Zusammenfassung
In den letzten Jahren hat sich im Schatten der breiteren Diskussion um die Veränderungen des Wohlfahrtsstaates der Begriff der ,schwachen Interessen’ etabliert. Als ,schwach’ werden die Interessen von Akteuren bezeichnet, die über wenige Ressourcen verfügen und aus strukturellen Gründen politisch schwer organisierbar sind. Dies trifft vor allem auf die Interessen von Akteuren zu, die früher schlichtweg als ,Arme’ bezeichnet worden wären. Diese Kategorie erweist sich allerdings als unzureichend: Zum einen wird die Kategorie der Vielfalt der Dimensionen sozialer Ungleichheit nicht gerecht, denn Armut lässt sich nicht ausschließlich durch einen Mangel an materiellem Wohlstand oder ökonomischer Macht definieren. Zum anderen sind manche der Gruppen, die wir unter ,schwache Interessen’ fassen, wie z.B. PatientInnen oder KonsumentInnen, nicht im materiellen Sinne arm. Der Begriff schwache Interessen kann nicht nur verschiedene Lagen sozialer Ungleichheit erfassen, sondern prinzipiell Aspekte struktureller Benachteiligung in gesellschaftlichen Regulierungs- und Verteilungsprozessen beleuchten. Neben den bereits genannten ,Armen’ rücken hier weitere Akteure in das Blickfeld – etwa UmweltschützerInnen oder VerbraucherschützerInnen. Mit diesen beiden Beispielen sind Interessen genannt, die zwar offenbar nicht allerorten und zu jedem Zeitpunkt (gleich) schwach sind, aber in Gesellschaften mit bestimmten Produktionsverhältnissen und politischen Institutionen durchaus als strukturell benachteiligt gelten müssen. Insofern fallen sie in die Kategorie ,schwacher Interessen’, wie wir sie definieren. Dass diese Kategorie eine abstrakte ist, deren konkrete empirische Bedeutung wandelbar ist, begreifen wir nicht als Nachteil, sondern als notwendige, kontextsensible und problemadäquate Konzeptualisierung. Weiter unten soll der Begriff differenzierter dargestellt und begründet werden; an dieser Stelle mag der Hinweis darauf genügen, dass er für den Kasseler Forschungsverbund erkenntnisleitend in dem Ansinnen geworden ist, die Auswirkungen neuer Steuerungsformen zu untersuchen. In kritischer Auseinandersetzung mit einer Governance-Forschung, deren wichtigstes Kriterium eine häufig herrschaftsfunktionale ,Effizienz’ darstellt, legen wir den Schwerpunkt auf Partizipation und Inklusion als Ansprüche demokratisch organisierter Gemeinwesen. Dabei beabsichtigen wir nicht nur eine Analyse bestehender Bedingungen, sondern durchaus auch die Konzeption von Steuerungsformen, die schwachen Interessen zu mehr Durchsetzungsfähigkeit verhelfen.
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Clement, U., Nowak, J., Ruß, S., Scherrer, C. (2010). Einleitung: Public Governance und schwache Interessen. In: Clement, U., Nowak, J., Scherrer, C., Ruß, S. (eds) Public Governance und schwache Interessen. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92267-6_1
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