Die Identifizierung von Leichen mithilfe molekulargenetischer Methoden ist mit dem Vorteil verbunden, dass Identitätswahrscheinlichkeiten errechnet werden können. Hierzu benötigt der Untersucher Vergleichsmaterialien. Die Auswahl dieser Vergleichsmaterialien bedarf allerdings sorgfältiger Überlegung.

Grundlagen

Die Identifizierung von Leichen, die aufgrund fortgeschrittener Fäulnisveränderungen (z. B. „Wohnungsleichen“) oder äußerer Gewalteinwirkung (z. B. Bahnleichen) im Rahmen der Leichenschau nicht sicher zuordenbar sind, ist Teil der rechtsmedizinischen Routine. Während sekundären Identifikationsmethoden – Beschreibungen, medizinische Auffälligkeiten, Kleidungsstücke – eher ein Hinweischarakter zukommt, erfolgt die abschließende Identitätssicherung in der Regel über primäre Identifizierungsmethoden. Hierzu zählt neben der Erhebung des Zahnstatus und der Daktyloskopie die DNA-Analyse [2, 4].

Die Auswahl der anzuwendenden Methode hängt häufig von der jeweiligen Ausgangssituation ab. So ist eine Identifizierung über Zahnstatus oder Fingerabdrücke bei weitestgehender Zerstörung der Leiche, z. B. durch ausgeprägte Brandzehrung oder außergewöhnlich starke mechanische Einwirkungen, meist aussichtslos. In solchen Fällen, wie z. B. beim Einsturz des World Trade Centers in New York, ist die genetische Identifizierung die Methode der Wahl [1, 7, 10]. Aber auch bei Verstorbenen, bei denen der Zahnstatus noch ohne Weiteres zu erheben ist, kann die Identifizierung aufgrund fehlender oder unzureichender Vergleichsdaten scheitern [6, 14, 15].

Ein Vorteil der molekulargenetischen Identifizierung ist, dass Identitätswahrscheinlichkeiten errechnet werden können. Insbesondere auf dem Weg der Abstammungsanalyse kann durch Einbeziehung v. a. der Eltern oder Kinder, aber ebenfalls der Geschwister des Verstorbenen eine Identitätssicherung erfolgen. Auch ist der DNA-Abgleich die einzige primäre Identifikationsmethode, die unabhängig von einem direkten Vergleich ist [4]: Stehen keine Blutsverwandten zur Verfügung, können Gegenstände des täglichen Lebens aus dem Besitz der mutmaßlichen Person molekulargenetisch untersucht und die so gewonnenen Profile mit den Daten des Verstorbenen abgeglichen werden. In dieser Arbeit wird anhand der Ergebnisse von 61 Identifizierungsfällen der letzten Jahre insbesondere die Eignung des seitens der Ermittlungsbehörden für die molekulargenetische Analyse zur Verfügung gestellten Untersuchungsmaterials für eine sichere genetische Identifizierung überprüft.

Material und Methoden

Untersuchungsgut

Die untersuchten Fälle stammen aus dem Obduktionsgut der rechtsmedizinischen Institute Essen und Kiel. Insgesamt wurden 29 Fälle aus Essen und 32 Fälle aus Kiel in die Studie einbezogen. Von den zu identifizierenden Leichen wurden – in Abhängigkeit vom Fäulnisgrad – Blut und/oder Weichgewebe asserviert. Auswahl und Aufarbeitung erfolgten analog zu Schwark et al. [11]. In jedem Identifizierungsfall standen bis zu 4 verschiedene Vergleichsmaterialien (Schleimhautabriebe von Verwandten und/oder diverse Alltagsgegenstände) zur Verfügung. Insgesamt konnten 115 unterschiedliche Vergleichsproben analysiert werden (Tab. 1).

Tab. 1 Vergleichsmaterialien (n=115)

DNA-Extraktion und genetische Analyse

Mundschleimhautabriebe wurden mit dem Invisorb Spin Swab Kit (Fa. Invitek, Berlin) aufgearbeitet. Die DNA-Extraktion von den verschiedenen Spurenträgern erfolgte ebenfalls mit dem Spin Swab Kit oder mit einer modifizierten Phenol-Chloroform-Methode [9].

Von der extrahierten DNA wurde je 1 µl unverdünnt sowie in einer 1:10-Verdünnung in eine kommerziell erhältliche und in der forensischen Genetik bewährte [3, 12] „multiplex polymerase chain reaction“ [Multiplex-PCR, Promega (Powerplex® ES) und Applied Biosystems (AmpF/STRIdentifiler™)] eingesetzt und gemäß den Herstellerangaben amplifiziert. Je 1 µl des PCR-Produkts wurde kapillarelektrophoretisch auf einem ABIPrism310 Genetic Analyzer bzw. einem ABIPrism3130 Genetic Analyzer aufgetrennt (in 11,8 µl Formamid plus 0,2 µl Größenstandard, LIZ500 für den AmpF/STRIdentifiler™ und ILS600 für den Powerplex® ES) und mithilfe der GeneScan- bzw. Genemapper-Software unter Anwendung kommerzieller Allelleitern analysiert. Ein STR-Profil wurde als „vollständig“ bewertet, wenn wenigstens 12 (AmpF/STRIdentifiler™) bzw. 7 Genorte (Powerplex® ES) nachgewiesen werden konnten.

Ergebnisse und Diskussion

Vergleichsmaterialien

Einen Überblick über die für die Untersuchung zur Verfügung gestellten Vergleichsmaterialien geben Tab. 1 und Abb. 1. Sowohl im Essener als auch im Kieler Institut waren Zahnbürsten die am häufigsten untersuchten Vergleichsgegenstände (29,6%), gefolgt von Schleimhautabrieben (mutmaßlicher) Verwandter (19,1%), (Nass- und Trocken-)Rasierern (13,9%), Kämmen (8,7%) und Haarbürsten (7,0%). Ein Abgleich mit einem bestehenden DNA-Analyse-Datei(DAD)-Eintrag erfolgte in 6,1% aller Fälle. Vereinzelt wurden auch andere Vergleichsgegenstände, z. B. Zigarettenkippen, Mützen, eine Kaffeetasse o. Ä. vorgelegt. Die Wahl der Vergleichsmaterialien war dabei auch von dem jeweiligen Fall beeinflusst. So wurden im Fall „einfacher“ Wohnungsleichen (d. h. Leichen in von innen abgeschlossenen Räumen ohne Hinweis auf eine Fremdeinwirkung) seitens der Ermittlungsbehörden auch ungewöhnliche Spurenträger (Telefonhörer, Q-Tip) zum Vergleich überbracht. Bei Leichen dagegen, die außerhalb von Wohnungen aufgefunden wurden (z. B. Wasserleichen) und bei denen keine sekundären Identitätshinweise festzustellen waren, wurde die Identifizierung über Verwandte oder sicher dem Vermissten zuzuordnende Gebrauchsgegenstände, zumeist Zahnbürsten, durchgeführt. In mehreren Fällen wurden Vergleichsmaterialien übergeben, die zuvor von der Polizei oder dem Bestatter von der Leiche entfernt worden waren (z. B. Zahnprothese, Ehering). Da diese Gegenstände für eine Identifizierung grundsätzlich nicht geeignet sind – schließlich befanden sie sich schon zum Zeitpunkt der Auffindung an dem Verstorbenen, sodass eine genetische Untersuchung ohnehin die Merkmale der Leiche aufgewiesen hätte – wurden sie nicht untersucht.

Abb. 1
figure 1

Typische, von der Polizei in einem Identifizierungsfall zur Verfügung gestellte Spurenträger. Laut Untersuchungsantrag überbrachte die Polizei 2 elektrische Rasierapparate und 3 Zahnbürsten. Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich eine der „Zahnbürsten“ (rot) als Schuhbürste mit Schuhcremeantragungen

Typisierungserfolge

Erwartungsgemäß lag der Typisierungserfolg aus Mundschleimhautabrieben bei 100% und damit an der Spitze der untersuchten Proben. Ebenfalls unproblematisch war die Untersuchung der vorgelegten Rasierer: Hier konnte in 13 von 16 Fällen (etwa 81%) ein „ausreichendes“ Profil (Powerplex® ES: wenigstens 7 Genorte, AmpF/STRIdentifiler™: wenigstens 12 Genorte) erstellt werden. Zahnbürsten dagegen lieferten in „nur“ 21 von 34 Fällen (etwa 62%) vollständige Profile. Hier zeigten sich große Unterschiede in den überbrachten Spurenträgern (von fabrikneu ohne Gebrauchsspuren bis hin zu sichtbaren Essensresten und Pilzbefall), sodass der im Vergleich zu den untersuchten Rasierapparaten geringere Typisierungserfolg durch die schlechte Qualität der überbrachten Zahnbürsten zu erklären ist. Bei Kämmen und Haarbürsten (4 von 8) lag die Erfolgsrate bei 50%. Auch von den anderen Gegenständen gelang in der Regel eine zur Identifizierung ausreichende Typisierung. Insbesondere die vorgelegten Zahnputzbecher sowie der in einem Fall überbrachte Q-Tip (mit orangefarbenen Anhaftungen) erwiesen sich als gute „DNA-Quellen“, wobei das Wattestäbchen hinsichtlich der DNA-Ausbeute und des Typisierungsergebnisses einem Mundschleimhautabrieb in nichts nachstand. Nur in Einzelfällen (z. B. Rasierklinge) war die Typisierung aufgrund einer geringen DNA-Ausbeute problematisch. Insgesamt konnte jedoch von allen untersuchten Gebrauchsgegenständen genügend DNA für die genetische Analyse isoliert werden. In allen Fällen konnten aus den überbrachten Vergleichsmaterialien hinreichend viele Merkmale für die Identifizierung generiert werden (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Typisierungserfolge aus ausgewählten Vergleichsmaterialien (gepoolte Daten aus Essen und Kiel; absolute Zahlen). Blaue Säulen „vollständiges“ Profil: Nachweis von wenigstens 7 (Powerplex® ES) bzw. 12 (AmpF/STRIdentifiler™) Loci. Rote Säulen Teilprofil

Mischprofile

Aus allen Proben konnten, wie oben erwähnt, genügend Merkmale generiert werden, um die Wahrscheinlichkeit der Spurenzugehörigkeit zu ermitteln. Allerdings ergaben sich in mehreren Fällen Probleme dadurch, dass aus den jeweiligen Proben Mischprofile von wenigstens 2 verschiedenen Personen nachgewiesen wurden (Abb. 3). Insbesondere Haarbürsten (Mischprofile in 57% der Fälle) und Kämme (50%) wurden – nicht völlig unerwartet – häufig von mehreren Personen benutzt. Aber auch Rasierapparate (25% Mischprofile) und Zahnbürsten (23,5% Mischprofile) wurden vielfach von mehr als nur einer Person verwendet. Die eher ungewöhnlichen Vergleichsmaterialien (Zigarettenkippen, Taschentücher, Kaffeetassen) zeigten hingegen stets nur ein Einzelprofil und ließen sich in allen Fällen der zu identifizierenden Leiche zuordnen – mit der Einschränkung des limitierten Beweiswerts bezüglich einer Identifizierung.

Abb. 3
figure 3

Nachweis von Mischprofilen (gepoolte Zahlen aus Essen und Kiel). Angegeben ist der prozentuale Anteil von Mischprofilen an ausgewählten Vergleichsgegenständen

Beurteilung bzw. Zuordnung der genetischen Profile

Die folgenden 2 Fallbeispiele zeigen exemplarisch Probleme auf, die im Rahmen der Identifizierung entstehen können, und verdeutlichen, dass die Auswahl von Vergleichsmaterialien sorgfältiger Überlegung bedarf.

Fall 1: „Spurenzugehörigkeit“

Monate nach der Havarie eines Fischkutters wurde eine männliche Leiche am Nordseestrand angespült, die aufgrund der langen Wasserliegezeit morphologisch nicht zu identifizieren war. Es ergab sich der Verdacht, dass es sich bei dem Verstorbenen um einen der seit dem Schiffsunfall vermissten Fischer handeln könnte. Von der Polizei wurde daraufhin die Zahnbürste des Vermissten zur Analyse überbracht. Die Untersuchung ergab ein eindeutiges Einzelprofil, das aber von einer Frau stammte. Allerdings fiel auf, dass das genetische Profil der Leiche mit dem aus der Zahnbürste gewonnenen Profil in jedem Genort wenigstens ein gemeinsames Allel aufwies. Weitere Ermittlungen ergaben, dass der vermisste Fischer eine Tochter hatte, die im selben Haushalt lebte. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei der Zahnbürstenbenutzerin um die Tochter der aufgefundenen Leiche handelte, betrug 99,998%, sodass, auch um die Familie nicht weiter zu belasten, die Identität des Verstorbenen als festgestellt betrachtet wurde. Warum nicht primär auf die Möglichkeit einer sicheren abstammungsanalytischen Identifizierung anstelle der Identifizierung über eine Zahnbürste zurückgegriffen wurde, blieb unklar. Allerdings fiel im Rahmen dieser Studie auf, dass in vielen Fällen Zahn- und Haarbürsten auch dann zur Untersuchung gebracht wurden, wenn Verwandte der vermissten Personen existierten, teilweise sogar in einem Haushalt mit der vermissten Person lebten und der Polizei die Vergleichsgegenstände zur Untersuchung übergaben.

Fall 2: „multiple Profile“

Zur Identifizierung einer Brandleiche wurden von der Polizei 2 Zahnbürsten, eine Haarbürste und ein Telefonhörer aus der Wohnung des Verstorbenen überbracht. Die molekulargenetische Analyse ergab aus einer Zahnbürste ein eindeutiges Einzelprofil, das jedoch nicht von der Leiche stammte. Aus der anderen Zahnbürste ließ sich eine Mischspur generieren, die von mindestens 3 verschiedenen Personen verursacht worden war: 1) der Leiche; 2) der Person, deren DNA an der anderen Zahnbürste festgestellt wurde, und 3) einer dritten, unbekannten Person. Die Analyse der Haarbürste erbrachte ebenfalls ein Mischprofil, das niemandem zugeordnet werden konnte. Am Telefonhörer fand sich schließlich ein Einzelprofil, das mit höchster Wahrscheinlichkeit von dem Verstorbenen stammte. Hier ermöglichte eine Zusammenfassung dieser Befunde ein für die ermittelnde Polizei zufriedenstellendes Identifizierungsergebnis.

Auswahl des Vergleichsmaterials

Aus den beiden Fallbeispielen wird deutlich, dass die molekulargenetische Identifizierung unbekannter Verstorbener anhand von Gebrauchsgegenständen bisweilen problematisch sein kann. Eine zuverlässige Zuordnung ist v. a. dann erschwert, wenn an Gegenständen, die üblicherweise nur von einer Person benutzt werden (z. B. Zahnbürsten, Rasierapparate), auch das Erbgut weiterer Nutzer nachgewiesen wird. Größere Sicherheit bietet hier neben Abgleichen mit der DAD die Abstammungsanalyse. Hier wiederum muss eine sorgfältige Begutachtung gewährleistet sein, bei der zum einen mögliche Mutationsereignisse erkannt und berücksichtigt werden und zum anderen exakte Hypothesen bezüglich des vorliegenden Verwandtschaftsverhältnisses erstellt werden. Da derartige Untersuchungen häufig als Defizienzfälle (z. B. nur die Untersuchung einer Verstorbenen und deren möglicher Vater) durchgeführt werden, besteht ggf. die Gefahr falsch-positiver Ergebnisse [8, 13]. Problematisch kann auch die Feststellung von Geschwisterwahrscheinlichkeiten sein [5], sodass derartige Abgleiche nur von speziell ausgebildeten Sachverständigen durchgeführt werden sollten.

Letztlich kann jedoch auch die Abstammungsanalytik nur zu einer erfolgreichen Identifizierung beitragen, wenn die für die Beurteilung zugrunde gelegten Verwandtschaftsverhältnisse eindeutig geklärt sind und nicht beispielsweise für die Identifizierung eines verstorbenen Mannes ein vermuteter männlicher Nachkomme beigezogen wird, der – möglicherweise ohne eigene Kenntnis – mit dem Verstorbenen nicht verwandt ist („Kuckuckskind“), sodass es zu einem falsch-negativen Ergebnis kommt. Die Autoren haben allerdings bisher in der eigenen Praxis keinen derartigen Fall erlebt.

Fazit für die Praxis

Vor dem Hintergrund der vorgestellten Untersuchungsergebnisse sollte in Identifizierungsfällen stets einer abstammungsanalytischen Untersuchung gegenüber der Untersuchung von Gebrauchsgegenständen der Vorzug gegeben werden. Stehen keine Blutsverwandten zur Verfügung, sollte bei mehreren zur Vergleichsuntersuchung vorgelegten Gegenständen 1) eine sorgfältige Auswahl erfolgen und 2) die Untersuchung mehrerer Vergleichsmaterialien erwogen werden. Auch sollte im Fall eines Ausschlusses, also dann, wenn die Profile der Leiche und der Vergleichsprobe nicht übereinstimmen, analog zum Vorgehen bei Abstammungsanalysen ein weiterer Gebrauchsgegenstand untersucht werden (sog. Wiederholerausschluss). Letztlich jedoch kann auch bei sehr sorgfältiger Auswahl der Vergleichsgegenstände nie ganz ausgeschlossen werden, dass die nachgewiesenen genetischen Profile nicht doch einer unbekannten dritten Person zuzuordnen wären.