Die Weiterentwicklung der Medizin hat schon immer eine kontinuierliche Weiterbildung für Ärzte und Pflegende erforderlich gemacht. Ärzte lernen als Individuen [42, 43, 58, 64, 65, 66, 68, 69, 70, 71, 73, 74]. Aber das Konzept, einen Dienstleister im Gesundheitswesen als lernende Organisation zu sehen, ist bisher kaum ein relevantes Thema [21, 16, 79].

Wandel in der Krankenhauslandschaft

Die Wettbewerbsfähigkeit in einer unsicheren und sich verändernden Umwelt ist für ein Krankenhausunternehmen überlebenswichtig [3]. Fähigkeiten und Wissen sind rasch überholt und so hängt der zukünftige Unternehmenserfolg von der Entwicklung neuer (innovativer) Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kompetenzen ab (Abb. 1). Sowohl in Deutschland wie auch in der Schweiz verändert ein auf „diagnosis related groups“ (DRGs) basiertes Finanzierungssystem die Krankenhauslandschaft [63], aber auch die Art und Weise der Leistungserbringung nachhaltig: Krankenhäuser wandeln sich von abteilungsorientierten Strukturen zu prozessorientierten Wertschöpfungseinheiten [6, 15, 39, 63]. Den Anästhesieabteilungen kommt dabei eine herausragende Bedeutung zu [6]. Auch intensivmedizinische Abteilungen werden umfassenden Prozess- und Strukturoptimierungen unterworfen, um kostendeckend arbeiten zu können [15]. Es müssen aber nicht einfach nur die Kosten gesenkt werden, sondern auch Sicherheit, Qualität und Innovation dürfen nicht leiden [17, 37]. Krankenhäuser als Organisationen müssen somit lernen, in einem geänderten ökonomischen Umfeld zu überleben. Eine Reihe von psychologischen und organisatorischen Faktoren macht Organisationen und Individuen in der „Gesundheitsindustrie“ für Veränderungen und Anpassungen resistent [21]. Die Ursachen für den Widerstand gegen Veränderungen – und Strategien diese zu überwinden – wurden von verschiedenen Exponenten aus den Wissensbereichen der Organisations- und Systemforschung unter die Rubrik organisationales Lernen gefasst. Die Bedeutung des Umgangs mit Schwierigkeiten in Veränderungsprozessen wurde insbesondere im OP-Bereich erkannt [77]. Nachfolgend wird die Bedeutung von organisationalem Lernen dargelegt und mit Beispielen erläutert.

Abb. 1
figure 1

Organisationales Lernen: Beeinflussungsmöglichkeiten und Mitteleinsatz auf den verschiedenen Ebenen einer Organisation/Institution. Mit einem geringen Mitteleinsatz lassen sich über neue Fähigkeiten oder Kompetenzen rasch Effekte erzielen. Veränderungen der Unternehmenskultur sind ressourcenintensiv, und Effekte treten erst nach einer längeren Latenz ein. (Nach Adler et al. [1])

Lernen als Individuum in der Medizin

Lernen wird in der Medizin zunächst einmal durch Individuen getriggert, die Lücken zwischen ihrem und dem aktuell verfügbaren Wissen oder den Fähigkeiten und Leistungen ausmachen [73]. Täglich arbeitet und lernt jeder einzelne Praktiker, perfektioniert durch die eigene Erfahrung und nach dem Stand der medizinischen Wissenschaften am Patienten [17, 73]. Durch Zeitschriften, Internet, Kongresse und Kollegen hält er sich auf dem Laufenden [7]. Vor diesem Hintergrund fokussiert auch die pharmazeutische Industrie nicht auf die Organisation, sondern auf den individuellen Akteur [85]. Ein weiteres, entscheidendes Element des Lernens in der Medizin ist die fortlaufende Korrektur von Fehlern. Dazu gehören beispielsweise Morbiditäts- und Mortalitätsbesprechungen. Derartige Veranstaltungen drohen zu Ritualen zu verkommen, die Individuen anprangern, anstatt einen Verbesserungsprozess anzustoßen und latente Fehler vor deren Triggerung zu eliminieren. Typischerweise haben denn auch Ärzte Probleme, offen über ihre Fehler zu sprechen, und das Lernen aus Fehlern bleibt somit individuell und privat. Medikolegale Aspekte mögen hier mit eine Rolle spielen ([26]; Infobox 1).

Erfahrungskurve

Neben Individuen lernen auch Organisationen. Eine Organisation entspricht nicht einfach der Summe der ihr angehörenden Individuen. Entsprechend ist organisationales Lernen auch nicht einfach die Lernsumme der ihr angehörigen Individuen. Robuste Organisationen akkumulieren, bewahren und verwenden Wissen sowie Fähigkeiten trotz erheblicher Personalwechsel! Durch die Beschreibung der Erfahrungskurve wurde in der Flugzeugindustrie erstmals gezeigt, dass Organisationen lernen [87]. Folgende Verallgemeinerungen ließen sich aus dieser Beobachtung ableiten (Abb. 2):

  1. 1.

    Mit jeder Wiederholung sinken die Produktionszeiten (Kosten) pro Einheit.

  2. 2.

    Der Zeitgewinn pro Produktionseinheit nimmt mit zunehmender Erfahrung ab.

  3. 3.

    Die Zeitverbesserung pro Produktionseinheit oder Dienstleistung folgt einem klaren Muster [83]. Mit jeder Verdoppelung der ausgebrachten Menge sinken die Kosten um 20–30%.

Um Kompetenz zu erreichen, ist sicherlich Repetition erforderlich. Darauf basiert die Annahme eines Zusammenhangs zwischen der Anzahl Behandlungen („volume“) und der Outcome-Qualität im Gesundheitswesen [8, 9, 10, 19, 31, 32, 33, 53]. Allerdings erfolgt Lernen durch Erfahrung in einer Institution nicht einfach automatisch. „Learning by doing“ und das Erarbeiten einer kumulierten Erfahrung sind zwar wichtig, führen aber nicht zwingend zu einer besseren Qualitäts- oder Kostenposition [56]. Von entscheidendem Einfluss ist, wie Individuen und Teams die Erfahrung verarbeiten und lernen.

Abb. 2
figure 2

Die Erfahrungskurve lässt sich auch in der Gesundheitsindustrie nachweisen. Darstellung der verschiedenen Einflussfaktoren auf die Erfahrungskurve, die durch die individuellen Erfahrungskurven, den „case mix“, die Anreizsysteme und den Lernverlust durch Personalfluktuation beeinflusst wird. (In Anlehnung an Waldman et al. [83])

Lernen als Organisation im Gesundheitssystem

Individuen lernen von Natur aus, Teams und Organisationen nicht [79, 83]. Organisationales Lernen muss geführt werden und erfolgt auf verschiedenen Ebenen, die sich wie folgt unterscheiden lassen (Infobox 1, Abb. 1):

  1. 1.

    Fähigkeiten der ihr angehörenden Individuen,

  2. 2.

    Systeme,

  3. 3.

    Organisation,

  4. 4.

    Strategie und

  5. 5.

    Unternehmenskultur.

Die im Folgenden beschriebenen Eigenheiten zeichnen eine lernende Organisation aus [21, 72].

Denken in offenen Systemen

Die klassische Abteilungsorganisation von Krankenhäusern isoliert die Leistungserbringung nach Krankheitsgruppen oder Interventionen (z. B. Chirurgie, Medizin, Intensivmedizin etc.). Das Denken in offenen Systemen fordert die Überwindung der Abteilungsmauern und verlangt eine vernetzte integrale Versorgung, beispielsweise einer Organisation der Versorgung in Behandlungszentren.

Verbesserung der individuellen Leistungsfähigkeit und Teamlernen

Die Zusammenführung virtuoser Einzelkönner ist die Herausforderung im Krankenhaus. Es gilt, plakativ formuliert, nicht nur ein Team von Stars zu haben, sondern ein Starteam zu formen.

Veränderung und Anpassung der herrschenden mentalen Modelle

Mentale Modelle sind verinnerlicht und häufig implizite Vorstellungen und Annahmen zum Verhalten einer Organisation. Die Anpassung derartiger Modelle ist Voraussetzung für jede Veränderung.

Kohärente Vision

Individuelle Virtuosität muss durch eine klare Strategie und ein konsistentes Werteset geführt werden. Eine von den Mitarbeitern geteilte und getragene Vision ist die Voraussetzung zur Bildung einer lernenden Organisation.

Medizinische Teams z. B. in der Herzchirurgie [18] oder Intensivmedizin [40] lernen neue Verfahren dann besser, wenn das kollektive Lernen durch bestimmte Rahmenbedingungen wie eine flache Hierarchie und eine offene Kommunikationskultur vereinfacht wird [20, 56]. Damit solche Teams schnell und zuverlässig lernen, sind Führung und Stabilität im Team, aber auch in den Prozessen, grundlegend [29]. Schnell lernende Teams selektionieren zunächst einfache Fälle für eine neue Prozedur, um sich als Team nicht zu überfordern, reflektieren die gemachte Erfahrung gemeinsam und planen dann den nächsten Eingriff. Zudem berücksichtigen sie den ganzen prä- und postoperativen Behandlungsprozess und beziehen weitere Beteiligte wie beispielsweise das Personal der Intensivstation und Anästhesie mit ein [12]. Der individuelle Lernprozess mit einem Prozess von Reflexion, Reinterpretation, Verfeinerung und Wissenskodifizierung kann also auch durch Teams erfolgen (Abb. 3). Während die Komplikationsrate für einen laparoskopischen Eingriff von der Erfahrung im Sinne einer individuellen Lernkurve abhängt, konnte gleichzeitig beobachtet werden, dass Anfänger, die eine neue Technik in einer damit vertrauten Organisation erlernten, ebenfalls geringere Komplikationsraten hatten [11, 84].

Abb. 3
figure 3

Lernen auf kollektiver Ebene ist ein kommunikatives Phänomen. Aufbauend auf einem allgemeinen Lernmodell, das Lernen als Informationsverarbeitungsprozess zur Weiterentwicklung von Wissensbeständen versteht, der sich in die Phasen Informationswahrnehmung, -interpretation und -speicherung unterteilen lässt, können Zusatzfaktoren identifiziert werden, die das organisationale Lernen und dessen Wirksamkeit beeinflussen

Formen des organisationalen Lernens

Die kognitiven Strukturen der Organisation erfahren im Verlauf des organisationalen Lernens Veränderungen, indem die neuen Informationen in den Wissensbestand integriert werden (Abb. 3). Die Ergebnisse zeichnen sich durch die Reichweite der Lernprozesse und ihre Transferierbarkeit aus. Grundsätzlich lassen sich vier Formen von organisationalem Lernen unterscheiden; besonders hervorzuheben sind das „Single-loop“- und das „Double-loop“-Lernen (Abb. 4; [4]).

Abb. 4
figure 4

Single- und Double-loop-Lernen: Die Reichweite der Lernergebnisse umfasst entweder die Handlungsstrategien (auch: Normen), mit denen bestimmte Ziele (Werte) erreicht werden sollen, oder beides (sowohl die Ziele als auch die Normen)

Single-loop-Lernen

Das Single-loop- (Anpassungs-)Lernen führt zu veränderten Handlungsstrategien, ohne dass die grundlegenden Werte tangiert werden. Diskrepanzen (Differenz zwischen Erwartung und Erfahrung) werden in einer einzigen Rückmeldeschleife (einer organisationalen Untersuchung) mit den Handlungsstrategien verbunden. Diese werden verändert, um das Ergebnis der Organisation gemäß den Vorgaben aufrechtzuerhalten (Abb. 4).

Die folgenden Beispiele erläutern Single-loop-Lernen als wichtige Form des organisationalen Lernens über verbesserte Arbeitsabläufe und klinische Entscheidungsfindungen [53]. So werden die für die Applikation der perioperativen Antibiotikaprophylaxe vorhandenen Standards mit den verfügbaren evidenzbasierten Erkenntnissen verglichen und die internen Richtlinien entsprechend angepasst. Die Compliance damit wird über einen klassischen Controllingzyklus überwacht [67]. Dieser Veränderungsprozess erhöht den Anteil der Patienten mit einer adäquaten Antibiotikaprophylaxe. Ein weiteres Beispiel ist ein Audit, bei dem die existierende Praxis mit vorhandenen expliziten Standards verglichen wird. Neben dem Erkennen und dem Beheben von Fehlern werden Systeme, Normen und Verhaltensweisen eliminiert, die die Fehlerwahrscheinlichkeit erhöhen [76].

Diagnosis related groups induzieren Single-loop-Lernen, denn sie verlangen Prozessoptimierungen. Entsprechend werden standardisierte Vorgehensweisen („standard operating procedures“, SOPs) innerhalb klinischer Pathways („clinical pathways“, CPs) etabliert. Clinical pathways und Standard operating procedures führen zu einer verbesserten Erfahrungskurve (s. oben; [83]). An dieser Entwicklung muss sich die Anästhesieabteilung in Form von eigenen SOPs beteiligen. Nach einer Prozessanalyse wird ein Sollzustand abgeleitet und eine entsprechende SOP in den betreffenden CP eingefügt [6]. Periodische Analysen bestehender Prozesse sind weiterhin erforderlich und tragen zur Verbesserung der Alltagsroutine bei [78]. Dadurch kann eine das Lernen hemmende Sklerosierung einer Organisation verhindert werden [12]. Persönliche Überzeugungen behindern organisationales Lernen über CPs am ehesten. Im Vergleich zu anderen Industrien sind Richtlinien und Standards im Krankenhaus weniger die Norm [30], obwohl deren Nutzen gerade für anästhesiologische Organisationen klar postuliert wurde [2, 5].

Durch die Einführung von Algorithmen für beispielsweise das „airway management“, rückenmarknahe Katheterverfahren, die perioperative Evaluation, intensiviertes Training und Lehre sowie den Gebrauch von Protokollen wird Single-loop-Lernen in der Anästhesie unterstützt. Es wird postuliert, dass mit diesen Instrumenten die Sicherheit in der anästhesiologischen oder intensivmedizinischen Betreuung verbessert werden könnte [38, 60].

Es konnte zudem gezeigt werden, dass Krankenhäuser, die in der Lage sind, Standards über weniger als 6 Monate und mit einer Adhärenz von über 90% einzuführen, über bessere Wettbewerbspositionen verfügen [1].

Double-loop-Lernen

Double-loop- (Veränderungs-)Lernen geht weiter und führt sowohl zu einem Wertewechsel als auch zu einer Veränderung der Handlungsstrategien. Es bestehen also zwei Rückmeldeschleifen (Abb. 4).

Double-loop-Lernen bei Institutionen führt dazu, dass die grundlegenden Werte und Ziele der Institution abgeändert werden. Daraus ergibt sich in der Regel eine Anpassung der Handlungsstrategien, die das Erreichen dieser Ziele gewährleisten [4]. Arbeitszeitvorschriften für Assistenzärzte (z. B. in der Schweiz), aber auch die Subspezialisierung erhöhen die Schnittstellenprobleme zur Gewährleistung eines kontinuierlichen Behandlungsablaufs [54, 55, 80]. Um diese Schnittstellen zu bereinigen, werden strukturierte Übergabeprozeduren und die Positionen von Krankheitsmanagern nötig und auch geschaffen [52]. Diese Problematik ist selbstverständlich auch im OP-Betrieb beobachtbar [46]. Dabei werden evidenzbasierte „guidelines“ nicht aufgegeben, sondern in ein neues Behandlungsmuster gefügt. Im Gesundheitswesen ist diese Lernform eher gehemmt. Sie wird daher häufig erst in Krisen oder bei tief greifenden Veränderungen angewandt.

Metalernen

Organisationen müssen aber auch identifizieren, wann und wie sie lernen – bzw. nicht lernen – und darauf reagieren können. Dies ermöglicht erfolgreich lernenden Organisationen, auf ihre Erfahrungen zurückgreifen und neue Lernstrategien testen zu können.

Entlernen (Verlernen; [59])

Viele Vorgehensweisen, auch im OP, basieren nicht auf Evidenz, sondern auf Gewohnheit und Überlieferung [75]: Wer kennt nicht die tradierten und dennoch unsinnigen Handlungsabläufe, die entlernt werden müssen: Wann wird der Operateur gerufen, welchen OP darf man (nicht) nutzen? [36]. Eine Organisation benötigt die Fähigkeit, fest in die Organisationskultur eingebettete Routinen, Gewohnheiten und Traditionen zu identifizieren, zu evaluieren und zu entsorgen oder zu verändern [23]. Ein gutes Beispiel dafür sind die „Fast-track“-Konzepte. Größtes Hindernis stellen die bereits getätigten Investitionen in bestehende, individuelle Kompetenzen dar. (Infobox 2 fasst wesentliche Hindernisse des organisationalen Lernens zusammen.)

Organisationales Lernen und Unternehmenskultur (Infoxen 3 und 4)

Unter Unternehmenskultur wird vereinfacht die Summe aller im- und expliziten Werthaltungen und Normen der Mitarbeiter verstanden. Naturgemäß sind die obersten Führungskräfte die wichtigsten Kulturträger. Eine erfolgreich lernende Organisation muss über bestimmte kulturelle Voraussetzungen verfügen [21, 22, 49]. Sie glaubt, auch im OP-Saal, an die Kreativität, Energie und Innovationskraft ihrer Mitarbeiter, und die Unternehmenskultur drückt dafür Wertschätzung aus [81]. Während eine konventionelle Organisation sich nur auf die Korrektur von Fehlern beschränkt [60], nutzen adaptiv lernende Organisationen frühere Erfolgsgeschichten, um in die Zukunft zu planen [23]. Der Aufbau einer lernenden Organisation erfordert eine Beeinflussung der Unternehmenskultur in Richtung folgender Eigenschaften: flachere Hierarchie, offene Kommunikationskultur und die echte Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen [28]. Eine wichtige Voraussetzung für Lernen ist Vertrauen. Mitarbeiter, die ihr Bestes geben, Risiken tragen und Kompetenzen weiterentwickeln, müssen darauf bauen können, dass Irrtümer toleriert, von der Organisation getragen werden und nicht zur Abstrafung führen [81]. Es ist wichtig, dass sie sich zu Fehlern äußern dürfen und so potenzielle oder tatsächliche Fehlerquellen identifiziert werden. Ist dies nicht der Fall, bleibt das Verbesserungspotenzial ungenutzt [44], Lernen erfolgt dann nur individuell und nicht institutionell. Für eine verbesserte „performance“ von Intensivstationen werden eine Fokussierung auf Systemveränderungen und eine Abkehr von dem Paradigma, dass Fehler auf individuelles Versagen zurückzuführen sind, gefordert [27]. Die Implementierung von „critical incident reporting systems“ (CIRSs), wie dem Patienten-Sicherheits-Optimierungs-System PaSOS-AINS (http://www.pasos-ains.de), kann dazu beitragen [61]. Mit dem CIRS steht ein Erhebungs- und Analyseinstrument für Fehler und sicherheitsrelevante Ereignisse zur Verfügung. Durch kontinuierliches CIRS und die konsequente Umsetzung der aus der Analyse abgeleiteten präventiven Maßnahmen können eine Fehlerreduzierung und eine Qualitätsverbesserung in der Anästhesie erreicht werden [50]. Qualität und Sicherheit werden verbessert, wenn latent wirkende Fehlerquellen identifiziert und eliminiert werden. Dabei sind neue Routinen zunächst zu simulieren oder experimentell zu erarbeiten, um nicht neue latente Fehlerrisiken zu implementieren. „Debriefing“ und Zwischenfallsanalysen ermöglichen Lernen [47]. Critical incident reporting systems sind ein Werkzeug in einer Anästhesieabteilung, um eine neue offenere Kommunikationsform anzustoßen. Kontrollmechanismen einer hierarchisch steilen Organisation sind geeignet, geläufige und häufige Probleme anzugehen. Sie können aber die Fähigkeit, mit neuen Problemen oder Chancen umzugehen, ersticken [17].

Im OP-Saal arbeiten Teams mit spezifischen Rollen zusammen. Konflikte sind vorprogrammiert [25]. Durchschnittlich werden vier Konflikte pro Eingriff beobachtet. Zur sofortigen Deeskalation ist eine offene und respektvolle Kommunikation, unabhängig von der hierarchischen Position, unabdingbar, wenn die Leistungsfähigkeit des OP-Betriebs auf Dauer nicht darunter leiden soll [13, 51]. Diese konstruktiven Umgangsformen müssen durch die Führung angestoßen werden [45]. Sie können trainiert werden und wurden aus der Fliegerei abgeleitet [14, 35]. Ein Trainingsangebot findet sich unter http://www.hadmedical.ch.

Ein erfolgreiches Krankenhausmanagement muss erhebliche Widerstände gegen Lernen und Entlernen überwinden: Stellenabbau durch Rationalisierung, Egozentrik der leitenden Kaderärzte (Infobox 2). Manager in erfolgreich lernenden Organisationen pflegen daher vor allem Offenheit, übernehmen Risiken (und Fehler) und zeigen Empathie im Führungsverhalten (Infobox 3). Sie sind flexibel, „coachen“ und pochen nicht auf hierarchische Strukturen [23, 41]. Sie laden zur Verbesserung ein, machen ihre eigene Fehlbarkeit zum Thema und verlangen kontinuierliche Verbesserungen [12]. Eine Unternehmenskultur, die organisationales Lernen fördern will, ermöglicht professionelle und persönliche Entwicklung. Mitarbeiter an der Front haben die besten und intimsten Kenntnisse über die vielen Tücken und Risiken der Unternehmensprozesse. Dieses schweigende Wissen wird respektiert und mit Verantwortung sowie Kompetenz durch die Führung honoriert. Die Führung sorgt für interdisziplinäre und multifunktionale Teams, Rotationen und experimentelles Lernen. So wird Wissen beweglich gemacht [29]. Durch eine neue Sprachregelung können beispielsweise Barrieren abgebaut werden: Die Begriffe „Fehler“ und „Untersuchung“ werden durch „Ereignis“ und „Analyse“ ersetzt [24]. Vor allem für das Double-loop-Lernen kommt Führungskräften eine überragende Bedeutung zu [44, 56]. Sie setzen die Agenda für eine Reform der Systeme [57]. So gilt es beispielsweise, in einer Anästhesieabteilung eine umfassende Sicherheitskultur zu implementieren (Tab. 1) und die prinzipiell bekannten Barrieren dafür in der Organisation anzugehen (Infobox 2; [2]). Von den Mitarbeitern wird nicht Konformismus, sondern Kreativität und kritische Gefolgschaft erwartet.

Tab. 1 Kulturveränderung als Basis für organisationales Lernen am Beispiel des Aufbaus einer umfassenden Sicherheitskultur in einer Anästhesieabteilung

Fazit für die Praxis

Die Kultur einer Organisation prägt das Engagement von Mitarbeitern für institutionelle Lernprozesse. Organisationales Lernen erfordert häufig einen Wandel der Unternehmenskultur mit klarer Führung, aber flacheren Hierarchien und einer offenen Kommunikationskultur. Die Führungskräfte sind die wichtigsten Kulturträger in einer Organisation [47]. Um organisationales Lernen zu ermöglichen, ist eine Kombination von Werthaltungen, Fähigkeiten und Strukturen erforderlich [37]. Das Management muss Anerkennungs- und Anreizsysteme sowie Ziele setzen, die zum Lernen anspornen [16]. Organisationales Lernen kann beispielsweise über ein CIRS, die Implementierung von Behandlungspfaden oder einen kompletten Umbau der Leistungserstellung durch den Aufbau von interdisziplinären Behandlungszentren konkretisiert werden. Zum Lernprozess gehören Schulung und Training mit Ressourcen in- und außerhalb der Organisation. Bewährt hat sich eine Kommunikationsschulung, anlehnend an die Aviatik [14, 35]. Eine lernende Gesundheitsorganisation konfiguriert sich, um individuelles Lernpotenzial zu maximieren, zu mobilisieren und zu erhalten. Lernen bzw. Lernkultur ist damit ein entscheidender Baustein zukunftsorientierten Personalmanagements [62].

Single-loop-Lernen strebt nach der schrittweisen Verbesserung der bestehenden Leistungserstellung. Double-loop-Lernen führt zu neu überlegten Zielen, Normen und Paradigmen einer Organisation und der Ausrichtung darauf. Sowohl für Individuen wie Institutionen ist Entlernen, also das Sich-Trennen von lieb gewordenen Gewohnheiten und Traditionen, eine große Herausforderung. Organisationales Lernen hat eine langfristige Perspektive. Kurzfristige Gewinnerwartungen werden nicht befriedigt, denn es entstehen Kosten, die erst mittel- und langfristig Nutzen zeigen (Abb. 1). Lernende Organisationen schauen nach draußen und lernen auch von ihren Mitbewerbern, ihren Eigentümern, politischen Anspruchsgruppen und Lieferanten. Vor allem aber versuchen sie, die Kundenerwartungen zu erfüllen [49]. Ein Gesundheitsdienstleister wird erst durch eine tief greifende organisationale und kulturelle Veränderung zur lernenden Organisation [86]. Lernende Organisationen sehen ein zentrales Anliegen darin, individuelles Lernen zu bestärken und dann in die Organisation zu implantieren.