Zusammenfassung
Hintergrund
Mit der „Musiktherapie bei chronisch-tonalem Tinnitus nach dem Heidelberger Modell“ liegt für den Bereich des tonalen Tinnitus eine effektive und neurowissenschaftlich überprüfte Behandlungsmethode vor.
Material und Methodik
Der musiktherapeutische Ansatz wurde nun unter Berücksichtigung der Klangqualität und möglicher kardiovaskulärer Einflussfaktoren spezifisch auf den Bereich des „Tinnitusrauschens“ ausgeweitet und mit psychologischen, physiologischen und bildgebenden Verfahren auf seine Wirksamkeit hin überprüft.
Ergebnisse
In einer ersten Pilotstudie erreichten 21 der 23 untersuchten Probanden (d. h. über 90%) eine zuverlässige Reduktion der Symptome (Werte im Tinnitusfragebogen: prä: 40,1±11,4, post: 27,9±12,8, 3-Monats-Katamnese: 24,0±12,2). Die Resultate der bildgebenden Verlaufsuntersuchungen zeigen neuroplastische Veränderungen in Putamen und Insula. Psychophysiologische Messungen geben Anhaltspunkte für kardiovaskuläre Einflüsse auf das Tinnitusrauschen.
Diskussion
Eine effektive Tinnitustherapie sollte die Klangqualität des Tinnitus berücksichtigen, da eine Veränderung der Tinnitussymptomatik eindeutig von der Klangqualität abhängt. Kardiovaskuläre Einflüsse spielen insofern eine Rolle, als die Regulation der Herzfrequenz ein Prädiktor für den Therapieerfolg ist. Insgesamt erhärten die bildgebenden Daten das Top-down-Modell der Tinnitusentstehung.
Abstract
Background
Music therapy in chronic tonal tinnitus according to the “Heidelberger model” presents an effective treatment, which is substantiated by neuroscientific and psychological evaluation.
Method
The music therapy approach was specifically extended to include noisiform tinnitus, taking sound quality and cardiovascular influences into consideration. Outcome criteria were psychological tinnitus load, psychophysiologic parameters and brain imaging procedures.
Results
Psychological outcomes of the pilot study indicate that 21 of the 23 patients (i.e. more than 90%) achieved a reliable reduction of symptoms (TQ scores: pre: 40.1±11.4; post: 27.9±12.8; at 3-month-follow-up: 24.0±12.2). Results of the imaging examinations demonstrated neuroplastic changes in the putamen and insula. Psychophysiological measurements indicate cardiovascular influences on noisiform tinnitus.
Discussion
Therapy success depends on the sound quality of the tinnitus; therefore, any treatment should take this into consideration. Cardiovascular influences were important insofar as active control of the heart rate was an important predictor of long-term therapy outcome. Overall, brain imaging data confirm the top-down-model of tinnitus generation.
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Chronischer Tinnitus ist eine sehr häufige Erkrankung. Laut Studien zur Prävalenz von Tinnitus gibt es in Deutschland derzeit mehr als eine Million potenziell behandlungsbedürftige Tinnituspatienten [16]. Um eine optimale Behandlung sicherzustellen, wird im Rahmen der Evidenzbasierung eine möglichst suffiziente Klassifikation der Symptomatik gefordert. Üblicherweise erfolgen die Einteilungen dabei nach Ätiologie oder Entstehungsmechanismen, Zeitverlauf (akut vs. chronisch) sowie der subjektiven Belastung der Patienten (Definition verschiedener „Schweregrade“; [11]). Die Dimension „Klangqualität“ ist derzeit nicht als Klassifikationskriterium in den ADANO-Leitlinien (ADANO: Arbeitsgemeinschaft Deutschsprachiger Audiologen und Neurootologen) aufgeführt. Sie wird allerdings im Rahmen der Anamnese üblicherweise exploriert oder sogar audiometrisch (Sinuston, Schmal- oder Breitbandrauschen) bestimmt [7]. Bei der subjektiven Beschreibung können grob die Kategorien „tonal“ (z. B. Pfeifen, Klingeln, Summen, Zirpen) und „nichttonal“ (z. B. Rauschen, Brummen, Surren, Knacken, Knistern, Rumpeln) unterschieden werden. Epidemiologische Studien zeigen, dass nur wenige Formen von nichttonalem Tinnitus organisch verursacht sind wie z. B. bei M. Menière oder Otosklerose. Bis zu 60% der Patienten mit subjektivem Tinnitus geben (auch) ein „Rauschen“ an [12, 15].
Trotz der Erfassung der Klangqualität in der Anamnese wird in gängigen Behandlungsmodellen des subjektiven, chronischen Tinnitus keine Unterscheidung nach der Klangqualität gemacht [5, 18, 19]. Ein Grund dafür könnte sein, dass der Therapiefokus in medikamentösen Verfahren, wie der hämorheologischen Behandlung von akuten cochleären Funktionsstörungen unabhängig von der Klangqualität ist. In psychologischen Therapien liegt der Behandlungsansatz eher auf der Habituation an die Ohrgeräusche, und/oder es werden psychosomatische/psychologische Beschwerden wie Depressionen, Ängste oder Schlafprobleme behandelt. Deshalb besteht keine Notwendigkeit, die Klangqualität in den Therapieprozess einzubeziehen.
Chronische Ohrgeräusche stellen für die Betroffenen allerdings primär ein Problem der auditiven Wahrnehmung und Aufmerksamkeit dar [6]. Die Patienten kommen daher überwiegend mit dem Wunsch in eine Therapie, den Tinnitus möglichst zum Verstummen zu bringen und wieder Vertrauen in ihr Gehör zurückzugewinnen. Psychische und psychosomatische Beschwerden spielen zwar in Genese und Aufrechterhaltung der Tinnitusproblematik eine entscheidende Rolle, werden von den Patienten selbst aber i. d. R. nicht als wichtigster „Behandlungsauftrag“ definiert.
Für die Subgruppe der Patienten, die unter tonalem Tinnitus mit eindeutiger Frequenz leiden, wurde in unserer interdisziplinären Arbeitsgruppe mit dem „Heidelberger Modell zur musiktherapeutischen Behandlung von chronisch-tonalem Tinnitus“ bereits ein symptomspezifisches, effizientes und wirksames Therapiemanual entwickelt [1]. Bei rund 80% der Patienten konnte einer deutliche Symptomverbesserung bzw. Symptomauflösung erreicht werden [2]. Resultate aus elektrophysiologischen Messungen stützen die psychologischen Befunde, wonach die Patienten ihr Gehör nach der Musiktherapie subjektiv besser steuern können und ihren Tinnitus deutlich weniger penetrant wahrnehmen [13]. Mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) konnte zudem ein neurologisches Netzwerk identifiziert werden, das an der Aufrechterhaltung der Tinnitussymptomatik beteiligt ist: Die zentrale „Steuerungsinstanz“ der Tinnituswahrnehmung scheinen Areale im tertiären Assoziationskortex (Insula) zu sein, die mit einem Aufmerksamkeitsnetzwerk verbunden sind [1, 10].
Mit diesem bestehenden Konzept für tonalen Tinnitus konnte keine hinreichende Reduktion des nichttonalen Geräuschs in Form eines „Tinnitusrauschens“ erreicht werden. Die Ursache hierfür ist vermutlich, dass subjektiver, nichttonaler Tinnitus durch andere neuronale Netzwerke im Gehirn hervorgerufen wird.
Somit scheint ein modifizierter musiktherapeutischer Behandlungsansatz notwendig zu sein, um eine ähnliche Reduktion der Tinnitusbelastung zu erreichen. Die Erforschung der neuronalen Zusammenhänge in der Tinnitusentstehung ist für die Weiterentwicklung eines ätiopathogenetischen Tinnitusmodells von zentraler Bedeutung und bedarf verstärkter Anstrengungen. Daher sollen in der vorliegenden Studie neben der Effektivitätskontrolle auf psychologischer Ebene auch neurowissenschaftliche Erkenntnisse zur Wirksamkeit dieser Form der Therapie erbracht werden.
Aufbau des Heidelberger Modells bei chronischem Tinnitus
Die „Musiktherapie bei chronischem Tinnitus nach dem Heidelberger Modell“ strebt eine Integration von psychologisch-aktivierenden Strategien zum unmittelbaren Management des Tinnitustons und kurativen, auf die organische Störung gerichteten Ansätzen an.
Für das Therapiekonzept wurden spezifische musiktherapeutische Interventionen nach „Modulen“, „Techniken“ und „Wirkfaktoren“ zu einem Manual geordnet und zeitlich kategorisiert, um einen replizierbaren Therapieverlauf mit gleich bleibender Therapiequalität zu erreichen.
In der Musiktherapie spielen die psychoakustischen Eigenschaften der Ohrgeräusche eine zentrale Rolle. Daher müssen die musiktherapeutischen Techniken in Bezug auf die Klangqualität des Tinnitus modifiziert werden.
Gegenüberstellung der Konzepte „tonaler Tinnitus“ vs. „Tinnitusrauschen“
Während in der Behandlung von „tonalem“ Tinnitus die Frequenzen der Tinnitustöne an einem Sinusgenerator bestimmt und dann musikalisch direkt umgesetzt werden können, müssen bei „Tinnitusrauschen“ sowohl die Kernfrequenz als auch die Bandbreite des Rauschens ermittelt werden. Hierzu wurde an der Universität Homburg mittels des Programms „LabView“ (National Instruments) ein computergestützter Rauschgenerator („Noise Estimator“) entwickelt.
Dieses Tinnitusäquivalent findet dann in der Behandlung insbesondere im Rahmen der „Tinnitusdekonditionierung“ Anwendung. Hierzu erstellen die Patienten eine individuelle „Tinnituslandkarte“, um tinnitusauslösende Situationen bzw. von Tinnitus freie Perioden zu identifizieren. Während der Entspannungsphase wird der Tinnituston intermittierend vom Rauschgenerator eingespielt, um eine Entkopplung des Tinnitustons von aversiven Assoziationen zu erreichen. Weiterhin können zunehmend konkrete Situationen auf Basis der Tinnituslandkarte bearbeitet werden. Dazu imaginiert der Patient unter Anleitung des Therapeuten tinnitusauslösende Situationen und erlernt somit die Entkopplung von Tinnituserleben und psychophysiologischen Erregungsmustern. Zur Verlaufsüberprüfung wurde ein unterstützendes Rückmeldesysteme in Form von psychophysiologischen Messungen während der Tinnitusdekonditionierung eingeführt.
Die aktive „Resonanzübung“ basiert bei tonalem Tinnitus auf der individuellen, oktavierten Tinnitusfrequenz. Da dies bei nichttonalem Tinnitus aufgrund der „rauschenden“ Klangqualität nicht möglich ist, wird die Stimulation der kraniozervikalen Resonanzräume durch schleifenartiges Umsingen der Kernfrequenz des Tinnitus mit Hilfe einer leicht erlernbaren, obertonreichen Singtechnik erreicht. Als Grundmetrum dient die Herzfrequenz der Patienten zu Beginn der jeweiligen Therapieeinheit. Der Grund hierfür ist, dass kardiovaskuläre Risikofaktoren an Entstehung oder Aufrechterhaltung von Tinnitus beteiligt sein könnten. So scheinen Patienten mit Tinnitus häufiger unter Hypertonie zu leiden als alters- und geschlechtsgleiche Kontrollprobanden [4]. Zudem wurden Blutdruckschwankungen [3] in Zusammenhang mit der Entwicklung von Ohrgeräuschen beobachtet. Der Einsatz von Musiktherapie bei kardiologischen Erkrankungen ist gut dokumentiert und kann als effektive Möglichkeit zur Regulation hämodynamischer Prozesse gelten [14].
In den Modulen „Aufmerksamkeitstraining“ und „neuroauditive Kortexprogrammierung“ werden den Patienten durch aktive Hör- und Diskriminationsübungen – unter Einsatz von standardisierten musikalischen Stimuli – Kontrollmöglichkeiten über auditive Prozesse vermittelt. Da Tinnitus üblicherweise mit einer Hörminderung im Bereich der Tinnitusfrequenz einhergeht, treten bei Intervallen im Spektrum der Tinnitusfrequenz (und des oktavierten Tinnitusäquivalents) gehäuft Fehler auf. Ein gezieltes Training von fehlerhaft gesungenen Intervallen in diesem Spektrum soll zu einer neuronalen Reorganisation der Tonotopie im auditorischen Kortex sowie zu einer (subjektiven) Verbesserung des Hörvermögens führen. Bei Patienten mit Tinnitusrauschen zeigten sich vergleichbare Einschränkungen der Diskriminationsfähigkeit wie bei tonalem Tinnitus. Der Grund hierfür ist vermutlich, dass die Kernfrequenz des Tinnitus auf der Läsionskante lokalisiert ist, unabhängig von der Klangqualität der Ohrgeräusche.
Tab. 1 stellt die Techniken das Behandlungsmanual des Heidelberger Modells der Musiktherapie bei chronischem Tinnitus in den Formen „Tonal“ vs. „Rauschen“ im Überblick zusammen.
Alle Probanden erhalten die Musiktherapie in Form einer Kompakttherapie (Therapiedauer eine Woche, 9 Sitzungen Einzelmusiktherapie à 50 min und 2 Gruppenberatungsveranstaltungen).
Methodik der Evaluation
Im Rahmen einer interdisziplinären Kooperationsstudie der Fakultät für Musiktherapie an der SRH-Hochschule Heidelberg (SRH: Stiftung Rehabilitation Heidelberg), dem Deutschen Zentrum für Musiktherapieforschung, der Hals-Nasen-Ohren-Klinik der Universität Heidelberg und der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie der Universität des Saarlandes wurde die Wirksamkeit des musiktherapeutischen Konzepts für Patienten mit rauschendem Tinnitus (Breitbandrauschen mit identifizierbarer Kernfrequenz und Rauschbreite) überprüft.
Von April bis Juli 2008 wurde über Pressemitteilungen und im persönlichen Kontakt in der HNO-Klinik Heidelberg über die Studie informiert. Für einen Erstkontakt konnten 51 Patienten gewonnen werden.
Vor Beginn der Therapie erfolgten ausführliche audiologische, internistische sowie psychologische Untersuchungen. Die audiologische Diagnostik entsprach den Leitlinienempfehlungen der ADANO [11] und umfasste insbesondere eine Tonaudiometrie inklusive der Bestimmung der Tinnituslautheit und der Frequenzcharakteristik. Durch die internistische Untersuchung sollten mögliche allgemeine somatische Komorbiditäten erfasst werden, insbesondere Blutdruckauffälligkeiten. In der psychologischen Diagnostik wurde neben der allgemeinen psychischen Konstitution die Tinnitusbelastung mittels des Tinnitus-Fragebogens (TF; [8]) erhoben. Insgesamt erfüllten 34 Probanden die in Tab. 2 aufgeführten Einschlusskriterien.
Sieben Probanden wiesen keine klinisch relevanten Tinnitusbeschwerden auf (zu geringe Belastung im TF), bei 3 Probanden war der Tinnitus nicht musikalisch darstellbar, 4 Probanden waren so schwerhörig, dass keine Musiktherapie möglich war und 2 Probanden wiesen eine extreme Belastung durch den Tinnitus bzw. eine psychiatrische Erkrankung auf, sodass eine stationäre Behandlung angeraten wurde. Ein Patient trat trotz Zusage seinen Therapieplatz ohne Begründung nicht an.
Um die neurobiologischen Wirkungen des musiktherapeutischen Konzepts in Bezug auf neuronale Korrelate des Tinnitus zu untersuchen, wurden bildgebende Untersuchungen (fMRT) eingesetzt. Das Messparadigma kam bereits bei tonalem Tinnitus zur Anwendung [1, 9]. Bei insgesamt 23 Patienten mit rauschendem Tinnitus konnten komplette Datensätze (psychologische Daten und fMRT-Ergebnisse) gewonnen werden. Bei den übrigen Probanden war keine fMRT-Messung möglich, da die Messungen auf Wunsch der Probanden vorzeitig abgebrochen wurden („Platzangst“, n=7), sich Metallgegenstände im Körper befanden (n=2) oder aus technischen Gründen keine auswertbare Messung zustande kam (n=2).
Als Referenzdaten für die Wirksamkeit des Behandlungskonzepts auf psychologischer Ebene sowie als Vergleichswerte der bildgebenden Untersuchungen dienen die Messwerte einer bereits abgeschlossenen Studie zur Wirkung von Musiktherapie (Kompakttherapieform) bei chronisch-tonalem Tinnitus [2]. Dabei wurden die Daten von 24 Probanden aus der Gruppe „Kompakttherapie“ so berücksichtigt, dass Alter, Geschlecht, Tinnitusbelastung sowie Behandlungsumfang und -intensität der beiden Behandlungsgruppen identisch waren.
Probanden
Die Patientencharakteristika sind in Tab. 3 zusammengefasst.
Die audiometrischen Charakteristika der Patienten mit Tinnitusrauschen waren mit Ausnahme der Klangqualität der Ohrgeräusche vergleichbar mit denjenigen von Patienten mit tonalem Tinnitus. In beiden Gruppen wird der Tinnitus von rund der Hälfte der Patienten beidseitig gehört, von der anderen Hälfte einseitig (eher links als rechts). Die Kernfrequenz des Tinnitusrauschens liegt bei 5796 Hz (tonale Vergleichsgruppe: 5398 Hz, Kruskall-Wallis-Test: p>0,05) mit einer durchschnittlichen Rauschbreite von 1000 Hz. Dementsprechend geben knapp 60% der Patienten in der audiometrischen Untersuchung ein Breitbandrauschen als Tinnitusäquivalent an und gut 40% ein Schmalbandrauschen (Vergleich: über 80% der Patienten mit tonalem Tinnitus haben ein „Sinustonäquivalent“; χ2-Test: p<0,001).
Rund zwei Drittel der Patienten mit Tinnitusrauschen wies im Tonaudiogramm eine Hochtonschwerhörigkeit auf, etwa ein Drittel auch im Sprachbereich. Im Vergleich der beiden Symptomgruppen konnte somit eine ähnlich Verteilung der Hörminderung festgestellt werden (χ2-Test: p>0,700), entsprechen war auch die Verdeckungsschwelle des Tinnitus nahezu identisch bei rund 48 dB („Rauschen“) bzw. 46 dB („Tonal“).
Mit mehr als 90% empfindet die Mehrheit der Patienten den Tinnitus ständig oder teilweise/manchmal als „lästig“ (kein Gruppenunterschied). Allerdings empfinden nur rund 26% der Patienten mit Tinnitusrauschen ihre Symptome dauerhaft als „quälend“, wohingegen 62,5% der Patienten mit tonalem Tinnitus dauerhaft „gequält“ sind (χ2-Test: p<0,001).
In der psychologischen Anamnese hatten alle untersuchten Patienten ein unauffälliges psychologisches Profil ohne psychiatrische Komorbiditäten.
Die Bestimmung des Blutdrucks durch einen Internisten ergab bei 15 der Probanden mit Tinnitusrauschen (43%) einen erhöhten systolischen Wert (>130 mmHg), bei 9 Patienten (26%) waren zusätzlich auch die diastolischen Blutdruckwerte erhöht (>90 mmHg).
Die Daten der 23 Probanden, für die zusätzliche MRT-Daten vorliegen, unterscheiden sich in keiner Variable signifikant von der Gesamtgruppe der „Rauscher“, daher können diese Probanden als repräsentativ für die hier untersuchte Population von Patienten mit Tinnitusrauschen gelten (Mann-Whitney-U-Test: alle p>0,250).
Ergebnisse auf psychologischer Ebene
Im TF [5] erreichen die Patienten mit „rauschendem Tinnitus“ eine mittelgradige Belastung mit einen Punktwert von 42,0±10,9 Punkten und somit eine sehr ähnliche Belastung wie die Vergleichsprobanden mit tonalem Tinnitus mit 44,3±8,7 Punkten (ANOVA: p=0,444). Patienten mit rauschendem Tinnitus berichten im Vergleich zu Patienten mit tonalem Tinnitus über signifikant geringere Schlafprobleme (ANOVA: p=0,028) und eine tendenziell geringere „Penetranz“ (ANOVA: p=0,053) der Ohrgeräusche, aber über verstärkte „somatische Beschwerden“ (ANOVA: p=0,018).
Im Verlauf der Therapie konnte für die Gruppe der Patienten mit Tinnitusrauschen eine hochsignifikante Abnahme der Tinnitusbelastung um 47,9% (Basiswert: TF-Prozentwerte) nachgewiesen werden (ANOVA: p<0,001). Im Vergleich hierzu erzielten die Probanden mit tonalem Tinnitus eine Reduktion um 49,6%. Die Reduktion der TF-Prozentwerte ist somit nahezu identisch, es konnte kein Gruppenunterschied gefunden werden (ANOVA: p=0,893).
Auch in den einzelnen Subskalen des TF konnte bei den Patienten mit Tinnitusrauschen im Vergleich vor der Therapie (Prä) zu unmittelbar nach der Therapie (Post) eine signifikante Reduktion erzielt werden, eine Ausnahme stellt die Skala „Hörprobleme“ dar, die sich durch die Therapie nicht verändern ließen. Zwischen der Messung unmittelbar nach der Therapie (Post) und dem 6-Monats-Follow-up (FU) bestand für keine Subskala des TF ein signifikanter Unterschied (alle p>0,300). Der Vergleich mit den Werten der tonalen Therapie ergibt keinen signifikanten Unterschied (ANOVA: p=0,941). Die genauen Werte im TF sind in Tab. 4 zusammengefasst.
Neben der statistischen Signifikanz sollte in der klinischen Anwendung der Therapie die tatsächlich spürbare Veränderung berücksichtigt werden. Hierzu bieten sich individuelle Auswertungen entsprechend dem Konzept der „klinisch bedeutsamen Veränderung“ an [9]. Mit Hilfe dieses Vorgehens können individuelle Veränderungen und nicht nur die Veränderung der gesamten Gruppe beurteilt werden. Zudem kann eine Veränderung nur dann als zuverlässig (reliabel) eingestuft werden, wenn sie größer ist, als durch zufällige Messfehler (z. B., weil die Fragen schon bekannt sind) zu erwarten wäre. Die kritische Differenz als Ausdruck für eine reliable Veränderung (Reliable Change Index) wird für den Gesamtwert des TF aus den im Testmanual angegebenen Werten bestimmt [8]. Sie beträgt 5,8 Rohwertpunkte. Die Verteilung der Probanden in die Gruppen „Responder“ (reliable Verbesserung), „Nonresponder“ (keine Veränderung) und „Negative Responder“ (reliable Verschlechterung) ist in Tab. 5 zusammengefasst.
Eine wichtige Einflussgröße in der Therapie stellt das Tinnitusäquivalent dar. Daher wurde für die Gruppe der Patienten mit Tinnitusrauschen überprüft, welchen Einfluss die Klangqualität auf das Therapieergebnis hat. Als Kenngröße für die Klangqualität dient dabei die Rauschbreite. Zwischen dem Therapieerfolg (relative Reduktion im TF) und der Rauschbreite des Tinnitusäquivalents besteht dabei eine signifikante, positive Korrelation von r=0,59 (p<0,005, Bestimmtheitsmaß R2=0,35).
Überprüfung der Wirksamkeit mit bildgebenden Verfahren
Die Überprüfung der neurobiologischen Wirkungen konnte eindeutige Hinweise auf neuronale Korrelate des Tinnitus erbringen. Die funktionellen MRT-Daten der 23 Patienten mit rauschendem Tinnitus wurden mittels Conjunction-Analyse ausgewertet, um ein Verfahren für kleine Stichproben anzuwenden. Die Signifikanzschwelle war hierbei p<0,001. Auf diesem Signifikanzniveau war im Nachher-vorher-Vergleich eine stärkere Aktivierung in der anterioren Insula (beidseits) sowie im linken superioren Temporallappen in der Nähe des Heschl-Gyrus zu verzeichnen. Bezüglich der Inselaktivierung zeigt sich hier also eine Wiederholung des Effekts der Heidelberger Musiktherapie analog zum Resultat beim tonalen Tinnitus [2]. Die Abb. 3 a zeigt ein Bild der verstärkten Inselaktivierung nach der Therapie. Außerdem wurden bei „rauschendem Tinnitus“ nach Abschluss der Therapie anatomische Veränderungen in der Insula und im Putamen beobachtet (Abb. 3 b).
Diskussion
Die Effektivität der Musiktherapie für Patienten mit Tinnitusrauschen konnte auf psychologischer Ebene insofern nachgewiesen werden, als die absolute und relative Reduktion der Tinnitusbelastung in beiden Behandlungsgruppen nahezu identisch war. Auch bei Tinnitusrauschen können über 90% der untersuchten Probanden als „Responder“ bezeichnet werden (tonaler Tinnitus: 88%), bei keinem Patienten kam es zu einer Verschlechterung der Symptomatik (tonaler Tinnitus: ein „negativer Responder“). Auch die Langzeitwirkung der Therapie scheint bei Tinnitusrauschen sehr stabil zu sein: Zum Follow-up-Zeitpunkt nach 6 Monaten berichten immer noch 87% der Probanden über eine zuverlässige Verbesserung der Symptomatik (tonaler Tinnitus: 71%).
Die Veränderung der Tinnitussymptomatik hängt eindeutig von Klangqualität des Tinnitusäquivalents (Breite des Rauschens) ab: Je breiter das Rauschen, desto ausgeprägter die relative Reduktion der Tinnitusbelastung laut Tinnitus-Fragebogen-Wert. Dies bestätigt die Hypothese, dass in der Therapie des chronischen Tinnitus die Klangqualität der Ohrgeräusche Berücksichtigung finden muss.
Die untersuchten Probanden geben – unabhängig von der Klangqualität ihres Tinnitus – im TF ein ähnliches Beschwerdeprofil an. Patienten mit Tinnitusrauschen sind insgesamt weniger durch ihren Tinnitus „gequält“ und stufen auch die Penetranz der Ohrgeräusche geringer ein. Im Alltag könnte sich dies in den signifikant geringeren Schlafproblemen niederschlagen. Bislang existieren nur wenige Referenzuntersuchungen zur subjektiven Einschätzung der Belastung in Abhängigkeit von der Klangqualität, allerdings scheinen Patienten mit atonalem Tinnitus geringere Beschwerden anzugeben als Patienten mit tonalem Tinnitus [17]. Eine mögliche Ursache hierfür könnte sein, dass tonaler Tinnitus insbesondere in Ruhesituationen weniger kontrollierbar ist als „rauschender“ Tinnitus. Patienten mit Tinnitusrauschen finden in der natürlichen Umgebung häufiger Geräusche mit ähnlichem Klangcharakter (z. B. Rauschen von Ventilatoren oder Heizungsrohren). Daher könnte es für die Patienten, trotz vergleichbarer Verdeckungsschwelle und damit „objektiver“ Lautstärke der Ohrgeräusche, leichter möglich sein, das Tinnitusrauschen mit Umgebungsgeräuschen zu überlagern oder in die normale akustische Umwelt zu integrieren.
Andererseits berichten Patienten mit Tinnitusrauschen über signifikant größere somatische Beschwerden. In der internistischen Eingangsuntersuchung ergaben sich bei der Mehrzahl der Probanden mit Tinnitusrauschen Auffälligkeiten des Blutdrucks. Zwar gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse, dass Bluthochdruck die Tinnitusbelastung unmittelbar verstärkt [15], allerdings wurden mehrfach kardiovaskuläre Auffälligkeiten im Zusammenhang mit Tinnitus beschrieben [3, 4] – ohne dabei die Klangqualität der Ohrgeräusche zu berücksichtigen. Die vorliegenden Daten könnten darauf hinweisen, dass möglicherweise v. a. rauschende Ohrgeräusche durch Blutdruckabnormalitäten mitbedingt sein könnten. Welchen direkten Einfluss kardiovaskuläre Faktoren auf die Entstehung oder Aufrechterhaltung von Tinnitus haben oder in welcher Weise die subjektive Belastung der Patienten dadurch verändert wird, sollte in weiterführenden Untersuchungen mit Kontrollgruppendesign noch genauer evaluiert werden.
Durch die Daten der fMRT wird die Hypothese bestätigt, dass der extern applizierte Tinnitusreiz nach der Therapie stärker wahrgenommen wird. Man kann daraus interpretieren, dass das endogen erzeugte Rauschen nach der Therapie objektivierbar weniger dominant einwirkt. Dieser Befund wird durch die reduzierten Tinnitus-Fragebogen-Werte bestätigt. Aktuelle Studien zur emotionalen Verarbeitung von Reizen zeigen, dass Insula und Putamen eine Art „Hasszirkel“ zu bilden scheinen [20]. Es mag also durchaus nahe liegen, dass eine Auseinandersetzung mit dem missliebigen Ohrgeräusch bzw. das Arbeiten entgegen dem „Hasszirkel“ eine neuroplastische Veränderung in diesen Strukturen mit sich bringt. Insgesamt erhärten die vorliegenden Daten das Tinnitusmodell, wonach die „Ohrgeräusche“ nicht nur das Symptom einer veränderten Hörorganisation (sog. Bottom-up-Theorie) sind, sondern dass bei Tinnitus der Top-down-Mechanismus, der in vielfältiger Weise auch nichtauditive Gehirnstrukturen beinhaltet, eine zentrale Rolle spielt. Als zentrale „Steuerungsinstanz“ der Tinnituswahrnehmung – unabhängig von der Klangqualität – erhärten sich Areale im tertiären Assoziationskortex (d. h. in der Insula).
Insgesamt ist die Musiktherapie auch bei rauschendem Tinnitus eine schnell wirksame und lang andauernde Behandlungsalternative. Die Ergebnisse der relativ kleinen Pilotstudie sollten in weitergehenden Studien repliziert werden. Insbesondere sind der Einsatz einer musiktherapeutischen „Placebobedingung“ sowie Therapievergleichsstudien unerlässlich, um die Wirksamkeit des Heidelberger Modells nachzuweisen.
Fazit für die Praxis
Mit der „Musiktherapie nach dem Heidelberger Modell“ liegt nun auch für den Bereich des nichttonalen Tinnitus (Tinnitusrauschen) eine effektive und neurowissenschaftlich überprüfte Behandlungsmethode vor. Weiterhin geben psychophysiologische Messungen Anhaltspunkte für kardiovaskuläre Einflüsse auf das Tinnitusrauschen. Eine effektive Tinnitustherapie sollte somit die Klangqualität des Tinnitus berücksichtigen, da die Veränderung der Tinnitussymptomatik eindeutig von der Klangqualität abhängt.
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Danksagung
Wir bedanken uns für die außerordentlich konstruktive und kollegiale Zusammenarbeit im Rahmen der Projektdurchführung bei Prof. Dr. Wolfgang Reith, Direktor der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie der Universität des Saarlandes, für die Unterstützung bei der Bereitstellung der MRT-Messzeiten, bei den Musiktherapeuten Judith Keydel und Julian Koenig für die Mitarbeit in den Therapien, Dr. Steffen Geberth für die internistische Betreuung der Patienten sowie unseren Kollegen Prof. Dr. Hillecke, Prof. Dr. Wilker für deren fachliche Beratung.
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Argstatter, H., Krick, C., Plinkert, P. et al. Musiktherapie bei nichttonalem Tinnitus (Tinnitusrauschen). HNO 58, 1085–1093 (2010). https://doi.org/10.1007/s00106-010-2113-y
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Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s00106-010-2113-y
Schlüsselwörter
- Musiktherapie
- Interdisziplinäres Therapiekonzept
- Nichttonaler Tinnitus
- Kardiovaskuläre Einflüsse
- Neuroplastische Veränderungen