Menschliche Schädel oder deren Fragmente werden von Findern selten „übersehen“ bzw. für nichtmenschliche Knochen gehalten. Deshalb gelangen isolierte menschliche Schädel in unterschiedlicher Vollständigkeit bzw. Fragmentierung häufig zur forensisch-osteologischen Untersuchung. Das oft erhaltene Jochbein ist aufgrund seiner morphologischen Eigenschaften ein wichtiges Erkennungsmerkmal des menschlichen Schädels, selbst wenn Letzterer zerstört ist. Im Rahmen des Projekts „Digitale Forensische Osteologie“ werden an virtuellen rezenten Skeletten etablierte osteologische Parameter neu evaluiert und neue Parameter gesucht.

Hintergrund

Die Bestimmung des Geschlechts [5] und die Schätzung der Körperlänge sind neben dem Lebensalter, der Herkunft [13] und dem postmortalen Intervall [30] wichtige Hinweise auf die Identität bei Knochen- und Skelettfunden [7, 22, 27]. Sie spielen eine bedeutsame Rolle im Rahmen des sog. biologischen Profils, das zum Abgleich mit vermissten Personen verwendet wird. Sobald belastbare Hinweise für den in Betracht kommenden Personenkreis durch diese Analysen vorliegen, können zielführende Methoden zur Identitätssicherung wie die forensische DNA-Analyse [15, 26], die forensische Odontostomatologie [14], die Röntgenvergleichsanalyse [2] oder der Schädel-Bild-Vergleich [1] zum Einsatz kommen.

Bei vollständigen Skeletten sind morphologische Merkmale von Schädel [8, 11, 23] und Becken [17, 18] zur Geschlechtsbestimmung bzw. das Maß der Langknochen [4, 19, 20, 21, 28] zur Körperlängenschätzung die geeignetsten Parameter. Um die morphologischen Parameter zur Geschlechtsdiskriminierung am Schädel zu objektivieren, wurden zudem osteometrische Messtrecken etabliert [3, 6, 9, 16]. Werden nur einzelne Knochen oder Knochenfragmente geborgen, müssen alternative Paramater herangezogen werden. Klassische morphologische Merkmale sind aufgrund der Fragmentierung oft nicht oder schwierig zu beurteilen. Metrische Parameter sind zumindest von der Intaktheit der zu messenden Strecke abhängig.

Das oft erhaltene Jochbein ist aufgrund seiner morphologischen Eigenschaften ein wichtiges Erkennungsmerkmal des menschlichen Schädels.

Dies gilt selbst, wenn Letzterer zerstört ist. Bei der Geschlechtsdiskriminierung am Schädel werden die Form und Robustizität des Jochbeins als wichtige Parameter beurteilt [5]. Aufgrund der Bedeutsamkeit als geschlechtsbestimmendes Merkmal fließt die Beurteilung des Jochbeins mit dem doppelten [5] bzw. 3-fachen Wichtungsfaktor [25] in die Gesamtbewertung ein.

Für das Jochbein selbst sind bislang als osteometrische Parameter die untere Jochbeinlänge, die größte Jochbeinlänge und die Wölbungshöhe des Jochbeins definiert [3]. Ein Einfluss der Jochbeinform ergibt sich inbesondere auf die Jochbogenbreite (bizygomatische Breite) und die Biorbitalbreite [3]; beides sind Messstrecken, die für die Geschlechtsdiskriminierung mithilfe statistischer Modelle eingesetzt werden [16]. Voraussetzung für die Messung der beiden letztgenannten Parameter ist jedoch zumindest ein intaktes Mittelgesicht.

Im Rahmen des Projekts „Digitale Forensische Osteologie“ werden an virtuellen rezenten Skeletten etablierte osteologische Parameter neu evaluiert und neue Parameter gesucht [23, 29]. In der vorliegenden Arbeit sollte anhand postmortaler Computertomographie(CT)-Datensätze überprüft werden, ob an isolierten Jochbeinen ein neu definierter und 2 bereits etablierte osteometrische Parameter zuverlässig genug gemessen werden können, und ob mit deren Hilfe eine ausreichend verlässliche Geschlechtsdiskrimierung möglich ist. Darüber hinaus sollte der Zusammenhang zur Körperlänge statistisch beschrieben werden.

Material und Methoden

Untersucht wurden Schädel-CT-Datensätze von 112 weiblichen und 104 männlichen Verstorbenen (Tab. 1), die im Hamburger Institut für Rechtsmedizin gescannt wurden (Diamond Select MX 8000 Quad CT-Scanner, Fa. Philips, Amsterdam, Niederlande, Schichtdicke 0,63 mm, 120 kV, 299–349 mAs, „pitch“: 0,88, „image matrix size“: 512 × 512). Alter und Geschlecht waren bekannt; die Körperlänge war manuell vor der CT-Untersuchung erfasst worden. Die Datensätze der Verstorbenen wurden anonymisiert und durchnummeriert. In die Untersuchung wurden Verstorbene mit einem Alter über 18 Jahre und einem vollständigen Datensatz des Schädels sowie mit beidseits intaktem und vermessbarem Jochbein aufgenommen. Ausschlusskriterien waren Frakturen des Jochbeins, fortgeschrittene Verwesung (fehlende Messbarkeit der Körperlänge) und die CT-Daten störende Artefakte, hervorgerufen z. B. durch verbliebende Tötungs-/Suizidmaterialien, medizinische Geräte, Osteosynthesen im Mittelgesicht oder Zahnarbeiten.

Tab. 1 Körperlänge und Alter der untersuchten Individuen

Die Daten wurden in das Programm OsiriX importiert. Im 3D-Modus („volume rendering“) wurden nach vorheriger Ausrichtung des Jochbeins in der Frontalebene [29] die maximalen beidseitigen Höhen, Längen und Dicken des Jochbeins vermessen (Abb. 1, Abb. 2). Für Länge und Höhe wurde sich hierbei an den in der Anthropologie definierten Messpunkten orientiert ([3]; Tab. 2, 2. Spalte). Bei der Dicke wurde versucht, die maximal sichtbare Dicke einzustellen und zu vermessen. Bei Länge und Dicke handelte es sich um etablierte Parameter [3]; die Höhe wurde neu definiert und erstmals in dieser Arbeit gemessen (Tab. 2).

Abb. 1
figure 1

Exemplarische Darstellung einer Messung der Jochbeinhöhe (a) und -länge (b) der linken Seite. Der Schädel bzw. das Jochbein wurde vorher so ausgerichtet, dass die Messstrecken in der Frontalebene des Bilds liegen

Abb. 2
figure 2

Verteilung der Messwerte der linksseitigen Jochbeinhöhe (x-Achse), auf der y-Achse laufende Nummer der Individuen. Kreise weibliche Individuen, Quadrate männliche Individuen, rote Linie ermittelte Trennwert zur Geschlechtsdiskrimination

Tab. 2 Messparameter am Jochbein

Nach einer ersten Vermessung und Datenerfassung aller Schädel erfolgte an 30 zufällig ausgewählten Datensätzen (22 weiblich, 8 männlich) nach einem Zeitraum von 6 Wochen eine 2. Messung durch dieselbe Untersucherin. Außerdem wurden diese 30 Datensätze unabhängig von 2 weiteren, in der digitalen forensischen Osteologie erfahrenen Untersuchern und einem unerfahrenen, frisch angelernten Untersucher vermessen.

Die Messwerte wurden zunächst in Microsoft-Excel-Tabellen erfasst und anschließend in SPSS-Datensätze überführt. Die deskriptiven und explorativen statistischen Auswertungen erfolgten im Anschluss in SPSS (Version 17.0) und Statistica® Vers. 8.

Ergebnisse

„Intra“- und „Interobserver“-Validität

Nach Durchführung der Intraklassenkorrelation(ICC)-Analyse haben sich im Intraobserver-Vergleich gute Übereinstimmungen für die beidseitigen Messungen der Jochbeinhöhe und -länge nachweisen lassen. Bei der Jochbeindicke waren die Resultate deutlich schlechter. Die Konkordanzanalyse der Jochbeindicke zeigt Koeffizienten von < 0,6, woraus sich eine Einschränkung der Reliabilität für dieses Merkmal ableiten ließ. In die Zwischenbeobachtervergleiche wurde die Jochbeindicke deshalb nicht mehr einbezogen. Für die beiseitige Jochbeinhöhe und -länge erbrachte die ICC-Analyse im Interobserver-Vergleich durchweg sehr gute Übereinstimmungen (Tab. 3).

Tab. 3 „Intra“- und „Interobserver“-Vergleich

Körperlänge

Zur Überprüfung eines möglichen Zusammenhangs zwischen Körperlänge und den metrischen Maßen des Jochbeins erfolgte eine Korrelationsanalyse nach Pearson. Es fand sich für die 4 Parameter Jochbeinlänge und -breite (jeweils beidseits; Tab. 4) ein niedrig-positiver Zusammenhang. Ein geringer Zusammenhang war zwischen den beidseitigen Jochbeindicken und der Körperlänge zu sehen (Tab. 4).

Tab. 4 Zusammenhang zwischen Körperlänge und den Messstrecken der Jochbeinea

Nach Durchführung einer multiplen linearen Regression und nach schrittweisem Ausschluss aller beitragsschwachen Variablen konnte anhand der beiden Parameter rechts- und linkseitige Jochbeinhöhe ein maximales Bestimmtheitsmaß von r2 = 0,287 erreicht werden. Dabei betrug jedoch der (einfache) Standardfehler des Schätzers 8,79 cm (p < 0,0001).

Geschlecht

Zur Prüfung auf die Diskriminanzfähigkeit der jeweiligen Variablen hinsichtlich des Geschlechts wurde eine kanonische Diskriminanzanalyse aller 6 Jochbeinmesswerte gegen das Geschlecht durchgeführt (Tab. 5). Unter allen 6 Parametern lieferte die Jochbeinhöhe den höchsten F-Wert (= 85). Nach einem Klassifikationsmodell, in das nur die Jochbeinhöhe, -länge und -dicke der rechten Seite integriert wurden, gelang eine korrekte Klassifikation der weiblichen Individuen in 78 % und der männlichen in 74 %. Für beide Geschlechter betrug die Gesamttrefferquote 76 %.

Die Jochbeinhöhe hatte mit einem Wilks-λ-Wert von 0,78 den höchsten Anteil an der Diskrimination.

Wurde das Klassifikationsmodell auf die rechtsseitige Höhe reduziert, ergab sich eine Gesamttrefferquote für die Geschlechtsdiskriminierung von 75 %.

Tab. 5 Prüfung der Diskriminanzfähigkeit der Variablen (Spalte 1) in Bezug auf das Geschlecht

Für die linke Seite wurden analoge Klassifikationsmodelle erstellt, die vergleichbare Resultate ergaben. Die Gesamttrefferquote für alle 3 linken Variablen betrug 77 %. Wurde nur die linksseitige Höhe eingesetzt, betrug die Gesamttrefferquote 72 %.

Bei 2 weiteren Klassifikationsmodellen wurden nur die links- und rechtsseitigen Jochbeinhöhen (Gesamttrefferquote 75 %) sowie alle 6 Variablen gemeinsam (Gesamttrefferquote 74 %) eingesetzt.

Für die am stärksten diskriminierenden Variablen, die rechts- und linksseitigen Jochbeinhöhen, sollte ein Trennwert bestimmt werden. Dafür konnte durch Anwendung des Kolmogorow-Smirnow-Test eine Normalverteilung der Daten in beiden Gruppen (männlich und weiblich; jeweils p < 0,0001) bestätigt werden. Im Anschluss wurden für die beiden Gruppen die sog. Zentroide der Jochbeinhöhe (rechts und links getrennt) ermittelt. Der Trennwert ergab sich aus dem Mittelwert der beiden Zentroide für die rechtsseitige Jochbeinhöhe mit 48,56 mm und für die linksseitige Jochbeinhöhe mit 48,53 mm. Unter Einsatz des Trennwerts für die rechtsseitige Jochbeinhöhe konnte eine korrekte Klassifikation der weiblichen Individuen von 79,5 % und der männlichen von 70,2 % erreicht werden. Mithilfe der linksseitigen Jochbeinhöhe (Abb. 2) konnten die weiblichen Individuen in 73,2 % und die männlichen in 71,2 % korrekt zugeordnet werden.

Diskussion

Im Rahmen des Projekts „Digitale Forensische Osteologie“ wurde an den Datensätzen von 112 weiblichen und 104 männlichen Verstorbenen überprüft, ob am Jochbein ein neu definierter (Höhe) und 2 etablierte Parameter (Länge, Dicke), jeweils rechts und links, erhoben werden können, und ob diese Parameter zur Schätzung der Geschlechtszugehörigkeit geeignet sind. Obwohl aus theoretischen Überlegungen kein für die forensische Fallarbeit nutzbarer Zusammenhang zwischen Körperlänge und Jochbeinmaßen vermutet werden konnte, wurde der Umfang der metrischen Korrelation verifiziert.

Nach der Wiederholungsmessung an 30 zufällig ausgewählten Datensätzen (Intraobserver-Validierung) zeigte sich bereits, dass die Jochbeindicke nicht mit der notwendigen Zuverlässigkeit messbar war. Dagegen waren die Jochbeinhöhe und -länge sehr gut reproduzierbar. Die unabhängige Vermessung dieser 30 Individuen durch 3 weitere Untersucher (Interobserver-Validierung) ergab ebenfalls reproduzierbare und messgenaue Werte für die Jochbeinhöhe und -länge. Dabei ist anzumerken, dass nur 2 der 3 Untersucher des Interobserver-Vergleichs in der (analogen und digitalen) Osteometrie erfahren waren, was jedoch keinen Einfluss auf die Genauigkeit der Messungen hatte. Die Abweichungen waren insgesamt vergleichbar mit denen, die bei analogen Messungen an realen Schädeln beobachtet werden [12, 29].

Jochbeinhöhe und -länge können als geeignetes digitales osteometrisches Parameterpaar angesehen werden.

Die beiden Messtrecken Jochbeinhöhe und -länge sind der realen Messung mit dem Gleitzirkel problemlos zugänglich, sodass davon auszugehen ist, dass eine analoge Vermessung in gleichem Umfang nur gering fehleranfällig ist.

Alle 6 Messstrecken waren als Einzelparameter geeignet, zwischen den Geschlechtern zu trennen. Die höchste diskriminatorische Bedeutung zeigte für beide Seiten die Jochbeinhöhe.

Mit einem Klassifikationsmodell unter Einsatz aller 3 Parameter der linken Seite konnte eine korrekte Geschlechtsklassifikation in 76,6 % der Fälle und für die rechte Seite in 75,6 % erreicht werden. Für ein derartiges Vorgehen in der Praxis wäre es aber notwendig, dass alle 3 Parameter an einem Jochbein korrekt gemessen werden. Einschränkend darauf wirkt sich einerseits die dargestellte Messunsicherheit der Jochbeindicke aus, andererseits ist bei fragmentierten Schädeln die Jochbeinlänge der sensibelste Wert, da das Jochbein an der medialen und lateralen Begrenzung am fragilsten und in der Praxis hier am häufigsten beschädigt ist.

Demnach dürfte die neu definierte Jochbeinhöhe von den 3 überprüften der in der forensisch-osteologischen Fallarbeit am häufigsten korrekt zu messende Parameter sein. Er wies zudem in der vorliegenden Untersuchung die höchste geschlechtsdifferenzierende Bedeutung auf. Zusätzlich wurde der für die Fallarbeit oft praktische und schnell anwendbare Trennwert berechnet. Für die rechtsseitige Jochbeinhöhe konnte dieser Trennwert bei 48,56 mm festgelegt werden. Seine Verwendung ermöglicht bei 79,5 % der weiblichen und 70,2 % der männlichen Individuen eine korrekte Zuordnung. Für die linksseitige Jochbeinhöhe ergab sich ein Trennwert von 48,53 mm, womit eine korrekte Geschlechtszuordnung für 73,2 % der weiblichen und 71,2 % der männlichen Individuen gegeben war.

Aus den Ergebnissen der Analysen über den Zusammenhang von Jochbeinparametern zur Körperlänge bestätigte sich die Vermutung einer nur schwachen Korrelation mit niedrigen Korrelationskoeffizienten von etwa 0,45 und entsprechend niedrigen Bestimmtheitsmaßen von r2< 0,21. Eine forensisch sinnvoll einsetzbare Regressionsformel zur Schätzung der Körperlänge konnte aufgrund der enormen Standardfehler der Schätzung von > 8,79 cm in dieser Stichprobe nicht erstellt werden. Aus diesen Befunden lässt sich daher erneut ableiten, dass eine verlässliche Körperlängenschätzung anhand von Schädelparametern bislang nicht gelungen ist. Da isolierte Schädelfunde ohne Knochen des Postcraniums eine häufige Konstellation in der forensisch-osteologischen Fallarbeit darstellen, bleibt jedoch das Auffinden osteometrischer Schädelparameter zu einer brauchbaren Körperlängenschätzung weiterhin wünschenswert, obwohl bisher alle Versuche, derartige Parameter zu etablieren, gescheitert sind [10, 24]. Offenbar ist der Zusammenhang zwischen Schädeldimensionen und Körperlänge zu gering.

Fazit für die Praxis

Die relativ leicht und wohl in vielen Fällen selbst mit starker Schädelfragmentierung messbare, in der vorliegenden Arbeit erstmals definierte Jochbeinhöhe kann als isolierter Parameter unter einfacher Anwendung eines Trennwerts von 48,5 mm zur Geschlechtsdiskriminierung hilfreich sein. Dabei führen das Unterschreiten dieses Werts zu der Diagnose weiblich und das Überschreiten zur Diagnose männlich.