Hintergrund

Eine Mikrotie wird auf 10.000 bis 20.000 Neugeborene angegeben [1]. Von den meisten Betroffenen bzw. den Eltern wird eine ästhetische Rehabilitation angestrebt. Allerdings ist die chirurgische Teil- oder Totalrekonstruktion der mittel- und hochgradigen Ohrmuscheldeformitäten eine anspruchsvolle operative Aufgabe. Es werden Haut und Gerüstkomponenten benötigt, und es gilt als ausgesprochen schwierig, ein Ohr in den Details der Form, Größe und Stellung der gesunden Gegenseite spiegelbildlich exakt nachzubilden. Über Jahrzehnte wurde die operative Technik durch eine Kombination von Hauttransplantaten mit autologem Rippenknorpel dominiert. Diese Methode der Ohrmuschelrekonstruktion wurde maßgeblich von den Chirurgen Converse, Tanzer, Brent und Nagata geprägt und erfordert stets ein mehrzeitiges Vorgehen, in der Regel in mindestens drei Schritten [2]. Vor allem aufgrund der Hebedefekte nach Rippenknorpelentnahme und teils unbefriedigenden ästhetischen Ergebnissen wegen Resorption am Knorpelgerüst wurde immer wieder auch nach geeigneten alloplastischen Gerüstmaterialien gesucht, die sich – wie z. B. Silikonimplantate – jedoch wegen einer hohen Infektions- und Extrusionsrate regelmäßig als ungeeignet erwiesen [3]. Erst mit der Einführung von porösem Polyethylen (PPE) in die Ohrmuschelrekonstruktion durch Berghaus in den 1980er-Jahren [4, 5] stand ein alloplastisches Material zur Verfügung, das in Kombination mit einer adäquaten chirurgischen Technik haltbare Langzeitergebnisse ermöglichte. Der synthetische, thermoplastische Kunststoff erlaubt das Einsprossen von Gewebe in seine 40–200 µm großen Poren, weist eine exzellente Biokompatibilität und geringe Infektanfälligkeit auf und ist daher das heutzutage am häufigsten eingesetzte alloplastische Material bei der Ohrmuschelrekonstruktion [2, 4]. Sowohl für die Ohrmuschelrekonstruktion mit Rippenknorpel als auch mit porösem Polyethylen konnte mit validierten Instrumenten ein Gewinn an gesundheitsbezogener Lebensqualität bei betroffenen Kindern und Erwachsenen gezeigt werden [6, 7, 8], während es zur reinen Epithesenversorgung bisher keine vergleichbaren Daten gibt.

Als Ersatz für die Ohrmuschel stehen alternativ Klebe- oder knochenverankerte Epithesen zur Verfügung, die zwar hervorragende ästhetische Ergebnisse erzielen können, jedoch insbesondere bei Kindern und Jugendlichen aus psychologischen Gründen einer Ohrmuschelrekonstruktion unterlegen scheinen, da die Epithese vom Betroffenen als nicht zu ihm gehörig wahrgenommen wird [9] und die Angst besteht, sie in der Öffentlichkeit zu verlieren. Ferner muss eine Epithese alle 2 bis 3 Jahre individuell neu angefertigt werden, und zur Anpassung an das wechselnde Hautkolorit sind für Sommer und Winter unter Umständen zwei Ausführungen erforderlich.

Bei den meisten hochgradigen Ohrmuscheldeformitäten besteht auch eine funktionelle Beeinträchtigung. Die Inzidenz einer Atresia auris congenita (Verschluss des Gehörgangs), isoliert oder kombiniert mit Fehlbildungen des äußeren, Mittel- und (selten) Innenohrs, wird mit 1:10.000 angegeben [1]. Die Fehlbildung von Gehörgang, Trommelfell und/oder Mittelohrstrukturen bei Atresiepatienten bedingt meist eine reine Schallleitungsschwerhörigkeit, häufig mit Hörverlust um 60 dB [1]. Hinsichtlich der funktionellen Auswirkungen ist streng zwischen uni- und bilateraler Fehlbildung zu unterscheiden. Die bilaterale Atresia auris congenita – rund siebenmal seltener als die unilaterale [1] – hat aufgrund der beidseitigen, pantonalen Hörschwelle von meist 60 dB erhebliche Auswirkungen auf Gehör und Sprachentwicklung. Nur eine umgehende Hörgeräteversorgung im Säuglingsalter, in der Regel mit Knochenleitungshörern, kann den betroffenen Kindern eine normale Sprachentwicklung ermöglichen [10]. Kinder mit einseitiger Atresia auris congenita und kontralateraler Normakusis wurden dagegen in der Vergangenheit meist nicht mit Hörsystemen versorgt, da bei einseitiger Schwerhörigkeit eine normale Sprachentwicklung erwartet wurde. Erst Ende des 20. Jahrhunderts wurde zunehmend anerkannt, dass eine einseitige Schwerhörigkeit erhebliche Einschränkungen des räumlichen Hörens und des Hörens im Störgeräusch bedingt [11] und daher eine audiologische Rehabilitation angeboten werden sollte. Unversorgte, einseitig schwerhörige Kinder müssen z. B. häufiger eine Schulklasse wiederholen und zeigen mehr Verhaltensauffälligkeiten als gleichaltrige Normalhörige [12].

Die Ergebnisse der klassischen chirurgischen Versorgung der Atresia auris congenita durch operative Gehörgangsanlage und rekonstruktive Mittelohrchirurgie müssen als eher unsicher angesehen werden, u. a. weil in vielen Fällen der Gehörgang restenosiert: Etwa 50 % der Patienten benötigen postoperativ weiterhin ein Hörgerät [13]. Knochenleitungshörgeräte, die in den ersten Lebensjahren mittels Stirnband oder Bügel getragen und etwa ab dem dritten Lebensjahr mit einer Titanschraube perkutan am Schädelknochen fixiert werden können, versprechen dagegen einen in der Regel sicheren Hörgewinn [14] und sind daher in den meisten Fällen einer Atresiechirurgie vorzuziehen [15]. Die perkutane Fixtur der Knochenleitungshörgeräte hat aufgrund der besseren audiologischen und auch kosmetischen Ergebnisse eine bessere langfristige Patientenakzeptanz als die Verwendung von Stirnbändern, Bügeln oder Hörbrillen [16], auch wenn das knochenverankerte Hörgerät meist sichtbar bleibt und daher von Kindern und Jugendlichen aufgrund von Schamgefühlen teils nicht getragen wird. In bis zu 50 % der Fälle, nach unserer Erfahrung bei etwa 20 %, kommt es zudem zu (in der Regel kleineren) Komplikationen, insbesondere zu Entzündungen im Bereich der perkutanen Fixturen [13]. Das Knochenleitungshörgerät „Sophono™“ umgeht dieses Problem durch eine Magnetfixierung des Geräts auf der Kopfhaut [39]. Aus audiologischer Sicht ist von Nachteil, dass Knochenleitungshörer immer auch das kontralaterale Innenohr stimulieren und die Verstärkung im Hochtonbereich in der Regel den Luftleitungshörgeräten unterlegen ist. Die Autoren bevorzugen daher die Versorgung der Betroffenen mit teilimplantierbaren Hörgeräten, sog. aktiven Mittelohrimplantaten.

Methoden

Die Autoren folgen seit 2010 einem chirurgischen Konzept, das eine Kombination aus Ohrmuschelrekonstruktion und Versorgung mit aktivem Mittelohrimplantat zur einzeitigen funktionellen und ästhetischen Rehabilitation bei Mikrotie darstellt. Die Ohrmuschelrekonstruktion nehmen wir seit 2003 nach der Methode von Berghaus [5] und Reinisch [17] vor, wobei das Gerüst aus PPE vor der Hautbedeckung mit einem vaskularisierten, dünnen temporoparietalen Faszienlappen (TPF) [18] umhüllt wird. Das knorplige Ohrmuschelrudiment der betroffenen Seite wird meist entfernt. Der TPF zur Umhüllung des Gerüsts wird unter Erhalt der versorgenden A. temporalis superficialis in einer Größe von etwa 10 × 12 cm gehoben (Abb. 1 a). Das Ohrmuschelgerüst aus PPE wird individuell aus den kommerziell erhältlichen Komponenten „Ear Base“ und „Helical Rim“ (Medpor®, Stryker, Kalamazoo, Michigan/USA) geformt und mit Nähten in seiner endgültigen Position am Schädel fixiert (Abb. 1 b). Der TPF wird spannungsfrei um das Gerüst gelegt und soweit möglich mit haarfreien, lokalen Hautlappen bedeckt. Verbliebene Hautdefekte auf der Ohrmuschelvorderseite werden mit einem ausgedünnten Vollhauttransplantat von der Rückseite des kontralateralen Ohrs bedeckt, auf der ipsilateralen Rückseite mit einem Vollhauttransplantat aus der Leiste (Abb. 1 c). Die Tragusrekonstruktion erfolgt nach Möglichkeit gleichzeitig; gelegentlich wird sie in einem zweiten Schritt durchgeführt.

Abb. 1
figure 1

Ästhetische und funktionelle Rehabilitation bei Mikrotie: Heben eines temporoparietalen Faszienlappens oberhalb des Rudiments mit einem Lichthaken (a). Fixation eines der Gegenseite angepassten Ohrmuschelgerüsts aus porösem Polyethylen (b), welches mit dem temporoparietalen Faszienlappen eingehüllt sowie mit lokaler und frei transplantierter Vollhaut bedeck wird (c, d). Beispiel eines Befunds präoperativ (e) sowie nach weitgehendem Abschluss der Wundheilung (f) und mit aufgesetztem Sprachprozessor der Vibrant Soundbridge® (g). Teilabbildungen e, f, g mit Einverständnis der Erziehungsberechtigten und des Patienten

Zur funktionellen Rehabilitation bevorzugen wir ein teilimplantierbares, aktives Mittelohrimplantat (Vibrant Soundbridge®, Med-El, Innsbruck/Österreich). Das Implantat wurde von Ball ursprünglich zum Einsatz bei Schallempfindungsschwerhörigkeiten entwickelt [19]: Ein elektroakustischer Wandler (Floating Mass Transducer, FMT) wird z. B. an den Amboss angekoppelt, bildet die natürlichen Schwingungen der Ossikelkette nach und verstärkt diese. Über ein Kabel ist der FMT mit einem subkutanen Implantat verbunden, welches ihn steuert. Das subkutane Implantat wiederum erhält Energie und Information durch Konduktion von einem externen, magnetfixierten Audioprozessor durch die Kopfhaut (Abb. 2 a). Im Gegensatz zu vollimplantierbaren Systemen können die im Audioprozessor enthaltene Batterie bzw. bei technischen Weiterentwicklungen der Audioprozessor selbst als äußerliche Bestandteile des Systems ohne operativen Eingriff ausgetauscht werden. Die Vibrant Soundbridge® ist das weltweit am häufigsten eingesetzte aktive Mittelohrimplantat und seit 2009 auch zur Implantation bei Kindern zugelassen [20]. Neben der klassischen Ankopplung des FMT an den Amboss ist auch eine Ankopplung an den Stapes oder – bei fehlender Ossikelkette – direkt an das ovale oder runde Fenster möglich [21], z. B. bei Mittelohrfehlbildungen mit Schallleitungs- bzw. kombinierter Schwerhörigkeit [22]. Zur Operationsplanung gehört ein hochauflösendes Computertomogramm des Felsenbeins, anhand dessen der sog. Jahrsdoerfer-Score [23] ermittelt wird. Als Voraussetzung für eine Implantation gilt derzeit an unserer Klinik ein Jahrsdoerfer-Score ≥ 4. In die Bewertung gehen ein:

  • gute Pneumatisation des Mittelohres mit ausreichend Platz für den FMT (1 Punkt),

  • vorhandenes Inkudostapedialgelenk (1 Punkt),

  • ausreichend weiter Zugang zum ovalen Fenster (1 Punkt),

  • vorhandener Stapes (2 Punkte).

Abb. 2
figure 2

Funktionelle Rehabilitation der Mikrotie: Die klassische Ankopplung des Floating Mass Transducers (FMT) der Vibrant Soundbridge® an den Amboss (a) ist bei Mittelohrfehlbildung im Rahmen einer Atresia auris congenita meist nicht möglich. Die Ankopplung des FMT kann hier z. B. mittels eines Kupplers an die Stapessuprastruktur (b) erfolgen. Die Implantation der Vibrant Soundbridge® kann einzeitig mit einer Ohrmuschelrekonstruktion mit porösem Polyethylen erfolgen. Teilabbildung a mit Genehmigung der Fa. Med-El, Innsbruck/Österreich

Bei unklaren Situationen ist zumindest ein guter Zugang zum runden Fenster unabdingbar. Zusätzlich muss auf den bei Atresia auris congenita meist aberranten Verlauf des N. facialis geachtet werden. Bei Fehlen der genannten Voraussetzungen erfolgt die audiologische Rehabilitation mit einem (knochenverankerten) Knochenleitungshörgerät.

Zur Evaluation der audiologischen Ergebnisse im vorgestellten Patientenkollektiv kamen prä- bzw. postoperativ folgende Standardverfahren [24] zur Anwendung: Tonschwellenaudiogramm mit Bestimmung der Luft- und Knochenleitungsschwellen sowie Messung von Aufblähkurven mit der Vibrant Soundbridge®, monaurale Sprachaudiometrie im Freifeld und in Ruhe mit altersgemäßem Material (Mainzer Kindersprachtest 3, Göttinger Kindersprachtest II oder Freiburger Sprachtest; jeweils Westra Electronic, Wertingen) sowie monaurale Freifeldmessungen im Störgeräusch (Oldenburger Kindersatztest oder Oldenburger Satztest, jeweils HörTech, Oldenburg). Alle Untersuchungen wurden in den störpegelfreien Audiometrieräumen (DIN EN ISO 8253-1) der Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der Ludwig-Maximilians-Universität München, Campus Großhadern, durchgeführt.

Für die Evaluation der gesundheitsbezogenen Lebensqualität als sinnvolles Konstrukt zur standardisierten Messung des subjektiven Nutzens therapeutischer Interventionen unter Beachtung physischer, psychischer und sozialer Aspekte [25, 26] wurde das für Kinder validierte „Glasgow Children’s Benefit Inventory (GCBI)“ [27] eingesetzt. Ein positives Votum der Ethikkommision sowie eine schriftliche Einwilligung aller Erziehungsberechtigten bez. der Verwendung der erhobenen Daten lagen hierzu vor. Die Rohwerte aller Fragen des GCBI wurden in einen Gesamtscore umgerechnet, der von − 100 (maximal negative Auswirkung der Intervention auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität) über 0 (kein Effekt) bis + 100 (maximal positiver Effekt) reichen kann. Zusätzlich wurden die Subscores „Emotionen“, „körperliche Gesundheit“, „Lernverhalten“ und „Vitalität“ bestimmt [27]. Die statistischen Analysen wurden mit SPSS Version 17.0 (SPSS Inc., Chicago, Illinois/USA) durchgeführt. Der Shapiro-Wilk-Test diente zur Überprüfung der Normalverteilung der Daten. Um zu überprüfen, ob sich die gemessenen Werte signifikant von Null (= kein Effekt der Intervention) unterscheiden, wurde bei Normalverteilungsannahme der Einstichproben-t-Test für μ = 0 eingesetzt. Das zweiseitige Signifikanzniveau wurde auf p = 0,05 festgelegt.

Ergebnisse

In den Jahren 2010 und 2011 haben wir bei insgesamt 12 Kindern bzw. Jugendlichen (5–17 Jahre) mit einseitiger Atresia auris congenita eine Vibrant Soundbridge® implantiert. Die Implantation erfolgte in acht Fällen zusammen mit einer einzeitigen Ohrmuschelrekonstruktion (Abb. 1 d; in den anderen vier Fällen wurde von den Eltern zunächst keine ästhetische Korrektur gewünscht). Komplikationen traten im Nachbeobachtungszeitraum von 6–14 Monaten in allen 12 Fällen nicht auf. Operative Revisionen waren in keinem Fall erforderlich.

Die Ankopplung des FMT wurde in 9 Fällen am Stapes, in zwei Fällen am Incus und in einem Fall direkt am runden Fenster vorgenommen (Abb. 2 b, c, d). Abb. 3 zeigt die prä- und postoperativen Knochenleitungsschwellen sowie die postoperativen Aufblähkurven. Der durchschnittliche Hörgewinn über die Frequenzen 250–8000 Hz betrug 38 dB. Alle Patienten erreichten postoperativ in Ruhe umgehend eine Sprachverständlichkeit von 90–100 % auf dem atretischen Ohr. Beim Hören im Störgeräusch ergab sich ein durchschnittlicher Hörgewinn von 5,5 dB Signal-Rausch-Abstand im Oldenburger Kindersatztest und von 3,9 dB im Oldenburger Satztest. Binaural wurden im Oldenburger Satztest (bilaterale Messungen mit dem Oldenburger Kindersatztest wurden nicht durchgeführt) 50 %-Verständlichkeitsschwellen von − 4,4 bis − 6,8 dB Signal-Rausch-Abstand erreicht.

Abb. 3
figure 3

Prä- und postoperative Hörschwellen (Mittelwerte mit Standardabweichungen) von 11 Kindern mit Atresia auris congenita nach Versorgung mit einer Vibrant Soundbridge®

Im Glasgow Children’s Benefit Inventory wurden folgende mittlere Scores erzielt:

  • Gesamtscore 26,9 (Median 27,1),

  • Subscore „Emotionen“ 22,1 (Median 14,3),

  • Subscore „körperliche Gesundheit“ 15,5 (Median 20,0),

  • Subscore „Lernverhalten“ 37,1 (Median 41,7),

  • Subscore „Vitalität“ 21,2 (Median 16,7).

11 der 12 Patienten (93 %) erzielten hierbei einen Gesamtscore > 0. Im einseitigen t-Test waren Gesamtscore und die Subscores „Emotionen“, „Lernverhalten“ und „Vitalität“ signifikant ungleich Null (p < 0,05). Der Subscore „körperliche Gesundheit“ war nicht normal verteilt.

Diskussion

Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein galt eine Totalrekonstruktion der Ohrmuschel als unmöglich [1]. Erst die Verfeinerung der chirurgischen Techniken mit Gerüsten aus Rippenknorpel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte zu ästhetisch ansprechenden Ergebnissen. Seit den 1980er-Jahren etablierte sich zunehmend die Ohrmuschelrekonstruktion mit porösem Polyethylen als alternative Methode, wurde jedoch anfänglich aufgrund der fehlenden Langzeiterfahrungen teils zurückhaltend bewertet. Mittlerweile liegen ausreichende Daten über bis zu 30 Jahre vor, die den Schluss erlauben, dass die befürchtete Implantatextrusion als seltene Komplikation angesehen werden kann [4, 17, 28, 29, 30].

Als Nachteile der Rekonstruktion mit Rippenknorpel gelten der thorakale Hebedefekt mit der Gefahr von entstellender Narbenbildung und Brustkorbdeformitäten [31] sowie die Resorption des Rippenknorpelgerüsts, eine Komplikation, von deren Auftreten in einer Übersichtsarbeit 27 von 67 Autoren (39 %, insgesamt 1592 Ohren) berichteten [32]. Vorteil ist der Verzicht auf das Einbringen von Fremdmaterial mit dem Risiko der Abstoßung. Die Rekonstruktion mit Rippenknorpel wird von den meisten Operateuren erst ab einem Alter von etwa 8 Jahren durchgeführt, da zuvor häufig nur weicher oder unzureichender Rippenknorpel vorhanden ist [1]. Die Ohrmuschelrekonstruktion mit porösem Polyethylen wird als einzeitiger Eingriff bereits ab dem vierten Lebensjahr durchgeführt und kann daher zu einem deutlich früheren Zeitpunkt Hänseleien entgegenwirken, denen die betroffenen Kinder nach Kindergarten- und Schuleintritt ausgesetzt sind und die zu erheblicher psychosozialer Morbidität führen können [33].

Die vorliegenden audiometrischen Ergebnisse bestätigen die auch von anderen Ohrchirurgen geteilten Erfahrungen [22, 34], dass die Vibrant Soundbridge® eine erfolgreiche funktionelle Rehabilitation einer Atresia auris congenita ermöglicht. Dies zeigt sich sowohl in den Ergebnissen der Sprachaudiometrie in Ruhe, bei der alle Patienten direkt nach Aktivierung des Sprachprozessors eine Sprachverständlichkeit von 90–100 % erzielten, als auch insbesondere bei der Messung im Störgeräusch, bei der ein monauraler Hörgewinn zwischen 1,3 und 12,2 dB (Mittel 5,5 dB) Signal-Rausch-Abstand im Oldenburger Kindersatztest und zwischen 0,4 und 12,6 dB (Mittel 3,8 dB) im Oldenburger Satztest erzielt wurde. Veränderungen von 1 dB Signal-Rausch-Abstand werden von den Patienten als subjektive Verbesserung im täglichen Leben wahrgenommen [35]. Bei binauralen Messungen lagen die gemessenen Patienten im alterskorrigierten Referenzbereich [36].

Die dargestellte Lebensqualitätsanalyse bestätigt die vorhandene Literatur, die einen Gewinn an gesundheitsbezogener Lebensqualität nach Ohrmuschelrekonstruktion mit porösem Polyethylen berichtet [28]. Auch die vier Patienten mit Atresia auris congenita, die ausschließlich eine Vibrant-Soundbridge®-Implantation erhielten, da die Eltern zunächst ausschließlich eine funktionelle Rehabilitation wünschten, wiesen alle positive GCBI-Gesamt- und Subscores auf, was für einen subjektiven Nutzen der Intervention spricht. Bisher gibt es in der Literatur keine vergleichbaren Daten zur Lebensqualität nach Vibrant-Soundbridge®-Implantation bei Kindern und Jugendlichen. Für die funktionelle Rehabilitation mittels Knochenleitungshörgeräten bei Atresia auris congenita wurden bereits positive Effekte auf die Lebensqualität beschrieben [37, 38].

Gegenüber Knochenleitungshörgeräten erscheinen aktive Mittelohrimplantate als erste Wahl, da nur das betroffene Ohr stimuliert und auch eine bessere Verstärkung im Hochtonbereich erzielt wird, was einen positiven Effekt auf das Sprachverstehen in geräuschvoller Umgebung hat [19]. Wenn der Audioprozessor der Vibrant Soundbridge® abgenommen wird, ist das komplett subkutan liegende Implantat im Gegensatz zur Fixturschraube des Knochenleitungshörgeräts nicht sichtbar. Als Alternative zu Knochenleitungshörgeräten mit perkutanen Fixturen wie dem Cochlear Baha® setzen wir auch das Sophono Alpha 1® ein, das den Wandler mittels eines subkutan implantierten Doppelmagneten am Schädel fixiert [39]. Derzeit stehen nach bestem Wissen der Autoren auf dem Markt keine weiteren voll- oder teilimplantierbaren aktiven Mittelohrimplantate zur Verfügung, bei denen auch Erfahrungen bei Atresia auris congenita publiziert sind.

Als einzigartigen Vorteil der Ohrmuschelrekonstruktion mit porösem Polyethylen in Kombination mit Implantation einer aktiven Mittelohrprothese sehen die Autoren an, dass dieses operative Konzept eine einzeitige ästhetische und funktionelle Rehabilitation der Atresia auris congenita ermöglicht, während bei Rippenknorpelrekonstruktionen allein für die Ohrmuschel in der Regel mindestens zwei zeitversetzte Operationen nötig sind [40]. Da jeder operative Eingriff zu einem erheblichen Stressor der betroffenen Kindern und Jugendlichen werden kann [41], favorisieren die Autoren insbesondere in diesem Kollektiv das dargestellte einzeitige Vorgehen. Vor der Einschulung ist das Kind funktionell und ästhetisch versorgt.

Zusammenfassend erscheinen derzeit somit aus Sicht der Autoren zur Rehabilitation der Atresia auris congenita bei Kindern und Jugendlichen am geeignetsten:

  • zur funktionellen Rehabilitation die Versorgung mit aktiven Mittelohrimplantaten oder, sofern otochirurgisch nicht möglich, mit Knochenleitungshörgeräten,

  • zur ästhetischen Rehabilitation die Ohrmuschelrekonstruktion mit porösem Polyethylen oder autologem Rippenknorpel.

Fazit für die Praxis

  • Die Ohrmuschelrekonstruktion sowohl mit Rippenknorpel als auch mit porösem Polyethylen ermöglicht eine erfolgreiche ästhetische Rehabilitation der Mikrotie.

  • Die funktionelle Rehabilitation der Mikrotie durch rekonstruktive Gehörgangs- und Mittelohrchirurgie hat bisher nicht regelmäßig überzeugende Ergebnisse erbracht.

  • Knochenleitungshörgeräte zur funktionellen Rehabilitation der Mikrotie erfahren aus ästhetischen und audiologischen Gründen nur eine mäßige Akzeptanz.

  • Die funktionelle Rehabilitation der Mikrotie mit aktiven Mittelohrimplantaten bietet, sofern otochirurgisch möglich, aus funktionellen und ästhetischen Gründen klare Vorteile gegenüber der rekonstruktiven Chirurgie und Knochenleitungshörgeräten.

  • Die Kombination einer Ohrmuschelrekonstruktion mit porösem Polyethylen mit der Implantation einer aktiven Mittelohrprothese ermöglicht eine einzeitige und somit bei Kindern und Jugendlichen weniger belastende ästhetische und funktionelle Rehabilitation der Mikrotie.