Einführung

Im Rahmen von medizinhistorischen Fragestellungen zur Entwicklung nach 1945 in beiden deutschen Staaten fehlen Untersuchungen zu vielen der einzelnen medizinischen Fachgebiete und wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Zunächst wurden eher Fragen zur Gesundheits- oder Wissenschaftspolitik untersucht [1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8]. Auch in ersten Urologie-historischen Darstellungen in Ost und West lag der Fokus auf dem Gesundheitssystem [9, 10, 11, 12] Aus diesem Grunde initiierte die Deutsche Gesellschaft für Urologie im Jahre 2011 ein weiteres, interdisziplinär angelegtes, multinationales Forschungsprojekt „Urologie in Deutschland 1945–1990“ in Zusammenarbeit mit Medizinhistorikern (Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Universität Ulm, Prof. Dr. H. Fangerau, W. P. Didusch Center for Urologic History, Prof. Dr. Mike Moran, Prof. Dr. Rainer Engel), das an das Projekt „Urologie im Nationalsozialismus“ anschließt, um diese Entwicklungen umfassend und systematisch – besonders im deutsch-deutschen Vergleich und im internationalen Kontext – zu analysieren. Erste Untersuchungen zum letzten gesamtdeutschen Urologenkongress und zur Bedeutung der Hallenser Urologie liegen bereits vor [13, 14, 15]. Bisher stand die Hochschulpolitik der einzelnen Bundesländer noch wenig im Fokus der allgemeinen historischen Forschung und die Bildungsgeschichte befasste sich hauptsächlich mit der alliierten Reedukationspolitik [16].

Das Fachgebiet Urologie nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Urologie in Lehre und Forschung an den Universitäten nicht etabliert und wurde nur als Uro-Chirurgie unter Aufsicht eines erfahrenen Assistenten im Rahmen der Chirurgie teils auf separierten urochirurgischen Stationen praktiziert [17]. Ganz in französischer Tradition stand 1952 die Gründung des mit Carl Erich Alken (1909–1986) besetzten Lehrstuhls an der zu dieser Zeit zu Frankreich gehörenden Universität Homburg im Saarland, 1958 folgte Ferdinand May (1898–1978) [18] in München mit einem Ordinariat (Extraordinariat 1956). Martin Stolze (1900–1989), Klinik Weidenplan, erhielt in Halle 1958 ebenfalls ein Ordinariat [13]. Die erste urologische Universitätsklinik in der DDR wurde 1963 in Jena unter Emil Hientzsch (1914–1988) gegründet [19].

Viele bekannte Namen konnten sich an großen Abteilungen jedoch nur mehr der Patientenversorgung als der Wissenschaft verpflichten [20].

Nach 1945 etablierte sich die deutsche Urologie als Fachdisziplin insbesondere durch die Etablierung von Lehrstühlen an allen medizinischen Fakultäten in Ost- und Westdeutschland [13] und erhielt einen festen Platz im Curriculum für Medizinstudenten insbesondere nach Schaffung der Approbationsordnung von 1970 (28. Oktober 1970 BGBl. I S. 1458), die die Bestallungsordnung von 1939/1953 ablöste [21]. Die bisher eher chirurgisch orientierte urologische Facharztausbildung wurde systematisiert, verstärkt spezialisierte Fachkliniken aufgebaut, vor dem Krieg bestehende erweitert sowie der (Wieder-)Anschluss an die internationale Forschung und deren Netzwerke vollzogen [22]. Ein Fachgebietsabkommen sollte die Grenzziehungen endgültig 1970 definieren [23]. Der lange Kampf der Verselbständigung in der Bundesrepublik konnte somit innerhalb von zwei Generationen abgeschlossen werden. Bis zum Ende der 1950er Jahre nahmen aber eher die Belegabteilungen in Nordrhein-Westfalen zu. Erst 1968 sollte die Zahl der Hauptabteilungen die der Belegabteilungen in diesem Bundesland überflügeln [24].

In der DDR war es bis zur Mitte der 1950er Jahre für Chirurgen nach Absolvierung eines Kurzlehrgangs möglich, sich als Urologen niederlassen und Leiter von Kliniken werden. Im Rahmen der 4. Hochschulkonferenz der DDR 1967 wurden die „Prinzipien zur weiteren Entwicklung von Lehre und Forschung an Universitäten und Hochschulen der DDR“ beschlossen [25]. Durch Anordnung des Ministers für Gesundheitswesen wurde ein einheitliches Weiterbildungsprogramm für die Facharztausbildung festgelegt, welches 1974 und 1980 ergänzt wurde [26].

Krankenanstalten Aachen

Das Städtische Krankenhaus als Voraussetzung zur Etablierung einer Universitätsklinik

Die Anfänge des modernen Aachener Krankenhauswesens reichen in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, wie in vielen rheinischen Städten [27, 28, 29]. 1848 bis 1855 wurde das städtische Mariahilf-Hospital (260 Betten) auf dem Gelände des heutigen Kurparks errichtet, das das aus dem Mittelalter stammende Hospital am Radermarkt gegenüber dem Dom ablöste. Aufgrund der warmen Schwefelquellen besaß die Behandlung der Syphilis ab dem 17. Jahrhundert bis zum Ende des 19. Jahrhunderts einen international anerkannten Schwerpunkt innerhalb der Aachener Medizin ([30], Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Aachen Mariahilf-Hospital Ansichtskarte, vor 1914, Sammlung Moll Repro Keyn. (Mit freundl. Genehmigung)

Abb. 2
figure 2

Aachen Elisabeth Hospital, kolorierte Ansichtskarte, auf dem Gelände des Landgutes Flatt und Mariabrunn an der Goethestrasse nach 1902, Mariaberg (Josephinum) wäre am linken Bildrand, Sammlung Moll Repro Keyn. (Mit freundl. Genehmigung)

Ab den 1880er Jahren häufig überbelegt, reifte dann der Plan, an der Goethestraße auf dem Gelände des Landgutes Flatt ein modernes Krankenhaus im Pavillonstil zu errichten [31, 32].

Ab 1900 wurden dann hier die bereits bestehenden Einrichtungen „Mariaberg“ [33] – später als das Altenpflege- und Waisenheim „Josephinum“ bezeichnet – sowie die „Irrenanstalt Mariabrunn“ der Alexianer (die dort eine Quelle entdeckt hatten und 1868 einen Bau errichteten) zu einer größeren städtischen Gesamtanlage zusammengefasst (Abb. 2). Der Hamburger Architekt Friedrich Ruppel (1854–1937) plante eine Anlage im Stile des von ihm errichteten Eppendorfer Krankenhauses, die Bauausführung der ersten Baustufe – den Pavillons für die konservativen Abteilungen – war zwischen 1902 und 1905.

Die Medizinische Abteilung mit 250 Betten konnte 1905 einziehen. Nach Umbau und Renovierung 1912/1913 des Josephinums folgte die Chirurgie (200 Betten) im Jahre 1914., der auch die Geburtshilfe sowie die Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten angeschlossen war [34, 35]. Bedingt durch die Finanzknappheit während der Weimarer Republik ruhte der Ausbau der Krankenanstalt in vielen Bereichen und blieb provisorisch. Das Albert-Servais-Haus für die operativen Fächer, in dem später auch die Urologische Klinik untergebracht wurde, wurde als Terrassenbau 1926–1928 geplant, teilerrichtet und endgültig zwischen 1932 und 1934 fertig gestellt [36].Footnote 1 Jetzt umfasste die Einrichtung 744 Betten (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Vorderansicht des späteren „Albert- Servais- Haus“ 1945 Nordfront mit Vorbau und Hauptportal, das größte Gebäude der Städtischen Krankenanstalten Aachen. Hier waren initial Chirurgie, Orthopädie, Naturheilkunde und HNO-Klinik untergebracht, Bettenzahl 302, später war im Erdgeschoss rechts ein Teil der Urologischen Klinik untergebracht (Repro: Institut für Geschichte, Theorie und Ethik in der Medizin, Aachen. Mit freundl. Genehmigung)

Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die Personalsituation in den Leitungsebenen und das Krankenhaus wurde zum „Auffangbecken“ NS belasteter Ärztegrößen, die dem Rang nach einer medizinischen Akademie oder Universitätsklinik entsprachen an einem Krankenhaus, dessen Chefärzte bis dahin nur promoviert waren ([37], Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

„Albert-Servais-Haus“ mit Tarnanstrich 1945, Rückansicht Quelle: Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Aachen, mit freundl. Genehmigung. Haus 1 des Städtischen Krankenhauses Aachen (so bezeichnet ab 01.01.1935), fertig gestellt und bezogen 1934, 1954 nach dem Oberstadtdirektor „Albert- Servais-Haus“ genannt, nach Umzug in das Neue Klinikum 1985 abgerissen. Zuletzt waren hier u. a. Radiologie, Urologie, Neurochirurgie Herzchirurgie sowie die Chirurgie, auch Stationen für privat zahlende Patienten und Operationssäle der entsprechenden Kliniken untergebracht (Repro: Institut für Geschichte, Theorie und Ethik in der Medizin, Aachen. Mit freundl. Genehmigung)

Ab dem 01.04.1948 wurde die Urologische Abteilung durch den aus Aachen stammenden Karl Heusch (1894–1986) hier aufgebaut und erreichte eine beachtliche Leistungskapazität an einem kommunalen Krankenhaus [38, 39].

Gründung der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen

Die Geschichte der Hochschulreform in der Nachkriegszeit der Bundesrepublik wird von Historikern als Krisengeschichte beschrieben [40]. Es bestand ein „Nebeneinander von Weitermachen (wie zuvor: Ordinarienuniversität) in der Praxis und einer breiten Reformdiskussion“ [41]. Eine enorme Nachfragesteigerung nach tertiärer Bildung nach Ende der nationalsozialistischen Restriktionen und dem Zweiten Weltkrieg verdoppelte rasch die Zahl der Einschreibungen auf über 100.000 Studierende in den 1950er Jahren in der Bundesrepublik. In den drei Jahrzehnten von den 1950er bis zu den 1980er Jahren sollte sich die Zahl der Einschreibungen von 100.000 auf über eine Million erhöhen. Trotz des neotraditionellen Selbstbildes war die Bildungspolitik nun aber gezwungen, die universitäre Praxis zu modernisieren [42, 43]. Mangels einer Lösung für die aus den ständig ansteigenden Studierendenzahlen resultierenden Probleme, weder auf Ebene der Universitäten noch auf der Ebene der Bundesländer, wurde als neues intermediäres Steuerungsinstrument durch ein Abkommen zwischen Bund und Ländern 1957 – im gleichen Jahr wie der Forschungsrat der DDR – der Wissenschaftsrat eingerichtet [44]. Auch herrschte zu dieser Zeit die Angst, gegenüber anderen Ländern den Anschluss in der Forschung zu verlieren, wozu der sog. „Sputnikschock“ [45] des gleichen Jahres ebenfalls Anlass gab. Dieses mehrdimensionale Krisenszenario sollte in den Bundesländern einen vielschichtige Reformprozess in Gang setzten, der primär vom Ausbau des tertiären Bildungssektors bestimmt war [46].

„Im Wettbewerb der Völker um die Vermehrung des menschlichen Wissens sei man zurückgefallen“ konstatierte der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, der Jurist Helmut Coing (1912–2000) 1959 den rasanten Niveauverlust der Bundesrepublik [47].

Die Beschlüsse der SED vom Januar 1951 standen in der DDR am Beginn der Einführung stalinistischer Strukturen, um die bisher noch immer schwache Stellung der SED im bürgerlichen Milieu der Hochschulen zu stärken [48]. Die Kinder der „durchschnittlich schaffenden Intelligenzler“ (z. B. von Ärzten) kamen bei ausreichender Begabung und „gesellschaftlicher Aktivität“ nur dann für ein Studium in Frage, wenn ihre Väter Kollektiv- oder Einzelarbeitsverträge (mit volkseigenem Betrieb, staatlichen Handelszentralen, Behörden usw.) abgeschlossen hatten und bei der Sozialversicherung Arbeitnehmermarken „klebten“. Der sukzessiven Umgestaltung der Hochschulen nach dem Vorbild der sowjetischen Pädagogik widersetzten sich zahlreiche Studenten und Wissenschaftler mit Abwanderung und Flucht in den Westen [49]. Auf der anderen Seite wurden Erlasse im Rahmen der 2. Hochschulreform der DDR zur Hebung des „sozialen Standards der Intelligenz“ herausgegeben und der Abschluss von Einzelverträgen mit Wissenschaftlern zu deren Privilegierung war möglich. Dieses Pendeln zwischen harten und weichen Linien der Hochschulpolitik charakterisiert die Situation in der DDR in den 1950er Jahren [50].

Im Westen war die eigentliche Aufgabe des Wissenschaftsrats das Aufstellen eines Gesamtplans für die Förderung der Wissenschaften und jährlicher Dringlichkeitsprogramme sowie Empfehlungen über Verwendung von Mitteln [51]. Dieser schlug dem Land Nordrhein-Westfalen die Schaffung neuer medizinischer Forschungs- und Ausbildungsstätten vor und nannte als einen möglichen Standort für Medizinische Fakultäten eine Neugründung auch in Aachen, wo man die Verbindung mit der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) als sehr vorteilhaft ansah.Footnote 2 In hochschulpolitischer Hinsicht bestärkte der Wissenschaftsrat aber die klassische deutsche Ordinarienuniversität: Insbesondere sollte der Lehrstuhl weiterhin die Basiseinheit und Keimzelle der wissenschaftlichen Hochschule bleiben. Entsprechend empfahl der Wissenschaftsrat, die Zahl der Ordinariate um 1200 beziehungsweise 40 % zu erhöhen, dabei jedoch wo immer möglich das traditionelle Organisationskonzept beizubehalten, nach welchem jeder Lehrstuhlinhaber seinem eigenen Institut vorstand, ohne diese Position mit einem Kollegen teilen zu müssen [52].

Daher beschloss der Senat der RWTH Aachen am 20.05.1961 beim Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen die Eingliederung der Städtischen Krankenanstalten in die RWTH vorzuschlagen und eine Medizinische Fakultät zu gründen. Am 28.04.1964 fiel der Beschluss der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, eine medizinische Fakultät im Rahmen der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen einzurichten und es kam dann zum Vertragsabschluss zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und der Stadt Aachen über die Übergabe der Städtischen Krankenanstalten Aachen an das Land Nordrhein- Westfalen für die Verwendung als Medizinische Fakultät [53].

Somit war in Aachen, ähnlich wie in Düsseldorf und Essen nach dem Zweiten Weltkrieg und in Köln nach dem Ersten Weltkrieg, die Medizinische Fakultät aus großen kommunalen Krankenhäusern hervorgegangen.

Die Medizinische Fakultät der RWTH Aachen wurde dann am 18. Juni 1966 als Fakultät VII der RWTH und als erste Medizinische Fakultät an einer Technischen Hochschule der Bundesrepublik gegründet.Footnote 3 Sie entstand aus den „Städtischen Krankenanstalten“ an der Goethestraße (1000 Betten), die zum 01.01.1966 als „Klinische Anstalten der RWTH Aachen“ in die Obhut des Landes NRW übergegangen waren. Ausschlaggebend für die Gründung einer eigenen Fakultät – als Alternative zu einer Medizinischen Akademie – war der Wunsch gewesen, eine enge Verknüpfung zwischen Medizin und Technik, z. B. im Rahmen der Entwicklung und des intensiven Ausbaus technischer Einrichtungen für die Krankenversorgung zu schaffen ([54], Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Berufung der Professoren Eickhoff (HNO), Gahlen (Dermatologie), Hopf (Orthopädie), Jäger (Augenheilkunde), Schoenmackers (Pathologie), Schönenberg (Pädiatrie) Lutzeyer (Urologie). Der Lehrstuhl für Innere Medizin wurde wie der für Chirurgie (Martin Reifferscheidt aus Bonn) von außen mit Sven Effert (1922–2000) aus Düsseldorf erst zum 01.10.1966 besetzt. (Senatsprotokoll zur Gründung der medizinischen Fakultät 1966, Universitätsarchiv Aachen Signatur: N0106C, S.127). (Mit freundl. Genehmigung)

Diese Ziele spiegeln sich auch in den Leitgedanken wider, die im ersten Strukturplan der Fakultät anlässlich ihrer Gründung dargestellt wurden:

Wechselbeziehungen zwischen Medizin und Ingenieurwissenschaften

Die seit langem offenkundigen Berührungspunkte zwischen der Medizin und den Ingenieurwissenschaften haben bisher keinen organisatorischen Ausdruck gefunden. Dies ist umso erstaunlicher, als beide Bereiche entscheidende wissenschaftstheoretische Merkmale gemeinsam haben, nämlich von den Naturgesetzen auszugehen und streng auf die Anwendung hin ausgerichtet zu sein [55].

Reformiertes Ausbildungssystem

Um die Wirksamkeit des Medizinstudiums zu erhöhen, ist der dargebotene Wissensstoff zu begrenzen, seine Vermittlung von vorneherein einheitlich auf das Berufsziel des Arztes hin auszurichten und eine möglichst frühe Ausbildung am Krankenbett in den Mittelpunkt des Unterrichts zu rücken. Neben der Ausbildung zum praktizierenden Arzt soll eine besondere Ausbildung zum theoretischen Mediziner eröffnet werden. Weitere besondere Ausbildungen sollen entsprechend den Anforderungen der Praxis zum biologisch und medizinisch vorgebildeten Ingenieur führen [56].

Organisationsformen

Für Forschung und Lehre in der neuen Fakultät müssen organisatorische Formen gefunden werden, die sich der Entwicklung in dem aufgezeigten Sinne elastisch anpassen. Diesem Ziel dient zunächst die […] Gliederung der Fakultät in Fachgruppen, Sektionen und Abteilungen [56].

Von Anfang an war klar, dass gerade die ersten beiden Ziele in den vorhandenen Städtischen Krankenanstalten an der Goethestraße auf lange Sicht nicht zu erreichen sein würden. Sie wurden als Übergangslösung angesehen, die möglichst bald durch einen Fakultätsneubau auf dem Erweiterungsgelände der Technischen Hochschule auf der Hörn ersetzt werden sollte.

Bereits am 1. März 1966 wurde der erste Ordinarius (Chirurgie Martin Reifferscheid, 1917–1993) aus Bonn berufen [56].

Mit dem Wintersemester 1966/1967 wurde der offizielle Hochschulbetrieb eröffnet. Hierbei konnten die Studenten zuerst unter zwei Vorlesungsveranstaltungen (urologische Klinik sowie urologische Propädeutik)Footnote 4 wählen. Zwei Oberärzte (davon ein Anästhesist) und drei Assistenzärzte waren für den Klinikbetrieb und die wissenschaftliche Arbeit angestellt ([58], Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Die Fakultätsgründung am 18. Juni 1966 mit eine Medaillenprägung nach Anregung durch Prof. Dr. Alfred Jäger (Augenklinik) gewürdigt [57], a Vorderseite, b Rückseite

In Nordrhein-Westfalen entstanden zwischen 1963 und 1979 weitere universitäre Urologische Kliniken, u. a. wurde Hermann Dettmar (1918–1995) aus Düsseldorf, 1958 Extraordinariat, 1959 Direktor der Urologischen Klinik, 1963 Ordinariat, durch seinen chirurgischen Chef, Prof. Ernst Derra (1901–1979), in einem längeren Prozess an der medizinischen Akademie Düsseldorf als erster selbständiger Hochschullehrer (dritter Lehrstuhl für Urologie in der Bundesrepublik) eingesetzt [59]. In Essen entstand unter Paul Mellin (1920–1980) nach Aachen 1967 der dritte Lehrstuhl für Urologie in Nordrhein Westfalen [60].Footnote 5 An der Universität zu Köln wurde erst 1974 ein Urologischer Lehrstuhl unter Rüdiger Engelking (1927–1994)Footnote 6 geschaffen, nachdem in Bonn unter Winfried Vahlensieck (1929–2008) im Jahre 1971 bereits ein Lehrstuhl errichtet worden war. In Westfalen folgten 1975 Münster (Werner Schmandt) sowie 1979 Bochum/Herne (Theodor Senge).Footnote 7

Weitere selbständige urologische Abteilungen entstanden in diesem Zeitraum in der Aachener Umgebung u. a. in Eschweiler – (Steffens (1963/1967), Düren – (Rathert 1977), Frechen – (Pieritz 1974), Mechernich – (Fröhlich (1976), Bardenberg – (Lymboropoulos 1972), am Städtischen Krankenhaus Köln – Holweide –(Lehmann1972), Erkelenz-Immerath – (Dietz 1974).

Personenauswahl in Hinblick auf einen zu schaffenden weiteren Lehrstuhl in Nordrhein-Westfalen

Wolfgang Lutzeyer

Der erste Ordinarius der Urologischen Universitätsklinik Aachen, Hans-Wolfgang Lutzeyer (21.06.1923–15.11.2006)7 [61, 62] wurde in Leipheim/Donau geboren und legte Ostern 1940 seine Reifeprüfung am Humanistischen Gymnasium in Günzburg (Schwaben) in Form einer „Abgangsprüfung-Eignungsprüfung Heeresdienst“Footnote 8 ab und begann am 25.04.1941 sein Medizinstudium in Berlin an der Militärärztlichen Bildungsakademie (Nr. 12/17302), die nach Schließung der alten Pepinière 1919 in Folge des Versailler Vertrages mit Verkleinerung der Reichswehr am 1. Oktober 1934 als „Militärärztliche Akademie“ im Gebäude der Kaiser-Wilhelms-Akademie wiedereröffnet worden war [63]Footnote 9. Die ärztliche Vorprüfung legte er im März 1943 ab, während gleichzeitiger Ableistung des Wehrdienstes ab 1941 als „San. Offz.-Anwärter“. Nach dem Kriege setzte Lutzeyer sein Medizinstudium im kriegszerstörten WürzburgFootnote 10 nach eigenen Angaben fort und schloss es 1947 mit dem Staatsexamen in München ab.Footnote 11 Die Medizinische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hatte bereits am 1. April 1946 zum ersten Nachkriegssemester ihre Pforten wieder geöffnet [64].

Ab 1947 erhielt er seine chirurgische Ausbildung an der Chirurgischen Universitätsklinik der Julius-Maximilians-Würzburg im Luitpolt-Krankenhaus unter Werner Wachsmuth (1900–1990), der nach eigener Angabe in die Reichswehr eingetreten war, um nicht Mitglied einer nationalsozialistischen Organisation werden zu müssen [65] und ab August 1946 die Chirurgische Universitätsklinik wieder aufbaute und neue Assistenten einstellte, da die vorherigen durch die Amerikanische Militärregierung entlassen worden waren [66]. Die Medizinische Fakultät der war erst am 11.01.1947 wieder eröffnet worden.

Auf wissenschaftlichem Gebiete war Wolfgang Lutzeyer zunächst mit dem neuen Gebiet der Bluttransfusion betraut worden und stellte 1948 in Würzburg auch die erste Blutkonserve für die Chirurgische Universitätsklinik her. Ab 1950 wurden Blutspenden erstmals in Vakuumflaschen produziert und von dieser Zeit an auch an andere Kliniken abgegeben. Durch diesen Fortschritt besaß die Chirurgische Universitätsklinik Würzburg die erste Blutspendezentrale in Bayern [67, 68].

Nach einer Ausbildung in urologischer Chirurgie in Mannheim bei dem in Unterwittighausen (Badisch-Unterfranken) geborenen Leonhard Lurz (1895–1977),Footnote 12 einem frühen Repräsentanten der urologischen Chirurgie in Südwestdeutschland, der nach seiner Habilitation an der Universität Heidelberg zunächst ab 1931 am Theresienkrankenhaus, dann ab 1935 am Diakonissenkrankenhaus in Mannheim bis 1960 tätig war, konnte Wolfgang Lutzeyer 1954 seine Facharztprüfung wie damals mit chirurgischer Prägung ausgebildete Mediziner für „Chirurgie und Urologie“ ablegen. Lutzeyer bezeichnete Lurz als seinen „eigentlichen urologischen Lehrer, dem ich den Ritterschlag für dieses Fach verdanke“ und von dem er eine subtile Operationstechnik erlernt habe ([69], Abb. 7, Abb. 8, Abb. 9).

Hieran schloss sich 1955 seine Habilitation mit einer tierexperimentellen Arbeit zur Harnleiterphysiologie und Chirurgie des Hundes an [70].

Abb. 7
figure 7

Leonhard Lurz und Hans Lurz Eingriffe an den Harnorganen, Nebennieren und männlichen Geschlechtsorganen als Band 8 der Neuauflage der Kirschnerschen Operationslehre 1961

Abb. 8
figure 8

Leonhard Lurz (1895–1977) Museum, Bibliothek und Archiv, Deutsche Gesellschaft für Urologie, Repro Keyn. (Mit freundl. Genehmigung)

Abb. 9
figure 9

Hans Lurz (1922–1995) Museum, Bibliothek und Archiv, Deutsche Gesellschaft für Urologie, Repro Keyn. (Mit freundl. Genehmigung)

Ab 1955 war er dann Leiter der Urologischen Abteilung der Chirurgischen Universitätsklinik Würzburg. Wachsmuth war zu diesem Zeitpunkt bereit, operativen Subdisziplinen wie der Urologie eine eigenständigere Rolle einzuräumen, durchaus noch nicht allgemeinüblich in der deutschen Chirurgie der Nachkriegszeit.

Ab 1960 war Wolfgang Lutzeyer Oberarzt der Chirurgischen Universitätsklinik und Leiter der Urologischen Abteilung und bereits in besonderem Maße wissenschaftlich auf urologischem Gebiete ausgewiesen [71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85].

1962 wurde er zum apl. Professor ernannt10 und veröffentlichte in der in diesem Jahre neu bei Springer aufgelegten Zeitschrift Der Urologe Artikel „Grundsätze der chirurgischen Behandlung des Harnleiters“ [86] sowie „Der Hochdruck“ [87]. Die Position „Schriftleitung/Editor“ der bei Springer erscheinenden Zeitschrift übernahm er 1972 von Carl Erich AlkenFootnote 13, was als Ausdruck einer besonderen Wertschätzung innerhalb der Urologie gedeutet werden kann.

In den 1960er Jahren publizierte er aber auch in der eher von Chirurgen rezipierten Zeitschrift Der Chirurg, ebenfalls bei Springer herausgegeben, zu dem operativen Thema „Nierenstielverletzungen“ [88]. Weiterhin finden wir von ihm ebenfalls Beiträge in der zu dieser Zeit noch gesamtdeutsch gelesenen Zeitschrift für Urologie, die bei VEB Georg Thieme in Leipzig erschien.

Am 02.01.1963 erfolgte dann die Berufung als Chefarzt der Urologischen Klinik der Städtischen Krankenanstalten in Aachen. Bei der Auswahl der Bewerber hatte sicherlich für die Entscheidungsträger eine Rolle gespielt, dass bereits seit 1961 ein Senatsbeschluss zur Errichtung einer Medizinischen Fakultät vorlag und der Bewerber eine ausgewiesene wissenschaftliche und nicht nur praktische Expertise besitzen musste. Schon nach dem Zweiten Weltkrieg wurden deshalb zunehmend Chefärzte eingestellt, die dem Rang nach einer medizinischen Fakultät entsprachen ([37], Abb. 10).

Abb. 10
figure 10

Die Redner bei der Feier zum 100. Geburtstag Eugen Enderlens (1863–1940), Würzburg 1963. Von links Ludwig Zukschwerdt (1902–1974), Werner Wachsmuth, Rudolf Nissen (1895–1981) und Wolf Lutzeyer Quelle: Wachsmuth 1985, Springer Verlag, S. 193. Wolfgang Lutzeyer hielt den Vortrag „Enderlens experimentelle Chirurgie als Grundlage der modernen Transplantationslehre“ [89]

Nach Berufungsverhandlungen im Jahre 1965 erhielt Wolfgang Lutzeyer am 14.05.1966 den Ruf auf den zweiten Nordrhein Westfälischen Lehrstuhl für Urologie an der neu gegründeten Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen [90]. Die RWTH Aachen hatte zwar formal noch einmal Auskünfte über weitere Bewerber eingeholt, im Falle Lutzeyer erfolgte die Berufung jedoch aus der Chefarztposition des Städtischen Krankenhauses. Aus einer Berufungsliste geht hervor, dass auch an anderen Orten bei der Neubesetzung universitärer Stellen lokale Chefärzte primo loco standen, weiterhin bei einigen Gutachten von Chirurgen (!) vorlägen.Footnote 14 Dies lässt vermuten, dass die Berufung von Chefärzten zumindest besonders gewünscht war. Der Hinweis, dass Gutachten von Chirurgen vorlägen kann auch ein Hinweis auf ein erstarktes fachliches Selbstbewusstsein von Urologen darstellen, denn es ist nicht auszuschließen, dass sowohl Karl Heusch oder Wolf Lutzeyer selber in internen Verhandlungen und Gesprächen mit den städtischen Entscheidungsträgern, zu denen sich bisher aber keine Aufzeichnungen auffinden ließen, die Entscheidungsträger auf solch einen Umstand besonders hinwiesen. Zum einen war die Auswahl bei der Stadt schon auf den zukünftigen Lehrstuhl erfolgt, weiterhin boten diese Bewerber Gewähr, den Klinikbetrieb reibungslos fortzusetzen und besaßen, wie im Falle Lutzeyer, auch während ihrer Zeit als Chefarzt einer städtischen Einrichtung, ein sich weiterentwickelndes wissenschaftliches Renommee, waren am Wissenschaftsdiskurs der Zeit weiterhin maßgeblich beteiligt und kannten die lokalen und nationalen Netzwerke auf fachpolitischer und allgemeinmedizinischer Ebene [91, 92, 93, 94]. Dies war eine informelle, jedoch nicht unwichtige Voraussetzung zur Gründung von Hochschulen und Lehrstühlen. Aus Lutzeyers anhaltend aktivem Publikationsprogramm nach seiner Einstellung an den Aachener Krankenanstalten kann seine Hoffnung auf einen späteren Ruf auf eine Professur und Ordinariat in Aachen oder auch anderswo abgeleitet werden. Möglicherweise werden diese Umstände auch die Auswahl des Vortragsthemas Lutzeyers auf dem 21. Deutschen Urologenkongress 1966 im September in Düsseldorf (Präsident H. Dettmar) eine Rolle gespielt haben.“ Heutiger Stand und Möglichkeiten der experimentellen Urologie“ [95] die ja gerade nur an einer universitären Einrichtung in besonderem Maße möglich ist (Abb. 11 Einzelportrait Lutzeyer).

Abb. 11
figure 11

Wolfgang Lutzeyer (1923–2006), wohl Anfang der 1960er Jahre, Museum und Archiv, Deutsche Gesellschaft für Urologie, Repro Keyn. (Mit freundl. Genehmigung)

Im Jahr 1968/1969 war Wolfgang Lutzeyer Präsident der 1957 gegründeten Nordrein-Westfälischen Gesellschaft für Urologie und 1971/1971 Vorsitzender der AG Lehrstuhlinhaber Urologie der DGU.10 Im Dezember 1969 richtete er einen internationalen Kongress zur Ureterphysiologie/Urodynamik aus, (Abb. 12) die einen neuen, international anerkannten Forschungszweig [96, 97] der Klinik neben Untersuchungen zur Zerstörung von Harnsteinen durch Ultraschall [98] konservativer Harnsteintherapie [99], Uro-Onkologie [100, 101] Urinzytologie [102, 103, 104] Uro-Traumatologie [105, 106, 107] und auch zur Urologiegeschichte [108, 109, 110] darstelle. Seine urochirurgischen Arbeiten zu operativen Problemen setze er fort [111, 112, 113, 114] und präsentierte diese in seinen frühen Jahren als Ordinarius für Urologie auch immer noch auf den Kongressen der „Deutschen Gesellschaft für Chirurgie“.

Dies verdeutlich einerseits den nun abgeschlossenen Ausgliederungsprozess der Urologie aus der Chirurgie, da nun Vorträge mit Urologiebezug nicht mehr von genuinen Chirurgen selber gehalten wurden, auf der anderen Seite lässt dies aber auch noch die Verbindungen und Netzwerke eines in einer chirurgischen Universitätsklinik geprägten jetzt urologischen Ordinarius aufscheinen.

Abb. 12
figure 12

Symposiumsband zur Ureterdynamik mit internationaler Beteiligung 1970. Die Aachener Presse sollte dies besonders herausstellenFootnote

Zeitungsausriss „Lutzeyer Wissenschaft muss international sein“ Aachener Volkszeitung ohne Datierung 1969 Archiv DGU Lutzeyer o. Sign.

. (Mit freundl. Genehmigung)

Weiterhin hatte Wolfgang Lutzeyer früh erkannt, dass neben international innovativer Forschung auf verschiedenen Gebieten des Faches die Auseinandersetzung mit der eigenen Fachgeschichte ein wichtiges Element in einer ganzheitlichen Ausbildung zum Urologen darstellt und dessen „Charakter“, wie er es nannte, prägen sollte [115]. Die Entwicklung eines sog. Kryoskalpells [116, 117, 118, 119], des Ultraschalllithotriptors für Blasen- und Harnleitersteine [120, 121], Gewebeklebern [122], Messeinrichtungen zu Harnleiterdruckmessungen [123] waren früher Ausdruck einer engen Zusammenarbeit von Medizin und Natur- bzw. Ingenieurwissenschaften, die in den Gründungsstatuten der neuen Medizinischen Fakultät an der RWTH Aachen festgelegt worden waren. Die Entwicklung des Blasensteinlithotriptors stärke auch die endourologische Ausrichtung der Klinik.

Eine Krönung seiner wissenschaftlichen und verbandspolitischen Tätigkeit war 1973/1974 Lutzeyers Präsidentschaft des Urologenkongresses in Aachen [124, 125]. Hier stellte er besonders heraus, dass die Urologie wenige Tendenzen und Bindungen an die Chirurgie besäße und eine Gleichstellung mit chirurgischen Unterdisziplinen verbiete und warnte ausdrücklich vor Bestrebungen innerhalb der Hochschulreform in NRW, die Urologie wieder in die Chirurgie einzugliedern und diese mit einer sog. Bindestrich Abteilung (Abdominal-Chirurgie, Gefäß-Chirurgie, Unfall-Chirurgie) gleichzusetzen [125]. Bei der Ausbildung des Arztes sah er sicherlich bedingt durch die Umwälzungen an den Hochschulen nach 1968 und selber geprägt durch seine eigenen Lehrer – wie er selber auch an anderer Stelle oft heraushob – die besondere Bedeutung des wissenschaftlichen Lehrers im individuellen und persönlichen Charakter des Verhältnisses zwischen Lehrer und Schüler und lehnte eine primär kollegiale Struktur aller Beteiligten in den klinischen Fächer als Contradictio in adjecto ab. Dass der Ordinarius als Primus inter pares die Verantwortung für seine Mitarbeiter trägt ohne dauernd von Demokratisierung zu reden, kennzeichne diesen gerade als Demokraten ([126, 127], Abb. 13).

Abb. 13
figure 13

Von links nach rechts: Prof. Lutzeyer, Prof. Heusch, Prof. Alken (Wir danken Herrn Prof. Hautmann für die freundl. Überlassung der Abbildung, Repro Kreitmeier)

Fazit

Die Hochschulsituation in Ost- und Westdeutschland war nach dem Zweiten Weltkrieg durch zunehmende Studentenzahlen und knappe Ressourcen angespannt. Gleichzeitig setzte sich in der Chirurgie ein Denken durch, welches den integralistischen Standpunkt eines allumfassenden Faches aufgab und eine Fachdifferenzierung als notwendig erachtete. Dies beförderte langfristig die Etablierung von urologischen Kliniken und Abteilungen, insbesondere, da das Fach Urologie wie auch die Neurochirurgie und die Anästhesie vollverantwortlich in einer chirurgischen Klinik durch einen Ordinarius und allgemeinchirurgisch ausgebildete Mitarbeiter nicht mehr vertreten werden konnten.

In Nordrhein-Westfalen gab es an großen städtischen Krankenhäusern bereits länger etablierte urologische Abteilungen. Daher lag es nahe, diese zu Universitätsabteilungen und deren Leiter zu Hochschullehrern mit Lehrstuhl zu entwickeln. Diese neuen Ordinarien hatten sich zu Beginn der 1970er Jahre – obwohl chirurgisch dominiert ausgebildet – in ihrem eigenen Denken in Bezug zu Fragen der Fachverselbständigung endgültig vom integralistischen Denken innerhalb der Chirurgie gelöst. Im Falle von Wolfgang Lutzeyer hielten sie auf Kongressen und wissenschaftlichen Präsentation noch Kontakt zur Chirurgie. Trotzdem boten sie durch ihr fachpolitisches Engagement in den Gremien der Deutschen Gesellschaft für Urologie Gewähr, die Urologie auch selbständig und selbstbewusst in den Verwaltungsgremien der Hochschulen durchzusetzen. Ob ihnen hierbei wiederum die feste Verankerung in der Fachgesellschaft und der Schriftleitung einer weit verbreiteten Fachzeitschrift ebenfalls dienlich war, wird Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Aufgrund der chirurgischen Prägung ihrer Leiter sollte es an diesen Kliniken einige Jahre dauern, bis durch engagierte Oberärzte die endoskopisch- transurethrale Richtung ebenfalls eine feste Verankerung fand und beispielsweise die „offene“ Prostataadenomektomie durch die TUR-P als urologischer Standard- und Leiteingriff abgelöst wurde.