Vorbemerkungen

Die Entfernung der proximalen Handwurzelreihe („proximal row carpectomy“, PRC) ist eine bewährte Rettungsoperation zur Behandlung von Erkrankungen der proximalen Handwurzelreihe und des Radiokarpalgelenks zwischen Kahnbein und Fossa scaphoidea des Radius (Abb. 1 und 2; [3, 9, 15, 19, 20]).

Abb. 1
figure 1

Nativ-radiologische Bildgebung in dorsopalmarer und seitlicher Projektion eines 59-jährigen, männlichen Patienten: Ausgeprägte Radiokarpalarthrose mit Auflösung des Gelenkspalts zwischen Kahnbein und Fossa scaphoidea

Abb. 2
figure 2

Nativ-radiologische Bildgebung in dorsopalmarer und seitlicher Projektion eines 59-jährigen, männlichen Patienten: Postoperativer Situs nach Entfernung der proximalen Handwurzelreihe mit regelrechter Artikulation zwischen Kopfbein und Fossa lunata; die seitliche Projektion belegt, dass kein Impingement zwischen großem Vieleckbein und Speichengriffel besteht

Der karpale Kollaps mit degenerativen Läsionen zwischen Kahnbein und Fossa scaphoidea als Folge von nichtbehandelten skapholunären oder lunotriquetralen Bandrupturen oder Kahnbeinpseudarthrosen, die fortgeschrittene Mondbeinnekrose und das Handgelenkempyem mit Destruktionen der interkarpalen Bänder stellen die häufigsten Indikationen zur PRC dar [8, 10, 18, 21, 23]. Der karpale Kollaps kann nach Watson und Ryu in 3 Stadien eingeteilt werden (Tab. 1; [23]). Bain und Begg beschrieben eine arthroskopisch basierte Stadieneinteilung der Mondbeinnekrose, welche ebenfalls sehr hilfreich für die Indikationsstellung zur PRC ist (Tab. 2; [1]).

Tab. 1 Einteilung des karpalen Kollaps nach Watson [23]
Tab. 2 Arthroskopische Einteilung der Mondbeinnekrose nach Bain [1]

Das Operationsverfahren ist durch eine geringe Komplikationsrate charakterisiert, da vor allem keine implantatassoziierten Probleme bzw. Pseudarthrosen auftreten können [3, 9, 11, 15, 19, 20]. Besteht ein fortgeschrittener Knorpelschaden am Kopfbein sollte die mediokarpale Teilarthrodese (MKTA) zwischen Mond-, Kopf-, Haken- und Dreieckbein durchgeführt werden. Ggf. können osteochondrale Augmentationstechniken bzw. ein Oberflächenersatz unter bestimmten Umständen zu einer Indikationserweiterung für die PRC führen [7, 22]. Aussagekräftige Fallzahlen bzw. mittel- bis langfristige Ergebnisse hierzu fehlen allerdings noch. Die PRC besticht im Vergleich zur MKTA durch die simplere Operationstechnik und die kürzere Ruhigstellung und kann deshalb vor allem für Raucher und ältere Patienten ein besseres Verfahren darstellen [3, 15, 19].

Operationsprinzip und -ziel

Destruierte Gelenkflächen und instabile Bandverbindungen werden durch Entfernung der proximalen Handwurzelreihe (PRC) ausgeschaltet. Dadurch stellt sich das Kopfbein mit seiner Gelenkfläche in der Fossa lunata ein und bildet ein neues Gelenk.

Vorteile

  • Keine implantatassoziierten Komplikationen

  • Erhaltung einer eingeschränkten Handgelenkbeweglichkeit

  • Gute Langzeitergebnisse

  • Kurze postoperative Ruhigstellung

Nachteile

  • Minderung der Griffkraft

  • Minderung der Handgelenkbeweglichkeit

  • Gelenkinkongruenz zwischen Kopfbein und Fossa lunata [11]

  • Sekundäre Arthrose zwischen Kopfbein und Radius

Indikationen

  • Karpaler Kollaps Grad 1 und 2 nach Watson [23]

  • Mondbeinnekrose (Grad 1 und Grad 2B nach Bain [1])

  • Radiokarpale Knorpelläsionen der Fossa scaphoidea und des Kahnbeins (> Grad 2 nach Outerbridge [6, 17] bzw. > Grad 2 nach Noyes [16])

  • Handgelenkempyem mit Destruktion der interkarpalen Bänder

Kontraindikationen

  • Karpaler Kollaps Grad 3 nach Watson [23]

  • Mondbeinnekrose (Grad 2A, 3 oder 4 nach Bain [1])

  • Knorpelläsionen in der Fossa lunata (> Grad 1 nach Outerbridge [6, 17] bzw. > Grad 1 nach Noyes [16])

  • Knorpelläsionen des Kopfbeins (> Grad 1 nach Outerbridge [6, 17] bzw. > Grad 1 nach Noyes [16])

  • Insuffizientes Kapselgewebe

  • Rheumatoide Arthritis

  • Haut- und Weichteilinfektionen

  • Neuromuskulär bedingte Dysbalancen (z. B. Spastik, Paresen) des handgelenkübergreifenden Weichteilmantels, die die Luxationsgefahr erhöhen können

  • Schwere Durchblutungsstörung der oberen Extremität

Patientenaufklärung

  • Minderung der Handgelenkbeweglichkeit

  • Alternative Behandlungsmethoden: keine operative Intervention → Spontanverlauf, mediokarpale Teilarthrodese, skaphotrapeziotrapezoidale Arthrodese, radioskapholunare Arthrodese, Totalversteifung

  • Verletzung des Knorpels von Radius und Kopfbein bei der Entfernung der proximalen Handwurzelreihe

  • Nachbehandlung: 2‑ bis 4‑wöchige Ruhigstellung

  • Minderung der Griffkraft

  • Sekundäre Arthrose zwischen Radius und Kopfbein

  • Gefäßverletzungen, Durchblutungsstörung

  • Nervenverletzungen

  • Sehnenverletzungen

  • Infektionen

  • Nachblutung

  • Luxation der Gelenkpartner

  • Handgelenkinstabilität

  • Persistierende Schmerzen

  • Komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS)

  • Sonstige allgemeine Operationsrisiken

Operationsvorbereitungen

  • Nativ-radiologische Diagnostik des Handgelenks

  • Erhebung des peripheren Durchblutungs- und Sensibilitätsstatus

  • Erfassung der Hautverhältnisse

  • Ggf. diagnostische Handgelenkarthroskopie zur Objektivierung der Knorpelverhältnisse (Abb. 3; [12, 13])

    Abb. 3
    figure 3

    Handgelenkarthroskopie durch das ¾‑Portal. Vollschichtige Knorpelläsion am Kahnbein (Pfeil), Fossa scaphoidea (Sternchen)

  • Rasur des Operationsgebiets

  • Gabe eines Cephalosporins der zweiten Generation intravenös 30 min präoperativ bei vormals abgelaufener Infektion in der Operationsregion, fragiles Integument (z. B. Psoriasis), vormalige Handgelenkeröffnung

Instrumentarium

  • Handchirurgisches Instrumentarium

  • Luer

  • Raspatorium

Anästhesie und Lagerung

  • Rückenlage des Patienten

  • Auslagerung des Arms auf einem Armtisch

  • Allgemein- oder Regionalanästhesie

  • Operation in Blutleere nach Auswickeln der Hand und des Arms mit einer Esmarch-Binde

Operationstechnik

(Abb. 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17)

Abb. 4
figure 4

S-förmig geschwungene Hautinzision über dem dorsalen Handgelenk

Abb. 5
figure 5

Nach Eröffnen des 3. und 4. Strecksehnenfachs (SSF) und Beiseitehalten der Strecksehnen wird auf dem Boden des 4. SSF der N. interosseus posterior dargestellt. Auf Höhe des distalen SSF werden 2 cm des Nervs reseziert und der proximale Nervenstumpf koaguliert, da dieser als sensorischer Nerv die Handgelenkkapsel innerviert und für die Schmerzweiterleitung verantwortlich ist

Abb. 6a,b
figure 6

Eröffnen der dorsalen Handgelenkkapsel unter Schonung der Ligamenta radiotriquetrum dorsale et intercarpale dorsale durch einen radial gestielten Kapsellappen [2]

Abb. 7
figure 7

Darstellung des vollschichtigen Knorpelschadens am Kahnbein (Patient aus Abb. 1)

Abb. 8
figure 8

Darstellung der proximalen Handwurzelreihe mit Beurteilung des Knorpels am Kopfbein. Sind sowohl die Fossa lunata als auch das Kopfbein mit intaktem Knorpel überzogen, kann die Entnahme der proximalen Handwurzelknochen erfolgen

Abb. 9
figure 9

Die Ligamenta scapholunatum et lunotriquetrum werden mit dem Skalpell durchtrennt

Abb. 10
figure 10

Vorsichtiges Mobilisieren und Ablösen des Mondbeins von den palmaren Bändern der Kapsel mit dem Raspatorium

Abb. 11
figure 11

Luxieren des Mondbeins mit dem Luer, dabei ist insbesondere auf die Schonung des Knorpelüberzugs in der Fossa lunata und am Kopfbein zu achten. Der Luer sollte dafür – wenn möglich – immer quer zu den Gelenkflächen eingesetzt werden. Haken können bei diesem Operationsschritt durch den begrenzten Situs Knorpelschäden durch das „Hebeln“ verursachen

Abb. 12
figure 12

Vorsichtiges Mobilisieren und Herauslösen des Kahnbeins unter Schonung der palmaren Bänder der Kapsel mit dem Raspatorium und Luer. Oftmals muss das Kahnbein mit dem Meißel geteilt werden

Abb. 13
figure 13

Gleiches Vorgehen mit Mobilisieren des Dreieckbeins unter Schonung der palmaren Ligamente und Herauslösen mit dem Luer

Abb. 14
figure 14

Situs nach vollständigem Entfernen der proximalen Handwurzelreihe unter Schonung der palmaren Bänder

Abb. 15
figure 15

Zur Überprüfung eines Impingements sollte eine Radialduktion des Handgelenks durchgeführt werden. Stößt dabei der Speichengriffelfortsatz an das große Vieleckbein, sollte der Griffelfortsatz unter Schonung des Ligamentum radioscaphocapitatum mit dem Meißel reseziert werden

Abb. 16
figure 16

Intraartikuläre Platzierung einer 10er-Redondrainage und sorgfältige Kapselnaht

Abb. 17
figure 17

Schichtweiser Wundverschluss mit Naht des 3. und 4. SSF

Postoperative Behandlung

  • Bei radiologisch gesicherter regelrechter Artikulation zwischen Kopfbein und Fossa lunata 2 Wochen Ruhigstellung in einer radialumgreifenden Unterarmgipsschiene mit Daumengrundgliedeinschluss

  • Verbandwechsel am 1. postoperativen Tag

  • Entfernung des Nahtmaterials nach 14 Tagen

  • Anpassung eines zirkulären Gips- oder Kunststoffverbands für weitere 2 Wochen, wenn radiologisch direkt postoperativ keine kongruente Artikulation bzw. ein erweiterter Abstand zwischen Kopfbein und Fossa lunata bestand

Fehler, Gefahren, Komplikationen

  • Verletzung des Knorpels von Radius und Kopfbein: Einschlagen eines Kapsellappens zwischen die Gelenkpartner

  • Parästhesien im Ausbreitungsgebiet des Ramus superficialis des N. radialis am radialen Handrücken oder im Ausbreitungsgebiet des Ramus dorsalis des N. ulnaris am ulnaren Handrücken

  • Strukturelle Nervenläsionen: Nervennaht

  • Hämatom (in Abhängigkeit der Ausdehnung des Hämatoms): Operative Revision

  • Infektionen: Stadiengerechte handchirurgische Therapie

  • Wundheilungsstörungen: Stadiengerechte handchirurgische Therapie

  • CRPS: Multimodale Schmerz- und Ergotherapie

  • Subluxation bzw. Luxation zwischen Kopfbein und Fossa lunata: Reposition, ggf. 6‑wöchige K‑Draht-Transfixation zwischen Radius und Kopfbein, wobei die artikulierenden radiokapitären Gelenkflächen durch den Draht nicht tangiert werden sollten

  • Verbliebenes Impingement zwischen Griffelfortsatz des Radius und großem Vieleckbein: Resektion des Griffelfortsatzes

  • Verletzung der palmaren Ligamente: Bandnaht, Ruhigstellung, ggf. temporäre 6‑wöchige K‑Draht-Transfixation zwischen Radius und Kopfbein

Ergebnisse

Croog und Stern konnten 18 Patienten nach PRC aufgrund einer fortgeschrittenen Lunatumnekrose nach durchschnittlich 10 Jahren retrospektiv untersuchen. Extension/Flexion betrug 78 % und die Griffkraft lag bei 87 % der gesunden Gegenseite. Die fortschreitende Arthrose zwischen Kopfbein und Fossa lunata hatte keinen Einfluss auf die überwiegend guten bis sehr guten objektiven und subjektiven Messergebnisse mit einem Quick-DASH („disabilities of arm, shoulder and hand“) von 12 und MMWS (Mayo Modified Wrist Score) von 84 [5]. Eine andere Studie erfasste 13 Patienten nach PRC aufgrund einer Lunatumnekrose mit einem Nachuntersuchungsintervall von durchschnittlich 15 Jahren. Das Bewegungsausmaß erreichte 73 % und die Griffkraft lag bei 92 % der Gegenseite. Die Beweglichkeit konnte um 16 % und die Griffkraft um 129 % zu präoperativ gesteigert werden. Die Patientenzufriedenheit war überwiegend gut bis sehr gut. Auch in dieser Studie korrelierte die nachweisbare Arthrose zwischen Kopfbein und Fossa lunata nicht mit dem klinischen Befund [14]. Bultmann et al. untersuchten 30 Patienten nach PRC durchschnittlich 43 Monate nach Operation. Die Griffkraft zur gesunden Gegenseite betrug durchschnittlich 58 % und die Flexion/Extension erreichte 46 bzw. 42 % für die Ulnar- und Radialduktion. Die Mehrzahl der Patienten (n = 26) war zufrieden bis sehr zufrieden mit dem Ergebnis [4]. Jebson et al. konnten bei 18 Patienten, die eine PRC erhielten, mit einem durchschnittlichen Nachuntersuchungsintervall von 13 Jahren retrospektiv zeigen, dass postoperativ die Griffkraft um durchschnittlich 53 % zu präoperativ zunahm und bei 83 % der Gegenseite lag. Das Bewegungsausmaß betrug durchschnittlich zwei Drittel der kontralateralen Seite [9].

Für einige Indikationen stellt die MKTA eine Alternative zur PRC dar. In jüngster Vergangenheit konnten Vergleiche zwischen PRC und MKTA mit langfristigen Ergebnissen publiziert werden. Eine kinematische Studie verglich 22 Patienten nach PRC mit 24 Patienten nach MKTA. Dabei zeigte sich bei der elektrogoniometrischen Messung ein Bewegungsausmaß in Extension/Flexion von 65 % der gesunden Gegenseite für die PRC nach durchschnittlich 24 Monaten, wogegen die MKTA nur ein Bewegungsausmaß von 51 % zur Gegenseite nach durchschnittlich 72 Monaten erreichte. Radial- und Ulnarduktion waren für beide Verfahren vergleichbar. Der Bewegungsablauf nach PRC war im Vergleich zur MKTA schneller und reibungsloser. Auch die postoperative Kraftentwicklung nach PRC war mit 81 % der gesunden Gegenseite höher als nach der MKTA mit 59 % [20]. Eine retrospektive Untersuchung an 12 Patienten, die eine Entfernung der proximalen Handwurzelreihe erhielten, im Vergleich zu 8 Patienten, bei denen eine MKTA durchgeführt wurde, wurden im Durchschnitt nach 17 bzw. 18 Jahren nachuntersucht. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in der aktiven Beweglichkeit des Handgelenks bis auf die Ulnarduktion. Diese betrug für die PRC-Gruppe durchschnittlich 29° im Vergleich zur MKTA-Gruppe, welche nur durchschnittlich 17° aufwies. Die Griffkraft unterschied sich zwischen den beiden Gruppen nicht signifikant. Der Mayo-Wrist-Score war für beide Interventionsgruppen zufriedenstellend. Die Komplikationsrate war für die MKTA-Gruppe erwartungsgemäß höher, da Pseudarthrosen und verzögerte knöcherne Durchbauungen beobachtet wurden [3]. Saltzman et al. führten eine systematische Literaturrecherche durch und fanden zwischen der MKTA und der PRC postoperativ keine klinisch relevanten Unterschiede hinsichtlich Bewegungsausmaß und Griffkraft. Die Komplikationsrate nach MKTA war aber signifikant höher als nach PRC [19]. Eine weitere systematische Literaturrecherche, die von Mulford et al. durchgeführt wurde, erbrachte ebenfalls vergleichbare postoperative Ergebnisse zwischen der MKTA und der PRC, wobei die PRC eine höhere Rate an postoperativer Arthrose aufwies, während die MKTA eine erhöhte Komplikationsrate nach sich zog. Die Konversion zu einer kompletten Arthrodese war allerdings für beide Verfahren gleich [15].

Zusammenfassend zeigten die Langzeitergebnisse, dass die PRC bei richtiger Indikation ein sehr gutes Verfahren mit Erhalt der Handgelenkbeweglichkeit und zufriedenstellender Griffkraft darstellt und sich dadurch ein Zweiteingriff zur Metallentfernung erübrigt.