Die proximale Humerusfraktur zählt nach den Frakturen der Wirbelsäule, der Hüfte und des distalen Radius zu der vierthäufigsten osteoporotischen Fraktur [3, 35]. Sie macht etwa 4–5% aller Frakturen aus [1]. Osteoporotischer Knochen ist durch eine verminderte Knochendichte und Knochenqualität gekennzeichnet [3]. Im Gegensatz zu jüngeren Menschen reichen daher bei älteren Menschen direkte Stürze auf die Schulter aus Standhöhe aus (sog. „Niedrigenergietraumen“), um zu einer Fraktur zu führen. Da die Osteoporose mit steigendem Alter zunimmt, folgt die Altersverteilung der proximalen Humerusfrakturen einer exponenziellen Funktion: im Alter von 40 bis 84 Jahren bei Frauen und von 60 bis 89 Jahren bei Männern [13]. Insgesamt sind über 70% der Patienten mit proximalen Humerusfrakturen älter als 60 Jahre [25]. Neue Erkenntnisse der Frakturmorphologie mit einer einheitlichen Klassifikation, neue Studien zu konservativen Therapie und verbesserte Nagel-/Plattensysteme sowie der „Einzug“ der inversen Schulterprothese optimieren die Therapie insbesondere beim osteoporotischen Patienten.

Die Kombination aus steigender Lebenserwartung und erhöhtem Risiko älterer Menschen für proximale Humerusfrakturen führte in der finnischen Bevölkerung zwischen 1970 und 2002 zu einem Anstieg der Inzidenz von 32/100.000 auf 105/100.000 [25]. Dabei ist das Durchschnittsalter von 73 auf 78 Jahre angestiegen. Anhand dieser Daten wurde eine Verdreifachung der Inzidenz bis 2030 prognostiziert. Dies konnte in aktuelleren Daten jedoch nicht bestätigt werden. Seit Mitte der 1990er Jahre ist ein stabiles Plateau erreicht und der prognostizierte Anstieg ist nicht eingetreten [11]. Die genauen Ursachen hierfür sind nicht bekannt. Es wird ein verbesserter Gesundheitsstatus, höhere Mobilität und ein geringeres Sturzrisiko vermutet.

Osteoporose am proximalen Humerus

Bekanntermaßen sind Alter und weibliches Geschlecht Risikofaktoren für eine Osteoporose. Für den proximalen Humerus konnte ebenfalls gezeigt werden, dass die Knochendichte mit zunehmendem Alter abnimmt [6, 19, 30]. Ab einem Alter von 70 Jahren liegen statistisch signifikante Unterschiede in der Knochendichte im Vergleich zu Jüngeren vor. Während Tingart et al. [30] und Hepp et al. [6] keine geschlechtsspezifischen Unterschiede nachweisen konnten, wurden von Lill et al. [19] bei Frauen über 70 Jahren signifikant niedrigere Knochendichterwerte gemessen als bei Männern desselben Alters.

Im Hinblick auf eine mechanisch stabile Frakturversorgung ist die Knochenqualität am proximalen Humerus von Interesse. Im kranialen Abschnitt des Humeruskopfes in den medialen und dorsalen Anteilen konnte die höchste Knochenmineraldichte und Knochenfestigkeit nachgewiesen werden [19]. Zur Bestimmung der Knochendichte (BMD, „bone mineral density“) gilt das DXA („dual X-ray absorptiometry“) als Goldstandard. Es ist jedoch kein Verfahren, welches in der Akutdiagnostik Einsatz findet. Zum einen fehlt die Verfügbarkeit in Notaufnahmen und zum anderen müsste der Patient auf der verletzten Seite gelagerte werden. Alternativ stehen nativradiologische Untersuchungen und das CT zur Verfügung. Anhand der Kortexdicke konnte eine Korrelation zur BMD hergestellt werden [30]. Dieser „Kortikalindex“ (CI) wird aus der Kortexdicke der proximalen Humerusdiaphyse in einer a. p. Röntgenaufnahme berechnet. Neueste Arbeiten zeigen, dass die Knochendichtbestimmung auch über den Einsatz einer CT möglich ist [16]. Durch Anwendung der Hounsfield-Skala auf spongiöse Knochenareale können Aussagen zur Knochenqualität getroffen werden.

Frakturklassifikationen

An ein Klassifikationssystem werden folgende Anforderungen gestellt: Es soll

  • die Frakturmorphologie möglichst genau und reproduzierbar darstellen,

  • daraus eine therapeutische und prognostische Aussage ermöglichen und

  • eine „Alltagstauglichkeit“ besitzen.

Die erste Klassifikation von Codman aus dem Jahre 1934 beruht auf der 4-Segmente-Theorie, bestehend aus Kalotte, Tuberculum majus und minus und dem Schaftfragment ([2], Abb. 1). Abhängig vom Frakturverlauf sind 12 Frakturformen möglich. Im Jahre 1970 veröffentlichte Neer eine Modifikation der Codman-Klassifikation [23]. Neer berücksichtigt neben den Frakturfragmenten den Dislokationsgrad. Als disloziert galten Frakturen mit einer Dislokation von über 1 cm oder einer Abkippung von mehr als 45°. Sonderformen wie z. B. Headsplit-Frakturen und valgisch impaktierte Frakturen sind in dieser Klassifikation nicht berücksichtigt.

Abb. 1
figure 1

Modifizierte Klassifikation nach Codman: „Segmenttheorie“ [2]

Die seit 1990 bestehende AO-Klassifikation beinhaltet die genaueste morphologische Frakturbeschreibung [28]. Die proximalen Humerusfrakturen zählen zu den 1.1-Frakturen. Nach der AO-typischen Einteilung werden extraartikuläre (A), partiell artikuläre (B) und vollständig artikuläre (C) Frakturen unterschieden. Für jede Obergruppe gibt es jeweils 9 Untergruppen, sodass 27 Frakturtypen beschrieben werden. Trotz der hohen Genauigkeit dieser Klassifikation fehlt aufgrund der großen Anzahl an Untergruppen die Alltagstauglichkeit.

Im klinischen Alltag hat sich die Codman-Klassifikation durchgesetzt

Im Jahr 2005 veröffentlichte Hertel eine weitere Klassifikation, die auf der 4-Fragmente-Therorie von Codman basiert [8]. Anhand von 5 Fragen zum Frakturverlauf zwischen den einzelnen Fragmenten werden 12 Frakturtypen definiert. Durch weitere 7 Zusatzfragen werde prognoserelevante Zusatzkriterien wie Varus- oder Valgusdeformitäten beschrieben. Im Gegensatz zur Neer-Klassifikation ist diese Klassifikation rein deskriptiv und der Grad der Dislokation spielt keine Rolle.

Die Problematik bei der Klassifikation nach Neer und der AO-Klassifikation liegt darin, dass sie eine geringe Reproduzierbarkeit und Übereinstimmung zwischen verschiedenen Untersuchern aufweisen (sog. Intra- und Interobserverreliabilität) [20]. Auch zusätzliche 3D-Rekonstruktionen in der CT konnten dies nicht verbessern. Aufgrund der hohen Reliabilität hat sich für den klinischen Alltag die ursprüngliche Codman-Klassifikation durchgesetzt. Zusätzlich zu der Anzahl der Fragmente wird die Frakturform nach Impaktion/Distraktion und Varus/Valgus klassifiziert [9]. Zudem wurde die Klassifikation um Luxationsfrakturen und Headsplit-Frakturen erweitert.

Diagnostik

Am Anfang jeder Diagnostik steht die klinische Untersuchung, die abhängig von der akuten Schmerzsituation des Patienten durchzuführen ist. Obligat ist eine Untersuchung und Dokumentation der Durchblutung, Motorik und Sensibilität, um Begleitverletzungen auszuschließen. Insbesondere das Versorgungsgebiet des N. axillaris am lateralen M. deltoideus ist von Bedeutung, da dieser bei Luxationen oder proximalen Humerusfrakturen in Mitleidenschaft gezogen werden kann.

Die konventionelle Röntgendiagnostik in zwei Ebenen stellt die Standarddiagnostik dar. Neben der „true“ a. p. Aufnahme kann anstatt der axialen Aufnahme auch eine Y-Aufnahme erfolgen. Die Erweiterung der Diagnostik mittels CT und 3D-Rekonstruktion wird generell empfohlen (Abb. 2, [9]). Durch die 3D-Darstellung wird das Verständnis der Fraktur verbessert und Sonderformen wie Headsplit-Frakturen können dargestellt werden. Auf diese Weise wird die präoperative Planung der Therapiestrategie verbessert.

Abb. 2
figure 2

66-jährige Patientin, CT mit 3D-Rekonstruktion: valgisch dislozierte Multipartabrissfraktur; a von dorsal, b von ventrolateral

Zudem können über die CT frakturmorphologische Veränderungen dargestellt werden, die eine Aussage über die Durchblutung des Kopfes zulassen und damit prognoserelevant und therapieentscheidend sind. An der medialen Frakturlinie zwischen Kalotte und Schaft bildet sich eine dorsomediale metaphysäre Extension des Kalottenfragments. Ist dieser sog. „mediale Spickel“ kürzer als 8 mm, ist die ausreichende Kopfdurchblutung als kritisch einzustufen [8]. Zudem kann eine Ad-latus-Dislokation der Kalotte zu einem Zerreißen des Periosts führen („medialer Hinge“). Ab einer Dislokation von 3 mm beginnt das Periost zu zerreißen und ab 6 mm zerreißt es komplett, die Kalottenperfusion wird dadurch vermindert, das Risiko einer Humeruskopfnekrose steigt und die korrekte anatomische Reposition ist erschwert [14, 20].

Im Vergleich zur CT ist es mit der MRT nach eigenen Untersuchungen möglich, dieselben frakturmorphologischen Informationen darzustellen [32]. Zudem ist das MRT in der Lage, zusätzliche Informationen zur Integrität der Rotatorenmanschette und der Kalottenperfusion zu liefern. Daher kann das MRT, als „neues Diagnostik-Tool“, bei Fragestellung der Kalottenperfusion bei komplexen Frakturen durchgeführt oder bei älteren Patienten (> 65 Jahre) zur Beurteilung degenerativer Veränderungen der Rotatorenmanschette herangezogen werden. Zudem kann es beim jungen Patienten als diagnostisches Werkzeug ohne Strahlenbelastung dienen.

Konservative Therapie

Für die Versorgung proximaler Humerusfrakturen bestehen aktuell keine einheitlichen Versorgungsstandards. Neben konservativen Therapieansätzen haben operative Eingriffe wie winkelstabile Plattenosteosynthese, intramedulläre Marknagelung und inverse Prothese gleichermaßen ihre Berechtigung, da für kein Therapieverfahren eine Überlegenheit nachgewiesen werden konnte [18]. Bei der Wahl des Therapiekonzeptes sind neben Patientenalter und Frakturform die Compliance und der Anspruch des Patienten zu berücksichtigen.

Zur konservativen Therapie gibt es in jüngster Zeit eine Vielzahl an Studien [5, 17, 31, 36] und sie erlebt eine gewisse Renaissance. Krettek und Wiebking [17] arbeiteten in ihrer neuen Übersichtsarbeit heraus, dass die konservative Therapie der operativen ebenbürtig sei. Im funktionellen Ergebnis gäbe es keinen signifikanten Unterschied. Bei einer konservativen Therapie beträgt der mittlere Unterschied im Constant-Score zwischen verletzter und unverletzter Seite nach einem Jahr 8,2 Punkte [5]. Im Vergleich der Studien von Hanson et al. [5] und Südkamp et al. [29] kommen Krettek und Wiebking [17] zu dem Ergebnis, dass Komplikationen nach operativen Eingriffen (34%) häufiger auftreten als bei einer konservativen Therapie (28,8%) und die postoperativ bedingte Revisionsrate mit 19% gegenüber 7,2% mehr als doppelt so hoch ist.

Auch Yüksel et al. [36] und Torrens et al. [31] weisen zufriedenstellende Ergebnisse bei der konservativen Therapie proximaler Humerusfrakturen nach. Bei einfachen Frakturen sind die Ergebnisse jedoch besser als bei komplexen. Daher sollte bei 4-Part-Frakturen das operative Vorgehen mit dem Patienten diskutiert werden. Die konservative Therapie führt letztendlich zu funktionell schlechteren Ergebnissen und einem verringerten Bewegungsausmaß. Dies zeigte jedoch keinen Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten [31].

Diese guten Ergebnisse durch eine konservative Therapie zugrunde legend, wurde von Krettek und Wiebking ein Behandlungsalgorithmus entwickelt [17], welcher vorsieht, dass Patienten unter 60 Jahren bis zu einer Neer-I-klassifizierten Fraktur konservativ behandelt werden. Bei Patienten über 60 Jahren wird die Indikation weiter gestellt und dislozierte Frakturen werden ebenfalls konservativ behandelt. Vom konservativen Regime ausgeschlossen sind Luxations- und Headsplit-Frakturen, pathologische Frakturen, nicht reponierbare Schaftdislokationen über 50% und Frakturen mit offenem Weichteilschaden.

Die Empfehlung zur konservativen Therapie wird von uns etwas zurückhaltender gestellt. Wir empfehlen eine konservative Therapie bei stabilen Frakturen bis zu einer Dislokation < 5 mm oder Abkippung der Kalotte < 20° [26, 33]. Erfolgt eine konservative Therapie, wird die Schulter für eine Woche ruhiggestellt und für eine weitere Woche werden Pendelübungen durchgeführt. Ab der 3. Woche darf die Schulter frühfunktionell mit freiem Bewegungsausmaß passiv und zunehmend aktiv-assistiv bewegt werden. Ab der 7. Woche ist zunehmende Belastung erlaubt.

Im Verlauf einer konservativen Therapie sind regelmäßige Röntgenkontrollen erforderlich (3./7./14. Tag, 3./6./12. Woche). Sollte es zu einer sekundären Dislokation kommen, ist die Indikation zum operativen Eingriff erneut zu überdenken.

Operative Therapie

Obwohl die Inzidenz proximaler Humerusfrakturen in den letzten Jahren konstant geblieben ist, ist es zu einer Zunahme operativer Eingriffe gekommen [1]. Zum einen ist der Aktivitätsanspruch der Patienten gestiegen und die Dislokationskriterien wurden enger gesteckt. Die Indikationskriterien zur operativen Versorgung sind in Infobox 1 aufgeführt.

Ziel einer operativen Versorgung ist es, eine anatomische Reposition mit einer stabilen inneren Fixation herzustellen. Eine Analyse der Behandlungsmodalitäten von 1985 bis 2004 [18] kommt zu folgender Empfehlung: Versorgung von

  • 2-Part-Frakturen mit Nagelosteosynthese,

  • 3-Part-Frakturen mit Plattenosteosynthese und

  • komplexen Frakturen mit Frakturprothesen.

Bezüglich der 4-Part-Frakturen ist keine einheitliche Aussage möglich.

Der Vorteil der operativen Therapie gegenüber einer konservativen liegt darin, dass die Pflege des alten Patienten erleichtert und eine frühfunktionelle Mobilisation des Patienten möglich ist. Somit weisen die Patienten postoperativ einen höheren Grad an Selbständigkeit auf und können frühzeitig in ihren Alltag zurückkehren.

Neu sind auch die sog. „minimal-invasiven Plattenosteosynthesen“. Der Begriff „minimal-invasiv“ ist vorsichtig anzuwenden und meint: anatomischer Zugang, geringe Knochen- und Weichteilkompromittierung und stabile Osteosynthese. Die Platten-/Schraubendesigns sind ebenfalls neu und verbessert: Polyaxialität, Kalkarschrauben, stumpfe Schraubenenden und dickere Schrauben zum höheren Bone-Implantat-Interface. Auch die Nagelsysteme weisen Neuigkeiten auf: Konfiguration der Bolzen im Kopf und Schaft, Kalkarschrauben, anterograde (z. B. arthroskopisch gestützt) und auch retrograde Implantationsmöglichkeiten.

Intramedulläre Marknagelung

Die Nagelosteosynthese ist ein ideales Verfahren bei 2-Part-Frakturen sowie in den Schaft reichenden Spiralfrakturen (Abb. 3). Der Vorteil eines Marknagels liegt in der geschlossenen Reposition und intramedullären Implantatlage. Als Nachteil ist die Eröffnung des M. supraspinatus am Nageleintrittspunkt zu sehen. Zudem konnte gezeigt werden, dass der Nageleintrittspunkt die Dislokation signifikant beeinflusst [24]. Daher stellt das arthroskopisch gestützte Einbringen des Marknagels, mit visualisiertem Nageleintrittspunkt, eine Alternative zum offenen Verfahren dar [21]. Auf diese Weise kann die korrekte Lage zusätzlich zum intraoperativen Röntgen auch in der a. p. Ausdehnung der Kalotte genauer bestimmt, der Nagel unter Sicht eingebracht und die subchondrale Lage kontrolliert werden. Zudem ist eine Beurteilung der Rotatorenmanschette möglich. Anschließend kann die Nageleintrittsstelle am M. supraspinatus arthroskopisch durch eine Seit-zu-Seit-Naht verschlossen werden.

Abb. 3
figure 3

84-jähriger Patient. a–d Varisch impaktierte Humeruskopf-3-Segment-Fraktur nativradiologisch a. p. (a) und lateral (b), 3D-CT von ventral (c) und von dorsal (d). e, f Postoperativ: Nagelosteosynthese (Multiloc-Nagel, DePuy Synthes, Companies of Johnson-Johnson, Synthes GmbH, Freiburg, Germany. Neu: Kalkarschraube, Schraubenkonfiguration) a. p. (e) und lateral (f)

Die Studie von Mittlmeier et al. [22] zeigt am Beispiel des Targon-Nagels (Targon PH; Aesculap, Tuttlingen, Germany), dass der intramedulläre Nagel auch am osteoporotischen Knochen eine hohe Primärstabilität aufweist. Es treten jedoch auch bei diesem Verfahren häufig Komplikationen auf. Trotz hoher, unter Beachtung der Frakturmorphologie mit der winkelstabilen Plattenosteosynthese vergleichbarer Komplikationsraten sind die funktionellen Ergebnisse gut und mit denen primärer Prothesen vergleichbar.

Winkelstabile Plattenosteosynthese

Osteoporotische Knochenfrakturen weisen oftmals komplexe Frakturmuster auf. Handelt es sich um rekonstruierbare dislozierte Multipartfrakturen (3-, 4-, 5-, „free-part“), ist die winkelstabile Plattenosteosynthese das Verfahren der Wahl (Abb. 4). Klassischerweise wird der deltoideopektorale Zugang gewählt. Im Gegensatz zum Deltasplit ermöglicht dieser Zugang eine Erweiterung nach distal ohne die Gefahr einer Schädigung des N. axillaris. Zudem sind die funktionellen Ergebnisse nach 12 Monaten beim deltoideopektorale Zugang besser und die Werte im Constant Score höher [7]. Aufgrund der mangelhaften Knochenstruktur bei osteoporotischem Knochen ist auf eine hohe Stabilität unter anderem durch eine mediale Abstützung zu achten („medialer Support“). Die Plattenosteosynthese ermöglicht das Einbringen einer sog. Kalkarschraube im inferioren medialen Bereich, welche eine verbesserte mechanische Abstützung der medialen Säule bietet und das Risiko einer sekundären Varusabkippung senkt [4]. Zudem sollen verbesserte Platten-Schrauben-Systeme mit Dynamic Locking Screws (DLS; DePuy Synthes, Companies of Johnson-Johnson, Synthes GmbH, Freiburg, Germany) das Nachsintern und die Schraubenperforation durch die Kalotte verhindern.

Abb. 4
figure 4

68-jährige Patientin. a–d Varisch impaktierte Humeruskopf-4-Segment-Fraktur nativradiologisch a. p. (a) und lateral (b), 3D-CT von ventral (c) und von dorsolateral (d). e, f Postoperativ: winkelstabile Philos-Plattenosteosynthese mit Dynamic Locking-Screws (DePuy Synthes, Companies of Johnson-Johnson, Synthes GmbH, Freiburg, Germany) a. p. (e) und lateral (f, überprojizierte Hautklammern)

Eine der häufigsten Komplikationen ist die Schraubenperforation bei varischem Abkippen des Humeruskopfes

Trotzdem stellt sich die Frage: Ist Osteoporose ein Risikofaktor für Komplikationen nach plattenosteosynthetischer Versorgung? Komplikationsraten zwischen 19–35% wurde festgestellt [29]. Als die beiden häufigsten Komplikationen bei osteoporotischen Knochen werden das varische Abkippen des Humeruskopfes mit Schraubenperforation und der Implantatausriss aus dem Schaft bei stabiler Humeruskopffixierung beschrieben [10]. Während Krappinger et al. einen signifikanten Zusammenhang zwischen Knochendichte und Komplikationsrate feststellen konnte [15], wurde dies in der Untersuchung von Hepp et al. nicht bestätigt [6].

Sollte es dennoch in der Folge notwendig sein, einzelne Schrauben oder gar die gesamte Osteosynthese zu entfernen, so ist dies inzwischen vollständigen arthroskopisch möglich [12]. Die Ergebnisse sind mit einer offenen Metallentfernung vergleichbar und bieten vor allem im Hinblick auf das Alter der Patienten die Vorteile eines minimal-invasiven Vorgehens (geringeres Morbiditätsrisiko, geringeres Gewebetrauma, weniger Blutverlust, reduziertes Infektrisiko). Zudem ist die gleichzeitige Therapie intraartikulärer Begleitpathologien möglich, was in diesem Maße bei einem offenen Vorgehen nicht möglich wäre. Somit lässt sich die Beweglichkeit einer häufig aufgetretenen posttraumatischen Arthrofibrose durch die gleichzeitige Durchführung einer Arthrolyse verbessern.

Prothese

Eine weitere Möglichkeit der operativen Versorgung ist die Schulterprothese (Abb. 5). Als Indikation zur Implantation einer primären Frakturprothese zählen Headsplit- und Luxationsfrakturen, schalenförmige Kalottenfragmente und nicht rekonstruierbare Frakturen. Zudem gilt sie als Alternative zur Osteosynthese bei osteoporotischer Knochenstruktur. Bis vor wenigen Jahren war die Implantation einer anatomischen Frakturprothese der Standard. Bei diesen Prothesen ist das funktionelle Ergebnis maßgeblich von der Einheilung der Tuberkula und Funktionsfähigkeit der Rotatorenmanschette abhängig. Insbesondere bei älteren Patienten mit Osteoporose treten hier Probleme auf und es kommt zu Dislokationen der Tuberkula oder Tuberkularesorptionen [27]. Die daraus folgende Dysfunktion der Rotatorenmanschette geht mit einer Funktionseinschränkung der Schulter einher [10, 17]. Aufgrund dieser Probleme wird die inverse Schulterprothese zunehmend als primäre Frakturprothese beim alten Menschen (> 75 Jahre), wenn möglich mit Refixation der Tuberkula, empfohlen [10, 17, 34], was sicherlich als neuer Trend zu werten ist. Eine Weiterentwicklung stellen modulare Systeme dar, die bei Bedarf auf eine inverse Prothese ohne Wechsel des Schaftes gewechselt werden können.

Abb. 5
figure 5

74-jährige Patientin. a–d Varisch impaktierte, dislozierte Humeruskopf-3-Segment-Fraktur nativradiologisch a. p. (a) und lateral (b), 3D-CT von ventral (c) und von dorsal (d). e, f Postoperativ: Implantation einer zementfreien inversen Schulterprothese mit Tubercula Refixation (Draht-Cerclage) a. p. (e) und lateral (f)

Fazit für die Praxis

  • Die Fraktur ist durch Röntgenaufnahmen, 3D-CT und ggf. MRT exakt zu diagnostizieren.

  • Die Klassifikation der Fraktur ist nach der erweiterten Segmentklassifikation (2-, 3-, 4-, 5- und mehrere Fragmente „free-part“) mit Beschreibung der Varus- oder Valgusdislokation und Impaktion oder Distraktion vorzunehmen. Zusätzlich wird in Luxations- und Headsplit-Frakturen unterteilt.

  • Die konservative Therapie erlebt eine Renaissance mit neuen, vergleichenden Studien (sie ist bei den dislozierten Frakturen weiterhin kritisch zu sehen).

  • Beim operativen Vorgehen sind die Osteosyntheseimplantate verbessert und teilweise neu: Die intramedulläre Marknagelung (gerader, anterograder Nagel) wird idealerweise bei 2-Part-Frakturen eingesetzt. Mehrfragmentäre dislozierte Frakturen werden mit einer winkelstabilen Platte versorgt („medialer support“, „Kalkarschrauben“). Die primäre inverse Prothese ist bei Patienten über 75 Jahren zu empfehlen (Tuberkularefixation!).

  • Inwieweit der Osteoporosegrad einen Einfluss auf die Komplikationsrate hat, wird in der Literatur uneinheitlich beschrieben. Fest steht allerdings: Je höher das Alter, desto komplexer die Fraktur und je komplexer die Fraktur, desto schlechter das Ergebnis und höher die Komplikationsrate.