Zusammenfassung
Zukunftsbezogene Entscheidungen, wie sie im Rahmen der Such- und Orientierungshilfen für die Berufliche Orientierung (BO) am Übergang von der Schule in den Beruf thematisch werden, sind durchzogen von Vorstellungen, Normen und Ideen, die durch hegemoniale Diskurse geprägt sind. Wie Pierre Bourdieu (2007) schon in den 1980ern in seiner umfangreichen empirischen Studie ‚Die feinen Unterschiede‘ zeigen konnte, gibt es einen gesellschaftlich mehrheitsfähigen Konsens darüber, welcher Beruf für wen geeignet sei und für wen eher nicht, wessen Kinder ganz selbstverständlich schon früh für Leitungspositionen vorbereitet werden und für wessen Kinder solcher Aufwand obsolet scheint. Dieser beeinflusst Schüler*innen, Lehrkräfte und Erziehungsberechtigte gleichermaßen und besonders Schüler*innen aus sozioökonomisch benachteiligten Familien stehen dadurch besonderen Herausforderungen gegenüber, wenn es darum geht, berufliche Visionen ‚entgegen‘ der gesellschaftlichen Ordnung zu entwickeln, in die sie hinein sozialisiert und subjektiviert werden.
Wir arbeiten in diesem Beitrag durchgehend mit dem *, das die Dichotomie zwischen männlich und weiblich symbolisch bricht, um der Vielfalt der Geschlechter einen selbstverständlichen Raum geben zu können.
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Notes
- 1.
Bourdieu beschreibt hier den klassenspezifischen ‚Geschmack‘, der innerhalb einer ungleichen Gesellschaft von den jeweiligen Gruppen abhängig von ihrer Position im sozialen Raum entwickelt wird (vgl. 2007, S. 289 ff.).
- 2.
Für einen ausführlicheren Einblick in das Zusammenspiel, auch der anderen Differenzkategorien im Zusammenhang mit der beruflichen Orientierung, s. Heinemann et al. (i. E.): Differenzsensible Begleitung von beruflichen Orientierungsprozessen in heterogenen Lernräumen der gymnasialen Oberstufe. In: Zeitschrift für Ökonomische Bildung (Sonderausgabe).
- 3.
Diese und weitere Handlungsimpulse finden sich in ähnlicher Form auch in folgender Veröffentlichung: Heinemann et al. (i. E.): „Ist für die Kollegen auch nicht so einfach da zu beraten“ – Zur Begleitung von beruflichen Orientierungsprozessen in heterogenen Lernräumen in: Sonderausgabe der ZfÖB (Zeitschrift für ökonomische Bildung).
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Heinemann, A.M.B., Vogt, L., Raja, M. (2023). „Die haben oft auch so’n Minderwertigkeitsgefühl, was sie mit sich rumtragen“ – Zur Begleitung von beruflichen Orientierungsprozessen von sozioökonomisch benachteiligten Schüler*innen. In: Knickrehm, B., Fletemeyer, T., Ertelt, BJ. (eds) Berufliche Orientierung und Beratung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-40601-1_4
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