Zusammenfassung
Die Diskussion über eine Reform des deutschen Wohlfahrtsstaates hat in den 90er Jahren eine neue Richtung eingeschlagen. Als die von Helmut Kohl geführte konservativ-liberale Koalition 1982 ins Amt kam, orientierten sich ihre programmatischen Aussagen weitgehend an der neokonservativen Rhetorik des britischen „Thatcherismus“ und der amerikanischen „Reaganomics“. Die damals von der neuen Mehrheit proklamierte politische „Wende“ ließ indessen auf sich warten. Die Veränderungsbilanz der 80er Jahre umfasste in erster Linie eine vergleichsweise geringfügige Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Abschaffung des öffentlichrechtlichen Rundfunkmonopols und einige Schritte zur Privatisierung und Deregulierung des Fernmeldemonopols. Dies war nicht zuletzt auf institutionelle Reformhindernisse im „halbsouveränen“ deutschen Staat (Katzenstein 1987) zurückzuführen (vgl. die Analysen in Lehmbruch u.a. 1988). Dass diese Anstrengungen begrenzt blieben, hatte aber auch damit zu tun, dass sich der Wohlfahrtsstaat nach der zu jener Zeit noch vorherrschenden Sicht nicht in einer ernsthaften Krise befand. Die Unterschiede der Krisenperzeption werden vor allem in der Retrospektive deutlich, wenn man die Situation der beginnenden 80er Jahre mit der Finanz- und Wirtschaftskrise der 90er Jahre vergleicht. Ungemein bezeichnend für die neue Krisenanalyse war die viel beachtete Rede des Bundespräsidenten Roman Herzog vom 26. April 1997, der pikanterweise ausgerechnet die Eröffnung eines neuen Berliner Luxushotels (des „Adlon“) als passende Gelegenheit benutzte, um den „Verlust wirtschaftlicher Dynamik, die Erstarrung der Gesellschaft, eine unglaubliche mentale Depression“ zu beklagen.1 Pathetisch rief er nach einem „Ruck“, der durch Deutschland gehen und den Modernisierungsstau überwinden solle.
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Lehmbruch, G. (2000). Institutionelle Schranken einer ausgehandelten Reform des Wohlfahrtsstaates. In: Czada, R., Wollmann, H. (eds) Von der Bonner zur Berliner Republik. Leviathan, vol 19. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-89103-7_4
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