (1930) am Berliner Psychoanalytischen Institut durchgeführt, den einer Pionierleistung gebührenden Widerhall. Weitere Nachuntersuchungen von psychoanalytischen Autoren wurden 1971 von Bergin (1963) zusammengestellt, z. B. von Alexander (1937), Jones (1936) und Knight (1941). Im Jahr 1942 folgte ein weiterer Bericht aus dem gleichgeschalteten Berliner Institut von F. Boehm über 419 abgeschlossene psychoanalytische Behandlungen, den A. Dührssen (1972) erwähnt.

Im Laufe der Kontroversen, die durch Eysencks (1952) Kritik an der Nachuntersuchungsmethodik ausgelöst wurden, schärfte sich das Bewusstsein für die großen methodischen Probleme, die bei der Durchführung katamnestischer Untersuchungen gelöst werden müssen, um zu abgesicherten Aussagen über den Grad der erzielten Besserung und seines Zusammenhangs mit der Therapie zu kommen.

Die von A. Dührssen durchgeführten katamnestischen Untersuchungen über die Ergebnisse analytischer Psychotherapie bei 1.004 Patienten (Dührssen 1962, 1964) waren hilfreich bei der Anerkennung der analytischen Psychotherapie als Kassenleistung. Diese Studie belegte mit einfachen Angaben zur Arbeitsunfähigkeit vor und nach Psychotherapie im Vergleich zu einer unbehandelten Kontrollgruppe die Leistungsfähigkeit von analytischer Psychotherapie mit einer mittleren Dauer von ca. 100 h (10–15% hatten bis zu 200 h, 10–15 nur 50–60 h).

Ähnliches gilt für die Untersuchungen von Cremerius (1962) und für die Untersuchungen von Strotzka (1964) an dem von ihm eingerichteten Wiener Psychoanalytischen Ambulatorium.

In den USA wurde in den 60er-Jahren die psychoanalytische Evaluationsforschung unangefochten von 2 Arbeitsgruppen bestimmt, eine in New York und eine in Topeka, Kansas. Um die klinisch relevante Frage einer differenziellen Indikation zwischen hochfrequenter Psychoanalyse und hochfrequenter psychoanalytischer Psychotherapie beantworten zu können, wurde in den 60er-Jahren an der Columbia Psychoanalytic Clinic in New York mit Hilfe der systematischen Dokumentation der Anfangs- und Endbedingungen eine sehr große Zahl von Patienten in Psychoanalyse (n=588) und analytischer Psychotherapie (n=760) untersucht (Weber et al. 1966); eine randomisierte Zuweisung der Patienten zu einer der beiden Formen von Behandlungen wäre damals nicht vorstellbar gewesen. Bachrach et al. (1985) und Weber et al. (1985) fanden z. B. dass bei Patienten mit schwerer Symptomatik und einer neurotischen Persönlichkeit Psychoanalysen auf der Couch zu besseren Therapieergebnissen als analytische Psychotherapien („face-to-face“) führten, während bei Vorliegen der Diagnose einer Borderlinepersönlichkeit die hochfrequente Psychoanalyse deutlich schlechter abschnitt als die mittelfrequente psychoanalytische Therapie.

Zu Beginn der 50er-Jahre wurden in Topeka an der Menninger Foundation die methodologischen Grundlagen für das wohl bisher zeitlich und finanziell aufwändigste psychoanalytische Therapieforschungsprojekt gelegt, dessen abschließender Bericht 1986 von Wallerstein vorgelegt wurde. Von Anfang an wurde betont, dass die Frage nach Veränderung sowohl die Frage nach dem „was“ als auch nach dem „wie“ beinhaltet (Wallerstein 1986).

Eine wichtige methodische Entscheidung des Menninger-Projektes bestand auch darin, eine naturalistische Studie durchzuführen. Das Forschungsvorhaben sollte auf die klinische Arbeit möglichst keinen Einfluss ausüben. Entsprechend wurden die Zuweisungen der Patienten zu den Behandlungsformen klinisch entschieden: 22 Patienten wurden mit klassischer Psychoanalyse und 20 Patienten mit analytischer Psychotherapie behandelt. Von den 42 Patienten wurden 22 zeitweise stationär behandelt; dies enthält einen deutlichen Hinweis auf die Schwere der Störungen. Zum Anfang, zum Ende und zu einem katamnestischen Zeitpunkt (2–3 Jahre nach der Behandlung) wurden für jede Behandlung eine Fülle von Angaben von einem Team wissenschaftlich qualifizierter Psychoanalytiker erhoben, das separat vom Therapeuten arbeitete (Tabelle 1).

Tabelle 1 Besserungsraten

Diagnostisch ließen sich 2 Gruppen unterscheiden, bei denen auch recht unterschiedliche Besserungsraten zu verzeichnen waren.

Die Patienten dieser Langzeitstudie hatte alle vielfältige ambulante Therapieversuche vor der Aufnahme in das Klinikprogramm (ambulant und stationär) hinter sich. Die 4 folgenden, wesentlichen Hauptbefunde dieser Langzeitstudie waren (Kernberg 1973):

  1. 1.

    Bessere Ich-Stärke ist mit besserem Outcome positiv korreliert.

  2. 2.

    Die Patienten mit besserer Ich-Stärke und besseren interpersonellen Beziehungen profitierten von supportiver Therapie weniger als von Psychoanalyse oder psychoanalytischer Therapie.

  3. 3.

    Die Patienten mit der geringsten Ich-Stärke zeigten die besten Ergebnisse unter psychoanalytisch orientierter Therapie in Kombination mit—wenn nötig—stationärer Aufnahme.

  4. 4.

    Diejenigen Borderlinepatienten, die einen Therapeuten gehabt hatten, der intensiv die Übertragung fokussierte, hatten einen besseren Verlauf, als diejenigen, deren Therapeut diesen Bereich weniger beachtete.

Hieraus zog Kernberg klinische Konsequenzen, die inzwischen auch in der BRD umgesetzt werden. Die von ihm übertragungsfokussierte Technik genannte Interventionsform für Borderlinepatienten (Kernberg et al. 1989), auch auf deutsch publiziert (Clarkin et al. 2000), basiert auf den „gesicherten“ Erfahrungen aus diesem Projekt.

Nach einer 7-jährigen Mitarbeit an dem Menninger-Projekt lancierte Luborsky 1968 in Philadephia das Penn Psychotherapy Project, dessen abschließender Bericht 20 Jahre danach erscheinen konnte (Luborsky et al. 1988). In der Untersuchung sollte nochmals die Leistungsfähigkeit prognostischer Indikatoren für den Therapieausgang evaluiert werden.

Als beste Prädiktoren für einen Behandlungserfolg stellte sich heraus:

  • Psychological health (HSRS) sig, 1%; Emotional freedom sig, 1%, overcontrol; similarity of patient and therapist; matching of patients and therapists according to therapist’s preference erklären 5–10% der Outcome-Varianz.

Als wichtiger, immer wieder replizierter Befund, nicht nur für psychodynamisch orientierte Therapien bleibt bestehen, dass der Grad noch bestehender seelischer Gesundheit—orientiert z. B. an der Gesundheits-Krankheits-Skala, die ein wesentlicher Beitrag von Luborsky zum Menninger-Projekt war (Luborsky et al. 1993)—den Behandlungserfolg zwar nicht hoch, aber statistisch konsistent vorhersagen kann (in der Penn-Studie auf dem 1%-Niveau).

Die Studie von Stevenson und Meares

Erstaunlich ist die Bilanz einer australischen Studie von Stevenson und Meares (1992), die die Ergebnisse von 30 Patienten vor und nach 1-jähriger analytischer, selbstpsychologisch orientierter Psychotherapie darstellen. Die ambulante Therapie erfolgte 2-mal wöchentlich durch in Ausbildung befindliche Psychotherapeuten unter Supervision. Von ursprünglich 67 Patienten konnten schließlich 30 Patienten für die vergleichende Bewertung herangezogen werden. Die Besserungskriterien der Autoren berücksichtigten symptomatische Verhaltenweisen, wie fremd- und selbstschädigendes Verhalten, Arzneimittelkonsum und Arztbesuche, sowie Arbeitsfähigkeit, Krankschreibungen etc. Sowohl der Cornell-Index wie auch die DSM-III-Kriterien fanden sich hochsignifikant verringert. Bei 30% der Patienten waren sogar die Diagnosekriterien der Borderlinepersönlichkeitsstörung nach DSM-III-R nicht mehr vorhanden.

Weitere naturalistische Studien vorwiegend aus Deutschland und anderen europäischen Ländern

Das Heidelberger Katamnesen-Projekt wurde von (Bräutigam et al. 1980) initiiert und war in vielfältiger Weise fruchtbar und typisch für die BRD. Innovativ war der Ansatz, eine kombinierte stationär-ambulante Behandlung im Vergleich zu nur stationär oder nur ambulanter Behandlung (Rad und Werner 1981) zu evaluieren. Neben methodischen Entwicklungen, wie Zielerreichungsvorgaben, wurde auch der Frage einer störungsspezifischen Behandlungsdauer nachgegangen (Kordy et al. 1988). Die lange Katamneseperiode von 3,5 Jahren trägt auch zur klinischen Relevanz der Studie erheblich bei (Rad et al. 1998).

Eine gesonderte textanalytische Auswertung der Katamneseinterviews durch Heuft et al. (1996) zeigte weitere qualitative Differenzierungen zwischen 33 Psychoanalyse- und 33 Psychotherapiepatienten auf. Es hatten 72% der Psychoanalysepatienten und 56% der analytischen Psychotherapiepatienten ihre speziellen Behandlungsziele erreicht.

Die Berliner Psychotherapiestudie

Diese Studien (Rudolf 1991, 1994) wurden in den 80er-Jahren vom Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) unterstützt. In der dritten Studie wurden in einem naturalistischen Design Daten von stationären und ambulanten Behandlungen verglichen. Es wurden 44 Psychoanalysepatienten mit 56 ambulant behandelten Psychotherapiepatienten und 164 stationären Patienten verglichen. Der Vergleich von Symptomen, Diagnosen und Motivationen zeigte, dass es sich dabei um unterschiedliche Gruppen von Patienten handelte (eine Randomisierung hatte sich als unmöglich erwiesen). Die Psychoanalysepatienten zeigten die raschesten Veränderungen; 96% der ambulant und 64% der stationär behandelten Patienten zeigten Besserungen. In einer zweiten Studie wurden 44 psychoanalytisch behandelte Patienten katamnestisch untersucht. Angst und andere affektive Störungen zeigten die größten Effektstärken. In der dritten Studie erwies sich das Arbeitsbündnis als der wichtigste Prädiktor für den Behandlungserfolg.

Praxisstudie Analytische Langzeittherapie

Diese Studie (PAL; Rudolf et al. 2004) wurde durch die DGPT und weitere Drittmittelgeber (Bosch-Stiftung u. a.) unterstützt. Zwei Stichproben von 62 Patienten mit klinisch bedeutsamen Störungen wurden entweder mit Psychoanalysen (vorwiegend 3-stündig im Liegen) oder mit Psychotherapien (vorwiegend 1-stündig im Sitzen) behandelt. Durch die Auswahl der Fälle wurde sichergestellt, dass beide Gruppen hinsichtlich wichtiger Parameter, wie Alter, Geschlecht, sozioökonomische Merkmale und Störungsschwere, vergleichbar waren. Eine Besonderheit dieser Studie bestand darin, dass die Veränderungen regelmäßig auch durch unabhängige Untersucher geprüft wurden. Alle 3 Monate (im späteren Verlauf alle 6 Monate) wurde ein halbstrukturiertes Interview durchgeführt, videographiert und anschließend mit Hilfe der OPD und der Heidelberger Umstrukturierungsskala, eine unter psychodynamischen Gesichtspunkten adaptierte Form der „assimilation of problematic experiences scale“ (APES) von Stiles, ausgewertet. Die zentrale Annahme lautete, dass ein differenzieller Effekt bezüglich der Veränderung persönlichkeitsstruktureller Merkmale zwischen beiden Behandlungsgruppen gefunden werden kann.

Bei der Prüfung der Veränderungen zeigten sich signifikante Behandlungseffekte auf der Symptom- und Verhaltensebene [gemessen mit dem SCL-90, dem PSKB-Se und dem Inventar zur Erfassung interpersonaler Probleme (IIP)], und zwar sowohl für die Psychoanalysen als auch für die Psychotherapien. Signifikante Wechselwirkungen wurden erwartungsgemäß aufgrund des Umfangs der Strichproben nicht entdeckt. Anhand der Heidelberger Umstrukturierungsskala konnten jedoch Veränderungsprozesse mit der Qualität einer Umstrukturierung der Persönlichkeit bei den Psychoanalysen in 59,4% der Fälle erreicht werden, bei den Psychotherapien nur in 11,1%; diese Differenz ist hochsignifikant. Darüber hinaus ergaben sich sowohl in der Selbsteinschätzung der Patienten als auch in der Beurteilung der Behandler und unabhängigen Beurteiler starke Hinweise dafür, dass im Falle von Umstrukturierungen umfassendere und tief greifendere Veränderungen stattfinden, die eine besonders günstige Prognose für die Entwicklung nach Behandlungsabschluss zulassen. Diese Erwartung wird z. Z. im Rahmen von 1- und 3-Jahres-Katamnesen untersucht. Jenseits der intensiven Umstrukturierung wurden bei weiteren 25% der Psychoanalysen und 51,9% der Psychotherapien Veränderungen nachgewiesen, die die Qualität der Bewältigung haben. Ohne eine der Umstrukturierungsveränderungen blieben 15,6% der Psychoanalysen und 37% der Psychotherapien.

Die DPV-Katamnese Studie

In dieser ersten repräsentativen Katamnesestudie (Leuzinger-Bohleber et al. 2001, 2002) von Psychoanalysen und psychoanalytischen Langzeitbehandlungen (durchschnittlich 6,5 Jahre nach Beendigung) waren über 200 PsychoanalytikerInnen und über 400 ehemalige PatientInnen beteiligt. In einer multiperspektivischen Annäherung an die Langzeitwirkungen von Therapien wurden Patienteneinschätzungen und Beurteilungen der behandelnden Analytiker, der Katamneseinterviewer, von psychoanalytischen und nichtpsychoanalytischen Experten sowie „objektiver Daten“ zu Einsparungen der Gesundheitskosten etc. einander gegenübergestellt. Sowohl bei der Gewinnung als auch bei der Auswertung der Daten kam eine Vielzahl qualitativer und quantitativer Verfahren zur Anwendung.

Von den Patienten (n=282) gaben 75% rückblickend an, dass ihr Gesamtbefinden vor der Therapie „schlecht“war; 81% bezeichneten das Gesamtbefinden zum Zeitpunkt der Katamnese als „gut“;80% berichteten positive Veränderungen bezüglich ihres Gesamtbefndens, des inneren Wachstums und der Beziehungen. Zwischen 70% und 80% stellten positive Veränderungen in Bezug auf die Lebensbewältigung, das Selbstwertgefühl, ihre Stimmung, ihre Lebenszufriedenheit und ihre Leistungsfähigkeit fest. Bezüglich der gegenwärtigen Symptombelastung (GSI) liegt die Katamnesestichprobe zwar noch knapp über den Werten der Gesamtbevölkerung, befindet sich aber nicht mehr im klinischen Bereich und deutlich unter den Werten ambulant und stationär behandelter Patienten. Daher sind 76% der ehemaligen Patienten (und 64% der Analytiker) mit dem Behandlungsergebnis zufrieden.

Von einer Teilstichprobe von 129 ehemaligen Patienten schätzten 2 Rater aufgrund aller verfügbaren Informationen den Schweregrad der Störung zu Beginn und zum Katamnesezeitpunkt ein [BSS, GAF, „global assessment of relational functioning“ (GARF), „social and occupational functioning scale“ (SOFAS)] sowie die Anfangssymptomatik nach ICD-10 ein (bereinigter κ-Koeffizient: 0,73). Es litten 51,2% der Patienten an Persönlichkeitsstörungen, 27,1% an affektiven Störungen, 10,9% an neurotischen Störungen und 6,2% an einer Schizophrenie. Zu den unerwarteten Ergebnissen der Studie gehört die Beobachtung einer Häufung von Patienten (62% der Interviewstichprobe), die in ihrer frühen Kindheit schwerste reale Traumatisierungen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hatten (Verlust naher Angehöriger, Flucht, Bombardierung, Hunger und Verletzungen etc.). Für viele ehemalige Patienten war die Einsicht in diese persönlichen Hintergründe ihres Leidens ebenso wichtig wie die Milderung ihrer Symptomatik (vgl. dazu Leuzinger-Bohleber 2003).

The Stockholm outcome of psychotherapy and psychoanalysis (STOPP) Study

Diese große schwedische Studie (Sandell 1998, 1999, 2001, 2001; Sandell et al. 1999, 2000, 2001, Blomberg u. Sandell 2003) ist insofern bemerkenswert, als sie ursprünglich als RCT-Studie geplant war, die sich aber nicht realisieren ließ (Sandell et al. 1997). Stattdessen kam ein methodologisch innovatives Design mit 3 Erhebungswellen zur Anwendung. Es wurden 430 Patienten zu verschiedenen Zeitpunkten ihrer hochfrequenten psychoanalytischen Therapie oder mittelfrequenten analytischen Psychotherapie untersucht (vor, während und danach). Die Patienten konnten ihre Behandlungsform selbst wählen. Der Zeitpunkt, an dem sie in die Untersuchung eingeschlossen wurden, wurde als Randomisierungsfaktor gewertet. Eine umfangreiche Batterie standardisierter Test wurde eingesetzt [SCL-90, „social adjustment scale“ (SAS), „sense of coherence scale“ (SOCS)] sowie spezialisierte Fragebögen zur Familiensituation, gesundheitlichen Verfassung und zur Arbeitssituation. Die Therapeuten mussten einen Fragebogen zur ihrer therapeutischen Orientierung ausfüllen (Tabelle 2).

Tabelle 2 Behandlungs- und Vergleichsgruppen

Am Beginn befanden sich die Patientengruppen auf dem gleichen Niveau von Psychopathologie, gemessen mit dem SCL-90. Am Ende der langen Behandlungen befanden sich beide Gruppen in einem subklinischen Bereich. Die Psychoanalysegruppe verbesserte jedoch in der nachfolgenden 3-Jahres-Periode die Werte bis auf das Niveau der „normalen“ Bevölkerung; dagegen verblieb die Psychotherapiegruppe im subklinischen Bereich (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Psychopathologie während (1–3 Jahre) und nach Behandlung (4–6 Jahre)

Die Norwegische Prospektive Studie zu Persönlichkeitsstörungen bzw. Psychosen

Monsen et al. (1995, 1995) untersuchten 25 ambulante Patienten mit Persönlichkeitsstörungen oder Psychosen 5 Jahre nach Ende der intensiven psychodynamisch orientierten Therapie. 76% der Patienten hatten ein psychosoziales Funktionsniveau erreicht, dass sie nicht mehr länger als „Patienten“ klassifizieren ließ.

Studien zu Borderlinestörungen

Gunderson (1992) konnte in seiner Studie 5 Patienten identifizieren, die alle bei relativ jüngeren Analytikern (in Ausbildung) geblieben waren und nach 4 Jahren therapeutischer Arbeit die in Tabelle 3 zusammengefassten Ergebnisse aufwiesen.

Tabelle 3 DSM-III-Kriterien

Empirische Befunde zur „übertragungsfokussierten Therapie“

Kernberg und Clarkin (1993) berichten von 34 Patientinnen einer Pilotstudie, die die DSM-III-R-Kriterien für eine Boderlinepersönlichkeitsstörung erfüllten. Patienten mit hirnorganischen Psychosyndromen, bipolarer oder schizophrener Psychose wurden ebenso wie substanzabhängige und antisoziale Persönlichkeitsstörungen ausgeschlossen. Die Patienten wurden aufgrund der DSM-Kriterien in 3 Gruppen („cluster“) aufgeteilt (Hurt et al. 1990) die als ein Identitäts-, impulsives und ein affektives Cluster definiert werden können. Manche Patienten erfüllen mehrer Cluster. Die Autoren vertreten die Hypothese, dass Borderlinepatienten je nach Cluster eine z. T. adaptierte Therapie benötigen bzw. sich im Lauf der Therapie unterschiedliche Schwierigkeiten zeigen werden. Besonders beforscht wurde dieser Aspekt in der Studie von Hull et al. (1993), die über 6 Monate Borderlinepatienten mit unterschiedlicher Clusterausprägung untersuchten. Diejenigen mit schwerer Kernsymptomatik (besonders im Bereich der Identität, etwa Leeregefühle, Angst vor dem Alleinsein) berichteten insgesamt eher über ein Persistieren der Symptome—trotz Behandlung—zum Teil sogar über eine Verschlechterung, während gerade die „leichter“ gestörten Patienten oft erheblich von gleichen Behandlungsangeboten profitierten. Bei der Studie handelte es sich um eine „one-cell nonrandomized investigation“, sodass differenzierte Aussagen über das Verfahren noch nicht getroffen werden konnten.

Clarkin et al. (1992) untersuchten 31 Patientinnen zwischen 18 Jahren und 45 Jahren (DSM-III), die von 28 Therapeuten nach der übertragungsfokussierten Therapie- (TFP-)Methode (Videos, 2 Sitzungen in der Woche, wöchentliche Supervision) behandelt wurden. Die Drop-out-Rate nach 12 Wochen betrug 42% (23% brachen die Therapie während der Kontraktphase ab). Die Abbruchrate für Psychotherapien entsprach interessanterweise auch hier wieder ziemlich genau der von vergleichbaren Pharmakastudien in diesem Bereich (z. B. Goldberg et al. 1986: 48%). Ein weiterer wichtiger Befund war, dass sich die Frühabbrecher von den Spätabbrechern dadurch unterschieden, dass letztere Gruppe praktisch ohne Ausnahme mit dem Therapeuten zuvor ihren Entschluss besprachen oder ankündigten, während keiner der Frühabbrecher dies tat. Eine aktive Vorgehensweise in der Kontraktsettingphase schien in dieser Studie ein wichtiger Prädiktor für den weiteren Verlauf zu sein.

Sechs dieser Patienten wurden im Rahmen einer Pilotphase über einen längeren Zeitraum der Therapie (6 Monate bis zu 5 Jahren) bezüglich Symptomveränderung, sozialer Situation und spezifischer Borderlinepathologie weiter untersucht. Auch in dieser Studie erfüllten 5 der 6 Patienten nicht mehr die DSM-III-R-Kriterien; hierbei gingen die Kriterien in unterschiedlichem Ausmaß zurück (affektive Instabilität und Suizidgedanken in allen Fällen, in denen sie zuvor vorhanden waren, die Identitätsdiffusion jedoch nur in 33%). Allerdings kam es (im Gegensatz zur sozialen Situation, in der 4 der 6 Patientinnen sich verbesserten) bezüglich der Symptomatologie (BDI, SCL-90 und „Buss-Durkee hostility inventory“) nur in einem Fall zu einer signifikanten Verbesserung.

Göttinger Praxis-Studie

Die laufende Göttinger Praxis-Studie (Leichsenring et al. 2004) untersucht die Wirksamkeit psychoanalytischer und tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie in der Routineversorgung.

Design: naturalistische prospektive Studie mit 6 bzw. 5 Messzeitpunkten: vor der Therapie, nach 50 h, nach 160 h, unmittelbar nach Abschluss der Therapie, 1 Jahr und 2 Jahre nach Abschluss der Therapie (Katamnese). Bei tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapien entfällt die dritte Erhebung. Als Outcome-Maße werden überwiegend standardisierte und international anerkannte Selbstbeurteilungsinstrumente verwendet [SCL-90-R, IIP, Fragebogen zur Lebenszufriedenheit, Veränderungsfragebogen für Erleben und Verhalten (VEV), „goal attainment scaling“]; außerdem Therapeutenfragebogen zur Globaleinschätzung des Therapieerfolges sowie zum psychotherapeutischen Prozess und zu den eingesetzten Interventionen.

Stichprobe: bisher 47 Patienten in analytischer Therapie, davon 36 mit abgeschlossener Therapie, davon n=23 mit 1-Jahres-Katamnese. Bisher 24 Patienten in tiefenpsychologisch fundierter Therapie, davon 8 mit abgeschlossenen tiefenpsychologisch fundierten Therapien und 6 mit 1-Jahres-Follow-up. Angestrebt werden 50 Patienten/Gruppe. Es handelt sich um eine heterogene Stichprobe von Patienten mit häufigen komorbiden Störungen.

Hauptinstrument ist das PATH („problems and aims in therapy“; Staats et al. 1999), das für die Erfassung von Veränderungen in LZT entwickelt wurde.

Einzelfallstudien

Bekanntlich wurde in den letzten Jahrzehnten von internationalen Psychotherapieforschern der Ruf nach empirisch kontrollierten Einzelfallstudien laut. Sorgfältige qualitative Beschreibungen, wie sie von Wallerstein (1986) für die 42 Patienten des Menninger-Projektes vorgelegt wurden, bilden dabei eine Möglichkeit. Die Kriterien für solche Studien—wenn sie als Ergebnisstudie herangezogen werden sollen, wurden von Leichsenring (1987) erörtert. Unumstritten sind als Musterbeispiel der Fall der Mrs. C, dessen prozessuale Veränderung mit dem Q-Set von Jones u. Windholz (1990) belegt wurde.

Im deutschen Sprachraum hat die Ulmer Arbeitsgruppe die Veränderungen des Umgangs mit Träumen als prozessuales Veränderungskriterium an 5 Einzelfällen aufgezeigt (Leuzinger-Bohleber 1987, 1989; Leuzinger-Bohleber u. Kächele 1988).

An einem dieser Fälle—dem Fall der Patientin Amalie X—wurde darüber hinaus eine größere Zahl von Prozessstudien durchgeführt, deren Befunde mit psychometrischen Anfangs- und Endkriterien verglichen wurden: Veränderungen des Selbstwertgefühls (Neudert 1987); Veränderungen des Leidens (Neudert 1987); Veränderungen der emotionalen Einsicht (Hohage u. Kübler 1987, 1988); Veränderungen der Reaktion auf Unterbrechungen (Jimenez u. Kächele 2002) und Veränderungen des zentralen Beziehungskonfliktes im Prozess (Albani et al. 2003).

Konsumentenbefragung—eine neuer Ansatz

In den USA löste ein Bericht der „consumer reports“ zur Psychotherapie eine interessante Debatte aus. Seligman, der noch 1994 eine Zusammenstellung von RCT-Befunden veröffentlicht hatte (1994), wendet sich—aus vielen Gründen—ein Jahr später einem neuen Kredo zu und preist die Notwendigkeit von praxisnahen Effektivitätstudien, die mit den Consumer reports einen „new look“ inaugurierten (Seligman 1995). Diese dort publizierten Daten sind schwer für eine spezielle Therapieform zu reklamieren; deshalb verweisen wir hier auf die folgenden Studien, die eindeutig psychoanalytische Datensätze vertreten

IPTAR-Studie zur Effektivität psychoanalytischer Psychotherapie

Diese Studie (Freedman et al. 1999) sollte Belege für die Frequenzdebatte beisteuern; eine unbefriedigende Rücklaufquote (41% von 240) geben der Studie nur heuristischen Wert.

Immerhin zeigt die Studie, unter Verwendung des gleichen Consumer-reports-Instrumentes, dass eine Erhöhung der Frequenz von 1 auf 2 Sitzungen eine deutliche Verbesserung der Zufriedenheit mit dem Therapieerfolg erbrachte.

Beeinflusst vom großen Anklang der Consumer-reports-Studie wurden auch in der BRD 2 ähnliche Studien durchgeführt.

Die Konstanzer Studie: Eine deutsche Consumer-reports-Studie

Mit Hilfe der Mitgliederverzeichnisse zweier deutscher Therapiegesellschaften [Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) und Deutsche Gesellschaft für Individualpsychologie (DGIP)] wurde eine Zufallsstichprobe von 20% der Mitglieder gezogen, die an einer Befragung zu ihren Patienten teilnehmen sollten (Heinzel et al. 1997). Es antworteten 50%. Wiederum 50% davon, und zwar sowohl Therapeuten als Patienten, erklärten sich zu einer Mitarbeit bereit (5% der Mitglieder, daher kaum eine repräsentative Stichprobe). Die Ergebnisse der Fragebögen zeigten, dass die wichtigsten Veränderungen während der Therapie stattfanden, sich aber nach der Beendigung fortsetzten. Nach Einschätzung der Patienten betrafen die zentralsten Veränderungen das allgemeine Wohlbefinden und die Beziehungsfähigkeit (2-jährige Katamnese).

Die Saabrücker Consumer-reports-Studie

Für die Studie (Hartmann u. Zepf 2002) wird die Übersetzung des Originalfragebogens der Consumer-reports-Studie ins Deutsche benutzt:

a)

Wie haben sich die psychischen Beschwerden gebessert, wegen denen Sie eine Behandlung gesucht haben?

0–100

b)

Wie zufrieden sind Sie mit der Behandlung?

0–100

c)

Wie hat sich Ihr Allgemeinbefinden durch die Behandlung gebessert?

0–100

Sie generiert einen Gesamtscore 0–300. Die Rekrutierung erfolgte durch Psychotherapeuten (68%), die Stiftung Warentest (11%), via Internet (11%) und Freunde/Bekannte (10%). Vom 1. Juni 2000 bis 28. Februar 2001 kamen 1.896 Fragebogen zurück, 1.426 waren brauchbar, 468 wurden ausgeschlossen. Die soziodemographischen Charakteristika der Stichprobe entsprechen angeblich denen der psychotherapeutischen Patienten in der BRD: 58% Abitur:

a)

Tiefenpsychologische Psychotherapie

N=469

(33%)

b)

Psychoanalyse

N=284

(20%)

c)

Verhaltenstherapie

N=238

(17%)

d)

Klientenzentrierte Psychotherapie

N=119

(09%)

e)

Sonstige

N=290

(21%)

Problematisch erscheint besonders, dass 67% sich noch in laufender Behandlung befanden. Zur Dauer gehen die Angaben von 49% >2 Jahre, 29% 1–2 Jahre, 22% <1 Jahr aus.

Zu den Ergebnissen bezüglich der Effektivität werden folgende Angaben gemacht:

  1. 1.

    leichte Überlegenheit von Psychoanalyse vs. tiefenpsychologische Psychotherapie,

  2. 2.

    kein Unterschied von Psychoanalyse und Verhaltenstherapie,

  3. 3.

    kein Unterschied von tiefenpsychologischer Psychotherapie und Verhaltenstherapie,

  4. 4.

    Psychoanalyse deutlich besser als GT und andere Verfahren.

  5. 5.

    Tiefenpsychologische Psychotherapie deutlich besser als GT

Die Angaben zur Dauer sind ebenfalls sehr interessant:

Mehr als 2 Jahre Dauer:

Psychoanalyse

74%

Tiefenpsychologische Psychotherapie

50%

Gesprächstherapie

42%

Verhaltenstherapie

29%

Fazit: Klarer Einfluss der Behandlungsdauer.

  1. 1.

    Die erste signifikante Verbesserung der Wirksamkeit zeigt sich nach 7 Monaten, die zweite nach 1 Jahr und eine dritte hoch signifikante nach 2 Jahren.

  2. 2.

    Die vorläufigen Auswertungen korrespondieren zu denen der US-Consumer-reports-Studie.

  3. 3.

    Methodische Probleme liegen insbesondere in der fraglichen Repräsentativität der Stichprobe.

Die Katamnesestudie der Psychotherapeutischen Klinik Stuttgart-Sonnenberg

Die Psychotherapeutische Klinik Stuttgart-Sonneberg (Teufel u. Volk 1988) ist eine ausschließlich psychoanalytische Institution, die seit 1967 über 102 Betten verfügt und ca. 300 Patienten/Jahr behandelt. In einer Katamnesestudie wurden 248 Patienten identifiziert, von denen 147, durchschnittlich 3,9 Jahre nach Therapieende interviewt werden konnten. Vier Dimensionen wurden untersucht: (a) Erreichen von Therapiezielen, (b) Symptomreduktion, (c) allgemeines Wohlbefinden und (d) Arbeitsfähigkeit. Die Ergebnisse zeigen, dass die Arbeitsfähigkeit und das Erreichen der Therapieziele, die zu Beginn der Behandlung definiert wurden, die größten Veränderungen zeigten. Bezüglich des allgemeinen Wohlbefindens und der Symptomreduktion wurden nur bescheidene Resultate erzielt. Wichtig ist festzuhalten, dass die Studie zu einer Zeit durchgeführt wurde, als die pharmakologische Behandlung noch nicht zu raschen Erfolgen führte.

7.5 Klinische Fallstudien

U. Stuhr

Die „Natur des Gegenstandes“ und nicht seine Vorliebe als naturwissenschaftlich ausgebildeter Neuropathologe sei es gewesen, die Freud (1895, S. 227) zur narrativen Methode als Darstellungsform seiner Erkenntnisse hat greifen lassen. Dieser Methode aus den Anfängen der Psychoanalyse folgten bisher zahlreiche Kollegen, wie in Tabelle 4 aufgelistet.

Tabelle 4 Übersicht über klinische Fallstudien. (Vgl. Kächele 1981)

Dieser spannungsreiche Widerspruch zwischen dem Narrativen und naturwissenschaftlichen Erklärungen setzte sich bis zum Ende von Freuds Schaffen fort (Freud 1940) und lässt auch heute noch die Psychoanalytiker unter sich nicht los (z. B. A. Green 1996 oder im „Open-door-review“: die „angelsächsische“ gegenüber der „französischen Position“, Fonagy 2002). Freud selbst deutete immer wieder das Besondere seines psychologischen Gegenstandes an: „Ein dem Gegenstand anhaftendes besonderes Moment, dass es sich in der Psychologie nicht immer wie in der Physik um Dinge handelt, die nur ein kühles wissenschaftliches Interesse wecken können“ (Freud 1938/40, S. 127) oder: „Der Fall der Analyse liegt anders als bei der Röntgenologie: Die Physiker brauchen den kranken Menschen nicht, um die Gesetze der Röntgenstrahlen zu studieren. Die Analyse aber hat kein anderes Material als die seelischen Vorgänge des Menschen, kann nur am Menschen studiert werden (Freud 1927, S. 291).“ Die Vereinnahmung der Analyse (vgl. Kerz-Rühling 1993) durch hermeneutisch arbeitende Wissenschaftler und Philosophen nährt sich oft aus dem Hinweis, es gehe um Textauslegungen in der therapeutischen Dyade, wie in der Hermeneutik gefordert; aber der Text in der Analyse sei ja ein Mensch. In dem Maße, wie die Eine-Person-Psychologie zu einer intersubjektiven Zwei-Personen-Psychologie ausgearbeitet wird, kann man Gill (1997, S. 87) zustimmen, dass „der menschliche Text antwortet“. Dies ist allerdings eher in einem konstruktivistischen Analyseverständnis und nicht mehr in der Eine-Person-Psychologie verstehbar.

Wenn man sich wie Freud auf die therapeutische Dyade bezieht, also jenes Feld, für das und von dem die angewandte Psychoanalyse als Therapieverfahren lebt, dann ist das Verstehen dieser Interaktion und ihrer seelischen Prozesse das entscheidende Therapie- und Forschungsobjekt der Tiefenpsychologie, und genau für diese therapeutische Interaktion gilt es, Aussagen zu treffen, die Bestand haben. Wenn man, wie hier im vorliegenden Rahmen, die wissenschaftlichen Wirksamkeiten des Therapieverfahrens nachvollziehbar demonstrieren will, geht kein Weg—auch in diesem Kapitel der „klinischen Studien“—daran vorbei, diese Interaktion in Relation zum Therapieerfolg zu setzen. Auch im berühmten „Junktim zwischen Heilen und Forschen“ (Freud 1927, S. 299) geht es nicht nur um die dialektische Verbindung zwischen Heilen und Forschen, sondern auch um die Verbindung zur „wohltätigen Wirkung“, also zum Therapieerfolg des analytischen Vorgehens.

Auch der Beginn der modernen Psychotherapieforschung, der mit Eysencks (1952) Arbeit gesehen wird (Kächele 1986, S. 309) scheint auf Äußerungen Freuds aus seinen „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse“ (1916/17) zurückzugehen (vgl. Rachman u. Wilson 1980, S. 21). Dort spricht er sich gegen eine Statistik der Erfolge aus, nämlich dass eine Statistik wertlos sei, wenn die aneinandergereihten Einheiten derselben zu wenig gleichartig seien, und die Fälle von neurotischen Erkrankungen, die man in Behandlungen gewonnen hatte, waren wirklich nach den verschiedensten Richtungen nicht gleichwertig (ebenda, S. 443). Freud wiederholt dieses Argument in „Die neuen Folgen der Vorlesungen“ (Freud 1933): „Heute wollen wir uns fragen, wieviel die psychoanalytische Psychotherapie leistet...“ „Zu einer gewissen Zeit lautet eine Anklage gegen die Analyse, sie sei als Therapie nicht ernst zu nehmen, denn sie traue sich nicht, eine Statistik ihres Erfolges bekanntzugeben... Aber solche Statistiken sind überhaupt nicht lehrreich, das bearbeitete Material ist so heterogen, daß nur sehr große Zahlen etwas besagen würden. Man tut besser, seine Einzelerfahrung zu befragen“ (ebenda, S. 581). Eysenck hat nun die Diskussion auf eben diese von Freud erwähnte Ebene „sehr große Zahlen“ gebracht, was in viel größerem Maße auch Grawe (1994, S. 309) fortschrieb und die Psychotherapieforschung beherrscht, was sicherlich nicht ohne Wirkung auf die analytische Bewegung geblieben ist, was sich auch in den anderen Kapiteln dieser Zusammenstellung der DGPT widerspiegelt: Die so wichtige Einzelerfahrung der klinisch tätigen Kollegen muß wissenschaftlich ergänzt werden.

Die historisch so fruchtbare narrative Vorgehensweise Freuds ist heute allein nicht mehr in der Lage, die Existenz der Analyse zu rechtfertigen, auch wenn sie für die Mitglieder der „analytischen Community“ hinsichtlich didaktischer und identitätsbildender Zwecke von zentraler Bedeutung ist, denn die Fallberichte können ein lehrreiches Kommunikationsmittel sein. Darüber hinaus gilt es, die Fallnovelle als wissenschaftliche Darstellungsform wenn nicht abzuschaffen („Nieder mit der Fallnovelle als Psychoanalysedarstellung“, Meyer 1993), so doch in eine fundierte therapeutische Interaktionsanalyse bzw. Einzelfallstudie zu verwandeln (vgl. Stuhr u. Deneke 1993).

Neben internationalen Bemühungen („Analysen der Übertragungsintensität“, Graff u. Luborsky 1977; das „Menninger-Projekt“, Wallerstein 1986; „Analytische Prozesse bei jugendlichem Diabetes“, Moran u. Fonagy 1987; „Langzeit-Psychoanalyse des Falles Mrs. C.“, Jones u. Windholz, 1990, oder „Die Veränderung der Übertragungskonstellation“, Dahl 1988; Dahl u. Teller 1994) wird in diesem Zusammenhang auf 2 deutsche Initiativen verwiesen: die Ulmer und die Hamburger Arbeitsgruppe.

Aus der Ulmer Arbeitsgruppe gilt der Fall „Amelie X“ als Musterbeispiel für die Vorzüge einer einzelfallanalytischen Studie, in der allerdings auch eine klare ICD-Diagnostik und unabhängige Eingangs- und Ergebnismessungen standardisiert stattfanden. Die Aufzeichnung der Therapieprozesse, per Tonband konserviert und in Transkripten dokumentiert, ermöglichte dann eine Vielzahl weiterer Studien:

  • Veränderung des Umgangs mit Träumen (Leuzinger-Bohleber 1987, Leuzinger-Bohleber u. Kächele 1990),

  • Veränderung des Selbstwertgefühls und des Leidens (Neudert 1987, 1987),

  • Veränderung der emotionalen Einsicht (Hohage u. Kübler 1987),

  • Veränderung der Reaktion auf Unterbrechung (Jimenez u. Kächele 2002),

  • Veränderung der Übertragungsbeziehung im Prozess (Albani et al. 2002),

  • Veränderung der verbalen Aktivität im Prozess (Kächele 1983),

  • Traumerzählungen (Mathis 2002),

  • das Erwachsenen-Bindungs-Interview als Retrospektive (Buchheim u. Kächele 2003).

Dieses fruchtbare Beispiel der Verbindung von qualitativen und quantitativen Ansätzen im Fall „Amalie X“ geht schon früh auf die Betonung von Thomä zurück, dass die Beforschung der Interaktion eine der Psychoanalyse angemessene Fragestellung ist (Thomä 1974, S. 383) und dass es für ihn „keine geringe Genugtuung“ sei, dass „Einzelfallstudien die in unserem Fall besonders angemessene wissenschaftliche Untersuchung“ darstellen (ebenda, S. 382). Dies forderte Strupp (1986, S. 86) auch als eine Schlussfolgerung seiner wissenschaftlichen Lebensbilanz: sich „wieder vermehrt Einzelfallstudien“ zuzuwenden. In dieser Verbindung von Exaktheit und methodischem Raffinement könnte eine erkenntnisfördernde Verbindung liegen, so dass Einzelfallstudien einen hohen Stellenwert in der Therapieforschung (Elliott 1999) in ihrer zentralen heuristischen Funktion haben.

Wie sinnvoll es ist, klinische Fallstudien trotz ihrer primären narrativen Struktur, durch Kombination mit quantitativen Datenerhebungen sich gegenseitig komplementär stützend, zu einer integrierten Aussage zu führen, wurde auch in der Suche der Hamburger Arbeitsgruppe nach einer angemessenen Forschungsstrategie in der Psychoanalyse deutlich, die klinisch nah und auf Verstehensprozessen basierend arbeitet, aber über den Einzelfall hinausgehende Erkenntnisse anstrebt.

Aus der Rhetorik kennen wir Sprachfiguren (das Paradoxon oder das Oxymoron), die in den Ambivalenzen unserer Patientenberichte auftauchen und die sich zumeist einer logischen Formalisierung bzw. Operationalisierung entziehen. Es ist also nicht zwangsläufig die Komplexität des Gegenstandes, sondern es ist die zwingende Notwendigkeit zur Aussagen-Eineindeutigkeit im Operationalismus mit seinen formal-logischen Strukturen in den empirischen Strategien der Psychotherapieforschung, die Grenzen auferlegt und den Naturwissenschaftler Freud „widerwillig“ gezwungen haben könnte, zur Novelle als Darstellung zu greifen. Es ist zu vermuten, dass er eine physikalische bzw. exaktere, algorithmische Darstellungsform, wie im „Entwurf einer Psychologie“ (1895) angedeutet, gewählt haben könnte.

Der Wissenschaftsphilosoph Toulman (1991) bemängelt deshalb auch die Verdrängung der humanistischen Anerkennung der Ungewissheit und Vieldeutigkeit in wissenschaftlichen Darstellungen durch logische Strenge. Das Subjekt darf nichts in seiner Wahrnehmung dulden, was nicht im Bewusstsein ist (oder mit ihm integrierbar wäre), so dass eine in sich logische widerspruchslose Welt mit kausalen Verknüpfungen entstehen kann, die dann auch der Mathematisierung zugänglich wird. Nach Adorno (1973) hat sich diese Methode jedoch ihrem Gegenstand gegenüber verselbstständigt und das vorher anschaulich erfahrene Objekt wird jetzt durch eine abgehobene Begrifflichkeit ersetzt. Adorno plädiert deshalb dafür, sich von Begriffen wieder zurückzuziehen, die abstrakt alles verdinglichen. Für die Hamburger Arbeitsgruppe war es deshalb entscheidend, die Konkretheit und Anschaulichkeit auch in einer Forschungsstrategie, die dennoch generellere Aussagen anstrebt (Stuhr 1995), zu bewahren. Im Hamburger Ansatz geht es darum, auf der Basis eines taxonomischen Wissenschaftsverständnisses (Stuhr 1997) ein Bindeglied zwischen dem nomothetischen und dem ideographischen Ansatz zu finden, der für Kächele (1981) und Gerhardt (1986) im Typenbegriff einer „qualitativen Forschung“ zu finden ist. Das Konzept des Idealtypenansatzes von Max Weber (1904) wurde in eine empirische Forschungsmethode „Der verstehenden Typenbildung“ (Gerhardt 1986) in der Hamburger Arbeitsgruppe weiterentwickelt (Stuhr 1995; Stuhr et al. 2001). Wachholz und Stuhr (1999) konnten im Rahmen eines Katamneseprojektes (Meyer et al. 1988) die Bedeutung des Behandlers als Introjekt anhand dieser qualitativen Methode der „verstehenden Typenbildung“ zeigen und einer quantitativen Validierung aussetzen. Diese Forschungsstrategie wurde dann in der Hamburger Arbeitsgruppe weiter elaboriert und auch validisiert (Stuhr et al. 2001; Deneke et al. 2003) und nun auf Langzeitpsychotherapien angewandt (Stuhr et al. 2002).

Am für Freud vorbildhaften Beispiel “Charcot“ entstand möglicherweise Freuds eigener epistemologischer Widerspruch, der für die Entstehung und Begründung, also für die Heuristik seiner Disziplin, so fruchtbar wirkte, nämlich wie er über Charcot Folgendes berichtete (Freud, S. 24): „Für die Neuropathologie war es aber ein Glück, daß derselbe Mann die Leistung zweier Instanzen [“pathologische Anatomie“ und „Neuropathologie“, Anm. des Autors] auf sich nehmen konnte, einerseits durch klinische Beobachtungen, die Krankheitsbilder schufen, andererseits beim Typus wie bei der forme fruste die gleiche anatomische Veränderung als Grundlage des Leidens nachwies.“ Aber genau an diesem fruchtbaren dialektischen, also integrativen komplementären Vorgehen haben die Nachfolger und Anhänger der Analyse bislang schwer zu tragen. Die wissenschaftliche Chance innerhalb dieses Vorgehens ist: „Wenn das Unerwartete nicht erwartet wird, wird man es nicht entdecken...“ (Satz des Heraklit). Dieser Bestandteil der Wissenschaft, nämlich neben der Überprüfung von Hypothesen überhaupt erst kreativ „Neues zu sehen“ in der „Nosographie“, wie Freud (1895) Charcots Vorgehen als „Seher“ in der Salpêtrière beschrieb, also die Heuristik und Taxonomie (Stuhr 1995) sollte ein unverzichtbarer Teil unserer Forschungsstrategie bleiben.

7.6 Studien zur Validierung von Einzelaspekten der psychoanalytischen Therapie

H. Kächele

Verlaufsforschung—Prozessforschung

Dieses Thema hat in der Psychoanalyse bei einem der letzten bedeutenden deutschsprachigen Kongresse vor dem Krieg in Marienbad 1936 im Mittelpunkt gestanden und besitzt seither in der Psychoanalyse klinisch Priorität. Klinische Prozessforschung kreist um die Kernfrage des psychotherapeutischen Handelns: „Wie läßt sich dieses therapeutische Handeln rechtfertigen bzw. begründen?“ (Westmeyer 1978). Die Beantwortung dieser Frage kann besonders durch Einzelfallstudien erfolgen, die in der psychoanalytischen Therapiewelt zwar ein hohes Ansehen genießen, aber nicht so zahlreich sind, wie dies wünschenswert wäre. Eine Übersicht über ausführlich systematische klinisch-empirische Studien dieser Art findet sich bei Kächele (1981; vgl. Kap. 7.3). Eine aktuelle Stellungnahme findet sich bei Leuzinger-Bohleber (1995). Weit häufiger wurden Gruppenstudien durchgeführt, deren reichhaltige Ergebnisse in den einschlägigen Kapiteln des Handbook of Psychotherapy and Behavior Change in den bislang 5 Ausgaben dokumentiert sind (Bergin u. Garfield 1971, 1994; Garfield u. Bergin 1978, 1986; Lambert 2003). Vollständige Verlaufsbeschreibungen müssten idealiter sowohl die Veränderungen des Patienten—die Ergebnisse der Behandlung—objektivieren als auch ihr schrittweises Zustandekommen durch die jeweiligen therapeutischen Interventionen erklären. Um diesem Ziel näherzukommen, sind vielfältige methodische Vorarbeiten geleistet worden. Die Einzelheiten, die von Tausenden von Einzeluntersuchungen stammen, wurden von Orlinsky und Howard über viele Jahre wiederholt zusammengefasst und so aufbereitet (1972, 1978, 1986), dass am Ende ein „generisches Modell der Psychotherapie“ stehen konnte (Orlinsky u. Howard 1987). In der vorletzten Ausgabe des Handbooks wurde mit K. Grawe ein deutschsprachiger Therapieforscher miteinbezogen, so dass auch deutschsprachige Ergebnisse berücksichtigt werden konnten (Orlinsky et al. 1994). Natürlich stammen nicht alle Befunde aus psychoanalytisch orientierten Therapiestudien, aber—das darf man sagen—ein erheblicher Anteil dieser Literatur wurden von psychoanalytisch orientierten Therapieforschern, wie L. Luborsky u. Crits-Christoph (1988), M. Horowitz (1991), H. H. Strupp et al. (1997), C. Perry (1993), W. Piper et al. (1998), R. Wallerstein (1989), beigesteuert. Als deutsche Autoren, die das Feld der prozessualen Therapieforschung bereichert haben, sind vor allem A. E. Meyer (1962, 1981); F. Heigl u. Triebel (1977); G. Rudolf (1991, 1997); H. Kordy et al. (1990); Kordy u. Kächele (1995); B. Strauß (2000); Strauß u. Burgmeier-Lohse (1995, V. Tschuschke (1993, 1996), H. Faller u. Goßler (1998) und H. Kächele (1981, 1988) zu nennen.

In der psychoanalytischen Therapieforschung werden seit Jahren vielfältige deskriptive Auswertungsmethoden erprobt, die weiterentwickelt werden müssen. Da die Psychoanalyse außer den unspezifischen Faktoren, wie sie in jeder hilfreichen zwischenmenschlichen Beziehung realisiert werden müssen (Kächele 1988), einen hohen Anspruch an die Wirkung von speziellen technischen Interventionen (Klarifikation, Konfrontation, Interpretation; Koenigsberg et al. 1985) stellt, geht es besonders um deren reliable inhaltliche relevante Erfassung.

Der Zugang zum psychoanalytischen Dialog konfrontiert die Forschung mit einer großen Menge neuer Daten. Es war geboten, vor der Hypothesenprüfung der phänomenologischen Deskription (Grawe 1988) und dem induktiven Vorgehen einen breiten Raum zu lassen. Hier liegen auch die Chancen für die qualitativen Forschungsansätze der Psychoanalyse (Streeck 1994; Buchholz u. Streeck 1994; Stuhr 1997, 2001), indem sie ihre Interpretationen am tatsächlichen Text des Dialogs, d. h. am Verbatimprotokoll, orientieren (Faller u. Frommer 1994).

Die vorwiegend sprachliche Ausgestaltung des therapeutischen Prozesses ermöglicht Forschungsansätze, die von linguistisch-konversationsanalytischen Textanalysen (Flader et al. 1982) bis zu computergestützten Studien (Dahl 1974; Kächele 1976/88; Spence et al. 1993; Mergenthaler 2002) reichen und eine differenzierte Betrachtung therapeutischer Prozesse erlauben. Diese neuen methodischen Ansätze wurden sowohl an KZT (Mergenthaler u. Kächele 1996) als auch an psychoanalytischen Einzelbehandlungen (Leuzinger-Bohleber u. Kächele 1990; Leuzinger-Bohleber 1987, 1989) erprobt.

Im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereiches ist zuerst in Deutschland eine systematische Sammlung therapeutischer Dialoge als Ton- und Videoaufzeichnung und, insbesondere in verschrifteter Form, als Textkorpus etabliert worden (Mergenthaler u. Kächele 1994). Inzwischen sind international weitere Datenbanken gebildet worden. Durch überregionale Kooperation und den Einsatz moderner Computertechnologie wurde damit eine neue Dimension in der Psychotherapieforschung eröffnet (Luborsky et al. 2001).

Im Einzelnen können die im Folgenden beschriebenen intensiv bearbeiteten Forschungsfelder hervorgehoben werden (Henry et al. 1994).

a) Die therapeutische Allianz

Sie ist mit Abstand das am besten bearbeitete Gebiet (Horvath u. Greenberg 1994). Sie dürfte das wichtigste technische Prinzip nicht nur der psychodynamischen Therapieformen sein, sondern wie heute allgemein anerkannt wird, in allen Behandlungsmodalitäten. Was ist damit gemeint?

Die hilfreiche Beziehung bezeichnet eine Reihe verwandter Phänomene, die widerspiegeln, in welchem Maße der Patient die Beziehung zum Therapeuten als hilfreich für das Erreichen der Behandlungsziele erlebt. Sie entspricht Freuds (1912) Auffassung der milden positiven Übertragung als „Trägerin des Erfolges“ (a.a.O, S. 371). Bereits die Anwesenheit des Psychotherapeuten lässt eine hilfreiche Beziehung entstehen; sie wird aber durch „fördernde Interventionen“ gestärkt (vgl. unten).

Die solchermaßen zu fördernde therapeutische Beziehung ist das am besten untersuchte Phämonen des Faches. Gemeinsamkeiten mit den in der Gesprächspsychotherapie zum Eckpfeiler erklärten Einstellungen sind nicht nur zufällig. Es besteht Übereinstimmung darin, dass das Konzept ein multidimensionales Konstrukt ist, an dem 4 Aspekte differenziert werden können:

a):

die Fähigkeit des Patienten zielgerichtet in der Therapie arbeiten zu können,

b):

die affektive Verbundenheit des Patienten mit dem Therapeuten,

c):

das empathische Verstehen und die Involviertheit des Therapeuten,

d):

die Übereinstimung von Patient und Therapeut hinsichtlich der Behandlungsaufgaben und -ziele.

Hinsichtlich der Wirkungsweise werden von Horvath und Greenberg (1994) eine a) direkte Wirkung, b) eine Vermittlerwirkung und c) eine interaktive Wirkung diskutiert.

Die einschlägigen Übersichtsarbeiten gehen davon aus, dass die Beziehung, die der Therapeut anbietet, entscheidender für die therapeutische Veränderung ist als die Technik, die eingesetzt wird. Mit den Elementen „bonds“, „tasks“ und „goals“ wird die therapeutische Allianz zur „förderlichen Umgebung“, die es ermöglicht, therapeutische Aufgaben effektiv zu lösen, aber auch selbst zum heilenden Agens.

Die Ergebnisse einer Metaanalyse aus 15 Jahren Forschung zur therapeutischen Allianz fasst Horvath folgendermaßen zusammen:

  1. 1.

    Allianz (bereits aus frühen Therapiestunden) ist ein Prädiktor für den Therapieerfolg, unabhängig vom psychotherapeutischen Verfahren, der Diagnose und von Patientenmerkmalen.

  2. 2.

    Therapeut und Patient stimmen in der Einschätzung der Allianz meist nicht überein.

Eine ausführliche Studie zur Bedeutung der therapeutischen Allianz in nieder- und hochfrequenten psychoanalytischen Behandlungen hat Rudolf (1991) vorgelegt. Weitere Untersuchungen stammen u. a. von Bassler an verschiedenen klinischen Kollektiven (Bassler 1995).

b) Die Übertragung oder das zentrale Beziehungsmuster

Psychodynamische Therapeuten erkennen und nutzen auf der interpersonalen Ebene Beziehungsmuster zwischen sich und den Patienten, die sich laut bewährter klinischer Auffassung aus den viele Male ablaufenden Interaktionsmustern zwischen den Familienmitgliedern in der frühen Erfahrungswelt des Kindes ergeben haben. Diese Analyse der Beziehung zwischen Patient und Therapeut ist das entscheidende psychoanalytisch-psychodiagnostische Instrument (Strupp u. Binder 1984; Luborsky 1984; Thomä u. Kächele 1985; vgl. Kap. 5 und 6). Sich wiederholende dysfunktionale Beziehungsmuster gelten als Behandlungs- und entsprechend als Forschungsgegenstand. Der expliziten Ausformulierung von Beziehungsmustern kommt sowohl in der psychodynamischen und kognitiv orientierten Einzel- und Gruppentherapie als auch in den Familientherapien zentrale Bedeutung zu.

Unter psychodynamischen Gesichtspunkten können diese Beziehungsmuster als konflikthafte Resultate zwischen den persönlichen Bedürfnissen bzw. Wünschen, den Ängsten und Abwehrvorgängen einerseits und den Reaktionen der Interaktionspartner andererseits verstanden werden. Die psychische Symptomatik des Patienten ist in charakteristische dysfunktionale Beziehungsmuster eingebettet—der Wunsch, die Angst bei der Wunscherfüllung und die entsprechende Abwehr des Wunsches bzw. der Angst konfigurieren auch die interpersonalen Beziehungen. Konflikte sind psychodynamisch zu verstehen als sich widersprechende oder sich gar ausschließende Wünsche und andere Motive, die Ängste vor den Konsequenzen bei der Wunscherfüllung und entsprechende Abwehrreaktionen sowohl auf der intrapsychischen als auch auf der interpersonalen Ebene hervorrufen.

Die Übertragung, das zentrale Konstrukt der psychoanalytischen Theorie der Entstehung (Ätiologie) und der Behandlungstheorie, meint solche repetitiven Beziehungsmuster.

Methoden zur Erfassung von Beziehungsmustern

Die direkte Erfassung von konfliktiven interpersonellen und/oder intrapsychischen Beziehungsmustern aus dem Material therapeutischer Dialoge hat sich in den letzten 20 Jahren als erfolgreiche Forschungsstrategie durchgesetzt. Es wurden mehrere Messinstrumente hierfür entwickelt. Zu den bekannteren Instrumenten zählen:

  1. 1.

    Luborsky, L (1977) Core conflictual relationship theme method (CCRT), dt.: zentrales Beziehungs-Konflikt-Thema (ZBKT; Luborsky et al. 1992; Luborsky u. Crits-Christoph 1998).

  2. 2.

    Horowitz, M (1979) Configurational analysis, dt.: Fischer (1989).

  3. 3.

    Dahl, H (1988: Frames method, dt.: Frames-Methode (Hölzer et al. 1998).

  4. 4.

    Gill, M.M, Hoffman, I.Z (1988) Patient’s experience of the relationship with therapist (PERT), dt.: Beziehungserleben in Psychoanalysen (BIP; Herold 1995).

  5. 5.

    Strupp, H.H, Binder, J (1984) Dynamic focus, dt.: (Strupp u. Binder 1991) Dynamischer Fokus.

  6. 6.

    Weiss, J, Sampson, H (1986) Plan Diagnosis/Plan Formulation Methode, dt.: Methode der Plan-Formulierung (Albani 2000).

  7. 7.

    Arbeitskreis OPD (2001) Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik. Achse II: Beziehung (Grande et al. 1997).

Alle diese Messinstrumente arbeiten motivational hoch besetzte, d. h. als relativ wichtig eingeschätzte Beziehungsmuster heraus und lassen sich sowohl auf kognitive als auch auf expressive Psychotherapieformen anwenden (Albani 2003). Der Zusammenhang der therapeutischen Bearbeitung dieser repetitiven Beziehungsmuster mit dem therapeutischen Ergebnis ist besonders für die Methode des ZBKT nachgewiesen (Albani 2003). Anhand der Penn Collection of Psychoanalytic Cases (Luborsky et al. 2001) wurde das CCRT auch für eine größere Zahl von Psychoanalysen eingesetzt.

Die von Weiss und Sampson (1986) konzipierte „plan diagnosis/plan formulation“ ist ebenfalls ein inzwischen vielfältig bearbeitetes Instrument zur Messung von Übertragungstendenzen; sie wurde an einem Langzeitfall (Weiss et al. 1986) und an psychoanalytischen KZT (Silberschatz et al. 1986, 1986, 1989, 1991; Curtis et al. 1988; Silberschatz 1997) getestet. Eine deutsche Fassung der Plan Diagnose wurde ebenfalls vorgelegt (Albani 2000).

Den Zusammenhang von Übertragung und Widerstand hat Herold an Verbatimprotokollen anhand der deutschen Überarbeitung der Methode von Gill und Hoffman detailliert aufgeschlüsselt (Herold 1995). Eine weitere Einzelfallstudie analysiert ebenfalls den Zusammenhang von Beziehung, Widerstand und Einsicht anhand von formalen und inhaltlichen Textmerkmalen (Michal et al. 2001).

Die Methode der FRAME-Analyse wurde von Dahl an dem US-amerikanischen psychoanalytischen Musterfall Mrs. C demonstriert (Dahl 1988); eine deutsche Fassung dieser Methode wurde ebenfalls erprobt (Hölzer et al. 1998).

c) Gegenübertragung

Messmethoden für das klinische Konzept der Gegenübertragung sind bisher noch selten (Singer u. Luborsky 1977). Möglichweise führen linguistische Indikatoren auf die richtige Spur, um diese subtilen Phänomene klinischer Praxis empirisch verlässlich zu identifizieren (Dahl et al. 1978).

Das therapeutisch hoch bewertete Konzept der emotionalen Einsicht ist empirisch noch wenig untersucht (Roback 1974). Allerdings hat Hohage hierzu eine empirische Erfassungsmethode vorgelegt, deren Wert als prozessuales Ergebniskriterium an einer Einzelfallstudie einer psychoanalytischen Langzeitbehandlung demonstriert wurde (Hohage u. Kübler 1987, 1988).

d) Meisterung

Das erst relativ neu eingeführte empirische Konzept der Meisterung operationalisiert das therapeutische Konzept des Durcharbeitens (Grenyer u. Luborsky 1996); Untersuchungen zu hochfrequenten Behandlungen mit diesem Konzept sind derzeit im Gange (Grenyer, mündl. Mitteilung 2003).

e) Freie Assoziation

Zur klinisch hochgeschätzten Methode der freien Assoziation liegen wenig naturalistische Studien vor; das Konzept wurde jedoch experimentell von mehreren Autoren untersucht (Bordin 1966; Colby 1960; Kris 1982; Kroth u. Forrest 1969; Kroth 1970; Teller u. Dahl 1986; Hölzer et al. 1988; Heckmann et al. 1987; Bucci 1995). Eine neuere Studie an dem Verbatimmaterial einer Psychoanalyse belegt den Zusammenhang von interpretativer Aktivität des Analytikers und Produktivität des assoziativen Materials der Patientin (Spence et al. 1993).

f) Deutungsarbeit und Patientenreaktion

Der prozessuale Zusammenhang von Deutungsaktivität und Reaktion des Patienten ist ein wiederholt untersuchtes Thema der psychoanalytischen Prozessforschung. Einen aktuellen Stand der Forschungslage zu dem Zusammenhang gibt (Crits-Christoph et al. 1998).

Aktuell bearbeitet eine Arbeitsgruppe des New Psychoanalytic Institute detailliert den Zusammenhang von Interventionen und nachfolgender produktiver Reaktion des Patienten (Waldron et al. 2001, 2004).

g) Strukturelle Veränderungen

Zu den schwer erfassbaren Themen der empirischen Therapieforschung zählt die Annahme, die psychoanalytische Behandlung führe zu strukturellen Veränderungen, nicht nur zu symptomatischen Besserungen. Verschiedene inzwischen entwickelte Methoden stützen die Annahme. So wurde die Reaktion des Analysanden auf Unterbrechungen als Indikator für strukturelle Änderungen untersucht (Jimenez u. Kächele 2002). Den Wert der Veränderung kognitiver Merkmale der Traumberichte und der dazu gehörenden Assoziationen als Veränderungsindikator belegten Leuzinger-Bohleber und Kächele anhand von 5 Einzelfällen. Die gefundenen strukturellen Veränderungen ließen sich mit dem klinischen Erfolg der Behandlung parallelisieren (Leuzinger-Bohleber 1987, 1989; Leuzinger-Bohleber u. Kächele 1988, 1990).

Methodische Entwicklungen, wie sie die Heidelberger Umstrukturierungskala (Rudolf et al. 2000; Grande et al. 1997) darstellt, ergänzen das verfügbare Arsenal. Mit Hilfe dieses Instruments können Veränderungen in der Verarbeitung intrapsychischer Konflikte und struktureller Beeinträchtigungen erfasst werden (Grande et al. 2001, 2003). Darüber hinaus findet das psychoanalytisch bedeutsame Konzept der „strukturellen Veränderung“ in der Skala eine Operationalisierung, so dass die spezifischen Wirkungen von Psychoanalysen im Unterschied zu Psychotherapien messbar werden (Rudolf et al. 2002, 2004; Grande et al. 2003).

Großes Interesse ziehen auch die „scales of psychological capacities“ (SPC, Wallerstein 1991) auf sich, die in der Münchner Psychotherapie-Studie (Huber et al. 2001) bei niederfrequenten und hochfrequenten analytischen Behandlungen angewendet werden: Diese Verfahren stellen wichtige Schritte zur Identifizierung von Kurz- und Langzeitveränderungen dar, die mit dem klinischen Konzept einer strukturellen Veränderung kompatibel sind.

Zunehmend findet das AAI als Methode der Veränderungsmessung Anwendung; Fonagy et al. (1996) zeigen auf, inwieweit bisherige psychiatrische Diagnosen mit dem Bindungsstatus kovariieren und welche Veränderungen durch längerfristige Behandlungen zu erwarten sind (Bateman u. Fonagy 2001). Eine Einzelfallstudie hierzu berichten Buchheim und Kächele (2003).

7.7 Experimentelle, grundlagenwissenschaftliche Studien im Bereich der Psychoanalyse

S. Han (SFI-S.Han@t-online.de)

Das umfangreiche klinische Wissen, das im Laufe der Jahre von der Psychoanalyse erarbeitet wurde, und der daraus abgeleitete Hypothesenfundus sowie der reiche Korpus von theoretischen Konzepten und Modellen motivierte zahlreiche Psychoanalytiker seit jeher, spezifische Phänomene und deren theoretische Erklärungen auch in experimentellen Studien genauer zu untersuchen. Empirische und experimentelle Forschungen in der Psychoanalyse haben eine lange, wenn auch meist wenig bekannte Tradition.

Der von Moser (1991) geprägte Begriff der „Offline-Forschung“ beschreibt allgemein dieses weite Forschungsfeld außerhalb der klinischen Behandlungssituation, in dem unterschiedliche Fragestellungen, Modelle und spezifische Phänomene mit nichtpsychoanalytischen Methoden, z. B. unter experimentell-kontrollierten Laborbedingungen, untersucht werden. Leuzinger-Bohleber (1995, 2002) hat diesen Forschungszusammenhang wissenschaftstheoretisch diskutiert und begründet.

Für die experimentelle Laborforschung gilt z. B, dass sich ihre Ergebnisse zwar nicht unmittelbar auf die analytische Therapiesituation rückbeziehen lassen („Instantiierung“), dass sie jedoch einen Beitrag zu allgemeinem Grundlagenwissen leisten, sowie psychoanalytische Modelle mit jenen anderer Disziplinen, wie z. B. der Kognitions- oder Neurowissenschaften, detailliert in Beziehung setzen. Zudem bietet der interdisziplinäre Dialog mit anderen Wissenschaftlern sowie eigene empirische oder experimentelle Tätigkeit dem Kliniker einen Fundus an kritischer Selbstreflexion, der sich durchaus auch als persönliche Form der Qualitätssicherung der eigenen klinischen Tätigkeit auswirken kann.

In diesem Rahmen können nur einige grundlagenwissenschaftliche Gebiete genannt werden, in denen intensive experimentell-empirische Forschungen zu psychoanalytischen Konzepten durchgeführt wurden:

  1. 1.

    experimentelle Studien zur Traumforschung und zu vorbewusstem „processing“ von Informationen (Fisher, Klein, Fiss, Strauch, Leuschner und Hau; Überblick in Hau 1999);

  2. 2.

    entwicklungspsychologische Untersuchungen bzw. Kleinkindforschung (Spitz, Mahler, Stern, Emde, Papousek u. a.);

  3. 3.

    Forschungen zur Affektentwicklung (Krause, Bänninger-Huber u. a.);

  4. 4.

    Studien zur Entwicklung des Bindungsverhaltens (Bowlby, Ainsworth, Main, Crittenden, Grossmann, Fonagy und Target, v. Klitzing, Bürgin u. a.),

  5. 5.

    Psychoanalyse und „cognitive science“ (Moser, v. Zeppelin u. Schneider, Colby, Wegmann, Stoller, Bucchi, Leuzinger-Bohleber u. Pfeifer u. a; Überblick in Moser und v. Zeppelin 1991).

  6. 6.

    neurophysiologische Forschungen (vgl. u. a. internationale Gesellschaft und Zeitschrift Neuro-Psychoanalysis etc).

Um den Beitrag experimenteller und empirischer Grundlagenforschung zur Qualitätssicherung in der Psychoanalyse und zur externen Validierung psychoanalytischer Konzepte zu illustrieren, werden an dieser Stelle lediglich die zwei folgenden Bereiche exemplarisch herausgegriffen.

Experimentelle Traumforschung

Seit der Entdeckung des Rapid-eye-movement- (REM-)Schlafes (Aserinsky u. Kleitman 1953) wurden in zahllosen experimentellen Laborstudien Schlaf- und Traumprozesse präzise untersucht (vgl. dazu u. a. Hau 2003, S. 32ff). Dabei hat die empirisch-experimentelle Traumforschung Befunde der Psychoanalyse bestätigt und modifiziert, wie z. B. die Auffassung, dass Träumen in umfassendem Sinn seelische und körperliche Gesundheit sicherstellt. Deutlich wird dabei eine quasi-therapeutische Funktion der Träume. Sie regulieren Gefühle, lösen Probleme und Stress, assimilieren und „kontextualisieren“ Affekte (Hartmann 1998; Fiss 1995) und schaffen neue Assoziationen, die entlastend wirken. Träume sind darüber hinaus wichtigster Bestandteil des „signal detecting systems“ (Fiss 1993), das parallel zu bewusster Wahrnehmung operiert (Leuschner u. Hau 1995; Leuschner et al. 1998, Hau 1999). Träume „inkubieren“ korrektive Urteile und Erfahrungen. Träume dienen der Informationsverarbeitung, der Amplifikation und Konsolidierung von Wissen, sichern (homöostatisch) die psychische Balance und tragen zur Entwicklung des Zentralnervensystems bei. Untersuchungen zur „Ontogenese“ des Traumes, also von Kinderträumen verschiedener Altersstufen (Foulkes 1985; Hamburger 1987) widersprechen hingegen der These Freuds, dass in Kinderträumen Wunscherfüllungen direkt dargestellt werden. Die Untersuchungen zeigen vielmehr, dass Kinder weitaus mehr Angstträume als Erwachsene haben. Ihre Fähigkeit, Träume zu bilden, entsteht erst im Verlauf der frühen Kindheit und „wächst“ altersbedingt. Traummenge und narrative Struktur korrelieren mit dem Entwicklungsstand der jeweiligen kognitiven Fähigkeiten und dem sich entfaltenden Sprachvermögen.

Traumforschung ist aber auch Wahrnehmungs- und Gedächtnisforschung. Die Existenz unbewusster psychischer Prozesse kann heute nicht mehr bestritten werden. Dabei wurde das Konzept eines universellen Unbewussten heute durch viele unterschiedliche unbewusste Prozesse differenziert. Es gibt kaum ein psychisches Phänomen für das inzwischen so viele experimentelle und empirische Befunde vorliegen wie für die Existenz unbewusster Prozesse. Hier von „Prozessen“ statt von dem Unbewussten zu sprechen, geschieht keineswegs zufällig, denn die umfangreichen Untersuchungen zur „cognition without awareness“, zum impliziten Gedächtnis oder zum „hidden observer“ haben gezeigt, dass es sich bei diesen Vorgängen um komplexe, unterschiedlichsten Zielen dienende Prozesse handelt, die sowohl die Aufmerksamkeit und die Wahrnehmung beeinflussen sowie auch der Entscheidungsfindung, der Affektregulation, der Motivation oder dem Triebgeschehen dienen. Die Betonung der Dynamik steckt hier im Prozesscharakter. Damit wird auch die Tatsache angesprochen, dass assoziative Netzwerke, die bei unbewussten Prozessen eine entscheidende Rolle spielen, und der damit im Zusammenhang stehende primärprozesshafte Verarbeitungscharakter sowohl in unbewussten als auch in vorbewussten Prozessen auffindbar sind (vgl. die ausführlichen Darstellungen in Westen 1999; Dixon 1971, 1981; Erdelyi 1985; Schacter 1992, 1995; Shevrin et al. 1997).

Neben den Arbeiten zu unbewussten kognitiven Prozessen existieren auch zahlreiche Belege für die Existenz von unbewussten affektiven Prozessen (Gazzaniga 1985; Le Doux 1995; Erdelyi 1985; Dixon 1971, 1981; Shevrin et al. 1997; Westen et al. 1995; Pennebaker 1997) bzw. unbewussten Motivationsprozessen (McClelland et al. 1989; Bargh 1997; Wilson et al. 1993; Shevrin et al. 1997; Glasman u. Andersen 1999).

Neurophysiologische Forschungen

In den letzten Jahren ist zu beobachten, wie bei Psychoanalytikern die Hoffnung und das Interesse wachsen, dass die Überführung der klinisch-psychologischen Erlebnisbeobachtungen auf ihre (neuro-)physiologische Basis, angesichts der großen Fortschritte der neurophysiologischen Forschungen und der Leistungsfähigkeit neuer bildgebender Verfahren, vielleicht doch in Erfüllung geht.

Mittlerweile hat sich ein intensiver interdisziplinärer Diskurs Psychoanalyse und Neurophysiologie entwickelt (vgl. Gesellschaft und Zeitschrift „Neuro-Psychoanalysis“; für einen Überblick vgl. Koukkou et al. 1998; Solms 1998, 1999, 2000; Kaplan-Solms u. Solms 2000).

Solms (1999; Kaplan-Solms u. Solms 1999) weist nach, basierend auf syndromanalytischen Untersuchungen von hirngeschädigten Patienten, dass REM-Aktivität und Traumaktivität keine kausal miteinander verknüpften Prozesse darstellen, sondern eher als korrelative Phänomene aufzufassen sind.

Kaplan-Solms und Solms berichten von unterschiedlichen Auswirkungen auf die Traumtätigkeit ihrer Patienten, in Abhängigkeit von unterschiedlichen Schädigungen des Hirngewebes. Lagen die Verletzungen im rechten oder linken Parietalbereich des Kortex oder bilateral im weißen Marklager in der ventromesialen Region, führte dies zu einem völligen Verlust der Traumtätigkeit. Bei Verletzungen der ventromesialen, okzipitotemporalen Region berichteten die Patienten nichtvisuelle Träume, hingegen führte eine Verletzung des Hirngewebes in der frontalen limbischen Region zu Schwierigkeiten in der Unterscheidung zwischen Traum und Realität (Verlust der Realitätsprüfung).

Diese Befunde heutiger neurowissenschaftlicher Untersuchungen erscheinen kompatibel mit verschiedenen Annahmen Freuds über die Traumentstehung. Solms sieht den Traumprozess nämlich durch einen Erregungsimpuls aktiviert, der stark genug sein bzw. lange genug anhalten müsse. Der Erregungsimpuls könne auch aus der Ponsregion des Hirnstamms kommen, also aus jener Region, deren Impulse für die REM-Aktivität verantwortlich gemacht werden. Schließlich würden motivationale Prozesse im Gehirn in Gang gesetzt, die normalerweise für die Entstehung und die Durchführung zielgerichteten Handelns notwendig seien. Erst nach der Aktivierung dieser motivationalen Mechanismen beginne der eigentliche Traumprozess. Nun ist während des Schlafes die Ausführung willentlicher Handlungen blockiert, der Muskeltonus gerade während der REM-Phasen extrem herabgesetzt. Dadurch sei eine Umsetzung der Erregungsimpulse in Handlungen nicht möglich. Die Erregung nehme—laut Solms—somit einen regressiven Verlauf. In 2 Schritten würden zunächst die höher organisierten Teile des Wahrnehmungsapparates aktiviert, die vor allem dem Gedächtnis und dem abstrakten Denken dienen, anschließend die weniger hoch entwickelten Bereiche, die am Zustandekommen konkreter Wahrnehmungsbilder beteiligt sind. Da das reflexive Denken ebenfalls außer Kraft gesetzt sei, könne der Träumer diesen regressiven Prozess, in dem er zwar „wahrnimmt“, aber nicht handelt, nicht von der tatsächlichen äußeren Realität unterscheiden. Das imaginierte Geschehen werde unkritisch akzeptiert und für reale Wahrnehmung gehalten, denn die frontale Region des limbischen Systems sei inaktiv.

So ergeben sich interessante und viel versprechende Konvergenzen zur psychoanalytischen Traumtheorie. Die etwas ausführlichere Darstellung dieses Beispiels sollte exemplarisch auch zeigen, wie moderne Untersuchungsmethoden wichtige psychoanalytische Konzepte überprüfen helfen und neue Fragestellungen aufgeworfen und beantwortet werden können.

Der beginnende Dialog mit den Neurowissenschaften wird inzwischen auch direkt für die psychoanalytische Psychotherapieforschung nutzbar gemacht (vgl. u. a. Beutel et al. 2004). In einer kürzlich erschienenen Studie untersuchte Beutel affektive und behaviorale Dysfunktionen bei Borderlinepatienten und damit zusammenhängende spezifische Erregungsmuster im Gehirn; hierbei ließen sich unterschiedliche Interaktionsabläufe im Gehirn bei Behandlung mit psychodynamischer Therapie auffinden (Darstellung neurologischer Substrate von hervorstechenden Merkmalen der Borderlinepersönlichkeit; Beutel et al. 2004). Dabei wird das Zusammenwirken von im präfrontalen Kortex ablaufenden Verhaltenssystemen und im limbischen System basierten Reaktionssystemen bei umschriebenen Gruppen von Psychotherapiepatienten untersucht.

Ermuntert durch interessante und bedeutende Befunde aus neurophysiologischen Forschungen, wurden auch Patienten mit zerebralen Schädigungen psychoanalytisch behandelt (Solms 1995, 1998; vgl. auch Kaplan-Solms u. Solms 2000; Röckerath et al. 2003). Dabei geht es darum, in Läsionssymptomen auch unbewusste seelische Strukturen und Prozesse sichtbar zu machen. So erwies sich, dass eine gute Objektbeziehung passagere Besserungen von Symptomen nach sich zieht. Dies betraf u. a. die Milderung von Ängsten, kohärentes Denken, Erinnerungsleistungen, sowie zeitlich-räumliche Orientierungsfähigkeiten. Dies bedeutet, im Rahmen einer Objektbeziehung zu einem stabilen anderen, kann es dem Patienten gelingen, Funktionsausfälle infolge von umschriebenen anatomischen Großhirndefekten in gewissem Umfang zu kompensieren. Dies sind Hinweise darauf, dass psychisches Erleben nicht nur als eine Leistung des Gehirns anzusehen ist, sondern dass dazu auch Faktoren gehören, die zur Außenwelt, zu Beziehungen und Interaktionen mit anderen Objekten gehören.

7.8 Klinisch-kontrollierte Studien aus der „open door review of outcome studies in psychoanalysis“

Y. Brandl

Die „open door review of outcome studies in psychoanalysis“, die mittlerweile in der zweiten Auflage vorliegt, ist die bisher umfangreichste Informationsquelle zum gegenwärtigen Stand der Psychotherapieforschung im Bereich psychoanalytischer Behandlungen. Da dieses Dokument sehr umfangreich ist, wurde vom Sigmund-Freud-Institut eine benutzerfreundlichere tabellarische Kurzform entwickelt, die einen rascheren Überblick nach bestimmten Kriterien gewähren hilft. Dabei wurde die Gruppierung der Studien beibehalten:

1

Teil A

Naturalistische Prä-post-, quasiexperimentelle Studien

(15 Studien)

2

Teil B

Follow-up-Studien

(13 Studien)

3

Teil C

Experimentelle Studien

(8 Studien)

4

Teil D

Verlaufsstudien

(unvollständig)

5

Teil E

Verlauf-Ergebnis-Studien („process-outcome“)

(12 Studien)

Tabellarisch werden (wenn angegeben) die berücksichtigen Diagnosegruppen, die Anzahl der erfassten und behandelten Patienten und die verwendeten Diagnose- bzw. Verlaufsinstrumente angegeben. Des Weiteren wird die Definition der Behandlungsarten sowie detaillierte Angaben zur Therapie bzw. zu den Therapeuten erfasst. Unter der Kategorie Ziele/Ergebnisse werden, wenn explizit formuliert, die Fragestellungen sowie durchgeführte Stichprobenvergleiche und Ergebnisse (meist Häufigkeitsangaben) erfasst. Unter der Kategorie Evaluation lassen sich überblickartig sowohl die Kritikpunkte als auch besondere Vorzüge der Studien, wie sie die Autoren der open-door-review formulieren, nachschlagen (Tabelle 5, 6, 7, 8, 9).

Tabelle 5 Teil A: Naturalistische prä-post, quasiexperimentelle Studien
Tabelle 6 Teil B: Follow-up Studien
Tabelle 7 Teil C: Experimentelle Studien
Tabelle 8 Teil D: Verlaufsstudien
Tabelle 9 Teil E: Verlaufs-Ergebnis-Studien (process-outcome)

8 Versorgungsrelevanz

A. Gerlach, P. L. Janssen

Indikationsbereiche psychoanalytischer Therapie

Hauptindikationsbereiche psychoanalytischer Therapie sind Psychoneurosen (z. B. Angstneurosen, Phobien, neurotische Depressionen, Konversionsneurosen), vegetativ-funktionelle und psychosomatische Störungen mit gesicherter psychischer Ätiologie, Persönlichkeitsstörungen sowie seelische Behinderungen, wenn psychodynamische Aspekte wesentlichen Anteil daran haben (z. B. Abhängigkeiten von Alkohol, Drogen oder Medikamenten), seelische Behinderungen aufgrund frühkindlicher emotionaler Mangelzustände, seelische Behinderungen als Folge schwerer chronischer Krankheitsverläufe, seelische Behinderungen aufgrund von extremen Traumatisierungen, seelische Behinderungen als Folge psychotischer Erkrankungen (vgl. Faber et al. 1999).

Prävalenz von Erkrankungen mit einer Behandlungsindikation für psychoanalytische Therapie

Dilling et al. (1984) fanden bei einer Feldstudie zur Zeitpunktprävalenz in einem ländlichen bayerischen Gebiet eine Häufigkeit von 40,9% psychischer Störungen insgesamt. Nach Abzug leichterer Formen blieben 18,6% behandlunsbedürftige Patienten, davon 12,0% Neurosen und Persönlichkeitsstörungen. Weitere epidemiologische Daten lassen sich der Mannheimer Verlaufsstudie von Schepank (1987) entnehmen, die gezielt das Vorkommen psychoneurotischer und psychosomatischer Syndrome untersuchten. Dabei hielten Experten in einer ersten Querschnittsuntersuchung 22,8% der Stichprobe von 600 Probanden einer Großstadtbevölkerung zwischen 25 Jahren und 45 Jahren für psychotherapeutisch behandlungsbedürftig. In einer Nachuntersuchung derselben Stichprobe (Kohortenstudie, Schepank 1990) zeigte sich, dass die Befunde bei nur 11% neuen Fällen und 11% Nicht-mehr-Fällen relativ stabil blieben. Schepank leitete daraus eine Bedarfsschätzung ab, die für 10% der Stichprobe eine KZT für notwendig hält, für 15% eine intensive ambulante Psychotherapie sowie für weitere 4% eine stationäre psychotherapeutische Behandlung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass psychogene Erkrankungen überwiegend chronifizierend und ohne wesentliche Tendenz zur Spontanremission verlaufen (vgl. hierzu Franz 1999).

Für Deutschland fehlen allerdings bisher bundesweite Studien, die eine noch verlässlichere Abschätzung der Prävalenz der beschriebenen Indikationsgebiete zulassen würden (Tress et al. 1990). Weitere Daten zur Prävalenz psychischer Störungen sowie der damit einhergehenden Komorbidität können von einer Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München erwartet werden (Wittchen et al. 1998). Als erstes Ergebnis konnte 1999 festgehalten werden, dass in allen Altersgruppen zwischen 18 Jahren und 65 Jahren affektive (6,3%), Angst- (9%) und somatoforme Störungen (7,5%) weit verbreitet sind (Wittchen et al. 1999).

Aus diesen epidemiologischen Befunden allein lässt sich allerdings noch nicht ein direkter Behandlungsbedarf eruieren. Es gibt Hinweise, dass im Bereich der Psychotherapie komplexere Indikationsmodelle nötig sind als sie üblicherweise in der Medizin verwendet werden: „Indikationsentscheidungen in der Psychotherapie sind in der Regel das Resultat komplexer Aushandlungsprozesse, bei denen Zielvereinbarungen, die Berücksichtigung vorhandener Ressourcen und die ‚Passung‘ zwischen therapeutischem Angebot und den Vorstellungen der Patient(inn)en besonders bedeutend sind“ (Strauß 2000). Hier sind weitere medizinsoziologische Untersuchungen, z. B. zum Krankheitsverhalten bei psychischen Störungen, erforderlich.

Ambulante Versorgung mit psychoanalytischer Therapie

Die Frage der Prävalenz spielt auch in der Studie zur Ermittlung des ambulanten psychotherapeutischen Versorgungsbedarfes eine Rolle, die das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung durchführte (Löcherbach 2000). Nach den dortigen Erhebungen schwankte die Erkrankungshäufigkeit an Psychoneurosen und Persönlichkeitsstörungen je nach Untersuchung in der Bundesrepublik zwischen ca. 7% und 15%. Bei altersmäßiger Differenzierung zeigten sich bei Kindern und Jugendlichen Störungsraten von 16,2–18,4%, im Erwachsenenbereich zwischen 11,3% und 26,4%, bei Senioren ca. 23%. Allerdings sind diese Prävalenzdaten aus epidemiologischen Felduntersuchungen nach Ansicht der Autoren nicht unmittelbar in versorgungsbezogene Bedarfskategorien konvertierbar. Sie gehen von Anteilen der Behandlungsindikation aus, die sie mit 15% analytische Therapie, 50% tiefenpsychologisch fundierte Therapie und 35% Verhaltenstherapie beziffern.

Anwendungen der psychoanalytischen Therapie sind im ambulanten Bereich unter dem Namen „analytische Psychotherapie“ und „tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie“ seit 1967 in das System der gesetzlichen Krankenversicherung integriert. Seit damals konnten Ärzte und Psychologen mit einer spezifischen Weiterbildung zunächst begrenzte Formen der Psychotherapie, wenn es um die Auswirkungen aktueller, unbewusster Konflikte ging, seit 1976 auch die auf Strukturveränderung zielende analytische Psychotherapie bei geeigneten Patienten zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen. Auch die von Ausbildungskandidaten durchgeführten Behandlungen unter Supervision wurden in dieses System integriert, das zugleich in den Psychotherapierichtlinien und -vereinbarungen hohe qualitative Anforderungen an die Weiterbildung normierte. Dadurch wurde die psychoanalytische Krankenbehandlung im Bereich der Psychotherapie zu einem wichtigen Bestandteil im Gesundheitssystem, sowohl im ambulanten wie auch im stationären Bereich. Zur Zeit werden jährlich rund 150.000 Anträge auf Psychotherapie in den analytisch begründeten Verfahren gestellt; rund ein Drittel entfällt auf „analytische Psychotherapie“.

Stationäre Behandlung mit psychoanalytischer Therapie

Nach den Berechnungen aufgrund der epidemiologischen Studien von Franz (1999) bedürfen etwa 14,1 der neurotischen, psychosomatisch erkrankten und persönlichkeitsgestörten Patienten zeitweise einer stationär-psychotherapeutischen Behandlung.

Die Entwicklung der stationären Psychotherapie im Krankenhaus und in der psychosomatischen Rehabilitation ist insbesondere in Deutschland vorangetrieben worden. Zur Zeit gibt es folgende Abteilungen und Kliniken, an denen psychoanalytische Therapie neben der Verhaltenstherapie praktiziert wird:

  1. 1.

    Größere Fachkliniken für psychotherapeutische Medizin (psychosomatische Medizin, Psychosomatik und Psychotherapie) zur Behandlung der neurotischen Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen und auch psychosomatischer oder somatopsychischer Erkrankungen, insbesondere aber der Gruppe der Persönlichkeitsstörungen. Diese Fachkliniken haben meist einen überregionalen und spezialisierten Versorgungsauftrag und gliedern sich zum Teil in Abteilungen.

  2. 2.

    Abteilungen für psychotherapeutische Medizin (Psychosomatik, Psychotherapie) an Allgemeinkrankenhäusern z. B. der Schwerpunktversorgung mit meist geringem Bettenangebot, Konsiliar- und Liaisondiensten und ambulanten Angeboten. Aus diagnostischer Sicht stehen bei diesen Abteilungen die psychosomatischen und somatopsychischen Erkrankungen meist im Vordergrund.

  3. 3.

    Reine Konsiliar- und Liaisonabteilungen an Allgemeinkrankenhäusern ohne Betten.

  4. 4.

    Abteilungen für Psychotherapie an psychiatrischen Fachkliniken mit dem Versorgungsauftrag der psychotherapeutischen Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen.

  5. 5.

    Fachkliniken für psychosomatische Rehabilitation, die wiederum untergliedert sind und unterschiedliche Schwerpunktsetzungen haben (internistische Psychosomatik, neurologische Psychosomatik, orthopädische Psychosomatik etc.).

Laut neuerer Untersuchung (Vortrag H. Schulz, Hamburg 2003) gibt es in der Bundesrepublik ca. 75 Abteilungen für psychosomatische Medizin und Psychotherapie an den Krankenhäusern mit 3.196 Betten und 158 Kliniken für psychosomatische Rehabilitation mit 13.930 Betten. Zwei Drittel dieser Einrichtungen verfolgt ein tiefenpsychologisch-analytisches Konzept. Insgesamt zeigt sich nach den Erhebungen der Bundesärztekammer (2003) ein Trend zur Umwidmung von internistischen oder psychiatrischen Betten in Betten für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Die Anzahl der psychiatrischen Kliniken, die getrennte psychotherapeutische Stationen vorhalten, ist nicht bekannt, auch nicht die Zahl der dort zur Verfügung stehenden Betten.

Bei einem erheblichen Teil von Patienten mit Diagnosen, die einer Psychotherapie bedürfen, werden offensichtlich in Abteilungen ohne fachpsychotherapeutische Angebote behandelt (Fehlbelegung). Weiterhin wird ein großer Teil der stationär behandelten Patienten mit einer Indikation zur ambulanten Psychotherapie entlassen. Es besteht nachgewiesenermaßen ein Bedarf an Integration psychotherapeutisch-psychosomatischer Versorgung sowie psychosomatisch-psychotherapeutischer Konsiliar- und Liaisondienste in stationären Abteilungen, die fachpsychotherapeutisch ausgerichtet sind.

9 Ausbildung

G. Bruns, P. L. Janssen

Die Ausbildung in psychoanalytischer Therapie erfolgt an psychoanalytischen Instituten, z. T. im Verbund mit psychoanalytisch-psychotherapeutischen Abteilungen an Kliniken und Universitäten. Zur Zeit gehören der (DGPT, dem Dachverband der psychoanalytischen Fachgesellschaften und Institute, 52 Institute an, in denen etwa 2.200 Kandidaten die Aus- bzw. Weiterbildung absolvieren. Die Institute gehören zum größeren Teil zusätzlich einer der 4 psychoanalytischen Fachgesellschaften [Deutsche Gesellschaft für Analytische Psychologie (DGAP), Deutsche Gesellschaft für Individualpsychologie (DGIP), Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG), Deutsche Psychoanalytische Vereinigung (DPV)] an, von denen sie gegründet und weiterentwickelt worden sind.

Die Ausbildung an den psychoanalytischen Instituten erfolgt auf der Grundlage mehrerer Regelwerke. Diese sind: Für Ärzte die Weiterbildungsordnung der jeweils zuständigen Landesärztekammer, für Psychologen sowie zukünftige Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten das Gesetz über die Berufe des psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten [Psychotherapeutengesetz (PsychThG)] zusammen mit der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für psychologische Psychotherapeuten (PsychTh-APrV), für alle Kandidaten an DGPT-Instituten die Aus- und Weiterbildungsordnung der DGPT, für die Kandidaten an fachgesellschaftsgebundenen Instituten zusätzlich die Aus- und Weiterbildungsordnungen der jeweiligen Fachgesellschaft. Zur Strukturqualität der Ausbildung gehört die umfassende Information über Inhalte, Umfang und Struktur der Ausbildung für die zukünftigen Ausbildungskandidaten und die interessierte Öffentlichkeit (Sasse 2000, 2003).

An der Ausbildung zum Psychoanalytiker können approbierte Ärzte und Diplompsychologen teilnehmen. Für Ärzte handelt es sich im formalrechtlichen Sinne um eine Weiterbildung, da sie mit dem Erwerb der Approbation das Recht zur Berufsausübung bereits erworben haben, für Psychologen und für zukünftige Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten handelt es sich um eine Ausbildung, die zum Erwerb der Approbation als psychologischer Psychotherapeut bzw. als Kinder- und Jugendlichpsychotherapeut und damit zum Berufszugang führt. Die psychoanalytische Weiterbildung für Ärzte erfolgt unter der Zuständigkeit von durch die Landesärztekammern weiterbildungsbefugten Ärzten, die den Instituten angehören, durch anerkannte Lehranalytiker, Supervisoren und Dozenten, die psychoanalytische Ausbildung für Psychologen und zukünftige Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten erfolgt durch Lehranalytiker, Supervisoren und Dozenten, die als Selbsterfahrungsleiter und Supervisoren gemäß PsychTh-APrV von der zuständigen Landesbehörde anerkannt sind. Planung und Organisation der Aus- und Weiterbildung an den Instituten werden in der Regel durch einen Ausbildungsleiter und einen Ausbildungsausschuss koordiniert.

Die Ausbildung enthält 4 Hauptelemente: eine praktische klinische Tätigkeit in einer psychiatrischen und psychotherapeutischen Einrichtung, wie in den ärztlichen Weiterbildungsordnungen für die Bereichsbezeichnung „Psychoanalyse“ sowie im PsychThG (§ 8) und in PsychTh-APrV (§ 2) verlangt, die theoretische Ausbildung, die Selbsterfahrung (Lehranalyse) und die praktische Ausbildung in Form von Behandlungen unter Anleitung bzw. Supervision.

Die Aus- bzw. Weiterbildung zum ärztlichen und psychologischen Psychoanalytiker erfolgt grundsätzlich als Ausbildung in den psychoanalytisch begründeten Verfahren, wie sie in den Psychotherapierichtlinien definiert werden (Abschnitt B I.1.1.), d. h. sie beinhaltet die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (B I.1.1.1.) und die analytische Psychotherapie (B I.1.1.2.). Ein Teil der Institute bildet auch in der tiefenpsychologisch fundierten und der analytischen Gruppenpsychotherapie aus.

Eine Weiterbildung in psychodynamischer/tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie erfolgt auch im Rahmen der Weiterbildung zum Facharzt für psychotherapeutische Medizin (zukünftig Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie). Neben der Theorieweiterbildung, der Selbsterfahrung und der Vermittlung von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten in psychodynamischer Psychotherapie und kognitiv-behavioraler Psychotherapie, in anderen Psychotherapieverfahren, wie Psychoedukation und Psychotraumatherapie, sowie Kenntnissen und Erfahrungen in der Inneren Medizin sowie der Psychiatrie und Psychotherapie wird die Weiterbildung zur Richtlinienpsychotherapie durchgeführt. Dabei besteht die Weiterbildung sowohl aus der Vermittlung von Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten in LZT wie in KZT, Paartherapien, Familientherapien und Gruppenpsychotherapien. Umfang und Art der praktischen Weiterbildung (insgesamt 1.500 Behandlungsstunden bei 40 Fällen unter Supervision) werden in der ärztlichen Weiterbildungsordnung geregelt. Teilweise werden die Langzeitfälle im Rahmen der Zusatzweiterbildung zur Bezeichnung „Psychoanalyse“ absolviert, teilweise in den Praxen niedergelassener befugter Fachärzte, teilweise in Institutsambulanzen und Polikliniken der Weiterbildungsstätten und teilweise an den psychoanalytischen Instituten.

Es gibt nach den vorliegenden Daten (Stand 2003) in der Bundesrepublik 75 Abteilungen für psychosomatische Medizin und Psychotherapie mit 3.196 Betten und 158 Kliniken für psychosomatische Rehabilitation mit 13.130 Betten. Nach einer Erhebung der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin (DGPM) vom Juni 2002 haben ca. 80% der Weiterbildungsbefugten eine psychodynamisch-tiefenpsychologische Orientierung. Die weiterbildungsbefugten Fachärzte sind im stationären Bereich, in Praxen sowie in Polikliniken, Ambulanzen und Konsiliar- und Liaisonsdiensten tätig. Die genehmigten Weiterbildungszeiten sind im stationären Bereich länger und betragen dort mindestens 3 Jahre; im ambulanten Bereich liegen sie meistens bei einem Jahr.

Zum Erhebungszeitpunkt befanden sich ca. 600 Assistenzärzte in Weiterbildung.

Von den befugten Ärzte gaben 70% an, dass sie im Verbund weiterbilden, z. B. mit Kliniken, mit niedergelassenen Ärzten, mit psychoanalytischen Instituten. Zwei Drittel dieser Ärzte konnten gleichzeitig zur Zusatzbezeichnung „Psychotherapie“ weiterbilden, und ein Drittel hatte die Befugnis für die Weiterbildung zur Zusatzbezeichnung „Psychoanalyse“. Die Daten zeigen die eigenständige Weiterbildung des Gebietes Psychotherapeutische Medizin und ihre ausgeprägte Vernetzung mit anderen Aus- und Weiterbildungsstrukturen.

10 Qualitätssicherung

A. Springer, A.-M. Schlösser

Für die Qualitätssicherung in der psychoanalytischen Therapie übernahmen in den vergangenen Jahren die DGPT und die mit und in ihr kooperierenden Fachgesellschaften DPG, DPV, DGIP und DGAP wesentliche und koordinierende Aufgaben in Bezug auf die Praxis und Ausbildung im Bereich der analytischen Behandlungsverfahren für Erwachsene. Im Bereich der analytischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie übernahm die Vereinigung Analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten (VAKJP) als Fach- und Berufsverband die Planung, Entwicklung und Koordination.

Die DGPT beschäftigt sich seit 1994 aktiv mit Fragen der Qualitätssicherung unter Einrichtung entsprechender—bis heute arbeitender—Gremien und in fortlaufender Diskussion mit der Mitgliedschaft.

Seit 1996 koordinierte die DGPT unter Einbeziehung der 4 Fachgesellschaften die bis dahin getrennt durchgeführten Qualitätssicherungsmaßnahmen. Mit der Gründung der Konsensus-Konferenz mit je 2 wissenschaftlich ausgewiesenen Vertretern der 4 Fachgesellschaften wurde die Arbeit konzentriert und koordiniert. In dieser Gruppierung wurden unter der Leitung von Prof. Dr. Bruns wesentliche Aspekte der Qualitätssicherung für die psychoanalytische Therapie theoretisch und praxisbezogen erarbeitet und sowohl in die DGPT als auch in die Fachgesellschaften zur Anwendung und Weiterentwicklung eingebracht. Eine weitere grundsätzlichere Reflexion zu Fragen zur Qualitätssicherung (QS) in der Psychotherapie wurde von Sasse (2003) vorgelegt.

  • 2000: Gründung des Arbeitskreises „Qualitätssicherung für Niedergelassene“.

  • 2001: Etablierung der Konferenz der Gutachter (DGPT/KBV) mit einer AG der Gutachter zur Konzeptentwicklung

  • 2002: 1. QS-Konferenz der DGPT und Einrichtung einer koordinierenden AG für Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement.

In allen Gremien hat die QS-Beauftragte der DGPT Sitz und Stimme. Diese Funktion wird regelmäßig von einem Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands wahrgenommen.

Mitglieder der DGPT arbeiten außerdem in hoher Anzahl und an entscheidender Stelle mit an regionalen Modellprojekten für niedergelassene Psychoanalytiker und Psychoanalytikerinnen [z. B. „Modellprojekt Qualitätssicherung für niedergelassene analytische Psychotherapeuten in NRW (QNAP)“], an Modellprojekten zur Qualitätssicherung in den Ambulanzen der Ausbildungsinstitute [z. B. am Berliner Institut für Psychotherapie (BP) und am Berliner Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie (BIPP)] und an Modellprojekten zur Qualitätssicherung im stationären Bereich (z. B. in der Psychosomatischen Klinik der Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg).

Als Mitgliedsgesellschaft der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) ist die DGPT mit den Fachgesellschaften Allgemeine Ärztliche Gesellschaft für Psychotherapie (AÄGP), Deutsche Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin (DGPM), Deutsches Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM) und den leitenden Fachvertretern für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie beteiligt an den Prozessen der Zertifizierung und Rezertifizierung fachspezifisch relevanter krankheits-und settingbezogener wissenschaftlicher Leitlinien. Unter Mitarbeit der DGPT wurden bisher folgende Leitlinien zertifiziert:

  • Posttraumatische Belastungsstörungen

  • Persönlichkeitsstörungen

  • Somatoforme Störungen

  • Depression (rezertifiziert 2002)

  • Paar- und Familientherapie

  • Psychosomatik in der Reproduktionsmedizin

  • Begutachtung Psychosomatischer Störungen

  • Artifizielle Störungen

Im Anfangsstadium befindet sich die Mitarbeit an einer Leitlinie

  • Psychosoziale Betreuung von Mammakarzinompatientinnen.

Die 2002 gegründete Arbeitsgruppe für Qualitätssicherung und -management (s. oben) erarbeitete eine Zusammenfassung aller bisherigen Aktivitäten und Überlegungen mit dem Ziel einer Rahmenplanung für die Qualitätssicherung der DGPT.

Die Arbeitsergebnisse wurden im Auftrag des Geschäftsführenden Vorstands in einem Papier „Qualitätsmanagement der DGPT“ systematisiert (Piechotta 2002, unveröff. Manuskript).

Dieses Arbeitskonzept bilanziert Vorhandenes und benennt weiter zu Entwickelndes. Es orientiert sich an den Ebenen 1. Mitglieder, 2. Institute, 3. kooperierende Fachgesellschaften unter den Aspekten 1. Strukturqualität, 2. Prozessqualität, 3. Ergebnisqualität.

Zur Tätigkeit der Mitglieder in der Krankenversorgung wurde—ebenfalls im Auftrag des Geschäftsführenden Vorstands—ein Papier erarbeitet zur „Zertifizierung von Praxen analytischer Psychotherapeuten“ (Piechotta 2001, unveröff. Manuskript), das u. a. eine 2000/2001 im Arbeitskreis Qualitätssicherung für Niedergelassene (s. oben) entwickelte „Basisdokumentation für ambulante Psychotherapie“ verwendet.

Alle Maßnahmen und Planungen zu Qualitätssicherung und -management im Bereich der psychoanalytischen Therapie haben folgende „essentials“ handlungsleitend zum Hintergrund:

  • Akzeptanzfähigkeit durch Mitglieder, Institute und kooperiende Fachgesellschaften durch Sanktionsfreiheit; so ist die Datensicherheit in diesem Zusammenhang für Patienten, Mitglieder, Institute und kooperierende Fachgesellschaften unabdingbar zu gewährleisten.

  • Orientierung an den methodenspezifischen Arbeitsbedingungen in Bezug auf alle Anwendungsformen der psychoanalytischen Therapie.

  • Kompatibilität mit in Entwicklung befindlichen—bezüglich der Psychotherapie methodenübergreifenden—Qualitätssicherungs- und Managementkonzepten durch die Bundesärztekammer (BÄK) und Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV).

Die konkrete Qualitätssicherung der Ausbildungsstätten, der Ausbildungsinhalte und der Ausbilder findet unter der Aufsicht der zuständigen Landesbehörden vorrangig innerhalb der Ausbildungsstätten statt. Dazu gibt es regelmäßige Arbeitstreffen der Ausbildungsstätten sowohl im Rahmen der DGPT als auch in den Fachgesellschaften. Hier werden die gemeinsamen Standards der Ausbildung weiterentwickelt und abgestimmt.

Ausbildung, Prüfung und Ernennung der Dozenten, Supervisoren, der Lehr- und Kontrollanalytiker werden in den Ausbildungsstätten gemäß der verbindlichen Standards durchgeführt. Die Ausbilder stehen zusätzlich den Landesprüfungsämtern als Prüfer für die staatlichen Prüfungen der Psychologischen Psychotherapeuten zur Verfügung.

Im Rahmen des Sozialrechts stellen die Ausbilder der staatlich anerkannten Ausbildungsstätten (VT und PA) den größten Teil der Gutachter im Gutachterverfahren gemäß der Psychotherapierichtlinien.

Das Gutachterverfahren als Instrument der Qualitätssicherung

Psychotherapie in Deutschland, sofern sie der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen unterliegt, findet statt unter den Voraussetzungen der Psychotherapievereinbarungen. Diese sehen als Bedingung für Kostenübernahme durch die Krankenkassen die Einschaltung des sog. Gutachterverfahrens vor.

In diesem klärt ein Gutachter vor Beginn der Behandlung anhand eines anonymisierten Berichtes des Therapeuten,

  • ob eine seelische Krankheit vorliegt,

  • die mit Hilfe einer ätiologisch orientierten Diagnostik als ursächlich bestimmter Prozess verstehbar ist,

  • ob im Rahmen der geplanten Behandlung eine ausreichende Besserung zu erwarten ist, sowie

  • ob der geplante Einsatz eines bestimmten Verfahrens in einem bestimmten Umfang wirtschaftlich ist.

Aufgrund seiner Erkenntnisse gibt der Gutachter dann der beauftragenden Krankenkasse eine Empfehlung hinsichtlich der Kostenübernahme ab.

Im Jahr 2002 wurden laut Informationen der KBV im Bereich der analytisch begründeten Verfahren fast 137.000 Gutachten erstellt (Dahm 2003; schriftl. Mitteilung). Die durchschnittliche Ablehnungsquote lag mit 4% etwas niedriger als im Vorjahr; dagegen stiegt die Quote der abgelehnten Anträge auf Kostenübernahme im Bereich des Obergutachterverfahrens leicht an und lag bei 25%.

Die Kritik am Gutachterverfahren, die in den letzten Jahren laut wurde, argumentiert einerseits denn auch überwiegend mit der als zu gering eingeschätzten Ablehnungsquote. Das Verfahren sei nicht geeignet, Anträge, bei denen die Voraussetzungen gegeben seien, von solchen zu differenzieren, bei denen dies nicht der Fall sei. Je nach Verfasser der Kritik richtete sich diese aber auch auf zu hohe Ablehnungsempfehlungen. Der zentrale Vorwurf lautete, das angewandte Verfahren (Urteilsbildung anhand schriftlicher Berichte) sei aufgrund seiner unzureichenden Reliabilität und Validität als Instrument einer Qualitätssicherung völlig ungeeignet (exemplarisch: Köhlke 1998).

Inzwischen liegen Untersuchungen vor, die das Gegenteil belegen (Rudolf et al. 2002; Rudolf u. Jakobsen 2002; Rudolf u. Schmutterer 2003). In der ersten Studie wurde eine Liste mit 10 Kriterien in 3facher Abstufung entwickelt, die—so die Einschätzung der beteiligten Gutachter—im Falle einer positiven Einschätzung die Übereinstimmung mit den PT-Richtlinien bestätigen und damit Empfehlung der Kostenübernahme nach sich ziehen würden.

Bei einer Untersuchung der Interraterreliabilität beim Entscheidungsverhalten der Gutachter, die diese Liste zugrunde legte, zeigte sich dann, dass die Gutachter in der Beurteilung der positiven Textvorgaben hoch übereinstimmten. Bei den negativen Textvorgaben lag die Übereinstimmung etwas niedriger; dafür entschied sich neben den Ablehnungen ein Drittel der Gutachter in solchen Fällen für eine eingeschränkte Befürwortung. Dies spricht für eine sichere Unterscheidung der positiven und negativen Fälle. Außerdem konnten einige Kriterien der Liste isoliert werden, die in hohem Maße mit Befürwortung bzw. Nichtbefürwortung verknüpft waren. Es spricht also einiges dafür, dass die Kriterienliste die für die Gutachterentscheidung relevanten Entscheidungskriterien enthält.

In einer weiteren Untersuchung (Rudolf u. Jakobsen 2002) wurden die an wenigen Berichten gewonnenen Befunde zur Trennschärfe der Kriterien an einer größeren Stichprobe (40 Gutachter, 452 Fälle) überprüft und deren Bedeutung als Grundlage der gutachterlichen Einschätzung untersucht. Hier das Ergebnis:

„Die Übereinstimmung der Gutachter in der Beurteilung vorgegebener Berichte und ihre Handhabung der von der Gutachterkommission entwickelten Kriterienliste zeigt unerwartet hohe Übereinstimmungen. In ihrem Urteilsverhalten stützen sich die Gutachter auf die Kriterien, welche aus den Psychotherapierichtlinien abgeleitet sind. Im Falle der Befürwortung sind die Kriterien durchschnittlich zu 80% erfüllt, bei eingeschränkter Befürwortung nur noch zu durchschnittlich 30% und bei Nichtbefürwortung unter 10%. Wenn aus 9 Kriterien eine Summe gebildet wird, bildet das Maß 6 von 9 die kritische Grenze für Befürwortung und Nichtbefürwortung. Bei befürworteten Fällen sind 7, 8 oder 9 von 9 Kriterien zweifelsfrei erfüllt, bei nichtbefürworteten Fällen sind es 6 und weniger Kriterien.“

Es hat den Anschein, dass einige Kriterien, wie Krankheitswertigkeit oder Psychodynamik, eher die Voraussetzungen für das Urteil bilden, während andere, wie Stimmigkeit des Behandlungsverfahrens, prognostische Chancen der Behandlungskonzeption, prognostische Einschätzung bezüglich des Verlaufs, die notwendige Voraussetzung für eine Befürwortung darstellen. Diese Einzelmerkmale korrelieren hoch mit der Gesamtentscheidung der Gutachter. Am höchsten korreliert das Merkmal Wirtschaftlichkeit, das wahrscheinlich weniger ein Einzelmerkmal als eine schlussfolgernde Zusammenfassung widerspiegelt. Die entwickelte Kriterienliste erscheint also in hohem Maße geeignet, den Begutachtungsvorgang inhaltlich widerzuspiegeln. Viele der an der Studie beteiligten Gutachter haben sich positiv darüber geäußert, dass es ihnen leichter gefallen ist, ihr Urteil anhand der Liste zu begründen. Sie sprechen sich dafür aus, diese Transparenz auch zu nutzen, um dem Therapeuten ihre Stellungnahme anhand der Gutachtenkriterienliste plausibel zu machen.

Insgesamt kann die Verwendung der Kriterienliste im Routinevorgang der Begutachtung für das gut funktionierende Verfahren zusätzliche qualitätssichernde Wirkung entfalten (Rudolf u. Jakobsen 2002).

Fazit

Der gutachterliche Entscheidungsprozess wird durch die Verwendung der Gutachtenkriterienliste, die als reliables und valides Instrument gesichert werden konnte, standardisiert und operationalisiert. Transparenz und Qualitätssicherung des Gutachterverfahrens können auf diese Weise entscheidend optimiert werden. Zudem kann die Rückmeldung an die Therapeuten durch die Übersendung der vom Gutachter ausgefüllten Gutachtenkriterienliste den Begutachtungsvorgang für die Therapeuten transparenter machen.